die Dämmerung
heißen sollte. Wer jedes bildliche Wort mit der Hand malen will, ist ein Geck, und wer keins mit der Hand bezeichnet, ist ein Metaphysikus. Ausdrücke, die mit der Hand begleitet werden, verdienen dadurch den Beinamen handgreiflich; und so wie das Schwert den Ritter ausmacht, so adelt auch dergleichen Handgriff den Ausdruck.
Diese Lehre, welche der Ritter dem Hofmeister theoretisch einband, ward von ihm selbst praktisch meisterhaft in Erfüllung gesetzt, und wenn es gleich wahr ist, daß Hände, die gewissen Leuten im gemeinen Leben los zu seyn scheinen, ihnen allen Dienst versagen, sobald es zu Ernst oder That und Wahrheit kommt, so ist es doch auch wahr, daß jeder Schwache noch einen Schwächeren findet, an dem er zum Ritter zu werden, wo nicht Ueberlegenheit, so doch das Glück hat. Wer den Löwen mit einer gewissen Art auszusprechen im Stande ist, scheint sich wenigstens so etwas von Löwen eigen zu machen, was für den ersten Anlauf gilt; und so gibt es [123] eine Art Löwenworte, die ein gewisses königliches Gebrüll an sich haben.
Die Dämmerungsstunde des Ritters hieß zuweilen auch geheime Stunde. Sie war mit Einbildung stark gewürzt, welches überhaupt ein Rosenthalsches Losungswort schien, so wie das WortFreiheit das Schlagwort, der Wahlspruch des Volkes ist. Einbildung, pflegte der Ritter zu sagen, ist der Thron der Menschheit, den kein regierender Herr, kein Tyrann angreifen kann. Sie ist zollfrei. Der Tyrann selbst hat den Eid der Treue an diesem Throne geleistet und dieser Menschenalleinherrscherin gehuldigt. Ohne das Glück, hier ein Unterthan zu seyn, wäre der Fürst unglücklicher als sein letzter Sklave. Man könnte die Einbildungskraft einen Hang zur Unwahrheit nennen, den alle Menschen haben. – In der Bibel werden alle Menschen Lügner genannt. – Oft scheint die Unwahrheit sogar das Gewürz zu seyn, welches der Wahrheit den Geschmack beilegt. – Die meisten Worte sind Lügen; und wo ist der Denker, der sich diese Wortlügen nicht zu Schulden kommen läßt, der nicht in Gedanken aufschneidet?
Der Gegenstand der geheimen Stunde, welcher sich indeß bei der Ausführung gar sehr verkleinerte, war nichts Geringeres, als eine Geschichte der in Europa verblühten und noch blühenden Ritterorden, welche der Ritter mit einer solchen Lebhaftigkeit, wiewohl in nuce – (in einer Nuß, ob einer aufgebissenen oder nicht, wird die Folge lehren) vorzutragen Willens war, daß sein Vortrag von einer wirklichen Ordensaufnahme nicht sehr verschieden seyn sollte. Dieß Ding von Wichtigkeit hatte wenigstens dreimal drei Worte in und zu seinem Dienste. – Ein großer Stein des Anstoßes ward dem dämmerungsschwangern Baron und seiner Ritterstunde in den Weg gelegt, und welch ein Ding von Wichtigkeit hat deren nicht drei und dreimal drei aus dem Wege zu räumen? Hier war der Stein des Anstoßes und der Fels des Aergernisses ein tertius [124] interveniens, ein wackerer Edelmann, der diese Straße absichtlich zog, um mit unserm Ritter eine Lanze zu brechen. Dieser Gast war kein geschlagener, allein, wie unser Ritter es sein gab, ein beschlagener Cavalier, der sein Ring-, Kopf- und Qwitenrennen, Freibalg und Scharfrennen und was man sonst in unsern gesitteten Zeiten zum Turnier rechnet, keck und wohl verstand, und der diese Reise, wie man nachher aus vielen Umständen schloß, vorzüglich aus Neugierde unternommen hatte, um zu sehen, was an den Funken sey, welche der Ruf von unserm Ritter und seinen ritterlichen Anlagen weit und breit umhergeschlagen hatte. Da alles, was ins Abenteuerliche fällt oder schlägt, das Schicksal hat, übertrieben zu werden, so ging es auch dem Ritter und seiner Burg nicht anders. Man hatte behauptet, er habe sein Kind, das wirklich maustodt gewesen sey, durch eine besondere Art von Taufe auferweckt; in seinem Schlosse wohne die Kraft, weibliche und männliche Unfruchtbarkeit in ein tausendfältiges fruchtbares Erdreich, Spreu, die der Wind zerstreut, in Weizen zu verwandeln, unedle Metalle in edle umzuschaffen und an Menschen und Vieh vermittelst des heiligen Kreuzes Wunder zu thun, die bei Menschengedenken nicht gesehen und gehört, und in unsern letzten Zeiten nur etwa von Gaßnern, dem Caffetier Schröpfer und wenigen andern höchst seltenen Menschen bewirkt worden. Der Gast war zu fein und zu gutdenkend, um eitle Neugierde aus seinem Besuche hervorschimmern zu lassen. Er kam, sah und schämte sich, es bei dieser Angelegenheit auf eine Wette angelegt zu haben, die schon a priori unmöglich anders, als wie es am Tage z.e.w., ausfallen konnte. Als weitläufiger Verwandter des Barons fand sich gar bald der Apellessche Vorhang, der philosophische Mantel, und der Anstand, womit er seine Blöße deckte. Hier ist ein Extract ihrer Kreuz- und Querzüge über Licht oder Wahrheit, Freiheit, Gleichheit, Ordenswesen oder Unwesen u.s.w. Ich will mit Fleiß in diesem Extract nicht [125] bezeichnen, was dem Gastvetter und dem Ritter zugehört. Wir werden finden, daß ein tertius interveniens dieser Art im Stande war, unserm guten Ritter eine herrliche Wendung beizulegen!
Bestehen die Wappeningredienzien nicht aus dem Wesentlichen, Modischen und Zufälligen? Hat nicht jedes Ding von Wichtigkeit drei, und wenn das Glück gut ist, dreimal drei Worte in und zu seinem Dienst? und gibt es nicht bei jedem Dinge von Wichtigkeit eben so viele Hindernisse wegzuräumen –? Weisheit, Reichthum (sonst auch Stärke, Vermögen genannt) und Schönheit sind die drei Hauptwünsche, wozu alle Menschen sich neigen. Wenn diese drei Hauptbegierden alle in liebenswürdiger Person, in Eva's Gestalt, erscheinen; wenn dem Adam gesagt wird, daß er nur Einer huldigen könne, und ihm die Wahl überlassen bleibt, welcher von diesen dreien Even er den untheilbaren Huldigungsapfel, wie der Sultan das Schnupftuch, zuwerfen wolle: ist es nicht mißlich, ob Pallas, Juno oder Venus das große Loos ziehen werde? Können diese drei Neigungen nicht, veredelt, in Verbindung treten und Eins werden? Ist es nicht sogar das wahre Tugendrecept: von allen dreien Undredienzien gleich viel? Was darüber ist, ist vom Uebel. Kann der Mensch die Schätze der Natur nicht wohl anwenden und mit einer gleichdenkenden Gattin sich Gottes, seines Lebens und seines Todes freuen? Dienen nicht viele den drei Götzen, der Augenlust, Fleischeslust, und demhoffärtigen Wesen zusammen? und sind es nicht noch die leidlichsten Lasterhaften, die unter diesen dreien Götzen keinem den Vorzug einräumen? Sollt' es denn nicht möglich und ein köstlich Ding seyn, züchtig, gerecht und gottselig zu leben in dieser Welt? Das war vielleicht der Geist derdrei Gelübde, welche die ersten Ritter ableisteten, da sie einen ihren Zeiten angemessenen Entschluß faßten, das Grab Christi zu erobern. Gelegenheit ist Gelegenheit; der Entschluß verdient Andenken. Auch wenn der [126] Anfang dieser Kreuzzüge (wie gar vieles in der Welt) ein Gedanke ohne Plan und Absicht war – macht es dem Menschen nicht Ehre, daß er nach der Zeit ein neues Testament diesem alten hinfügte, dieses Chaos ausbildete, Geist und Leben in diese rohe Idee legte und einen Merkur aus diesem Block zu schaffen im Stande war? – Gewiß fühlte ein Theil jener Streiter die Ohnmacht des einzelnen Menschen, einen gewissen Gipfel der Tugend zu ersteigen und heilig zu seyn; vielleicht wollten sie höhere Kraft zur Heiligkeit vom Grabe Christi einholen, um ihre Leidenschaften sammt den unzeitigen Lüsten und Begierden zu kreuzigen! – Gesegnet sey uns heute und immerdar ihr Andenken! Und, um ihren Gelübden näher zu treten – wer kann groß seyn, wenn er ein Sklave der Liebe bleibt, falls sie nicht geistig gerichtet ist? – Es gibt eine irdische und eine himmlische Braut, thörichte und kluge Jungfrauen, körperliche- und Seelenneigung – Jungfrauen mit und ohne Oel. – Was helfen alle Schätze der Natur, wenn man sie nicht genießt? Kann es aber nicht Genuß (Zinseneinnahme) für diese und die andere Welt, für das Sichtbare und das Unsichtbare, für das Zeitliche und das Ewige zugleich geben? Ist nicht die Liebe das Gewürz des Lebens? – wirkt sie nicht auf den ganzen Menschen? Heißt es nicht oft von ihr: wenn ich schwach bin, bin ich stark? Gewinnt der Mensch nicht durch sie an Leib und Seele? – Sie erhebt, erhöht und verstärkt die Sinne, und nicht allein diese, sondern auch den Geist. – Wer bei Liebe bloß auf den Geist säet, vergißt, daß er ein Mensch ist; wer aber bloß auf das Fleisch säet, erniedrigt sich der nicht unter den Menschen? – Die Geschlechterneigung in Ordnung bringen, heißt die Welt reformiren. Ein Mensch, der hier von keinem verbotenen Baume ißt – was gilt der nicht in seinen eigenen und in aller Kenner Augen? – – – und wo ist Weisheit ohne Grundsätze; wo ist sie ohne treuen Gehorsam gegen die Befehle, die Gott durch Vernunft [127] und Gewissen vorschreibt, als wovon weise Männer manchen Volkskatechismus zu jedermanns Wissenschaft bekannt machten. Das Fleisch gelüstete von Anbeginn, und auch hier, wider den Geist! – Und was ist aus diesem Geiste der drei ehrwürdigen Gelübde geworden? – Wenn, anstatt einer aus unserer Rippe abstammenden, uns so nahe liegenden, mit uns gleichdenkenden Eva, ein Mondfräulein mit Namen Dulcinea gesucht wird, die nirgends ist und überall; die vor uns gaukelt und Kopf und Herz unnatürlich angreift – was wird dann aus uns? was? – Wenn alle jene Uebertreibungen, welcheder Liebe schon an sich eigen sind, zur wirklichen unmenschlichen, unnatürlichen Schwärmerei erhoben oder herabgestürzt werden – ist es nicht eine geistige Hur – ei, die eben so unnatürlich, eben so schädlich ist, wie die leibliche? Wenn der Gehorsam bloß der Unfehlbarkeit eines Menschen, oder vielmehr seinem Stuhl oder seinem Pantoffel, geleistet wird; wenn endlich Vermögen (es mag nun in klingender Münze oder in Talenten, in der Tugend selbst und den Anlagen dazu bestehen, welche die Vorsehung diesem und jenem zum Besten der Menschheit zuwies) unter Pauken und Trompeten in einen Gotteskasten gelegt wird, wo man es zur Aufrechterhaltung des Müßiggangs verschwendet – was meinen Ew. Hochwürden? – In Wahrheit, das ist eine Ehre, ein Kreuz zum Andenken zu tragen, daß dergleichen Unnatur aufgehört hat, welche Männer aus dem Lehr-, Wehr- und Nährstande, von regierenden Herren bis zum Schuhflicker, auf die Beine brachte und zu Wanderburschen heiligte, indem sie alle gen Jerusalem gingen. – An den frommen Betrug, welchen Vater Papst bei diesem heiligen Blindekuh-Spiel beabsichtigte – wer denkt daran ohne Aerger? –
Unser Ritter, der nun freilich, Gottlob! nicht bis zum heiligen Grabe gekommen, sondern in Sonnenburg geschlagen, und dem auf dieser Schlagreife der gleichen Gedanken-Kreuzfahrten nicht [128] vorgekommen waren, dem überhaupt (außer dem Wechselvorfalle mit dem Juden, den er zusammt den Verzögerungs-Zinsen durch die heilige Ehe so glücklich beilegte) keine Avanture schwer fiel, kam aus seinem ganzen Concept; indeß hatte ihn der Vetter so hin- undmitgerissen, daß ihm ein anderes Licht aufzugehen schien. – Schien, sag' ich; denn wenn gleich anfänglich das Brevier seiner Ordensgeschichte ihm als eine wahre Dämmerung gegen diese Ideen vorkam, so schwankte er doch bald hernach von der Rechten zur Linken, und wußte selbst nicht, ob er diese Ideen für profan oder heilig, für Schimpf oder Ernst halten sollte. Pallas, Juno und Venus; Augenlust, Fleischeslust, hoffärtiges Wesen, als der dreiköpfige Adler im Wappen des Menschen – und was weiß ich, was mehr? – waren Umstände, die in seinem Kopfe so gewaltig kreuz und quer zogen, daß er den Gast aus reiner Herzensangst wie vom Himmel gefallen fragte: ob er beim heiligen Grabe gewesen sey? – Oft, sehr oft, erwiederte dieser; aber nur im Geist und in der Wahrheit; wenn ich eine Leidenschaft begrub und einen neuen Menschen auferstehen ließ, der vor Gott lebe! Nur dann dünk' ich mich ein Ritter zu seyn, wenn ich mich selbst und wenn ich in meinen Wirkungsgrenzen Vorurtheile überwinde. Freund! das sind die Türken der Menschheit, und ein Ritter ist der, welcher es sich mit Leibes- und Seelenkräften, das heißt thätig, angelegen seyn läßt, daß das Gute über das Böse in ihm, und wo möglich überall siege. – Die Türken, welche von den Johanniterrittern gar gewaltiglich, freilich in ihren vier Wänden, verfolgt werden, sind Menschen wie wir, und unsere Brüder, und jüdische und christliche Ketzer, Gläubige an beide Testamente, da die Christen nur das neue annehmen, ohne recht zu wissen, was sie mit dem alten machen sollen. Auch bedarf es bei Selbstüberwindung und bei den Siegen über Vorurtheile keiner so hochgepriesenen Mittel. Das erste, das beste; das kleinste, unbeträchtlichste [129] ist schon heilig, hochwürdig, wenn der Zweck, zu dessen Fahne es schwört, hochwürdig und heilig ist, auch wenn dieser durch einen Schleuderwurf von Mittel erreicht wird. Ein Kreuz ist eine Schande, wenn es ein Sinnbild ist, daß ich Seele und Herz, beide Hände und beide Füße unthätig kreuze, und mich einem gewissen faulenzenden Mysticismus und Fanatismus ergebe, und hier, als auf einer grünen Aue, mich weide. Warum – sagen Ew. Hochwürden selbst – warum vermögen die Bösen so viel? warum herrscht das Böse in der Welt? warum liegt sie, so zu sagen, im Argen? Weil die Guten unthätig bleiben; weil der Tugendritter so wenige, und weil sie mit zu wenig Muth ausgerüstet sind; weil man dem Bösen die Pluralität, das Uebergewicht noch nicht abgewonnen hat. Ein einzelner Mensch kann nichts, weder physisch noch moralisch; vereinigt können die Menschen viel – alles. – Je mehr Menschen, je mehr Köpfe und je mehr Hände. Auf Einen Kopf gehen zwei Hände; und da jeder Mensch, bis auf die unbeträchtliche Anzahl Krüppel, zwei Hände hat, wenige Menschen dagegen, welche Köpfe haben, Köpfe sind: so ist der, welcher ein Kopf genannt zu werden verdient, ein Edelmann; die Hände sind die Bauern. – Je mehr gute Menschen, je weniger Aergerniß, je mehr Beispiel. – Der Philosoph muß denken; der Edelmann muß denken und thun. Jener kann unsere Begriffe von Tugend und Glückseligkeit berichtigen und befestigen, wenn er ein bloßer Spekulant, und uns das Schöne und Erhabene des Himmels auf Erden versinnlichen, wenn er ein Dichter ist. Wenn die Tugend in weiser Thätigkeit besteht, so gehört gemeiniglich theoretische Weisheit zum gelehrten Gebiete; und auch die ist nicht jedermanns Ding, und selten dem eigen, der das Recht erhalten hat, einen Kranz oder ein Kreuz der Gelehrsamkeit auszuhängen, sondern dem, der den Doktorhut aus den Händen der Menschen erhielt. Der Denker ist Priester, der Edelmann Prophet und König. Beide[130] sind Ritter, wenn sie wirklich sind, was sie seyn sollen, beide sind bemüht, das menschenmögliche Ziel der theoretischen und praktischen Vernunft zu erreichen, die Ehre der Menschheit herzustellen und oft durch das Kleine in das Große zu wirken. Trug ich dazu bei, daß ich als Edelmann geboren und, kraft meiner sechzehn Ahnen, zum Johanniterritter geschlagen ward? Wozu ich nichts beitrug, ist das mein? Es gibt Fürsten von Gottes, und Fürsten von Kaisers Gnaden – Jeder Mensch ist ein Fürst von Gottes Gnaden: nicht wenn er sein Diplom, seinen Geist, in ein Schweißtuch der Vorurtheile wickelt; nein, wenn er durch Fleiß und Treue ihn veredelt, verdient er den Namen Edelmann! Ew. Hochwürden kennen meine Ahnenzahl; allein Sie kennen vielleicht meine Achtung für Ihren Orden nicht. Alles, was ihr thut, ihr esset oder trinket, ihr seyd Johanniterritter oder seyd es nicht, ihr seyd wer, und was ihr seyd – thut alles zu Gottes Ehre, das heißt: zur Ehre der Menschheit, welche die Offenbarung Gottes im Fleisch und sein hergestelltes Ebenbild ist. – Der Stifter der christlichen Religion starb am Kreuz, weil ihm sein übermenschlich großer Plan, die Menschen moralisch zu verbessern und ein allgemeines Reich Gottes zu stiften, nicht glückte; und die Johanniterritter tragen ein Kreuz, weil sie die gehörigen Ahnen und keinen Plan haben, die Menschen moralisch besser zu machen.
War unser Ritter zuvor zweifelhaft, so gerieth er jetzt in böhmische Wälder. »Freund,« fing er an, »wenn ich Sie nicht besser kennte, ich würde fürchten, der Neid flamme Sie zu dieser türkischen Härte gegen mein unschuldiges Kreuz an, das keinem Menschen Schaden und Leides gethan hat, und mit Gottes Hülfe auch nicht thun wird.« Führt es nicht auch vom Kleinen zum Großen, vom Ritter zum Commendator? Und ist es nicht gut, daß oft sinkende Familien dadurch gestützt und Häuser und Schlösser verwandelt[131] werden, wenn gleich hier die Fingerlein keine Wohnung aufschlagen? Lassen Sie uns doch die Würde des Adels nicht verkennen, Freund! der Menschen in superlativo! – So lange Deutschland Hochstifter und Ritterorden hat, wo 16 oder 32 wohlerwiesene Ahnen mehr gelten, als so viele wohlerwiesene Thaten, sie bestehen nun in Schlachten, wodurch Tyrannen gestürzt, oder in Solonischen Gesetzen, wodurch tausendmal Tausend beglückt worden – was ist da zu machen? Ist denn das alte Herkommen durchaus verwerflich? Ich für meinen Theil bin dem alten Testament sehr gewogen und trag' es in meinem Herzen. Sollten Türken mehr als Christen wissen, was man damit machen soll? Führten nicht viele von unserer Familie alttestamentliche Namen: Adam, Sem, Ham, Japhet –? Sollte der Adel nicht den heiligen Reliquien des Apollo, den Ruinen Roms und Griechenlands die Wage halten? – Hat die Natur nicht selbst den Adel erschaffen und erhält sie ihn nicht noch? Menschen sind geborne Edelleute auf Erden durch Verstand und Willen. Vielleicht gibt es solche Edelleute nicht mehr im ganzen Weltall; und wenn Verstand und Wille sie unter allen Geschöpfen, von denen sie äußerlich so viel ähnliches haben, zu Edelleuten macht – warum sollten nicht durch vergrößerten Verstand, durch veredelten Willen es auch Menschen unter Menschen seyn? Sind nicht Edelleute die Offiziere unter den Menschen? Und wenn es erst auf die Wahl ankommen soll, wer als Klügerer und Besserer ein Edelmann sey, so stirbt das meiste Gute unter den Händen, so ist ewiger Streit und gewiß noch größerer Jammer und größeres Elend unter den Sterblichen als jetzt. Ohne Autorität und ohne daß man die Knoten auf Erden entzweischlägt, bleiben sie ungelöst in Ewigkeit. – Wie viele Neposwollams werden der Edelmannswahl den Weg vertreten! Und kommt Verstand vor Jahren? Begeht nicht auch der Klügste und Beste so viele dumme Streiche, daß kein Mensch in der[132] Welt (ausgenommen der heilige Vater, der von der dreifachen Krone seines Hauptes bis auf die Pantoffel seiner Füße sich zu einer Ausnahme erhebt) Selige und Heilige machen oder entschatten kann? Daß sich Gott erbarme! Die Menschen sind alle zu gleichen Trübsalen und Ungemächlichkeit berufen; allein wahrlich zur Standesgleichheit sind wir nicht da. – Ist nicht jeder Hausvater der Edelmann in seinem Hause? ist er es bloß gegen sein Gesinde oder auch gegen Weib und Kind? Ist Herr und Edelmann nicht Eins? und würden wir mit der Zeit nicht Gott den Herrn selbst verlieren, wenn wir alle Herrschaft vertilgen und allgemeine Gleichheit einführen wollten? – Ach, Freund! in Republiken gibt es so gut Könige, wie in Monarchien – und sie werden bleiben, wenn auch alle Namenkönige auf Erden aufhören sollten. Die heimlichen Jesuiten sind ärger als die öffentlichen, und die heimlichen Könige verhalten sich ebenso gegen die, welche bloß so heißen. – Die Gleichheit der Stände ist der Natur des Menschen, den Staatsverfassungen, den größern und geringern Geistes- und Leibeskräften einzelner Menschen, der Erfahrung und kurz und gut – der menschlichen Vernunft entgegen. Es gibt der Menschen zu viel, und das Eigenthum so vieler unter ihnen ist so verschieden und so beträchtlich geworden, daß es Unterschiede geben muß. Kasten nicht, aber Unterschiede, die so allmählig unter einander verschmelzen, daß alles wie Ein Stück aussieht. Also kein Erb-, sondern wirklicher Adel. – Ohne Erbsünde wäre keine wirkliche, ohne Erbadel kann es wirklichen geben. Jene Stärke des Leibes, jene Fähigkeiten der Seele erwerben Vermögen, das wir unsern Kindern zurücklassen, wenn wir heimfahren aus diesem Elende, Kyrie eleison! – Und diese Glücksgüter verewigen den Adel; was Stärke des Leibes und der Seele schuf, erhält das Vermögen. In Polen macht das Vermögen, daß ein Edelmann des andern Diener, Camerad und Oberer ist – je nachdem er [133] ihm an Vermögen unterliegt, gleichkommt oder über ihn hervorragt. Bürgt nicht Vermögen für eine bessere Erziehung? Würd' ich meinem Einzigen einen so wappenkundigen Führer zugesellen können, wenn meine Sophie mit dem Kleck mir nicht zu Theil geworden wäre? Würden sie und mein Sohn in meinem Hause gefirmelt seyn, wenn ich nicht im Stande gewesen wäre, den Senior und die vier Kastenassessores besser alsSenior familiae zu bewirthen? Freund, warum wollten wir auch etwas vertilgen, das sich schon mit der Natur der Deutschen amalgamirt zu haben scheint? – wie der von der Nation angenommene Geheime Secretarius Tacitus fast zu schön bezeugt. – Hat sich nicht schon zwischen einem Edelmann schlechtweg und zwischen einem edeln und thatenreichen Edelmann ein Unterschied eingeschlichen, der niemals schwerer als in dieser letzten betrübten Zeit zu vertilgen war? Schon in der ersten goldenen Zeit des Adels finden wir von dieser conditione sine qua non, vom adeligen Verdienst, unverkennbare Spuren. Franz I., König von Frankreich, wollte die ritterliche Würde von niemanden anders als von Bayard, dem Chevalier sans peur et sans reproche, empfangen. Nannten nicht Fürsten und Könige die Ritter Herren? Machten sie sich nicht eine Ehre daraus, außer der Würde der Regenten die Würde großer, edler Menschen zu besitzen? Hohe Personen hießen Junkherr oder Junker, so lange sie nicht Ritter waren; und gingen nicht Edelknechte, Knappen und Wappner Rittern zur Hand, wie Lehrlinge und Gesellen dem Vater des Hofmeisters und einem jeden ehrbaren Meister? Damals waren edle Thaten zünftig. Diese Zünfte sind aufgehoben: wir sollen jetzt alle Virtuosen seyn; aber leider! sind die echt edlen Thaten mit jenen Thatenzünften zu gleicher Zeit verschwunden. Das Militär macht freilich auch noch jetzt eine kriegerische Zunft aus; allein ihre Gesellen-und Meisterstücke sind nur selten edle Handlungen; – ihr [134] Dienst wird nur durch Zufall alter Ritterdienst, und Don Quixote ist, wo nicht wirklich, so doch in der Anlage edler als manche Militär-Excellenz, welche kein Bedenken trägt, Menschen für Windmühlen anzusehen. Besolden wir nicht oft in unsern Legionen Staatsunterdrücker unter dem preiswürdigen Namen von Staatsbeschützern und Staatsvertheidigern? – Die Soldaten bringen ihre angeworbenen Menschen unter das Maß; allein die Seele wird nicht gemessen. Ich wünschte nicht, daß mein A B C sich diesem Stande widmete, ob es gleich wahre Zierden der Menschheit nicht nur unter Feldherrn und Offizieren, sondern auch unter dem gemeinen Manne gibt. Die Kluft, die nicht nur zwischen Militär und Civil, zwischenSoldat und Bürger, sondern auch zwischenSoldaten und Menschen befestigt ist – ist diese Kluft nicht unnatürlich? – Große Armeen bekriegen das Reich Gottes, und so lange diese sind, istzum Heil der Welt sichere Aussicht? – – – Nach verschiedenen Evolutionen siegten die stehenden Armeen; und unser Ritter fing auf einem andern Wege an. – Ist es nicht gut zu spielen, eh' es zum Ernst kommt? zu lustkämpfen, ehe Blut vergossen wird? Das Spiel, Vetter, ist mir immer lehrreicher als der Ernst in der wirklichen Welt und selbst in Büchern. Sehen Sie hier zum frommen AndenkenSchwert, Speer, Lanze, Wurfspieß als die ehemaligen Trotz- und Angriffswaffen; Schild,Helm, metallene Schuppen, Harnisch als Schutz- und Schirmrüstung! Ich bin ein Freund der alten Kern- und Sternworte, und würde gewiß den Ausdruck Krebs, der nur unlängst aus der Mode gekommen ist, beibehalten haben, wenn nicht der wirkliche Krebs dieser Rüstung zum Muster gedient hätte, und wenn nicht soviel in der Welt und das alte ehrwürdige Ordensspiel selbst den Krebsgang eingeschlagen wäre. Wie gefallen Ihnen Gürtel,Sporne und verblechte Handschuhe? Die Kreuzsammlung wird Ihrem strebenden Auge[135] nicht entgangen seyn. – Auch Spiel, aber ein ehrwürdiges, seel- und herzerhebendes – – –!
Man lasse doch alles lieber beim Alten, wenn man nichts besseres unterschieben kann. Ehe das heilige Gesetz, die unsichtbare Gottheit über Menschen die Oberherrschaft führen wird, ohne daß ein Hoherpriester ins Allerheiligste geht, werden noch tausend Jahre verlaufen. Die aufgeklärtesten, klügsten Völker konnten sich nicht ohne sichtbare Regenten behelfen, ohne etwas Eisen am Scepter und ohne Stab Aarons, der, wenn er mit Maße gebraucht wird, Staaten grünend und blühend macht. Und was ist besser: vom krummen oder geraden Stabe regiert zu werden, vom Knechte aller Knechte, der eines geringen Handwerkers Sohn seyn und doch mit einer dreifachen Krone auf dem Haupte und mit Pantoffeln an seinen Füßen prangen kann, oder vom Durchlauchtigen Herrn, vom Muth oder von der Furcht? – Freund, Muth ist ein herrliches Ding im Leben und im Sterben. Zöge der Adel sein Schild ein – würde nicht der Bannstrahl gelegentlich das Regiment verlangen? Alles ohne Unterschied würde dann wirkliche Heerde und jene Herren wirkliche Hirten seyn, da jetzt der Edelmann so gut und oft mehr ein Schaf ist als die Schafe, die er weidet. – Neid, Hoffart, Zank, Zwietracht, Rotten, Saufen, Fressen und die schamlose Begierde sich über andere zu erheben, gingen mit dem Tiger, dem Drachen und Löwen, mit Wölfen und Bären paarweise aus dem Kasten Noä, und da sie nicht in der Sündfluth ersäuft worden sind – wer kann sie vertilgen von der Erde? – Die Natur thut ihr Mögliches, sie läßt alle frei geboren werden. Alle reden von der Freiheit, aber alle sind Sklaven. – Welcher Despotismus ist besser: der weltliche oder geistliche? Jener hört mit dem Leben auf, dieser erstreckt sich bis jenseits des Grabes in alle Ewigkeit! Jener straft, wenn er aufgebracht ist, dieser kreuzet und segnet eine vergiftete Hostie, umarmt uns, daß er uns desto [136] gemächlicher und kälter den Dolch ins Herz stoßen kann, küßt uns, um zu verrathen, macht uns ein Hocuspocus, um uns während der Zeit, daß wir auf seine wunderthätigen Hände sehen und sie wohl gar ehrerbietigst küssen, die Taschen leer zu machen, nimmt uns alles Irdische gegen das Himmlische, baare Summen gegen Papiergeld und eine Assignation auf die andere Welt. Nicht auf dieser Welt ist Glück und Freiheit, sondern in Eldorado! und Eldorado liegt unter der Erde. – Ja, Vetter, nirgends anders als unter der Erde –!
Ich will abbrechen. Unser Gast, das wird man leicht finden, ist kein ewiger Jude, kein Pilgrim und Fremdling, der Verstand und Willen sucht; es ist einGast auf Erden, der gern Bürger würde, wenn er nur die Stadt Gottes fände, um hier das Bürgerrecht gewinnen zu können. Er ist es werth, daß er, wenn nicht als ein solcher Bürger, so doch als Wirth in dieser Geschichte erscheine. – Jetzt kurz und gut: – er aß mit unserm Ritter und seiner Familie an der runden Tafel, sah die aufgepflanzten Ordenszeichen und die vielen Kreuze, und schied nach einem Mahl voll Wohlgefallen von dannen! – Thun Sie, sagte er zu dem Ritter, was Sie nicht lassen können. Gott stärke alle brave Menschen, die auf der Oberfläche des Erdbodens zerstreut sind! – »Und segne Sie!« erwiederte der Ritter. Mein Held ließ kein Auge von diesem Vetter, dessen Ungewöhnlichkeit ihn außerordentlich fesselte, und gewiß entging auch er dem Gaste nicht, der alles, was beobachtet zu werden verdiente, zu Kopf und Herzen nahm. – Unser Held schien den Gast sogar zu interessiren. – (Warum bat man diesen seltenen Gast nicht, die väterliche Instruktion zu prüfen und zu ergänzen?) »Und die Ritterin nicht auch?« Ist das eine Frage? Syphie konnte, ihrer Stern- und Kreuzseherei ungeachtet, bei jedem klugen Mann auf Verehrung Anspruch machen, und der Vetter [137] glaubte sich durch ihre Bekanntschaft für die Beschwerlichkeiten seiner Wallfahrt völlig entschädigt.
Ehe wir aus dem Licht in die Dunkelheit zurücktreten, muß ich bemerken, daß der Vetter natürlich dem Ritter in sein Collegium solche Kreuz- und Querstriche gezogen hatte, daß dieser, er mochte wollen oder nicht, den Pastor loci zu Hülfe rufen mußte, um die etwas hart gezogenen Striche vermittelst eines scharfen Federmessers auszuradiren, und durch die Güte des wohlthätigen Bleiweißes die Stellen wieder auszuweißen. Freilich eine tiefe Demüthigung für unsern Ritter, indem der ungeweihte Pastor loci dadurch zum Ordensvertrauten auserkoren ward! Indeß tröstete sich der Ritter über diesen Umstand so gut er wußte und konnte, und dankte dem Himmel, daß er dem, obgleich nicht mehr unpolirten Sohne eines Schneiders nicht in die Hände fallen dürfte, da dieser ihm bei dem allen doch noch zu jung zu einem so wichtigen Zutrauen schien, das gewiß drei Worte in und zu seinem Dienste haben wird. – Jerusalem und das heilige Grab waren und blieben dem Ritter und seinem erkornen Waffenträger, dem Pastori loci, die Aepfel, die er auf dem glühenden Ofen der Einbildung briet. Wie wär' es, wenn ich auf dem Brevier des Ritters et Compagnie, noch ein Brevier machte, und wenn wir mit kalter Uebersehung aller Seiten- und Nebensprünge in ein paar Abenddämmerungen (pro hospite) als Pilger und Fremdlinge gingen, ohne im mindesten den Leuchter von seiner Stätte zu nehmen und dadurch Lehrer und Hörer, welches letztere unser Held und seine Mutter waren, in ihrer Ordensandacht zu stören? –
Das Wunderbare thut auf Kinder eine unfehlbare Wirkung, so wie das Tragische auf den Jüngling; der Mann liebt das Lustspiel, und im hohen Alter steigt man den Berg hinunter, den man hinaufgestiegen war, bis man wieder ein Kind wird und von [138] Fingerlein erzählt und erzählen hört. Das Kreuz, das unser Held bei der ritterlichen Nothtaufe beides an der Stirn und an der Brust empfing, und die Kreuze, welche ihm mit der Milch eingeflößt wurden, hatten eine Art von Eindruck in sein Gesicht gefurcht, und demselben eine gewisse Feierlichkeit, eine Kreuzesform einverleibt, welche der Hofmeister anfänglich als ein Werk der Noth, nachher aber als ein Werk der Liebe, pflegte und vollendete. Er behauptete, mein Held wäre seelenkreuzlahm. Das Kreuz war ein Muttermal, das er auf die Welt brachte; warum aber lahm? Hatte der ABC-Junker nicht sein beschiedenes Theil von Verstand und Willen? Beides freilich war zum Ritter geschlagen, und, wie es doch bei Schlägen geht: sie treffen selten die rechte Stelle – Das Wort After sagt zu viel, und würde ihm zu nahe treten; warum auch einen Nothhafen von Namen, da unser Held nicht wie eine Bienenkönigin sich in eine Zelle einschließen, sondern vor unsern Augen handeln wird? »Handeln?« – Freilich scheint er zum Wortmenschen erzogen zu werden. Ist es anders in der Welt? Kommen wir nicht alle aus Wortschulen in das thätige Leben? Und doch gab es von jeher unter uns nicht bloß Hörer, sondern auch Thäter des Worts. Ich will meinem Helden keinen Namen beilegen; er selbst soll sich taufen! – Die Geschichte des unheiligen türkischen Reichs, die zehn Haupt- und die vielen andern kreuz und quer eingeschalteten Nebenverfolgungen trugen das ihrige mit bei, unsern Helden an Leib und Seele zur Geschichte der Hospitaliten vom Orden des heiligen Johannes von Jerusalem anzuschicken. Aristippus sagte, da er durch einen Sophisten überwunden war: Ich werde besser schlafen als du, ob du mich gleich in die Enge getrieben und gesiegt hast. Laßt es gut seyn; das Ende krönt das Werk. – Die Mutter unseres Helden war eine Kreuzseherin; sie hatte, wie wir wissen, den Ritter des Kreuzes halber, welches auch in der Dämmerung, wie ein Katzenauge, an seiner Brust funkelte, [139] geehlicht, und so konnte sich denn unser Lehrer wohl nicht empfänglichere Herzen wünschen.
Der heilige Orden – fing unser Ritter an, und nahm seine Mütze, die eine Art von Inful oder Bischofsmütze war und zugespitzt wie ein Kirchenthurm gen Himmel zeigte, sehr tief und ehrerbietig ab. Schon lange konnte unser Ritter sich nicht ohne Mütze behelfen, und es gibt Menschen, denen sie natürlicher als der Hut ist. Zwar läßt sich nicht läugnen, daß eine Mütze eben nicht die schicklichste Tracht für einen Ritter sey; indessen war er wegen seiner Neigung zu Hauptflüssen zur Mütze verurtheilt; und da in unseren letzten Tagen die Freiheit sich in Frankreich laut und deutlich für die Mütze erklärt und das alte Sinnbild der Freiheit in den vorigen Stand gesetzt hat – warum sollte es unserm gutgesinnten Aristokraten nicht auch erlaubt seyn, sich einer aristokratisch zugeschnittenen Mütze zu bedienen? – Der heilige Orden, sagte der bemützte, vom Jacobinismus himmelweit entfernte Ritter zum zweiten-, und der heilige Orden, sagte er, nach seiner hochwürdigen Gewohnheit, zum drittenmal (wobei die gnädige Frau sich jedesmal ehrerbietig beugte), ist unstreitig unter allen Orden einer der ältesten und berühmtesten; denn obgleich der Orden der Freimaurer sich dünkt, als ob Adam der erste ächte und gerechte Maurer gewesen sey, so dient doch zur dienstfreundlichen Antwort, daß die Schürze, welche Freimaurer Adam trug, von Feigenblättern war, und daß auf diese Art die Schlange den Großmeister des Ordens vorgestellt hätte, welches der Freimaurerorden, wie ich hoffe und wünsche, schwerlich auf sich sitzen lassen wird.
Unser Held, der wohl wußte, daß er das Ebenbild zur Johanniterordens-Ritterschaft verloren hatte und durch Mutter Eva gefallen war, wurde so voll von dem Freimaurerorden, daß er seinen väterlichen Lehrer mit Kiuberfragen, so wie weiland der Gast mit Mannsfragen, ängstigte. Da indeß der Ritter wenig oder gar nichts [140] von dem Freimaurerorden wußte, weil zu dieser Frist noch nicht so viele Lehrbücher über diesen, wenn man will, geheimen oder verrathenen und zerschmetterten Orden geschrieben waren, so gingen diese unbeantworteten Fragen, die überhaupt mit verbissenem Schmerz viel ähnliches haben, unserm Helden durch Mark und Bein. Schuldig gebliebene Antworten sind bewährte Hausmittel, die fragende Jugend auf Irrwege zu führen, und streuten auch hier Samen; ob zu künftigen Früchten oder zu künftigem Unkraut, wird die Zeit lehren. – Für jetzt nahm der Junker – vielleicht aus Freimaurerhunger, den die wenigen Brocken eher gereizt als gestillt hatten, vielleicht auch, weil der zurückgesetzte Hofmeister insgeheim unsern Helden mit so manchem Zweifel ausrüstete – Gelegenheit, den Johanniterrittern den Vorwurf aufzubürden: warum sie seit so geraumer Zeit nicht entweder mit dem Schwerte des Geistes oder des Leibes gesiegt, und die Türken, welche sich unterstanden, das Grab Mahomets zu Medina dem Grabe Christi, und die Kaaba zu Mecca der santa casa zu Loretto entgegenzustellen, entweder bekehrt oder zu Grabe gebracht hätten? Der Ritter, welcher den leiblichen Eroberungen wohlbedächtig auswich, versicherte in Hinsicht des geistlichen, bis dahin unerfochtenen Sieges, der auch jetzt noch im weiten Felde sey, daß die fünf Brüder des reichen Mannes eher zu bekehren wären, als Leute mit Bärten. Beweisen dieß nicht die Juden sichtbarlich? Hierzu kommt, fuhr er fort, daß die Beschneidung Juden und Türken so fühlbar an ihre Religion erinnert, und daß die Unterdrückung des Geschlechtes der Eva dem christlichen Glauben in Hinsicht der Türken, dieser bärtigen Ungläubigen, unübersteigliche Hindernisse in den Weg legt.
Unser Held merkte es dem ritterlichen Vater mit und ohne Assistenz des Hofmeisters ab, daß er seinen Worten durch Ernst und Würde (ein Privilegium de non appellando) das letzte Entscheidungsrecht [141] beilegen und seinen Schülern das Opium der Unfehlbarkeit bei seinen Erzählungen eingeben wollte.
»Im eilften Jahrhundert,« fing sich eine Dämmerung an, »wünschten Kaufleute aus der Stadt Amalfi im Königreich Neapolis, welche in Syrien Verkehr trieben und bei dieser Gelegenheit die heiligen Oerter in Jerusalem besuchten, hier eine Kirche zu haben.« Die gnädige Frau sowohl, als unser Held fanden bei so bewandten Umständen die Feuerahnenprobe des Ordens ungerecht, und beide forderten Satisfaction vom Orden wegen dieser Strenge, und von der Familie wegen der Firmelung, wenn sie gleich mit wohlriechendem Wasser an ihnen vollbracht war. Indeß konnten sie von wegen der Gestrengigkeit des Ritters nicht aufkommen; vielmehr sahen sie sich in den Umständen, sich bloß mit Husten oder Protestiren (welches der juristische Husten ist) zu behelfen. So sang der Judenbekehrer Stephan Schulz (vulgo Sanftmuth Sieget) zu Rom in der Peterskirche das Lutherische Siegeslied: Ein' feste Burg ist unser Gott, ein' gute Wehr und Waffen.
»Da Betrug und Handel,« fuhr der gestrenge Ritter fort, »wie Haken und Oehse, wie Nagel und Wand, wie Mann und Weib verbunden sind, so wollten diese Emsigen, diese Nachbarn, um das Gewissen zu beruhigen, den Zehnten dem lieben Gott ablegen; obgleich diese Zehn von den Hunderten, welche auf Kosten des armen Nächsten genommen waren, dem lieben Gott, der nur reine Thiere zum Opfer verlangt, unmöglich ein süßer Geruch seyn konnten. (Weder Mutter noch Sohn husteten.) Der damalige Kalif in Aegypten, Almansor von Muftasaph, ward gewonnen (der Ritter setzte kannengießerlich hinzu: man könne wohl rathen, wodurch –) und gab sein fiat wie gebeten zum Bau einer Kirche in der Stadt Jerusalem. Wenn nun gleich die Herren Emsigen undNachbarn es mit dem sechsten Gebot, das weder auf [142] Wasser- noch auf Landreisen zu gehen pflegt, genau nicht so nehmen konnten, da sie beständig unterwegs waren, wollten sie doch, daß ihre zurückgebliebenen Weiber demselben strikte Observanz leisten sollten. Um nun dieses Glückes theilhaftig zu werden, widmeten sie die Kirche der heiligen Jungfrau; und damit es weder ihnen noch andern Pilgern an guter Aufnahme und an den Exceptionen vom sechsten Gebote fehlte, erbauten sie neben dieser Kirche ein Gasthaus oder Kloster, worin sie Benedictiner zu Wirthen machten. Wollte Gott, daß unsere Gastwirthe, die alle eine Art von Benedictinern sind, nicht bloß sich, sondern auch ihre Gäste, da sie das Kreuz in Händen haben, segnen möchten! Auf meiner Reise nach Sonnenburg – blieb mir dieser sowohl als vieler andere Segen aus, den ich indeß dem Gast auf Erden, unserm lieben Vetter, hiermit reichlich anwünsche, so wenig er ihn auch am Orden verdient.«
Ist je etwas im Stande, die Einbildungskraft bis zum höchsten Gipfel zu treiben, so ist es der Pilgerstand. Vier Dämmerungen ging man bei diesen Benedictinern aus und ein, und ließ es sich mit den andern Pilgrimen herzlich wohl seyn. Der Ritter ergriff diese Gelegenheit, den Kaufmannsstand in Rücksicht des obigen Hustens in integrum zu restituiren, und erlaubte dem Schuldner Nachbar, ob er gleich nicht aus Amalfi war, sich ohne Umstände zu Tische zu setzen und es sich wohl schmecken zu lassen. Eine Hand wäscht die andere. Die Zinsen fielen auf die Minute; der Ritter wußte, woran er war, und konnte ungestört und mit Ehren, ohne einen Schritt aus dem Hause zu thun, gen Jerusalem reisen, und den Nachbar in seiner Abwesenheit und während dieser auf der Börse den Cours berichtigte, zu Tische ziehen.
Schon gleich bei der Anlage der Congregation des heiligen Johannes des Täufers, welche Gottfried von Bouillon unter dem Schutze dieses Heiligen stiftete, ohne daß die Jungfrau Maria diese [143] Trennung ungnädig aufnahm, zeigte sich der Ritter in Lebensgröße; und so blieb er auch, sowohl bei dem Sonnenschein als bei dem Platzregen, der den Orden betraf, unbeweglich, bis er sich die Erlaubniß nahm, Karl V. die Hand zu küssen, der 1530 den 20. Mai dem Orden die Insel Malta cum att- et pertinentiis unter der Bedingung verehrte, diese Insel zu schützen und den türkischen Seeräubern allen Abbruch zu thun. Froh gestand er, daß der liebe Gott seine Heiligen wunderlich geführt hätte, und daß, wenn er, gleich seinen in Gott andächtigen und in Gott ruhenden Vorvätern, sich durch die Eroberung der Insel Rhodus den Ritternamen verdienen sollen, er zwar ohne Wechselschuld, allein doch vielleicht nicht so mit so gesunden Armen und Beinen, wie aus Sonnenburg, zurückgekommen seyn würde; worüber denn die Ritterin ihre ganz besondere Zufriedenheit bezeigte!
Ob nun gleich dem Ritter keine verschmelzenden Uebergänge eigen waren, so erinnerte er sich doch nicht ohne Rührung, daß sich bei allem, was zu seyn werth wäre, Geist, Seele und Leib, Rock, Weste und Beinkleider fänden, und daß jede Sache von Wichtigkeit drei Wörter in und zu ihren Diensten hätte. Durch dieses weite Portal des Eingangs kam er geradeswegs zu den drei Gelübden derArmuth, der Keuschheit und des Gehorsams, und zu den drei Klassen, in welche MeisterRaymund du Puy die Hospitaliten theilte.
Auf Prima, sagte der Ritter, saßen die Adeligen, welche er zur Vertheidigung des heiligen Glaubens und zur Beschirmung der Pilgrime bestimmte. – Daß sich Gott erbarme! sagte die Ritterin, wiewohl in Gedanken, die den Worten zuweilen erlauben, aus der Schule zu laufen.
Auf Secunda, fuhr der Ritter nach einer Weile fort, saßen die Kapläne und Priester des Ordens zum Gottesdienste; denn wenn gleich die Ritter allerdings Geistliche sind, so können sie doch [144] vom Adjectivo geistlich das Substantivum Ritter nicht trennen. Sie richteten weltliche Sachen geistlich: – es waren Nothtäufer.
Auf Tertia saßen die Brüder Unteroffiziere und Gemeinen, die zwar unadelig waren, indeß doch alle Fähigkeit hatten, im Kriege todt zu schlagen und sich todt schlagen zu lassen; als in welche Klasse er zu seiner Zeit den Hofmeister anzuwerben nicht abgeneigt schien, der indeß sich leicht auf Secunda schwingen könne. Diesem heiligen Drei fügte er noch Eins (überhaupt waren ihm die Dreien sehr geläufig) hinzu, indem er die Ordensregel die Regula de tri nannte, welche der Orden sich eigen gemacht, nachdem er zuvor seine Rechnung bloß nach den gemeinen fünf Speciebus geführt hätte. Und nun ließ sich unser Ritter in Malta bei dem Großmeister (er nannte ihn Großherrn) melden, wünschte ihm eine frohe Abenddämmerung und condolirte von Herzen, daß Se. Allerhöchstwürden Großmeister des Hospitals zu St. Jerusalem hießen, obgleich Jerusalem, wiewohl bloß wegen der gräulichen Sünden der Juden, sich noch jetzt in türkischen Händen befände, und daß er den erhabenen Namen Guardian der Armeen Jesu Christi führe, wenn nicht schon bekannt sey, ob, wo, und in wie weit nur eine einzige von diesen Armeen, die himmlischen Heerschaaren ausgenommen, ein Lager aufgeschlagen habe.
Die neue Ordensgeschichte hätte der Ritter gern für alte verkauft; er war dabei so kleinlaut, daß er bei den acht Zungen, Sprachen und Nationen, in die der Orden pfingstfestlich, wie der Ritter sich ausdrückte, vertheilt ist, seine Sprache verlor und das Collegium nicht endete, sondern brach, welches wohl vorzüglich auf die Rechnung des Gastes gehörte, die zehn Pastores völlig zu berichtigen nicht im Stande waren. Simonides sagte, er sey öfters [145] mit sich unzufrieden gewesen, wenn er geredet, aber nie, wenn er geschwiegen habe. – Ich, fügte der Ritter hinzu, umgekehrt.
Damit indeß alles seine Art hätte (wofür der Ritter sehr war), und unser Held in eine lebendige Sache geführt werden, und eine Experimentalgeschichte, wie der Ritter es hieß, pragmatisch und praktisch lernen möchte, so ließ er von dem Vater des Hofmeisters verschiedene sehr prächtige Kleider entwerfen, als da sind: ein rothes Oberkleid in Gestalt einer Dalmatica, welches die Ritter zur Zeit des Krieges (den Gott in Gnaden abwenden wolle!) über ihrem Kleide trugen. Dieser Ueberrock war vorn und hinten mit einem breiten Kreuze verziert. Nach der Kriegszeit (die Gott in Gnaden abwenden wolle!) war die Friedenszeit (die Gott in Gnaden zuwenden wolle!) zu sehen in Gestalt eines langen schwarzen Leichenmantels. Beide Stücke wurden so gelegt, daß sich auf der linken Seite das achtspitzige weiße Leinwandzeug zeigte. Das goldene Kreuz, welches die Ritter an einem schmalen schwarzen Bande auf der Brust trugen, lag nicht minder auf diesem castro doloris, und stach in der Abenddämmerung so trefflich ab, daß die Ritterin ihren Mannablöste, wie ein junger Adler sich über sich selbst schwang und, ohne daß an die Unsichtbaren gedacht ward (auf die Fingerlein sah sie nicht), voll kühner Phantasie und Diction sie also anredete: O ihr, die ihr neugierige (nicht aber wißbegierige) Weiber und ungetreue Männer flieht, und nur wohnt bei denen, die nicht sehen und doch glauben! Wenn es wahr ist, daß ihr in der Dämmerung gern ungesehen unter Menschen wandelt und bei aller eurer Behutsamkeit es doch nicht hindern könnt, daß ein heiliger Schauer uns eure Gegenwart verkündigt – hört und antwortet uns im heiligen Schauer, als der Sprache der Unsichtbaren! Haben diese Dämmerungsvorlesungen und diese ausgebreiteten Kleider, die, ob ich gleich den Schneider kenne, der sie gemacht hat, weil er der Vater unseres [146] Hofmeisters ist, nicht etwas Seelenerhebendes in sich? – Von Fingerlein kann ich mir keinen Begriff machen, wohl aber von guten Geistern, die Gott den Herrn loben, und Kinder und Pilgrime geleiten, bis wir zur Stadt Gottes kommen, wo wir, mit weißen Kleidern angethan, für Ritterpflicht Ritterlohn empfahen werden – Amen! – Nach Eldorado, sagte der Ritter – Nach Eldorado, das unter der Erde ist.
Konnten euch, fuhr sie fort, o ihr Unsichtbaren! diese Kleider und unsere Dämmerungsvorlesuugen nicht rühren, ob sie gleich mir fast das Herz abstießen – o! so rühre euch meine Rührung! Wüßtet ihr, wie gern ich einen von euch, fromme und selige Schatten, sehen möchte, wie sehr ich euch liebe und ehre (verzeiht mir diese Ausdrücke, weil ich nicht anders als menschlich zu reden verstehe), ihr würdet, da ich gern auf Gegenehre Verzicht thue, mir Liebe schenken. Neigung ist der Gegenneigung werth. – Mein Herz verdammt mich nicht. Engel! Geister! Selige! oder wie ihr sonst heißt, Schatten mag ich euch nicht nennen, und glaubt (wenn zu diesen Erdenworten euch nicht aller Begriff fehlt), glaubt, eure Erscheinungen werden mich nicht schrecken. – Mögen die zittern, deren Gewissen nicht bestehet in der Wahrheit. – Ist es möglich, so wünschte ich einen jener trefflichen Ritter der Vorwelt, versteht sich in Begleitung seiner Ritterin, zu sehen; und ist diese Bitte zu groß, so laßt mir meine Mutter, meinen Vater oder das Freitisch-Fräulein erscheinen, damit ich über so manche Erden-Hieroglyphen Licht erhalte – und vom Ende vom Liede, vom Ziel meiner Erdenpilgerschaft, vom himmlischen Jerusalem. – Bin ich zu kühn in meinen Wünschen? Begehr' ich eine Gotterscheinung? Schon eine Erscheinung meiner Lieben wird mich befriedigen, meiner Lieben – die ich, als sie hier wallten, verstand, ehe sie sprachen, deren Gedanken ich von fern kannte, und deren Innerstes ich errieth. Nur Gedanken möcht' ich mit ihnen wechseln, [147] nicht Worte – nicht Blicke –; nur Gedanken! – Dann wäre das heilige Grab, das in der Vorzeit so viele treffliche Menschen zu Licht und Leben brachte, das uns in diesen Dämmerungen begeisterte, eine Pforte des Himmels geworden, uns und allen, deren Licht der Hoffnung im Grabe nicht erlischt; dann wäre mir die Pilgerschaft dieses Lebens erleichtert. Halleluja!
Kind, unterbrach der Ritter seine Gemahlin, ich kann zu deinem Halleluja kein Amen sprechen! Laß ab von deinen Bitten, wodurch man nur niedere Seelen fesselt! Ergebung ist der Ton der Menschen, auf den unser Geist gestimmt ist. Die Wollüste der Geister sind geheim, so wie die Wollust der Liebe, die vom Himmel strömt. Wahre Liebe ist ein unsichtbares Band, seiner noch als unsre Nerven, die Lautensaiten in uns, auf denen die Unsichtbaren zuweilen spielen, welche aber, wie Virtuosen, nicht immer dazu aufgelegt sind. – Wie anlockend! Oft schlugen sie auch hier, während meiner Vorlesung, einen Triller, machten eine Bebung, und dafür Dank! – Was du recht liebst, ist nicht das, was du siehest, sondern das, was du nicht siehest: das Bild, das du dir von dem Gegenstande deiner Liebe abziehst, und von welchem oft der Maler in seiner Begeisterung einen Zug erhascht und trifft, der dich so hinreißt, als sähest du deinen eigenen Geist, bald hätt' ich gesagt leibhaftig! Was soll die Einladung der Himmlischen? – so laß uns die Unsichtbaren nennen, die Verwandten des Geistes, der in uns ist, mit denen wir Gedanken unh Thaten (die hohe Sprache der Geister)wechseln, wenn wir gut sind. Wir sind Geist von einem Geist. – Gott spricht, das heißt: Gott schafft. – So oft wir uns zu den Vollendeten erheben, so oft lassen sie sich zu uns herab. – – Hier fiel schnell ein Blitz; ein heftiger Knall folgte, und plötzlich flog die Thüre auf. Man sprang auf. Grauen und Entsetzen überfiel alle (die Ritterin ausgenommen, deren Gewissen gewiß und [148] wahrhaftig bestand in der Wahrheit) und jedes hatte, ohne zu wissen wie und warum, die Hände gefaltet. – Die Dämmerung war zu Ende, man schlich sich ohne Amen, nach etwa dreimal neun Minuten sinnloser Betäubung, davon und hatte das Herz nicht, ein Wort über das, was so eben vor aller Augen vorgegangen war, zu wagen; ich glaube, man getraute sich nicht daran zu denken. – Unser Held entfaltete seine Hände zuerst, ging hin und machte die aufgesprungene Flügelthüre zu, aber so leise, daß, wenn wirklich etwas Ueber- oder Unterirdisches sie geöffnet hätte, dieses Etwas es nicht übel genommen haben würde.
»Wunderbar!« Freilich wunderbar! noch wunderbarer indeß, daß man der Ursache dieses Blitz-, Knall- und Thürvorfalls nicht im mindesten nachspürte, so daß er unerforscht blieb bis auf den heutigen Tag. – Warum sollte denn ein Geist mit Blitz und Knall erscheinen, und, wie regierende Herren, vor sich her Kanonen lösen lassen? Was kann einen Geist – dem es ein größerer Vorzug seyn würde, durch verschlossene Thüren einzudringen – bewegen, Thüren zu sprengen und seine Ankunft mit Geräusch zu bezeichnen, das man am wenigsten in der Geisterwelt, die sich leider! so still hält, vermuthen kann?
Vater und Mutter umarmten ihren Sohn herzlich, sobald sie aus der Dämmerung zum Licht gekommen waren; und er, edel unbefangen, so daß er diese Umarmung nicht deuten konnte – wird er bei denen von seinen und meinen Lesern gewinnen, die ihn wegen seiner vielen Nothtaufen von so verschiedener Art verkannten? Neunmal neun gegen Eins, viele seiner Verkenner hätten die Flügelthüren weit offen gelassen! weit!
Erst jetzt befragten Ritter und Ritterin sich unter einander wiewohl heimlich, und zum ersten- und letztenmal, was jedes gesehen hätte? Beide erwiederten sich, außer dem Blitz und der geöffneten Thür nichts gesehen, und außer dem Knall nichts gehört [149] zu haben; doch glaubte keines dem andern! Jedes bildete sich ein, dem andern sey mehr erschienen. – Brannten nicht unsere Herzen? fing der Ritter an. Waren nicht unsere Zungen feurig? erwiederte die Ritterin. Bloß in dergleichen Dingen haben die Menschen immer mehr Zutrauen zu andern, als zu sich; und der Hang, jedem Irrlichte von Orden, jedem: hier ist es, da ist es, dort ist es, nachzulaufen, entsteht aus diesem sonderbaren Mißtrauen in sich selbst, und dem größeren Zutrauen zu andern.
Wer von meinen Lesern sich überredete, der Blitz-und Knall- und Thürvorfall habe die Dämmerungen auf immer verscheucht, irrte sich. Schon den andern Tag ward der abgerissene Faden angeknüpft. Man schien, ohne vorher getroffene Verabredung, entschlossen, sich durch nichts weder zur Rechten noch zur Linken bringen zu lassen, und nach diesen Entschlüssen fing der Ritter keck an, wie folgt:
Der Blinde hat keinen Begriff von der Farbe, und – warum Zurückhaltung? – wir keinen von Entkörperten. – Auch haben sie uns nicht zu befehlen! Guten Tag, guten Weg! Sind sie nicht an ihre Pflichten, so wie wir an die unsrigen, gebunden? – Gott und das Gewissen, oder wir selbst, haben uns zu befehlen – sonst nichts, es sey, was es sey. – Wer wollte sich vor Unsichtbaren fürchten? wer? Er schwieg, und ein Schauder ergriff alle. – Warum er stockte, weiß ich nicht; wohl aber kann ich es verbürgen, daß er nicht glauben wollte, und doch glaubte. – Ich läugne nicht, fuhr der Ritter nach dieser stummen Scene fort, den Seelenanklang, die elektrischen Funken der Geister; was aber diese Phänomene sind – wer kann das ergründen? Wir wissen nicht, was wir seyn werden, und ich verlange es auch nicht zu wissen. – Kommt Zeit, kommt Rath, kommt Ewigkeit, kommt Rath. Ein Körper würde dort uns zu schwer seyn, und selten bleibt man ohne Hauptflüsse, wenn man bekörpert ist. Wird das Kleid der [150] abgeschiedenen Geister im Schattenreich, in der Breite und Länge von den Leibern unterschieden seyn, die wir diesseits als wahre Dalmatiken tragen?
Noch einmal! laßt uns nicht die Unsichtbaren fürchten; sie sind unsre Mitgeister. Doch lieben können wir sie. Liebe ist das Hauptwort der andern Welt, weil Glaube und Hoffnung sich dort im Genuß und Schauen verlieren werden. Laßt mich, Geliebte meiner Seele, noch mehr von dieser Liebe mit euch lallen!
Gewinnsucht ist das Wasser, welches das Feuer der Liebe bis zum letzten Funken auslöscht. Die eigentliche Liebe ist Seelenliebe; sobald Fleisch und Blut Theil daran nehmen, ist sie nicht mehr Liebe. Selbst in der heiligen Ehe, wo Fleisch und Blut sich ihre Stimme nicht nehmen lassen, muß der Geist wider das Fleisch gelüsten, wenn die Ehe seyn soll, wie die unsrige ist, die unsrige, liebe Sophie, wo wir in dem Sinne, den wir beide wissen, Fleisch und Blut kreuzigen sammt den unzeitigen Lüsten und Begierden. Verstärken nicht Abwesenheit und Enthaltsamkeit die Liebe? Aller Besitz schwächt das Vergnügen, der Besitz in der Liebe besonders; er ist ein Mordbrenner. Die Liebe muß Widerstand haben. – Wenn ich je Muth hatte mich zu balgen, so war es als ich dein Liebhaber war, ob sich gleich keine Gelegenheit zum Schlagen fand; wofür Gott gepriesen sey! Der Nachbar, der jetzt unser erwünschter Schuldner ist, konnte, wenn er gleich aus Amalfi gewesen wäre, sich Subordinations halber keine Ausforderung herausnehmen; und glaube mir, Leute, die so viel Geld besitzen, haben, bei meiner armen Seele! kein Herz. – Ohne Hinderniß ist keine Liebe. Seht da, worin die geistige Liebe die gemeine, die gemischte Liebe übertrifft! Unsre Schulmänner, von deren Art der Schneiderssohn auch sein Theil besitzt, behaupten: man könne Gott nicht lieben, weil die Liebe ein Opfer wolle, und weil er unsichtbar ist. O, der Naseweisheit! Will die Liebe denn sehen? ist sie nicht [151] blind? Und was das Opfer betrifft – bring' ich nicht Hekatomben Gott dem Herrn, wenn ich mich selbst überwinde? Ist es nicht, als lösten wir unser Wesen in reinster Liebe Gottes auf – wenn wir edel und groß handeln? – Fließen nicht in diesen seelerhebenden Lagen Thränen, weil uns verlangt, immer edel und groß zu seyn – und weil wir es nicht seyn können? Ist durchaus gegenseitiges Opfer bei der Liebe nöthig, so ist es eine Art von Opfer, daß Gott den menschenmöglichen Eifer, vollkommen zu werden, daß er den reinen Willen für reines Vollbringen ansieht. – Liebe gegen Gott und Gottes gegen uns ist von besonderer Art; und warum hier eine andere Sprache, als die uns so wohl thut und geläufig ist? – Ist sie kindlich; immerhin! – Können wir diesseits die Kinderschuhe ausziehen? – Es ist noch die Frage, ob wir sie in der nächsten andern Welt ausziehen werden; und doch – können wir es wagen zu behaupten, daß wir göttlichen Geschlechts sind, daß wir in ihm leben, weben und sind! Du rufst die Unsichtbaren an, edle Ritterin! Was für Heil aber können sie diesem Hause widerfahren lassen, das, Gottlob! schon genug gekreuzet und gesegnet ist? Können sie deinen Vater zum Edelmann und deinen Sohn zum Johanniterritter erheben? Vielleicht ist es gut, daß wir mit der andern Welt in keiner Verbindung stehen; vielleicht sind wir mit den Unsichtbaren verbunden, ohne daß wir es wissen. – Der Gast, der uns erschien – noch erscheinen uns nicht entkleidete Geister, sondern Geister mit Körper umgeben – war er nicht Geist? und wer kann es läugnen, daß er uns nicht Worte, sondern Gedanken zurückließ, die ich, so lange die Augen meines Geistes und meines Leibes offen sind, nicht vergessen werde, bis ich gen Eldorado komme, welches unter der Erde ist! – Hätte er weniger, wie der jüngste Tag, gerichtet die Lebendigen und die Todten, er würde mir lieber seyn; erhabener kann er mir nicht werden. Wir wollen sein [152] gedenken, ob er uns gleich manche Dämmerung durch sein Licht verdorben hat. Denke sein, Jüngling, den er so fest an sein Herz drückte, als er segnend von hinnen schied! Denke sein, Weib und Mutter, und laß ab von deinen Bitten an die Himmlischen – die so dringend waren, daß man inbrünstiger nicht beten kann, als du die Geister citirtest! Doch bist du nicht die Erste, welche das heilige Grab der Welt und allem, was darin ist, entriß! Laß uns, edle Ritterin, zufrieden seyn mit dem, was da ist, mit dem, was uns Gott gab, und mit dem, was er uns entzog. Diese Ordenskleider sind nicht für unsern Sohn; doch wird auch er nicht im Bloßen bleiben, sondern seinem ihm beschiedenen Theile nicht entgehen. Kleider erwärmen uns, sagte der Gast, nur in so weit unser Körper ihnen Wärme ertheilt, ob sie gleich die Windbeutelei haben, diese Wärme für ihr Eigenthum auszugeben. – Der Leib ist das Kleid der Seele. Es gibt ein Ziel, das jeder erreichen kann; das Ziel der Vernunft und der Menschheit. – Sohn! ringe, da du das Johanniterkreuz zu erhalten nicht im Stande bist, daß du doch diesen olympischen Kranz erreichest, wozu Gottes heiliger Geist dir seine Gnade, seine Kraft und seinen Beistand verleihen wolle! Vergiß nicht die weisen Lehren des Gastvetters, die, das Bittere abgerechnet, vorzüglich dir nützlich und selig werden können. Mancher, sagte der Vetter, hängt einen Kranz aus, weil sein Wein schlecht ist. Der dürftigste Gastwirth nimmt sich die Freiheit, Heinrich IV. als Schild auszuhängen, und das feierlichste Gesicht verbirgt einen Alltagskram von Kinderspiel und Puppenwerk. Der Virtuose putzt sein Instrument nicht; der Gelehrte läßt seine Lieblingsbücher broschiren, und nur der Ehemann das Portrait der Frau Gemahlin in einen goldenen Rahmen fassen: der Liebhaber nicht also, um das Bildniß seiner Geliebten überall mitnehmen zu können. – Das deinige, liebe Sophie, ist ungefaßt. – Ich schließe mit Worten aus dem Schatzkästlein des [153] Gastvetters: die Vernunft ist unser Schutzgeist. Befrage sie, und denke ans Ende, so wirst du nimmermehr Uebles thun! –
Das ganze Auditorium schwieg; und wenn es überhaupt Geister gibt, und wenn von ihnen wirklich einige gegenwärtig gewesen und diese Unsichtbaren anders gute Engel sind, so müssen ihnen die hellen Thränen in den Augen dieses Kleeblatts, wovon immer eine nach der andern den Augen entzitterte, gefallen haben.
Was ist – fing der Ritter nach einer Weile an – was ist unsere Pflicht in jeder Dämmerung, und besonders heute in dieser Dämmerung, da wir unsere Vorlesungen schließen? Zu denken an die Dämmerung aller Dämmerungen: zu denken, daß unser Leben ein Ziel hat und wir davon müssen. Wenn wir unsterblich wären; wenn unser Sohn nie zum Besitze dieses Schlosses und seiner Kreuze kommen könnte; wenn meine Hauptflüsse, derentwegen ich die Mütze trage, nie ein Ende gewönnen, ach! dann würd' ich deiner Geistercitation beitreten; jetzt aber, da wir nach diesem Leben noch seyn, und, wie wir nach der Liebe hoffen, die Ehre haben werden, vielleicht nicht mit größern, aber bessern Wesen, als die Menschen sind und jemals seyn können, Bekanntschaft zu machen und uns ihnen anzuschließen – jetzt – ein großes Jetzt! – laßt uns bei der Todtenfarbe dieser Ordenskleider uns freuen, daß Tage unsrer warten, wo Kopfflüsse und aller Jammer und alles Elend aufhören! Der Tod – wer kann es läugnen? – ist ein Türke, der sich überwinden läßt; allein dieses Leben, wenn es ewig wäre, würde uns mehr zu stehen kommen, als wir haben und auftreiben können. Warum wollen wir so lange am Ufer weilen und uns besinnen? – Frisch gewagt ist halb gewonnen! – Hinüber! – Es ist ein Gott – und es ist sein Funke in uns. Getrost! – Wer ein reines Gewissen hat – was darf der fürchten? Laßt uns nicht vergessen, daß der, welcher uns diesseits so viel Gutes zuwandte, uns jenseits nicht aufgeben wird! – Tugend [154] bedroht Wind und Meer, und es wird stille! Gewonnen! Der Gast sagte: Nicht die Liebe zum Leben, sondern die Furcht vor dem Tode, macht, daß man sich an das Leben hängt. Vielleicht könnte man es dahin bringen, daß man das Leben fürchtete und den Tod liebte. – Warum so weit? Laßt uns das Leben lieben und auch den Tod! Laßt uns den Tod fürchten und auch das Leben! Diese Lehre hat unsPastor loci, der zwar kein Gastvetter ist, doch aber gar wohl auf Secunda zu sitzen verdient, in einer Homilie ans Herz gelegt! – Der Mensch ist einmal an Tag und Nacht gewöhnt, und so wechselt es bei ihm wunderlich. Seine beste Tageszeit ist die Dämmerung, wo die Furcht mit der Liebe, und die Liebe mit der Furcht in Streit ist. – Wie der Baum fällt, so bleibt er liegen. – Eine Eiche bleibt, auch wenn sie hingerichtet ist, eine Eiche, und eine Ceder eine Ceder. Stände, das hoff' ich, werden auch in der andern Welt seyn. Es gibt deren unter guten und unter bösen Engeln; und der Gast sage, was er wolle – wer im irdischen Jerusalem als Edelmann treu befunden wurde, wird auch als Edelmann eingehen im himmlischen Jerusalem gen Eldorado, wo Gerechtigkeit wohnet. – Wer Weizen säet, erntet Weizen. Roggensaat und Hafersaat tragen homogene Früchte. – Eine andere Klarheit hat die Sonne, eine andere der Mond, eine andere die Sterne. – Ein Kreuz ist des Sterns Fundament, und ohne Kreuz und Leiden – was wird groß und was kann groß werden? Was kann in der Natur ohne Kreuz bestehen? was in der Kunst? Der Mensch und seine Wohnung ist kreuzweise. – Necket eure Hände aus einander, und ihr seyd ein Kreuz. – Wer es hört, der merke darauf! – Ich freue mich, meine. Lieben, daß ich diese Vorlesungen mit dem Gedanken schließen kann, euch ein Licht in mancher Dämmerung angezündet zu haben. Auch habt ihr wohl gefunden, daß ich unvermerkt hier und da den edlen Gast freundvetterlich zu widerlegen gesucht! – Seine Grundsätze [155] von Selbstadel verdienen vor allen eine Prüfung. – Gar zu scharf macht schartig. – Gott ist von Natur gut, Menschen müssen es durch Erziehung werden; – und leisten da nicht Geburt und Ahnen herrliche Dienste? Eben darum in allen deutschen Titeln (bis auf die fürstlichen, denen ich auch das Wort zu reden nicht gesonnen bin) das Wort geboren. Originale sind schön, sagt man, und selbst wenn sie zu weit gehen; ihre Fehler sind besser, als die Schönheiten mittelmäßiger Menschen. – Mit oder ohne Erlaubniß des Herrn Vetters, ich nicht also! Die Ehre ist in die Originale verliebt, nicht Originale in die Ehre. – Ist denn da der Unterschied so groß? – Ich sollte denken. Muß man denn entweder der Ehre nachlaufen oder von ihr gesucht werden? Warum immer Extreme, lieber Gastvetter?
Nach dieser Rede, welche der Ritter unvorbereitet hielt, so daß das Feuer in seiner ersten Kraft wirkte, und nach verschiedenen Postscripten von Vorträgen, welche er noch auf seinem Herzen und Gewissen hatte, brach die Ritterin in Begeisterung aus, und redete wie folgt: Mein theuerster Gemahl! Es gereicht dir zu keinem Vorwurf, daß du nicht am heiligen Grabe und in Jerusalem gewesen bist. Du hast uns durch die Macht deiner Zunge und den Nachdruck deines Geistes bis ins Allerheiligste gebracht, wo nur dem Hohenpriester im alten Bunde die Erlaubniß des Einganges nachgelassen war. Du hast frei herausgeredet, und nicht wie die alten Orakel und manche verfehlte Witzköpfe, die sich mit Zweideutigkeiten abgaben und noch abgeben. – Da die heiligen Oerter nicht auf dem Wege nach Sonnenburg liegen, so würde ein Umweg dieser Art zu einer Zeit, wo das strenge Wechselrecht dich unbarmherzig verfolgte und gar sehr erbittert gegen dich war, einer der unheiligsten Gedanken gewesen seyn, der dich hätte anwandeln können; und auch jetzt, da sich das Blatt jenes strengen Wechselrechtes gewendet hat, legen sich dieser Reise die wichtigsten Bedenklichkeiten [156] wegen deiner Mütze, deren du nicht ohne die betrübtesten Folgen entbehren kannst, in den Weg. Ohne wirkliches Wunder, welches im neuen Bunde nicht zu erwarten ist, bleibst du bei uns und bei deiner Mütze, die dir gewiß nicht schlechter steht, als irgend einem Bischofe, dem sein Theil unter den Gläubigen oder Ungläubigen beschieden ist. Der Hildebrandismus hat unsere Bischöfe und Aebte mit Inful und Stab verherrlicht; deine Mütze hat die Natur dir aufgesetzt. – Auch bin ich mit deiner Resignation, nichts in originali sehen zu wollen, um so zufriedener, da dein Sohn Erziehungs-Instruktionen braucht, wovon du schon so manches Meisterstück geliefert hast. Ueber das sechste Gebot bist du hinaus, lieber Gemahl; und ich müßte deine Umstände weniger kennen, wenn ich nicht dieserhalb eben so sicher, wie im Schooße Abrahams, seyn wollte. Wie wär' es indeß, wenn wir jene heiligen Oerter in effigie darstellten? Denn wenn auch nicht die vornehmsten regierenden Herren unsere Gevattern wären, so fänd' ich doch bei dieser ganzen unschuldigen Sache keine Bedenklichkeit von Gottes- und von Staatswegen. Das Geld bleibt nicht nur im Lande, sondern wenn Fremde aus fernen Staaten nach diesen Heiligthümern wallfahrten, muß die Geldmasse im Lande sichtbarlich steigen. – Reizt die Wahrheit wohl, wenn sie nicht mit etwas Ceremoniell, mit Kunstwörterkram, oft selbst mit Wahn, ausgeziert ist? Hypothesen spielen in der Philosophie eine nicht kleine Figur; und eröffnet die Phantasie, wenn sie am Tage kein Privilegium von uns erhält, nicht in Träumen ihr privilegirtes Theater? Warum sollten wir uns dieses Geschenks der Natur schämen, wenn nur beim Feuer der Phantasie unser Urtheil kalt bleibt? Hätte man mehr als Ein Grab Christi gehabt – würde wohl die werthe Christenheit den unwerthen Türken deßfalls zinsbar geworden seyn? Hat man denn nicht der heiligen Reliquien sehr viele doppelt, drei- und vierfach? und ist es nicht gleich, wenn nur das Andenken[157] von ihnen dadurch befördert wird? Bewahrt man nicht Christi Thränen, und, wenn ich nicht irre, irgendwo einen seiner Seufzer auf? Würde man von den Ueberbleibseln des Kreuzes Christi, die man weit und breit zeigt, nicht einen ziemlichen Palast erbauen können? – Die Wallfahrten zu unsern heiligen Orten werden so gefahrlos seyn, daß ohne unsere Erlaubniß kein Türke es wagen wird, sich hier anders als wie ein Gast einzufinden; und dann sey er uns willkommen. Der Kosmopolit, der fern von niedrigem Egoismus das Wohl seiner Nation beherzigt, verdient Liebe; allein, wer das Weltwohl umfaßt, Verehrung. – An die Erbauung mag ich nicht denken, die hier ein jeder, wenn er Erbauung sucht und dazu empfänglich ist, gar reichlich finden wird. Die guten Werke müssen dem Glauben vorausgehen; nach meinem gläubigen Dafürhalten ist er eigentlich nur da, das Fehlende zu ersetzen. Ach lieber Gemahl! warum sollten wir uns selbst vermessen, besser zu seyn, als wir sind? Der Mensch, man sage was man will, hat eine überwiegende Neigung zum Bösen. Gott weiß, wie er dazu kommt! – – Wär' ich eine eben so große Freundin von der Erbsünde, wie du, Geliebter, ein Freund von dem Erbadel bist, ich würde in die Anfechtung fallen, sie in mein Credo zu nehmen. Und Gott! welch ein Ziel, zu dem wir verpflichtet sind! Ein Ziel, das wahrlich so leicht nicht zu erringen ist! – Wer hat es bis zur Heiligkeit gebracht? außer in seinem Titel, nach welchem dir, mein Gemahl, zum Beispiel, ein zwiefaches Heilig gebührt. Das Ziel der strengsten Gewissenhaftigkeit ist unsere unablässige Pflicht; und wird dieß Kleinod ohne den frischen stärkenden Hauch der edlen Empfindungen zu erreichen seyn? Ist es nicht eine Schande, das Ziel zu kennen, Kraft zu haben, und doch nicht an Ort und Stelle zu kommen? – Hätte der Gastvetter nur die ersten Spuren zu diesen heiligen Oertern entdeckt – würd' er wohl so. kopfschen gewesen seyn? Was sah er jetzt? Schwert, Speer [158] und Lanze und eine Kreuz-Sammlung, die nicht zu verachten war, gegen die heiligen Oerter aber wie gar nichts ist. – Zwar sind die selig, die nicht sehen und doch glauben; indeß geht sehen vor sagen. Und siehe da! Geliebter meiner Seele! Wir werden Verdienste besitzen, ohne die Eifersucht aufzuregen, und unschuldiges Vergnügen genießen, ohne Feindschaft zu bewirken. – Können Dichter die tiefste Einsamkeit beleben, und (nach der Versicherung eines von ihnen) Zungen in Bäumen, Bücher in Bächen, Predigten in Steinen finden: wie weit herrlicher wird unser Plan ausfallen, wenn wir bei der edelsten Muße, die uns Gott und der Emsige machte, und die uns erlaubt, wir selbst zu seyn, die Seelen der Vorzeit einladen werden, in diesen elysischen Feldern umher zu wandeln! – Ruhm und Ehre in der großen, weiten und breiten Welt, und auf derselben Kreuz- und Querzüge, sind den Kapitalien gleich, die, so wie die Mitgaben geiziger Schwiegerväter, nicht eher als nach ihrem Ableben bezahlt werden. Mein Vater, der Emsige, nicht also! – Was hilft der Nachruhm? Ich bin für den Vorruhm, den ich noch im Leben genieße, und der, ob er gleich ein geistiger Genuß ist, dennoch die Güte hat, auf meinen Credit und meinen Magen Einfluß zu behaupten. Wohl uns, lieber Gemahl, daß wir hier Vorruhm ernten können die Hülle und Fülle, ohne daß wir fürchten dürfen, an Stelle und Ort lächerlich zu werden! Hier wird kein Schauspieler, keine Schauspielerin unser Gesicht, unser Auge, unsern Gang, oder den Schnitt des Kleides oder deiner Mütze leihen, um uns, wie den Sokrates in den Wolken, lächerlich zu machen.
Weib, fiel der Ritter ein, von Stunde an sollst du nie schweigen in der Gemeine! Und hinge es von mir ab, du solltest 16 und 32 Ahnen haben, weil du sie mehr als zehn andere verdienst, die damit ausgestattet sind. Längst war dieser Anbau der geheimste Gedanke meiner Seele; doch wußte ich nicht, ob er bei [159] dir auf ein erwünschtes Land fallen, und, wie es am Tage ist, tausendfältige Früchte bringen würde. Wie viele Jahre haben wir ungenutzt dahin sterben lassen, und wie viel weiter würden wir seyn, wenn wir früher an gefangen hätten! Was sind die dürftigen Ueberbleibsel der Johanniterordens-Ritterschaft gegen einen solchen Anbau? Was jener Detailverkehr gegen diesen Handel en gros? Die Aerzte leiten Flüsse, die sie nicht vertreiben können, an minder gefährliche Orte ab; – warum soll ich über den meinigen einen Stab brechen, da er mich nicht mit heroischen Mitteln, sondern durch eine Mütze im Geleise erhält? Ich werde in kurzem alles, was noch anziehende Reize für mich hatte und was mich meiner Gemächlichkeit untreu machen könnte, aus meinem Fenster sehen, ohne meine Mütze anders abzunehmen, als aus Ehrfurcht vor Heiligthümern, deren Schöpfer wir waren. Wenn andere an die Mühseligkeiten dieses Lebens denken, oder an ihren unsterblichen Ruhm, wie Epikur, oder an die Rache, die unsere tapfern Brüder an ihren Feinden nahmen, um durch diese Nebenwege den Bitterkeiten des Todes auf den Hauptwegen auszuweichen, so wird unser neues Jerusalem die Todesfurcht schwächen, und der inwendige Mensch, der sich an diesen heiligen Oertern weidet, den auswendigen so betäuben, daß dieser sich über sich selbst erheben wird, um nicht den bekannten Vorwurf zu verdienen, der die meisten Sterbenden mit Recht trifft, daß sie sich wie Kinder geberden, die man mit Gewalt zu Bett bringen muß. Es ist leichter, seine Leidenschaft zu ändern, als sie zu bezwingen. – Hat die Philosophie eine andere Absicht, als uns von der Hauptsache ab, und auf Nebenumstände zu leiten? – Xenophon war im Opfer begriffen, als man ihm sagte: dein Sohn ist geblieben. Er nahm seinen Kranz ab, doch nur auf einen Augenblick. Der Gedanke, daß der Tod seines Sohnes eine Pflicht, ein Heldentod gewesen sey, beruhigte ihn; er setzte seinen Kranz wieder auf, und räucherte weiter. Was dem [160] Xenophon der Kranz war, das wird mir diese Mütze seyn; mit dem Unterschiede, daß unser ABC-Sohn sich durchaus nicht der Gefahr aussetzen soll, in einem Treffen zu bleiben.
Die Ritterin war entzückt über die Wonne, die ihr Vorschlag ihrem Gemahl im Leben und Sterben vorbereitet und über die Aufstrebung seines Geistes, die sie besonders seit seinen Kopfflüssen selten oder gar nicht an ihm bemerkt hatte; sie benutzte seine Ekstase und bat für den Schneiderssohn, dem sie weiland einen Stich beigebracht, um Kraut und Pflaster auf diese Wunde zu legen. »Was jener Kritikus dem Jupiter zurief: Du bist böse, also mußt du unrecht haben! das hab' ich mir schon oft im Stillen ins Ohr gesagt. – Ein guter Schwimmer, wenn er auch untertaucht, kommt doch wieder hervor. – Den Armen wird das Evangelium gepredigt! – Beim Bau der herrlichen Stadt Jerusalem sind nicht bloß Meister, sondern auch Gesellen nöthig, und es trügt mich alles oder der Schneiderssohn ruft sich mehr als ehemals zu: wer da steht, mag wohl zusehen, daß er nicht falle. Wir weinen da bitterlich, wo uncultivirte Menschen auch nicht die kleinste Gelegenheit zur Betrübniß finden; wo jene vor Lachen sich auszuschütten scheinen, finden wir keinen Anlaß zum Lächeln. Man muß die Wurzeln, die in jedem Menschen liegen, aufsuchen. Das was über der Erde ist – ist es wohl im Ganzen der Rede und des Gaumens werth?«
Ja!! war das Resultat, und der Junker, der die Thür leise zumachte, als Noth am Mann war, sollte der Herold dieses Avancements seyn, welches im ganzen Hofe viel Aufsehens und Glückwünschens gab. – Wenn unsere Wünsche erhört werden, dünkt es uns, als hätten wir ganz etwas anderes gewünscht; wir kennen das Ding in der Wirklichkeit nicht wieder, das wir in unserer Idee entwarfen; unser Weib ist ein ganz anderes Wesen als unsere Braut. – Der Hofmeister war, vielleicht aus Heimtücke, weil er [161] an den Dämmerungen keinen Theil hatte, bei diesem Avancement sehr kalt. Er äußerte sogar über diesen Jerusalemsanbau den Nähnadeleinfall, daß der Ritter es hier nicht viel besser mache als Mahomet, der, nachdem er vergebens den Berg citirt hatte, sich kurz und gut besann, zum Berge zu gehen, weil dieser, nach Art der Berge, so grob gewesen und es rund abgeschlagen, zum Mahomet zu kommen. Die Erfahrung indeß hatte unsern Einfällisten gelehrt, daß man zuvor zuschneiden muß, ehe die Nadel anzuwenden ist; so wußte er denn seine Bitterkeit zu kreuzigen sammt ihren Lüsten und Begierden, und die Großmuth zu verehren, welche er der Ritterin zu verdanken hatte. – Man wollte den Bau nicht übereilen oder wie der Ritter es uneigentlich nannte, sich mit dem Bau nicht in die Flucht schlagen. Kommt Zeit, kommt Rath, hieß es. – Die Frage, ob der erste oder der zweite Tempel zum Muster dienen sollte, ward unentschieden reponirt. Sowie indeß der Salomonische Tempelbau in aller Stille unternommen ward, so sollte es auch bei dem Rosenthal'schen gehalten werden, ohne daß der Herr Vetter, ehe es Zeit wäre, einen Hammerschlag hörte. Unser Held, der durch das Grab Christi und die Pilger über den Verlust, den er an den Freimaurern gemacht, fürs erste beruhigt und durch so viele schöne Schlußreden äußerst bewegt schien, war voll heiligen Posaunentons und voll Jubelsprünge über so viele Jerusalemsanstalten. Er hatte beim Schlusse der Dämmerungen mit Ja und Amen verheißen, da er nach dem Laufe der Natur länger als seine Eltern zu leben erwarten könne, bei dieser Dämmerungsstätte ihr Andenken heilig seyn zu lassen. – An dem Tage, da der Aufbau eines neuen Jerusalems, mit Zuziehung des Predigers und des Hofmeisters, collegialisch beschlossen ward, gab die Ritterin ein Mahl, das man ein Denk- und Merkmahl nennen konnte. Man kam aus einer finstern Kammer – in die der Mond selbst nur ein bescheidenes Licht zu werfen sich unterstand, als wenn er, [162] der Waffenträger der Sonne, nur verstohlen hineinzusehen sich erlauben könnte – in einen herrlich erleuchteten Saal. Licht und Klarheit herrschten hier; und da eine gewisse innige Zurückhaltung sehr zur Feierlichkeit hilft, so ward dieses Ehrenmahl mit einem Anstande gegeben, daß es dem Pfarrer selbst dünkte, als sey es für diesen Tag zu groß und zu köstlich, und als würde die Einweihung Jerusalems nicht herrlicher ausfallen können. Als man aus der Dunkelheit in das Licht kam, rief der Pastor entzückt aus: so war es, als Aether aus der ewigen Natur heraus geschlagen ward! – Gerufen, sagte der Ritter, und der Pastor räusperte sich. Nicht die äußere Pracht, sondern die Wirkung, die dergleichen Feste auf Acteurs und Zuschauer machen, entscheidet. Alles war festlich geworden, so daß man sich kaum unter einander kannte. Die vertrautesten Brüder hätten Anstand genommen sich zu dutzen. Baron und Baronin, Junker, Pastor und Hofmeister waren einander so fremd, als ob ein Ungefähr sie zusammengebracht hätte. Die herrlichen Kleider, welche durch die Hände des Hof- und Ordensschneiders gegangen waren, fanden als allerliebste Masken allgemeinen Beifall, und es ward beschlossen, daß auch der großmeisterliche Anzug, der Schnabelmantel (Manteau à bec), welcher den Rittern bei Ablegung der Gelübde gegeben ward, die Kleidung der Rittergroßkreuze, wenn sie zur Kirche und wenn sie zu Rathe gehen, von eben der Meisterhand dargestellt werden sollten. Der Schneidervater hatte mit vieler Schlauigkeit von seinem Sohne ein Wort aus der Heraldik aufgefangen, und da er bei Gelegenheit dieser Kleidungsstücke groß that, sich brüstete und seinen Mitmeistern gar deutlich zu verstehen gab, daß sie Idioten wären, nächstdem zufolge so mancher von dem Ritter aufgefangener Winke sich bemühte, aus dem Schnabelmantel wie aus dem Hechtskopfe das Leiden Christi zu erklären, so erhielt er von einigen stichreichen jungen Meistern, die er in der ersten Hitze Grünschnäbel zu nennen [163] kein Bedenken trug, den Beinamen: Heraldikus, ohne daß ihm jemand von allen gewanderten Jung- und Altmeistern die Ehre streitig machen konnte, den ersten Schnabelmantel bei Menschengedenken gefertigt zu haben. Der Schneidervater, voll unbändigen Stolzes, kränkte sich über den unverdienten SpottnamenHeraldikus zusehends und zwar so, daß sein Sohn, der hierzu Gelegenheit (freilich die unschuldigste von der Welt) gegeben, diesen Schaden Josephs nicht nur kindlich zu Herzen nahm, sondern ihn auch zu heilen bemüht war. – Umsonst! unsern welkenden Hypochondriakus konnte nichts erfrischen. Der Spottname Heraldikus war wirklich der Hauptnagel zu seinem Sarge, in welches der Schnabelmantel-Märtyrer, nachdem er den Schwanengesang als Ordensschneider gar lieblich gesungen hatte, bald nach diesen Tagen einging. Hatte Nicolaus Copernikus mit seinem neuen Weltsystem ein besseres Schicksal? – Die gottlosen Schneiderjungen konnten nicht umhin, noch auf den bescheidenen Stein, welchen der Schneidervater sich auf sein Grab legen ließ, Heraldikus, wiewohl bloß mit Kreide zu schreiben! Der Sohn, welcher den Vater liebte, war nicht so unverschämt, sich seines Vaters zu schämen; indeß freute er sich doch im Herzen, als er starb. Er glaubte sein Ansehen auf Secunda desto fester zu gründen und es je länger je mehr dem Flusse der Vergessenheit näher zu bringen, daß er Schneiderssohn sey. Da