Nützliche Lehren
1

Ende gut, alles gut. Ist nicht so zu verstehen: Wenn du ein Jahr lang in einem Hause zu bleiben hast, so führe dich 364 Tage lang bengelhaft auf, und am 31. Dezember werde manierlich. Sondern es gibt Leute, die manierlich sein können bis ans Ende, und wenn's nimmer lang währt, so werden sie ungezogen, trotzig, sagen: »Ich bin froh, daß es nimmer lang währt«, und die andern denken's auch. Für diese ist das Sprichwort.

Item, es gibt Dinge, ob sie gut oder bös sind, kann erst das Ende lehren. Z.B. du bist krank, möchtest gern essen, was dir der Arzt verbietet, gern auf die Gasse gießen, was du trinken mußt, aber du wirst gesund – oder du bist in der[232] Lehre, und meinst manchmal, der Lehrherr sei wunderlich, aber du wirst durch seine Wunderlichkeit ein geschickter Weißgerber oder Orgelmacher; – oder du bist im Zuchthaus, der Zuchtmeister könnte dir wohl die Suppe fetter machen, aber du wirst durch Wasser und Brot nicht nur gesättigt, sondern auch gebessert. Dann lehrt das gute Ende: daß alles gut war.

2

Gott grüßt manchen, der ihm nicht dankt. Z.B. wenn dich früh die Sonne zu einem neuen kräftigen Leben weckt, so bietet er dir: Guten Morgen. Wenn sich abends dein Auge zum erquicklichen Schlummer schließet: gute Nacht. Wenn du mit gesundem Appetit dich zur Mahlzeit setzest, sagt er: wohl bekomm's. Wenn du eine Gefahr noch zu rechter Zeit entdeckst, so sagt er: Nimm dich in acht, junges Kind, oder altes Kind, und kehre lieber wieder um. Wenn du am schönen Maitag im Blütenduft und Lerchengesang spazierengehst, und es ist dir wohl, sagt er: Sei willkommen in meinem Schloßgarten. Oder du denkst an nichts, und es wird dir auf einmal wunderlich im Herzen, und naß in den Augen, und denkst, ich will doch anders werden, als ich bin, so sagt er: Merkst du, wer bei dir ist? Oder du gehst an einem offnen Grab vorbei, und es schauert dich, so denkt er just nicht daran, daß du lutherisch oder reformiert bist, und sagt: Gelobt sei Jesus Christ! Also grüßt Gott manchen, der ihm nicht antwortet und nicht dankt.

3

Man muß mit den Wölfen heulen. Das heißt: Wenn man zu unvernünftigen Leuten kommt, muß man auch unvernünftig tun, wie sie. Merke: Nein! Sondern erstlich, du sollst dich nicht unter die Wölfe mischen, sondern ihnen aus dem Weg gehen. Zweitens, wenn du ihnen nicht entweichen kannst, so sollst du sagen: »Ich bin ein Mensch, und kein Wolf. Ich kann nicht so schön heulen, wie ihr.« Drittens: Wenn du meinst, es sei nimmer anders von ihnen loszukommen, so will[233] der Hausfreund erlauben, ein- oder zweimal mit zu bellen, aber du sollst nicht mit ihnen beißen, und andrer Leute Schafe fressen. Sonst komme zuletzt der Jäger, und du wirst mit ihnen geschossen.

[1811]

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TextGrid Repository (2012). Hebel, Johann Peter. Prosa. Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Nützliche Lehren [4]. Nützliche Lehren [4]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-449D-B