6.
Ziehet hin! lieben Kinder/ ziehet hin!

Baruch 4/19.

1. Satz.

Kans denn nicht anders seyn! so zieht ihr Kinder zieht
Ach Kinder/ die ich so geliebet!
Daß ich biß in den Tod betrübet
Klag über euer Angst die vnauffhörlich blüht!
Ach Kinder ziehet hin! ich kan euch nicht mehr schützen/
Was windet ihr euch streng vmb diese Brust!
Der Vberwinder reißt euch/ meine Lust/
In harte Dinstbarkeit/ vnd läßt mich einsam sitzen;
Kein Freund läst hier sich finden;
Rath/ Hülff vnd Trost verschwinden.
Niemand/ der vor mich ehrt/ wil in der Quall mich achten!
Ich muß in Traurigkeit.
Getrotzt durch Rasend Leid
In dieser Wüldernüß! Erbarm es Gott! verschmachten.
1. Gegensatz.

Ich rieß die Kron vom Haupt/ die Perlen von dem Haar!
Mein Hals ist von dem Gold entblösset:
Die Brust mit Thränen überflösset/
Trägt keinen Diamant noch Indiansche Waar!
[80]
Der Purpur ist entzwey! die Lilien- weise Seiden
Das teure Stückwerck aus geübter Hand
Gewürckt Metall/ das Silberne Gewand
Vnd was der Sere spinnt/ muß nicht die Lenden kleiden/
Die ich in raue Säcke
In Härin Tuch verstecke
Vnd mit gezwungnem Bast/ an Gürtels stat vmbwinde/
Die Haare sind voll Aschen.
Die heisse Zehren waschen/
Die Ketten/ mit der ich mein schwartzes Traur-Kleid binde.
1. Abgesang.

Doch ich wil (ob schon die Sprach
Mit dem Geist erliegen wil!
Vnd ich zu dem Grabes Ziel
Bin gedrungen nach vnd nach)
Mit seufftzenreichem Ach! deß ew'gen Hertz anschreyen
Ich wil ihn auß dem langen Schlaff
Auffwecken/ daß er nach der Straff
Mir Seelerquickend-Heyl vnd Gnade muß verleyen.
2. Satz.

Auff Kinder! seyd getrost vnd schreit mit mir zu Gott!
Sucht mit Seel-brechenden gebeten
Vor sein gnädigs Hertz zu treten/
Klagt ihm die reissend' Angst/ den Hochmuth vollen Spott
Ich weiß/ sein Vater Hertz wird ihm zu letzte brechen!
Gesetzt auch! daß er zehnmal mehr ergrimmt/
Daß er vor euch nur Pein vnd Tod bestimmt
Ich weiß/ er wird zuletzt/ als Vater/ euch ansprechen!
Vnd von dem Dienst der Bösen/
Vnd tollen zwang erlösen/
Die Herren werden sich in Knechte stracks verkehren.
Die/ die euch Krieg anbitten/
Wird er mit Fluch beschitten
Vnd was itzt sengt vnd brennt mit lichtem Blitz verheeren.
[81] 2. Gegensatz.

Mein Hertze sagt es mir/ die Hoffnung treuget nicht/
Der ewig seinen Thron besessen/
Hat warlich vnser nicht vergessen/
Mich dünckt/ ich spüre schon daß seine Hilff anbricht!
Der Heilge wird mich bald mit höchster Freud erquicken/
Deß Herren Gunst vnd sein barmhertzig seyn.
Wird durch die Wolck' entsetzung-voller Pein
Gleich als der Sonnen Licht durch trübe Nebel blicken.
Warumb doch wird mir bange?
Gott bleibt numehr nicht lange
Ach! wischt die Threnen ab/ hört auff vom trüben weinen/
Wir sind erlöst auß Schanden
Strick/ Folter Stock vnd Banden/
Der ewig' Heiland wird vns mehr denn schnell erscheinen.
2. Abgesang.

Ich liß euch mit Weh' vnd Ach!
Jammer/ Klag vnd Zagen zihn/
Vnd in frembde Grentzen flihn/
Taub von Angst/ von Heulen schwach;
Doch Gott der alles kan/ wird mir euch wieder geben
Mit immer-Freuden-schwanger Lust/
Daß ihr mit Wonn' vmb diese Brust
Sollt mit mir/ und durch Gott/ Gott rühmend' ewigleben.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Gryphius, Andreas. Gedichte. Oden. Oden. Das dritte Buch. 1657. 6. Ziehet hin! lieben Kinder. 6. Ziehet hin! lieben Kinder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1831-5