Friedrich Heinrich Jacobi
Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn

[52] J'ai trouvé que la plûpart des sectes ont

raison dans une bonne partie de ce qu'elles avancent,

mais non pas tant en ce qu'elles nient.

Leibniz.


Eine vertraute Freundin von Lessing, 1 welche durch ihn auch die meinige wurde, schrieb mir im Februar des Jahres 1783, dass sie im Begriff sei, eine Reise nach Berlin zu unternehmen, und fragte mich, ob ich Aufträge dahin hätte.

[52] Aus Berlin schrieb mir meine Freundin wieder. Ihr Brief handelte hauptsächlich von Mendelssohn, »diesem echten Verehrer und Freund unseres Lessings.« Sie meldete mir, dass sie über den Verewigten und auch über mich Geringen viel mit Mendelssohn gesprochen hätte, welcher nun endlich daran sei, sein längst verheissenes Werk über Lessings Charakter und Schriften vorzunehmen. 2

[53] Verschiedene Hindernisse machten es mir unmöglich, gleich auf diesen Brief zu antworten, und der Aufenthalt meiner Freundin in Berlin war nur von wenigen Wochen.

Da sie wieder zu Hause war, schrieb ich ihr, und erkundigte mich, wieviel oder wenig Mendelssohn von Lessings religiösen Gesinnungen bekannt geworden wäre. – Lessing sei ein Spinozist gewesen. 3

[54] Gegen mich hatte Lessing über diesen Gegenstand ohne alle Zurückhaltung sich geäussert; und da er überhaupt nicht geneigt war, seine Meinungen zu verhehlen, so durfte ich vermuten, was ich von ihm wusste, sei mehreren bekannt geworden. Dass er selbst aber gegen Mendelssohn sich hierüber nie deutlich erkläret hatte, dieses wurde mir auf folgende Weise bekannt.

Nachdem ich Lessingen im Jahre 1779 einen Besuch auf den folgenden Sommer versprochen hatte, meldete ich ihm in einem Briefe vom ersten Juni 1780 meine [55] baldige Erscheinung, und lud ihn zugleich ein, mich nachher auf einer Reise zu begleiten, die uns nach Berlin führen sollte. Lessing antwortete in Absicht der Reise, dass wir die Sache zu Wolfenbüttel miteinander überlegen wollten. 4 Als ich dahin kam, fanden sich wichtige Hindernisse. Lessing wollte mich überreden, ohne ihn nach Berlin zu reisen, und wurde alle Tage dringender. Sein Hauptbewegungsgrund war Mendelssohn, den er unter seinen Freunden am höchsten schätzte. Er wünschte sehnlich, dass ich ihn möchte persönlich kennen lernen. In einer solchen Unterredung äusserte ich einmal meine Verwunderung darüber, dass ein Mann von so hellem und richtigem Verstande, wie Mendelssohn, sich des Beweises von dem Dasein Gottes aus der Idee so eifrig, wie es in seiner Abhandlung von der Evidenz geschehen wäre, hätte annehmen können; und Lessings Entschuldigungen [56] führten mich geradezu auf die Frage: ob er sein eigenes System nie gegen Mendelssohn behauptet hätte? »Nie,« antwortete Lessing... »Einmal nur sagte ich ihm ohngefähr eben das, was ihnen in der Erziehung des Menschengeschlechts (§ 73) aufgefallen ist. Wir wurden nicht miteinander fertig, und ich liess es dabei.«

Also, die Wahrscheinlichkeit von der einen Seite, dass mehrere von Lessings Spinozismus unterrichtet wären; und die Gewissheit von der andern, dass Mendelssohn davon nichts Zuverlässiges bekannt geworden sei, bewogen mich, letzterem einen Wink darüber zu verschaffen. 5

Meine Freundin fasste meine Idee vollkommen; die Sache schien ihr äusserst wichtig, und sie schrieb den Augenblick an Mendelssohn, um demselben, was ich ihr entdeckt hatte, zu offenbaren.

Die Antwort, die ich hierauf von Emilien erhielt, will ich ganz hier einrücken.


* * den 1. September 1783. 6


»Ich habe Mendelssohns Antwort abwarten wollen, liebster Jacobi, ehe ich Ihnen wieder schriebe. Hier ist sie.

[57] Mendelssohn wünscht bestimmt zu wissen, wie Lessing die bewussten Gesinnungen geäussert habe. Ob er mit trockenen Worten gesagt: ich halte das System des Spinoza für wahr und gegründet? Und welches? Das im Tractatu Theologico Politico, oder das in den Principiis Philosophiae Cartesianae vorgetragene, oder dasjenige, welches Ludovicus Mayer nach dem Tode des Spinoza in seinem Namen bekannt machte? Und wenn zu dem allgemein dafür bekannten atheistischen System des Spinoza, so fragt er weiter: ob Lessing das System so genommen, wie es Bayle missverstanden, oder wie andre es besser erklärt haben? und setzet hinzu: Wenn Lessing imstande war, sich so schlechtweg, ohne alle nähere Bestimmung, zu dem System irgendeines Mannes zu verstehen, so war er zu der Zeit nicht mehr bei sich selbst, oder in seiner sonderbaren Laune, etwas Paradoxes zu behaupten, das er in einer ernsthaften Stunde selbst wieder verwarf.«

Hat aber Lessing etwa gesagt, fährt Mendelssohn fort: Lieber Bruder! Der so sehr verschriene Spinoza mag wohl in manchen Stücken weiter gesehen haben, als alle die Schreier, die an ihm zu Helden geworden sind; in seiner Ethik insbesondere sind vortreffliche Sachen enthalten, vielleicht bessere Sachen, als in mancher orthodoxen Moral, oder in manchem Compendio der Weltweisheit; sein System ist so ungereimt nicht, als man glaubt: – Ei nun, so lässt sichs Mendelssohn gefallen.

Er beschliesst mit dem Wunsche, dass Sie die Güte haben möchten, das Bestimmte hierüber ausführlich zu berichten; nämlich: was, wie, und bei welcher Gelegenheit sich Lessing über diese Sache geäussert habe; da er (Mendelssohn) fest von Ihnen überzeugt[58] sei, dass Sie sowohl Lessingen ganz verstanden, als von einer so wichtigen Unterredung jeden Umstand im Gedächtniss behalten haben werden.

Sobald dieses geschehen, wird Mendelssohn allerdings in dem, was er über Lessings Charakter etwa noch zu schreiben willens ist, davon Erwähnung tun. Denn, sagt er, auch unseres besten Freundes Name soll bei der Nachwelt nicht mehr und nicht weniger glänzen, als er es verdient. Die Wahrheit kann auch hier nur gewinnen. Sind seine Gründe seichte, so dienen sie zu ihrem (der Wahrheit) Triumphe; sind sie aber gefährlich, so mag die gute Dame für ihre Verteidigung sorgen. Überhaupt, fügt er hinzu: setze ich mich, wann ich über Lessings Charakter schreibe, ein halbes Jahrhundert weiter hinaus, wo alle Parteilichkeiten aufgehört haben, alle unsere jetzigen Trakasserien vergessen sein werden.

Sehen Sie, liebster Jacobi, dies ist das Resultat Ihrer mitgeteilten Nachricht, die ich unmöglich Mendelssohn verschweigen konnte, und wovon das weitere mitzuteilen auch Sie nicht gereuen darf. Denn was würden Sie gesagt haben, wenn einmal Mendelssohn mit dem, was er über Lessings Charakter zu sagen denkt, zum Vorschein käme, und von ähnlichen wichtigen Sachen stände nichts darin? Sie hätten es sich alsdann zum Vorwurfe machen müssen, die Sache der Wahrheit (denn die ist es am Ende mehr als unseres Freundes) verstümmelt zu haben. Wie mir übrigens dabei zumute ist, ob Ihre Aussage so oder so ausfalle, – das gehört nicht hierher u.s.w.«


Ich hatte nicht das mindeste Bedenken, dieser Aufforderung zu folgen, und liess den vierten November folgenden Brief an Mendelssohn, unter einem Umschlage [59] an meine Freundin, unversiegelt abgehen. 7 Damit er sein Urkundliches behalte, will ich ihn, von der ersten Zeile bis zur letzten, unverändert abdrucken lassen.


Pempelfort bei Düsseldorf, den

4. November 1783.


Sie wünschen wegen gewisser Meinungen, die ich in einem Briefe an ****** dem verewigten Lessing zugeschrieben habe, das Genauere von mir zu erfahren; und da scheint es mir am besten, mich mit dem, was ich davon mitzuteilen fähig bin, an Sie unmittelbar zu wenden.

Es gehört zur Sache, wenigstens zu ihrem Vortrage, dass ich einiges mich selbst betreffendes vorausschicke. Und indem ich Sie dadurch in eine etwas nähere Bekanntschaft [60] mit mir setze, werde ich mehr Mut gewinnen, alles frei herauszusagen; und vielleicht vergessen, was mich sorgsam oder schüchtern machen will.

Ich ging noch im polnischen Rocke, da ich schon anfing, mich über Dinge einer andern Welt zu ängstigen. Mein kindischer Tiefsinn brachte mich im achten oder neunten Jahre zu gewissen sonderbaren – Ansichten (ich weiss es anders nicht zu nennen), die mir bis auf diese Stunde ankleben. Die Sehnsucht, in Absicht der besseren Erwartungen des Menschen zur Gewissheit zu gelangen, nahm mit den Jahren zu, und sie ist der Hauptfaden geworden, an den sich meine übrigen Schicksale knüpfen mussten. Ursprüngliche Gemütsart, und die Erziehung, welche ich erhielt, vereinigten sich, mich in einem billigen Misstrauen gegen mich selbst, und nur zu lange in einer desto grössern Erwartung von dem, was andre leisten könnten, zu erhalten. Ich kam nach Genf, wo ich vortreffliche Männer fand, die sich mit grossmütiger Liebe, mit wirklicher Vatertreue meiner annahmen. Andere von gleichem, viele von noch grösserem Rufe, die ich später kennen lernte, verschafften mir nicht die Vorteile, die ich von jenen genossen hatte; und ich musste mich von mehr als einem unter diesen zuletzt mit Verdruss und Reue über eingebüsste Zeit und verschwendete Kräfte zurückziehen. Diese und noch andere Erfahrungen stimmten mich allmählich zu mir selbst mehr herab; ich lernte meine eigenen Kräfte sammeln und zu Rate halten.

Wenn es zu allen Zeiten nur wenige Menschen gegeben hat, die mit innerlichem Ernste nach der Wahrheit rangen, so hat sich dagegen auch die Wahrheit[61] jedem unter diesen wenigen auf irgendeine Weise mitgeteilt. Ich entdeckte diese Spur; verfolgte sie unter Lebendigen und Toten; und wurde je länger je inniger gewahr: dass echter Tiefsinn eine gemeinschaftliche Richtung hat, wie die Schwerkraft in den Körpern; welche Richtung aber, da sie von verschiedenen Punkten der Peripherie ausgeht, ebensowenig parallele Linien geben kann, als solche, die sich kreuzen. Mit dem Scharfsinne, welchen ich den Sehnen des Zirkels vergleichen möchte, und der oft für Tiefsinn gehalten wird, weil er tiefsinnig über Form und Äusserliches ist, verhält es sich nicht ebenso. Hier durchschneiden sich die Linien, soviel man will, und sind zuweilen auch einander parallel. Eine Sehne kann so nah am Durchmesser herlaufen, dass man sie für den Durchmesser selbst ansieht; sie durchschneidet aber dann nur eine grössere Menge Radii, ohne aufzuhören, eine Sehne zu sein.

Verzeihen Sie mir, Verehrungswürdigster, diesen Bilderkram. – Ich komme zu Lessing.

Immer hatte ich den grossen Mann verehrt; aber die Begierde, näher mit ihm bekannt zu werden, hatte sich erst seit seinen theologischen Streitigkeiten, und nachdem ich die Parabel gelesen hatte, lebhafter in mir geregt. Mein günstiges Schicksal gab, dass ihn Allwills Papiere interessierten; dass er mir, erst durch Reisende, manche freundliche Botschaft sandte, und endlich, im Jahre 1779, an mich schrieb. Ich antwortete ihm, dass ich im folgenden Frühjahr eine Reise vorhätte, die mich über Wolfenbüttel führen sollte, wo ich mich sehnte, in ihm die Geister mehrerer [62] Weisen zu beschwören, die ich über gewisse Dinge nicht zur Sprache bringen könnte. 8

Meine Reise kam zustande, und den 5. Julius nachmittags hielt ich Lessing zum erstenmal in meinen Armen.

Wir sprachen noch an demselbigen Tage über viele wichtige Dinge; auch von Personen, moralischen und unmoralischen, Atheisten, Theisten und Christen.

Den folgenden Morgen kam Lessing in mein Zimmer, da ich mit einigen Briefen, die ich zu schreiben hatte, noch nicht fertig war. Ich reichte ihm Verschiedenes aus meiner Brieftasche, dass er unterdessen sich die Zeit damit vertriebe. Beim Zurückgeben fragte er: ob ich nicht noch mehr hätte, das er lesen dürfte. »Doch!« sagte ich (ich war im Begriff zu siegeln): »hier ist noch ein Gedicht; – Sie haben so manches Ärgernis gegeben, so mögen Sie auch wohl einmal eins nehmen.«... 9

[63] Lessing. (Nachdem er das Gedicht gelesen, und indem er mir's zurückgab.) Ich habe kein Ärgernis genommen; ich habe das schon lange aus der ersten Hand. Ich. Sie kennen das Gedicht? Lessing. Das [64] Gedicht hab' ich nie gelesen; aber ich find es gut. Ich. In seiner Art, ich auch; sonst hätte ich es Ihnen nicht gezeigt. Lessing. Ich mein es anders... Der Gesichtspunkt, aus welchem das Gedicht genommen ist, das ist mein eigener Gesichtspunkt... Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich; ich kann sie nicht geniessen. Έν και Παν! Ich weiss[65] nichts anders. Dahin geht auch dies Gedicht; und ich muss bekennen, es gefällt mir sehr. Ich. Da wären Sie ja mit Spinoza ziemlich einverstanden. Lessing. Wenn ich mich nach jemand nennen soll, so weiss ich keinen andern. Ich. Spinoza ist mir gut genug: aber doch ein schlechtes Heil, das wir in seinem Namen finden! Lessing. Ja! Wenn Sie wollen!... Und doch... Wissen Sie etwas Besseres?...

Der dessauische Direktor Wolke war unterdessen hereingetreten, und wir gingen zusammen auf die Bibliothek.

Den folgenden Morgen, als ich nach dem Frühstück in mein Zimmer zurückgekehrt war, um mich anzukleiden, kam mir Lessing über eine Weile nach. Ich sass unter dem Frisieren, und Lessing lagerte sich unterdessen am Ende des Zimmers stille an einen Tisch hin. Sobald wir allein waren, und ich mich an die andre Seite des Tisches, worauf Lessing gestützt war, niedergelassen hatte, hub er an: Ich bin gekommen, über mein Έν και Παν mit Ihnen zu reden. Sie erschraken gestern. Ich. Sie überraschten mich, und ich fühlte meine Verwirrung. Schrecken war es nicht. Freilich war es gegen meine Vermutung, an Ihnen einen Spinozisten oder Pantheisten zu finden; und noch weit mehr dagegen, dass Sie mir es gleich und so blank und bar hinlegen würden. Ich war grossenteils gekommen, um von Ihnen Hilfe gegen den Spinoza zu erhalten. Lessing. Also kennen Sie ihn doch?Ich. Ich glaube ihn zu kennen, wie nur sehr wenige ihn gekannt haben mögen. Lessing. Dann ist Ihnen nicht zu helfen. Werden Sie lieber ganz sein [66] Freund. Es gibt keine andre Philosophie, als die Philosophie des Spinoza. Ich. Das mag wahr sein. Denn der Determinist, wenn er bündig sein will, muss zum Fatalisten werden: hernach gibt sich das übrige von selbst.Lessing. Ich merke, wir verstehen uns. Desto begieriger bin ich, von Ihnen zu hören: was Sie für den Geist des Spinozismus halten; ich meine den, der in Spinoza selbst gefahren war. Ich. Das ist wohl kein anderer gewesen, als das Uralte: a nihilo nihil fit; welches Spinoza, nach abgezogenem Begriffen, als die philosophierenden Kabbalisten und andre vor ihm, in Betrachtung zog. Nach diesen abgezogenem Begriffen fand er, dass durch ein jedes Entstehen im Unendlichen, mit was für Bildern oder Worten man ihm auch zu helfen suche, durch einen jeden Wechsel in demselben, ein Etwas aus dem Nichts gesetzt werde. Er verwarf also jeden Übergang des Unendlichen zum Endlichen! überhaupt alle Causas transitorias, secundarias oder remotas; und setzte an die Stelle des emanierenden ein nur immanentes Ensoph; eine innewohnende, ewig in sich unveränderliche Ursache der Welt, welche mit allen ihren Folgen zusammengenommen – eins und dasselbe wäre. . . . . . 10


[67] Diese innewohnende unendliche Ursache hat als solche, explicite, weder Verstand noch Willen: weil sie, ihrer transzendentalen Einheit und durchgängigen absoluten Unendlichkeit zufolge, keinen Gegenstand des Denkens und des Wollens haben kann; und ein Vermögen einen Begriff vor dem Begriffe hervorzubringen, oder einen Begriff, der vor seinem Gegenstande und die vollständige Ursache seiner selbst wäre, sowie auch ein Wille, der das Wollen wirkte und durchaus sich selbst bestimmte, lauter ungereimte Dinge sind...

... Der Einwurf, dass eine unendliche Reihe von Wirkungen unmöglich sei (blosse Wirkungen sind es nicht, weil die innewohnende Ursache immer und überall ist), widerlegt sich selbst, weil jede Reihe, die nicht aus nichts entspringen soll, schlechterdings eine unendliche sein muss. Und daraus folgt denn wieder, da jeder einzelne Begriff aus einem andern einzelnen Begriffe entspringen, und sich auf einen wirklich vorhandenen Gegenstand unmittelbar beziehen muss: dass in der ersten Ursache, die unendlicher Natur ist, weder einzelne Gedanken, noch einzelne Bestimmungen des Willens angetroffen werden können; – sondern nur der innere, erste, allgemeine Urstoff derselben... Die erste Ursache kann ebensowenig nach Absichten oder Endursachen handeln, als sie selbst um einer gewissen Absicht oder Endursache willen da ist; ebensowenig einen Anfangsgrund oder Endzweck haben etwas zu verrichten, als in ihr selbst Anfang oder Ende ist... Im Grunde aber ist, was wir Folge oder Dauer nennen, blosser Wahn; denn da die reelle Wirkung mit ihrer vollständigen reellen Ursache zugleich, und allein der Vorstellung nach von ihr verschieden [68] ist: so muss Folge und Dauer, nach der Wahrheit, nur eine gewisse Art und Weise sein, das Mannigfaltige in dem Unendlichen anzuschauen.

Lessing ... Über unser Credo also werden wir uns nicht entzweien. Ich. Das wollen wir in keinem Falle. Aber im Spinoza steht mein Credo nicht. Lessing. Ich will hoffen, es steht in keinem Buche. Ich. Das nicht allein. Ich glaube eine verständige persönliche Ursache der Welt. Lessing. Oh, desto besser! Da muss ich etwas ganz Neues zu hören bekommen Ich. Freuen Sie sich nicht zu sehr darauf. Ich helfe mir durch einen Salto mortale aus der Sache; und Sie pflegen am Kopfunten eben keine sonderliche Lust zu finden.Lessing. Sagen Sie das nicht; wenn ich's nur nicht nachzumachen brauche. Und Sie werden schon wieder auf Ihre Füsse zu stehen kommen. Also: – wenn es kein Geheimnis ist – so will ich mir es ausgebeten haben. Ich. Sie mögen mir es immer absehen. Die ganze Sache besteht darin, dass ich aus dem Fatalismus unmittelbar gegen den Fatalismus, und gegen alles, was mit ihm verknüpft ist, schliesse. – Wenn es lauter wirkende und keine Endursachen gibt, so hat das denkende Vermögen in der ganzen Natur bloss das Zusehen; sein einziges Geschäft ist, den Mechanismus der wirkenden Kräfte zu begleiten. Die Unterredung, die wir gegenwärtig miteinander haben, ist nur ein Anliegen unserer Leiber; und der ganze Inhalt dieser Unterredung, in seine Elemente aufgelöst: Ausdehnung, Bewegung, Grade der Geschwindigkeit, nebst den Begriffen davon, und den Begriffen von diesen Begriffen. Der Erfinder der Uhr erfand sie im Grunde nicht; er sah nur ihrer Entstehung aus blindlings sich entwickelnden Kräften zu. Ebenso Raffael, da er die Schule von Athen [69] entwarf; und Lessing, da er seinen Nathan dichtete. Dasselbe gilt von allen Philosophien, Künsten, Regierungsformen, Kriegen zu Wasser und zu Lande: kurz, von allem möglichen. Denn auch die Affekten und Leidenschaften wirken nicht, insofern sie Empfindungen und Gedanken sind; oder richtiger: – insofern sie Empfindungen und Gedanken mit sich führen. Wir glauben nur, dass wir aus Zorn, Liebe, Grossmut, oder aus vernünftigem Entschlusse handeln. Lauter Wahn! In allen diesen Fällen ist im Grunde das, was uns bewegt, ein Etwas, das von allem dem nichts weiss, und das, insofern, von Empfindung und Gedanke schlechterdings entblösst ist. Diese aber, Empfindung und Gedanke, sind nur Begriffe von Ausdehnung, Bewegung, Graden der Geschwindigkeit usw. – Wer nun dieses annehmen kann, dessen Meinung weiss ich nicht zu widerlegen. Wer es aber nicht annehmen kann, der muss der Antipode von Spinoza werden. Lessing. Ich merke, Sie hätten gern Ihren Willen frei. Ich begehre keinen freien Willen. Überhaupt erschreckt mich, was Sie eben sagten, nicht im mindesten. Es gehört zu den menschlichen Vorurteilen, dass wir den Gedanken als das Erste und Vornehmste betrachten, und aus ihm alles herleiten wollen; da doch alles, die Vorstellungen mit einbegriffen, von höheren Prinzipien abhängt. Ausdehnung, Bewegung, Gedanke, sind offenbar in einer höheren Kraft gegründet, die noch lange nicht damit erschöpft ist. Sie muss unendlich vortrefflicher sein, als diese oder jene Wirkung; und so kann es auch eine Art des Genusses für sie geben, der nicht allein alle Begriffe übersteigt, sondern völlig ausser dem Begriffe liegt. Dass wir uns nichts davon gedenken können, hebt die Möglichkeit nicht auf. Ich. Sie gehen weiter[70] als Spinoza; diesem galt Einsicht über alles. Lessing. Für den Menschen! Er war aber weit davon entfernt, unsere elende Art nach Absichten zu handeln, für die höchste Methode auszugeben, und den Gedanken obenan zu setzen. Ich. Einsicht ist beim Spinoza inallen endlichen Naturen der beste Teil; weil sie derjenige Teil ist, womit jede endliche Natur über ihr Endliches hinausreicht. Man könnte gewissermassen sagen: auch er habe einem jeden Wesen zwei Seelen zugeschrieben: Eine, die sich nur auf das gegenwärtige einzelne Ding; und eine andre, die sich auf das Ganze bezieht. 11 Dieser zweiten Seele gibt er auch Unsterblichkeit. Was aber die unendliche einzige Substanz des Spinoza anbelangt, so hat diese für sich allein und ausser den einzelnen Dingen kein eigenes oder besonderes Dasein. Hätte sie für ihre Einheit (dass ich mich so ausdrücke) eine eigene, besondere, individuelle Wirklichkeit; hätte sie Persönlichkeit und Leben: so wäre Einsicht auch an ihr der beste Teil.Lessing. Gut. Aber nach was für Vorstellungen nehmen Sie denn Ihre persönliche extramundane Gottheit an? Etwa nach den Vorstellungen des Leibniz? Ich fürchte, der war im Herzen [71] selbst ein Spinozist. Ich. Reden Sie im Ernste? Lessing. Zweifeln Sie daran im Ernste? – Leibnizens Begriffe von der Wahrheit waren so beschaffen, dass er es nicht vertragen konnte, wenn man ihr zu enge Schranken setzte. Aus dieser Denkungsart sind viele seiner Behauptungen geflossen; und es ist bei dem grössten Scharfsinne oft sehr schwer, seine eigentliche Meinung zu entdecken. Eben darum halt ich ihn so wert; ich meine: wegen dieser grossen Art zu denken; und nicht wegen dieser oder jener Meinung, die er nur zu haben schien, oder denn auch wirklich hatte. Ich. Ganz recht. Leibniz mochte gern »aus jedem Kiesel Feuer schlagen«. 12 Sie aber sagten von einer gewissen Meinung, dem Spinozismus, dass Leibniz derselben im Herzen zugetan gewesen sei. Lessing. Erinnern Sie sich einer Stelle des Leibniz, wo von Gott gesagt ist: derselbe befände sich in einer immerwährenden Expansion und Kontraktion: dieses wäre die Schöpfung und das Bestehen der Welt. Ich. Von seinen Fulgurationen weiss ich; aber diese Stelle ist mir unbekannt. Lessing. Ich will sie aufsuchen, und Sie sollen mir dann sagen, was ein Mann, wie Leibniz, dabei denken – konnte, oder musste. Ich. Zeigen Sie mir die Stelle. Aber ich muss Ihnen zum voraus sagen, dass mir bei der Erinnerung so vieler andern Stellen eben dieses Leibniz, so vieler seiner Briefe, Abhandlungen, seiner Theodizee und nouveaux Essais, seiner philosophischen Laufbahn überhaupt – vor der Hypothese schwindelt, dass dieser Mann keine supramundane, sondern nur eine intramundane Ursache der Welt geglaubt haben sollte. Lessing. Von dieser Seite muss ich Ihnen nachgeben. Sie wird auch das Übergewicht behalten; und ich gestehe, [72] dass ich etwas zuviel gesagt habe. Indessen bleibt die Stelle, die ich meine – und noch manches andre – immer sonderbar. – Aber nicht zu vergessen! Nach welchen Vorstellungen glauben Sie denn nun das Gegenteil des Spinozismus? Finden Sie, dass Leibnizens Principia ihm ein Ende machen? Ich. Wie könnte ich: bei der festen Überzeugung, dass der bündige Determinist vom Fatalisten sich nicht unterscheidet?... Die Monaden, samt ihren Vinculis, lassen mir Ausdehnung und Denken, überhaupt Realität, so unbegreiflich als sie mir schon waren; und ich weiss da weder rechts noch links... Übrigens kenne ich kein Lehrgebäude, das so sehr als das Leibnizische mit dem Spinozismus übereinkäme; und es ist schwer zu sagen, welcher von ihren Urhebern uns und sich selbst am mehrsten zum besten hatte: wiewohl in allen Ehren!... Mendelssohn hat öffentlich gezeigt, dass die Harmonia praestabilita im Spinoza steht. Daraus allein ergibt sich schon, dass Spinoza von Leibnizens Grundlehren noch viel mehr enthalten muss oder Leibniz und Spinoza (an dem schwerlich Wolfens Unterricht gediehen hätte) 13 wären die bündigen Köpfe nicht gewesen, die sie doch unstreitig waren. Ich getraue mir aus dem Spinoza Leibnizens ganze Seelenlehre darzulegen... Im Grunde haben beide von der Freiheit auch dieselbe Lehre, und nur ein Blendwerk unterscheidet ihre Theorie. Wenn Spinoza (Epist. LXII. Opp. Posth. p 584 et 585) unser Gefühl von Freiheit durch das Beispiel eines Steins erläutert, welcher dächte und wüsste, dass er sich bestrebt, soviel er kann, seine [73] Bewegung fortzusetzen: so erläutert Leibniz dasselbe (Theod. § 50) mit dem Beispiele einer Magnetnadel, welche Lust hätte, sich gegen Norden zu bewegen, und in der Meinung stände, sie drehte sich unabhängig von einer andern Ursache, indem sie der unmerklichen Bewegung der magnetischen Materie nicht inne würde 14 –... Die Endursachen erklärt Leibniz durch einen Appetitum, einen Conatum immanentem (conscientia sui praeditum). Ebenso Spinoza, der in diesem Sinne sie vollkommen gelten lassen konnte; und bei welchem Vorstellung des Äusserlichen und Begierde, wie bei Leibniz, das Wesen der Seele ausmachen. – Kurz, wenn man in das Innerste der Sache dringt, so findet sich, dass bei Leibniz, ebenso wie bei Spinoza, eine jede Endursache eine wirkende voraussetzt.. Das Denken ist nicht die Quelle der Substanz, sondern die Substanz ist die Quelle des Denkens. Also muss vor dem Denken etwas Nichtdenkendes als das Erste angenommen werden; etwas, das, wenn schon [74] nicht durchaus in der Wirklichkeit, doch der Vorstellung, dem Wesen, der inneren Natur nach, als das Vorderste gedacht werden muss. Ehrlich genug hat deswegen Leibniz die Seelen des automates spirituels genannt. 15 Wie aber (ich rede hier nach Leibnizens tiefstem und vollständigsten Sinne, soweit ich ihn verstehe) das Principium aller Seelen irgendwo für sich bestehen kann und wirken –..; der Geist vor der Materie; der Gedanke vor dem Gegenstande: diesen grossen Knoten, den er hätte lösen müssen, um uns wirklich aus der Not zu helfen, diesen hat er so verstrickt gelassen als er war...

[75] Lessing... Ich lasse Ihnen keine Ruhe; sie müssen mit diesem Parallelismus an den Tag... Reden die Leute doch immer von Spinoza, wie von einem toten Hunde... Ich. Sie würden vor wie nach so von ihm reden. Den Spinoza zu fassen, dazu gehört eine zu lange und zu hartnäckige Anstrengung des Geistes. Und keiner hat ihn gefasst, dem in der Ethik eine Zeile dunkel blieb; keiner, der es nicht begreift, wie dieser grosse Mann von seiner Philosophie die feste innige Überzeugung haben konnte, die er so oft und so nachdrücklich an den Tag legt. Noch am Ende seiner Tage schrieb er:... non praesumo, me optimam invenisse philosophiam, sed veram me intelligere scio (ich masse mir nicht an, die beste Philosophieerfunden zu haben; aber ich weiss, dass ich die wahre erkenne). 16 – Eine solche Ruhe des Geistes, einen solchen Himmel im Verstande, wie sich dieser helle reine Kopf geschaffen hatte, mögen wenige gekostet haben. Lessing. Und Sie sind kein Spinozist, Jacobi!Ich. Nein, auf Ehre! Lessing. Auf Ehre, so müssen Sie ja, [76] bei Ihrer Philosophie, aller Philosophie den Rücken kehren. Ich. Warum aller Philosophie den Rücken kehren? Lessing. Nun, so sind Sie ein vollkommener Skeptiker. Ich. Im Gegenteil, ich ziehe mich aus einer Philosophie zurück, die den vollkommenen Skeptizismus notwendig macht. Lessing. Und ziehen dann – wohin? Ich. Dem Lichte nach, wovon Spinoza sagt, dass es sich selbst und auch die Finsternis erleuchtet. – Ich liebe den Spinoza, weil er, mehr als irgendein andrer Philosoph, zu der vollkommenen Überzeugung mich geleitet hat, dass sich gewisse Dinge nicht entwickeln lassen: vor denen man darum die Augen nicht zudrücken, sondern sie nehmen muss, wie man sie findet. Ich habe keinen Begriff, der inniger als der von den Endursachen wäre; keine lebendigere Überzeugung, als dass ich tue, was ich denke; anstatt, dass ich nur denken sollte, was ich tue. Freilich muss ich dabei eine Quelle des Denkens und Handelns annehmen, die mir durchaus unerklärlich bleibt. Will ich aber schlechterdings erklären, so muss ich auf den zweiten Satz geraten, den, in seinem ganzen Umfange betrachtet und auf einzelne Fälle angewandt, kaum ein menschlicher Verstand ertragen kann. Lessing. Sie drücken sich beinah so herzhaft aus, wie der Reichstagsschluss zu Augsburg; aber ich bleibe ein ehrlicher Lutheraner, und behalte »den mehr viehischen als menschlichen Irrtum und Gotteslästerung, dass kein freier Wille sei,« worin der helle reine Kopf Ihres Spinoza sich doch auch zu finden wusste. Ich. Auch hat Spinoza sich nicht wenig krümmen müssen, um seinen Fatalismus bei der Anwendung auf menschliches Betragen zu verstecken, besonders in seinem vierten und fünften Teile, wo ich[77] sagen möchte, dass er dann und wann bis zum Sophisten sich erniedrigt. – Und das war es ja, was ich behauptete: dass auch der grösste Kopf, wenn er alles schlechterdings erklären, nach deutlichen Begriffen miteinander reimen, und sonst nichts gelten lassen will, auf ungereimte Dinge kommen muss. Lessing. Und wer nicht erklären will? Ich. Wer nicht erklären will, was unbegreiflich ist, sondern nur die Grenze wissen, wo es anfängt, und nur erkennen, dass es da ist: von dem glaube ich, dass er den mehresten Raum für echte menschliche Wahrheit in sich ausgewinne.Lessing. Worte, lieber Jacobi, Worte! Die Grenze, die Sie setzen wollen, lässt sich nicht bestimmen. Und an der andern Seite geben Sie der Träumerei, dem Unsinne, der Blindheit freies offenes Feld. Ich. Ich glaube, jene Grenze wäre zu bestimmen. Setzen will ich keine, sondern nur die schon gesetzte finden und sie lassen. Und was Unsinn, Träumerei und Blindheit anbelangt... Lessing. Die sind überall zu Hause, wo verworrene Begriffe herrschen. Ich. Mehr noch, wo erlogene Begriffe herrschen. Auch der blindeste, unsinnigste Glaube, wenn schon nicht der dümmste, hat da seinen hohen Thron. Denn wer in gewisse Erklärungen sich einmal verliebt hat, der nimmt jede Folge blindlings an, die nach einem Schlusse, den er nicht entkräften kann, daraus gezogen wird, und wär' es, dass er auf dem Kopfe ginge.

... Nach meinem Urteil ist das grösste Verdienst des Forschers, Dasein zu enthüllen und zu offenbaren... Erklärung ist ihm Mittel, Weg zum Ziele, nächster – niemals letzter Zweck. Sein letzter Zweck ist, was sich nicht erklären lässt: das Unauflösliche, Unmittelbare und Einfache.

[78] ... Ungemessene Erklärungssucht lässt uns so hitzig das Gemeinschaftliche suchen, dass wir darüber des Verschiedenen nicht achten; wir wollen immer nur verknüpfen, da wir doch oft mit ungleich grösserem Vorteile trennten... Es entstehet auch, indem wir nur, was erklärlich an den Dingen ist, zusammenstellen und zusammenhängen, ein gewisser Schein in der Seele, der sie mehr verblendet als erleuchtet. Wir opfern dann, was Spinoza – tiefsinnig und erhaben – die Erkenntnis der obersten Gattung nennt, der Erkenntnis der untern Gattungen auf: wir verschliessen das Auge der Seele, womit sie Gott und sich selbst ersiehet, um desto unzerstreuter mit den Augen nur des Leibes zu betrachten... 17

Lessing. Gut, sehr gut! Ich kann das alles auch gebrauchen; aber ich kann nicht dasselbe damit machen. Überhaupt gefällt Ihr Salto mortale mir nicht übel; und ich begreife, wie ein Mann von Kopf auf diese Art Kopfunten machen kann, um von der Stelle zu kommen. Nehmen Sie mich mit, wenn es angeht. Ich. [79] Wenn sie nur auf die elastische Stelle treten wollen, die mich fortschwingt, so geht es von selbst. Lessing. Auch dazu gehörte schon ein Sprung, den ich meinen alten Beinen und meinem schweren Kopf nicht mehr zumuten darf.


Diesem Gespräche, wovon ich nur das Wesentliche hier geliefert habe, folgten andre, die uns auf mehr als einem Wege zu denselbigen Gegenständen zurückbrachten.

Einmal sagte Lessing mit halbem Lächeln: Er selbst wäre vielleicht das höchste Wesen, und gegenwärtig in dem Zustande der äussersten Kontraktion. – Ich bat um meine Existenz. – Er antwortete, es wäre nicht allerdings so gemeint, und erklärte sich auf eine Weise, die mich an Heinrich Morus und von Helmont erinnerte. Lessing erklärte sich noch deutlicher; doch so, dass ich ihn abermals zur Not der Kabbalisterei verdächtig machen konnte. Dies ergötzte ihn nicht wenig, und ich nahm daher Gelegenheit für das Kibbel, oder die Kabbala, im eigentlichsten Sinne, aus dem Gesichtspunkte zu reden: dass es an und für sich selbst unmöglich sei, das Unendliche aus dem Endlichen zu entwickeln, und den Übergang des einen zu dem andern, oder ihre Proportion, durch irgendeine Formel herauszubringen; folglich, wenn man etwas darüber sagen wollte, so müsste man aus Offenbarung reden. Lessing blieb dabei: dass er sich alles »natürlich ausgebeten haben wollte;« und ich: dass es keine natürliche Philosophie des Übernatürlichen geben könnte, und doch beides (Natürliches und Übernatürliches) offenbar vorhanden wäre.

[80] Wenn sich Lessing eine persönliche Gottheit vorstellen wollte, so dachte er sie als die Seele des Alls; und das Ganze, nach der Analogie eines organischen Körpers. Diese Seele des Ganzen wäre also, wie es alle andren Seelen, nach allen möglichen Systemen sind, als Seele, nur Effekt. 18 Der organische Umfang[81] derselben könnte aber nach der Analogie der organischen Teile dieses Umfanges insofern nicht gedacht werden, als er sich auf nichts, das ausser ihm vorhanden wäre, beziehen, von ihm nehmen und ihm wieder geben [82] könnte. Also, um sich im Leben zu erhalten, müsste er, von Zeit zu Zeit, sich in sich selbst gewissermassen zurückziehen; Tod und Auferstehung, mit dem Leben, in sich vereinigen. Man könnte sich aber von der innern Ökonomie eines solchen Wesens mancherlei Vorstellungen machen.

Lessing hing sehr an dieser Idee, und wendete sie, bald im Scherze, bald im Ernst, auf allerlei Fälle an. Da bei Gleim in Halberstadt (wohin mich Lessing, nach meinem zweiten Besuche bei ihm, begleitet hatte), während wir zu Tische sassen, unversehens ein Regen kam, und Gleim es bedauerte, weil wir nach Tische in seinen Garten sollten, sagte Lessing, der neben mir [83] sass: »Jacobi, Sie wissen, das tue ich vielleicht«. Ich antwortete: »Oder ich.« Gleim sah uns etwas verwundert an; aber ohne weiter nachzufragen.


Mit der Idee eines persönlichen schlechterdings unendlichen Wesens, in dem unveränderlichen Genusse seiner allerhöchsten Vollkommenheit, konnte sich Lessing nicht vertragen. Er verknüpfte mit derselben eine solche Vorstellung von unendlicher Langerweile, dass ihm Angst und weh dabei wurde.

Eine mit Persönlichkeit verknüpfte Fortdauer des Menschen nach dem Tode hielt er nicht für unwahrscheinlich. Er sagte mir, er hätte im Bonnet, den er eben jetzo nachläse, Ideen angetroffen, die mit den seinigen über diesen Gegenstand und überhaupt mit seinem System sehr zusammenträfen. Der Lauf des Gesprächs und meine genaue Bekanntschaft mit Bonnet (dessen sämtliche Schriften ich ehedem beinah auswendig wusste) war schuld, dass ich hierüber weiter nachzufragen unterliess: und da mir Lessings System weder dunkel noch zweifelhaft geblieben war, so habe ich auch seitdem den Bonnet nie in dieser Absicht nachgeschlagen, bis mich endlich die gegenwärtige [84] Veranlassung heute dazu brachte. Die Schrift des Bonnet, welche Lessing damals nachlas, ist wohl keine andre, als die Ihnen wohlbekannte Palingenesie gewesen; und der VII. Abschnitt des I. Teils, in Verbindung mit dem XIII. Hauptstücke des IV. Abschnittes der Contemplation de la nature, worauf Bonnet sich daselbst bezieht, wird vermutlich die Ideen, welche Lessing meinte, in sich haben. Eine Stelle (S. 246 der ersten Originalausgabe) ist mir aufgefallen, wo Bonnet sagt: Seroit-ce donc qu'on imagineroit que l'univers seroit moins harmonique, j'ai prèsque dit, moins organique, qu'un Animal?


An dem Tage, da ich mich von Lessing trennte, um meine Reise nach Hamburg fortzusetzen, wurde über alle diese Gegenstände noch viel und ernsthaft geredet. Wir waren in unserer Philosophie sehr wenig auseinander, und nur im Glauben unterschieden, ich gab Lessingen drei Schriften des jüngeren Hemsterhuis, von dem er ausser dem Briefe über die Bildhauerei nichts kannte: Lettre sur l'homme et ses rapports, Sophile, und Aristée. Den Aristée, den ich zu Münster bei meiner Durchreise erst erhalten und noch nicht gelesen hatte, liess ich ihm ungern; aber Lessings Verlangen war zu gross. 19

[85] Von eben diesem Aristée fand ich Lessingen bei meiner Zurückkunft ganz bezaubert, so dass er entschlossen war, ihn selbst zu übersetzen. – Es wäre der offenbare Spinozismus, sagte Lessing, und in einer so schönen exoterischen Hülle, dass selbst diese Hülle zur Entwicklung und Erläuterung der innerlichen Lehre wieder beitrüge. – Ich versicherte, Hemsterhuis, so viel ich von ihm wüsste (ich kannte damals Hemsterhuis noch nicht persönlich), wäre kein Spinozist; dies hätte mir Diderot sogar von ihm bezeugt. – »Lesen Sie das Buch, erwiederte Lessing, und Sie werden nicht mehr zweifeln. In dem Briefe sur l'homme et ses rapports hinkt es noch ein wenig, und es ist möglich, dass Hemsterhuis seinen Spinozismus damals noch nicht völlig selbst erkannte; jetzt aber ist er damit ganz gewiss im klaren.«

[86] Um dieses Urteil nicht paradox zu finden, muss man mit dem Spinozismus so vertraut sein, als es Lessing war. Was er die exoterische Hülle des Aristée nannte, kann mit allem Fug als eine blosse Entwicklung der Lehre von der unzertrennlichen, innigen und ewigen Verknüpfung des Unendlichen mit dem Endlichen; der allgemeinen (soweit) unbestimmten Kraft, mit der bestimmten einzelnen; und des notwendig Entgegengesetzten in ihren Richtungen, betrachtet werden. Das übrige im Aristée wird schwerlich jemand wider einen Spinozisten brauchen wollen. – Hierbei muss ich dennoch feierlich bezeugen, dass Hemsterhuis gewiss kein Spinozist, sondern dieser Lehre in ihren wesentlichen Punkten ganz zuwider ist.

Den Aufsatz sur les désirs von Hemsterhuis hatte Lessing damals noch nicht gelesen. Er kam an, in einem Paket an mich, da ich eben weg war. 20 Lessing schrieb mir, seine ungeduldige Neugierde hätte ihm keinen Frieden gelassen, bis er das Kuvert erbrochen hätte, und schickte mir den übrigen Inhalt nach Cassel. »Von der Schrift selbst (fügte er hinzu), die mir ungemeines Vergnügen macht, nächstens ein mehreres.«

Nicht lange vor seinem Ende, den 4. Dez. schrieb er mir: »Bei *** fällt mir ein, dass ich mich anheischig gemacht, Ihnen meine Gedanken über des Hemsterhuis System von der Liebe mitzuteilen. Und Sie glauben nicht, wie genau diese Gedanken mit diesem System zusammenhangen, das, meiner Meinung nach, eigentlich nichts erklärt, und mir nur, mit den Analysten zu sprechen, die Substitution einer Formel für die andre [87] zu sein scheinet, wodurch ich eher auf neue Irrwege gerate, als dem Aufschlusse näherkomme. – Aber bin ich jetzt imstande, zu schreiben, was ich will? – Nicht einmal, was ich muss, usw.« 21

Ehe mir Lessings Meinungen auf die bisher erzählte Weise waren bekannt geworden, und in der festen Überzeugung, die sich auf Zeugnisse stützte: Lessing sei ein rechtgläubiger Theist, war mir in seiner Erziehung des Menschengeschlechts einiges ganz unverständlich, besonders der § 73. Ich möchte wissen, ob sich jemand diese Stelle anders, als nach Spinozistischen Ideen deutlich machen kann. Nach diesen aber wird der Kommentar sehr leicht. Der Gott des Spinoza ist das lautere Principium der Wirklichkeit in allein Wirklichen, des Seins in allem Dasein, durchaus ohne Individualität, und schlechterdings unendlich. Die Einheit dieses Gottes beruhet auf der Identität des Nichtzuunterscheidenden, und schliesset folglich eine Art der Mehrheit nicht aus. Bloss in dieser transzendentalen [88] Einheit angesehen, muss die Gottheit aber schlechterdings der Wirklichkeit entbehren, die nur im bestimmten einzelnen sich ausgedrückt befinden kann. Diese, die Wirklichkeit, mit ihrem Begriffe, beruhet [89] also auf der Natura naturata (dem Sohne von Ewigkeit), so wie jene, die Möglichkeit, das Wesen, das Substanzielle des Unendlichen, mit seinem Begriffe, auf der Natura naturanti (dem Vater). 22

Was ich vom Geiste des Spinozismus vorhin darzustellen mich bemüht habe, lässt mich eine weitere Entwicklung hier für überflüssig halten.

Unter wie mancherlei Bildern diese nämlichen Vorstellungen, minder oder mehr verworren, seit dem grauesten Altertume bei den Menschen gewohnt haben, wissen Sie so gut als ich. – »Die Sprache unterliegt hier den Begriffen allerdings,« 23 so wie ein Begriff dem andern.


Dass Lessing das Έν και Παν als den Inbegriff seiner Theologie und Philosophie, öfter und mit Nachdruck anführte, können mehrere bezeugen. Er sagte und [90] er schrieb es bei Gelegenheiten als seinen ausgemachten Wahlspruch. So steht es auch in Gleims Gartenhause unter einem Wahlspruche von mir.

Noch manches hierhin Gehörige möchte von dem Marchese Lucchesini zu erfahren sein. Er war nicht lange vor mir zu Wolfenbüttel, und Lessing rühmte mir denselben ungemein als einen sehr hellen Kopf.


Was ich erzählt habe, ist nicht der zehnte Teil von dem, was ich hätte erzählen können, wenn mir mein Gedächtnis in Absicht der Einkleidung und des Ausdrucks genug hätte beistehen wollen. Aus eben diesem Grunde habe ich in dem wirklich Erzählten Lessing, so sparsam als ich konnte, redend eingeführt. Wenn man ganze Tage, und von vielen sehr verschiedenen Dingen miteinander spricht, muss sich die Erinnerung des Details verlieren. Hierzu kommt noch dieses. Da ich einmal ganz entschieden wusste: Lessing glaubt keine von der Welt unterschiedene Ursache der Dinge; oder, Lessing ist ein Spinozist – so drückte, was er nachher darüber nur auf diese oder jene neue Weise sagte, sich mir nicht tiefer ein als andre Dinge. Seine Worte behalten zu wollen, konnte mir nicht einfallen; und dass Lessing ein Spinozist war, schien mir sehr begreiflich. Hätte er das Gegenteil behauptet, worauf meine Wissbegierde gespannt war, so würde ich sehr wahrscheinlich von jedem bedeutenden Worte noch Rechenschaft zu geben wissen.


Hiermit wäre nun ein grosser Teil von dem, was Ew. Wohlgeb. von mir verlangten, abgetan, und ich hätte einiger besondern Fragen nur mit wenigem noch zu erwähnen.

[91] Diese besonderen Fragen, ich muss es Ew. Wohlgeb. gestehen, haben mich etwas befremdet, weil sie, des Schlimmeren nicht zu gedenken, eine Unwissenheit bei mir voraussetzen, – in der ich mich vielleicht befinden konnte – wovon Sie aber den Verdacht zu hegen und so unbesorgt zu offenbaren, durch nichts Äusserliches veranlasst waren.

Sie fragen: »Ob Lessing mit trockenen Worten gesagt: ich halte das System des Spinoza für wahr und gegründet? Und welches? Das in seinem Tract. Theologico Politico, oder in seinen Princ. Philos. Cartesianae vorgetragene, oder dasjenige, welches Ludovicus Mayer in seinem Namen nach seinem Tode bekannt machte?«

Wer nur etwas von Spinoza weiss, dem ist auch die Geschichte seiner demonstrierten Lehre des Cartesius bekannt, und dass sie mit dem Spinozismus nichts zu tun hat. 24

Von einem System des Spinoza, welches Ludovicus Mayer nach Spinozas Tode bekannt gemacht haben soll, weiss ich nichts; es müssten denn die Opp. Posth. selbst damit gemeint sein. – Oder vielleicht nur die Vorrede; und Lessing hätte meiner dergestalt gespottet, dass er die darin enthaltene Auslegung des Spinozismus mir als seinen Glauben aufgebunden hätte? – Dieses aber wäre doch zu arg! – Also die Opp. Posth. selbst? – Wenn es aber diese sind, so kann ich nicht [92] begreifen, wie Sie ihnen den Tract. Th. Pol. auf irgendeine Art entgegensetzen wollen. Was der Tract. Th. Pol. von dem Lehrgebäude des Spinoza in sich fasst, damit stimmen seine nachgelassenen Schriften völlig überein. Auch bezieht er sich auf jenen, bis ans Ende seiner Tage, ausdrücklich und an mehr als einem Orte.

Sie fragen weiter: »Ob Lessing das System so genommen, wie es Bayle missverstanden, oder wie andre es besser erklärt haben?«

Zwischen verstehen und nicht missverstehen ist ein Unterschied. Bayle hat das System des Spinoza, was die Schlusssätze anbelangt, nicht missverstanden; man kann nur sagen, dass er es nicht weit genug zurück verstanden, nicht die Gründe davon, nach dem Sinne des Verfassers, eingesehen hat. Wenn Bayle, nach dem Sinne Ihres Vorwurfes, den Spinoza missverstanden hat, so hat ihn, nach demselben Sinne, Leibniz noch ein wenig ärger missverstanden. Vergleichen Sie beliebigst die Exposition des Bayle in den ersten Zeilen der Anmerkung N, mit dem was Leibniz in den §§ 31. Praef. Theod. 173, 374, 393, Theod. von den Lehren des Spinoza aussagt. – Haben Leibniz und Bayle aber das System des Spinoza nicht missverstanden, so haben es die andern wirklich missverstanden, die es besser zu erklären meinten, oder sie verdrehten es. Die letzten sind eben nicht meine Leute, und ich stehe dafür, dass sie auch Lessings Leute nicht waren.

Die Anrede: »Lieber Bruder! Der so sehr verschriene Spinoza mag wohl usw.« ist von Lessing nicht an mich gehalten worden.

[93] Dass ich meine Beschwerden so dürre und trocken, ja wohl etwas herbe vorgetragen habe, dürfen Sie mir nicht zum Bösen deuten, lieber edler Mendelssohn. Gegen einen Mann, den ich so wie Sie verehre, war dieser Ton der einzige, der mir geziemte.

Ich bin, usw.


Über die Aufnahme dieses Briefes erhielt ich von Emilien folgende Nachricht:


den 5. Dezember 1783. 25


Vor zwei Posttagen, mein lieber Jacobi, empfing ich einen vorläufigen Brief von unserem Mendelssohn. Dass ich Ihnen nicht sogleich davon Nachricht gegeben, daran ist eine kleine Unpässlichkeit schuld; und dass ich Ihnen nicht den Brief selbst schicke, unser **, den ein grosser Teil des Briefes anging, und der ihn desfalls nicht missen wollte. 26


Mendelssohn gesteht zuerst aufrichtig, dass er Siemisskannt habe, indem er »statt eines Liebhabers der Philosophie einen Mann gewahr werde, der das Denken zu seinem Hauptgeschäft gemacht, und Kraft genug besitze, sich vom Gängelbande loszureissen und seinen eigenen Weg zu gehen. Es leuchte aus dem Gebäude, das Sie sich ganz auf eigene Kosten errichtet, [94] soviel philosophischer Scharfsinn hervor, dass er gar wohl begreife, wie Lessing dafür hätte eingenommen werden, und für den Erbauer desselben ein umschränktes Zutrauen gewinnen können. – Sie hätten vor der Hand seinen Fragen vollkommen Genüge getan, wären berechtigt, über ihn ungehalten zu sein, und er bereit, Sie um Verzeihung zu bitten. – Da indes ihr Aufsatz verlange, dass er ihn noch einmal bei mehrerer Musse mit Anstrengung durchginge, so bitte er mich, ihn bei Ihnen zu entschuldigen, dass er sich Zeit liesse, Ihr Schreiben zu beantworten. Ehe er aber über Lessings Charakter schriebe, werde er über eins und anderes in Ihrem Aufsatze sich noch Erläuterungen ausbitten. Für jetzt sei es ihm ganz unmöglich, weder an Lessing noch an Spinoza zu denken. Er wolle es lieber spät als schlecht tun: alsdann aber solle es hauptsächlich von Ihnen und unserem gemeinschaftlichen Rate abhangen, welcher Gebrauch von dieser Unterhaltung mit Lessingen zu machen sei.«

»Er für seinen Teil, fährt er fort, wäre noch immer dafür, dass es nötig und nützlich sei, die Liebhaber der Spekulation treulich zu warnen, und ihnen durcheklatante Beispiele zu zeigen, welcher Gefahr sie sich aussetzten, wenn sie sich derselben ohne allen Leitfaden überliessen. – Es mögen alsdann, die draussen sind, sich darüber erfreuen oder betrüben, wir bleiben unbekümmert; 27 wir wollen ja keine Partei machen, nicht anwerben, nicht herüberlocken, und würden ja zu Verrätern an der Fahne selbst, zu welcher wir geschworen, [95] sobald wir anwürben, und Partei ma chen wollten.« –

Sehen Sie, lieber Jacobi, dies ist ein vollständiger Auszug aus Mendelssohns Briefe, soweit er Lessingen und Spinoza angeht.


Nun verstrichen sieben Monate, ohne dass ich von Mendelssohn das mindeste vernahm. 28 Da mich während dieser Zeit sehr harte Schicksale betrafen, so dachte ich an diese Sache wenig, und mein Briefwechsel, den ich nie sehr lebhaft treibe, geriet vollends ins Stecken. Unterdessen fügte es sich, dass ich [96] durch ein Urteil meines Freundes Hemsterhuis über Spinoza gereizt wurde, letzteren als einen Gegner des Aristée auf den Kampfplatz zu stellen. Ich entwarf dieses Gespräch im Juni des Jahres 1784, verschob aber von einer Woche in die andre, es in einen Brief einzupassen, und an Hemsterhuis zu schicken.

Gerade um diese Zeit kam ein Brief von meiner Freundin mit der Nachricht: Mendelssohn sei entschlossen, die Schrift über Lessings Charakter vor der Hand beiseite zu legen, um diesen Sommer, wenn er Gesundheit und Musse hätte, erst einen Gang mit den Spinozisten, oder Alleinern, wie er sie lieber nennte, zu wagen. Meine Freundin wünschte mir Glück, eine so nützliche Arbeit durch meinen Aufsatz veranlasst zu haben, indem es gewiss höchst nötig sei, dass die blendenden Irrtümer unserer Zeiten einmal durch das unwiderstehliche Licht reiner Vernunft, von einer so festen Hand vorgehalten, zerstreut würden. 29

[97] Ich antwortete in der vollen Freude über Mendelssohns Entschluss mit umlaufender Post, brachte hierauf meinen Brief an Hemsterhuis zustande und hatte nun den Kopf von dieser ganzen Sache völlig rein und frei.

Ende August reiste ich, um meine sehr geschwächte Gesundheit herzustellen, und des Lebens in der Gesellschaft zweier der grössten und liebenswürdigsten Menschen, der Prinzessin von Gallitzin, und des Ministers von Fürstenberg wieder froh zu werden, nach Hofgeismar. Hier wurde ich durch einen Brief von Mendelssohn überrascht, welcher Erinnerungen gegen die in meinem Schreiben enthaltene Philosophie begleitete. Das Paket war zu Düsseldorf gleich nach meiner Abreise angekommen, und offen durch die Hände unserer gemeinschaftlichen Freundin, die es mit einem Umschlage versehen hatte, gegangen.


Berlin, den 1. August 1784.
An Herrn Jacobi in Düsseldorf.

Emilie hat Ihnen bereits in meinem Namen zu erkennen gegeben, wie sehr ich durch Ihre philosophische[98] Zuschrift beschämt worden bin, und Sie waren so gütig, mir auf das Vorwort, das diese würdige Freundin zu meinem Besten eingelegt, die Übereilung zu vergeben, mit welcher ich über Ihren ersten Antrag herfuhr. Man ist so sehr gewohnt, philosophische Masken und Larvengesichter auftreten zu sehen, dass man, wie jener Äthiopier beim Shaftesbury, am Ende in Gefahr ist, jedes ehrliche Menschengesicht für eine Maske zu nehmen.

Ich habe Ihren Aufsatz seitdem mehr als einmal gelesen, um mich mit dem eigenen Gang Ihrer Ideen bekannt zu machen. Nach dem fünfzigsten Jahre mag wohl unsere Seele sich nicht leicht einen neuen Weg führen lassen. Wenn sie auch einem Führer etwa eine Strecke lang nachfolgt; so ist ihr doch jede Gelegenheit in ihr gewöhnliches Gleis einzulenken, willkommen, und unvermerkt verliert sie ihren Vorgänger aus den Augen. Dieses mag vielleicht die Ursache sein, warum mir so manche Stelle in Ihrem Briefe schlechterdings unverständlich ist, und bei mancher ich die Bündigkeit vermisse, mit welcher die Gedanken in ihr System passen.

Da ich vor der Hand von dem Vorsatz, über Lessingen zu schreiben, abgekommen und willens bin, vorher etwas über den Spinozismus zu entwerfen; so sehen Sie, wie wichtig es mir sein muss, Ihre Gedanken richtig zu fassen, und die Gründe gehörig einzusehen, mit welchen Sie das System dieses Weltweisen zu unterstützen bemüht sind. Ich nehme mir also die Freiheit, Ihnen meine Bedenklichkeiten und Erinnerungen in einliegendem Aufsatze vorzulegen. Sie halten den Handschuh ritterlich hingeworfen; ich nehme ihn auf, und nun lassen Sie uns unseren metaphysischen [99] Ehrenkampf nach Ritterbrauch unter den Augen der Dame ausfechten, die von uns beiden hochgeschätzt wird. Es ist beneidenswert, den Preis des Sieges aus ihren Händen zu empfangen, aber auch nicht unrühmlich, als Besiegter ihr Mitleiden zu verdienen. Emilie wird Ihnen also dieses Schreiben zustellen, und um geneigte Antwort bitten.

Moses Mendelssohn.

Die Beilage.
Erinnerungen an Herrn Jacobi.

Sie sagen: »Durch ein jedes Entstehen im Unendlichen, unter was für Bilder man es auch verkleide, durch einen jeden Wechsel in demselben werde ein Etwas aus dem Nichts gesetzt, und glauben, Spinoza habe daher jeden Übergang des Unendlichen zum Endlichen, überhaupt alle Causas transitorias, secundarias oder remotas verworfen, und an die Stelle des emanierenden ein nur immanentes Ensoph, eine inwohnende ewig in sich unveränderliche Ursache der Welt gesetzt, welche mit allen ihren Folgen zusammengenommen eins und dasselbe wäre.« Hier stosse ich auf Schwierigkeiten, die ich mir zu heben nicht imstande bin. 1. Wenn eine Reihe ohne Anfang dem Spinoza nichts Unmögliches schien, so führte ja das emanierte Entstehen der Dinge nicht notwendig auf ein Werden aus Nichts. 2. Sind diese Dinge dem Spinoza etwas Endliches: so kann ihr Inwohnen in dem Unendlichen ebensowenig, ja wie mich dünkt, noch weniger begriffen werden, als ihr Ausfluss aus demselben. Kann das Unendliche nichts Endliches wirken, so kann es auch nichts Endliches denken.

Überhaupt scheint das System des Spinoza nicht[100] geschickt zu sein, Schwierigkeiten dieser Art zu heben. Sie müssen in Absicht auf die Gedanken ebensowohl stattfinden, als in Absicht auf ihre wirklichen Gegenstände. Was objektive nicht wirklich werden kann, das kann subjektive nicht gedacht werden. Dieselbe Schwierigkeit, die Spinoza findet, das Endliche ausser Gott wirklich sein zu lassen, dieselbe Schwierigkeit, sage ich, muss er wiederfinden, wenn er es in das göttliche Wesen hineinverlegt, und als Gedanke der Gottheit betrachtet.

In der Folge erklären Sie eine Stelle im Spinoza, deren Lessing als des Dunkelsten in demselben erwähnte, die auch Leibniz 30 so gefunden und nicht ganz verstanden hat, nämlich: dass die unendliche Ursache, wie Sie sich ausdrücken, explicite weder Verstand noch Willen habe, weil sie ihrer transzendentalen Einheit und durchgängigen absoluten Unendlichkeit zufolge keinen Gegenstand des Denkens und des Wollens haben könne. Sie erklären sich ferner, dass Ihre Meinung nur dahin ginge, der ersten Ursache, die unendlicher Natur ist, bloss einzelne Gedanken, einzelne Bestimmungen des Willens abzusprechen, und setzen den Grund hinzu: weil ein jeder einzelne Begriff aus einem andern einzelnen Begriffe entspringen, und sich auf einen wirklich vorhandenen Gegenstand unmittelbar beziehen muss. Daher Sie in der ersten Ursache bloss den innern ersten allgemeinen Urstoff des Verstandes und des Willens zugeben wollen. Ich muss bekennen, dass ich diese Erklärung ebensowenig verstehe, als die Worte des Spinoza selbst. Die erste Ursache hat Gedanken, aber keinen Verstand. Sie hat Gedanken, denn die Gedanken sind nach dem Spinoza [101] eine Haupteigenschaft der einzigen wahren Substanz. Gleichwohl hat sie keine einzelnen Gedanken, sondern nur den allgemeinen Urstoff derselben. Welches Allgemeine lässt sich ohne das Einzelne begreifen? Ist nicht dieses noch unverständlicher, als eine formlose Materie, ein Urstoff ohne Bildung, ein Wesen, das nur allgemeine und keine besondern Merkmale hat? Sie sagen: die absolute Unendlichkeit hat keinen Gegenstand des Denkens. Ist sie aber sich nicht selbst, sind ihre Eigenschaften und Modifikationen ihr nicht Gegenstand des Denkens? Und wenn sie keinen Gegenstand des Denkens, keinen Verstand hat, wie ist das Denken gleichwohl ihr Attributum; wie ist sie gleichwohl die einzig denkende Substanz? Ferner ihre Modifikationen, oder die zufälligen Dinge haben wirklich einzelne Bestimmungen des Willens; und sie selbst hätte bloss den allgemeinen Urstoff desselben? Beim Spinoza verstehe ich dieses wenigstens doch halb. Er setzt den freien Willen bloss in eine unbestimmte absichtlose Wahl des vollkommen Gleichgültigen. Diese schien ihm der Modifikation der Gottheit, insoweit sie ein endliches Wesen vorstellt, zukommen zu können; der Gottheit selbst aber, insoweit sie ein unendliches Wesen ist, sprach er eine solche absichtlose Willkür mit Recht ab. Die Erkenntnis des Guten, durch welche eine freie Wahl bewirkt wird, gehörte nach seiner Meinung mit zu den Eigenschaften des Verstandes, und ist insoweit von der ausgemachtesten Notwendigkeit; daher alle Folgen, sie mögen aus der Erkenntnis des Wahren und Falschen, oder aus der Erkenntnis des Guten und Bösen herkommen, nach seiner Theorie von gleicher Notwendigkeit sein müssten. Da Sie aber, mein Herr! das System der Deterministen [102] annehmen, und auch beim Menschen selbst keine andere Wahl, als die aus der letzten praktischen Erwägung aller Bewegungsgründe und Triebfedern entspringt, zulassen; so sehe ich keinen Grund, warum Sie eine solche ewig vorher determinierte Wahl der unendlichen Ursache absprechen? Insoweit freilich wohl, da Sie der Unendlichkeit die wahre Individualität absprechen, kann ihr auch kein Wille, keine Freiheit zukommen; denn diese setzen wirkliche einzelne Substantialität voraus. Allein, dieses ist einmal der Grund nicht, den Sie anführen; und sodann scheint es mir auch dem System des Spinoza gerade entgegengesetzt zu sein, wie ich weiter unten auszuführen Gelegenheit haben werde.

Nach Spinozas Begriff ist alles, was in der sichtbaren Welt erfolgt, von der strengsten Notwendigkeit; weil es so und nicht anders in dem göttlichen Wesen und in den möglichen Modifikationen seiner Eigenschaften gegründet ist. Was nicht wirklich erfolgt, ist ihm auch nicht möglich, nicht denkbar. Hätte also Spinoza zugegeben, dass nur der Satz des Widerspruches, wie Bayle, Leibniz und andere dafür halten, der innern Möglichkeit Ziel setze, so hätte er allerdings, wie Leibniz von der angeführten Stelle richtig erinnert, alle Romane der Scudery und alle Erdichtungen des Ariost für wirkliche Begebenheiten halten müssen. Allein Spinoza hielt auch das für unmöglich, was zwar keinen Widerspruch enthält, aber doch in den göttlichen Modifikationen, als der notwendigen Ursache aller Dinge nicht gegründet ist. Sie sehen hier den Weg, auf welchem auch Spinoza zum perfectissimo gelangt sein würde, wenn er sich mit den Deterministen über den Begriff von Freiheit hätte [103] vertragen können. Nur nach dem System des perfectissimi lässt sich begreifen, warum diese, und keine andere Reihe von Bestimmungen innerhalb des göttlichen Wesens wirklich geworden, oder nach Spinozas Art, sich auszudrücken, keine andere möglich gewesen.

Was Sie hierauf von Folge und Dauer sagen, hat völlig meinen Beifall; nur dass ich nicht sagen würde, sie seien blosser Wahn. Sie sind notwendige Bestimmungen des eingeschränkten Denkens; also Erscheinungen, die man doch von blossem Wahn unterscheiden muss.

Ihr Salto mortale ist ein heilsamer Weg der Natur. Wenn ich der Spekulation eine Zeitlang durch Dornen und Hecken nachgeklettert bin, so suche ich mich mit dem bon sens zu orientieren und sehe mich wenigstens nach dem Wege um, wo ich wieder mit ihm zusammenkommen kann. Da ich nicht in Abrede sein kann, dass es Absichten gibt, so ist Absicht haben eine mögliche Eigenschaft des Geistes; und insoweit es kein blosses Unvermögen ist, so muss es auch irgendeinem Geiste in dem allerhöchsten Grade zukommen; mithin gibt es ausser dem Denken auch noch ein Wollen und Tun, die Eigenschaften des Unendlichen sein können und also sein müssen.

Der Einfall, den Lessing hierauf vorgebracht, ist ganz in seiner Laune; einer von seinen Luftsprüngen, mit welchen er Miene machte, gleichsam über sich selbst hinauszuspringen, und eben deswegen nicht von der Stelle kam. Zweifeln, ob es nicht etwas gibt, das nicht nur alle Begriffe übersteigt, sondern völlig ausser dem Begriffe liegt; dieses nenne ich einen Sprung über sich selbst hinaus. Mein Kredo ist: was ich als wahr nicht denken kann, macht mich als [104] Zweifel nicht unruhig. Eine Frage, die ich nicht begreife, kann ich auch nicht beantworten, ist für mich so gut als keine Frage. Es ist mir niemals eingefallen, auf meine eigenen Schultern steigen zu wollen, um freiere Aussichten zu haben.

Lessing lässt in einem seiner Lustspiele jemandem, der Zauberei zu sehen glaubt, von einem brennenden Lichte sagen: Dieses Licht brennet nicht wirklich, es scheint nur zu brennen; es scheint nicht wirklich, es scheint nur zu scheinen. Der erste Zweifel hat einigen Grund, der zweite aber widerlegt sich selber. Was scheint, muss wirklich scheinen. Ein jedes Phänomen ist als Phänomen von der höchsten Evidenz. Alle Gedanken sind, subjektive betrachtet, von der ausgemachtesten Wahrheit. Also ist auch die Kraft, zu denken, eine wirklich primitive Kraft, die nicht in einer hohem ursprünglichen Kraft gegründet sein kann. Auch scheinen Sie selbst auf diesen wunderlichen Einfall unsers Lessings kein sonderliches Gewicht zu legen.

Wenn Sie aber sagen: die unendliche einzige Substanz des Sp. habe für sich allein und ausser den einzelnen Dingen kein bestimmtes vollständiges Dasein, so werfen Sie mich auf einmal aus dem ganzen Konzepte heraus, das ich mir vom Spinozismus gemacht habe. Also haben die einzelnen Dinge nach diesem System ihr wirkliches bestimmtes Dasein, und ihr Zusammen ist auch nur eins, hat aber kein bestimmtes vollständiges Dasein? Wie soll ich dieses verstehen? oder mit Ihren übrigen Äusserungen zusammenbringen?

Wenn Sp., wie Sie in der Folge anmerken, über die Freiheit so gedacht hat wie Leibniz, so hat er auch [105] zugeben müssen, dass die Erkenntnis des Guten und Bösen ebensowenig als die Erkenntnis des Wahren und Falschen in Ansehung der vollkommensten Ursache ohne alle Folgen sein könne, dass also die vollkommenste Ursache am Guten Wohlgefallen, am Bösen Missfallen, das heisst Absichten haben, und wenn sie wirkt, nach Absichten wirken müsse.

Hier ist abermals der Ort, wo der Philosoph nach der Schule dem Spinozisten begegnet, und wo sie sich brüderlich umarmen.

S. 26 31 stosse ich auf eine Stelle, die mir schlechterdings unverständlich ist. Das Denken, sagen Sie,ist nicht die Quelle der Substanz, sondern die Substanz ist die Quelle des Denkens. Also muss vor dem Denken etwas Nichtdenkendes als das erste angenommen werden, etwas, das, wenn schon nicht durchaus in der Möglichkeit, 32 doch in der Vorstellung dem Wesen der innern Natur nach als das Vorderste gedacht werden muss. Sie scheinen mir hier mit unserm Freund etwas denken zu wollen, das kein Gedanke ist; einen Sprung ins Leere zu tun, dahin uns die Vernunft nicht folgen kann. Sie wollen sich etwas denken, das vor allem Denken vorhergehet und also dem allervollkommensten Verstand selbst nicht denkbar sein kann.

Mich dünkt, die Quelle aller dieser Scheinbegriffe liegt darin, dass Sie Ausdehnung und Bewegung für die einzige Materie und Objekte der Gedanken halten, und auch diese nur, insoweit sie wirklich existieren. Ich weiss nicht, mit welchem Grunde Sie dieses als[106] ausgemacht voraussetzen. Kann das denkende Wesen sich nicht selbst Stoff und Gegenstand sein? Wir wissen, wie uns zumute ist, wenn wir Schmerz, Hunger, Durst, Frost oder Hitze leiden: wenn wir fürchten, hoffen, lieben, verabscheuen usw. Nennen Sie dieses Gedanken, Begriffe oder Empfindungen und Affektionen der Seele; genug, dass sie bei allen diesen Affektionen weder Ausdehnung noch Bewegung zum Gegenstande hat. Ja, bei den sinnlichen Empfindungen selbst; was hat der Schall, der Geruch, die Farbe, oder was hat der körperliche Geschmack mit Ausdehnung und Bewegung gemein? Ich weiss wohl, dass Locke die Weltweisen gewöhnt hat, Ausdehnung, Undurchdringlichkeit und Bewegung für Qualitates primitivas zu halten, und die Erscheinungen der übrigen Sinne, als Qualitates secundarias, auf diese zu reduzieren. Allein was hat der Spinozist für Grund, dieses gelten zu lassen? Endlich kann es denn auch nicht einen Geist geben, der sich Ausdehnung und Bewegung als bloss möglich denkt, wenn sie auch wirklich nicht vorhanden sind? Nach dem Spinoza, der die Ausdehnung für eine Eigenschaft der einzigen unendlichen Substanz hält, muss dieses um so viel eher angehen.

Ich übergehe eine Menge von witzigen Einfällen, mit welchen unser Lessing Sie in der Folge unterhalten, und von denen es schwer ist, zu sagen, ob sie Schäkerei oder Philosophie sein sollen. Er war gewohnt, in seiner Laune die allerfremdesten Ideen zusammenzupaaren, um zu sehen, was für Geburten sie erzeugen würden. Durch dieses ohne Plan Hinundherwürfeln der Ideen entstanden zuweilen ganz sonderbare Betrachtungen, von denen er nachher guten Gebrauch zu machen wusste. Die mehresten aber [107] waren denn freilich bloss sonderbare Grillen, die bei einer Tasse Kaffee noch immer unterhaltend genug waren. Von der Art ist alles, was Sie ihn S. 33 33 sagen lassen. Seine Begriffe von der Ökonomie der Weltseele, von den Entelechien des Leibniz, die bloss Effekt des Körpers sein sollen, seine Wettermacherei, seine unendliche Langeweile und dergleichen Gedankenschwärmer, die einen Augenblick leuchten, prasseln und dann verschwinden. So lasse ich auch den ehrlichen Rückzug unter die Fahne des Glaubens, den Sie auf Ihrer Seite in Vorschlag bringen, an seinen Ort gestellt sein. Er ist völlig in dem Geiste Ihrer Religion, die Ihnen die Pflicht auferlegt, die Zweifel durch den Glauben niederzuschlagen. Der christliche Philosoph darf sich den Zeitvertreib machen, den Naturalisten zu necken; ihm Zweifelsknoten vorzuschlagen, die ihn, wie die Irrlichter, aus einem Winkel in den andern locken, und seinen sichersten Griffen immer entschlüpfen. Meine Religion kennet keine Pflicht, dergleichen Zweifel anders als durch Vernunftgründe zu heben, befiehlt keinen Glauben an ewige Wahrheiten. Ich habe also einen Grund mehr, Uberzeugung zu suchen. – – –

Ich komme auf die Stelle, S. 41, 34 wo Sie abermals das Principium der Wirklichkeit nach Spinoza deutlich zu machen suchen. »Der Gott des Sp., sagen Sie, ist das lautere Principium der Wirklichkeit in allem Wirklichen, des Seins in allem Dasein, durchaus ohne Individualität und schlechterdings unendlich. Die Einheit dieses Gottes beruhet auf der Identität des Nichtzuunterscheidenden, und schliesst folglich eine Art [108] der Mehrheit nicht aus. Bloss in dieser tranzendentalen Einheit angesehen, muss die Gottheit aber schlechterdings der Wirklichkeit entbehren, die nur im bestimmten einzelnen sich ausgedrückt befinden kann.« Wenn ich dieses recht verstehe, so sind bloss die bestimmten einzelnen Wesen wirklich existierende Dinge; das Unendliche aber, oder das Principium der Wirklichkeit, beruhet nur in dem Zusammen, in dem Inbegriffe aller dieser Einzelheiten. Es ist also ein blosses collectivum quid, das keine andre Substantialität hat, als die Substantialität der Glieder, aus welchen es bestehet. Nun beruhet jedes Kollektivum auf dem Gedanken, der das Mannigfaltige zusammenfasst; denn ausserhalb der Gedanken, oder objektive betrachtet, ist jedes einzelne isolieret, ein Ding für sich; nur die Beziehung macht es zum Teil des Ganzen, zum Gliede des Zusammen. Beziehung aber ist Operation des Denkens. Nun helfen Sie mir aus der Verwirrung, in welcher ich mich in Ansehung des Spinozismus befinde. Ich frage erstlich: Wo subsistiert dieser Gedanke, dieses Kollektivum, die Beziehung des einzelnen zum Ganzen? Nicht im einzelnen; denn dieses subsistieret jedes nur für seinen Teil. Wollten wir dieses nicht zugeben, so hätten wir nicht nur eine Art von Mehrheit in der Gottheit, sondern eine wahre zahllose Vielheit. Auch nicht wieder in einem Kollektiven; denn dieses führt auf offenbare Ungereimtheiten. Wenn also dieses Pan, dieses Zusammen Wahrheit haben soll, so muss es in einer wirklichen transzendentalen Einheit subsistieren, die alle Mehrheit ausschliesst, und hiermit wären wir ja ganz unvermutet in dem gewöhnlichen Gleise der Schulphilosophie.

Ferner: bisher glaubte ich immer, nach dem Spinoza [109] habe bloss das einzige Unendliche eine wahre Substantialität; das mannigfaltige Endliche aber sei bloss Modifikation oder Gedanke des Unendlichen. Sie scheinen dieses umzukehren. Sie geben dem einzelnen wahre Substantialität, und sonach müsste das Ganze bloss ein Gedanke des einzelnen sein. Sie treiben mich also in einem Zirkel herum, aus welchem ich mich nicht finden kann. Denn bei andern Gelegenheiten scheinen Sie mir auch einzustimmen, dass nach dem Spinoza nur eine transzendentale unendliche Substanz möglich sei, deren Eigenschaften unendliche Ausdehnung und unendliche Gedanken sind.

Die grösste Schwierigkeit aber, die ich in dem System des Spinoza finde, liegt mir darin, dass er aus dem Zusammennehmen des Eingeschränkten das Uneingeschränkte will entstehen lassen.

Wie kann durch das Hinzukommen der Grad verstärkt werden? Wie kann durch Vermehrung des Extensiven das Intensive verstärkt werden? Wenn in allen übrigen Systemen der Übergang vom Unendlichen zum Endlichen schwer zu begreifen ist, so scheint mir nach diesem System der Rückweg vom Endlichen in das intensive Unendliche schlechterdings unmöglich zu sein. Durch blosse Vermehrung erhalten wir niemals Verstärkung, wenn wir sie auch ins Unendliche fortsetzen. Wenn wir dem Grade eine Quantität zuschreiben, so ist dieses eine intensive Quantität, die durch Hinzutun gleichartiger Dinge nicht vermehrt werden kann. Muss nicht hier der Spinozist offenbar die Begriffe verwechseln, und Vielheit statt innerer Stärke gelten lassen?

Diesen Einwurf hat bereits Wolf (im 2. Teil seiner natürlichen Theologie) in etwas berührt; aber meines[110] Wissens hat noch kein Verteidiger Spinozas darauf geantwortet.


Soweit Mendelssohn Erinnerungen. Hier ist meine Antwort.


Hofgeismar, den 5. Sept. 1784.

An den Herrn Moses Mendelssohn zu Berlin.

Meine schlechte Gesundheit, die seit einigen Monaten immer schlechter geworden ist, hat mich hierher ins Bad getrieben, und wird wahrscheinlich mich noch weiter treiben. Unter den Dünsten der Mineralwasser, die mich von aussen und von innen in die Enge treiben, bin ich ganz unfähig, Dero schätzbare Zuschrift vom 1. August (die zu Düsseldorf den 27. erst angekommen ist, und den 1. September mich hier erreicht hat) sogleich zu beantworten. Ein glücklicher Zufall aber setzt mich in den Stand, Ihnen dennoch auf der Stelle gewissermassen Genüge zu leisten. Die Prinzessin von Gallitzin, die hier auch den Brunnen und das Bad gebraucht, hat die Abschrift eines Briefes bei sich, den ich vor einiger Zeit an Hemsterhuis über die Philosophie des Spinoza schrieb. Ich lasse nach dieser Abschrift eine zweite machen, und lege sie hiebei. Was ich auf das Wichtigste in Ihren Erinnerungen zu sagen habe, findet sich hier in einem Zusammenhange, der auf das Ganze mehr Licht verbreiten und manchem Missverstande abhelfen wird. 35 Über den Vorwurf, den Sie mir machen: ich hielte Ausdehnung und Bewegung [111] für die einzige Materie und Objekte der Gedanken, bin ich wirklich mit einer Art von Schrecken in die Höhe gefahren. Dieses ist so wenig meine Meinung, dass ich wohl von keiner in der Welt entfernter bin, und ich begreife nicht, wie ich nur die geringste Veranlassung, sie mir beizumessen, habe geben können.

Sobald ich wieder zu Hause und ein wenig in Ruhe bin, werde ich meine Ihnen gegebenen Nachrichten über Lessing wieder durchlesen, meine Äusserungen mit Ihren Erinnerungen vergleichen, und alsdann nachholen, was durch den hiebeikommenden Aufsatz noch nicht abgetan sein möchte. Dass ich ritterlich den Handschuh hingeworfen hätte, davon weiss ich nichts. Wenn er mir entfallen ist, und Sie wollen ihn für hingeworfen ansehen, und ihn aufnehmen: gut, ich wende nicht den Rücken, sondern wehre mich meiner Haut, so gut ich kann. Wofür ich aber stand und stehen bleibe, das ist nicht Spinoza und sein Lehrgebäude: es sind jene Worte des Paskal: La nature confond les Pyrrhoniens, et la raison confond les Dogmatistes. Dieses, was und wer ich bin, habe ich vernehmlich gesagt; und dass Sie mich für einen andern halten, das kommt nicht von irgendeinem blauen Dunste, den ich gemacht hätte. Kampf und Ausgang werden zeigen, dass ich keiner unerlaubten Künste mich bediene, und auf nichts weniger bedacht bin, als mich zu verstecken. Ich empfehle mich dem Himmel, unserer Dame, und dem adeligen Gemüte meines Gegners.

[112]

Abschrift eines Briefes an den Herrn Hemsterhuis

Abschrift eines Briefes an den Herrn Hemsterhuis im Haag

Es ist über zwei Monate, dass ich Ihnen mit einer Antwort auf den Artikel Spinoza, in Ihrem Briefe vom 26. April, gedroht habe. Ich will mir endlich hierüber Genüge tun.

Sie sagen, dass Sie nicht an diesen berühmten Mann denken können, ohne ihn zu beklagen, dass er nicht dreissig Jahre später lebte. Er würde alsdenn mit eigenen Augen selbst aus den Fortschritten der Physik gesehen haben, dass sich die Geometrie nur auf das Physische unmittelbar anwenden lasse, und dass von ihm die Formularmethode der Geometer mit dem geometrischen Geiste verwechselt worden sei, durch dessen Anwendung auf die Metaphysik er Dinge würde [113] geleistet haben, die seines herrlichen Genies würdiger gewesen wären.

Ich besitze vielleicht selbst zu wenig geometrischen Geist, als dass es mir geziemen sollte, den Spinoza hierüber zu verteidigen: aber wenn er ihm in dem Masse fehlte, dass er damit die Formularmethode der Geometer verwechseln konnte, so ist dieser Geist auf allen Fall eine sehr entbehrliche Sache, weil Spinoza ohne diesen Geist, den geradesten Sinn, die feinste Prüfungsgabe und eine nicht leicht zu übertreffende Richtigkeit, Stärke und Tiefe des Verstandes besass. Diese Vorzüge haben ihn nicht verhindert, zu irren, und er hat zuverlässig geirrt, da er sich verleiten liess, die Formularmethode der Geometer in der Metaphysik zu gebrauchen. Aber dieser Methode darf sein System nicht zugeschrieben werden, dessen Grund sehr alt ist, und sich in Überlieferungen verlieret, woraus Pythagoras, Plato und andre Philosophen schon geschöpft haben. Was die Philosophie des Spinoza von jeder andern unterscheidet, was ihre Seele ausmacht, liegt in der äussersten Strenge, womit der bekannte Grundsatz: gigni de nihilo nihil, in nihilum nil potest reverti (aus Nichts entstehe Nichts, Nichts könne in Nichts zurückkehren), darin festgehalten und ausgeführt ist. Wenn er allen Anfang irgendeiner Handlung geleugnet und das System der Endursachen als die grösste Verrückung des menschlichen Verstandes angesehen hat, so geschah es nur zufolge dieses Grundsatzes, und nicht einer unmittelbar auf was nicht physisch ist, angewendeten Geometrie.

Ich stelle mir die Verbindung der Ideen des Spinoza ohngefähr auf folgende Weise vor. – Wir nehmen hierbei an, dass er selbst mit uns spricht, und zwar, nachdem [114] er den Aristée gelesen hat: 36 ein Umstand, wovon wir uns jedoch nichts merken lassen.

Spinoza: Das Sein ist keine Eigenschaft, ist nichts Abgeleitetes von irgendeiner Kraft; es ist das, was allen Eigenschaften, Beschaffenheiten und Kräften zum Grunde liegt, das, was man durch das Wort Substanz bezeichnet, und vor welchem nichts gesetzt werden kann, sondern was allem vorausgesetzt werden muss.

Von den verschiedenen Äusserungen des Seins fliessen einige unmittelbar aus seinem Wesen. Dergleichen sind das absolute und reale Kontinuum der Ausdehnung und des Denkens.

Das Denken, welches bloss eine Eigenschaft, eineBeschaffenheit der Substanz ist, kann in keinem Sinne die Ursache der Substanz sein. Es hängt ab von dem, worin es sein Dasein hat; es ist der Ausdruck davon und seine Tat, und kann unmöglich zugleich dasjenige sein, was die Substanz in Handlung setzt.

Die Begriffe (das ist: das Denken, insofern es auf eine gewisse Weise bestimmt ist) erhalten ihre Art durch ihren Inhalt; aber dieser Inhalt, oder das, was ihm entspricht, bringt das Denken nicht hervor.

Der Inhalt des Begriffes oder was ihm entspricht, ist dasjenige, was wir den Gegenstand des Begriffes nennen.

Es ist also in einem jeden Begriffe:

1. Etwas Absolutes und Ursprüngliches, welches das Denken, unabhängig von seinem Gegenstande, ausmacht.

[115] 2. Etwas Hinzukommendes oder Vorübergehendes, welches eine Beziehung offenbaret, und von dieser Beziehung das Resultat ist.

Beides gehört im Begriffe notwendig zueinander, und es ist ebenso unmöglich, dass das Denken (einzig und allein in seinen Wesen betrachtet) den Begriff oder die Vorstellung eines Gegenstandes hervorbringe, als es unmöglich ist, dass ein Gegenstand, oder eine Mittelursache, oder irgendeine Veränderung das Denken im Nichtdenkenden zuwegebringe.

Das Wollen ist nach dem Denken, denn es setzt das Selbstgefühl voraus. Es ist nach dem Begriffe, weil es das Gefühl einer Beziehung erfordert. Es ist also nicht unmittelbar mit der Substanz, noch selbst mit dem Denken verknüpft; es ist eine Wirkung von Beziehungen, und kann niemals die erste Quelle der Handlung, nie eine reine Ursache sein.


Wir wollen den Angriff des Spinoza durch einen Ausfall unterbrechen, und sehen, ob wir nicht seine Laufgräben verschütten, seine Werke zerstören, und seine Minen gegen ihn selbst sprengen können.

Generalfeuer. Du bist ein Grillenfänger, armer Spinoza! Machen wir es kurz und fangen bei Tatsachen an.

»Gibst du zu, dass jedwede Handlung eine Richtung haben müsse?«

Sp. Nein. Im Gegenteil scheint es mir ausgemacht, dass jede ursprüngliche Handlung nur sich selbst zum Gegenstande und folglich keine Richtung haben kann; da, was man Richtung nennt, nie etwas anderes, als das Resultat der Wirkungen gewisser Beziehungen ist.

»Aber gibt es eine Ursache, warum alles, was ist,[116] oder alles, was zu sein scheint, Wesen, Modus, oder alles, was dir beliebt, so und nicht anders ist oder scheinet?«

Sp. Ohne Zweifel.

»Eine Richtung hat also ein Warum, eine Ursache. Nun ist dieses Warum nicht in der Richtung, weil sie sonst gewesen wäre, ehe sie war.«

Sp. Allerdings.

»Folglich liegt es in dem wirkenden Dinge, und hat darin seinen Grund. Nun kannst du von Ursache zu Ursache nicht ins Unendliche fortgehen, weil es einen bestimmten Augenblick gibt, wo das wirkende Ding die Richtung erteilt: folglich wirst du die erste Ursache entweder in der Wirksamkeit des wirkenden Dinges finden, welche seine Fähigkeit zu wollen ist, oder in einer Modifikation des wirkenden Dinges. Aber diese hat ihr Warum, und von Ursache zu Ursache fortgegangen, kommst du endlich zu der bestimmten Wirksamkeit, oder zum Willen irgendeines wirkenden Dinges; und also hat die Richtung zur ersten Ursache Willen. Aber wir können uns keine bestimmte Wirksamkeit, keinen Richtung gebenden Willen vorstellen ohne Verstand, der vorhersieht, ohne Selbstgefühl. Die erste Ursache von allen Wirkungen ist also die Handlung eines vernünftigen Willens, der unendlich gross und unendlich mächtig ist. Ich sage unendlich, weil wir, von Ursache zu Ursache, notwendig darauf kommen müssen.« 37

Sp. Ich habe dir bewiesen, dass der Wille nur ein abgeleitetes, aus Verhältnis entspringendes Ding, wie die Bewegung in ihrer Richtung sei. Aus demselben Grunde, aus welchem die Ursache der Richtung der[117] Bewegung nicht in der Richtung sein kann, weil sie sonst gewesen wäre, ehe sie war; aus eben demselben Grunde kann die Ursache der Richtung des Willens nicht in dieser Richtung sein, weil sie sonst gewesen wäre, ehe sie war. Dein Wille, der das Vermögen zu wollen bestimmt, ist vollkommen eine Wirkung, die der Grund ihrer Ursache ist. Du gibst mir zu (denn du hast selbst die Bemerkung gemacht), dass der Wille nicht allein nach dem Denken, sondern auch nach dem Begriffe ist. Nun ist das Denken, in seinem Wesen betrachtet, nicht anderes als das Sein, das sich fühlt, oder das Bewusstsein. Der Begriff ist das Bewusstsein, insofern das Sein bestimmt, individuell und im Verhältniss mit andern einzelnen Dingen ist. Der Wille ist das Bewusstsein, insofern das Sein bestimmt ist, und als einzelnes Wesen handelt...

»Sachte, lieber Spinoza, du verlierst dich wieder in deinen Hirngespinsten. Was dich irreleitet, ist, dass du zwei Dinge, die ganz verschiedener und selbst entgegengesetzter Art sind, nicht unterscheidest: Wirksamkeit und Trägheit. 38 In der physischen Welt ist nicht mehr Bewegung als Ruhe. Ein Teil, der in Bewegung ist, teilet seine Bewegung einem andern Teile mit, der in Ruhe ist, und bekommt dagegen Ruhe von ihm zurück. Wirkung und Gegenwirkung, was auch ihre Quelle sei, sind einander gleich. Folglich ist die Summa aller Wirkung in der Welt der Summa aller Gegenwirkung gleich. Die eine hebt die andere auf, und das leitet uns auf eine vollkommene Ruhe und auf die wahre Trägheit. 39 Die Trägheit (vis inertiae) im einem Dinge ist eigentlich nur die Kraft, mit [118] welcher es das ist, was es ist, und nur durch diese Kraft und nach dem Masse derselben wirkt sie zurück. Rückwirkung und Trägheit ist also dasselbige. Was uns diese Trägheit zu erkennen gibt, gibt uns zu gleicher Zeit eine Bewegung zu erkennen, welche entweder die Trägheit überwältigt, oder von der Trägheit aufgehoben wird; das ist eine Kraft von ganz verschiedener Natur, und die man Wirkungskraft nennt. 40 Die Welt zerfallt also in zwei Teile. Der eine, durchaus trug und leidend, gibt uns das vollkommenste Bild der Unwirksamkeit und Ruhe; der andere, lebendig und lebendigmachend, bemächtigt sich der toten Teile der Natur, um sie zu verbinden, und sie zu zwingen, dass sie leben und wirken, selbst durch die Kraft ihrer eigenen Unwirksamkeit. 41 Diese Wirksamkeit, diese Anstrengung, diese erste Kraft in einem Wesen ist das Vermögen, wirken zu können auf diejenigen Dinge, die in seiner Sphäre liegen. Sie hat alle möglichen Richtungen, und darin besteht ihre Freiheit; sie ist eine unbestimmte Kraft und macht die Willensfähigkeit oder das Vermögen, wollen zu können, aus.« 42

Sp. Ich habe dich nach Wohlgefallen reden lassen. Hier ist meine Antwort. Einmal begreife ich nichts von einer ersten Kraft, die etwas anders ist als die Kraft, wodurch ein Ding das ist, was es ist; nichts von einem Vermögen, das heisst von einem Können, wirken zu können auf das, was in der Sphäre des Wesens liegt, das mit diesem Können zu können begabt ist, nichts von einer Wirkungskraft, die alle mögliche[119] Richtungen hat; – »von einer unbestimmten Kraft, die ihre Kraft und Wirksamkeit aushaucht, wie ein Gewürz seinen Geruch auszuhauchen scheint, – nach allen Richtungen.« Dies heisst meines Erachtens Schatten geben für Begriffe und um Verständlichkeit nicht sehr bekümmert sein. Was ist Leidsamkeit; oder ein Wesen, was nur die Kraft zu leiden hat? Und was die Wirksamkeit, die sich dieser Leidsamkeit mitteilt, und in ihr zu einer ganz fremdartigen, dem Wesen selbst dieses leidenden Dinges, das durch seine Unwirksamkeit entgegen wirket, widersprechenden Ursache von Handlung wird? Kann sich eine Kraft von ihrem Ursprunge absondern, kann sie einen Teil ihrer selbst weggeben, und kann dieser Teil besonders existieren, oder, welches noch stärker ist, die Beschaffenheit eines anderen Dinges werden, und zwar eines ganz heterogenen? – »Wir sehen aber, wirst du sagen, dass dies geschieht!« – Und ich antworte, wir sehen auch, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Lassen wir die Erscheinungen und bestreben uns, die Dinge zu erkennen, wie sie sind. 43 Die Wahrheit kann nicht von aussen kommen, sie ist in uns. Aber wenige Köpfe sind für eine vollkommene Abstraktion gemacht, 44 das heisst, für eine Aufmerksamkeit, die nur auf das innere Sein gerichtet ist. Wir wollen die unsrige diesmal nicht zu sehr ermüden. Lassen wir deine geteilte Welt beiseite, um allein die Theorie deiner Theorie ein wenig anzusehen. Hier ist die Summa deiner Schlüsse. Die wirkende Ursache bestimmt aus sich den Lauf der Dinge, also ist diese Ursache verständig, und ihre Tätigkeit bestellt in [120] ihrem Willen. Ich frage dich: ist diese Ursache verständig, weil sie hat wollen verständig sein, oder ist sie verständig, unabhängig von ihrem Willen? Du musst wohl antworten: sie ist es, unabhängig von ihrem Willen. Aber der unbestimmte Gedanke ist leer, und jedes Denken ohne Vorstellung ist unbestimmt. Nun frage ich dich: was hat in das Denken deines Schöpfers, der einzig ist und kein Äusserliches hat, oder dessen Äusserliches, wenn es nicht das reine Nichts sein soll, seine eigene Schöpfung ist; ich frage dich: was hat in das Denken dieses Schöpfers Vorstellung gebracht, Vorstellung von einzelnen, bestimmten, hinfälligen Wesen? Hat er seine Begrifft erschaffen, hat er sie bestimmt, bevor sie waren, durch sein Vermögen Begriffe haben zu können? Und die Willensfälligkeit, der Wille dieses Wesens, der weder die Quelle noch die Folge seines Verstandes, und der nichtsdestoweniger verständig ist, der kommt, ich weiss nicht woher, und geht, ich weiss nicht wohin: was ist er, wie ist er, und was will er? Kurz, und um alles in eine Frage zu fassen: ist dein Schöpfer sein Sein dem Denken und Wollen, oder ist er das Denken und Wollen seinem Sein schuldig? Du wirst mir vielleicht antworten: diese Frage sei lächerlich, und in Gott sei Gedanke, Wille und Sein nur eine und dieselbe Sache. Ich bin ganz deiner Meinung, mit diesem einzigen Unterschiede, dass, was du Willen nennst, bei mir das immer wirkende Vermögen heisst, und dass ich es auch für gar nichts anders halte. Wir sind also einig. Aber so lass mich denn auch weiter nichts von einem Willen hören, der die Wirksamkeit zurechtweiset; noch von einem Verstande, der allem vorsteht, und dem die erste Ursache selbst unterworfen [121] und doch auch nicht, unterworfen wäre; welches in jedem Sinne der höchste Grad des Ungereimten ist.

»Erhitze dich nicht, lieber Spinoza, sondern lass uns nur geschwinde sehen, wo wir mit allem diesem hingeraten werden. Ich will es mit deinen Sätzen machen, wie du es mit den meinigen gemacht hast, und dich lediglich fragen: wie du es anfängst, um nach deinem Willen zu handeln, wenn dein Wille nichts als eine Folge deiner Wirksamkeit, und sogar, wie du mir sagtest, eine mittelbare Folge davon ist? Ich setze voraus, dass du das Faktum mir zugibst, ohne andern Beweis. Denn verlangen, dass man das Vermögen des Menschen zu wollen beweise, heisst verlangen, dass man desselben Dasein beweise. Weisem Dasein nicht fühlt, wenn er Vorstellungen von Dingen ausser ihm erhält und wer sein Vermögen zu wollen nicht empfindet, wenn er handelt oder begehrt, ist etwas anders als ein Mensch, und man kann über sein Wesen nichts entscheiden.« 45

Sp. Über mein Wesen magst du wie du willst entscheiden, aber soviel weiss ich zuverlässig, dass ich kein Vermögen zu wollen besitze, ob ich gleich meine besonderen Willensbestimmungen und meine einzelnen Begierden habe, so gut wie ein anderer. Dein Vermögen zu wollen ist ein blosses Vernunftwesen, das sich zu diesem oder jenem besonderen Wollen verhält, wie die Tierheit zu deinem Hunde oder Pferde; oder wie Mensch sich verhält zu dir und mir. Mittels dieser metaphysischen und eingebildeten Wesen bringt ihr alle eure Irrtümer zuwege. Ihr wähnt Fähigkeiten, zu handeln oder nicht zu handeln, nach einem gewissen, [122] ich weiss nicht was, das gar nichts ist. Durch diese Fähigkeiten, die ihr Vermögen, Vermögen zu vermögen usw. nennt, lasst ihr etwas aus dem Nichts entstehen, ohne dass man es gewahr wird; und indem ihr dabei behutsam das grobe Wort vermeidet, erregt ihr die Bewunderung der Sophisten und ärgert nur den wahren Forscher. Von allen diesen Vermögen und Vermögen zu vermögen, ist kein einziges, dem nicht das Dasein entgegenstände. Das bestimmte Wesen ist auf gleiche Weise in allen seinen Wirkungen bestimmt. Es gibt keine Kraft, die nicht wirksam, und die es nicht in jedem Augenblicke wäre. Die Kräfte wirken nach dem Grade ihrer Realität, ohne jemals sich zu unterbrechen.

»Ich bitte dich, Spinoza, antworte auf meine Frage!«

Sp. Denkst du, ich suche ihr auszuweichen? Hier ist meine Antwort. Ich handle bloss gemäss meinem Willen, so oft es geschieht, dass meine Handlungen ihm entsprechen, aber es ist nicht mein Wille, was mich handeln macht. Die entgegengesetzte Meinung kommt daher, dass wir sehr wohl wissen, was wir wollen und verlangen; aber nicht wissen, was uns wollen und verlangen macht. Wegen dieser Unwissenheit glauben wir unser Wollen hervorzubringen durch den Willen selbst, und gehen oft soweit, ihm selbst unsere Begierden zuzuschreiben.

»Ich verstehe dich nicht ganz. Du weisst, es gibt über das, was den Willen bestimmt, drei Systeme: das System der Indifferenz oder des Gleichgewichts, welches man das System der Freiheit heissen sollte: das Systema Optimi, von der Wahl des Besten oder der moralischen Notwendigkeit: und das System der [123] physischen Notwendigkeit oder des Fatalismus. Für welches von diesen dreien erklärst du dich?«

Sp. Für keins derselben, aber das zweite darunter dünkt mir das schlechteste.

»Ich bin für das erste. Aber warum hältst du das zweite für das schlechteste?«

Sp. Weil es die Endursachen voraussetzt, deren Lehre wahrer Unsinn ist.

»Die Wahl des Bessern oder die moralische Notwendigkeit gebe ich dir preis, weil sie die Freiheit aufhebt. Was aber die Endursachen betrifft, so behaupte ich meinesteils, dass es wahrer Unsinn ist, sie zu verwerfen.«

Sp. Du kannst mir das eine nicht preisgeben ohne das andre. Du gestehest ein, dass die Natur jedes einzelnen Dinges die Erhaltung dieses einzelnen Dinges zum Gegenstande hat; dass jedes Ding sein Wesen zu erhalten strebt; und dass eben dieses Streben das ist, was wir seine Natur nennen. Du wirst ferner eingestehen, dass das Individuum sich nicht aus irgendeinem erkannten Grunde, oder zu einem gewissen Zwecke zu erhalten sucht, sondern dass es sich zu erhalten sucht,allein um sich zu erhalten, und weil dies seine Natur, oder die Kraft, mit welcher es das ist, was es ist, so verlangt. Dieses Streben nennen wir den natürlichen Trieb; und Begierde, insofern es von Gefühl begleitet ist, so dass die Begierde nichts anders ist, als das Streben des einzelnen Dinges nach dem, was zur Erhaltung seines Wesens dienen kann, begleitet vom Gefühle dieses Strebens. Was der Begierde des einzelnen Dinges entspricht, nennt es gut, und was ihrentgegen ist, böse. Aus der Begierde oder dem mit Bewusstsein verknüpften Triebe also entspringt [124] unsre Kenntnis des Guten und Bösen, und es ist eine handgreifliche Ungereimtheit, sich das Gegenteil einzubilden, und die Ursache von ihrer Wirkung herzuleiten. Was den Willen betrifft, so ist auch er nichts anders als der Trieb oder die Begierde, insofern dieselben bloss als Vorstellungen oder allein im denkenden Wesen vorhanden sind. Er ist also nichts als der mit der Begierde beschäftigte Verstand. Der Verstand (welcher nichts als die Seele selbst ist, insofern sie klare und deutliche Begriffe hat), indem er die verschiedenen Modifikationen des Strebens oder der Begierde des einzelnen Dinges betrachtet, welche sich nach der Zusammensetzung seines Wesens, und nach seinen Verhältnissen zu andern einzelnen Dingen richten, entscheidet über ihre Harmonie oder Disharmonie mit der besondern Natur des einzelnen Dinges, soweit er dieselbe wahrzunehmen imstande ist. Aber seine Handlung, die nur im Bejahen oder Verneinen besteht, bestimmt so wenig die Handlungen des einzelnen Dinges, als seine anderen Entscheidungen oder Urteile, sie seien, welche sie wollen, die Natur der Dinge bestimmen.

»Was du da sagst, verblendet eben nicht durch seine Klarheit. Soviel ist indessen offenbar, du leugnest alle Freiheit und bist ein Fatalist, obgleich du vorhin dieses von dir ablehntest.«

Sp. Ich bin fern, alle Freiheit zu leugnen, und weiss, dass der Mensch seinen Teil davon bekommen hat. Aber diese Freiheit bestehet nicht in einem erträumten Vermögen, wollen zu können, weil das Wollen nur in dem wirklich vorhandenen bestimmten Willen da sein kann. Einem Wesen ein Vermögen, wollen zu können, zuschreiben, ist ebenso, als wenn man ihm ein Vermögen [125] dasein zu können zuschriebe, kraft dessen es von ihm abhinge, sich das wirkliche Dasein zu verschaffen. Die Freiheit des Menschen ist das Wesen des Menschen selbst; das ist der Grad seines wirklichen Vermögens oder der Kraft, mit welcher er das ist, was er ist. Insofern er allein nach den Gesetzen seines Wesens handelt, handelt er mit vollkommener Freiheit. Gott, welcher nur aus dem Grunde handelt und handeln kann, aus dem er ist, und der nur durch sich selbst ist, besitzt demnach die absolute Freiheit. Dieses ist meine wahre Meinung über diesen Gegenstand. Was den Fatalismus betrifft, so entschlage ich mich desselben nur insoweit, als man ihn auf den Materialismus gegründet hat, oder auf die ungereimte Meinung, dass das Denken nur eine Modifikation der Ausdehnung sei, wie Feuer, Licht usw., da es doch ebenso unmöglich ist, dass das Denken von der Ausdehnung herrühre, als die Ausdehnung von dem Denken. Beide sind ganz verschiedene Wesen, ob sie gleich zusammen nur ein Ding ausmachen, wovon sie die Eigenschaften sind. Das Denken, wie ich schon gesagt habe, ist das Bewusstsein: folglich muss alles, was in der Ausdehnung vorgeht, gleichfalls in dem Denken vorgehen, und jedes eigentliche Individuum ist nach Massgabe seiner Mannigfaltigkeit und Einheit, oder nach dem Grade derjenigen Kraft beseelt, womit es das ist, was es ist. In dem einzelnen Dinge ist das Denken notwendig mit Vorstellungen verknüpft, weil es unmöglich ist, dass das einzelne Ding das Gefühl seines Seins habe, wenn es nicht das Gefühl seiner Verhältnisse hat.

»Was du vom Fatalismus annimmst, ist mir genug, denn man braucht nicht mehr, um darzutun, dass sich die Peterskirche zu Rom selbst gebauet hat; dass die[126] Entdeckungen Newtons durch seinen Leib gemacht worden sind, und dass bei allem dem die Seele nur das Zusehen hat. Weiter folgt daraus, dass jedes einzelne Ding nur von einem andern einzelnen Dinge hervorgebracht werden konnte; dieses wiederum von einem andern und so fort bis ins Unendliche. Gleichwohl bedarfst du einer ersten Ursache, und eines bestimmten Augenblickes ihrer Wirkung. Du erinnerst dich meiner vorhin angeführten Sätze. Wirst du endlich auf den Hauptpunkt derselben antworten?«

Sp. Ich werde darauf antworten, sobald ich mich über deine Peterskirche und deine Entdeckungen Newtons erklärt habe. Die Peterskirche zu Rom hat sich nicht selbst gebaut; alles was das ganze Universum von körperlicher Ausdehnung enthält, hat dazu beigetragen. Was die Entdeckungen des Newton betrifft, so gehen diese nur das denkende Vermögen an...

»Gut! Aber das modifizierte Denken, welches du Seele nennst, ist nichts als die Idee oder der Begriff des Körpers, oder der Körper selbst von der Seite des Denkens angesehen. Die Seele Newtons hat also ihre Art von dem Körper Newtons. Also hat sein Körper, ob er gleich nicht dachte, die Entdeckungen gemacht, die von seiner Seele angeschaut, begriffen, empfunden oder gedacht worden sind.«

Sp. Ungeachtet du der Sache ein etwas schiefes Ansehen gibst, will ich dir deine Schlüsse hingehen lassen, wenn du nur eingedenk sein willst, dass nicht weniger als das ganze Universum dazu gehört, um dem Körper des Newton in allen seinen Momenten die Art zu geben, und dass die Seele den Begriff ihres Körpers nur durch den Begriff von dem, was ihm seine Art verschafft, erhält. Diese wichtige Bemerkung wird die [127] Einbildungskraft nicht abhalten, sich gegen die Wahrheit, welche ich behaupte, aufzulehnen. Sage einem Menschen, der nicht Geometer ist, dass ein begrenztes Viereck einem unbegrenzten Raume gleich sei. Nach dem Beweise davon wird er betroffen dastehen, und dennoch von seiner Verwirrung durch tiefes Nachdenken endlich sich losmachen. 46 Es wäre nicht unmöglich, selbst die Einbildungskraft bis auf einen gewissen Grad mit meiner Lehre zu versöhnen, wenn man es auf die rechte Weise angriffe, und den allmählichen Fortschritt zeigte, der vom Triebe des Wilden, welcher den Baum oder die Höhle, die ihn beschirmt hatten, wieder sucht, bis zur Erbauung einer Peterskirche leitet. Man überdenke die so verwickelte Einrichtung der Staatskörper, und finde aus, was sie zu einem Ganzen machte; je mehr man darüber tief und immer tiefer nachdenkt, desto mehr wird man nur blinde Triebfedern, und die ganze Handlungsweise einer Maschine wahrnehmen; aber freilich einer Maschine von der ersten Hand, wo die Kräfte sich selbst nach eigenem Bedürfnisse und dem Grade ihrer Energie zusammensetzen; wo alle Springfedern das Gefühl ihrer Wirkung haben, welches sie durch gegenseitiges Bestreben einander in einer notwendig unendlichen Stufenfolge mitteilen. Dasselbige gilt von den Sprachen, deren vollständiger Bau ein Wunder scheint und deren keine doch mit Hilfe der Grammatik wurde. Wenn wir genau zusehen, so finden wir, dass in allen Dingen die Handlung vor der Überlegung vorhergeht,die nur die Handlung im Fortgange ist. Kurz, wirwissen, was wir tun und weiter nichts.

Nun zu deinem Hauptsatze. Du behauptest, dass man [128] von Ursache zu Ursache nicht ins Unendliche fortgehen kann, sondern dass es einen bestimmten Augenblick, einen Anfang der Handlung von Seiten einer ersten und reinen Ursache geben muss. Ich behaupte im Gegenteil, das man von Ursache zu Ursache nicht anders als ins Unendliche fortgehen, das ist: keinen absoluten, reinen Anfang einer Handlung annehmen kann, ohne anzunehmen, dass das Nichts etwas hervorbringe. Diese Wahrheit, die, um gefasst zu werden, nur vorgetragen werden darf, ist zugleich des strengsten Beweises fähig. Die erste Ursache ist also keine Ursache, zu der man durch sogenannte Mittelursachen hinaufsteigen kann: sie ist ganz und gar inwohnend, gleich wirksam in jedem Punkte der Ausdehnung und der Dauer. Diese erste Ursache, welche wir Gott oder die Natur nennen, wirkt aus dem nämlichen Grunde, aus dem sie ist; und da es unmöglich ist, dass es einen Grund oder eine Absicht ihres Daseins gebe, so ist es ebenfalls unmöglich, dass es einen Grund oder eine Absicht ihrer Handlungen gebe.


Ich lasse hier den Spinoza, ungeduldig mich in die Arme des erhabenen Mannes zu werfen, der gesagt hat, 47 dass ein einziges Verlangen der Seele, welches in ihr von Zeit zu Zeit sich nach dem Bessern, dem Zukünftigen und Vollkommenen offenbart, mehr als ein mathematischer Beweis der Gottheit ist. Die ganze Stärke meiner Aufmerksamkeit ist seit einiger Zeit nach diesem Gesichtspunkte hingerichtet, welchen man den Gesichtspunkt des Glaubens nennen könnte. Sie wissen, was Plato den Freunden Dions schrieb: Quod ad res divinas intelligendas facit, nullo pacto verbis [129] exprimi potest, quemadmodum ceterae disciplinae: sed ex diuturna circa id ipsum consuetudine, vitaeque ad ipsum conjunctione, subito tandem quasi ab igne micante lumen refulgens in anima se ipsum jam alit. Sie sagen ohngefähr dasselbe im Aristée: 48 nämlich, »dass die Überzeugung des Gefühls, wovon alle andre Überzeugung nur abgeleitet ist, in dem Wesen selbst entsteht, und nicht kann mitgeteilet werden.« Aber das Gefühl, welches dieser Überzeugung zum Grunde liegt, muss es nicht in allen Menschen sich befinden; und sollte es nicht möglich sein, in denen, welche desselben beraubt zu sein scheinen, es mehr oder weniger freizumachen, wenn man die Hindernisse wegzuräumen suchte, die sich der Wirkung seiner Kraft entgegensetzen? Beim Nachdenken über diesen Gegenstand hat es mir geschienen, als wenn die Materie von der Gewissheit, die noch nicht genug ergründet worden, auf eine Weise behandelt werden könnte, welche uns zu neuen Grundsätzen führte. Ich will durch Auseinandersetzung meiner Betrachtungen über diesen Gegenstand Ihre Geduld nicht missbrauchen. Nicht um Sie zu unterrichten, sondern Unterricht von Ihnen zu begehren, nahm ich die Feder in die Hand. Möchten Sie die Belehrung, die ich wünsche, mir gewähren, und mit Gründen mich versehen, welche den Gründen des Spinoza gegen den Verstand und die Persönlichkeit der ersten Ursache, gegen den freien Willen und die Endursachen gewachsen wären. Ich habe mit reiner Metaphysik nie den Vorteil über sie gewinnen können. Dennoch ist es nötig, dass wir ihre Schwächen entdecken und solche darzutun imstande sind. Ohne das würden wir umsonst die Theorie des Spinoza, [130] in dem, was sie Positives hat, zugrunde richten; seine Anhänger liessen nicht ab, sondern verschanzten sich bis hinter die letzten Trümmer des gestürzten Lehrgebäudes, und setzten uns entgegen, dass wir eine offenbare Ungereimtheit lieber als das bloss Unbegreifliche annehmen wollten, und dass man auf diese Weise sich nicht als einen Philosophen zeigt.


*


Brief und Beilage schickte ich unversiegelt zur weiteren Beförderung an unsere Dame.

In den Erinnerungen hatte sich Mendelssohn beschwert, dass ich ihn bald hie, bald da aus dem Konzept, welches er sich vom Spinozismus gemacht hätte, herauswürfe; dass ihm viele Stellen in meinem Briefe schlechterdings unverständlich wären; dass er bei andern die Bündigkeit vermisste, mit welcher sie in mein System passten; dass er sich in einem Zirkel herumgeführt sähe: – und schien in gleichem Grade zu zweifeln, ob ich im Grunde des Herzens dem Atheismus, oder dem Christianismus ergeben sei.

Aus der ersten Beschwerde flossen nach meinem Urteile die übrigen miteinander; und solange wir über das, was Spinozismus sei, nicht einig waren, konnten wir nicht wider und nicht für die Sache streiten. Zur Bestimmung derselben glaubte ich von meiner Seite durch die Mitteilung meines an Hemsterhuis geschriebenen Briefes keinen ganz unwichtigen Beitrag geliefert zu haben. Dennoch war ich fest entschlossen, mich gegen Mendelssohn noch weiter zu erklären, aber ein Zusammenfluss von Hindernissen verzögerte die Ausführung meines Entschlusses.

Nachdem ich den ganzen Winter nichts von Mendelssohn vernommen hatte, sandte mir Emilie im Februar [131] die Abschrift eines eben von ihm eingelaufenen Briefes, welcher, wie sie sich ausdrückte, »zwar an sie, aber für mich geschrieben wäre.« Hier ist dieser Brief. 49


Berlin, den 28. Jan. 1785.


Teuerste Emilie!


Ich weiss in der Tat nicht, ob Herr Jacobi mir, oder ich ihm eine Antwort schuldig bin. Als er mir letzthin durch Sie sein Schreiben an Hemsterhuis in Abschrift zuschickte, versprach er mir noch eine besondere Antwort auf mein voriges Schreiben, sobald er das Bad verlassen und die dazu gehörige Müsse haben werde. Hat er mich seitdem vergessen? Dass ich ihn nicht vergesse, sondern immer noch in lebhaftem Andenken habe, hoffe ich ihm, so Gott will, durch ein vielleicht zwanzig und mehrere Bogen starkes Manuskript zu beweisen. Sehen Sie, teuerste Freundin! dahin haben Sie mich wider meinen Vorsatz gebracht. Ich wollte in langer Zeit wenig oder vielleicht gar nichts Metaphysisches mehr schreiben, und Sie sind es, die ich anzuklagen habe, wenn ich jetzt bis über den Kopf hinweg in transzendentale Spitzfindigkeiten versunken bin. Ich arbeite mit einer schneckenartigen Langsamkeit; denn meine Nervenschwäche leidet keine anhaltende Arbeit, und meine häuslichen Geschäfte verzehren den grössten Teil meiner Zeit und meiner Kräfte. Auch sind sie von heterogener Art, und im Grunde meiner Neigung so fremde, dass sie den Geist niederschlagen, das Herz in die Enge ziehen, und mich auch in den Erholungsstunden zu bessern Verrichtungen untüchtig machen. Ich kann also nicht sagen, wie bald meine Handschrift imstande sein werde, dem [132] Herrn Jacobi vorgelegt zu werden. Indessen tue ich das, was meine Kräfte erlauben, und ein mehreres erwarten weder Sie noch Herr Jacobi von einem ehrlichen Manne.

Sollte er wohl erlauben, dereinst von seinen philosophischen Briefen öffentlichen Gebrauch zu machen? Vor der Hand gehet zwar meine Untersuchung nicht den Spinozismus allein an, sondern ist eine Art von Revision der Beweise vom Dasein Gottes überhaupt. Ich lasse mich aber in der Folge auch auf die besonderen Gründe des spinozistischen Lehrgebäudes ein, und dabei wäre es mir von einer grossen Bequemlichkeit, und auch für viele Leser von grossem Nutzen, wenn ich mich des lebhaften Vertrags des Herrn Jacobi dabei bedienen, und ihn an Spinozas Statt sprechen lassen könnte. Ich wünschte dieses aber, wo möglich, bald zu erfahren, weil ich meinen Vortrag hiernach einrichten muss.

Indessen soll kein Blatt hiervon öffentlich erscheinen, das unser * * nicht gesehen und gebilligt hat usw.


*


Ich schrieb den Augenblick unmittelbar an Mendelssohn, um ihm den freien Gebrauch meiner Briefe zu gestatten, und versprach ihm unfehlbar auf den künftigen Monat die besondere Antwort, die er noch erwartete.

Gleich darauf überfiel mich eine Krankheit, von der ich Ende März erst zu genesen anfing. Ich meldete meiner Freundin diesen Aufenthalt, damit sie Mendelssohn Nachricht davon erteilen, und ihm zugleich, dass ich nun wirklich an der Arbeit sei, versichern möchte.

Den 21. April brachte ich meinen Aufsatz zu Ende[133] und schickte ihn den nächsten Posttag mit folgendem Briefe ab.


Düsseldorf, den 26. April 1785.


An Herrn Moses Mendelssohn.


Emilie wird auf mein Ersuchen Ihnen schon gemeldet haben, was für neue Hindernisse meine Antwort auf Ihre Erinnerungen abermals verzögerten. Ich bin nun desto ernstlicher darauf bedacht gewesen, in der Sache selbst Sie zu befriedigen. Nur den Eingang betreffend muss ich Sie noch bitten, dass Sie ja nicht glauben, ich hätte im Ernst Ihnen etwas übel genommen. – Ich verreise heute abend auf einige Tage nach Münster, und bin deswegen sehr beschäftigt und zerstreut, sonst hätte ich Ihnen gern noch ein und anderes über den Nutzen gesamt, den es haben könnte, wenn das Lehrgebäude des Spinoza in seiner wahren Gestalt, und nach dem notwendigen Zusammenhange seiner Teile öffentlich dargestellt würde. Ein Gespenst davon geht unter allerhand Gestalten seit geraumer Zeit in Deutschland um, und wird von Abergläubigen und Ungläubigen mit gleicher Reverenz betrachtet. Ich rede nicht allein von kleinen Geistern, sondern von Männern aus der ersten Klasse... Vielleicht erleben wir es noch, dass über den Leichnam des Spinoza sich ein Streit erhebt, wie jener über den Leichnam Moses zwischen dem Erzengel und Satanas... Über alles dieses mehr, wenn ich Ihre Antwort habe, und weiss, ob Sie sich über den Begriff von der Lehre des Spinoza mit mir vereinigen können; ein Zweifel, den ich kaum so nennen darf. – Verzeihen Sie diesen flüchtig hingeworfenen unordentlichen Brief; leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen.

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Beilage an den Herrn Moses Mendelssohn

Beilage an den Herrn Moses Mendelssohn, über desselben mir zugeschickte Erinnerungen

Ehe man nach Blössen suchen darf, muss des Gegners Klinge erst gefunden und gehalten sein. Sie suchten die meinige und schwangen Ihr Gewehr im Kreise, ohne Widerstand zu finden, denn da gegenüber war ich nicht. Ich will in der geraden stillen Wehre, worin ich stand, vor Sie hinrücken und mit einem nur geraden Stosse in Ihren Kreis den Ausfall wagen. Fängt Ihr Kreis meinen Stoss auf, dann erst sind wir im Gefechte.

Ohne Allegorie. Ihren Erinnerungen liegt von Anfang bis zu Ende eine Irrung zugrunde, die Sie unerörtert liessen. Da Ihr Begriff von der Lehre des Spinoza mit dem meinigen nicht übereinkam, so musste wenigstens einer von uns beiden diese Lehre unrecht fassen. Wenn es nun an sich auch nicht der Mühe wert war, zu untersuchen, oder vielmehr, wenn es gar nicht die Frage sein konnte, wer von uns beiden der irrende sei? so musste die Frage doch geliehen werden, sobald mir die Ehre widerfahren sollte, dass Sie über diese Materie sich mit mir einliessen. Diese Frage zu leihen [135] wäre um so billiger und unverfänglicher gewesen, da Sie über dem Lesen des gegenwärtigen Aufsatzes sich gewiss erinnern werden, wie sehr Ihnen die Schriften des Spinoza aus dem Gedächtnisse gekommen sind, wovon einiges Bewusstsein Ihnen doch auch damals schon beiwohnen musste. Genug, indem Sie unterliessen, durch eine Vergleichung mit der Urkunde Ihren Begriff von dem Spinozismus gegen den meinigen zu wägen, umgingen Sie die Sache selbst. Alles musste nun im Unbestimmten schwanken, an keiner Seite konnten Sie recht angreifen, viel weniger durchsetzen, der Nachdruck fehlte, weil der rechte Widerstand gebrach. Und mit wie vielerlei auf einmal kamen sie nicht ins Gemenge? Mit der innerlichen Unwahrheit Ihres eigenen Begriffes, oder mit dem Falschen in der Sache selbst nach ihrer Vorstellung davon, mit der innerlichen und mit der angenommenen äusserlichen Unwahrheit des meinigen; hernach mit dem, was Lessing und mir besonders zugehörte, oder so genommen werden mochte. So vielerlei und so Verschiedenes, und da es unaufhörlich ineinander sich verlieren musste, konnte Ihre Streitschrift nicht anders als sehr verwickelt werden lassen. 50 Darum, je [136] länger und je mehr ich es erwäge, wenn wir etwas fördern, und, wo nicht auseinander, zum wenigsten doch aneinander kommen wollen, müssen wir vor allen Dingen die Hauptsache, die Lehre des Spinoza selbst ins klare setzen. So dachte ich nach dem ersten Lesen Ihrer Erinnerungen, und hielt deswegen eine Abschrift meines Briefes an Hemsterhuis vorläufig für die beste Antwort. So denke ich noch, und will nun von demselben Lehrgebäude hier von neuem eine Darstellung versuchen, an die ich alle meine Geisteskräfte zu setzen, und weder Mühe noch Geduld dabei zu schonen fest entschlossen bin. 51 Ich fange an.

I. Allein Werden muss ein Sein, welches nicht geworden ist, zugrunde liegen; allem Entstehenden etwas nicht Entstandenes; allem Veränderlichen ein unveränderliches Ewiges.

II. Das Werden kann ebensowenig geworden sein oder angefangen haben, als das Sein, oder das Bestehende in sich selbst, das ewig Unveränderliche, das[137] Beharrende im Wandelbaren, wenn es je, ohne Wandelbares, für sich allein gewesen wäre, würde nie ein Werden hervorgebracht haben, weder in sich noch ausser sich, indem beides auf gleiche Weise ein Entstehen aus dem Nichts voraussetzt.

III. Von Ewigkeit her ist also das Wandelbare bei dem Unwandelbaren, das Zeitliche bei dem Ewigen, das Endliche bei dem Unendlichen gewesen, und wer ein Beginnen des Endlichen annimmt, der nimmt ein Entstehen aus dem Nichts an. 52

IV. Wenn das Endliche von Ewigkeit her bei dem Unendlichen war, so kann es nicht ausser demselben sein; denn wenn es ausser demselben wäre, so wäre es entweder ein andres für sich bestehendes Wesen, oder es wäre von dem bestehenden Dinge aus nichts hervorgebracht worden.

V. Wäre es aus dem bestehenden Dinge aus nichts hervorgebracht worden, so müsste die Kraft oder die Bestimmung, wodurch es von dem unendlichen Dinge aus nichts wäre hervorgebracht worden, ebenfalls aus nichts entstanden sein; denn in dem unendlichen, ewigen, unwandelbaren Dinge ist alles unendlich, unwandelbar und ewig wirklich. Eine Handlung, die das unendliche Wesen erst begönne, könnte nicht anders als nach Ewigkeiten begonnen werden, und die [138] Bestimmung dazu könnte aus sonst nichts hervorgehen, als aus dem Nichts. 53

[139] VI. Das Endliche ist also in dem Unendlichen, so dass der Inbegriff aller endlichen Dinge, wie er in jedem Momente die ganze Ewigkeit, Vergangenes und Zukünftiges auf gleiche Weise in sich fasst, mit dem unendlichen Dinge selbst ein und dasselbe ist.

VII. Dieser Inbegriff ist keine ungereimte Zusammensetzung endlicher Dinge, die ein Unendliches ausmachen; sondern der strengsten Bedeutung nach, ein Ganzes, dessen Teile nur in und nach ihm sein, nur in und nach ihm gedacht werden können. 54 [140] VIII. Was in einem Dinge der Natur nach eher ist, das ist es darum nicht der Zeit nach. Die körperliche Ausdehnung ist, der Natur nach, vor dieser oder jener [141] Weise derselben, ob sie gleich nie für sich, ohne diese oder jene bestimmte Weise, das ist der Zeit nach oder ausser dem Verstande, vor ihr da sein kann. [142] Ebenso das Denken, das seiner Natur nach eher als diese oder jene Vorstellung ist, und doch nicht anders, als auf irgendeine bestimmte Weise, das ist der [143] Zeit nach, mit dieser oder jener Vorstellung zugleich wirklich sein kann.

IX. Folgendes Beispiel mag die Sache mehr erläutern, und uns zu einem deutlichen Begriffe von derselben führen.

Nehmen wir von den sogenannten vier Elementen, Wasser, Erde, Luft und Feuer an, dass alle Weisen der Ausdehnung auf sie zurückgeführt werden können und sich in denselben endigen. Nun Hesse sich die körperliche Ausdehnung im Wasser gedenken, ohne dass sie Feuer, im Feuer, ohne dass sie Erde, in der Erde, ohne dass sie Luft wäre usw. Keine dieser Weisen aber wäre für sich, ohne die körperliche Ausdehnung vorauszusetzen, gedenkbar, und sie wäre demnach in jedem dieser Elemente der Natur nach das Erste, das eigentliche Reale, das Substanzielle, die Natura naturans.

X. Das Erste – nicht in den ausgedehnten, nicht in den denkenden Dingen allein, – sondern, was das Erste ist in den einen wie in den andern, und auf gleiche Weise in allen Dingen: – das Ur-Sein, das allgegenwärtige unwandelbare Wirkliche, welches selbst keine Eigenschaft sein kann, sondern an dem alles andre nur Eigenschaft ist, die es hat; dieses einzige unendliche Wesen aller Wesen nennt Spinoza Gott, oder die Substanz.

XI. Dieser Gott gehört also nicht zu irgendeiner Art der Dinge, und er ist kein abgesondertes, einzelnes verschiedenes Ding. 55 So kann ihm auch keine von [144] denen Bestimmungen zukommen, welche einzelne Dinge unterscheiden, ebensowenig ein eigenes besonderes Denken und Bewusstsein, als eine eigene besondere [145] Ausdehnung, Figur, Farbe, oder was sonst genannt werden mag, das nicht blosser Urstoff, reine Materie, allgemeine Substanz ist.

XII. Bestimmung ist Negation; also gehört die Bestimmung nicht zu dem Dinge in bezug auf sein Wesen (50. Brief). Die einzelnen Dinge also, insofern sie nur auf eine gewisse bestimmte Weise da sind, sind die non-entia, und das unbestimmte unendliche Wesen ist das einzige wahrhafte ens reale, hoc est, est omne esse, et praeter quod nullum datur esse (das reale Wesen, d.h. das ganze Wesen, ausser welchem es ein Wesen nicht gibt).

XIII. Damit die Sache noch deutlicher werde, der nun eintretende schwierige Punkt von dem Verstande Gottes sich von selbst ins Licht stelle und alle Zweideutigkeit verliere, wollen wir den Schleier von Terminologie, worin Spinoza sein Lehrgebäude zu vermummen für gut fand, an irgendeinem hervorstehenden Ende zu fassen suchen, und ihn gerade in die Höhe heben.

XIV. Nach Spinoza sind eine unendliche Ausdehnung und ein unendliches Denken Eigenschaften Gottes. Beide machen zusammen nur ein unzertrennliches Wesen aus 56, so dass es gleichgültig ist, unter [146] welcher von diesen beiden Eigenschaften man Gott betrachtet, indem die Ordnung und der Zusammenhang der Begriffe einerlei ist mit der Ordnung und dem Zusammenhange der Dinge, und alles was sich aus der unendlichen Natur Gottes formaliter ergibt, sich auch objektive aus derselben ergeben muss, und vice versa. 57

XV. Die einzelnen veränderlichen körperlichen Dinge sind Modi der Bewegung und Ruhe in der unendlichen Ausdehnung. 58

XVI. Bewegung und Ruhe sind die unmittelbaren Modi selbst der unendlichen Ausdehnung, 59 und mit ihr gleich unendlich, unveränderlich und ewig. 60 [147] Diese beiden Modi zusammen machen die wesentliche Form aller möglichen körperlichen Gestalten und Kräfte aus; sie sind das a priori von denselben.

XVII. Auf die zwei unmittelbaren Modi der unendlichen Ausdehnung beziehen sich zwei unmittelbare Modi des unendlichen absoluten Denkens: Wille und Verstand. Sie enthalten objektive, was jene formaliter enthalten, und sind respektive, vor allen einzelnen Dingen, sowohl der ausgedehnten, als der denkenden Natur.

XVIII. Vor dem unendlichen Willen und Verstande ist das unendliche absolute Denken, welches allein der Naturae naturanti (der wirkenden Natur) zukommt, sowie der unendliche Wille und Verstand der Naturae naturatae (der gewirkten Natur). 61

XIX. Die Natura naturans, also Gott, insofern er als eine freie Ursache betrachtet wird, oder die unendliche Substanz, depositis affectionibus, et in se considerata, hoc est, vere considerata (nach Fortfall aller [148] Erregungen, an sich d.i. richtig betrachtet), hat weder Willen noch Verstand, so wenig einen unendlichen als einen endlichen. 62

XX. Wie nun diese verschiedenen Dinge ineinander und zugleich, und dennoch der Natur nach, vor-und nacheinander sein können, wird, nachdem was hierüber vorhin gesagt worden, keiner neuen Erläuterung bedürfen.

XXI. Auch wird es nun wohl klar genug erwiesen sein, dass so wenig es ausser den einzelnen körperlichen Dingen noch eine besondre unendliche Bewegung und Ruhe nebst einer besondern unendlichen[149] Ausdehnung geben kann, es ebensowenig, nach den Grundsätzen des Spinoza, ausser den denkenden endlichen Dingen, noch einen besondern unendlichen Willen und Verstand, nebst einem besondern unendlichen absoluten Denken geben könne.

XXII. Damit aber nicht ein Schatten von Zweifel, keine mögliche Instanz mehr übrig bleibe, wollen wir auch einen Blick noch auf Spinozas Lehre von demendlichen Verstande werfen. Ich setze überall, aber vornehmlich hier, meinen Brief an Hemsterhuis zum voraus, weil ich dort, wo ich nur Inhalt der Lehre vorzutragen hatte, über manches fasslicher sein konnte.

XXIII. Der endliche Verstand, oder das Modificatum modificatione des unendlichen absoluten Denkens entspringt aus dem Begriffe eines wirklich vorhandenen einzelnen Dinges. 63

[150] XXIV. Das einzelne Ding kann ebensowenig die Ursache seines Begriffes, als der Begriff die Ursache des einzelnen Dinges sein; oder das Denken kann ebenso [151] wenig von der Ausdehnung herrühren, als die Ausdehnung vom Denken. Beide, Ausdehnung und Denken, sind zwei ganz verschiedene Wesen, aber nur in einem Dinge; das ist, sie sind ein und dasselbe Ding, [152] unum et idem, welches nur unter verschiedenen Eigenschaften angesehen wird.

XXV. Das absolute Denken ist das reine unmittelbare absolute Bewusstsein in dem allgemeinen Sein, dem Sein κατ' εξοχην, oder der Substanz. 64

XXVI. Da wir von den Eigenschaften der Substanz, ausser dem Denken, nur die einzige Vorstellung der körperlichen Ausdehnung haben, so halten wir uns auch allein daran, und sagen: da mit der Ausdehnung Bewusstsein unzertrennlich verknüpft ist, so muss alles, was in der Ausdehnung vorgeht, auch im Bewusstsein vorgehen.

XXVII. Das Bewusstsein einer Sache nennen wir[153] ihren Begriff, und dieser Begriff kann nur ein unmittelbarer Begriff sein.

XXVIII. Ein unmittelbarer Begriff, in und für sich allein betrachtet, ist ohne Vorstellung.

XXIX. Vorstellungen entstehen aus mittelbaren Begriffen und erfordern mittelbare Gegenstände, das ist: wo Vorstellungen sind, da müssen mehrere einzelne Dinge sein, die sich aufeinander beziehen; da muss sich mit dem Innerlichen auch ein Ausserliches darstellen.

XXX. Der unmittelbare, direkte Begriff eines wirklich vorhandenen einzelnen Dinges wird der Geist, die Seele (mens) desselben einzelnen Dinges genannt; das einzelne Ding selbst, als der unmittelbare direkte Gegenstand eines solchen Begriffes heisst der Leib. 65

XXXI. In diesem Leibe empfindet die Seele alles andre, was sie ausser ihrem Leibe selbst gewahr wird, und sie wird es nicht anders gewahr, als mittels der Begriffe von den Beschaffenheiten, die der Leib davon annimmt. Wovon also der Leib keine Beschaffenheiten annehmen kann, das kann auch die Seele gar nicht gewahr werden. 66

[154] XXXII. Hingegen kann die Seele auch ihren Leib nicht gewahr werden, sie weiss nicht, dass er da ist, und erkennet auch sich selbst nicht anders, als mittels der Beschaffenheiten, die der Leib von Dingen, die sich ausser ihm befinden, annimmt, und mittels der Begriffe von denselben. 67 Denn der Leib ist ein auf gewisse Weise bestimmtes einzelnes Ding, welches nur nach, mit, und unter andern einzelnen Dingen zum Dasein gelangen; nur nach, mit, und unter ihnen sich im Dasein erhalten kann: es kann also sein Innerliches ohne Äusserliches nicht bestehen; das ist: der Leib kann ohne eine mannigfaltige Beziehung auf andre äusserliche Dinge, und dieser Dinge wieder auf ihn, – er kann ohne eine immerwährende Veränderung von Beschaffenheiten weder da sein, noch, als wirklich vorhanden, gedacht werden.

XXXIII. Der unmittelbare Begriff von dem unmittelbaren Begriffe des Leibes, macht das Bewusstseinder Seele aus, und dieses Bewusstsein ist mit der Seele auf dieselbige Weise vereinigt, wie die Seele mit dem Leibe vereinigt ist. Nämlich: der Seele Bewusstsein drückt eine gewisse bestimmte Form eines Begriffes aus, wie der Begriff selbst eine gewisse bestimmte Form eines einzelnen Dinges ausdrückt. 68 Das einzelne Ding aber, sein Begriff, und der Begriff von diesem Begriffe sind ganz und gar ein und dasselbige Ding (unum et idem), [155] welches nur unter verschiedenen Eigenschaften und Beschaffenheiten angesehen wird. 69

XXXIV. Da die Seele nichts anders als der unmittelbare Begriff des Leibes, und mit ihm ein und dasselbige Ding ist, so kann die Vortrefflichkeit der Seele auch nie eine andre sein, als die Vortrefflichkeit ihres Leibes. 70 Die Fähigkeiten des Verstandes sind nichts anders, als die Fähigkeiten des Körpers nach[156] der Vorstellung oder objective; die Entschlüsse des Willens auf dieselbige Weise sind nur Bestimmungen des Körpers. 71 Auch das Wesen der Seele ist nichts anders, als das Wesen ihres Körpers objective. 72

XXXV. Jedes einzelne Ding setzt andere einzelne Dinge voraus, bis ins Unendliche, und keines kann aus dem Unendlichen unmittelbar entspringen. 73 Da nun die Ordnung und der Zusammenhang der Begriffe, mit der Ordnung und dem Zusammenhange der Dinge einerlei ist, so kann auch ein Begriff von einem einzelnen Dinge nicht unmittelbar aus Gott entspringen, 74 sondern er muss auf dieselbige Weise [157] wie jedes einzelne körperliche Ding zum Dasein gelangen, und kann nicht anders als mit einem bestimmten körperlichen Dinge zugleich vorhanden sein.

XXXVI. Die einzelnen Dinge entspringen mittelbar aus dem Unendlichen, oder sie werden von Gott hervorgebracht, vermöge der unmittelbaren Affektionen oder Beschaffenheiten seines Wesens. Diese aber sind mit Gott gleich ewig und unendlich, und er ist ihre Ursache auf dieselbige Weise, wie er die Ursache seiner selbst ist. Die einzelnen Dinge entspringen daher aus Gott (unmittelbar) nur auf eine ewige und unendliche, nicht auf eine vorübergehende endliche und vergängliche Weise; denn so entspringen sie, bloss eins aus dem andern, indem sie gegenseitig sich erzeugen und zerstören, und in ihrem ewigen Dasein darum nicht weniger unwandelbar verharren.

XXXVII. Dasselbe gilt von den Begriffen der einzelnen Dinge; nämlich, sie werden von Gott auf keine andre Weise hervorgebracht, und sind in dem unendlichen Verstande auf keine andre Weise da, als wie die körperlichen Gestalten, mittelst der unendlichen Bewegung und Ruhe, alle zugleich, und immer eben wirklich, in der unendlichen Ausdehnung vorhanden sind. 75

[158] XXXVIII. Von einem einzelnen wirklich vorhandenen, oder durchaus bestimmten Dinge kann also kein Begriff in Gott vorhanden sein, insofern derselbe unendlich ist, sondern er ist in demselben nur vorhanden, und wird von ihm hervorgebracht, indem ein solches einzelnes Ding gegenwärtig in ihm entsteht, und mit demselben sein Begriff; das ist, dieser Begriff ist nur einmal mit dem einzelnen Dinge zugleich vorhanden, und ist ausserdem gar nicht in Gott vorhanden,[159] weder mit dem einzelnen Dinge zugleich, noch vor oder nach ihm. 76

XXXIX. Alle einzelnen Dinge setzen sich gegenseitig [160] einander voraus, und beziehen sich aufeinander, so dass eines davon ohne alle die übrigen, und alle die übrigen ohne dies eine, weder sein noch gedacht werden können; d.h. sie machen zusammen ein unzertrennliches Ganzes aus, oder richtiger und eigentlich: sie sind in einem schlechterdings unteilbaren unendlichen Dinge, und auf keine andre Weise, da und beisammen. 77

XL. Das schlechterdings unteilbare Wesen, in welchem die Körper da und beisammen sind, ist die unendliche absolute Ausdehung.

XLI. Das schlechterdings unteilbare Wesen, in welchem alle Begriffe da und beisammen sind, ist das unendliche absolute Denken.

XLII. Beide gehören zu dem Wesen Gottes und sind in demselben begriffen. Darum kann Gott, distinctive, so wenig ein ausgedehntes körperliches Ding, als ein denkendes genannt werden, sondern dieselbige Substanz ist ausgedehnt und zugleich auch denkend. Oder mit noch andern Worten: es liegt keiner von den Eigenschaften Gottes ein besonderes verschiedenes Reale zum Grunde, so dass sie als ausser einander seiende Dinge, deren jedes für sich ein eigenes Dasein hätte, angesehen werden könnten; sondern alle sind nur [161] Realitäten, oder substanzielle, wesenhafte Ausdrücke eines und desselben reellen Dinges; jenes transzendentalen Seins nämlich, welches schlechterdings nur ein einziges sein kann, und in dem alles notwendig sich durchdringen und schlechterdings zu Einem werden muss.

XLIII. Der unendliche Begriff Gottes also, sowohl von seinem Wesen, als von allem, was aus seinem Wesen notwendig folgt, ist nur ein einziger unteilbarer Begriff. 78

XLIV. Dieser Begriff, da er einzig und unteilbar ist, muss also, wie im ganzen, so auch in jedem Teile sich befinden, oder der Begriff eines jeden Körpers, oder einzelnen Dinges, es sei, was es wolle, muss das unendliche Wesen Gottes in sich fassen, vollständig und vollkommen. 79

Hiemit sei meine Darstellung geschlossen. Mittelst[162] derselben und dem Briefe an Hemsterhuis glaube ich auf alles Wesentliche in Ihrem Aufsatze hinlänglich geantwortet zu haben und will nun ein paar Stellen, die mich selbst betreffen und die ich nicht, wie manche andre, stillschweigend übergehen darf, noch zum Beschlusse vornehmen.

Sie sagen: »Ich übergehe eine Menge von witzigen Einfällen, mit welchen unser Lessing Sie in der Folge unterhalten, und von denen es schwer ist, zu sagen, ob sie Schäkerei oder Philosophie sein sollen... Von der Art ist alles, wie Sie ihn S. 24, 25 sagen lassen. Seine Begriffe von der Ökonomie der Weltseele, von den Entelechien des Leibniz, die bloss Effekt des Körpers sein sollen, seine Wettermacherei, seine unendliche Langeweile und dergleichen Gedankenschwärmer, die einen Augenblick leuchten, prasseln und dann verschwinden.«

In meinem Briefe steht: Lessing habe von der Weltseele gesagt: Angenommen, dass sie wäre, so könne sie, wie alle andre Seelen, nach allen möglichen Systemen als Seele, nur Effekt sein. Ich fügte unten, als eine Anmerkung von mir selbst, nicht als eine Rede Lessings hinzu: »Auch nach dem System des Leibniz. Die Entelechie wird durch den Körper (oder den Begriff des Körpers) erst zum Geiste.« Welches doch etwas ganz andres ist, als, die Entelechien des Leibniz wären bloss Effekte des Körpers.

Dieser Anmerkung hatte ich folgende Worte von Leibniz in meiner Kladde zur Begleitung gegeben. »Une monade en elle-même, et dans le moment, ne sauroit être discernée d'une autre, que par les qualités et actions internes, lesquelles ne peuvent être, autre chose que ses perceptions, (c'est-à-dire, les représentations [163] du composé, ou de ce qui est dehors, dans le simple), et ses appetitions, (c'est-à-dire, ses tendances d'une perception à l'autre) qui sont les principes du changement. Car la simplicité de la substance n'empêche point la multiplicité des modifications, qui se doivent trouver ensemble dans cette même substance simple; et elles doivent consister dans la variété des rapports aux choses qui sont au dehors

Ferner: »Chaque monade avec un corps particulier, fait une substance vivante. Ainsi il n'y a pas seulement de la vie partout, jointe aux membres ou organes, mais même il y a une infinité de degrés dans les monades, les unes dominant plus ou moins sur les autres. Mais quand la monade a des organes si ajustés, que par leur moyen il y a du relief et du distingué dans les impressions qu'ils reçoivent, et par conséquent, dans les perceptions qui les représentent, (comme, par exemple, lorsque par le moyen de la figure des humeurs des yeux, les rayons de la lumière sont concentrés et agissent avec plus de force); cela peut aller jusqu'au sentiment, c'est-à-dire, jusqu'à une perception accompagnée de mémoire, à savoir, dont un certain Echo demeure long tems, pour se faire entendre dans l'occasion; et un tel vivant est appellé Animal, comme sa monade est appellée une âme. Et quand cette âme est élevée jusqu'à la raison, elle est quelque chose de plus sublime, et on la compte parmi les Esprits, comme il sera expliqué tantôt.« – (Principes de la nature et de la grace fondés en Raison Nro. 2 et 4.) – Daneben hatte ich noch den 124. Abschnitt der Theodizee und den Brief an Wagner, de vi activa corporis, de anima, de anima brutorum angeführt.

Diese ganze Zitation strich ich nachher, als überflüssig [164] weg, indem es mir auffiel, dass meine Behauptung zu offenbar im Leibniz überall gegründet sei, als dass bloss die schneidende Form, die ich ihr gegeben hatte, hindern könnte, dieses, wenigstens nach einigem Besinnen, zu erkennen. 80

Sie fahren in einer Rede also fort: »So lasse ich auch den ehrlichen Rückzug unter die Fahne des Glaubens, den Sie von Ihrer Seite in Vorschlag bringen, an seinen Ort gestellet sein. Er ist völlig in dem Geiste Ihrer Religion, die Ihnen die Pflicht auflegt, die Zweifel durch den Glauben niederzuschlagen. Der christliche Philosoph darf sich den Zeitvertreib machen, den Naturalisten zu necken; ihm Zweifelsknoten vorzuschlagen, die ihn, wie die Irrlichter, aus einem Winkel in den andern locken und seinen sichersten Griffen immer entschlüpfen. Meine Religion kennt keine Pflicht, dergleichen Zweifel anders als durch Vernunftgründe zu heben, befiehlt keinen Glauben an ewige Wahrheiten. Ich habe also einen Grund mehr, Überzeugung zu suchen.«

Lieber Mendelssohn, wir alle werden im Glauben geboren, und müssen im Glauben bleiben, wie wir alle in Gesellschaft geboren werden, und in Gesellschaft bleiben müssen: Totum parte prius esse necesse est. (Das Ganze muss früher sein als der Teil.) – Wie können wir nach Gewissheit streben, wenn uns Gewissheit nicht zum voraus schon bekannt ist, und wie kann sie uns bekannt sein, anders als durch etwas, das wir mit Gewissheit schon erkennen? Dieses führt zu dem Begriffe einer unmittelbaren Gewissheit, welche nicht allein keiner Gründe bedarf, sondern schlechterdings alle Gründe ausschliesst und einzig[165] und allein die mit dem vorgestellten Dinge übereinstimmende Vorstellung selbst ist. Die Überzeugung aus Gründen ist eine Gewissheit aus der zweiten Hand. Gründe sind nur Merkmale der Ähnlichkeit mit einem Dinge, dessen wir gewiss sind. Die Überzeugung, welche sie hervorbringen, entspringt aus Vergleichung, und kann nie recht sicher und vollkommen sein. Wenn nun jedes Fürwahrhalten, welches nicht aus Vernunftgründen entspringt, Glaube ist, so muss die Überzeugung aus Vernunftgründen selbst aus dem Glauben kommen, und ihre Kraft von ihm allein empfangen. 81

Durch den Glauben wissen wir, dass wir einen Körper haben, und dass ausser uns andre Körper und andre denkende Wesen vorhanden sind. Eine wahrhafte, wunderbare Offenbarung! Denn wir empfinden doch nur unseren Körper, so oder anders beschaffen; und indem wir ihn so oder anders beschaffen fühlen, werden wir nicht allein seine Veränderungen, sondern noch etwas davon ganz Verschiedenes, das weder bloss Empfindung noch Gedanke ist, andre wirkliche Dinge gewahr, und zwar mit eben der Gewissheit, mit der wir uns selbst gewahr werden, denn ohne Du ist das Ich unmöglich. Wir erhalten also, bloss durch Beschaffenheiten, die wir annehmen, alle Vorstellungen, und es gibt keinen andern Weg reeller Erkenntnis, denn die Vernunft, wenn sie Gegenstände gebiert, so sind es Hirngespinste. 82

So haben wir denn eine Offenbarung der Natur,[166] welche nicht allein befiehlt, sondern alle und jede Menschen zwingt zu glauben, und durch den Glauben ewige Wahrheiten anzunehmen. 83

Einen andern Glauben lehrt die Religion der Christen – sie befiehlt ihn nicht. Einen Glauben, der nicht ewige Wahrheiten, sondern die endliche zufällige Natur des Menschen zum Gegenstande hat. Sie unterrichtet den Menschen, wie er Beschaffenheiten annehmen könne, wodurch er Fortschritt in seinem Dasein gewinne; zu einem höheren Leben, – mit demselben zu einem höheren Bewusstsein, und in ihm zu einer höheren Erkenntnis sich hinaufschwinge. Wer diese Verheissung annimmt, treu entgegenwandelt der Erfüllung, hat den Glauben, der da selig macht. Der erhabene Lehrer dieses Glaubens, indem alle Verheissungen desselben schon erfüllt waren, konnte darum mit Wahrheit sagen: ich selbst bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater, denn durch mich; wer aber den Willen, den ich in mir habe, annimmt, der wird erfahren, dass meine Lehre wahrhaftig und von Gott ist.

Geist meiner Religion ist also das: der Mensch wird durch ein göttliches Leben Gottes inne; und es gibt einen Frieden Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft, in ihm wohnt der Genuss und das Anschauen einer unbegreiflichen Liebe. 84

[167] Liebe ist Leben, sie ist das Leben selbst, und nur die Art der Liebe unterscheidet jede Art lebendiger Naturen. Er, der Lebendige, kann im Lebendigen allein sich darstellen; Lebendigen sich zu erkennen geben, nur – durch erregte Liebe. So ruft auch die Stimme eines Predigers in der Wüste: »Um das unendliche Missverhältnis des Menschen zu Gott aus dem Wege zu räumen, muss der Mensch einer göttlichen Natur teilhaftig werden, und auch die Gottheit Fleisch und Blut an sich nehmen.«

Diesen praktischen Weg kann die in Armut geratene, oder spekulativ gewordene – verkommene Vernunft weder loben noch sich loben lassen. 85 Zu graben hat sie weder Hand noch Fuss, auch schämt sie sich zu betteln. Darum muss sie, hierhin und dorthin, der mit dem schauenden Verstande davon gegangenen Wahrheit, der Religion und ihren Gütern, nachkrüppeln – wie die Moral den verschwundenen tugendhaften Neigungen, die Gesetze dem versunkenen Gemeingeiste und den besseren Sitten; die Pädagogik[168] . . . . Lassen Sie mich abbrechen, damit ich von der Flut, die mir entgegen kommt, nicht aufgehoben werde.

Der Geist der Wahrheit sei mit Ihnen und mit mir.

Düsseldorf, den 21. April 1785.


Da ich Mendelssohn schon so lange hatte warten lassen, schickte ich diesmal mein Paket geradezu nach Berlin. Denselben Abend trat ich eine Reise an, und so blieb meine Freundin, die mir ohnedem noch auf zwei Briefe Antwort schuldig war, unbenachrichtiget.

Den 26. Mai erhielt ich einen Brief von ihr, worin sie mir aus Mendelssohns Antwort auf die Nachricht; dass ich den ganzen März bettlägerig gewesen, folgen des mitteilte. »Eben war Ich im Begriff, unsern gemeinschaftlichen Freund bitten zu lassen, mit der Beantwortung meiner Erinnerungen nicht zu eilen. Ich bin entschlossen, nach der Leipziger Messe den ersten Teil meiner Broschüre abdrucken zu lassen. In derselben habe ich es zwar hauptsächlich mit dem Pantheismus zu tun; allein unseres Briefwechsels geschieht noch keine Erwähnung. Dieses verspare ich mir auf den zweiten Teil, mit dem es aber noch lange Zeit hat. Diesen ersten Teil meiner Schrift muss Jacobi vorher lesen, bevor er auf meine Erinnerungen antwortet. Grüssen Sie den liebenswürdigen Gegner in meinem Namen.«

Es war nun gerade ein Monat, dass ich meinen jüngsten Aufsatz abgeschickt – und über ein Vierteljahr, dass ich ihn unverzüglich zu liefern Mendelssohn versprochen hatte. Die Nachricht, welche mich der Mühe überheben sollte, kam also etwas spät, ohne dass ich selbst zu schnell gewesen war.

[169] Ich hoffte noch immer auf eine Antwort von Mendelssohn. Nachdem ich vergeblich drei Monate derselben entgegen gesehen hatte, wurde ich allmählich bewogen, einen Entschluss für mich allein zu fassen; und je mehr und mehr geneigt, mittels der hier eingerückten Briefe eine solche Darstellung des Spinozismus, wie ich sie in dem gegenwärtigen Zeitpunkte für nützlich hielt, an das Licht zu stellen.

Ich ging also daran, meine Papiere durchzusehen, und zog aus denselben folgende kurze Sätze, um sie, als den Inbegriff meiner Behauptungen, zuletzt mit klaren Worten aufzustellen.

I. Spinozismus ist Atheismus. 86

II. Die Kabalistische Philosophie ist, als Philosophie, nichts anders als unentwickelter oder neu verworrener Spinozismus.

III. Die Leibniz-Wolfsche Philosophie ist nicht minder fatalistisch als die Spinozistische, und führt den unablässigen Forscher zu den Grundsätzen der letzteren zurück. 87

[170] IV. Jeder Weg der Demonstration geht in den Fatalismus aus.

V. Wir können nur Ähnlichkeiten demonstrieren, 88 und jeder Erweis setzt etwas schon Erwiesenes zum voraus, wovon das Prinzipium Offenbarung ist. 89

[171] [173]VI. Das Element aller menschlichen Erkenntnis und Wirksamkeit ist Glaube.

Einer meiner Freunde hatte mir anfangs Juni von dem Werke, welches Mendelssohn beschäftigte, geschrieben, und den Titel angegeben: Morgengedanken über Gott und Schöpfung. Oder: Über das Dasein und die Eigenschaften Gottes.

Nun erteilte mir ebendieser Freund 90 die Nachricht: [173] Mendelssohns Morgengedanken (wäre ihm versichert worden) hätten die Presse wirklich schon verlassen.

Bald darauf erhielt ich von Mendelssohn, offen unter einem leeren Umschlag unserer gemeinschaftlichen Freundin, folgenden Brief.


Berlin, den 21. Juli 1785.


Vergeben Sie, teuerster Herr Jacobi, dass ich Ihre beiden wichtigen Aufsätze, den französischen an Hemsterhuis und den deutschen an mich, noch unbeantwortet lasse. Emilie und... sind meine Zeugen, dass ich, nach Massgabe meiner jetzigen Schwäche, in unserer Streitsache nicht müssig gewesen, und wenn ein... meine Arbeit nicht ganz verwirft, so wird der nächste Messkatalog ihr Zeugnis bestätigen. Ich mache mir zwar keine Rechnung, Sie durch diese Schrift von meiner Meinung zu überführen. Ich kann mir dieses um so weniger schmeicheln, da ich mir selbst gestehen muss, dass mir so manche Stelle in Ihren Aufsätzen, sowie in den Schriften des Spinoza selbst, völlig unverständlich ist. Aber den Statum Controversiae hoffe ich in der nächsten Ihrer Beurteilung zu unterwerfenden Schrift festzusetzen, und dadurch den Streit gehörig einzuleiten. Wenigstens wird es sich zeigen, woran es liege, dass mir manches so schlechterdings unverständlich vorkomme, und sich meinem Blick immer mehr entziehe, je mehr Erläuterung Sie mir zu geben bemühet sind.

Und nun noch eine Bitte. Ich bin ein schlechter Aktensammler, und habe die Abschrift von meinen Erinnerungen, die ich irgendwo aufbewahrt zu haben mir sicher bewusst bin, unter den Papieren verloren.[174] Schon einige Wochen suche ich sie vergebens, und das Suchen verlorener Papiere ist überhaupt eine gar unlustige Arbeit. Vielleicht haben Sie diese zur Hand und können mir ohne Beschwerlichkeit eine Abschrift davon zukommen lassen. Sie würden mich dadurch sehr verbinden, denn ich bin willens, nunmehr unserm Streite näherzukommen, und zu diesem Ende Ihre beiden Aufsätze nochmals mit aller mir möglichen Aufmerksamkeit und Anstrengung durchzulesen. Hierzu aber gehören notwendig die Erinnerungen, auf welche Ihre Antwort gerichtet ist. Leben Sie wohl, teuerster Mann! und lieben Sie mich.

Moses Mendelssohn.


Eine vorrätige Abschrift der Erinnerungen setzte mich instand, Mendelssohn auf der Stelle zu antworten und sein Verlangen zu befriedigen.

Es bedurfte nun keiner Überlegung mehr, was ich zu tun hatte. Da Mendelssohn sein Vorhaben, mir sein Werk in der Handschrift mitzuteilen, geändert, und es auf einmal in die Presse gegeben hatte; da mir sogar der Titel dieses Werks nur durch Gerüchte bekannt geworden, und ich das Gewisse darüber erst aus dem Messkatalog erfahren sollte; – und da Mendelssohn nun beschlossen hatte, in eben dieser Schrift einen Statum controversiae festzusetzen: so konnte ich, wie ungemessen auch mein Vertrauen in die Rechtschaffenheit und in die edlen Gesinnungen meines grossen Gegners war und bleiben wird, es ihm doch allein und ganz einseitig nicht überlassen, »den Streit gehörig einzuleiten, und öffentlich zu zeigen,woran es liege, dass ihm manches (in meinen Aufsätzen) schlechterdings unverständlich sei, und sich seinen Blicken immer [175] mehr entziehe, je mehr Erläuterungen ich ihm zu geben bemüht sei.«

Noch weniger konnte ich zugeben, dass ein Status controversiae festgesetzt würde, wo es mir anheimfällt, den Advocatum diaboli gewissermassen vorzustellen, wenn man nicht zugleich die ganze Veranlassung des Streites, welcher eingeleitet werden sollte, bekanntmachte. Es war höchst wichtig für mich, dass man genau erführe, in welchem Verstande ich die Partie des Spinoza genommen hatte, und dass einzig und allein von spekulativer Philosophie gegen spekulative Philosophie, oder richtiger, von reiner Metaphysik gegen reine Metaphysik die Rede war. Und das dem eigentlichen, nicht dem sprichwörtlichen Sinne nach: in fugam vacui (Flucht vor dem Leeren.)


Ich kehre zu den vorhin aufgestellten Sätzen zurück, bei denen ich noch anzumerken habe, dass ich keineswegs gemeint bin, sie als Thesen anzuschlagen und gegen jeden Angriff zu verteidigen. Auch im Reiche der Wahrheit wird durch Krieg selten viel gewonnen; treuer Fleiss eines jeden in dem Seinigen, und freiwilliger ehrlicher Tausch wäre auch hier das Förderlichste, Beste. Wozu der böse Eifer gegen Mangel an Erkenntnis? – Anstatt ihn blosszustellen und mit Hohn zu strafen, diesen Mangel, der dich ärgert: hilf ihm ab durch Gabe! Durch Gabe wirst du dich als den, der mehr hat, zeigen und dem Mangelnden beweisen. Wahrheit ist Klarheit, 91 und bezieht sich überall auf Wirklichkeit, auf Fakta. Wie es unmöglich ist, dass einem Blinden, solange er blind ist, durch irgendeine[176] Kunst Gegenstände sichtbar werden: so ist es ebenfalls unmöglich, dass ein Sehender beim Lichte sie nicht wahrnehme und von selbst unterscheide. Aber wir fordern vom Irrtume, als wenn er die Wahrheit wäre, dass er sich selbst sehe, sich selbst erkenne, und wir fürchten uns, als ob er auch stark wäre, wie die Wahrheit. Kann wohl Finsternis in das Licht dringen, und ihm seine Strahlen löschen? In die Finsternis hingegen dringt das Licht, und macht sie offenbar, indem es sie zum Teil erleuchtet. Und wie allein durch die Sonne Tag wird, so wird auch allein durch Untergang der Sonne Nacht.

Zwar kann ein jeder seine eigene enge Wohnung, auch um Mittag, wie die Nacht so dunkel machen. In sein enges Dunkel kann er dann auch wieder Helle bringen: aber keine Helle wie vom Himmel. Die gebrechliche Flamme wird ein Zufall, wird vielleicht die Hand, die ihrer pflegen wollte, töten. Und wenn sie auch vergänglich fortdauert, macht sie in die Länge doch gewiss das Auge krank.

Wo sich ein fauler Boden über weite Gegenden erstreckt, da wehren die aufsteigenden trägen und kalten Dünste der Sonne, so dass nun der Boden immer schlechter, und des trüben giftigen Gewölkes immer mehr wird. Künstliches Feuer, schweres Geschoss mögen dieses Gewölke, diesen Nebel wohl an dieser oder jener Stelle, und auf kurze Zeit zerteilen, ihre Form verwandeln: nicht sie aus dem Wege schaffen, sie vertilgen. Geht aber eine Verbesserung des Bodens vor sich: dann verschwinden sie von selbst.


*


Der gegenwärtigen Schrift sollen Gespräche folgen, in denen ich manches, was hier unausgeführt geblieben[177] ist, weiter ausführen; vornehmlich aber meine eigenen Grundsätze mehr entwickeln, und in eine mannigfaltigere Vergleichung stellen werde. 92 Mein grosses Thema werde ich behalten; jene Worte des Pascal: La nature confond les Pyrrhoniens, et la raison confond les Dogmatistes. – Nous avons une impuissance à prouver, invincible à tout le Dogmatisme. Nous avons une idée de la verité, invincible à tout le Pyrrhonisme. 93 Und so behaupte ich, und werde behaupten: wir erschaffen und wir unterrichten uns nicht selbst, sind auf keine Weise a priori, und können nichts a priori wissen oder tun; nichts erfahren – ohne Erfahrung. 94 [178] Wir finden uns auf diese Erde gesetzt; und wie da unsere Handlungen werden, so wird auch unsere Erkenntnis; wie unsere moralische Beschaffenheit gerät, so gerät auch unsere Einsicht in alle Dinge, welche sich darauf beziehen. Wie die Triebe, so der Sinn, und wie der Sinn, so die Triebe. Nicht weise, nicht tugendhaft, nicht gottselig kann sich der Mensch vernünfteln: er muss da hinauf bewegt werden, und sich bewegen, organisiert sein und sich organisieren. Diese gewaltige Einrichtung hat keine Philosophie bisher zu ändern vermocht. Es wäre Zeit, dass man anfinge, sich gutwillig in dieselbe zu fügen, und es aufgäbe, Brillen erfinden zu wollen, mit denen man ohne Augen sehen könne – und besser!

Als Spertias und Bulis aus Sparta freiwillig nach Susa wie in ihren Tod gingen, kamen sie zum Hydarnes, der ein Perser, und über die am Meer in Asien wohnenden Völker gesetzt war. Dieser bot ihnen Geschenke, bewirtete sie und wollte sie bereden, Freunde seines Königs, und so gross und glücklich wie er selbst zu werden. Dein Rat, sagten die Männer, ist nach deiner Erfahrung gut, aber nicht nach der unsrigen. Hättest du das Glück gekostet, welches wir geniessen, du würdest uns raten, Gut und Blut dafür hinzugeben. 95

Ohne Zweifel verlachte Hydarnes diese Schwärmer; und wer von unseren Zeitgenossen wird sie nicht mit ihm verlachen? Gesetzt aber, wir und Hydarnes hätten unrecht, und jene Männer aus Sparta waren keine[179] Schwärmer: mussten sie dann nicht im Besitze einer Wahrheit sein, die uns mangelt? Und würden wir nicht aufhören, sie zu verlachen, wenn wir eben diese Wahrheit inne würden?

Spertias und Bulis sagten nicht zu Hydarnes: du bist ein Tor, ein Mann von schwachem Geiste; sie gestanden vielmehr, dass er weise sei in seinem Masse, einsehend und gut. Sie versuchten es auch nicht, ihm ihre Wahrheit beizubringen; im Gegenteil erklärten sie, wie sich dieses nicht tun liesse.

Sie wurden nicht viel deutlicher beim Xerxes selbst, vor dem sie nicht niederfallen wollten, und der sie nicht töten liess, sondern sie auch bereden wollte, seine Freunde, und so glücklich wie er selbst zu werden. »Wie könnten wir (sagten die Männer) hier leben; unser Land, unsere Gesetze verlassen, und solche Menschen, dass wir, um für sie zu sterben, freiwillig eine so weite Reise unternommen haben.« 96

Spertias und Bulis mochten leicht weniger Fertigkeit im Denken und im Schliessen haben, als die Perser. Sie beriefen sich auch nicht auf ihren Verstand, auf ihr feines Urteil, sondern nur auf Dinge, und auf ihre Neigung zu diesen Dingen. Sie rühmten sich dabei auch keiner Tugend; sie bekannten nur ihres Herzens Sinn, ihren Affekt. Sie hatten keine Philosophie, oder ihre Philosophie war bloss Geschichte.

Und kann lebendige Philosophie je etwas anderes als Geschichte sein? Wie die Gegenstände, so die[180] Vorstellungen; wie die Vorstellungen, so die Neigungen und Leidenschaften; wie die Neigungen und Leidenschaften, so die Handlungen; wie die Handlungen, so die Grundsätze und die ganze Erkenntnis. Was hat der Lehre eines Helvetius, eines Diderot den schnellen allgemeinen Eingang verschafft? Nichts anders, als dass diese Lehre die Wahrheit des Jahrhunderts wirklich in sich fasste. Es kam aus dem Herzen, was sie sagten, und musste wieder zu Herzen gehen. – »Warum«, sagt Epictet, »haben euch die Idioten in ihrer Gewalt, und führen euch herum wie sie wollen; warum sind sie stärker als ihr? Weil sie, so elend und nichtswürdig ihr Geschwätz ist, doch immer nach ihren wirklichen Begriffen und Grundsätzen reden; euch hingegen die schönen Sachen, die ihr vorbringt, bloss von den Lippen gehen: Darum haben eure Reden weder Kraft noch Leben, und es ist zum Hochgähnen, wenn man eure Ermahnungen hört, und die armselige Tugend, davon ihr in die Länge und in die Quer immer schwatzet. Daher kommt es, dass die Idioten euer Meister werden. Denn was von Herzen geht, und was man als einen Grundsatz hegt, das hat allemal eine Stärke, die unüberwindlich ist... Was ihr etwa in der Schule aufzeichnet, wird wie Wachs an der Sonne täglich wieder zerschmelzen.« 97

Die Philosophie kann ihre Materie nicht erschaffen; diese liegt immer da in gegenwärtiger oder vergangener Geschichte. Aus vergangener Geschichte philosophieren wir nur schlecht, wenn sie Erfahrungen enthält, die wir nicht wiederholen können. Nur über das, was vor uns liegt, urteilen wir mit Zuverlässigkeit. Was einem jeden Zeitalter vorliegt, das kann es beobachten, zergliedern, [181] die Teile untereinander vergleichen, ordnen, auf die einfachsten Grundsätze zurückführen, die Richtigkeit dieser Grundsätze immer deutlicher und auffallender, ihre Kraft immer wirksamer machen. Und auf diese Weise hat ein jedes Zeitalter, wie seine eigene Wahrheit, deren Gehalt wie der Gehalt der Erfahrungen ist, ebenso auch seine eigene lebendige Philosophie, welche die herrschende Handlungsweise dieses Zeitalters in ihrem Fortgange darstellt.

Wenn dieses wahr ist, so folgt: dass die Handlungen der Menschen nicht sowohl aus ihrer Philosophie müssen hergeleitet werden, als ihre Philosophie aus ihren Handlungen; dass ihre Geschichte nicht aus ihrer Denkungsart entspringe, sondern ihre Denkungsart aus ihrer Geschichte. Irrig würde man z.B. die verdorbenen Sitten der Römer zur Zeit des Verfalls ihrer Republik aus der damals einreissenden Irreligion erklären: da im Gegenteil die Quelle der eingerissenen Irreligion in dem Verderbnis der Sitten gesucht werden müsste. Gerade wie die Unzucht und ausgelassene Schwelgerei der Zeitgenossen eines Ovid und Petron, eines Catull und Martial, nicht auf die Rechnung dieser Dichter; sondern diese Dichter vielmehr jener Unzucht und ausgelassenen Schwelgerei auf die Rech nung kämen. Hiermit bin ich aber keineswegs in Abrede, dass Dichter und Philosophen, wenn sie selbst von dem Geiste ihrer Zeit durchdrungen sind, diesen Geist mächtig unterstützen. Menschengeschichte entsteht durch Menschen, wo denn der eine mehr, der andre weniger zu ihrem Fortgange beiträgt.

Wie die lebendige Philosophie, oder die Denkungsart eines Volkes, sich aus seiner Geschichte oder Lebensweise ergibt; so ergibt sich seine Geschichte oder Lebensweise [182] aus seinem Ursprunge, aus hervorgegangenen Anstalten und Gesetzen.

Alle Geschichte geht in Unterricht und Gesetze vorwärts aus, und alle Bildung der Menschen schreibt sich von ihnen her. Nicht von Vernunftgesetzen oder rührenden Ermahnungen; sondern von Anweisung, Darstellung, Vorbild, Zucht, Hilfe, Hat und Tat, Dienst und Befehl.

Wenn die ersten Menschen als Schwämme aus der Erde, oder als Würmer aus dem Schlamm, – ohne foramen ovale, und ohne Nabelschnur, – nicht weit vollkommener hervorgegangen sind, als sie jetzt aus Mutterleibe geboren werden: so musste etwas sich ihrer annehmen. Das Ohngefähr? Oder was?

Alle sagen aus einem Munde: es habe ein Gott sich ihrer angenommen; und noch ehe denn sie waren.

Von einem höheren Wesen gehen alle Verfassungen aus; alle in ihrem Ursprunge waren theokratisch. Das erste notwendigste Bedürfnis, wie für den einzelnen Menschen, so für die Gesellschaft, ist ein Gott.

Vollkommene Unterwerfung unter ein höheres Ansehen, strenger, heiliger Gehorsam, ist der Geist jeder Zeit gewesen, welche grosse Taten, grosse Gesinnungen, grosse Menschen in Menge hervorbrachte. Der heiligste Tempel der Spartaner war der Furcht geweiht.

Wo der feste Glaube an ein höheres Ansehen nachliess, eigener Dünkel die Oberhand gewann: da sank jede Tugend, da brach das Laster durch, da verdarb Sinn, Einbildung und Verstand.

Und bei keinem Volke hat dieser Glaube nachgelassen, als nachdem es sich von Leidenschaft betören liess, die kein Gebot hat, und den Geist in Ketten legt, [183] so dass nun jeder von dem Baume der Erkenntnis nahm, und selbst wusste, was gut und böse sei.

Sieh deine Kinder an, oder die Kinder deines Freundes. Sie gehorchen dem Ansehn, ohne den Sinn des Vaters zu begreifen. Sind sie widerspenstig und gehorchen nicht, so werden sie nie dieses Sinnes inne werden, nie den Vater selbst wahrhaft erkennen. Sind sie folgsam, so geht des Vaters Sinn, sein inneres Leben, allmählich in sie über; ihr Verstand erwacht, sie erkennen den Vater. Keine Erziehungskunst, kein Unterricht war vermögend, sie dahin zu bringen, ehe die lebendige Erkenntnis aus dem Leben selbst er wuchs. Der Verstand beim Menschen kommt überall nur hintennach. Zucht muss den Unterricht, Gehorsam die Erkenntnis vorbereiten.

Je umfassender, tiefeingreifender, erhabener ein Gebot ist; je mehr es sich auf die innerste Natur des Menschen und ihre Verbesserung, auf Verstand und Wille, Tugend und Erkenntnis bezieht; desto weniger kann vor der Befolgung seine innere Güte von dem Menschen eingesehen werden, desto unfähiger ist seine Vernunft, es zu billigen, desto mehr bedarf es Ansehen und Glauben.


Silber und Gold erspäht der Mensch,
bringt Erz aus der Erden und die Nacht ans Licht,
aber wo findet er Weisheit?
wo ist Verstandes Ort?
Im Lande der Lebenden ist sie nicht;
der Abgrund spricht: sie ist nicht in mir!
und das Meer schallt wider: ist nicht in mir! –
Woher kommt Weisheit dann?
wo wohnt der Verstand?
[184]
verhohlen den Augen der Lebenden,
verborgen den Vögeln des Himmels!
Höll' und der Tod antworten:
wir hörten von fern ihr Gerücht.
Gott weist den Weg ihr und weiss, wo sie wohnt.
Er schaut die Enden der Erden,
Er schaut, was unter dem Himmel –
Und als Er den Wind wog
und als Er das Meer mass
und gab Gesetze dem Regen
und Donner und Blitzen den Weg;
da sah Er sie und zählte sie
und forschte sie tief und bestimmte sie,
und sprach zum Menschen: dir ist die Furcht des Herrn Weisheit
und meiden das Böse, das ist Verstand.

Aber wer ist der Herr, dessen Furcht Weisheit ist, und aus dessen Geboten Licht und Leben kommt? – Ist er der erste der beste, und dürfen wir nur blindlings nach ihm tappen?

Blindlings, wenn du blind bist! Aber bist du es in der Tat? Und was hat alles Lichtes dich beraubt?

Ich will nicht in dich dringen und dir Geständnisse abnötigen. Aber höre einen Vorschlag, ob er dir gefällt?

Irgend einem Unsichtbaren dienst du, oder willst du dienen: Sei es der Ehre!

Wer der Ehre huldigt, schwört zum Altare des unbekannten Gottes. Er verspricht einem Wesen zu gehorchen, welches das Innere siehet; denn das ist der Dienst der Ehre, dass wir seien, was wir scheinen; kein angenommenes Gesetz willkürlich oder insgeheim [185] übertreten; kurz unverbrüchliches Wort: Wahrheit!

So gehe hin und gehorche deinem unbekannten Gotte treu und ganz. Scheine überall, was du bist, und sei überall, was du scheinst. Aber hüte dich, dass keine Tücke unterlaufe, denn dein Gott sieht das Inwendige; das ist sein Wesen, seine Kraft. Und wenn er denn nicht bald dir seinen Namen kundtut, du nicht bald erfährst, wer der Herr ist, dessen Furcht Weisheit ist, und aus dessen Geboten Licht und Leben kommt: so nenne vor der ganzen Welt mich einen Betrüger, einen Toren, einen Schwärmer – was du willst!

»Wir haben einen Freund in uns – ein zartes Heiligtum in unserer Seele, wo die Stimme und Absicht Gottes lange Zeit sehr hell und klar widertönet. Die Alten nannten sie den Dämon, den guten Genius des Menschen, dem sie mit so vieler Jugendliebe huldigten, mit so vieler Ehrfurcht folgten. Christus begreift's unter dem klaren Auge, das des Lebens Licht ist und den ganzen Leib licht macht. David bittet darum, als um den guten, freudigen Lebensgeist, der ihn aufrecht ebener Bahn führe u. f. Mögen wir's nun Gewissen, innern Sinn, Vernunft, den λογος in uns nennen, oder wie wir wollen; genug, es spricht laut und deutlich, zumal in der Jugend, ehe es durch wilde Stimmen von aussen und innen, durch das Gebrause der Leidenschaft und das Geschwätz einer klügelnden Unvernunft allmählich geschweigt oder irre gemacht wird. Wehe dem, bei dem es so stumm und irre gemacht ward! insonderheit dem Jünglinge und Kinde! Er wird allmählich ohne Gott in der Welt, geht wie ein irres Schaf umher, ohne [186] gesunden moralischen Sinn, ohne das Θειον in einer Sache des Lebens an sich und andern zu fühlen. Nur soviel haben wir von Gott und seiner Vorsehung, als wir beide lebendig erkennen, im einzelnen und allgemeinen. Je mehr wir es (ohne Schwärmerei und Seelenkälte) tätig ersehen, wie und wozu er mit uns handle? desto mehr ist er unser, unser allein. Lass nun einen Schwätzer und Zweifler dagegen sagen, was er will: Erfahrung geht über Geschwätz und Zweifel.« 98

Noch einmal: der Verstand des Menschen hat sein lieben, sein Licht nicht in ihm selbst, und der Wille entwickelt sich nicht durch ihn. Im Gegenteil entwickelt sich der Verstand des Menschen durch seinen Willen, der ein Funken aus dem ewigen reinen Lichte, und eine Kraft der Allmacht ist. Wer mit diesem Lichte geht, aus diesem Vermögen handelt, der wird aus einer Klarheit in die andere geläutert, der erfährt seinen Ursprung und seine Bestimmung.

Dass alles, was geschieht, jede Veränderung und Bewegung von einem Willen herrühren, die Kraft dazu aus einem Willen hervorgehen müsse, ist eine allgemeine Offenbarung – oder Lüge der Natur. Wenn es in einem Falle zutrifft: vox populi, vox dei, dann gewisslich hier. Und so irrt der rohe Wilde weniger, als der gelehrte Klügling. Denn der Wilde, wie oft er auch Äusserliches mit Innerlichem verwechseln, Form für Sache, Schein für Wesen halten mag, so weiss er doch von beidem, und irrt nicht in der Sache selbst. Der gelehrte Klügling hingegen, der nur Äusserliches anerkennt, Schein für Sache, und Sache für Schein hält – der irrt in der Sache selbst.

Ich kenne die Natur des Willens, einer sich selbst[187] bestimmenden Ursache, ihre innere Möglichkeit und Gesetze nicht. Denn ich bin nicht durch mich selbst. Aber ich fühle eine solche Kraft als das Innerste Leben meines Daseins; ahnde durch sie meinen Ursprung, und lerne im Gebrauch derselben, was mir Fleisch und Blut allein nicht offenbaren konnten. Auf diesen Gebrauch finde ich alles bezogen in der Natur und in der Schrift; alle Verheissungen und Drohungen sind an ihn – an die Reinigung und Verunreinigung des Herzens geknüpft. – Daneben lehren mich Erfahrung und Geschichte, dass des Menschen Tun viel weniger von seinem Denken, als sein Denken von seinem Tun abhängt, dass seine Begriffe sich nach seinen Handlungen richten, und sie gewissermassen nur abbilden, dass also der Weg zur Erkenntnis eingeheimnisvoller Weg ist – kein syllogistischer – keinmechanischer.

Gott sprach – und es ward – und es war alles gut. »Wahrer und fasslicher«, sagt ein ehrwürdiger Jerusalem, »konnte diese Handlung unserer Vernunft nicht gemacht werden. Denn dies ist der einzige Grund, worin die Vernunft ihre Beruhigung findet: Der allmächtige wollte und es ward. Zugleich ist dies die Grenze aller Philosophie, die Grenze, wo auch Newton ehrerbietig stehen blieb; und der Philosoph, dem es zu klein deucht, bei diesem göttlichen Willen stehen zu bleiben, sondern hierüber hinaus von Ursache zu Ursache ins Unendliche fortzugehen, und selber Welten zu bauen sich vermisst, der wird sich in ewigen Finsternissen verirren, wo er endlich den Schöpfer selbst verlieren wird.«

Dies ist die Herrlichkeit des Herrn, das Antlitz Gottes, wohin ein sterbliches Auge nicht vermag sich zu erheben. Aber mit seiner Güte lässt er sich zu uns[188] herab, mit seiner Gnade wird der Ewige dem Menschen gegenwärtig, und er spricht mit ihm – dem er Odem gab aus seinem Munde – durch Gefühle seines eigenen Lebens, seiner eigenen Seeligkeit... Oh, dass ich stark und schnell wäre, ihn zu laufen, den einzigen herrlichen Weg der Gottes Liebe, der Gottes Seeligkeit!


Lass mich zum Beschlüsse – auf die Gefahr einer der Deinigen genannt, und ein treuer Mensch gescholten zu werden, – lass mich, törichter Lavater, mein Werk mit einem Wort aus deinem frommen aufrichtigen Munde segnen und versiegeln.

»Ich bin in die Welt gekommen, der Wahrheit Zeugnis zu geben. Siehe da deinen grossen Beruf, Mensch! du allein wahrheitfähiges königliches Erdengeschöpf! Jeder Sterbliche sieht einen Teil der alles erfreuenden Wahrheit, und sieht ihn auf eine besondere Weise, wie ihn kein anderer Sterblicher sehen kann. Jedem erscheint das Universum durch ein eigenes Medium. Zeugen, wie uns, in unserm Gesichtspunkte, die Dinge vorkommen, heisst königlich denken und handeln. Das ist Menschenberuf und Menschenwürde! Durch dies redliche Zeugnis wirst du am meisten auf die Menschheit wirken, die dir Ähnlichsten am kräftigsten anziehen und unter sich vereinigen – die dir Unähnlichen von dir scheiden, entfernen und unter sich wider sich selbst und wider alle deinesgleichen vereinigen – mithin dem unerkannten grossen, ersten und letzten Zwecke der Schöpfung und der Fürsehung, höchstmögliche Vereinigung alles Vereinbaren, kräftig beförderlich sein....

Wer alles so siehet, wie's sich ihm darstellt, nichts[189] anders sehen will, als es sich ihm darstellt; wer die Wahrheit, alles Gute, was sich ihm zeigt, auf sich frei wirken lässt, ohne laut oder leise, öffentlich oder heimlich, unmittelbar oder mittelbar demselben entgegenzuwirken – Wer sich gegen die Wahrheit bloss passiv verhält – Ihr weder offensiv noch defensiv widersteht – Wer nichts will, als was sie will – Sie die Wahrheit, die wahre Natur der Dinge – Und ihr Verhältnis zu uns – Sie, die alles erleuchtende Vernunft aller Vernunft – Wer nicht aus Eigensinn, oder Eigenliebe, nicht aus Hastigkeit, nicht aus Trägheit, nicht aus Herrschsucht, nicht aus Kriecherei – abspricht, eh' er sie gehört hat – Wer nie vor reifer, ruhiger leidenschaftloser Überlegung urteilt; auch wenn er geurteilt hat, für alle Zurechtweisung ein offenes, hörendes Ohr, ein lenksames Herz hat – Wer sich der Wahrheit freut, wo und wann und wie und bei wem, und durch wen er sie immer finden mag – sich nicht berühren lässt vom Irrtum im Munde des Herzensfreundes – Die Wahrheit mit offenen Armen von den Lippen des Todfeindes heraushebt und an sein Herz drückt – Wer allenthalben Überzeugung hochhält, nie wider, nie ohne Überzeugung handelt, urteilt, spricht – Der ist der redliche Rechtschaffene, eine Ehre der Menschheit. – Er ist aus der Wahrheit. Christus würd' ihn einen Sohn der Wahrheit nennen.«

Fußnoten

1 Ich habe ihr in meiner Rechtfertigung gegen Mendelssohn den Namen Emilie gegeben, und werde mich desselben auch in dieser Schrift statt ihres wahren Namens bedienen.

2 Im Januar desselbigen Jahres (1783) waren im deutschen Museum unter dem Titel: Gedanken Verschiedener über eine merkwürdige Schrift, Einwürfe gegen mein Etwas, was Lessing gesagt hat (Berlin bei G. J. Decker 1782), erschienen. An jenen Gedanken Verschiedener hatte Mendelssohn den grössten Anteil, und von den Worten an: »Auch geht unser Verfasser über alles dies sehr schnell hinweg,« bis ans Ende, gehören sie ihm allein zu (S. meine Rechtfertigung S. 33). Diesen Gedanken setzte ich im Februar des Museums Erinnerungen entgegen, die eben erschienen waren, da meine Freundin nach Berlin kam. Ich will nun Emiliens eigene Worte hier hinsetzen, damit man sehe, wie untadelhaft von Anfang an das Betragen dieses an Geist und Seele so vorzüglichen Weibes gewesen ist.

Berlin, den 25. März 1783.

... Ihm selbst, dem alten Fritz, habe ich noch nicht in ihrem Namen zunicken können, weil er in Potsdam ist, und ich dahin noch nicht gekommen bin... Mendelssohn aber, meinen lieben Mendelssohn, sah ich gestern. Er ist ganz, wie ich ihn mir dachte; unwiderstehlich einnehmend durch die überall aus ihm redende Güte des Herzens und hervorleuchtende Klarheit seines Geistes. Wir haben viel über Lessing und Sie gesprochen. Lessings nicht unähnliche Büste war das erste, was beim Hereinreiten mir in die Augen fiel. Der Bruder hat geschrieben, dass nächstens die Briefe über Walch herauskommen sollen; hernach die Geschichte der Evangelien, worauf unser verstorbener Freund selbst einigen Wert legte. Mendelssohn hat seines Briefwechsels mit Lessing bis diese Stunde noch nicht habhaft werden können; aber der Bruder hat versprochen, ihm nächstens ein Paket Schriften zu schicken, worunter auch dieser Briefwechsel sein soll. Und alsdann verspricht Mendelssohn, sein Wort wegen des Etwas über Lessings Charakter zu halten. Der Himmel gebe ihm dazu Gesundheit und Heiterkeit, so werden wir doch einmal etwas über unsern Freund lesen, das des Mannes wert ist.

Ihnen selbst, bester Jacobi, ist Mendelssohn wirklich gut, und mit Ihren Erinnerungen gegen die Gedanken Verschiedener zufrieden. * * und ich haben das Unsrige dazu beigetragen, Sie womöglich ihm noch näher bekannt zu machen; denn sicher verdienen Sie beide, sich einander zu kennen, wie Sie sind. Ach, wenn Sie doch gegenwärtig hier sein könnten! – Ich muss eilig schliessen. Sie wissen, wie es auf einer Reise zugeht.

3 Hier ist die Stelle meines Briefes an Emilie, ganz und ohne Veränderung auch nur einer Silbe.

Pempelfort, den 21. Juli 1783.

... Dass ich Ihnen auf Ihren Brief aus Berlin nicht antworten konnte, war mir leid genug. Ich erhielt ihn, weil er über Schwelm, anstatt über Wesel gelaufen war, später als ich sollte, und musste fürchten, dass Sie meine Antwort, wenn die nicht mit der umlaufenden Post abging, nicht mehr erhielten. Mit der umlaufenden Post konnte ich Ihnen nicht schreiben, weil ich Sie von etwas sehr wichtigem – von unseres Lessings letzten Gesinnungen unterhalten wollte, um es Mendelssohn, wenn Sie es für gut fänden, mitzuteilen. – Sie wissen vielleicht, und wenn Sie es nicht wissen, so vertraue ich Ihnen hier unter der Rose der Freundschaft, dass Lessing in seinen letzten Tagen ein entschiedener Spinozist war. Es wäre möglich, dass Lessing diese Gesinnungen gegen mehrere geäussert hätte; und dann wäre es nötig, dass Mendelssohn in dem Ehrengedächtnisse, das er ihm setzen will, gewissen Materien entweder ganz auswiche, oder sie wenigstens äusserst vorsichtig behandelte. Vielleicht hat sich Lessing gegen seinen lieben Mendelssohn ebenso klar als gegen mich geäussert; vielleicht auch nicht, weil er ihn lange nicht gesprochen, und sehr ungern Briefe schrieb. Ihnen, meine Traute, sei es hiermit anheim gestellt, ob Sie Mendelssohn hiervon etwas eröffnen wollen oder nicht. Umständlicher kann ich aber für diesmal nicht von der Sache schreiben.

4 Auch dieses Schreiben will ich mitteilen.

Wolfenbüttel, den 13. Juni 1780.

»Ich zögere keinen Augenblick, Ihnen auf Ihre angenehme Zuschrift vom ersten dieses (die ich aber den 12. erst erhalten) zu melden, dass ich den ganzen Junius, bis in die Mitte des Julius unfehlbar in Wolfenbüttel zu treffen sein werde, und dass ich Sie mit grossem Verlangen in meinem Hause erwarte, in welchem es Ihnen gefallen möge, einige Tage auszuruhen.

Unsere Gespräche würden sich zwar wohl von selbst gefunden haben. Aber es war doch gut, mir einen Fingerzeig zu geben, von wannen wir am besten ausgehen könnten...

Ob es mir möglich sein wird, eine weitere Reise mit Ihnen zu machen, kann ich zurzeit noch nicht bestimmen. Mein Wunsch wäre es allerdings. Aber ich wünsche, was ich einmal wünsche, mit so viel vorher empfindender Freude, dass meistenteils das Glück der Mühe überhoben zu sein glaubt, den Wunsch zu erfüllen usw.«

5 Dass ich, bei dieser Gewissheit, es dennoch in meinem Briefe vom 21. Juli an Emilie dahin gestellt sein liess, ob nicht Mendelssohn so gut als ich selbst schon unterrichtet sei, wird hoffentlich keine Rechtfertigung bedürfen.

6 In der ersten Ausgabe (S. 4) teilte ich diesen Brief nur auszugsweise mit. Hier die Worte der ersten Ausgabe. »Mendelssohn erstaunte, und seine erste Bewegung war, an der Richtigkeit meiner Aussage zu zweifeln. Er wünschte bestimmt zu wissen: ›wie Lessing die Gesinnungen, die ich ihm beilegte, geäussert hätte? Ob er mit trockenen Worten usw.‹«

7 Folgendes schrieb ich Emilien bei der Übersendung:

den 4. Nov. 1783.

– – – – – – hierbei, was ich zu meinem eigenen Verdrusse solange schuldig blieb. Sie werden nichts dagegen haben, dass mein Brief geradezu an Mendelssohn gerichtet ist; und Mendelssohn wird nicht übelnehmen, dass ich ihn nicht ganz mit eigener Hand geschrieben habe. Ich überlasse Ihnen, mich deswegen bei ihm zu entschuldigen.

Dass Sie das Paket erhalten und versendet haben, und Ihre Gedanken über den Inhalt, melden Sie mir, wenn Sie können, mit der Post vom Montage. Was Mendelssohn dazu sagt, davon lassen Sie mich künftig, was ich wissen darf, erfahren. Ich erwarte eben nicht den besten Dank von ihm für meine Mühe, weil meine Art zu sehen von der seinigen etwas verschieden ist... Ich bin aber ein für allemal darein ergeben, was aus dem Scheine meines Seins erfolgt, zu tragen, und nur immer dieses so zu zeigen, wie es ist. Etwas Mut und Verleugnung wird dazu erfordert, aber dafür hat man auch die innere Ruhe, die sonst nie erhalten werden kann.

8 Die eignen Worte meines Briefes, den ich jetzt wieder habe, und von welchem ich keine Abschrift besass, waren diese: »Ich sehne mich unaussprechlich nach jenen Tagen, auch darum, weil ich die Geister einiger Seher in Ihnen beschwören und zur Sprache bringen möchte, die mir nicht genug antworten.«

9

Prometheus.

Bedecke deinen Himmel, Zeus

Mit Wolkendunst,

Und übe, Knaben gleich,

Der Disteln köpft,

An Eichen dich und Bergeshöhn!

Musst mir meine Erde

Doch lassen stehn

Und meine Hütte,

Die du nicht gebaut;

Und meinen Herd, um dessen Glut

Du mich beneidest!

Ich kenne nichts Ärmeres

Unter der Sonn', als euch Götter!

Ihr nähret kümmerlich

Von Opfersteuern und Gebetshauch

Eure Majestät! und darbtet, wären

Nicht Kinder und Bettler

Hoffnungsvolle Toren.

Als ich ein Kind war,

Nicht wusst', wo aus, wo ein,

Kehrt mein verirrtes Aug'

Zur Sonne, als wenn drüber wär'

Ein Ohr, zu hören meine Klage,

Ein Herz wie meins,

Sich Bedrängter zu erbarmen!

Wer half mir wider

Der Titanen Übermut;

Wer rettete vom Tode mich,

Von Sklaverei?

Hast du's nicht alles selbst vollendet,

Heilig glühend Herz!

Und glühtest, jung und gut,

Betragen, Rettungsdank

Dem Schlafenden da droben!

Ich dich ehren? Wofür's?

Hast du die Schmerzen gelindert

Je des Beladenen?

Hast du die Tränen gestillet

Je des Geängsteten?

Hat nicht mich zum Manne geschmiedet

Die allmächtige Zeit

Und das ewige Schicksal,

Meine Herrn und deine?

Wähntest etwa

Ich sollt' das Leben hassen,

In Wüsten fliehn,

Weil nicht alle Knabenmorgen,

Blüten, Träume – reiften?

Hier sitz' ich, forme Menschen

Mach meinem Bilde,

Ein Geschlecht, das mir gleich sei:

Zu leiden, weinen,

Zu geniessen und zu freuen sich,

Und dein nicht zu achten,

Wie ich!

10 Ich fahre in dieser Darstellung fort, und ziehe, um nicht zu weitläufig zu werden, was ich kann, zusammen, ohne die Zwischenreden aufzuschreiben. Was unmittelbar hier folgt, wurde herbeigeführt, indem Lessing als des Dunkelsten im Spinoza erwähnte, was auch Leibniz so gefunden und nicht ganz verstanden hätte (Theod. § 173). Ich mache diese Erinnerung hier ein für allemal, und werde sie in der Folge, wo ich mir ähnliche Freiheiten nehme, nicht wiederholen. [Anm. der ersten Ausgabe.]

11 Wiewohl auch nur mittels dieses Körpers, der kein absolutes Individuum sein kann (indem ein absolutes Individuum ebenso unmöglich als ein individuelles Absolutum ist. Determinatio est negatio. Opp. posth. p. 558.); sondern allgemeine unveränderliche Eigenschaften und Beschaffenheiten, die Natur und den Begriff des Unendlichen enthalten muss. Mit dieser Unterscheidung hat man einen von den Hauptschlüsseln zu dem System des Spinoza, ohne welche man in demselben überall Verworrenheit und Widersprüche findet. [A. d. ersten Ausgabe.]

12 Lessings Beiträge, I. S. 216.

13 S. Mendelssohns Philosoph. Schriften, das dritte Gespräch am Ende.

14 Atque haec humana illa libertas est, quam omnes habere jactant, et quae in hoc solo consistit, quod homines sui appetitus sunt conscii, et causarum, à quibus determinantur, ignari (Und das ist die menschliche Freiheit, die alle haben wollen, und die bloss darin besteht, dass die Menschen sich ihres Verlangens, aber nicht der Ursachen, durch die sie bestimmt werden, bewusst sind.) – sagt Spinoza, in demselbigen 62. Briefe. Von jener Wendung, womit die Deterministen dem Fatalismus auszuweichen glauben,mangelte Spinoza keineswegs der Begriff. Sie schien ihm aber so wenig von echt philosophischer Art zu sein, dass ihm das Arbitrium indifferentiae, oder die Voluntas aequilibrii sogar noch lieber war. Man sehe, unter andern im I. T. der Ethik, das 2. Schol. der 33. Prop. am Schlusse. Ferner im III. Teile das Sch. der 9. Prop. und vornehmlich die Vorrede zum IV. Teile. [Anmerkung der ersten Ausgabe.]

15 Dieselbige Benennung findet sich auch beim Spinoza, wiewohl nicht in seiner Ethik; sondern in dem Bruchstück: De Intellectus Emendatione. Die Stelle verdient, dass ich sie abschreibe. At ideam veram simplicem esse ostendimus, aut ex simplicibus compositam, et quae ostendit, quomodo, et cur aliquid sit, aut factum sit, et quod ipsius effectus objectivi in anima procedunt ad rationem formalitatis ipsius objecti; id, quod idem est, quod veteres dixerunt, nempe veram scientiam procedere a caufa ad effectus; nisi quod nunquam, quod sciam, conceperunt, uti nos hic, animam secundum certas leges agentem, et quasi aliquod automa spiritnale. (Ich habe aber gezeigt, dass die wahre Idee einfach oder aus einfachen Ideen zusammengesetzt ist; dass sie zeigt, wie oder warum etwas sei oder geschehen sei; dass ihre objektiven Wirkungen in der Seele nach Verhältnis der Formhaftigkeit des Objekts selbst vorgehen; und das ist dasselbe, was die Alten so ausdrückten die wahre Wissenschaft schreite von den Ursachen zu den Wirkungen fort; nur dass die Alten – soviel ich weiss – niemals, wie wir eben annahmen, dass die Seele nach gewissen Gesetzen handle und gleichsam ein geistiges Automat sei. Opp. Posth. p. 384). Die Ableitung des Wortes αυτοματον (Automat), und was Bilfinger dabei erinnert, ist mir nicht unbekannt. [Anmerkung der ersten Ausgabe.]

16 In seinem Briefe an Albert Burgh. Er fügt hinzu: »Quomodo autem id sciam, si roges, respondebo, eodem modo, ac tu scis tres angulos Trianguli aequales esse duobus rectis, und hoc sufficere negabit nemo, cui sanum est cerebrum, nec spiritus immundos somniat, qui nobis ideas falsas inspirant veris similes: est enim verum index sui et falsi. (Wenn du fragst, wie ich das wisse, so antworte ich: ebenso wie du weisst, dass die drei Winkel eines Dreiecks zwei rechten gleich sind; niemand, der ein heiles Hirn hat und nicht träumt, ein unreiner Geist habe ihm falsche Ideen für wahrscheinlich eingehaucht, wird leugnen, dass das genüge, denn das Wahre weist auf sich selbst und auf das Falsche hin.) – Spinoza machte einen grossen Unterschied zwischen gewiss sein und nicht zweifeln. [Anmerkung der ersten Ausgabe.]

17 Ich finde, da ich eben diesen Bogen durchsehe, in einem meisterhaften Aufsatze des deutschen Merkurs (Februar 1789, S. 127) eine Stelle, die ich, um das Obige zu bestätigen, hier einrücken will. »Wir sollten, dünkt mich, immer mehr beobachten, worin sich die Dinge, zu deren Erkenntnis wir gelangen mögen, voneinander unterscheiden, als wodurch sie einander gleichen. Das Unterscheiden ist schwerer, mühsamer, als das Ähnlichfinden, und wenn man recht gut unterschieden hat, so vergleichen sich alsdann die Gegenstände von selbst. Fängt man damit an, die Sachen gleich oder ähnlich zu finden, so kommt man leicht in den Fall, seiner Hypothese oder seiner Vorstellungsart zuliebe Bestimmungen zu übersehen, wodurch sich die Dinge sehr voneinander unterscheiden.«

18 Auch nach dem System des Leibniz. – Die Entelechie wird durch den Körper (oder den Begriff des Körpers) erst zum Geiste. [Anmerkung der ersten Ausgabe.] – Die Richtigkeit dieses etwas scharf gestellten Satzes ist in meinem Schreiben an Mendelssohn vom 21. April 1785 bewiesen worden, und findet sich in dem Gespräche über Idealismus und Realismus noch ausführlicher dargetan. Hansch erzählt von Leibniz, derselbe hätte einmal beim Kaffeetrinken zu ihm gesagt, es möchten wohl in der Tasse heissen Kaffee, die er gegenwärtig zu sich nähme, Monaden sein, die einst als vernünftige menschliche Seelen leben würden (Hansch Leibn. Princ. Ph. demonstr. § 16. Sch. 3). Leibniz selbst schrieb an Des Bosses (Opp. II. P. I. p. 283): »Entelechia nova creari potest, etsi nulla nova pars massae creetur, quia etsi jam massa habeat unitates, tamen novas semper capit, pluribus aliis dominantes: ut si fingas Deum ex massa quoad totum non organica, v. g. ex rudi saxo, facere corpus organicum, eique suam animam praeficere.« – Und in einem andern Briefe an eben diesen Des Bosses (ibid. p. 269): »Finge animal se habere ut guttam olei, et animam ut punctum aliquod in gutta. Si jam divellatur gutta in partes, cum quaevis pars rursus in guttam globosam abeat, punctum illud existet in aliqua guttarum novarum. Eodem modo animal permanebit in ea parte, in qua anima manet, et quae ipsi animae maxime convenit. Et uti natura liquidi in alio fluido affectat rotunditatem, ita natura materiae a sapientissimo auctore constructae, semper affectat ordinem, seu organizationem. Hinc neque animae, neque animalia destrui possunt; etsi possint diminui, atque obvolvi, ut vita eorum nobis non appareat.« – Weder die Erzählung von Hansch, noch die Stellen von Leibniz selbst stehen zum Beweise hier; denn ich habe den vollständigen Beweis an den angezeigten Orten schon geführet: sie sollen nur an dasjenige, was dort gesagt und mit entscheidenden Stellen belegt ist, erinnern.

Über den Text zu dieser Anmerkung hat sich Herder in seinem Gott auf eine Weise ausgelassen, die ich noch mit ein paar Worten berühren muss.

»Erwägen Sie,« sagt Theophron (S. 175), »die ungeheuren Folgen eines trüglichen Bildes: Gott, die Seele des Ganzen, sei ein Effekt; nichts als ein Effekt der Welt; alle andere Seelen, nach allen möglichen Systemen, seien als Seelen nur Effekt. Wahrscheinlich nur Effekte der Zusammensetzung, ohne etwas Zusammensetzendes usw.«

Gott, die Seele des Ganzen – NICHTS als ein Effekt der Welt? Die Seelen – wahrscheinlich nur Effekte der Zusammensetzung ohne Zusammensetzendes? Wo hat Herder dies gelesen? – – Ich verweise auf mein Schreiben an Mendelssohn vom 21. April 1785, in welchem die Sache hinlänglich auseinandergesetzt ist. Auch Mendelssohn glaubte gelesen zu haben, Lessing mache die Entelechien des Leibniz zu blossen Wirkungen des Körpers. Ich zeigte ihm seinen Irrtum, und hatte folgendes hinzugesetzt: »Letzteres« (nämlich: die Entelechie des Leibniz sei bloss Effekt des Körpers; wie ich in der Note, welche Mendelssohn in den Text zog, gesagt haben sollte) »könnte ich nicht im Traume, nicht in der Fieberhitze gesagt haben; geschweige, dass ich es gesund und wachend schriftlich von mir gegeben hätte.« Ein berühmter Gelehrter, welchem ich eine Abschrift meines Aufsatzes geschickt hatte, riet mir diese letzten Zeilen, in denen man etwas Beleidigendes für Mendelssohn finden könnte, zu vertilgen, welches ich bei der öffentlichen Bekanntmachung auch getan habe. Herder wusste um diesen guten Rat, und hatte das Schreiben an Mendelssohn vom 21. April wahrscheinlich mehr als einmal gelesen: wie war es denn möglich, dass er eine ungereimte Meinung, wider die ich mich so nachdrücklich erklärt hatte, Lessingen oder mir von neuem aufbürden konnte?

Ich möchte wissen, wie Herder sich eine Seele –nicht als Substanz, nicht als denkende Kraft überhaupt – sondern bloss als die Seele eines gewissen bestimmten Leibes, als die ausschliessliche blosse Vorstellung desselben denken wollte, wenn nicht als eine Wirkung der gewissen, bestimmten, ausschliesslichen Form, deren Vorstellung insofern allein ihr Wesen ausmacht. Freilich ist dieser Gedanke Lessings äusserst abgezogen; aber er musste so scharf gegriffen werden, wenn er in der Verbindung, worin er vorkommt, Bedeutung und Anwendung haben sollte.

Herder findet überhaupt das Bild einer Weltseele bedenklich, welches einigermassen befremden könnte, da seine Verbesserung des Spinozismus darauf allein herausläuft, den Gott dieses Systems in eine Weltseele zu verwandeln. Er scheint aber nur zu fürchten, dass man durch dieses Bild oder Wort sich verführen lasse, eine persönliche Gottheit zu träumen. (S. Herders Gott, S. 174–177.)

19 Lessing hatte mich nach Braunschweig begleitet, und es fügte sich, dass wir den Abend, ohne Abschied zu nehmen, voneinander kamen. Lessing schrieb mir ein Billet, welches mich nicht mehr traf, und das er selbst mir bei meiner Zurückkunft einhändigte. Da es in Beziehung auf den Faden meiner Erzählung nicht ganz unbedeutend, und nicht ohne urkundliche Kraft ist, so mag es, ob es übrigens gleich unbedeutend ist, hier dennoch seinen Platz behaupten.

Lieber Jacobi,

Mündlich habe ich von Ihnen nicht Abschied nehmensollen. Schriftlich will ich es nicht tun. Oder welches einerlei ist, und mir die kindische Antithese erspart;soll ich es auch nicht.

Ich werde oft genug in Gedanken bei Ihnen sein. Und wie kann man denn sonst beieinander sein, als in Gedanken?

Reisen Sie glücklich, und kommen Sie gesund und vergnügt wieder. Ich will indes alles mögliche anwenden, dass ich sodann weiter mit Ihnen reisen kann.

Meinen besten Empfehl an Ihre Schwester.

Wolfenbüttel, den 11. Jul. 1780.

Der Ihrige, Lessing.

20 Ich hatte während meines ersten Aufenthalts zu Wolfenbüttel, um Lessings grosses Verlangen nach dieser Schrift zu befriedigen, darum schreiben müssen.

21 Hier der ganze Brief, vielleicht einer der letzten, die Lessing geschrieben hat.

Wolfenbüttel, den 4. Dez. 1780.

Lieber Jacobi!

Langer, von dem ich diesen Augenblick einen Brief aus Amsterdam erhalte, kann Ihnen gesagt haben, dass er mich im Begriff verlassen, nach Hamburg zu reisen. Da bin ich so lange gewesen, als ich Hoffnung hatte, meine verlorene Gesundheit und Laune unter meinen alten Freunden wiederzufinden. Ich weiss selbst nicht mehr, wie lange das war. Freilich sollte ich sie eher aufgegeben haben, diese Hoffnung. Aber wer gibt die Hoffnung gern anders als gezwungen auf? Endlich bin ich ohnlängst wieder zurückgekommen. Am Körper, bis auf die Augen, allerdings etwas besser: aber am Geiste weit unfähiger. Unfähig zu allem, was die geringste Anstrengung erfordert.

Würde ich Ihnen nicht schon längst geschrieben haben? – Möchten Sie doch in meiner Seele ebenso fertig lesen können, als ich mich in Ihrer zu lesen getraue. Ich verstehe es sehr wohl, was Ihnen ekeln musste, mir noch einmal zu schreiben, nachdem Sie es ** schon einmal geschrieben hatten... (Die hier ausgelassene Stelle betrifft meine damalige politische Lage)... Auch wüsste ich nicht, was ich nicht lieber von Ihnen lesen möchte, als eine Rechtfertigung Ihrer selbst. Der Mann wie Sie hat bei mir niemals unrecht, wenn er es auch gegen eine ganze Welt haben könnte, in die er sich nicht hätte mengen sollen.

Hängen Sie, lieber Jacobi, Ihren Kameralgeist ganz an Nagel, und setzen sich ruhig hin, und vollführen Ihren Woldemar.

Bei Woldemar fällt mir ein, dass ich mich anheischig gemacht, Ihnen meine Gedanken über des Hemsterhuis System von der Liebe mitzuteilen. Und Sie glauben nicht, wie genau diese Gedanken mit diesem System zusammenhängen, das, meiner Meinung nach, eigentlich nichts erklärt, und mir nur, mit den Analysten zu sprechen, die Substitution einer Formel für die andere zu sein scheint, wodurch ich eher auf neue Irrwege gerate, als dem Aufschlusse näherkomme. – Aber bin ich jetzt imstande, zu schreiben, was ichwill? – Nicht einmal, was ich muss. – Denn eins muss ich doch noch wohl; fragen muss ich doch noch wohl, ob der T ** ganz und gar in die Jülichische und Bergische Geistlichkeit gefahren sei? Ich denke, Sie sind es wohl selbst, der mir das Proklama, oder wie die Abscheulichkeit sonst heisst, zugeschickt hat. Gott! Der Nichtswürdigen! Sie sind es wert, dass sie von dem Papsttum wieder unterdrückt, und Sklaven einer grausamen Inquisition werden! Was Sie Näheres von diesem unlutherschen Schritte wissen, das melden Sie mir doch.

Empfehlen Sie mich allen den Ihrigen, besonders denen, die ich kenne. Dass unsere Neigung noch immer einen Unterschied zwischen Leuten macht, die man gesehen, und die man nicht gesehen hat, wissen Sie wohl, »ist nicht meine Erfindung.« (Diese letzten Worte beziehen sich auf eine Stelle in Hemsterhuis sur les désirs.)

Ihrem Herrn Bruder, der nun bald wieder hier durchkommt, sagen Sie, dass D * nicht zu Hause, und alle Wirtshäuser hier, bis auf meines, wegen der Pest verschlossen sind.

22 Ich ersuche den Leser, sich bei diesem zu sehr in die Kürze gedrängten und daher äusserst dunkel gewordenen Kommentar nicht aufzuhalten. In den folgenden Briefen wird die Sache klar genug erscheinen. [Anmerkung der ersten Ausgabe.]

23 Erziehung des Menschengeschlechts § 73 am Ende.

24 Nämlich insofern diese Princ. Phil. Cartes. Sätze enthalten, die sich mit dem in dem Tract. Th. Pol. und in der Ethik aufgeführten Lehrgebäude nicht vertragen, in welchem Sinne allein eins dem andern entgegengesetzt werden kann. Man sehe die Vorrede zu den Princ. Ph. Cart., den Brief des Spinoza an Heinr. Oldenburg Opp. Posth. p. 422, und den an W. Bleyenberg, ib. p. 518. [Anmerkung der ersten Ausgabe.]

25 Von diesem Briefe gab ich in der ersten Ausgabe nur einen Auszug. Da es aber nachher nötig wurde, ihn wörtlich abdrucken zu lassen, so ist es am natürlichsten, dass er jetzt ebenso auch hier erscheine.

26 Emilie hatte meinen Brief an Mendelssohn, vor der Absendung, diesem Freunde mitgeteilt. Er war der Meinung, man müsse Lessings Spinozismus nicht öffentlich bekannt werden lassen, und hatte darüber an Mendelssohn geschrieben. Sein Brief wurde dem meinigen beigelegt.

27 »Bezieht sich auf das Schreiben von **«, setzt Emilie an den Rand.

28 Dieses ist, wenn man es genau nehmen will, nicht ganz richtig; denn zu Anfang des April 1784 meldete mir Emilie, unser Freund ** hätte meinen Aufsatz gern noch einmal mit Musse lesen wollen, und Mendelssohn gebeten, ihm denselben entweder im Original, oder in Abschrift zuzuschicken. Mendelssohn hätte das Original geschickt, und noch nicht zurückerhalten, weil ** eine Abschrift hätte behalten wollen. Es sei aber nichts dabei versäumt, denn Mendelssohn sei krank gewesen. Das Original ginge nun unverzüglich nach Berlin zurück. »Was aber sagen Sie (fährt Emilie fort) zu...? Nicht wahr? Sie haben sich darüber, so wie wir, geärgert...? L. J., was will aus allem Denken, aus aller Wahrheit werden, wenn solche Paradoxien mehr in Gang kommen? Denn was greifen die Nichtdenker eher auf, als Paradoxien, glänzende Irrtümer, von irgendeinem grossen Manne glänzend vorgetragen? Ich muss es Ihnen gestehen, unser ** ist durch diese Geburt von N. N. sehr dahin gebracht worden, zu wünschen, dass Mendelssohn Lessings Spinozismus der Welt so sehr verhehle, als die Heiligkeit der Wahrheit es immer verstattet. Denn was würde vollends ein Beispiel wie Leasings der Schale für einen Ausschlag geben? Ich zittere vor den Folgen. Wie gross, wie klein ist der Mensch in seinem Denken?«

29 Hier die Stelle wörtlich:

den 5. Juli 1784.

»Während der letzten Zeit« (wo Emilie verhindert war, an mich zu schreiben) – »kam ein Brief von Mendelssohn, worin er den Rückempfang Ihrer Handschrift anzeigt, zugleich aber meldet, dass, wenn er diesen Sommer Gesundheit und Musse genug hätte, so liesse er vielleicht Lessings Charakter noch beiseite, um erst einen Gang mit den Spinozisten, oder Alleinern, wie er sie lieber heissen wollte, zu wagen.« Er beratschlagt sich sodann mit ** darüber, wie die Art des Angriffes sein müsste: ob es besser sei, »einen bestimmten Gegner zu nehmen, mit welchem man von einem gewissen Punkt ausgehe; oder die Streiche nur so kreuz und quer durch die Luft führe, dass sie alle Gegner abhielten.« Das erstere, sagt er, »wäre mehr nach seinem Geschmack: allein das Bedürfnis der Zeit und des Jahrhunderts erfordre vielleicht das letztere.« – ** hat ihm hierauf vor einigen Posttagen seine Gedanken schriftlich mitgeteilt, und wir müssen nun hoffen, dass Mendelssohn wirklich bald Hand ans Werk lege. Sie aber, l. J., müssen sich freuen, dass Sie durch Ihren Aufsatz die Veranlassung zu einer so nützlichen Arbeit gaben, wenn es gleich eigentlich zu einem andern Zwecke dienen sollte, und mit der Zeit dienen wird: – denn gewiss ist es höchst nötig, dass die blendenden Irrtümer unserer Zeiten einmal durch das unwiderstehliche Licht reiner Vernunft, von einer so festen Hand vorgehalten, zerstreut werden. Ob mich nicht auf der andern Seite ebenso innig nach der Erscheinung des so lang gehofftenCharakters unsers Lessings verlange: – das können Sie denken usw.

30 Theod. § 173.

31 Der erst. Ausg. S. 36 der zweiten.

32 Dieses ist ein Schreib- oder Druckfehler. In der ersten Ausgabe meiner Briefe steht, wie in meiner Handschrift, Wirklichkeit.

33 D. e. Ausg. – S. 46 der zweiten.

34 D. e. Ausg. – S. 61 der zweiten.

35 Die folgenden Zeilen bis zu Ende des Absatzes finden sich nicht in der ersten Ausgabe. Ich konnte sie damals, da die Erinnerungen noch nicht erschienen waren, und ich zuversichtlich glaubte, dass sie nie erscheinen würden, füglich weglassen.

36 Aristée ou De La Divinité. Paris. 1779. Von demselbigen Verfasser, dem Herrn Hemsterhuis, sind die übrigen in der Folge angeführten Schriften: Lettre sur l'Homme et ses Rapports, Paris. 1772, und Sophyle ou De La Philosophie, Paris. 1778.

37 Aristée p. 81–82.

38 Aristée p. 64.

39 Aristée p. 112.

40 Aristée p. 74. 115.

41 Aristée p. 81.

42 Aristée p. 123.

43 Aristée p. 52.

44 Lettre s. l'homme etc. p. 51.

45 Lettre s. l'homme etc. p. 60.

46 Sophyle p. 68.

47 Aristée p. 168.

48 Aristée p. 167. 170.

49 Die erste Ausgabe S. 115 enthält nur einen Auszug davon.

50 Der ganze Eingang der Beilage bis an dieses Sternchen steht nicht in der ersten Ausgabe. Ich liess ihn weg, weil er etwas hart klingt und ich Mendelssohns Erinnerungen, die ihn erklärt und gerechtfertigt hätten, in meine Schrift nicht aufnehmen durfte. An diesen Erinnerungen glaubte ich wirklich eine Art von Geissel zu besitzen. Mendelssohn hat anders davon geurteilt und sie drucken lassen. Zugleich machte er meinen auf diese Erinnerungen sich beziehenden Eingang bekannt, welcher nachher noch einigemal an ehrlichen Orten angeschlagen wurde, damit des Entsetzens über den Frevel kein Ende werden möchte. Er steht nun, wo er zu stehen gehört, und mag sich selbst verantworten.

51 Diese Worte liess ich in der ersten Ausgabe auf den Rat eines Freundes, welcher fürchtete, sie möchten Anlass zu Spöttereien geben, weg. Die Folge hat gezeigt, dass es nicht der Mühe wert war. Jetzt, nachdem ich meine 44 Paragraphen von neuem scharf geprüft habe, trage ich kein Bedenken, diese Arbeit für den Massstab meiner Geisteskräfte und der Anstrengung, die ich ihnen zu geben fähig bin, öffentlich zu erkennen. Es ist mir auffallend gewesen, dass Herr Heydenreich (Natur und Gott nach Spinoza, S. 87) das Schreiben an Hemsterhuis vorzuziehen scheint. Überhaupt hat man diesen Paragraphen die Gerechtigkeit, die ihnen gebührt, nicht widerfahren lassen. Sie verlieren aber deswegen nichts von ihren Ansprüchen, deren Gültigkeit sich allmählich von selbst offenbaren wird.

52 Wenn jemand alle Bewegungen der Materie, die bisher waren, bestimmen wollte, indem er sie und ihre Dauer unter eine bestimmte Zahl und Zeit brächte, so würde er nichts andres versuchen, als die körperliche Substanz, die wir nur als existierend begreifen können, ihrer Affektionen zu entledigen und zu bewirken, dass sie die Natur, die sie hat, nicht habe. (Brief 29, nach jetziger Zählung 12.)

53 Ethik; 28. Satz: Jeder Einzelne oder jedes Ding, welches endlich ist und ein bestimmtes Dasein hat, kann nicht da sein oder zum Wirken bestimmt werden, ohne zum Dasein oder Wirken von einer andern Ursache bestimmt zu werden, die ebenfalls endlich ist und ein bestimmtes Dasein hat. Und wiederum kann diese Ursache auch nicht da sein und zum Wirken bestimmt werden, ohne von einer andern, welche auch endlich ist und ein bestimmtes Dasein hat, zum Dasein oder Wirken bestimmt zu werden. Und so ins Unendliche.

Beweis: Was zum Dasein und Wirken bestimmt ist, wurde von Gott so bestimmt. Was aber endlich ist und ein bestimmtes Dasein hat, konnte nicht von der absoluten Natur eines göttlichen Attributs hervorgebracht werden; denn was aus der absoluten Natur eines göttlichen Attributs erfolgt, ist unendlich und ewig. Es musste also aus Gott oder einem seiner Attribute erfolgen, insofern dies als von irgend einer Daseinsweise affiziert betrachtet wird; den ausser Substanz und Daseinsweisen (modi) gibt es nichts, und die Daseinsweisen sind nichts als Erregungen der göttlichen Attribute. Aber aus Gott oder einem seiner Attribute, insofern es durch eine ewige und unendliche Form bestimmt ist, konnte es wieder nicht erfolgen. Es musste also erfolgen oder zum Dasein und Wirken bestimmt werden von Gott oder einem seiner Attribute, insofern dies von einer endlichen und bestimmten Form geformt worden ist. Dies war der erste Punkt. Ferner musste diese Ursache oder diese Daseinsweise (aus dem gleichen Grunde, aus dem wir eben den ersten Teil des Satzes bewiesen haben) wieder von einer andern bestimmt werden, welche auch endlich ist und ein bestimmtes Dasein hat, und wieder diese letzte (aus dem gleichen Grunde) von einer andern, und so immerfort (aus dem gleichen Grunde) ins Unendliche. Was zu beweisen war.

Anmerkung. Da einiges von Gott unmittelbar hervorgebracht werden müsste, nämlich das, was aus seiner absoluten Natur notwendig folgt (indem dieser Erste alles vermittelte, was doch ohne Gott weder existieren noch begriffen werden kann), so ergibt sich daraus: erstens, dass Gott die absolut nächste Ursache der Dinge ist, die von ihm unmittelbar hervorgebracht wurden (aber nicht in ihrer Gattung, wie man zu sagen pflegt), denn die Wirkungen Gottes können ohne ihre Ursache weder sein noch vorgestellt werden; es ergibt sich zweitens, dass Gott nicht eigentlich die entfernte Ursache der Einzeldinge genannt werden kann, es wäre denn, um sie von denen zu unterscheiden, welche er unmittelbar hervorgebracht hat oder vielmehr welche aus seiner absoluten Natur hervorgehen. Denn unter entfernter Ursache verstehen wir eine solche, die mit der Wirkung auf keine Weise verbunden ist; doch alles, was ist, ist in Gott und hängt so von Gott ab, dass es ohne ihn weder sein kann noch begriffen werden kann.

54 Folgende Stellen von Kant mögen dazu dienen, diesen Begriff fasslicher zu machen. Dass die Kantsche Philosophie dadurch des Spinozismus nicht beschuldigt werde, braucht man keinem Verständigen zu sagen.

Man kann sich nur einen einigen Raum vorstellen, und wenn man von vielen Räumen redet, so versteht man darunter nur Teile ein und desselben alleinigen Raumes. Diese Teile können auch nicht vor dem einigen allbefassenden Raume gleichsam als dessen Bestandteile (daraus seine Zusammensetzung möglich sei) vorhergehen, sondern nur in ihm gedacht werden. Er ist wesentlich einig, das Mannigfaltige in ihm, mithin auch der allgemeine Begriff von Räumen überhaupt, beruht lediglich auf Einschränkungen. Krit. d. rein. Vern., S. 25 der alten und S. 39 der neuen Ausgabe.

Die Unendlichkeit der Zeit bedeutet nichts weiter, als dass alle bestimmte Grösse der Zeit nur durch Einschränkung einer einigen zugrunde liegenden Zeit möglich sei. Daher muss die ursprüngliche Vorstellung Zeit als uneingeschränkt gegeben sein. Wovon aber die Teile selbst, und jede Grösse eines Gegenstandes nur durch Einschränkung bestimmt vorgestellt werden können, da muss die ganze Vorstellung nicht durch Begriffe gegeben sein (denn da gehen die Teilvorstellungen vorher), sondern es muss ihr unmittelbare Anschauung zugrunde liegen. Kritik der reinen Vern. S. 32 der alten und S. 47 der neuen Ausgabe.

Ich will diesen Worten folgende Sätze des Spinoza selbst zur Begleitung geben:

»Der Verstand nimmt einiges wahr, oder er bildet einige Ideen absolut, einige aus andern Ideen. Die Idee der Quantität bildet er nämlich absolut und beachtet dabei keine andern Gedanken; die Ideen der Bewegung aber bildet er nur mit Berücksichtigung der Idee der Quantität.

Die Ideen, die der Verstand absolut bildet, drücken Unendlichkeit aus, die begrenzten Ideen aber bildet er aus andern. Denn die Idee der Quantität, wenn er sie durch ihre Ursache wahrnimmt, begrenzt die Quantität so, wie wenn er sich vorstellt, aus der Bewegung einer Fläche entstehe ein Körper, aus der Bewegung einer Linie eine Fläche, aus der Bewegung eines Punktes endlich eine Linie; als welche Vorstellungen nicht zum Verständnisse, sondern zur Begrenzung einer Quantität dienen. Dies erhellt daran, dass wir diese Gestalten gleichsam aus einer Bewegung entstehend begreifen, die Bewegung aber nicht begriffen werden kann, bevor wir die Quantität begriffen haben; auch können wir die Bewegung ins Unendliche fortgehen lassen, was wir durchaus nicht tun könnten, wenn wir nicht die Idee der unendlichen Quantität hätten.

Der Verstand bildet die positiven Ideen früher als die negativen.

Er nimmt die Dinge nicht so sehr unter der Form der Dauer wahr, als unter einer gewissen Form der Ewigkeit (sub quadam specie aeternitatis), unter einer unendlichen Zahl; besser: zum Verständnis der Dinge beachtet er weder die Zahl noch die Dauer, stellt er sich die Dinge aber in seiner Einbildungskraft vor, so begreift er sie unter einer bestimmten Zahl und unter einer begrenzten Dauer und Quantität« (vgl. Über die Ausbildung des Verstandes).

Ich unterliege der Versuchung, noch eine Stelle aus den Cogitatis Metaphysicis des Spinoza abzuschreiben, welche zur Erläuterung des Vorhergehenden, besonders der zwei letzten Sätze nicht wenig beitragen, und auch auf die ganze Materie ein neues Licht werfen wird.

Da wir gewohnt sind, von allem, was wir erkennen, uns auch gewissermassen Bilder in unserer Phantasie zu malen, stellen wir uns auch Nichtwirklichkeiten so positiv vor wie Wirklichkeiten. Denn der Geist, an sich betrachtet, hat nicht mehr Kraft zum Bejahen als zum Verneinen, weil er ein denkendes Ding ist; weil nun aber das Vorstellen nichts anderes ist als das Innewerden von Spuren im Gehirn, Spuren von einer Bewegung der Geister, die in den Sinnen von den Objekten erregt wurde, darum kann dieses Innewerden nur eine wirre Bejahung sein. Und daher kommt es, dass wir uns alle Daseinsweisen, deren sich der Geist zum Verneinen bedient (als wie: Blindheit, Aufhören oder Ende, Ziel, Finsternis usw.), gleichsam wie Wirklichkeiten vorstellen.

Hieraus erhellt deutlich, dass die (menschlichen) Denkweisen nicht die Ideen der Dinge sind und keineswegs zu diesen Ideen gerechnet werden können, weil sie kein Ideat (ideatum) haben, das notwendig ist oder sein kann. Diese Denkweisen werden aber für Ideen der Dinge gehalten, weil sie von den Ideen der realen Wesen unmittelbar genug aussehen und entspringen, um mit diesen sehr leicht verwechselt zu werden von Leuten, die nicht genau aufpassen; daher gab man diesen Denkweisen Namen, gleich als ob man mit ihnen ausser unserm Geiste existierende Wesen hätte bezeichnen wollen... Etwas ganz anderes ist es, in der Natur der Dinge zu forschen, wieder etwas anderes, die Denkweisen zu erforschen, durch welche die Dinge von uns begriffen werden. Verwechselt man das, so kann man weder die Denkweisen noch die Natur selbst verstehen. (Prinzipien der Philosophie des Descartes. Anhang I. 1. Kap.)

Die eigentlichen Beweise des Spinoza, dass seine unendliche Substanz nicht aus Teilen zusammengesetzt, sondern schlechterdings unteilbar und im strengsten Verstande Eins sei, werde ich weiter unten anführen.

Ich will diese lange Anmerkung noch mit einer erläuternden Stelle aus Leibniz verlängern und beschliessen, wie ich angefangen habe. »Malebranche disant que Dieu est l'être en général, on prend cela pour un être vague et notional, comme est le genre dans la logique; et peu s'en faut qu'on n'accuse le P. Malebranche d'Athéisme: mais je crois que ce père a entendu,non pas un être vague et indéterminé, mais l'être absolu, qui diffère des êtres particuliers bornés, commel'espace absolu et sans bornes diffère d'un cercle ou d'un quarré.« Rec. de D. M. I. p. 544.

55 Eins soll etwas Reales ausserhalb des Verstandes bezeichnen; was aber dies dem Wesen hinzufüge, weiss man nicht zu erklären, was genugsam zeigt, dass man das Denkwesen mit dem realen Wesen vermenge; so wird das klar Erkannte verwirrt wiedergegeben. Wir aber sagen, die Einheit unterscheide sich in nichts von dem Dinge selbst und füge dem Wesen nichts hinzu; sie sei nur eine Denkweise, durch die wir ein Ding von den andern scheiden, welche ihm ähnlich sind oder mit ihm irgendwie übereinkommen. Der Einheit wird die Vielheit entgegengesetzt, welche den Dingen natürlich auch nichts hinzufügt, auch nichts als eine Denkweise ist, wie wir klar und scharf erkennen. Ich wüsste nicht, was über einen so klaren Gegenstand mehr zu sagen wäre; nur das möchte ich bemerken, dass man Gott, sofern wir ihn von andern Wesen scheiden, den einen nennen kann; dass er aber der einzige genannt werden kann, sofern wir begreifen, dass es nicht mehrere seiner Art geben könne. Wollten wir die Frage aber genauer prüfen, so könnten wir vielleicht zeigen, dass Gott nur uneigentlich der Eine und der Einzige genannt wird; doch die Frage ist von nicht grosser, ja von gar keiner Bedeutung für diejenigen, die sich um die Dinge und nicht um die Worte kümmern. (Anhang der metaphysischen Betrachtungen I. Kap. 6).

Was den Beweis betrifft, den ich im Anhange der geometrischen Beweise zu den Prinzipien des Cartesius aufstelle, dass nämlich Gott nur sehr uneigentlich der Eine oder der Einzige genannt werden könne, so antworte ich: dass man ein Ding nur bezüglich seiner Existenz, nicht bezüglich seines Wesens eines oder einzig nennt; denn wir begreifen die Dinge unter dem Zahlbegriffe erst dann, nachdem sie auf einen Gattungsbegriff gebracht worden sind. Wer z.B. einen Groschen und einen Dukaten in der Hand hält, wird nicht an die Zweizahl denken, ausser wenn er diesen Groschen und diesen Dukaten mit einem und demselben Zahl- oder Münzworte benennen will; dann erst kann er sagen, er habe zwei Münzen oder Geldstücke, weil er den Groschen und den Dukaten mit dem Namen Münze oder Geldstück bezeichnet. Daraus wird klar, dass ein Ding erst dann eines oder einzig genannt wird, nachdem man ein anderes Ding begriffen hat, das wie gesagt jenem ähnlich ist. Weil aber bei Gott seine Existenz auch sein Wesen ist und wir uns von seinem Wesen keine allgemeine Idee bilden können, darum ist es gewiss: wer Gott den einen oder einzigen nennt, hat keine wahre Idee von Gott oder spricht uneigentlich von ihm. (50. Brief).

56 Eth. P. I. Schol. P. X.

57 Die Ordnung und Verknüpfung der Ideen ist dieselbe wie die Ordnung und Verknüpfung der Dinge.Anmerkung: Ehe wir weiter gehen, müssen wir ins Gedächtnis zurückrufen, was wir oben gezeigt haben, nämlich; was vom unendlichen Verstande als Wesen der Substanz begriffen werden kann, alles das bezieht sich nur auf eine einzige Substanz; folglich ist die denkende Substanz und die ausgedehnte Substanz nur ein und dieselbe Substanz, welche bald unter dem einen, bald unter dem andern Attribut begriffen wird. So ist auch die Form der Ausdehnung und die Idee dieser Form ein und dasselbe Ding, doch auf zweierlei Weise ausgedrückt. Das scheinen einige Hebräer wie durch einen Nebel gesehen zu haben, da sie die Behauptung aufstellen, Gott, Gottes Verstand und die verstandenen Dinge seien ein und dasselbe. (Ethik 2. Buch, 7. Satz).

58 Die Dinge sind in Beziehung auf Bewegung und Ruhe, auf Schnelligkeit und Langsamkeit von einander unterschieden, nicht in Beziehung auf die Substanz.(Ethik 2. Buch, I. Lehrsatz).

59 Ep. LXVI. Opp. Posth. p. 593.

60 Eth. P. I. Prop. 21, 22, 23. Ruhe und Bewegung sind einander entgegengesetzt, und keine von diesen Bestimmungen kann die andere hervorgebracht haben. Gott muss also die unmittelbare Ursache davon sein, so wie er die unmittelbare Ursache der Ausdehnung und seiner selbst ist. Ep. LXX. Opp. Posth. p. 596. Ep. LXXIII. Opp. Posth. p. 598.

61 Unter der wirkenden Natur (natura naturans) ist das zu verstehen, was in sich ist und für sich begriffen wird, oder solche Attribute der Substanz, welche deren ewiges und unendliches Wesen ausdrücken, das ist Gott, insofern er als freie Ursache betrachtet wird. Unter gewirkter Natur (natura naturata) verstehe ich das alles, was aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur oder aus der Notwendigkeit irgendeines seiner Attribute folgt, d.h. alle Formen der Attribute Gottes, insofern sie als Dinge betrachtet werden, welche in Gott sind und ohne Gott weder sein noch begriffen werden können. (Ethik I. Buch, Anmerkung zum 29. Satze.)

62 Der tätige Verstand, sei er endlich oder unendlich, ebenso auch der Wille, das Begehren, die Liebe usw. gehören der gewirkten Natur an, aber nicht der wirkenden Natur.

Beweis: denn unter Verstand begreifen wir nicht die absolute Erkenntnis, sondern nur eine gewisse Erkenntnisform, welche Form sich von andern Formen wie Begehren, Liebe usw. unterscheidet, und deshalb aus dem absoluten Denken begriffen werden muss; nämlich aus einem Attribute Gottes, dass das ewige und unendliche Wesen des Denkens ausdrückt, so begriffen werden muss, dass er sonst nicht sein, noch begriffen werden kann. Deshalb gehört der Verstand zur gewirkten Natur und nicht zur wirkenden, wie auch die übrigen Formen des Denkens. Was zu beweisen war.

Erklärung: Der Grund, weshalb ich hier von einem tätigen Verstande spreche, besteht nicht darin, dass ich irgendeinen potentiellen Verstand zugebe; weil ich aber alle Verwirrung zu meiden strebe, wollte ich nur von einem möglichst klar begriffenen Gegenstande sprechen, nämlich von dem Akte des Verstehens (intellektio) selbst, der von uns besser als irgend etwas anderes erfasst wird. Denn wir können nichts verstellen, was nicht zur bessern Erkenntnis des Verstehens führte. (Ethik I. Buch, 31. Satz.)

63 Eth. P. II. pr. 11 et 13. Das, was Spinoza von dem menschlichen Verstande erweist, nach seiner Lehre auch von jedem andren endlichen Verstande gelten müsse: darüber ist das in mehr als einer Rücksicht wichtige Scholium des eben angeführten 13. Satzes im II. Teile der Ethik nachzusehen.

Offenbar kann die verschiedene Natur der Gegenstände der Begriffe, in Absicht des Verstandes selbst keine wesentliche Änderung machen, und von den unendlichen Eigenschaften, welche der unendlichen Substanz von Spinoza zugeschrieben werden, gehört wenigstens keine ausser dem unendlichen Denken selbst und seinen Modis zu der denkenden Natur. Sie müssen folglich alle zu der denkenden Natur sich ebenso verhalten, wie sich die körperliche Ausdehnung dazu verhält, das ist, sie müssen für sich allein betrachtet, als mera ideata angesehen werden, und ihre einzelnen Dinge können von Begriffen nur die Gegenstände – und wenn von unmittelbaren Begriffen die Rede ist, nur die Leiber von denselben sein. Ich werde mich also um jene anderen Eigenschaften, von denen wir gar nichts wissen, als nur, dass etwas dergleichen da sein soll, weiter nicht bekümmern, und mich bloss an dem einzigen Gegenstand der menschlichen Seele, dem Körper halten. Diese Sache könnte übrigens zu einer sehr wichtigen Betrachtung führen, an deren Stelle ich die blosse Anmerkung setzen will, dass Spinozas Lehre von den unendlichen Eigenschaften Gottes, verknüpft mit dem Facto, dass wir ausser unserem Körper, und was sich aus dem Begriffe desselben herleiten lässt, schlechterdings gar nichts erkennen (vid. Ep. LXVI. cum locis in illa citatis), ein vortrefflicher Fingerzeig ist, den wahren Sinn seines Lehrgebäudes zu treffen.

† Meine Meinung ist diese: der Gott des Spinoza hat ausser den Eigenschaften der unendlichen Ausdehnung und des unendlichen Denkens keine anderen Eigenschaften. Wenn Spinoza Gott auf eine unbestimmte Weise unendliche Eigenschaften auch der Menge nach zuschrieb, so geschah dieses, weil er ihn a priori definierte und demonstrierte, wo es unmöglich war, weder das Dasein gewisser bestimmter Eigenschaften, noch das Nichtdasein anderer zu beweisen; und beides musste er tun, wenn er nicht unendliche Eigenschaften, auch der Menge nach, annahm. Nun aber fanden sich im menschlichen Begriffe nur zwei Eigenschaften des unendlichen Wesens: Ausdehnung und Denken. Das Denken an sich betrachtet, gehört nach Spinoza ebensowenig zu der Ausdehnung, als die Ausdehnung an sich betrachtet, zum Denken gehört, sondern sie sind vereinigt einzig und allein, weil sie Eigenschaften eines und desselben unteilbaren Wesens sind. Auch ist es unmöglich, dass irgendeine Eigenschaft der Substanz allgemeiner, das ist, in der Substanz allgegenwärtiger sei, als die andere. Wenn nun Ausdehnung und Denken allein aus diesem Grunde vereinigt, und in jedem Dinge notwendig ein Ding sind, so muss eben dieses von allen übrigen Eigenschaften der Substanz gelten und ihre ganze Summa in dem Begriffe eines jeden einzelnen Dinges enthalten sein. Diesen richtigen Schluss hat auch Spinoza selbst gemacht, und sich nur enthalten, ihn auf die hier dargelegte Weise zu entwickeln (v. Eth. II. Pr. 45, 46, 47). Es fand sich aber ein scharfsinniger Mann in London (leider für uns ein Unbekannter!), der ihn noch bei Lebzeiten des Spinoza auseinandersetzte. Er fragte unsern Weltweisen (Ep. LXV), ob die Vereinigung seines a priori und a posteriori nicht zu der Behauptung nötige, dass es ebensoviele verschiedene Welten als verschiedene Eigenschaften Gottes gäbe? – Spinoza suchte Ausflüchte und verwies auf das Schol. Prop. 7 p. 2, wo er den Beweis gegeben hatte, dass nur ein Weltall sein könne (Ep. LXVI). Jener treffliche Denker hielt sich nun an diesem Scholium und führte aus demselben den Beweis, dass in dem Begriffe eines jeden einzelnen Dinges die Begriffe aller verschiedener Eigenschaften enthalten sein müssten. Spinoza antwortete wie das erstemal und so kurz wie möglich.

Ich bin überzeugt, dass Spinoza, der so grosse Verfolgungen erlitten hatte, und noch immer neuen ausgesetzt war, sich über diesen Punkt nicht blossgeben wollte. So erkläre ich mir auch seine Antwort an einen andern Ungenannten in Paris, der zu wissen verlangte, wie Spinoza sich das Dasein der einzelnen Dinge anders als Cartesius erklärte, welcher das ausgedehnte Wesen durch Gott in Bewegung setzen liess (Ep. LXXI). Spinoza antwortete nämlich (Ep. LXXII): das ausgedehnte Wesen sei bei ihm etwas ganz anderes, als bei Cartesius; er würde vielleicht sich künftig hierüber deutlicher erklären, denn noch sei er mit dieser Sache nicht ganz im reinen. – Wahrlich, wenn Spinoza hierüber nicht im reinen zu sein glaubte, so glaubte er über nichts im reinen zu sein.

64 Der Ausdruck, le sentiment de l'être, den mir in dem Briefe an Hemsterhuis die französische Sprache an die Hand gab, war reiner und besser, denn das Wort Bewusstsein scheint etwas von Vorstellung und Reflexion zu involvieren, welches hier gar nicht stattfindet. Folgende Stelle von Kant mag die Sache etwas mehr erläutern.

Es können keine Erkenntnisse in uns stattfinden, keine Verknüpfung und Einheit derselben untereinander, ohne diejenige Einheit des Bewusstseins, welche vor allen Datis der Anschauungen vorhergeht, und, worauf in Beziehung, alle Vorstellung von Gegenständen allein möglich ist. Dieses reine ursprüngliche, unwandelbare Bewusstsein will ich nun die transzendentale Apperzeption nennen. Dass sie diesen Namen verdiene, erhellet schon daraus: dass selbst die reinste objektive Einheit, nämlich die der Begriffe a priori (Raum und Zeit) nur durch Beziehung der Anschauungen auf sie möglich sei. Die numerische Einheit dieser Apperzeption liegt also a priori allen Begriffen ebensowohl zum Grunde, als die Mannigfaltigkeit des Raumes und der Zeit den Anschauungen der Sinnlichkeit. Krit. d. rein. Vern. S. 107.

65 Der Gegenstand der Idee, welche die menschliche Seele ausmacht, ist ein Körper oder eine tätig vorhandene Form der Ausdehnung und nichts anderes. (Ethik 2. Buch, 13. Satz). Über den Unterschied zwischen direkten und indirekten, oder unmittelbaren Begriffen ist das Scholium des 17. Satzes im II. Teile der Ethik nachzusehen.

66 Die Bilder der Dinge sind die eigenen Erregungen oder Daseinsformen des menschlichen Körpers, durch welche der menschliche Körper von äussern Ursachen erregt wird. (Ethik 3. Buch, Erklärung zum 32. Satze). Auch ist hierüber das eben angeführte Scholium des 17. Satzes, und das 2. Korollarium des 16. Satzes nachzusehen.

67 Der menschliche Geist erkennt den eigenen menschlichen Leib und seine Existenz nur durch die Vorstellungen der Erregungen, durch welche der Leib erregt wird. (II, 19. Satz). Der Geist kennt sich selbst nur, insofern er die Vorstellungen der körperlichen Erregungen erfasst. (23. Satz).

68 Eth. P. II. Pr. 21. cum Schol.

69 Ibidem, Schol. Pr. 21.

70 Spinoza ist über keinen Punkt mannigfaltiger und ausführlicher, als über diesen. Ich will nur aus dem II. Teile der Ethik das Scholium des XIII. Satzes, und den XIV. Satz anmerken, aus dem III. Teile das höchstmerkwürdige Schol. des II. Satzes, und den XI. Satz nebst dessen Scholio; aus dem Beweise des XXVIII. Satzes die Worte: aber das Streben oder Vermögen des Geistes zu denken ist von Natur gleich und zugleich mit dem Streben oder Vermögen des Körpers zu handeln; und dann noch folgende Worte aus der Expl. Definit. Generalis Affectuum: – – weil das Wesen der Seele darin besteht, dass sie das tätige Dasein ihres Körpers bejaht, und weil wir unter Vollkommenheit das eigentliche Wesen des Dinges verstehen, so folgt, dass die Seele zu einer grössern oder geringern Vollkommenheit gelangt, wenn sie von ihrem Leibe oder von einem seiner Teile irgend etwas bejahen kann, was mehr oder weniger Wirklichkeit in sich schliesst als vorher. Wenn ich also oben gesagt habe, die Denkkraft der Seele werde vermehrt oder vermindert, so konnte ich nichts anderes darunter verstehen, als dass die Seele eine Vorstellung von ihrem Leibe oder von einem seiner Teile gebildet hat, welche mehr oder weniger Wirklichkeit ausdrückt, als sie vorher von ihrem Leibe bejaht hatte. Denn die Verzüglichkeit der Gedanken und die tätige Denkkraft wird nach der Vorzüglichkeit des Gegenstandes geschätzt (Ethik. 3. Buch, Schluss).

71 In dem schon angeführten Scholio Pr. 2. P. III. Eth. heisst es: Alles dies zeigt deutlich, dass sowohl der Beschluss als das Verlangen der Seele, so wie die Bestimmung des Leibes von Natur zugleich oder viel mehr ein und dasselbe Ding ist, das wir, unter dem Attribut des Denkens betrachtet und so erklärt, Entschluss nennen, das wir jedoch, unter dem Attribut der Ausdehnung betrachtet und aus den Gesetzen von Bewegung und Ruhe abgeleitet, Bestimmung nennen; was aus dem bald Folgenden noch klarer werden wird.

72 Die Seele begreift nichts unter dem Gesichtspunkte der Ewigkeit, wenn sie nicht und insofern sie nicht das Wesen ihres Leibes unter dem Gesichtspunkte der Ewigkeit begreift. (Ethik V. Buch, 31. Satz.).

73 Eth. P. I. Pr. XXXXVIII.

74 Ich muss nochmals erinnern, weil es im System des Spinoza von unendlicher Wichtigkeit ist, dass, ausser dem absoluten Denken, welches im Begriffe das allererste und ohne alle Vorstellung ist, jedes andre Denken sich auf den unmittelbaren Begriff eines wirklich vorhandenen einzelnen Dinges und seiner Beschaffenheiten beziehen muss, und in demselbigen allein gegeben werden kann, so dass es schlechterdings unmöglich ist, dass, die einzelne Dinge wirklich vorhanden sind, irgendeine Art des Begriffes von ihnen da sei. Die einzelnen Dinge sind aber von Ewigkeit her dagewesen, und Gott ist vor denselben nie auf eine andre Weise dagewesen, als er noch immer vor denselben da ist, und in alle Ewigkeit vor denselben da sein wird, nämlich bloss der Natur oder dem Wesen nach.

75 Die Ideen von Einzeldingen und von Zuständen, die nicht existieren, müssen in der unendlichen Idee Gottes so befasst sein, wie das formale Wesen der Einzeldinge und der Zustände in den Attributen Gottes enthalten ist. Hieraus folgt, dass, solange die einzelnen Dinge nicht existieren, als nur insofern sie in Gottes Attributen enthalten sind, auch ihre Vorstellungen oder Ideen nur existieren, soweit die unendliche Idee Gottes existiert. Wenn man aber von den Einzeldingen sagt, dass sie nicht bloss wie in Gottes Attributen existieren, sondern auch von ihrer Dauer spricht, so enthalten ihre Ideen auch die Existenz, durch welche man die Dauer ausdrückt. Anmerkung: Wenn jemand zur reichlichern Aufklärung dieser Sache ein Beispiel wünscht, so könnte ich freilich keines geben, das diese einzigartige Frage genügend aufklären könnte. Doch will ich versuchen, die Sache soviel als möglich deutlich zu machen. Der Kreis ist so beschaffen, dass die Rechtecke aus den Abschnitten aller Geraden, welche sich in ihm schneiden, einander gleich sind, darum enthält der Kreis unendlich viele gleiche Rechtecke. Man kann dennoch nicht sagen, dass eines von ihnen anders existiert als insofern der Kreis existiert; auch kann man nicht sagen, die Vorstellung eines dieser Rechtecke existiere anders, als dass es in der Vorstellung des Kreises befasst sei. Nun stelle man sich vor, dass von all den unendlichen Rechtecken nur zwei bestimmte existieren, dann existieren die Vorstellungen dieser zwei bestimmten Rechtecke nicht bloss, insofern sie in der Vorstellung des Kreises begriffen sind, sondern auch insofern sie die Existenz dieser beiden Rechtecke in sich enthalten. Dadurch werden sie von den übrigen Vorstellungen der übrigen Rechtecke unterschieden (Ethik 2. Buch, 8. Satz.)

76 Die Vorstellung eines einzelnen, tätig existierenden Gegenstandes hat Gott zur Ursache, nicht insofern er unendlich ist, sondern insofern er aufgefasst wird als erregt von einer andern Vorstellung eines einzelnen, tätig existierenden Gegenstandes, dessen Ursache ebenfalls Gott ist, insofern er von einer dritten Vorstellung erregt ist, und so weiter ins Unendliche. Beweis: Die Vorstellung eines einzelnen, tätig existierenden Gegenstandes ist ein einzelner Zustand des Denkens und von den andern unterschieden; hat also Gott zur Ursache, insofern dieser nur ein denkendes Ding ist. Aber nicht insofern Gott ein absolut denkendes Ding ist, sondern nur insofern Gott als durch einen andern Denkzustand erregt, aufgefasst wird; dieser andere Denkzustand wieder, insofern Gott wieder von einem andern erregt wird, und so fort ins Unendliche. Nun ist die Ordnung und die Verknüpfung der Ideen dasselbe, wie Ordnung und Verknüpfung der Ursachen; folglich ist die Ursache einer Einzelidee eine andere Idee oder Gott, insofern er als von einer andern Idee erregt aufgefasst wird; dieser andern Idee Ursache ist wieder Gott, insofern er wieder von einer andern erregt ist, und so fort ins Unendliche. Was zu beweisen war. Ableitung: Von dem, was in dem Einzelgegenstande irgendeiner Idee sich findet, hat Gott eine Erkenntnis nur, insofern er die Idee dieses Gegenstandes hat. Beweis: Von allem, was in dem Gegenstande irgendeiner Idee sich findet, hat Gott eine Idee, nicht insofern er unendlich ist, sondern insofern als durch eine andere Idee eines Einzeldings aufgefasst wird, aber die Ordnung und Verknüpfung der Ideen ist dasselbe wie die Ordnung und Verknüpfung der Dinge: es wird also die Erkenntnis dessen, was in einem Einzelgegenstand sich findet, in Gott sein nur insofern, als er die Idee dieses Gegenstandes hat. Was zu beweisen war. (Ethik 2. Buch, 9. Satz.)

77 Würde ein Teil der Materie vernichtet werden, so würde auch zugleich die ganze Ausdehnung verschwinden. (4. Brief.) Über diesen wichtigen Punkt ist im I. Teile der Ethik nachzusehen der 12. und 13. Satz, vornehmlich aber das Scholium des 15. Satzes. Ferner, der merkwürdige Brief de infinito an L. Mayer, Opp. Posth. p. 465, der nicht minder merkwürdige an Oldenburg de toto et parte, ibid. p. 439. So auch der 39., 40. und 41. Brief an einen Ungenannten. Opp. Posth. p. 519 bis 527.

78 Eth. P. II. Pr. 3 und 4 zu vergleichen mit dem 45., 46. und 47. Satze eben dieses II. Teils, und mit dem 30. und 31. des I. Teils.

79 Eth. P. II. Pr. 45, 46, 47 cum suis Scholiis; zu vgl. mit dem 3. und 4. Satze eben dieses Teils, und dem 30. und 31. des ersten.

Es ist notwendig, sich hier des so oft von Spinoza wiederholten Beweises zu erinnern, dass das Wesen eines Dinges keine Zahl in sich schliesse, und dass mehrere Dinge in dem, was sie miteinander gemein haben, nicht als mehrere Dinge, sondern insofern nur als Teile eines einzigen Dinges angesehen werden können.

Auf eben diesen Grund hat er seine geistreiche und wirklich erhabene Theorie von den wahren Vorstellungen, den gemeinen und vollständigen Begriffen, der Gewissheit, überhaupt des menschlichen Verstandes gebaut.

80 S. Ideal. u. Real. S. 146–155.

81 S. Ideal. u. Real. Die Vorrede S. IV-VI. Das Gespräch selbst S. 22–25.

82 S. Ideal. u. Real. S. 33–54.

83 S. Wizenmanns Resultate S. 173–177.

84 »Wie Gott in allem ist, so ist hinwiederum alles in ihm. Denn das Göttliche in uns bewegt alles. Nicht die Vernunft selbst ist das Prinzip der Vernunft, sondern etwas Höheres: was ist aber, ausser Gott, das Erkenntnis überträfe? Tugend ist das Organ der Seele. Daher haben die Alten den Namen der Glücklichen denen beigelegt, welche, ohne durch ihre Vernunft und ihren Willen bestimmt worden zu sein, richtig zu Werke gegangen waren; denn sie hatten in sich ein höheres Prinzip, als Verstand und Willen.« Aristot. Opp. Omn. Tom. II. Ethic. ad Eudemum. Lib. VII. Cap. 14.

85 Hier ist nur von einer solchen spekulativen Vernunft die Rede, welche mehr nicht gelten und geschehen lassen will, als sie auch für sich allein mechanisch – wenigstens nachmachen kann; von einer Vernunft, welche die Folgen, Umstände und Notbehelfe ihrer Einschränkung für die Prinzipien der Vernunft überhaupt. Begriffe für Dinge, Worte für Begriffe hält; und »ex vi formae« das esse (das Sein aus der Formkraft) zu bestimmen unternimmt.

86 Ich bin weit entfernt, alle Spinozisten für Gottesleugner zu erklären. Gerade deswegen scheint mir der Erweis nicht überflüssig, dass die rechtverstandene Lehre des Spinoza keine Art von Religion zulasse. Ein gewisser Schaum von Spinozismus ist hingegen sehr verträglich mit allen Gattungen des Aberglaubens und der Schwärmerei, und man kann die schönsten Blasen damit werfen. Der entschiedene Gottesleugner soll sich unter diesem Schaume nicht verbergen, die andern müssen nicht sich selbst damit betrügen. [Anmerkung der ersten Ausgabe.]

87 S. Kants Kritik der praktischen Vernunft, S. 169–183 und die Stellen der Kritik der reinen Vernunft, auf welche dort zurückgewiesen wird. Der von Kant geführte Beweis ist allgemein, und ob er gleich in der Kritik der praktischen Vernunft zum Behuf der Kantischen besonderen Grundsätze geführt wird, so wird er doch nicht aus demselben geführt. Dasselbe gilt von Rehbergs Erläuterung (D. Merkur 1788, Nr. 9), auf die ich auch nur insofern, und allein in Beziehung auf meinen Satz verweise. Ich berufe mich auf diese Männer bloss wegen der Art und Weise, wie meinem Satze widersprochen worden ist; denn wem die in meinem Buche selbst so mannigfaltig geführten Beweise nicht einleuchten, den werden die Kantischen und Rehbergischen ebensowenig überzeugen.

88 Denn Demonstration ist Fortschritt in identischen Sätzen.

89 S. S. 165–167 dieser Schrift, nebst den Stellen aus dem Gespräche über Idealismus und Realismus, auf welche dort verwiesen wird. – Herr Rehberg sagt in seinem Buch über das Verhältnis der Metaphysik zur Religion, S. 15: »Alle metaphysischen Systeme sind nur Erklärungen der Erscheinungen, die uns die Erfahrung kennen lehrt.« – In seiner bei meinem dritten Satze angeführten Erläuterung einiger Schwierigkeiten der natürlichen Theologie, leitet er, aus der Ordnung, die wir in der erscheinenden Welt bemerken, die Voraussetzung einer verständigen Ursache auf eine Weise her, welche mit meiner Art das Dasein einer höchsten objektiven Vernunft herzuleiten, einige Ähnlichkeit zu haben scheint. Ich sagte in meinen Betrachtungen über eine Vernunft, welche nicht die Vernunft ist (D. Mus. Jan. 1788. S. 162): »Die menschliche Vernunft ist in ihrer Wirklichkeit nichts anders und nichts mehr, als ein Widerschein und lebendiger Abdruck der Natur und ihres Urhebers in uns, als wirksamen, in ihrer Ordnung mitbegriffenen Teilen der Natur. Wir besitzen sie nicht als ein Eigentum, sondern nur lehnsweise, wie unser Leben, unser persönliches Bewusstsein, unsere ganze Existenz, und werden hieran jeden Abend, wenn uns der Schlaf überfallt, und wir in den Vorhäfen des Todes ausruhen, erinnert. Brächten wir das vernünftige Denken aus uns selbst allein hervor, so könnten weder Träume noch Fieberphantasien, da die denkende Kraft dabei dieselbe bleibt, und nur andere Gegenstände in einem mehr willkürlichen Zusammenhange uns vorgeführt werden, unser vernünftiges Denken in ein unvernünftiges verwandeln.« – Schon Heraklit dachte etwas Ähnliches, wenn er lehrte (Meiners Gesch. d. W. 1, S. 625): »Unsere Sinne seien gleichsam die Türen oder Öffnungen, wodurch die unserer Seele verwandte Materie in uns eindringe, oder eingezogen werde, und sich alsdann mit ihr vermische. Wir hätten daher nur Verstand und Erinnerungskraft, solange während des Wachens die Sinne geöffnet wären, und die Verbindung der Seele mit der vernünftigen, in sie einströmenden Natur ungestört bliebe: wir verlören hingegen beide, wenn durch den Schlaf diese Gemeinschaft aufgehoben, und die Seelenöffnungen geschlossen würden.« – Dieser Gedanke Heraklits bleibt natürlich hier beiseite, aber auch von dem meinigen ist wohl Herrn Rebbergs Gedanke wesentlich verschieden, welches aus der von ihm beigefügten Note und der zugestandenen Behauptung erhellt, dass die sinnliche Welt keine Wirkung der göttlichen Vernunft sei. Da aber unser Weltweise in seiner Erläuterung ausführlicher zeigt, was er schon in seiner Rezension der Kritik der pr. Vernunft (Allg. Lit. Z. 1788, Nr. 188 b. S. 336) ins Licht gesetzt hatte: nämlich, dass die Verbindung der Vernunft mit der Sinnlichkeit eine unbegreifliche Verbindung, und die Frage von dem letzten Grunde zweier verschiedenen Dinge in Einem eine unauflösliche Frage sei, »indem zur Konstruktion eines Begriffes immer ein von der Vernunft (welche nur die Form der Erkenntnis ist) verschiedenes (materielles) Substratum gehöre, dessen Verbindung mit dem Vernunftgesetze weder aus diesem noch aus jenem erhelle«; – überhaupt aber die Gesetze des Verstandes, welcher, in Rücksicht auf den Inhalt der Begriffe, der Sinnlichkeit unterworfen ist, sich nur in der Anwendung auf Erscheinungen offenbaren, »und ein Selbstbewusstsein als reine Vernunft nirgends im Menschen existiert,« so wird eben dieser Weltweise, und diejenigen, welche in der Spekulation gleiche Grundsätze haben, es wenigstens verzeihlich finden müssen, wenn ich behaupte: es liege allen Erweisen etwas, sowohl der Materie als der Form nach geradezu Offenbartes, woraus und worüber sie entstehen, als ihr Prinzip zum Grunde.

90 Der selige Hamann aus Königsberg.

91 Insoweit bin ich ein Cartesianer, wo andere nicht mehr Cartesianer sind. (S. die Vorrede zu dieser Schrift.)

92 Dieses Versprechen halte ich durch die Gespräche über Idealismus und Realismus, und die gegenwärtige Ausgabe für getilgt.

93 Pensées de Pascal Art. XXI.

94 Selbst die Mathematik muss die gerade Linie begrenzt und nach Willkür verlängert, und den Zirkel von jeder Grösse postulieren, ehe sie zu ihren Demonstrationen schreiten kann. Linie, Punkt und Fläche sind vom Körper abstrahiert (s. Simsons Euklid, die erste Note), dessen Vorstellung sie also voraussetzt, und ausserdem noch die Vorstellung der Bewegung, ohne welche sich die Konstruktion des Zirkels, überhaupt einer Figur, nicht gedenken lässt. Dass nachher zu der Bildung blos identischer Sätze keine Erfahrung mehr nötig sei, versteht sich von selbst, weil Identität, rein gefasst, ein durchaus subjektiver Begriff ist. Dem Gegenstande ausser dem Verstande kann das adjektive Prädikat derselbe nicht zukommen, sondern er ist substantive bloss der er ist. Dass aber identische Sätze absolute Allgemeinheit und Notwendigkeit mit sich fuhren müssen, ist ebenso klar als ihre Unabhängigkeit von der Erfahrung. In diesem Felde hat sich die splendida miseria unseres Erkenntnisvermögens durch Abstraktion und Sprache vorzüglich gezeigt, und eine Menge Täuschungen und Missverständnisse entstehen lassen, deren Möglichkeit man vollkommen begreift, wenn man den Funktionen der Sprache bei unseren Vernunftschlüssen auf den Grund gekommen ist.

95 Geschichte des Herodotus, im 7. B. c. 129.

96 Comment pourrions nous viure icy, en abandonnant nostre paîs, noz loix, et de tels hommes, que pour mourrir pour eulx nous auons volontairement entrepris un si loingtain voyage? – Plutarque dans les Dicts Notables des Lacedaemoniens. Traduct. d'Amiot. Paris. 1574.

97 Epictets Reden, 3. B. 16. Rede. Übers. von I. G. Schulthess.

98 Briefe, das Studium der Theologie betr. 3. Teil. S. 89, 90.

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TextGrid Repository (2012). Jacobi, Friedrich Heinrich. Schriften. Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn. Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8A01-8