Selbst-Betrug.
Selbst-Betrug geschiehet 1) Wenn wir meynen / wir seyn nicht so arg / als wir sind, und hätten daher die Prediger auf denen Cantzeln nicht immer so auf uns zu predigen. 2) Wenn wir die Straff-Predigten nur auf andere in Absicht, der und jener sey damit getroffen worden, nicht aber auf uns appliciren. 3) Wenn wir andere tadeln / was wir selbst an uns haben, und also nicht erst für unserer eigenen Thür kehren, sondern Splitter-Richter abgeben. 4) Wenn wir uns über andere, sonderlich über die Juden erärgern / daß sie so Barbarisch mit dem Herrn Christo umgegangen, meynende / daß / wann wir zu der Zeit gelebet und darbey gewesen wären / es gantz anderst und besser solte hergegangen seyn, und gleichwol eben dergleichen Haß und Verfolgung gegen Christi Diener und Glieder ausüben. 5) Wenn wir uns düncken lassen, wir stehen, und könten in diese oder jene Sünde, welcher wir etwa jetzunder [363] nicht ergeben, noch darzu geneigt sind so leicht nicht gefallen, da doch Davids, Petri und anderer Sünden-Fälle uns ein anders belehren. 6) Wenn wir meynen, wir seyen bey GOtt gar wohl dran, weil es uns etwan in äusserlicher Glückseeligkeit nach Wunsch gehet / und wir aus unsern Kammern einen Vorrath nach dem andern heraus geben können /da doch der zeitliche Reichthum nicht allezeit ein göttlicher Seegen, sondern auch jezuweilen ein Zeichen der Straffe und ein Stück des Verderbens ist. 7) Wenn wir uns einbilden / GOtt seye damit schon zufrieden, wann wir nur von aussen ein erbares Leben führeten, niemanden ärgerlich wären / einem jeden das Seine gehen und liessen / im übrigen mögte das Hertz beschaffen seyn, wie es wolle / da doch dieses mehr nichts als ein subtiles Heydenthum ist. 8) Wenn wir uns rühmen / daß wir den Christlichen Glauben haben / und in der wahren Evangelischen Religion erzogen und gebohren worden / getaufft wären, zur Kirche, Beicht und Abendmahl giengen / Allmosen geben und dergleichen gute Wercke, um derent willen GOtt uns den Himmel zu geben schuldig sey / mehr thäten, bey dem allen aber ein gantz unchristliches /Antichristisches, Epicurisches, ungöttliches / Heydnisches / ja gar unmenschliches Leben führen. 9) Wenn wir uns einbilden / wir gläubten den göttlichen Verheissungen / dennoch aber bey leiblichen Nöthen in GOttes Vorsorge / Allmacht, Schutz und Hülffe ein Mißtrauen setzen, oder die Verheissungen für wahre /die göttlichen Drohungen aber für leere Worte halten. 10) Wenn wir eine Zeitlang [364] das Wort mit Freuden annehmen / auch Zeichen der Busse durch die Traurigkeit über die Sünde / und des Glaubens durch die Freudigkeit des Geistes über die Empfindung Göttlicher Gnade, von uns spühren lassen, und nun meynen / wir seyen nun allbereit thätig in dem Stand der Gnaden / dennoch aber hernach zur Zeit der Noth wieder abfallen, und die Krafft des Glaubens verläugnen. 11) Wenn wir das Gute / so in uns ist / grösser / und wie der fürtreffliche Engelländer Daniel Dycke in seinemNosce Te ipsum oder Selbst-Betrug cap. 9. p. 158. redet / aus einem kleinen Scherfflein der geringsten Tugend, einen gantzen Schatz, aus einem kaum sichtbaren Spreußlein einen Haupt-Balcken / darauf man, ich weiß nicht was? bauen könne, aus einem Faust-grossen Schand-Hügel einen gantzen Berg voll herrlichen Gold-Adern / aus einer Mücken einen Elephanten / aus einem glimmenden Tacht eine himmelsteigende Flamme machen. 12) Wenn wir nur pro Forma des Gottesdienstes pflegen und allein Hörer / nicht aber auch Thäter des Worts seyn, oder uns düncken lassen, wir dieneten GOtt / und halten doch unsere Zunge nicht im Zaum / Jac. I. 22. sq. 13) Wenn wir uns nach dem grösten Hauffen der Welt richten, und dasjenige für recht und gut halten / was die meisten und grössesten thun / da doch nicht viel edle nach dem Fleisch beruffen sind, auch der Weg zum Leben schmal ist, und derer / die darauf wandeln / selbst nach dem Munde der Warheit, wenige sind. 14) Wenn wir etwas / das an sich sündlich ist, nur nach unserer Einbildung für gut halten, es mag mit GOttes Wort[365] und der gesunden Vernunfft überein kommen, oder nicht, wie nach dergleichen falschen Wahn das so genannte Christlich (oder vielmehr unchristlich)Räuschgen, Bordels und Maitresse-halten grosser Herren / für etwas zuläßiges gehalten wird / da doch auch hier der Ausspruch Salamonis gilt: Manchem gefällt sein Weg wohl, aber sein letztes reicht zum Todt / Proverb. XVI. 25. 15) Wenn wir meynen Gedancken sind Zoll frey, und würden wir GOtt derenthalben keine Rechenschafft geben dürffen / da doch sothanes Sprichwort nur in Foro Soli und für der Welt / nicht aber in Foro Poli und für GOtt dem Hertzens Kündiger Statt findet / und der HErr auch die arge Gedancken bestraffet, Matth. IX. 4. 16) Wenn wir meynen / ein Wort sey ja kein Donner-Keil, und könne man schon jezuweilen einen lustigen Possen und Zötigen mitmachen / GOtt werde es deswegen so genau mit uns nicht nehmen / da wir doch wissen / daß wir alle schandbare Worte und Narrentheidungen / die den Christen nicht geziemen / ferne von uns sollen seyn lassen / auch GOtt der HErr von einem jeglichen unnützen Wort dereinst Rechenschafft von uns fordern werde. 17) Wenn wir uns einbilden, die Sabbaths-Feyer bestünde darinnen / daß man sich von leiblicher Arbeit enthalte, zwey- oder dreymahl zur äusserlichen Kirche gehe / sich reinlicher als an Werckel-Tagen, anziehe, nach vollendeten Kirchen-Dienst aber seinem Fleisch mit allerhand Ergötzlichkeiten gar wohl dienen dürffe / da doch der äusserliche Kirchen-Dienst ohne dem innerlichenGottesdienst dem HErrn ein Greuel ist. 18) [366] Wenn wir Menschen-Satzungen höher achten als GOttes Wort und uns z.E. ein Gewissen machen, wider Obrigkeitliche Verordnung zu handeln, auch, da wir solche halten, uns für gute Christen achten, dennoch aber wider GOtt und seine Gebot vorsetzlicher Weise zu sündigen, uns nicht scheuen. 19) Wenn wir uns bereden / die Gebote der ersten Tafel und die darinnen begriffene Wercke seyen viel leichter und geringer / als die Wercke der andern Tafel, und sey es daher viel leichter, daß man GOtt liebe, als daß man seinen Nechsten liebe / es habe auch bey weitem nicht so viel auf sich / wenn man die erste Tafel gleich nicht so genau halte / weil die Verbrechere der andern Tafel insgemein härter von der Obrigkeit gestrafft würden, als die Verbrecher der ersten Tafel, da doch das erste und gröste Geboth ist: Du solst den HErrn deinen GOtt lieben / Matth. XX. 38. 20) Wenn wir uns einbilden, es könne ein jeder in seiner Religion seelig werden, und daher es uns gleich viel seyn lassen, welcher Secte wir oder andere anhängen / da doch nur ein Glaube, Eph. IV. 5., und der Indifferentismus Religionum mit der Analogia Fidei ohnmöglich bestehen kan. 21) Wenn wir meynen wir dürffen mit dem Unserigen nur nach eigenen Gefallen schalten und walten /und ob hätte uns eben das Glück die Güter der Welt zu dem Ende gegeben, daß wir darbey unsers Leibes gebrauchen solten, uns bedüncken lassen, daher nur auf uns allein sehen, unsern nothdürfftigen Nächsten aber darben und mit jenem Priester und Leviten Hülffloß liegen lassen / da wir uns doch mit dem ungerechten Mammon Freunde [367] machen, und dem Dürfftigen von unserm Uberfluß heiffen solten. 22) Wenn wir meynen / die Selbst-Rache sey niemand verwehret, und könne man die angethane Beleidigung schon /wie die von Adel reden, Cavallierement mit dem Degen oder Kugelwechseln revangiren, oder solche nach der bekannten Formul: Ich wills ihm wol vergeben, aber nicht vergessen, dem Beleidiger heimlich nachtragen / da doch in den Augen GOttes auch derjenige / welcher seinen Bruder hasset, ein Todtschläger ist / 1. Joh. III. 15. und GOtt selbst das Rach-Schwerdt uns aus den Händen gerissen / Rom. XII. 19. 23) Wenn wir einander wegen der Religion schänden / schmähen, verfolgen und wol gar vertilgen / und darbey meynen, wir thuen GOtt einen Dienst daran. 24) Wenn wir aus dem glücklichen Ausgang von Beschaffenheit einer Sache / weil diese etwa wohl von statten gegangen / urtheilen, und nicht die Sache, wie sie in und an sich selbsten ist, erwegen. 25) Wenn wir die Natur-Wercke, welche von unserm Temperament herrühren / im Werck der Bekehrung vor Früchte oder Würckung des H. Geistes ansehen, und daher auch der würckenden Gnade GOttes zuschreiben, & vice versa, wovon insonderheit des seel. Hn. D. Speners nun auch ins Lateinische übersetzter Tractat, von Natur und Gnade / und Buddeus in Institut. Theol. Mor. P. I. cap. 1. sect. 7. p. 317. seq. mit mehrern nachzulesen. 26) Wenn wir unsere Sünden unter allerhand Bemändelungen geringer achten, als sie in GOttes Augen sind, und, wie obig belobter Dycke l.c.p. 194. redet, aus Centner nur [368] einzele Pfund, aus Pfunden Quintlein / aus Quintlein gar nichts, aus grossen Sünden kleine, aus kleinen keine machen. 27) Wenn wir die von uns begangene Sünden z.E. der Trunckenheit / Hurerey / Ehebruchs /Mords, Diebstals und dergleichen, mit der uns anklebenden verderbten Natur / oder die letztbenannten mit der erstern / nemlich der Trunckenheit, daß dieses oder jenes im Trunck geschehen, beschönigen wollen, da wir wie an unserer eigenen Völlerey, also auch an andern groben Sünden selbst schuldig sind / und daher uns desto mehr und tieffer für GOTT demüthigen solten. 28) Wenn wir die Exempel heiliger Männer in göttlicher Schrifft / und darunter des Noä Trunckenheit, Loths Blut-Schande, Abrahams / Sarä und Isaacs Lügen / Josephs Schweren / Davids Mord und Ehebruch / Petri Verleugnung und dergleichen, sonderlich auch derer Alt-Väter Vielweiberey, zur Beschönigung unserer bösen Thaten anziehen, und meynen / weil diese heilige Leute es so gemachet hätten, so dürfften wir es auch nachthun, da uns doch der heilige Geist solche Exempel nicht zur Nachfolge / sondern zur Warnung aufzeichnen lassen, jene auch denen Sünden / aus welchen wir wol ein Handwerck machen / nicht weiter nachgehängt. 29) Wenn wir uns mit der Unwissenheit entschuldigen / und meynen, man müsse uns etwas zu gut halten, weil wir keine Gelehrte oder Geistliche wären, und daher nicht alles so eben wissen könten / wie diejenigen, so die Schrifft studiret, da uns doch der heilige Wille GOttes in seinem Wort / ja gar in unsern Hertzen, aufs deutlichste beschrieben ist, und wir solchen offtermahls muthwillens nicht wissen wollen 1. Pet. II. [369] 30) Wenn wir die Ursach unserer Sünden auf etwas anders ausser uns schieben / und bald der bösen Zeit / in welcher wir leben, bald dem Beruf und Handthierung / so wir abwarten müssen, bald der Armuth, derentwegen man, um sich und die Seinigen redlich zu ernehren, Sonntags arbeiten müste / bald der verführischen Welt, die uns Gelegenheit zur Sünde gebe, bald dem Satan / der uns dazu anreitze / bald denen Gestirnen und Planeten deren Influenz halber sie zu dieser oder jener Sünde geneigt seyn müsten / ja wohl dem H. GOTT selbst /wie Adam gethan, Gen. III. 12. die Schuld beylegen, daß wir dieses oder jenes böse verübet, oder des GOttesdienstes nicht, wie es seyn solte, abwarten könnten. 31) Wenn wir unsere Sünden z.E. des liederlichen Schwörens, Fluchens, Sauffens, ärgerliche Possen mit der Gewohnheit rechtfertigen und vorgeben / es sey so arg und übel nicht gemeynet / man solle es nicht so böß auslegen / wir hätten uns so daran gewehnet, und könnten es nun nicht mehr lassen, mit welchem Deckmantel, daß es alt Herkommens und Gewohnheit sey, wir auch offtmahls unsere eingewurtzelte Irrthümer und Mängel zu beschönigen pflegen, meynende, daß wir gar recht daran thäten, wenn wir es machten, wie es unsere Groß-Väter gemacht haben, da wir doch selbst an unsrer bösen Gewohnheit Ursach, auch eine hundertjährige böse Gewohnheit nicht eine Viertelstunde recht und gut ist. 32) Wenn wir denjenigen Sünden, worzu wir geneigt sind, Nahmen der Tugenden geben, und Hochmuth für Großmüthigkeit /Pracht [370] und Köstlichkeit in Gebäuden / Häusern und Kleidung für Sauber-Reinlich- und Zierlichkeit, List und Verschlagenheit für Verstand, Weißheit und Klugheit, Verschwendung für Freygebigkeit / Geitz und Kargheit für Sparsamkeit / Jächzorn für Eiffer /u.s.f. halten / folglich uns / wie der Teufel, in einen Engel des Lichts verstellen / und an statt derer Laster / denen wir ergeben sind / eine scheinbahre Tugend-Larve annehmen. 33) Wenn wir uns fürnehmen, so und so weit wolten wir dem zur Sünde reitzenden Fleisch dißmahls folgen, alsdenn aber zu nichts weiter nöthigen lassen, da unser Hertz doch so grob und tückisch ist / daß / wann es nur einen Finger breit bekommen, alsdenn gleich die gantze Hand haben, und wie ein Krebs, um sich fressen will. 34) Wenn wir uns die Sünde süß vorstellen / und meynen / es sey in deren Begehung lauter Lust und Freude zu finden, womit sich der alte Adam kützeln könne, da sie doch eine bittere Wurtzel ist / welche zuletzt den Tod gebieret. 35) Wenn wir das Böse, so wir gethan, mit dem Befehl derer Oberen entschuldigen / meynende /daß diejenige, so es uns zu thun geheissen, nicht aber auch wir es zu verantworten hätten, cum tamen is, qui alieno imperio peccat, dupliciter peccat, wie Schmidius in Comment. ad. 2. Sam. XI. p. 527. aus Davids Befehl wegen des Uriæ und Jacobs Folge, in Absicht, daß man in solchen Fällen GOtt mehr gehorchen solte / denn denen Menschen / erwiesen. 36) Wenn wir uns auf die unendliche Barmhertzigkeit GOttes verlassen /und immerfort auf Gnade hinsündigen / meynende /weil [371] GOtt ein gnädiger GOtt wäre, der da vergebe Missethat und Ubertretung biß ins tausende Glied, so würde er auch mit uns Gedult haben, und nicht im Zorn mit uns handeln / da wir doch bedencken solten, daß GOtt auch ein gerechter GOtt, und bey demselben nicht darum / daß man auf Gnade fort sündige / die Vergebung sey, sondern / wie David im CXXX. Ps. v. 4. lehret / daß man ihn fürchte. 37) Wenn wir nurprobirens halber sündigen / und vorgeben / wir woltens nur einmahl versuchen / daß wir aus eigener Erfahrung wissen und zeugen könten, was für Eitelkeit und Boßheit in denen Sünden stecke, und daß wir daher einen grössern Abscheu darob bekommen mögen, welches aber eben so gefährlich ist, als mit dem Finger, ob das Feuer auch brenne und heiß sey /probiren wollen. 38) Wenn wir uns einbilden, des Guten und derer Tugenden, so wir haben, oder thun, seyn so viel und so groß / daß sie das Böse, so wir zu thun fürhaben, bey weiten überwägen / und daß wir uns derenthalben wol etwas Freyheit nehmen mögen zu sündigen. 39) Wenn wir uns damit keck und frey machen zu sündigen, weil wir meynen, wir könten es hernach mit guten Wercken, mit Beichten, Beten /Allmosen, Stifftungen ad pias Causas, davon doch offtermahls kein Mensch einigen Nutzen hat, wie z.E. die Bekleidung des Altars, oder der Cantzel seyn /u.s.f. / wieder einbringen / auf welche Art sonderlich diejenigen / welche über das sechste Gebot einen falschen Sprung gethan haben, GOTT wiederum zu versöhnen suchen. 40) Wenn wir fürgeben / [372] daß / wenn wir diese und jene Sünde begehen / solches viel Gutes / das sonst müste ungeschehen bleiben / verursachen /und man dargegen vielem und grösserm Ubel und Un heil / welches sonst nothwendig geschehen müste /hierdurch fürbauen und zuvor kommen würde / weil man doch, nach dem bekannten Canone, aus zweyen Ubeln das geringste erwehlen müsse: Worwider aber Paulus Rom. III, 8. uns treulich gewarnet hat. 41) Wenn wir ärgerliche Bücher, und insonderheitRomainen / oder unzüchtige Liebes-Geschichte lesen / um die Zierlichkeit der hochteutschen Sprache daraus zu lernen, und immittelst den darinn verborgenen Gifft mit einsaugen, folglich unsere zarte Gemüther dadurch mehr verderben / als bessern / worvon Heydecker in seinem Tractat von Romainen zu lesen ist. 42) Wenn wir / da es uns nicht nach Wunsch gehet /aus Ungedult uns den Tod wünschen, die schönsten Sterbe-Lieder singen, und um nichts, als um die Verachtung der Welt und seelige Betrachtung des Himmels bitten, meynende, das sey die rechte Sterbens-Lust / da wir doch mit unserm Hertzen noch an der Welt Eitelkeit angefesselt sind, und so bald unsere Unlust nur vorbey, und es uns wieder nach Wunsch gehet / alle Sterbens-Gedancken wieder fahren lassen. 43) Wenn wir uns einbilden, wir könten doch allwege fromm und gottesfürchtig bleiben, wenn wir schon dieser und jener Sünde nachhängen, und also meynen / daß wir zugleich GOttes und der Sünden Knechte seyn können / da doch der Welt Freundschafft GOttes Feindschafft, [373] Christus mit Belial nicht übereinstimmet, das Licht mit der Finsterniß keine Gemeinschafft hat / Dagon und die Lade GOttes nicht beysammen stehen, folglich wir zweyen wiederwärtigen Herrn /GOTT und dem Mammon ohnmöglich dienen können. 44) Wenn wir uns damit desto behertzter machen zu sündigen, oder damit steiffen in Sünden zu beharren und fortzufahren, weil wir etwas von Menschen Rechten, Ordnungen / Gesetzen, Disput. privil. Freyheiten, hergebrachten und von der Obrigkeit immerzu gehandhabten Gerechtigkeiten und dergleichen auf unser Seite haben, es mögen gleich unsere Wercke, oder auch wol solche menschliche Satzungen / Grund in GOttes Wort haben oder nicht, zu geschweigen, daß wohl öffters solche Gesetze von bestochenen, verlogenen und betrogenen Rechts-Gelehrten mit Haaren herbey gezogen worden. 45) Wenn wir uns bereden lassen, wir dürffen wohl in solchen und solchen Sünden ein wenig mitmachen / wenn wirs nur nicht zu grob machen, sondern es fein beym Gleichen bewenden liessen / und sagen könten: Ich mache es doch noch bey weiten so nicht / wie dieser oder »jener /der sich alle Tage toll und voll saufft oder aus der Vervortheilung des Nächsten und andern Sünden ein Handwerck macht,« einmahl im Jahr ein Räuschlein gehet hin, ein wenig die Waaren steigern, und etwas Spreue unterm Korn, ein wenig Holtz oder Stein unter der Würtz, ein wenig Florett unter der Selden, ein wenig Wasser unter dem Wein, ein wenig Lügen unter der Warheit, das habe bey weitem so viel nicht zu bedeuten / als wann einer lauter [374] Spreue für Korn, Ziegelmehl für Saffran / Zwilch für Seiden / Mauß-Dreck s.v. für Pfeffer u.s.f. verkauffe. 46) Wenn wir uns der Heil. Schrifft zu unsern Sünden und Irrthum mißbrauchen, und da wir nur den geringsten Schein darinnen antreffen / damit wir uns können etlicher massen ausreden und vertheidigen, gleich unsern Sünden-Kram mit dem Stehts doch so in der Bibel behängen / wovon insonderheit Speners gerettete Sprüche vom Mißbrauch der Welt, und Dyke l.c.p. 309.seqq. nachzulesen. 47) Wenn wir gar artig und meisterlich alles zu wiederlegen, zu verdrehen / oder abzuwenden wissen / was entweder aus der Schrifft / aus der Natur oder aus der blossen Vernunfft wider unsere Sünde kan beygebracht werden / auf welche Art wir insonderheit die theatralische oder andere sündlicheMasqueraden, ohnerachtet GOtt / daß ein Mann Weiber-Kleider und ein Weib Manns-Geräthe trage Deut. XXII. 1. ausdrücklich verbothen, damit zu rechtfertigen suchen / daß wir solches Verboth nicht von allem Anthun und Tragen, sondern nur von einem beständigen Tragen verstehen wollen, da doch der Text weder von kurtzem noch von langem Tragen redet, sondern des blossen Tragens und Anthuns gedencket, folglich auch alle Masqueraden, die ohne diß nur zur sonderlicher Kützelung des Fleisches bey grosser Herrn Höfen angestellet werden / als sündlich verworffen hat. 48) Wenn wir die Tugenden zu Sünden machen /und da ihm irgend einer ein Gewissen macht, wider GOtt zu sündigen / und will mit dem gemeinen Hauffen nicht [375] mit machen / sondern strebet in allem, auch in geringen Dingen / wie er thun möge / was GOtt gefällig / solches so gleich für alber halten / und den Menschen / als einen einfältigen Tropffen verlachen und verachten, als der nicht wisse / wie er der Welt gebrauchen und ihme dieselbe zu Nutz machen solle,Sap. V, 2. sqq. 49) Wenn wir uns bereden lassen, man müste des Guten nicht gar zu viel auf einmahl thun, und daher nachläßig im Guten werden / dadurch aber verursachen / daß wir auch das wenige Gute, so wir etwa noch an uns gehabt haben, vollends gar verliehren. 50) Wenn wir uns das Glück der Gottlosen ärgern lassen / und nicht so wol auf den Nutz der Tugend, als vielmehr auf die Mühe, Arbeit, Schmach und Plag / die derselben, wie böse Hunde, wo sie hingehet / immer nachfolgen, und ihre Liebhaber zu allen Seiten anfallen sehen, folglich dadurch, wie fast Assaph dergleichen gethan, Psalm. LXXIII, 13. vom Tugend-Wege ab und auf den Laster-Steg zu treten bethören lassen, da doch die Ordnung unsers ewigen Heyls / nichts anders erfordert / als per aspera ad astra, per Crucem ad Lucem, oder durch viel Trübsal ins Reich Gottes zu gehen / Actor. XIV, 22. 51) Wenn wir uns an Ausübung der Tugend und des Guten damit hindern / daß wir uns immerzu mit denen vergleichen / die hinder uns seyn, oder noch einen schlimmern Lebens-Wandel führen / als wir / da wir doch auf uns / nicht aber auf andere / sehen / und täglich in Absicht / daß in Via Christianismi stare aut non progredi eben so viel als regredi sey / in allerley Tugend wachsen und zunehmen solten. 52) Wenn [376] wir uns darum von Verrichtung des Guten enthalten, weil wir verhoffen / etwas übels dadurch zu verhüten und zu verhindern / gleichwie wir unterweilen böses thun, mit Fürwendung, daß etwas gutes daraus kommen möchte. 53) Wenn wir wissen / was wir thun sollen, und erkennen / daß es unsere Schuldigkeit sey / dennoch aber immer etwas finden / dadurch wir uns bereden lassen, wir haben gar gut Fug und Recht, und genugsame Ursach / warum wir diß und jenes unterlassen / wie also sich mancher, daß er nicht zum Tisch des HErrn gehe, damit entschuldiget / weil er mit seinem Nechsten zu Unfrieden und strittig sey, mit welchem er sich erst wolle, oder könne sich noch nicht versöhnen. 54) Wenn wir meynen, es sey genug / daß man nur nichts übels thue, das Gute könne man wol unterlassen, da doch die Schrifft ausdrücklich zeuget, daß welcher Baum nicht gute Früchte bringe /abgehauen und ins Feuer geworffen werde. Matth. III. 20. coll. cap. XXV. 30. 55) Wenn wir unsere Frömmigkeit immerzu aufschieben und meynen, es sey noch Zeit mit uns / man müsse des Leibes gebrauchen / weil er noch jung ist / da könne man nicht so eingezogen / wie im Closter und als ob man unserm HErrn GOtt die Füsse abküssen wolte / leben / im Alter mache David Psalter, das werde uns hernach ohne diß lehren / solcher Dinge müßig zu gehen, daher es alsdann noch Zeit genug sey, Busse zu thun / und sich zu GOtt zu bekehren; da wir doch wegen der steten Todts-Gefahr / darinnen wir schweben, unsere Busse nur einen Augenblick aufzuschieben in so vielen nachdrücklichen [377] Schrifft-Stellen ernstlich gewarnet werden, auch bekannt ist / daß obschon Pœnitentia seria nunquam sera, doch Pœnitentia sera non semper vera sey, auch der so barmhertzige / als gerechte GOtt, nachdem man die Blüthe seiner Jugend dem Teufel aufgeopffert, mit der Hefen des Alters nicht allzeit vorlieb nimmt. 56) Wenn wir gar auf das Absolutum verfallen / und meynen / es sey unvonnöthen, daß man sich der Gottseeligkeit befleißige, GOtt hätte ja doch allbereit beschlossen / was er mit uns Menschen thun wolte, hätte er uns zur Seeligkeit verordnet / so würden und müsten wir selig werden / wir möchten auch leben, wie wir wolten; hätte uns aber GOtt zum Verderben gesetzt / und uns in seiner Gnaden-Wahl übergangen, so könne es uns nichts helffen /wenn wir gleich das allerheiligste Leben in der Welt führeten / einmahl müssen wir dazu kommen / darzu wir von GOtt verordnet seyen / da doch GOtt mit einem theuren Eydschwur versichert, daß er nicht wolle den Tod des Sünders / sondern daß er sich bekehre und lebe / Ezech. XXXIII. 11. er auch nicht will / daß Jemand verlohren werde, sondern jederman zur Erkänntniß der Warheit komme, 1. Tim. II. 4. und endlich durch den Glauben an Christum selig werde / Joh. III. 16. 57) Wenn wir uns einander beneiden / und daß einer des andern Glück mißgönnet /nicht bedenckende / daß wir uns hierdurch das Leben selbst abfressen, wie der heydnische Poet Horatius lib. 1. ep. 2. v. 57. selber gelehret und erkannt hat /wann er sagt:
[378]Invidus alterius rebus marcescit opimis;
Invidiâ Siculi non invenêre Tyranni
majus tormentum.
58) Wenn wir uns vom Guten dadurch abschrecken lassen, daß wir meynen / es sey gar schwer fromm seyn, man könne ohnmöglich so leben, wie man es von uns erfordere / die Sünde, so uns immer anklebe /mache uns zu allem Guten gar zu träg / und sey also unmöglich zu einiger Vollkommenheit zu gelangen, da wir doch bey solchem Erkänntniß unserer Unvermögenheit zu demjenigen, der uns mächtig macht /gehen solten / welcher ist Christus, Philipp. IV. 13. und einem Wiedergebohrnen die Gebote GOttes nicht schwer seyn / 1. Joh. V. 3. man es sich eben so sauer, ja offtmahls noch säurer werden lässet / mit Ausübung der Sünden in die Hölle zu rennen / welches leider! die täg- und klägliche Erfahrung bey denen Welt-Kindern zur Gnüge bezeuget. 59) Wenn wir uns selbst güldene Berge versprechen / und wunder meynen / was für Freude und Wollust in der Sünde stecke / da, wenn es zur Liefferung kommt / wir uns mit Gall und Wermuth / mit einem blossen Rauch / Dampff und Schatten müssen bezahlen lassen / und manchmahl nichts, als Schand und Spott, allemahl aber einen gifftigen und nagenden Wurm im Gewissen davon haben / Rom. VI. 21. 60) Wenn wir uns in unsern Sünden träumen lassen, wann wir dasjenige, wornach wir trachten, einmahl erlangen könten / wir alsdann recht glückselig, genüglich und geruhlich leben, auch unser Lebtage nicht [379] mehr begehren wolten / da doch, wann wirs darnach haben / es uns manchmahl damit gehet / wie den Kindern Israel mit ihren Wachteln / deren sie, ohnerachtet sie nach denenselben so sehr gelüstet hatte / gar bald wieder überdrüßig worden. 61) Wenn wir uns einbilden / es werde mit unserm äusserlichen Glücks-Stand immer so hergehen / wie es etwa jetzo gehet / wir hätten nun / so zu reden / unsere Schaafe ins trucken getrieben /wären mit allem Uberfluß auf viele Jahre versehen /und könten nun sicher und wol dabey leben, da uns doch der HErr wol in dem Augenblick, wie jenem reichen Korn-Bauer / zuruffen kan: Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern / und wes wirds seyn / das du bereitet hast / Luc. XII. 20. 62) Wenn wir uns alles Glücks und Segens getrösten / weil wir uns bedüncken lassen, unser Thun und Wesen gefalle GOtt gar wohl, welches doch falsch ist. 63) Wenn wir GOtt so wol heimlich / als öffentlich /diß und jenes Gute zu thun / oder diß und jenes Böse zu unterlassen, versprechen / und doch hernach wenig oder gar nichts halten / welcher Betrug sich sonderlich darinnen äussert / daß wir GOTT dem HErrn viel Dinge verheissen / wenn wir nur in einem solchen und solchen Zustand wären, oder er uns zu diesem und jenem / wornach uns verlanget / verhelffen wolte, und denckt da ein jeder / in wasserley Stand er etwas tadelhafftiges findet / wann er in dem Stand und Ort wäre, die Mittel und Gelegenheit hätte / und es sein Beruff und Amt wäre / er wolte es gewiß anderster machen / und nicht so träg und nachläßig, so [380] falsch und treuloß / so betrügerisch und unrecht handeln; da wir doch noch nie versucht / quid valeant humeri, quid ferre recusent! wie viel unsere Schultern ertragen können / und ob wir auch denen Versuchungen zu widerstehen die nöthige Stärcke haben. 64) Wenn wir GOtt Busse und Besserung des Lebens insgemein versprechen, und solches insonderheit in grossen Anfechtungen, Gefahren, Nöthen und Kranckheiten thun / da uns allerley Jammer / Mangel und Elend, unter die Augen schlägt, das Creutz zu Hause kommt, Noth und Todt an allen Seiten uns ängstiget / und wir Mittel-Trost- und Hülff-loß daliegen / so bald aber die Noth vorüber, und die Kranckheit überstanden / nicht mehr ans Versprechen gedencken, sondern es eben so arg, ja offtmahls noch ärger, als zuvor / machen. 65) Wenn wir von einem Extremo und äussersten zum andern fallen, und das Gute / so in der Mitte liegt / gähling überhüpffen, wie etwa geschicht, wann wir vom Geitz in die Verschwendung gerathen / oder aus Verschwendung zu Geitzhälsen werden, und die edle Tugend der Freygebigkeit zwischen beyden liegen lassen / dennoch hernach / da man zuvor verthuisch gewesen und nun geitzig worden, scheinbarlich vorgeben, daß man die Creaturen GOttes nicht mehr so schändlich mißbrauchen wolle, oder da man vorher ein Geitzhalß gewesen / und nun verschwenderisch worden, sich damit vertheidiget, man habe sich lang genug von Mammon müssen meistern lassen, wolle nun fortan sein Sclave nicht länger seyn, sondern es frey lassen hergehen / daß auch andere Leute unsers [381] Guths mit geniessen könten; da doch beydes die Verschwendung als auch der Geitz dem HErrn ein Greuel ist. 66) Wenn wir uns zu solchen Lastern verleiten lassen /welche den Tugenden am nächsten scheinen verwandt zu seyn, und also Vermessenheit für ein Vertrauen zu GOtt / und andere Schein-Tugenden, welches insgemein nur splendida Vitia seyn, für die warhaffte halten. 67) Wenn wir uns in dem Gebrauch der erlaubten Mittel-Dingen allzugrosse Freyheit anmassen, und, wo uns GOtt eines Fingers breit zulässet, eben thun /als ob er gar kein Maaß noch Ziel gesetzt hätte. 68) Wenn wir das grössere und nöthigere Gute aus der Acht und ungethan lassen, damit wir ja das geringere wohl verrichten mögen, sonderlich da Zeit und Gelegenheit erfordert / daß wir das nöthigere sollen abwarten / wie in dem Stück die geschäfftige Martha sich betrog / da hergegen die gottseelige Maria mit ihrer JEsus-Andacht das beste Theil erwehlet / wovon Luc. X. 40. Und Comenii erbauliches Tractätleinunum necessarium, eins ist noth / mit mehrern nachzulesen. 69) Wenn wir / nachdem wir einmahl etwas gutes verrichtet haben / alsdann meynen, wir haben nun eine Last vom Halß / wie z.E. einige, so zum Tisch des HErrn gewesen, von sich hören lassen:GOtt lob! daß das H. Werck auch vollbracht ist, darauf aber sorgloß / sicher und nachläßig / ja wohl gar wiederum muthwillig werden, wie die jungen Kinder / welche, wann sie einmahl ihre Lection gelernet, oder sonst eine Arbeit wohl verrichtet haben / meynen / nunmehro sey ihnen alles erlaubet; da wir [382] doch uns befleißigen solten, es immer besser zu machen, weil, wann wir auch alles gethan zu haben / was wir zu thun schuldig gewesen / uns bedüncken lassen, dennoch nach dem Ausspruch Christi / Luc. XVII. 10. unnütze Knechte seyn und bleiben. 70) Wenn wir unsere Andachten und geistlichen Bewegungen, in selbst erwehlten und gewinnsüchtigen Gottesdienst / davon der Mensch zeitliche Ehr, Ruhm, Ansehen / Genuß und dergleichen haben und erlangen kan, für Würckung des H. Geistes halten, ohnerachtet solche vom Fleisch / nicht aber vom Geist / vom alten Adam /nicht aber vom neuen Menschen herrühren. 71) Wenn wir auf die Tücke unsers Hertzens nicht Achtung haben / und solches uns / da wir demselben in dieser oder jener Sünde gefolget haben, wie den verrätherischen Judam, in der Versuchung stecken lässet, verräth und dem Satan überliefert. 72) Wenn wir uns daran begnügen lassen, daß wir aufs künfftige einen guten Fürsatz zu dem Guten haben / wann wir etwa zu solchen Jahren / zu solchem Stand / zu solchen Aemtern, Diensten / Ehren und dergleichen gelangen, und unterdessen das Gute, so wir jetzunder von GOtt Befehl / Zeit / Mittel und Gelegenheit zu thun und zu verrichten haben / liederlich und muthwillig versäumen, wie dort dem Land-Pfleger / Felix, welcher zu seiner Bekehrung auf gelegene Zeit wartete, aber vergeblich / begegnete, Act. XIV. 25. da wir doch das heute / heute!
Heut lebst du / heut bekehre dich,
Eh morgen kömmt / kans ändern sich etc.
behertzigen solten / wovon des fürtrefflichen Engelländers / [383] Richard Baxters Nun oder Niemahls zu mehrerer Erbauung nachzulesen. 73) Wenn wir unsere unordentliche Affecten und Begierden für ordentliche und natürliche Neigungen oder Bewegungen des Hertzens halten, und uns z.E. einbilden, wir haben diese und jene Person von Hertzen lieb / um keiner andern Ursachen willen / als weil sie GOttes Creaturen und Ebenbild / unsere Mit-Brüder und Schwestern seyen /da wir doch nicht sowol die Personen, als vielmehr die Schönheit / Kunst und Geschicklichkeit, Reichthum, äusserliche Ehr und Herrlichkeit der Personen /den Genuß und die Wollust, die wir bey ihnen finden und haben können, lieb haben, folglich auch unsern Nechsten / nicht als uns selbsten, sondern uns weit höher / als denselben, lieben / welcher Betrug sich so gleich äussert, so bald die Schönheit und andere benannte äusserliche Liebes-Reitzungen durch einige Zufälle geschwächt worden, massen alsdann unsere Liebe sich gar bald zu Haß und Abscheu verwandelt, oder des Nechsten geringer oder mittelmäßiger Zustand / darinnen wir ihn geliebet, sich verbessert, und für der Welt ansehnlicher / als der unserige wird, in einem feindseligen Neid metamorphosiret. 74) Wenn wir einen Zorn oder Haß wider jemand gefasset oder tragen, und meynen, wir hassen nur die Sünde oder Laster des Nechsten, und hassen doch unter solchem Schein den Nechsten selber, oder bilden uns ein, wir zürnen und eifern um die Ehre GOttes, um die Warheit, um die Religion etc. und geschiehet doch nur um unsers eigenen Nutzens und Ehre willen / indem uns nur darum zu thun ist, [384] wie wir uns an dem Nechsten, von dem wir etwa beleidiget zu seyn vermeynen, rächen und revangiren mögen. 75) Wenn wir uns bereden, wir erfreuen uns in den äusserlichen Gaben GOttes / als in den Kennzeichen seiner Liebe, Huld und Gnade, da wir uns doch mehr in der Gabe selbst / als in ihrem Geber erfreuen. 76) Wenn wir uns einbilden / wir erfreuen uns der Gaben und Gnaden GOttes / die sich in unserm Nechsten sehen lassen, und wir uns doch mehr um des Nutzens und Vortheils halben erfreuen, den wir dabey haben und geniessen. 77) Wenn wir die weltliche Traurigkeit und Kümmerniß für die göttliche ansehen / die niemand gereuet / 2. Cor. VII, 10. welcher Betrug sich aber offenbahret, wann wir /so bald die Straffe, Schuld und Schande abgethan /wieder frölich und gutes Muths werden. 78) Wenn wir / unter dem Schein grosser Traurigkeit um der Kirchen Wolfahrt / und gemeinen Ubelstand der Welt, des Vaterlandes, der Orten, da wir leben etc. unsern eigenen Privat-Schaden / Verlust, Abgang, Elend /Armut / Noth und Gefahr etc. beklagen und betrauren / wie bey gemeinen Land-Plagen des Kriegs und der Theurung gemeiniglich zu geschehen pflegt. 79) Wenn wir unsere unersättliche Begierden für gar bescheidene / natürliche und mäßige von uns selbst halten und sagen / wir begehren nicht mehr als Agurs beschiedenen Theil, Prov. XXX, 8. strebeten nach keinem Reichthum, sondern wolten uns nur der Armut erwehren, und doch uns an dem / so uns GOtt zuwirfft, nimmermehr begnügen lassen / sondern, wie es von dem Wassersüchtigen heisset:
[385]Quo plus sunt potæ, plus sitiuntur aquæ,
in dem immermehrhaben unsättlich sind. 80) Wenn wir meynen, wir hoffen, trauen und bauen auf GOtt /und stehet doch unsere gantze Zuversicht einig und allein in den Mitteln, die wir entweder haben, daß wir uns dadurch getrauen erhalten zu werden, oder deren wir ermangeln, dadurch wir gäntzlich meynen / uns eintzig und allein, ja am allerbesten wieder können geholffen werden.