Erster Auftritt.
De Silva. Ben Jochai.
DE SILVA
die hintere Tür öffnend und Jochai vor sich einlassend.
Ihr denkt, Ihr kämt mir wieder so davon?
Nein, nein! Die Schwelle ist einmal betreten –
Nun auch geblieben, Ben Jochai! – Endlich
Daheim! Ein Arzt – o vielgeplagter Stand!
Entschuldigt mich, wenn Ihr habt warten müssen!
Nachdem er während dieser Worte seinen Hut abgelegt hat, reicht er Jochai die Hand.
Willkommen denn in Amsterdam!
JOCHAI.
SILVA.
Und wie Ihr anders wiederkehrt,
Als Ihr geschieden seid vor sechzehn Monden!
Die fremde Sonne hat Euch schnell gereift.
An dieser Stelle, hier, vor meinen Büchern
Drückt' ich den Abschiedskuß auf eines Jünglings
Noch ungefurchte Stirn. Ihr kehrt zurück
Als Mann! Ja mehr, ich lese, Ben Jochai,
Auf dieser Stirne Sorgen. – Hat die Heimat,
Die neue, Euch, den reichsten Erben Hollands,
Stiefmütterlicher Laune wohl begrüßt?
JOCHAI.
Es ist das Amsterdam, wie ich's verließ.
Der junge freie Bürgergeist gekräftigt –
Von alten span'schen Leiden schnell getröstet
Durch seines Handels Glück und in dem Glück,
In diesem bunten Wirrwarr seiner Häfen,
In diesem Stolz auf selbsterrungne Freiheit
[11] Doch immer für die Söhne Israels
Der duldend milde Brudersinn, wie sonst –
SILVA.
Der Handel schätzt das Geld, das unser Volk,
Als es aus Spanien, Portugal hierher
Geflüchtet, vor der Hermandad verborgen!
Und wollt Ihr's tiefer fassen, läßt man uns
Nach unserm Willen hier in Amsterdam
Aus zween Gründen – lächelt nur, Jochai!
Ja! Ja! Noch immer sucht de Silva das,
Was klarzumachen, weislich einzuteilen.
JOCHAI
indem er de Silva gezwungen lächelnd die Hand reicht.
Auch darin find' ich nichts verändert. Silva,
Der Arzt, der Kenner der Natur, die Zierde
Der Wissenschaft in Amsterdam und, was
Mit Dankbarkeit zu rühmen, unser Lehrer
Hat noch sein Erstens, Zweitens nicht vergessen.
SILVA.
Und jedem wohl, der so zu denken lernte!
Ich halt' es mit dem Aristoteles,
Der auch –
JOCHAI.
Ihr wolltet von den Juden sprechen.
SILVA.
Wohl, wohl! Wenn hier die freie Republik
Von Holland unser Volk nicht haßt, nicht grausam
Wie andern Orts, in Spanien, Portugal,
Am Rhein und an der Donau uns verfolgt,
So ist es, denk' ich, erstens, weil ein Volk,
Das so wie hierzuland die Bibel ehrt
Und aus dem Urquell seinen Glauben schöpft,
Auch uns, die wir in finstrer Heidenzeit
Die Offenbarung eines Einen Gottes
Wie eine ew'ge Lampe pflegten, ehrt,
In uns die Hüter der Verheißung ehrt,
Die Söhne Davids ehrt, aus deren Stamm
Sein Heiland, der ein Jude war, entsprossen.
Und andernteils spricht immer noch für uns
In diesem Dünenland das Blut, aus dem
Die junge Freiheit der Provinzen sproßte.
Denn jedes Volk, das selbst erfahren hat,
Wie weh die Knechtschaft tut, wird Brüder nicht
Aus einem blinden Vorurteil verfolgen.
Der Niederländer schuf aus seinen Ketten Schwerter –
Und aus den sieggekrönten Schwertern wieder
Für andre Dulder Sklavenketten schmieden,
Das wahrlich tut kein edeldenkend Volk.
[12] Das sind die zween Gründe. Und nicht wahr,
Man pries Euch auswärts glücklich, als Ihr sagtet,
Ihr kehrtet heim zu uns, nach Amsterdam?
JOCHAI.
Ich tat es selber. Hoffnungsvoll stieg ich
Die Berge nieder in dies Inselland
Und fand auf einem Schiff, das träge sich
Durch die Kanäle schleppte – Muße –
SILVA.
Froh
Des Wiedersehens zu gedenken, wie
Ihr Judith naht, sie kaum den Augen traut,
Den Freund und ihren Gatten bald umarmt –
Ihr kommt von Vanderstratens Villa? Nicht?
JOCHAI.
Erlaubt, daß ich mich ruhe.
Er setzt sich.
SILVA.
Sonderbar!
Ihr scheint erschöpft. Es drückt Euch Unmut? Redet!
JOCHAI.
Drei Tage lang hat mich Manasse draußen
Mit ihm gewohnter Gastlichkeit bewirtet –
SILVA.
Und Judith? Eure Braut? Euch angelobt
Schon durch den Wunsch der Eltern in der Wiege!
Schon Euer durch das Schlummerlied der Amme!
Im Spiel der Jugend Eure Königin!
Welch schöne Blume, rühmen darf ich sie,
Ist sie auch gleich die Tochter meiner Schwester.
JOCHAI.
Das Schlummerlied der Amme? O, de Silva –
Ich fürchte – Eure Nichte straft es Lügen!
SILVA.
Wie?
JOCHAI.
Laßt Euch kurz erzählen, was ich sah.
Ich lag in Vanderstratens Arm, er nannte
Mich Sohn und pries mir Judiths Treue. Dann
Zerfloß sein Herz von seinen Wunderbauten,
Von seinem Park, von seinen Wasserkünsten,
Von Marmorbildern, die er nach Antiken
Sich meißeln läßt in Florenz und Venedig,
Von Rubens und van Dyck, von Licht und Schatten
Und Perspektive – nun wißt Ihr ja, wie er
Mit seiner Midashand gewohnt ist, alles,
Was ihn umgibt, sich künstlich zu vergolden.
SILVA
beiseite.
Statt Gold läuft manchmal wohl auch Kupfer unter.
JOCHAI.
Ihr sagt etwas?
SILVA.
Nicht doch! Ich rechnete
Nur, wieviellötig so ein Midassinger!
Ich bin kein Freund von seinen Herrlichkeiten.
[13]JOCHAI.
Auch liebt die Börse diese Grillen nicht.
Genug! Mich, der in Rom, Paris, Neapel
Das alles selbst gesehn, was sich Manasse
Auf Hollands Wiesen nachzukünsteln müht –
Mich hätten diese Tempel angesprochen,
Wenn ihre Gottheit mir erschienen wäre.
Ich suchte Judith. Heißer Sehnsucht, streift' ich
Durch jeden Schattengang des Parks,
Und in dem Drang nach fast zweijähr'ger Trennung
Traf ich sie endlich – nicht allein.
Steht auf.
Ein Fremdling
Sitzt neben ihr in einer Muschelgrotte,
Von wildem Wein und Efeulaub umrankt –
Ein mächtig großer Band von Pergament
Liegt aufgeschlagen vor dem stummen Paar.
Ich trete näher – Judith scheint mich wie
Den Laien vor dem Vorhof eines Tempels
Mit strengem Blicke fortzuscheuchen. Da
Erkennt sie mich und reicht mir starren Auges,
Mit einer Lüge ihres Angesichts sich sammelnd,
Die kalte, fieberfrost'ge Hand entgegen.
Mein Schweigen frägt, wer dieser Fremde wäre?
»Mein Lehrer!« spricht sie stolz und hochbegeistert;
Und diesem wieder mich enträtselnd haucht sie:
»Dies mein Verlobter –!« wie im matten Echo –
Erblassend richtet sich der Fremde auf,
Läßt ihre Hand aus seiner Rechten gleiten,
Und in mir selbst wie schlaggelähmt und fiebernd,
Ermann' ich mich, den Namen ihn zu fragen –
SILVA.
Er nennt sich Uriel Acosta.
JOCHAI.
Ha!
Nicht wundern darf ich mich, daß Ihr ihn wißt,
Der Diener Mund, Manasses scheuer Bick,
Im Parke jedes Marmorbild verriet's,
Daß Eure Nichte – mir die Treue brach.
SILVA.
Ich höre staunend Euren Worten. Ja,
Was Ihr mir schildertet, es mag, ich glaub' es,
Auf ersten Blick Euch wohl befremdet haben;
Doch irrt Ihr sehr im Grunde! Judiths Kälte
Ist Liebe nicht für Uriel Acosta –
Im stillen sah ich diese Dinge reifen.
Ein junger Denker, der dem Studium
Der Rechte erst sich zugewendet, ward
Seit Eurer Reise plötzlich allerorten
[14] Als Mann von Geist gerühmt, als Forscher nicht.
Ich schätze, wie er schreibt, nicht, was er schreibt.
Die süßen Laute von Oporto schweben
Noch angenehm auf seiner Zunge. Ja,
Als hätt' er gestern erst am Tajo Trauben
Vom sonnigen Geländer sich gepflückt,
So schreibt er noch das reinste Portugiesisch.
Doch ohne Neigung ist sein Herz für Juda, –
Die Terebinthen Mamres sind ihm fremd –
Im Dornbusch sah er nie des Herren Antlitz –
Wohl hält er sich an die verwandten Brüder,
Doch von der Synagoge bleibt er fern –
Halb Christ, halb Jude schwebt er in den Lüften,
Erhebt den Zweifel auf den Thron des Glaubens
Und hat, durch Zufall sich Manassen nähernd,
Sein Kind – nicht mit dem Netz der Liebe, nein,
Mit seinem Denken nur so eng umgarnt,
Daß sie sich besser glaubt als andre Wesen,
Das Übliche verachtet und ihr Herz.
Ihr müßt sie nehmen, wie sie sich Euch gibt.
Sie wird sich ändern, ist sie wieder Euer.
JOCHAI.
Bewundern ist und lieben eins beim Weib,
Der mehr Bewunderte ist mehr geliebt!
Ich will in keines andern Schatten stehn.
Und würfe ihn der höchste Ruhm! Manassen
Kenn' ich als schwachen, willenlosen Mann;
Ihr seid die Seele des Familienrats;
Geht hin! Ruft sie zusammen, Eure Sippe,
Die Muhmen und die Schwäger, führt Acosta
Als Eidam ein –
SILVA.
Zu ungestüm, Jochai!
JOCHAI.
Ist Euch der andre werter als Verwandter –
So nehmt ihn auf –!
SILVA.
Wo denkt Ihr hin, mein Sohn!
Ihr sprecht von meinem Feind!
JOCHAI.
Von Euerm Feind!
SILVA.
Ich gönne meinem Feinde niemals Schlimmes;
Und gönn' ihm auch das Gute. Doch ich selbst
Mag seines Glückes Schmied nicht sein, noch wen'ger
Mit ihm in Bande der Verwandtschaft treten.
Seit wenig Tagen ist ein Buch erschienen
Von Uriel, worin er manches, was
Ich früher selbst in Glaubenssachen schrieb,
[15] Sophistisch wieder aufzuheben sucht.
Mein Schüler war er und bekämpft den Lehrer!
Dies Buch trennt ihn von seinem Volk, trennt ihn
Von seinem Glauben, also auch von mir.
JOCHAI.
So laßt uns beide denn gemeinsam handeln!
Ich liebe Judith, ja, ich fühlte dies
Bei ihrem Anblick flammender denn je;
Doch muß die Wolke weichen zwischen ihr
Und meinem Glück und meinem heil'gen Recht;
Um beides schäm' ich mich zu betteln. Silva,
Wollt Ihr der Dolmetsch meiner Zunge sein,
So redet! Denn der wahre Stolz ergreift
Für sich nicht selbst das Wort. Es dunkelt – wie,
Nach langem Tagwerk sehnt Ihr Euch zur Ruhe?
SILVA.
Ihr geht – nach dieser Kunde? Nein, Ihr solltet
Mir weitre Proben des Verdachtes nennen –
Er sieht den Diener eintreten.
Was ist? – Nur einen Augenblick –
Zum Diener.
Was soll's?