30. Die Fürstentafel
Eine Böhmische Geschichte

S. Hagecks Böhmische Chronik, bald am Anfange.


Wer ist Jene, die auf grüner Haide
Sitzt in Mitte von zwölf edeln Herren?
Ist Libussa, ist des weisen Kroko
Weise Tochter, Böhmenlandes Fürstin,
Sitzet zu Gericht und sinnt und richtet.
Aber itzo spricht sie scharfes Urtheil
Rotzan, einem Reichen. Und der Reiche
Fähret auf im Grimme, schläget dreimal
Mit dem Speer den Boden und ruft also:
»Weh uns, Böhmen, weh uns, tapfre Männer!
Die ein Weib verjochet und betrüget,
Weib mit langem Haar und kurzen Sinnen –
Lieber sterben als dem Weibe dienen.«
Und Libussa hörts und ob es freilich
Tief sie kränkt in ihrem stillen Busen,
Denn des Landes Mutter, aller Guten
Und Gerechten Freundin war sie immer;
Dennoch lächelt sie und redet gütig:
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»Weh denn euch, ihr Böhmen, tapfre Männer,
Daß ein lindes Weib euch liebt und richtet;
Sollet einen Mann zum Fürsten haben,
Einen Geyer statt der frommen Taube.«
Und stand auf voll schönen stillen Zornes,
»Morgen ist der Tag, wenn ich euch rufe,
Sollt ihr haben, was ihr wünschet.«
Alle
Blieben stumm und tiefbeschämet stehen,
Fühlten alle, wie sie übel lohnten
Ihrer Treu' und Mutterlieb' und Weisheit;
Doch gesprochen wars und alle lüstern
Auf den Morgen, auf den Mann und Fürsten,
Gehn mit hellen Haufen auseinander.
Lange hatten viele reiche Herren
Nach Libussens Hand und Thron getrachtet,
Sie gelockt mit Schmuck und Schmeicheleien,
Reichem Gut und Heerden. Doch Libussa
Wollte nie sich Hand und Thron verkaufen.
Wen nun wird sie wählen? Alle Edlen
Schlafen unruhvoll und hoffen Morgen.
Morgen kommt. Die Seherin Libussa
Ist noch ohne Schlaf und ohne Schlummer,
Ist auf ihrem hohen heilgen Berge,
Fragt die Göttin Klimba, bis die Göttin
Endlich spricht und öfnet Reiches Zukunft:
»Auf! wohlauf Libussa, steige nieder,
Hinterm Berge dort, an Bila's Ufer
Soll dein weisses Roß den Fürsten finden,
Der Gemahl dir sey und Stammes Vater,
Fährt da emsig mit zwei weissen Stieren,
In der Hand die Ruthe seines Stammes
Und hält Tafel da auf eiserm Tische.
Eile, Tochter, Schicksalsstunde eilet.«
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Schwieg die Göttin und Libussa eilet,
Sammlet ihre Böhmen, legt die Krone
Nieder auf die Erde und spricht also:
»Auf! wohlauf ihr Böhmen, tapfre Männer,
Hinterm Berge dort, an Bila's Ufer
Soll mein weisses Roß den Fürsten finden,
Der Gemahl mir sey und Stammes Vater,
Fährt da emsig mit zwei weissen Stieren,
In der Hand die Ruthe seines Stammes,
Und hält Tafel da auf eiserm Tische.
Eilet, Kinder, Schicksalsstunde eilet.«
Und sie eilten, nahmen Kron' und Mantel
Und das Roß vor ihnen, wie der Wind schnell,
Und ein weisser Adler über ihnen –
Bis an Bila's Ufern überm Berge
Stand das Roß und wiehert einem Manne,
Der den Acker pflüget. Tiefverwundert
Stehen sie. Er schreitet in Gedanken,
Pflüget emsig mit zwei weissen Stieren,
In der Rechten eine dürre Ruthe.
Und sie boten laut ihm guten Morgen.
Stärker treibt er seine weisse Stiere,
Höret nicht. »Sey uns gegrüsset, Fremder,
Du der Götter Liebling, unser König!«
Treten zu ihm, legen ihm den Mantel
Um die Schulter und die Königskrone
Auf sein Haupt. »O hättet ihr mich immer
Pflügend meinen Acker lassen enden!
Spricht er, eurem Reiche sollts nicht schaden –
Doch es ist des schnellen Schicksals Stunde.«
Und steckt ein die Ruthe in die Erde,
Band die weissen Stiere los vom Pfluge:
»Geht, woher ihr kamet!« Plötzlich hoben
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Sich die weissen Stiere in die Luft hin,
Gingen ein zu jenem nahen Berge,
Der sich schloß und aus ihm sprang ein faules
Wasser, das noch jetzo springet. Plötzlich
Grünete die Ruthe aus dem Boden,
Spriesset oben in drei Zweige. Staunend
Sehn sie Alles. Und Przemysl, der Denker,
(Also war sein Name) kehrt den Pflug um,
Langet Käs' und Brod aus seiner Tasche,
Heißt sie niedersitzen auf die Erde,
Legt die Mahlzeit auf den Pflug mit Eisen,
»Haltet denn mit eurem Fürsten Tafel.«
Und sie staunen ob des Schicksalspruches
Wahrheit, sehn den Eisentisch vor ihnen
Und die Ruthe grünen. Und o Wunder,
Schnell vertrocknen zwei der dreien Zweigen
Und der dritte blühet. Endlich können
Sie nicht schweigen, und der Pflüger redet:
»Staunet nicht, ihr Freunde, diese Blüthe
Ist mein Königsstamm. Es werden viele
Wollen herrschen und verdorren. Einer
Wird nur König seyn und blühen.«
»Aber
Herr, wozu der sondre Tisch von Eisen?«
»Und ihr wisset nicht, auf welchem Tische
Stets ein König isset. Eisen ist er,
Ihr die Stiere, die sein Brod ihm pflügen.«
»Aber Herr, ihr pflügetet so emsig,
Zürnetet, den Acker nicht zu enden?«
»O hätt' ich ihn enden können, hätte
Euch Libussa später mir gesendet;
Niemals würde dann, so spricht das Schicksal,
Eurem Reiche süsse Frucht ermangeln.
In den Bergen sind nun meine Stiere.«
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Damit stand er auf und stieg aufs schöne
Weisse Roß, das scharrt und triumphiret.
Seine Schuhe waren Lindenrinde
Und mit Bast von seiner Hand genähet.
Und sie legen an ihm Fürstenschuhe.
»Lasset, ruft der Fürst vom weissen Rosse,
Laßt mir meine Schuh von Lindenrinde,
Und mit Bast von meiner Hand genähet,
Daß es meine Söhn' und Enkel sehen,
Wie ihr Königsvater einst gegangen!«
Küßt die Schuh und barg sie in den Busen.
Und sie reiten und er spricht so gütig
Und so weise, daß in seinem langen
Kleide sie fast einen Gott erblickten.
Und sie kamen zu Libussens Hofe,
Die ihn froh empfieng mit ihren Jungfraun,
Und das Volk, es rief ihn aus zum Fürsten,
Und Libussa wählt ihn sich zum Gatten,
Und regierten gut und froh und lange,
Gaben trefliche Gesetz' und Rechte,
Bauten Städte und die Ruthe blühte,
Und die Schuhe blieben Angedenken,
Und die Pflugschaar säumte nicht, so lange
Primislaus und Libussa lebten.

***


Weh ach weh, die Ruthe ist verdorret,
Und die armen Schuhe sind gestohlen,
Und der Eisentisch ist güldne Tafel.
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TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Liedsammlung. Volkslieder. Zweiter Theil. Zweites Buch. 30. Die Fürstentafel. 30. Die Fürstentafel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5DF8-B