[216] An den Punschlöffel 1

Im Januar 1792.


Du kleines Meisterstück von Kunstgeübter Hand,
Das Comus einst, der Gott des Festgelags, erfand,
Das in die Wonnereiche Schaale,
Worin der Britten Necktar gährt,
Auf jeden Wink hinunter fährt,
Dann unsre Becher füllt beym nächtlich trauten Mahle!
[217]
Du bist des Lobgesangs der Freuden-Kenner werth.
Kaum sehen wir dich in die Fluthen tauchen,
Und, wenn du wiederkehrst, vom Göttertranke rauchen,
So wallt geschwinder unser Blut,
So öffnet sich das Herz, und alles dünkt uns gut
Und schön, und voller Harmonie,
Vom Maulwurfshügel bis zum Gipfel
Der Alpen, von der Tanne Wipfel
Zur niedern Distel hin, vom bunten Colibri
Hinauf zum stolzen Elephanten,
Der Tod und Untergang im mächt'gen Rüssel trägt.
Da gnügt uns Weniges; kein eitles Wünschen regt
Im stillen Busen sich. Palläste von Demanten
Die lassen wir der Feen-Welt,
Und seine Mohren und Trabanten
Dem, welcher nur zum Prunke Tafel hält,
Der feyerlich, um angegafft zu werden,
[218]
Mit theatralischen Gebehrden
Bey Chier-Wein und Austern sitzt,
Indeß ein goldner Stern dem Gast ins Auge blitzt.
Wir schmausen nicht mit ihm, wir lagerten uns lieber
Ins offne Feld, dem Schnitter gegenüber,
Der, neben schlechter Kost, nach seinem Kruge greift,
Und frohen Sinnes dann sich selbst ein Liedchen pfeift.
Hier aber ist uns wohl bey unsern Bacchanalen,
Wenn zwischen dampfenden Pocalen
Die seligste Vergessenheit,
In leichter Scherze Chor, uns zum Genusse weiht.
Hier blicken wir, mit Sorgenloser Miene,
Hinweg von Hof und Stadt, von der gemahlten Bühne,
Wo Puppen sich, geschminkt, an ihren Fäden drehn.
[219]
Was kümmern uns die Harlekine,
Die, wichtig, auf und ab in Fürsten-Sälen gehn?
Die Pierrots, die am Ruder stehn,
Und, wird es ihnen schwer, das große Schiff zu lenken,
Nach Eulenspiegel-Art an neues Tauwerk denken?
Mag Biedersinn und Männermuth
Oft gegen feile Schmeichler-Brut
Umsonst für Recht und Wahrheit zeugen,
Oft, weil das Kriechen Wunder thut,
Sich Feldherrnstab und Bischofshut
Vor Sonnenschirm und Fächer beugen!
Mag immer noch der finstre Schwarm
Des Aberglaubens Länder schrecken,
Und gegen eines Herculs Arm
Mit Priesterrock und Scapulier sich decken!
Was kümmerts uns? Wir schauen vor uns hin,
Und heben hoch das Glas, und achten für Gewinn,
Was uns die Götter jetzt verleihen:
[220]
An heut'ge Freude wird sich auch zukünft'ge reihen.
Die schlaueste Zigeunerinn
Weiß nicht so schön, als wir, zu prophezeyen,
Wenn Dichtergeist empor aus jedem Becher steigt,
Und Hoffnung in die Fern' auf Blüthenknospen zeigt.
Laß, günstig oder nicht, des Schicksals Würfel fallen!
Uns bleibt genug; es bleibt des Frühlings ganze Pracht,
Der Hain mit seinen Nachtigallen,
Der Venus holder Stern in kühler Sommernacht,
Und, wenn Autumnens Hauch die Fluren kahler macht,
Der fruchtbeladne Zweig, der Hügel, reich an Trauben.
Will endlich Boreas das letzte Blättchen rauben,
Sey's ihm gegönnt! Wir flüchten dann
Zu dir, mit dem mein Lied begann!
Wohl uns im eng geschloßnen Kreise!
[221]
Du schöpfest aus dem Freudenquell;
Die Winternächte werden hell,
Und Gram und Sorge machen schnell
Sich, trotz den Stürmen, auf die Reise.

Fußnoten

1 Nach folgenden aufgegebenen Worten: Maulwurf, Tanne, Distel, Colibri, Elephanten-Rüssel, Demant, Mohr, Austern, Krug, Puppe, Harlekin, Schiff, Eulenspiegel, Tauwerk, Sonnenschirm, Hercules, Priesterrock, Scapulier, Zigeunerinn, Würfel, Venus.

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TextGrid Repository (2012). Jacobi, Johann Georg. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. An den Punschlöffel. An den Punschlöffel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8A7F-1