[121] [125]An Lottchen 1, auf ihren Nahmenstag

Am 4. Nov. 1778.


Wohl mag am schönen Nieder-Rhein
Man jetzt in Künsten hoch erfahren,
Gelehrt in jedem Dinge seyn,
Und klüger als vor hundert Jahren,
Wo mancher Priester vom Latein
Nichts weiter als die Psalmen konnte,
Der Junker, neben altem Wein,
Sich beym gehörnten Siegfried sonnte;
Der Reichsgraf unterm Winter-Dach
Mit Weib und Kind beym Almanach
Andächtig, wie sein Pächter, saß,
Und Diebs- und Mord-Geschichten las,
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Und ob ihm schon, indem es schneyte,
Sein Autor Donner prophezeyte,
Den Irrthum alsobald vergaß;
Und nie zu zweifeln sich vermaß.
Wohl mag am schönen Nieder-Rhein
Zu jener Zeit vor hundert Jahren,
Ein saubres Völkchen, den Barbaren
Nicht ungleich, Herr und Meister seyn.
Jedoch behielten sie den Wein
Im Keller unverfälscht und rein;
Und so im Herzen ihren Glauben.
Man setzte jedes nicht auf Schrauben,
Wie täglich unter uns geschieht;
Und Wahrheit wurde nicht zum Lied.
Ach! aber, seit in Dorf und Stadt
Bey uns der Schwarze keine Klauen,
Der Wettermacher kein Vertrauen,
Der Grübler allen Vorrang hat,
Seitdem verlacht man Höll' und Teufel,
Geräth am Himmel selbst in Zweifel,
Kennt nichts Gewisser mehr; und ach!
Daß lauter Lücken seyn auf Erden,
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So müßen gar im Almanach
Die Nahmenstage streitig werden.
Der Uebel ärgstes ist dabey,
Daß unter solche Zweifeley
Fast immer sich – die Rede sey
Vom Sack-Kalender oder Tempel –
Geheime List und Schelmerey
Zu bergen pflegt; wie zum Exempel
Der Neid aus Lenchens Munde spricht,
Wenn sie, als fordert' es die Pflicht,
Behaupten will, daß Carolus
Ob seiner Endigung in us,
Von Carolinen und Charlotten,
So lange man Kalender schrieb,
Verschieden war, verschieden blieb,
Und daß im Reich der Hottentotten
Sich nur zu gleicher Zeit das Fest
Von Carl und Lottchen feyern läßt.
So redet sie, um dein zu spotten;
Allein ihr helles Stimmchen mag
Das ganze Haus zusammenrotten;
Du feyerst deinen Nahmenstag
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Mit unserm Fürsten Carolus,
Und jeglichen Kanonen-Schuß,
Trompeten-Klang und Pauken-Schlag,
Und jedes festliche Gelag
Kannst du, gehüllt in Weihrauch-Dunst,
Zu deiner Ehre sicher nutzen.
Damit du aber nicht auf Gunst,
Vielmehr auf Rechte mögest trutzen,
So haben wir in aller Früh,
Mit wahrlich nicht geringer Müh,
Als wär's um Gold und Ordensbänder,
Vom riesenförm'gen Staats-Kalender,
Gedruckt für Jüllich und für Berg,
Herab bis auf den kleinsten Zwerg
Von Almanach, dergleichen viel
Im alten und im neuen Styl,
Aus manchem Land, aus manchem Stift,
Mit grober und mit feiner Schrift,
Mit Reimen und mit Kupferstichen,
Genau durchblättert und verglichen,
Und draus ersehen: Daß so klar
Wie unsre Monden-Zahl im Jahr,
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Das, so bestimmt und ausgemacht,
Wie Sommer-Tag und Winter-Nacht,
Wie Frühlings-Anfang und Beschluß,
Am vierten dieses, Carolus,
Und Carl, im Festtag', einerley
Mit Carolin' und Lottchen sey;
Und fertigen hiermit, zur Steuer
Der Wahrheit, dieses Document,
Um dir bis an dein selig End
Zu sichern deine Nahmens-Feyer.
Der Himmel sende jedes Mahl
Sie dir auf lichtem Morgenstrahl,
Um welchen Purpurwolken scherzen:
Da muß die Freude still und rein
In deinem jungfräulichen Herzen,
Wie eine Perl' im Golde, seyn!

Fußnoten

1 Ihr Vater hatte den Verfasser gebethen, dieses Gelegenheits-Gedicht zu machen, und darin den wirklich vorgefallenen Streit der beyden Schwestern zu erzählen.

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TextGrid Repository (2012). Jacobi, Johann Georg. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. An Lottchen. An Lottchen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8A16-9