Das letzte Wort

Zwei Eheleute in einem Dorf an der Donau, herwärts Ulm, lebten miteinander, die waren nicht füreinander gemacht, und ihre Ehe ward nicht im Himmel geschlossen. Sie war verschwenderisch, und hatte eine Zunge wie ein Schwert; er war karg, was nicht etwa in den eigenen Mund und Magen ging. Nannte er sie eine Vergeuderin, so schimpfte sie ihn einen Knicker, und es kam nur auf ihn an, wie oft er seinen Ehrentitel des Tags hören wollte. Denn wenn er hundertmal in einer Stunde Vergeuderin sagte, sagte sie hundertundeinmal: »Du Knicker«, und das letzte Wort gehörte allemal ihr. Einmal fingen sie es wieder miteinander an, als sie ins Bett gingen, und sollen's getrieben haben bis früh um fünf Uhr, und als ihnen zuletzt vor Müdigkeit die Augen zufielen, und ihr das Wort auf der Zunge einschlafen wollte, kneipte sie sich mit den Nägeln in den Arm, und sagte noch einmal: »Du Knicker!« Darüber verlor er alle Liebe zur Arbeit und zur Häuslichkeit, und lief fort, sobald er konnte, und wohin? Ins Wirtshaus. Und was im Wirtshaus? Zuerst trinken, darnach[203] spielen, endlich saufen, anfänglich um bares Geld, zuletzt auf die Kreide. Denn wenn die Frau nichts zu Rat hält, und der Mann nichts erwirbt, in einer solchen Tasche darf schon ein Loch sein, es fällt nichts heraus. Als er aber im roten Rößlein den letzten Rausch gekauft hatte, und konnt ihn nicht bezahlen, und der Wirt schrieb seinen Namen und seine Schuld, sieben Gulden einundfünfzig Kreuzer, an die Stubentür, und als er nach Haus kam, und die Frau erblickte: »Nichts als Schimpf und Schande hat man von dir, du Vergeuderin«, sagte er zu ihr. »Und nichts als Unehre und Verdruß hat man von dir, du Säufer, du der und jener, du Knicker«, sagte sie. Da stieg es schwarz und grimmig in seinem Herzen auf, und die zwei bösen Geister, die in ihm wohnten, nämlich der Zorn und der Rausch, sagten zu ihm: »Wirf die Bestie in die Donau.« Das ließ er sich nicht zweimal sagen. »Wart, ich will dir zeigen, du Vergeuderin, (›du Knicker‹, sagte sie ihm drauf) ich will dir schon zeigen, wo du hingehörst«, und trug sie in die Donau. Und als sie schon mit dem Mund im Wasser war, aber die Ohren waren noch oben, rief der Unmensch noch einmal: »Du Vergeuderin.« Da hob die Frau noch einmal die Arme aus dem Wasser empor, und drückte den Nagel des rechten Daumes auf den Nagel des linken, wie man zu tun pflegt, wenn man einem gewissen Tierlein den Tod antut, und das war ihr Letztes. – Dem geneigten Leser, der auf Recht und Gerechtigkeit hält, wird man nicht sagen dürfen, daß der unbarmherzige Mörder auch nimmer lebt, sondern er ging heim, und henkte sich noch in der nämlichen Nacht an den Pfosten.

[1810]

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TextGrid Repository (2012). Hebel, Johann Peter. Prosa. Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Das letzte Wort. Das letzte Wort. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4496-A