Der Ursprung des Grübchens im Kinne

Man glaube nicht, was mancher Dichter spricht:
Nun ruht mein Kiel; nun schreib' ich ferner nicht.
Wie selten weiß ein Dichter aufzuhören!
Apollo darf uns auch im Schlafe stören.
Kein Einfall wird von Barden unterdrückt,
So oft sie nur des Phöbus Ruf entzückt,
Und, falls sonst nichts den steifen Vorsatz beuget,
An Phöbus Statt, sich ein Verleger zeiget.
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So geht's auch mir. Oft hab' ich selbst gedacht,
Der sei beglückt, der keine Verse macht,
Der vielen gleicht, die selber niemals dichten,
Und dennoch oft gereimte Zeilen richten.
Da wird mir schon die Poesie zur Qual,
Da schwur auch ich, und zwar zum ersten Mal,
Mich sollte nichts in dieser Welt verleiten,
Die volle Bahn der Dichter zu beschreiten.
Der stolze Schwur war viel zu früh gewagt;
Des Menschen Herz ist trotzig und verzagt,
Und meines wird durch süßen Zwang getrieben,
Was ich verwarf, bald desto mehr zu lieben.
Mich nimmt bereits die Regung wieder ein.
Was aber soll mein neuer Vorwurf sein?
Der holde Gott der Hoffnung und der Freuden,
Der, dessen Stand die Götter oft beneiden,
Weil man nur ihm des Lebens güldne Zeit,
Der Jahre Lenz, die schöne Jugend weiht,
Der, dessen Witz die Klügsten unterrichtet,
Der lächelnd herrscht, die schwersten Händel schlichtet,
Welt und Natur verherrlicht und beglückt,
Den zarten Leib mit Pfeil und Bogen schmückt,
In Federn prangt, und die er abgeleget,
Dem Hymen schenkt, der ihm die Fackel träget.
Cytherens Sohn, der wahre Menschenfreund,
Dem manche schön, und keine grausam scheint,
Vergnügte nur an seiner Psyche Wangen
Den öftern Wunsch, das heftige Verlangen.
Ihn labte schon die Frucht der süßen Wahl,
Der Wollust Kern, ein rechtes Freudenmahl,
So oft ihr Mund, zu dem er seufzend eilte,
Kuß, Scherz und Schwur mit seinen Lippen theilte,
Und ihre Brust nur seiner regen Hand,
Nur seinem Blick entzückend offen stand.
So ward die Lust durch jeden Tag vermehret;
So ward sein Witz durch lange Lust bethöret.
Wer läugnet noch, daß Schönheit Wunder thut?
Der Liebesgott verlor den Wankelmuth,
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Sein himmlisch Recht, dem lockenden Ergötzen,
Dem freien Kuß kein eh'lich Ziel zu setzen.
Sein weiches Herz, geschwächt durch süßen Wahn,
Wird Psychen hold, und endlich unterthan.
Er hatte nicht, die mich beherrscht, gesehen;
Und das allein entschuldigt sein Vergehen.
Um Paphos ist der Venus Aufenthalt.
Dort schmückt den Stand ein ihr geweihter Wald,
Wo manches Paar durch sichre Büsche dringet,
Und jeden Kuß der Vögel Chor besinget.
Es stehet dort ein Tempel, dessen Pracht
Die Gegenwart der Nymphen edler macht,
Die sich hieher in starker Zahl begeben,
Zur Venus fliehn, und nur der Liebe leben.
Man glaubt, daß der den Bau errichten hieß,
Dem sie zuerst sich ohne Gürtel wies,
Als Zephyrs Hauch, der nie sich schöner kühlte,
Zum ersten Mal mit ihren Locken spielte,
Und, was die Welt an Liebreiz in sich hat,
Mit ihr zugleich an das Gestade trat.
Dort tönt ihr Lob in buhlerischen Chören;
Dort lässet sich die Taube girrend hören;
Dort stimmet noch der halberstorbne Schwan,
Zu ihrem Ruhm, die letzten Lieder an.
Am Tempel selbst grünt bei den Rosenstöcken
Ein heil'ger Kreis von zarten Myrthenhecken.
Dort dient man ihr; dort opfern Alt und Jung;
Die Spröden auch, doch in der Dämmerung.
Die Könige verlassen Königinnen,
Und suchen dort geliebte Schäferinnen.
Der Schäfer sieht's, verläßt die Schäferin,
Und rächt die That an einer Königin.
Da sollte nun der frohe Gott der Ehen
Sein größtes Werk beglückt vollendet sehen.
Was theils verliebt, theils liebenswürdig war,
Versammlete sich um das neue Paar.
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Idalia, und, als Begleiterinnen,
An ihrer Hand, die zarten Huldgöttinnen.
Mit Heben kam die sanfte Schmeichelei,
Die Mittlerin vergnügter Buhlerei,
Und Phöbus selbst. Er fand in Psychens Zügen
Der Daphne Reiz und Macht, ihn zu besiegen.
Er sang, und seufzt', er schien gerührt zu sein;
Doch wirkte dies die Vaterhuld allein?
Es führten dort der Frühling und die Freude
Der Fluren Zug in buntem Feierkleide.
Der gute Zeus erschien bei diesem Mahl,
Ob Juno gleich ihm seinen Adler stahl,
Aus alter Furcht, er möcht' auf solchen Reisen,
Wo Venus herrscht, sich, wie er pflag, erweisen.
Der Gott des Weins, der schon beim Eintritt trank,
Lallt einen Wunsch zu jedem Lustgesang.
Mercurius kam gaukelnd hergeflogen,
Und Iris stieg von dem gefärbten Bogen.
Arcadien vermißte seinen Plan;
Mit diesem kam der feiste Comus an,
Um dessen Haubt die frische Rose blühte,
Der tanzend jauchzt', und bald von Nectar glühte.
Der braune Mars, in neuer Kriegestracht,
Wies Faust und Schwert Vulcan und dem Verdacht.
Auch ließ sich jetzt, auf nicht zu fernen Höhen,
Voll starker Lust, der Gott der Gärten sehen.
Der Nymphen Schaar, den leichten Zephyrus
Beschäftigten der Kuß und Gegenkuß.
Nur hatte sich Diana vorgenommen,
Zu diesem Zwei erst über's Jahr zu kommen.
Sie blieb vorjetzt, aus Lust zur Jagd, davon;
Wer jagte mit? Vielleicht Endymion.
Der Flöten Scherz, die Eintracht reiner Saiten
Verkündigen dies Fest der Zärtlichkeiten.
Man öffnet bald des Tempels güldnes Thor,
Cytherens Sohn führt seine Braut hervor,
Und nähert sich den jubelvollen Reihen,
Die froh-umkränzt der Liebe Blumen streuen.
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Ein leicht Gewand spielt um der Psyche Leib,
Versteckt und zeigt der Welt das schönste Weib.
Die Freundlichkeit, der Anmuth Wunderblüte,
Schmückt ihren Mund, den Sitz der sanften Güte.
Die frische Brust nimmt aller Herzen ein,
Scheint weiß als Schnee, ist reizender als Wein.
Es sammlet sich mit fröhlichem Gedränge,
Auf Hebens Wink, der fremden Nymphen Menge,
Die insgesammt um diesen Vorzug flehn,
In Psychens Dienst, in Amors Gunst zu stehn.
Er wählt, die ihr, vielleicht auch ihm, zu dienen,
Die würdigsten, das ist, die jüngsten schienen.
Witz, Aug' und Herz treibt ihn von Paar zu Paar.
Bald rührt den Gott ein wallend, lockigt Haar,
Ein runder Arm, ein Hals, der fleischigt steiget,
Und bald ein Fuß, der mehr verspricht, als zeiget,
Bald mancher Mund, der, wann er scherzt, entzückt,
Und, wann er küßt, durch jeden Kuß beglückt.
Bald merkt er sich zwo Wangen, die vor allen
Berechtigt sind, durch Lächeln zu gefallen,
Und sucht und find't, was er stets gerne fand,
Manch' heitres Aug' und manche schöne Hand.
Der trägen Schaar der Augen, die nichts sagen,
Wird hier kein Amt von Amor angetragen;
Und jeden Mund, der ohne Kraft und Geist
Sich kindisch ziert, und nur die Zähne weist,
Die der Natur, den zarten Huldgöttinnen
Ein Scheusal sind, der Freuden Gegnerinnen,
Die schwache Brust, die mit dem Alter ringt,
Nach Buhlern seufzt, und sie zur Keuschheit zwingt,
Die Mißgestalt, die eitler Hochmuth leitet,
Die Pracht beschimpft, und stiller Hohn begleitet;
Die alle schickt Cupidens Eigensinn
Zum nahen Schwarm der spitzen Nasen hin,
Die, wohlgepaart mit hagern, welken Wangen,
Hier müßig stehn, und keinen Preis erlangen.
Was gegentheils dem Bräutigam gefällt,
Sieht sich von ihm den Reihen zugesellt,
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Die seine Wahl, auf ihren Wunsch, betroffen
Aus Psychens Wink, Befehl und Huld zu hoffen.
Indem er drauf, die er sich ausgewählt,
Den Würden nach, vertheilet, stellt und zählt,
Bezeichnet er, die ihm recht artig scheinen,
Der Nymphen Kern, die Lust und Witz vereinen;
Und ihren Ruhm bewährt ein Liebespfand,
Ein neuer Reiz, ein Werk von seiner Hand:
Denn jedem Kinn, das seine Wahl beglücket,
Wird von ihm selbst das Grübchen eingedrücket,
Das, wie man weiß, nur solche Schönen ziert,
Durch die noch jetzt der schlaue Gott regiert,
Durch die sein Recht sich ewig kräftig zeiget,
Den Neid beschämt, und täglich höher steiget;
An welchen man der Anmuth höchsten Werth,
Und Amorn selbst in ihren Grübchen ehrt,
Die jederzeit durch dieses Vorzugszeichen
Die schönsten sind, und dir, Phyllis, gleichen.

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TextGrid Repository (2012). Hagedorn, Friedrich von. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Erstes Buch. Der Ursprung des Grübchens im Kinne. Der Ursprung des Grübchens im Kinne. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2FA1-3