Karl Gutzkow
Zopf und Schwert
Lustspiel in fünf Aufzügen

Personen

[76] Personen.

    • Friedrich Wilhelm I., König von Preußen, Vater Friedrichs des Großen.

    • Die Königin, seine Gemahlin.

    • Prinzessin Wilhelmine, beider Tochter.

    • Der Erbprinz von Baireuth.

    • General von Grumbkow,
    • Graf Schwerin,
    • Graf Wartensleben, Räte und Vertraute des Königs.

    • Graf Seckendorf, kaiserlicher Gesandter.

    • Ritter Hotham, großbritannischer Gesandter.

    • Frau von Viereck,
    • Frau von Holzendorf, Damen der Königin.

    • Fräulein von Sonnsfeld, Dame der Prinzessin.

    • Eversmann, Kammerdiener des Königs.

    • Kamke, Kammerdiener der Königin.

    • Eckhof, ein Grenadier.

    • Ein Lakai des Königs.

    • Generale, Offiziere.

    • Hofdamen.

    • Die Mitglieder der Tabaksgesellschaft.

    • Grenadiere.

    • Lakaien.

Vorwort

Vorwort.

Das Wesen alles Komischen ist der Widerspruch sozusagen mit sich selbst, der sogenannte Kontrast.

Nach dieser Anforderung dürften sogar Schulästhetiker das nachstehende Lustspiel in seinem Ursprung gelten lassen.

Ein König, ohne die gewöhnlichen Attribute seiner Würde, ein Hof, geordnet nach den Regeln des einfachsten bürgerlichen Hausstandes, gewiß ein Widerspruch, der von selbst die komische Muse herbeiruft. In der Tat kam dem Verfasser die Neigung, seinem zunächst aus dem Prinzip nur der Heiterkeit entstandenen Werk einige politische Winke als sogenannte »Tendenz« einzufugen, erst im Lauf der späteren Ausarbeitung.

Seit den großen griechischen Mustern Äschylos und Aristophanes ist es ein altes Vorrecht der Bühne, sich im Extrem bewegen zu dürfen. Wer einmal den Rachegöttinnen als Frevler und Träger von Menschenschuld verfallen ist, macht als Bühnenfigur keine zerstreuenden Badereifen mehr, hat keine sonstigen Geschäfte und weiteren Lebensaufgaben zu verfolgen; auf frischer Tat packt ihn die Nemesis und läßt ihn in jedem Champagnerglase Blut sehen, auf jedem Fetzen Papier seinen Steckbrief lesen. Noch weniger Umstände macht die komische Muse. Wenn Aristophanes die Gestalten des Euripides verspotten will, die durch Heruntergekommenheit rühren sollen, so macht er den Tragiker gleich zum Lumpenhändler. Übertreiben darf der Komiker und muß der Tragiker. Den Übertreibungen in »Zopf und Schwert« wurde manches Naserümpfen des ersten Ranges der Hoftheater zuteil. Aber im wesentlichen braucht man nur die »Denkwürdigkeiten der Markgräfin von Baireuth, gebornen Prinzessin von Preußen«, zu lesen, um dem grotesken Bilde das Zeugnis historischer Treue zu geben. Nicht nur die Charakteristik des Stücks, auch die Intrige gründet sich auf die aus unbefangeneren Zeiten stammenden Bekenntnisse jener Denkwürdigkeiten, deren Echtheit verbürgt ist.

In betreff Seckendorfs trat der Fall ein, daß der technischen, ich möchte sagen, symphonischen Ökonomie des Stücks [77] (die nun einmal unbedingt die Rollen so verteilt, wie Peter Squenz im »Sommernachtstraum« den respektabelsten Leuten sagt: Du mußt den Löwen und du den Esel machen!) ein Mann geopfert wurde, der, ein mittelmäßiger Diplomat, eine Zeitlang ein leidlich guter Degen war. Hierüber kam dem Autor keine Reue. Dummsein, so denkt Romus in seinem Leichtsinn, ist nicht Schlechtsein; Löwe oder Esel sind an bestimmten Stellen im Stück notwendig. Ein brandenburgisch-preußisches Lustspiel vom Jahre 1733 kann a priori gegen einen kaiserlichen Gesandten jener Tage nur »ungerecht« sein. Das liegt im Übermut der komischen Muse ebenso, wie umgekehrt in spezifisch österreichischen Stücken schon lange auch bei solchem und ähnlichem Anlaß die passive Komik an Preußen und in specie an die Berliner fällt. Nach Ritter Lang und nach zuverlässigeren Gewährsmännern war auch zum Glück dieser Seckendorf ein eitler Tyrann. Sein Haß gegen Friedrich II. und sein »Kombinieren« gingen so weit, daß er dem österreichischen Hof im Ersten Schlesischen Kriege einen Plan detaillierte, wie man den ländersüchtigen Eroberer persönlich unschädlich machen sollte. Arneth, Maria Theresia Bd. I.

Freilich kann die Art, wie Puck mit der Geschichte umgeht, gemildert werden. Es ist nicht nötig, daß die Schauspieler aus Seckendorf einen Kretin machen. Eine unglückliche Neigung der Darsteller, für den gebotenen Finger gleich die ganze Hand zu nehmen! Überhaupt wenige Darstellungen meines Stücks sah ich, wo Friedrich Wilhelm I. neben dem Ton des Hausvaters noch die königliche Würde behauptete, Eversmann bei aller kecken Vertraulichkeit noch den Rand eines zitternden Kammerdieners hielt, der Erbprinz noch mit dem Bestreben, im königlichen Schlosse alles lächerlich zu finden, eine Zurückhaltung verband, die ihn sicherstellte, für seine lauten Äußerungen nicht sofort aus Berlin verwiesen zu werden, die Prinzessin noch vornehm und klug blieb im Naiven und Gewöhnlichen, und vollends Seckendorf, trotz seiner ihm schwerfallenden »Kombinationen«, doch nicht bis zum Hofmarschall Kalb hinunter sank. Daraufhin hier eine dramaturgische Bemerkung. In solchen Fällen, wo die Gefahr des Herabziehens der Rollen auf der Hand liegt, sollten die Bühnenvorstände die Vorsicht üben, die betreffenden Partien geradezu nur solchen Darstellern anzuvertrauen, die ihnen beim ersten Blick dafür – am wenigsten einfallen, solchen, die durch ihr Naturell gezwungen sind, die Rollen höher zu halten. Der Possenreißer wird nie, selbst zuweilen der sogenannte »seine Komiker« nicht, Shakespeare von dem Vorwurf befreien, daß er zweien Königen von Dänemark einen Hanswursten zum Minister [78] gab. Es ist viel weniger nötig, daß die komischen Einfälle des Polonius belacht werden, als daß seine Einfälle nicht die Stellung des Hofmanns, königlichen Ratgebers, Vaters zweier respektabler Kinder und zuletzt sogar noch seiner eigenen mit tragischer Würde sterbenden Person beeinträchtigen. In solchem Fall übergibt eine kundige Theaterführung die komische Partie einem Darsteller, der eben – nicht komisch ist.

Geschrieben wurde nachstehendes Stück im Frühjahr 1843. Vielleicht kennt mancher unserer Leser das kleine Hausgärtchen am »Hotel Reichmann« zu Mailand, auf dessen Oleanderbüsche, Springquellen und Sandsteinamoretten hinaus ein Zimmer führt, wo vier Wochen lang die ersten vier Akte dieser Arbeit reiften. Am Sommer See folgte der fünfte.

In diesen schönen und nur die Gesetze des Ideals weckenden Umgebungen jene burlesken Erinnerungen aus der Geschichte des märkischen Sandes festzuhalten, war nur, sollte man denken, einem, trotz der »Staatsgefährlichkeit« seiner sonstigen Bestrebungen, mit Innigkeit seiner preußischen Heimat zugetanen Gemüt möglich.

Dennoch hat sowohl die Romantik von Sanssouci wie die Ästhetik des weiland Berliner Oberzensurkollegiums in Berlin zu allen Zeiten dies Stück verfolgt, verboten, ein- oder ein andermal es wieder freigegeben und selbst noch nach 1848 wieder verhindert. Als auf dem Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater der alte würdige Genast von Weimar den König ein dutzendmal nacheinander gespielt hatte, kamen Hinckeldeys Boten und brachten die Meldung, man sähe höhern Orts die Aufführung nicht gern. Im Verkürzen und Schädigen seiner Bestrebungen ist dem Autor von Friedrich Wilhelm IV. geradezu alles geschehen. Doch will ich, zur Steuer der Wahrheit, nicht unerwähnt lassen, daß mau auch das Verbot milder motiviert hat durch die darin vorkommende Erwähnung der dem preußischen Königshause fatalistischen Berliner Schloß-Sterbesage – von der »Weißen Frau«.

Ein Muster der Unbefangenheit war früher die Dresdener Hofbühne. Namentlich kam in solchen und ähnlichen Nöten Emil Devrients energische Parteinahme für die Interessen der neuern dramatischen Literatur den Autoren stets zu Hilfe. Seinem künstlerischen Eifer verdankt auch diese wie manche andere Arbeit ihren Übergang auf diejenigen ersten Bühnen, deren Förderung einem deutschen Dramatiker allein lohnend und ermutigend sein kann. Leider hat der Krieg von 1866 »Zopf und Schwert«, das sich auch auf dem Burgtheater in Wien eingebürgert hatte, von dort wieder verbannt.

1. Akt

[1. Szene]
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Eversmann schnupft mit Behaglichkeit aus einer Dose. Zwei Trommler der Garde. Darauf Fräulein von Sonnsfeld.

DIE TROMMLER
schlagen dicht an der vordern Tür links, die zur Prinzessin führt, einen Wirbel.
FRÄULEIN VON SONNSFELD
aus dieser Tür blickend.
Es ist schon gut.
TROMMLER
schlagen einen zweiten Wirbel.
SONNSFELD
wieder hervorsehend.
Wir wissen schon, sag' ich.
EVERSMANN
winkt zum drittenmal.
TROMMLER
schlagen einen dritten langen Wirbel.
SONNSFELD
tritt nun unwillig heraus und spricht, nachdem der Lärm vorüber.

Es ist nicht zum Aushalten. Die Nerven möchten einem zerspringen. Linksum, vorwärts marsch! – Hinaus mit euch, auf den Exerzierplatz, wo ihr hingehört! Trommler sind inzwischen trommelnd abmarschiert. Nachdem es still geworden. Eversmann, Sie sollten sich schämen, daß Sie den König nicht endlich auf die Achtung aufmerksam machen, die den Damen gebührt.

EVERSMANN.

Gnädiges Fräulein, ich befolge die Befehle unsers königlichen Herrn. Sintemal das Zuspätaufstehen ein Laster der heutigen Jugend ist, wird jeden Morgen um sechs Uhr vor den Zimmern der königlichen Prinzen und Prinzessinnen die Reveille geschlagen.

SONNSFELD.
Prinzessin Wilhelmine ist den Kinderschuhen entwachsen.
EVERSMANN.
Gerade dann hat man des Morgens die süßesten Träume.
SONNSFELD.
Träume von unserer endlichen Erlösung, von Verzweiflung, vom Tode –
EVERSMANN.
Oder von Heiraten und – dergleichen –
SONNSFELD.

Nehmen Sie sich in acht, Eversmann! Der [81] Kronprinz hat endlich seine Freiheit errungen und führt in Rheinsberg ein pünktliches, ein genaues Tagebuch über alles, was in Berlin und in den Umgebungen seines gestrengen Herrn Vaters vorgeht. Man weiß, daß Sie den König mehr beherrschen als die Minister.

EVERSMANN.

Wenn das dichterische Gemüt des Kronprinzen, des übrigens innigst an mich attachierten Fritz, nicht schärfer sieht, dann hab' ich wenig Respekt vor der Einbildungskraft der Poeten. Ich und Einfluß! Ich drehe Sr. Majestät jeden Morgen seinen stattlichen Zopf, stutze ihm seinen männlichen kräftigen Bart, stopfe ihm jeden Abend seine kleine gemütliche holländische Pfeife, und was bei diesen kleinen unschuldigen Handleistungen die geheiligte Person des Königs an Winken und Äußerungen und kleinen Befehlen fallen läßt – das allerdings –

SONNSFELD.

Heben Sie auf und haben sich daraus einen »kleinen unschuldigen Einfluß« geschmiedet, der Ihnen bereits drei Häuser, fünf Landgüter und eine Kutsche mit vier Pferden eingebracht hat. Hüten Sie sich, daß der Kronprinz alle diese schönen Gegenstände nicht dermaleinst unter dem Galgen versteigern läßt.

EVERSMANN.

Hören Sie, Sie haben schlecht geschlafen, mein Fräulein! Ich verbitte mir solche aus der Luft gegriffene – Manieren von – Weissagungen und Prophezeiungen. Se. Königliche Hoheit der Kronprinz sind viel zu sehr Philosoph, als daß sie sich an einem Manne rächen sollten, der mit seinem Vater nichts anders zu tun hat, als Sr. Majestät jeden Abend eine Pfeife zu stopfen, jeden Morgen einen Zopf zu drehen und ihn einen Tag um den andern nach alter deutscher Sitte über den Löffel zu balbieren. Haben Sie mich verstanden? Ab.

SONNSFELD
allein.

Geh' du nur, du alter Sünder! Stell' dich noch so ehrlich und deutsch! Wir kennen dich und alle deinesgleichen! Das ist ein Leben an diesem Hofe! Des Morgens schon in der Frühe donnern die Kanonen unten im Lustgarten dicht unter den Fenstern des Schlosses, oder sie schicken uns eine Kompagnie Soldaten herauf, um uns das Frühaufstehen anzugewöhnen. Nach dem Gebet muß die Prinzessin stricken, nähen, Wäsche bügeln, den Katechismus auswendig lernen, ja, täglich! eine langweilige Predigt hören. Mittags bekommen wir so gut wie nichts zu essen; dann hält der König seinen Mittagsschlaf, und obgleich er fortwährend so gespannt mit der Königin lebt, daß sie sich kaum einen guten Tag gönnen, so muß doch die ganze Familie dieser melodischen allerhöchsten Schnarchunterhaltung [82] mit beiwohnen, ja sogar eigenhändig bedacht sein, dem schlummernden Papa Landesvater die Fliegen fortzuwedeln. Ohne den natürlichen Witz und den Geist meiner Prinzessin müßte das herrliche Wesen bei einer solchen Lebensweise längst verwildert sein. Ja, wenn der König wüßte, daß sie sich heimlich eine Anzahl französischer Brocken aufgelesen und notdürftig gelernt hat, ein artiges Billettchen zu schreiben – ... Ich höre sie kommen.

2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Prinzessin Wilhelmine mit einem Briefe in der Hand. Fräulein von Sonnsfeld.

WILHELMINE
schüchtern.
Sind wir unbelauscht?
SONNSFELD.
Wenn nicht die Wände Ohren haben. Ist der Brief schon fertig?
WILHELMINE.
Ich wage ihn kaum abzuschicken, liebe Sonnsfeld. Er wird hundert Sprachfehler enthalten.
SONNSFELD.
Hundert? Da muß er länger geworden sein, als Ihre Hoheit anfangs beabsichtigten.
WILHELMINE.

Ich habe geschrieben, daß ich zwar den Wert der mir angebotenen Dienste vollkommen zu würdigen verstünde, mich aber in einer Lage befände, alles zurückweisen zu müssen, was ich für meine Bildung nicht wenigstens durch die Vermittelung der Königin, meiner Mutter, erlangen kann.

SONNSFELD.

Das haben Sie geschrieben? Dafür die hundert Sprachfehler? In diesem Fall sind wir soweit wie bisher. Ich ehre alle Rücksichten, die eine junge Prinzessin von achtzehn Jahren vor der Weltgeschichte zu nehmen hat; aber bei dieser Gewissenhaftigkeit werden Sie zugrunde gehen. Der König wird Sie ewig wie eine Sklavin, die Königin wie ein unmündiges Kind behandeln. Sie sind das Opfer zweier Charaktere, die an sich vielleicht das Beste mit Ihnen bezwecken, die aber beide so entgegengesetzte Naturen sind, daß Sie nimmermehr wissen können, wem Sie es recht machen sollen. Der Kronprinz hat es erreicht, sich zu befreien. Wodurch? Durch Mut und Selbständigkeit. Er hat sich losgerissen von den beengenden Fesseln der Willkür, hat sich die Mittel, die er zu seiner Bildung bedurfte, selbst erworben, und nun sendet er auch Ihnen aus Rheinsberg seinen Freund, den Erbprinzen von Baireuth, um Ihnen und der Königin einen Schutz, einen Anhalt zu geben, damit Sie an einem Hofe, wo den ganzen Tag getrommelt und exerziert wird, nicht aus Verzweiflung am Ende selbst noch die Muskete ergreifen und unter die Potsdamer Garde treten.

[83]
WILHELMINE.

Viel Humor, liebe Sonnsfeld, wahrhaftig! Mein Bruder hat in Rheinsberg gut Plane machen und Emissäre senden! Er weiß selbst sehr wohl, daß der Weg zur Freiheit, die er jetzt errungen, dicht am Schafott vorüberführte. Ich gehöre dem Geschlechte an, das dulden soll. Der Vater ist gut, herzensgut, in seinem wahren Wesen vielleicht milder als die Mutter, die mich mit ihrem Ehrgeiz und ihrer Sucht zur Politik oft schroffer zurückstößt, als mütterliche Liebe verantworten kann. Ich bin nun einmal bestimmt, dies Schicksal zu tragen, und frage dich selbst, wie kann ich mich einem abenteuernden Fremdling anvertrauen, den mir der Bruder da aus seinem wilden und genialen Rheinsberger Leben hierhersendet, um mein Ritter und Paladin zu werden? Es ist ein Gedanke, wie er nur unter den Poeten dort hat entstehen können! Und wenn ich auch gern heimlich eingestehe, ich möchte verkleidet und lustiger Dinge in dem Rheinsberger Lärm recht mitten drinnen sein, so hab' ich doch, da wir nun einmal in Berlin sind, mein bißchen Französisch zur Not zusammengenommen und dem Erbprinzen für seine Anerbietungen hiermit Reicht der Sonnsfeld den Brief. mehr abweisend als annehmend gedankt.

SONNSFELD.

Und diesen Brief soll ich besorgen lassen? Mit komischem Pathos. Nein, Königliche Hoheit, ich befasse mich nicht mit verbotenen Korrespondenzen.

WILHELMINE.
Keinen Scherz, Sonnsfeld! Auf die zärtliche Epistel des Erbprinzen mußt' ich so erwidern ...
SONNSFELD.
Nimmermehr – an diesem Hof verwirkt man durch die Besorgung verbotener Korrespondenzen sein Leben –
WILHELMINE.
Du machst mich böse ... besorge den Brief ... schnell ...
SONNSFELD.

Nein; aber ich weiß ein Mittel, Prinzessin, ein untrügliches, sehr sicheres Mittel, diesen Brief an seine Adresse gelangen zu lassen, es heißt: Sieht auf die Tür des Hintergrundes. geben Sie ihn selber ab! Hüpft nach einer hintern Seitentür ab.

3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Der Erbprinz von Baireuth nach französischem Geschmack gekleidet und durchaus abweichend von dem Lieblingskostüm des Königs. Prinzessin Wilhelmine.

WILHELMINE
beiseite.
Der Erbprinz.
ERBPRINZ
behutsam vortretend und beiseite.

Ganz ihr Bild! Es ist die Prinzessin. Laut. Ich bitte um Vergebung, Königliche Hoheit, daß meine Ungeduld, die Grüße des Kronprinzen persönlich auszurichten –

[84]
WILHELMINE.

Der Erbprinz von Baireuth setzt mich durch einen so frühzeitigen Besuch in nicht geringe Verlegenheit.

ERBPRINZ.

Er galt nicht Ihnen, er galt dem herrlichen, ehrwürdigen Schlosse, diesen Treppen, diesen Galerien, diesen Korridoren, er galt der Terrainkenntnis, Königliche Hoheit, die einer jeden bedeutenden Unternehmung vorangehen muß.

WILHELMINE.
Gedenken Sie hier eine Schlacht zu liefern?
ERBPRINZ.

In durchaus friedlichen Absichten bin ich eben nicht hier, wenn ich auch, wie Prinzessin Wilhelmine bereits wissen werden, mich mehr auf die Defensive beschränken muß.

WILHELMINE.

Und auch diese werden Sie nicht schonend genug ergreifen können. Für sich. Das Billett wird nicht mehr nötig sein. Laut. Wie ließen Sie meinen Bruder? Wohlauf? Viel beschäftigt?

ERBPRINZ.

Der Kronprinz führt in seinem Exil ein Leben voll heiterster Abwechselung. Er hat sich Rheinsberg in einen kleinen Musensitz umgeschaffen, der bald den ernsten Studien, bald der poetischen Erholung gewidmet ist. Wir haben schöne Stunden dort verlebt, unvergeßliche; man sollte nicht glauben, daß man sich an der mecklenburgischen Grenze soviel Phantasie erhalten kann. Man malt dort, man baut, man meißelt, man dichtet. Das Regiment, welches unter dem unmittelbaren Befehl des geistreichen Prinzen steht, dient dazu, durch militärische Evolutionen die strategischen Angaben des Polybius zu verwirklichen. Kurz, ich würde mich unglücklich fühlen, diesen reizenden Aufenthalt verlassen zu haben, wäre mir nicht ein so ehrenvoller Auftrag geworden. Ja, Prinzessin, der Kronprinz wünscht über die Lage, in der sich hier Schwester und Mutter befinden, genaue an der Quelle geschöpfte Erkundigungen einzuziehen, nötigenfalls auch zu beraten, wie dieser Lage abzuhelfen, diesen Widerwärtigkeiten zu begegnen sei.

WILHELMINE.

Erführe man, daß ich einem Prinzen, der bis jetzt weder meinem Vater noch meiner Mutter vorgestellt wurde, hier im offenen Saal Audienz gebe, ich glaube, daß ich mich rüsten könnte, einige Wochen auf die Festung Küstrin zu gehen. Will, sich verneigend, abgehen.

ERBPRINZ.

Prinzessin! Ist es also wirklich wahr, was man mit Schaudern an allen Höfen Europas erzählt, daß der König von Preußen den Hof, seine Umgebungen, seine eigene Familie tyrannisiert?

WILHELMINE.

Prinz, Sie brauchen einen harten Ausdruck für das, was ich nur unser eigentümliches Zeremoniell nennen möchte. In Versailles schwebt alles mit Zephirflügeln über die glasierten [85] Parketts. Hier tritt man ein wenig derb mit klirrenden Sporen auf. In Versailles hat sich die königliche Familie in eine große Gesellschaft aufgelöst, wo nur noch die Verwandtschaft der Geister, die Bande der – ungebundensten Neigungen heilig gehalten werden. Hier ist der Hof eine einzige bürgerliche Familie, wo man noch vor Tisch sein Gebet hält, die Eltern immer zuerst reden läßt, mit dem pünktlichsten Gehorsam, wenn es verlangt wird, fünf eine gerade Zahl sein läßt und sich dann nur aus Liebe manchmal ein bißchen zankt, aus Liebe manchmal ein bißchen quält, aus Liebe sich das Leben ein wenig sauer macht.

ERBPRINZ.
Prinzessin, ich schwöre Ihnen, das muß anders werden.
WILHELMINE.
Wie sollte es –?
ERBPRINZ.

Der Kronprinz hat mich beantragt, alle erdenklichen Mittel aufzubieten, Sie von dieser Barbarei zu befreien. Gebieten Sie über mich. Sie sehen mich bereit dazu. Zuerst empfahl er mir dringend Ihre geistigen Bedürfnisse. Wie ist es mit der französischen Sprache?

WILHELMINE.

Der König haßt alles, was vom Ausland kommt und nichts mehr als Frankreich, seine Literatur und seine Sprache.

ERBPRINZ.

Der Kronprinz wußte das und schickt Ihnen deshalb, um hiermit gleich den Anfang zu machen, aus seinem Rheinsberger Kreise ein kleines geschwätziges, aber sehr gelehrtes Männchen, einen Franzosen, namens Laharpe –

WILHELMINE.
Die strengsten Befehle bannen alle französischen Sprachmeister aus Berlin.
ERBPRINZ.
Laharpe geht zu Ihnen, ohne daß man ihn kennt.
WILHELMINE.
Unmöglich. Zu mir darf niemand, der sich nicht bei der Schloßwache ausweisen kann.
ERBPRINZ.
So hören Sie Laharpes Vorträge bei der Sonnsfeld, Ihrer Hofdame.
WILHELMINE.
Unmöglich.
ERBPRINZ.
Bei der Königin.
WILHELMINE.
Unmöglich.
ERBPRINZ.
Mein Himmel, sind Sie sich denn nie eine Stunde allein überlassen?
WILHELMINE.
Sonntäglich zwei Stunden in der Kirche.
ERBPRINZ.

Das ist ja entsetzlich! In Versailles haben nicht nur die Prinzessinnen schon von zehn Jahren, sondern sogar ihre Puppen ihren eigenen Hofstaat!

[86]
WILHELMINE.

Der einzige Ort, den ich zuweilen längere Zeit ohne Begleitung besuchen darf, sind drüben jene Zimmer im untern Stockwerk des Schlosses –

ERBPRINZ.
Wahrscheinlich die Privatbibliothek des Königs?
WILHELMINE.
Nein!
ERBPRINZ.
Eine Galerie von Familiengemälden?
WILHELMINE.
Sehen Sie den Rauch, der aus den geöffneten Fenstern hervordringt?
ERBPRINZ.
Das ist – doch nicht etwa – die Garküche?
WILHELMINE.

Die Garküche nicht, aber auch nicht viel Besseres. Es ist, mit Ehren zu melden, die Königlich Preußische Waschküche! Sehen Sie, Prinz, da ist es der Schwester des Kronprinzen erlaubt, stundenlang sich hinzustellen und ehrbar zuzuschauen, wie man die Wäsche spült, sie mangelt, die Kleider stärkt, die Gedecke, die Servietten sortiert –

ERBPRINZ.
Einer Prinzessin?
WILHELMINE.

Sehen Sie das kleine Fenster mit den grünen Blumenstöcken und dem kleinen Hänfling im Käfig? Dort wohnt die Frau des Silberwäschers. Während die arme Königstochter zuweilen scheinbar wie eine Magd an den Töpfen und Kesseln zu walten scheint, schlüpf' ich heimlich zu jener guten Frau, wo ich hinter den Blumen frei und heiter lachen kann, verstohlen dem kleinen Hänfling aus meiner Hand sein Futter reiche und mir schon oft gesagt habe: Bei all deinen Leiden, all deinem Kummer bist du doch noch glücklicher als der arme kleine Sänger da im Käfig, dem sie nimmer die Freiheit geben werden, und säng' er noch so schön, noch so melodisch in allen Sprachen der Erde.

ERBPRINZ
beiseite.
Sie ist bezaubernd! Laut. Und Laharpe?
WILHELMINE.

Da es denn gewagt sein soll – dorthin, Prinz, schicken Sie mir diesen gelehrten Herrn, dort will ich, wie es der Bruder befiehlt, meinen französischen Stil bilden und unter anderm lernen, wie man recht elegant, recht modern französisch sagen kann: »Ja, wagen wir den Anfang eines neuen Lebens! Bleiben Sie der Freund meines Bruders, bleiben Sie mein Beschützer!« Für jetzt aber – leben Sie wohl. Eilt ab.

4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Erbprinz allein. Dann Fräulein von Sonnsfeld.

ERBPRINZ.

Wo weil' ich denn! War das eine Szene aus Tausendundeiner Nacht, oder bin ich wirklich an den Ufern jener [87] gemütlichen Spree, die sich in die Havel ergießt? Wahrhaftig, dieser preußische Hof mit seinen Zöpfen und Gamaschen ist romantischer, als ich mir gedacht habe. Laharpe, du hinter jenen Blumenstöcken? Dir dieses Tête-à-tête mit einer Prinzessin, die die Küche besucht, und einem Hänfling, der das Glück hat, ihr in die Finger beißen zu dürfen? Wie ist sie schön! Sie ist schöner als das Bild, das Friedrich auf dem Herzen trägt, und schon in dies Bild hab' ich mich verliebt. Sich umsehend. Magisch bannt es mich an diese Räume, die sie wie ein Genius durchschwebte. Zum Fenster. Dort unten auf dem Platz die blitzenden Bajonette der manövrierenden Truppen; hier der Eingang zu den Zimmern einer Prinzessin, die zu besitzen die höchste Seligkeit der Erde wäre – und dort – wohin führt wohl jene Tür, durch welche die kleine Hüterin dieses Paradieses entschlüpfte –?Nähert sich der zweiten hintern Tür, ihm zur Rechten.

FRÄULEIN VON SONNSFELD
tritt ihm schnell und erregt entgegen.
Fort, fort! Prinz! die Königin kommt –
ERBPRINZ.
Die Königin –? Wohin denn?
SONNSFELD.

In jenes Zimmer drüben – vielleicht, daß Sie einen Ausweg finden – Um's Himmels willen, man darf Sie hier nicht gesehen haben.

ERBPRINZ
wird von ihr in die entgegengesetzte Seitentür gedrängt.
Meine Terrainkenntnis vermehrt sich schon. Ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Die Königin, begleitet von zwei ihrer Hofdamen. Fräulein von Sonnsfeld. Später der Erbprinz.

KÖNIGIN
winkt den Hofdamen.

Diese gehen ab. Sie setzt sich. Meine Tochter schon auf? Ich habe die Nacht wieder so angestrengt gearbeitet, daß ich noch ganz ermüdet bin. Diese leidige Politik! Haben Sie nicht Kamke gesehen?

SONNSFELD.
Ihrer Majestät Kammerdiener? Nein, Majestät!
KÖNIGIN.
Er bleibt so lange aus. Ich schickte ihn zu dem Erbprinzen von Baireuth.
ERBPRINZ
aus der Tür und beiseite.
Zu mir?
KÖNIGIN.

Nach den Briefen, die mir der Prinz von meinem Sohn gebracht, muß es einer der besten Fürsten des Jahrhunderts werden.

ERBPRINZ
beiseite.
Das Terrain wird günstig.
KÖNIGIN.

Mein Sohn, der die Menschen so richtig zu beurteilen versteht, schildert mir ihn als einen Charakter, dem ich [88] mich ganz vertrauen darf. Und gerade jetzt bedarf ich eines entschlossenen Beistandes mehr denn je.

SONNSFELD
erschreckend.
Ist wieder etwas im Werke, Majestät?
KÖNIGIN.

Meine ganze Kraft muß ich aufwenden. Ja, es gilt, die Würde einer Monarchie zu behaupten, deren natürlicher Vertreter es täglich mehr zu vergessen scheint, daß sich Preußen seit kurzem in die Reihe der europäischen Großmächte gestellt hat.

SONNSFELD.
Majestät, Sie wollen Unruhen stiften?
KÖNIGIN.

Ich brenne vor Begierde, einen Prinzen kennen zu lernen, den mein Sohn seiner Freundschaft würdigte –

SONNSFELD
gibt dem Erbprinzen einen Wink.
KÖNIGIN.
Sobald er da ist, liebe Sonnsfeld –
SONNSFELD
zeigt auf den herausgetretenen Erbprinzen.
Kamke läßt ihn soeben ein! Da ist er schon.
KÖNIGIN
steht auf.
Sie überraschen mich, Prinz! Ich habe Sie nicht eintreten hören –
ERBPRINZ.
Ihre Majestät schienen in so tiefe Betrachtungen versunken –
KÖNIGIN
beiseite.
Ein einnehmendes Äußere, ein geistvolles Auge. – Hat Ihnen mein Kammerdiener ...?
ERBPRINZ.

Im Begriff auszugehen, begegnete mir dieser Biedermann auf der Treppe meines Hotels. Er drückte mir den unverzüglichen Befehl Ew. Majestät aus –

KÖNIGIN.

Bitte, Erbprinz –! Setzt sich und winkt dem Erbprinzen, ein Gleiches zu tun. Meinen herzlichsten Dank für die überbrachten Briefe meines trefflichen Sohnes. Eine Stelle, die ich wohl mehr als zehnmal überlesen habe, läßt mich vermuten, daß Sie über einen gewissen Plan, eine gewisse Angelegenheit bereits von ihm unterrichtet worden sind –

ERBPRINZ.
Jawohl, jawohl, Majestät! Beiseite. Ich weiß kein Wort.
KÖNIGIN.

Ich bin sehr glücklich, daß ich wie immer, so auch hier mit meinem Sohn ganz einverstanden bin, und auch Sie billigen gewiß vollkommen unsere Ansicht von diesem Gegenstande?

ERBPRINZ.
Ohne Zweifel, vollkommen, ganz Ihrer Ansicht. Beiseite. Über was für einen Gegenstand?
KÖNIGIN.
Mein Sohn schreibt mir, daß ich auf Ihre Teilnahme in dieser Angelegenheit unbedingt rechnen kann.
ERBPRINZ.

Er hat nicht zuviel gesagt, Majestät. Als ich aber von ihm Abschied nahm, rief er mir noch in den Wagen nach: Lieber Freund, über diesen bewußten Gegenstand wird dir die [89] Königin, meine gnädigste Mutter, noch das Ausführlichere und Umständlichere mitteilen.

KÖNIGIN.
Das ist ganz sein Stil! Sie sehen mich bereit dazu.
ERBPRINZ
beiseite.
Das verwickelt sich.
KÖNIGIN.

Sie wissen, daß der brandenburgische Kurhut erst seit kurzem mit der preußischen Königskrone vertauscht wurde. Obgleich ursprünglich eine hannöverische Prinzessin, fand ich doch in Preußens Größe mein Glück, in Preußens Ruhm meinen Stolz. Kein Staat hat in der Wahl seiner Bundesgenossen, Verschwägerungen und Verwandtschaften Ursache, so vorsichtig zu sein, wie der unsrige. Und deshalb gibt es auch gewiß keinen Gegenstand, der in diesem Augenblick so lebhaft, so ausschließlich die Aufmerksamkeit und das Interesse des Landes in Anspruch nehmen darf, als eine Frage, die auch bereits alle Kabinette Europas beschäftigt, eine Frage, die Sie ohne Zweifel schon erraten haben.

ERBPRINZ.
Ich glaube Ew. Majestät vollkommen zu verstehen. Beiseite. Was meint sie nur?
KÖNIGIN.

Ich bin gewiß ohne Stolz. Aber wenn man einem Hause angehört, das wie das hannöverische kürzlich die Ehre gehabt hat, auf den Thron von England berufen zu werden, wenn man die Tochter eines Königs, die Mutter eines künftigen Königs, die Gemahlin eines Königs ist, dann werden Sie einsehen, daß ich für die Zukunft meiner Tochter Rücksichten zu nehmen habe, die mich bestimmen müssen, jede politische Mesalliance zu vermeiden.

ERBPRINZ.

Mesalliance? Ihrer Prinzessin Tochter?Verwirrt. Ich muß gestehen – von diesen Verhält nissen war ich – nur oberflächlich unterrichtet –

KÖNIGIN.

Was ich Ihnen, Ihrer gewissenhaftesten Verschwiegenheit, mitteilen werde, Prinz, ist ein Geheimnis und das Ergebnis der ernstesten Kombinationen. Sie wissen, an welchem Hofe ich lebe. Man entzieht mir den Einfluß, der mir als Landesmutter gebührt. Der König hat sich mit Personen umgeben, die ihn von mir entfernt halten. Wie wird diese Gesellschaft von Korporalen und Wachtmeistern meinen tieferwogenen Plan aufnehmen? Wie werd' ich den König selbst gestimmt finden in einer Angelegenheit, die für das Glück seiner Kinder, den Ruhm seines Hauses entscheidend ist? Sehen Sie da, Prinz, den Punkt, wo ich fühle, daß ich eines Mannes von Ihrem Scharfsinn, Ihrer Beobachtungsgabe bedarf, um zu wissen, was ich hoffen darf, oder Entschlossen. wenn es sein soll – was ich wagen muß!

[90]
ERBPRINZ.
Es soll meine eifrigste Sorge sein, das Vertrauen Ew. Majestät zu rechtfertigen. Beiseite. Himmel –!
KÖNIGIN.

So erfahren Sie denn eine im geheimen bereits abgeschlossene Verhandlung, an welcher sich sämtliche nächste Anverwandte unsers Hauses bereits beteiligt haben, und in welche ich nun auch Sie, den Freund meines Sohnes, hiermit feierlich einweihe. Meine Tochter wird die Gemahlin meines Neffen, des Prinzen von Wales, und somit die künftige Königin von England! Beide stehen auf.

ERBPRINZ
beiseite.
Schöne Konkurrenz das!
KÖNIGIN.

Sie sehen, Prinz, was auf dem Spiele steht! Wollen Sie es übernehmen, diese wichtige, für Europa bedeutungsvolle Frage mit meinem Gemahl zu vermitteln?

ERBPRINZ.
Ich? Vermitteln? Mit – mit Vergnügen, Majestät! Beiseite. Abscheuliche Kommission!
KÖNIGIN.

Nun denn, so beginnen Sie! Der König kommt. Sie werden sich ihm vorstellen. Benutzen Sie den günstigen Augenblick, ihn auf seine Meinung über den Thron von England zu bringen, und teilen Sie mir dann unverzüglich Ihre Resultate mit!

ERBPRINZ.
Ich bin so überrascht von dieser – ehrenvollen Wendung – Wann darf ich Ew. Majestät aufwarten?
KÖNIGIN.

Zu jeder Zeit, doch am liebsten des Abends, wo sich während der Ihnen geschilderten Gesellschaft des Königs meine Getreuen in aller Stille um mich versammeln. Leben Sie wohl, lieber Erbprinz von – von – sieh, sieh, hat mein Sohn vergessen zu schreiben, ob Sie einst Ansbach oder Baireuth bekommen werden! Man verwechselt immer diese kleinen Fürstentümer – Ansbach und Baireuth, Baireuth und Ansbach, jawohl, lieber Erbprinz von – Ansbach! Also: Preußen, Hannover und England! Ab mit stolzer Herablassung zur Seite.

6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Erbprinz. Dann Eversmann.

ERBPRINZ
allein.

Die künftige Königin von England? Und ich der Erbprinz von Ansbach! Das war ein grausamer Schlag des Himmels. Ich, ich soll der Vermittler dieser Weltbegebenheiten werden? Dies engelgleiche Wesen, das ich mit jedem Atemzuge heißer, feuriger liebe, die holdselige Schwester meines Friedrich, sie soll ein Opfer politischer Kabalen sein? Nein, sie kann den Prinzen von Wales nicht lieben, sie hat ihn ja nie gesehen. Aber wird man sie fragen? Wird die kalte Politik[91] ihrem Herzen Gehör schenken? – – Die Parade scheint zu Ende. Die Suite nähert sich dem Schloßhof. Unmöglich kann ich jetzt in dieser aufgeregten Stimmung dem Könige begegnen Sieht sich nach einem Auswege um.

EVERSMANN
mit einem großen Buche und hinterm Ohre eine Feder, will zur Königin.
ERBPRINZ
beiseite.
Wer ist das?
EVERSMANN
sieht den Erbprinzen von oben bis unten an, geht dann einige Schritte weiter und bleibt wieder stehen.
ERBPRINZ
beiseite.
Sollte man mich beobachtet haben?
EVERSMANN
geht zur Tür der Königin und bleibt wieder stehen, indem er den Erbprinzen frech betrachtet.
ERBPRINZ.
Was sieht Er mich so an? Ich bin der Erbprinz von Baireuth.
EVERSMANN
bleibt gleichgültig, geht einige Schritte vor, verbeugt sich unbedeutend und sagt.
Se. Majestät kommen soeben von der Parade, geben aber in diesem Zimmer keine Audienz.
ERBPRINZ.
Ich danke Ihm für die Auskunft.
EVERSMANN.
Nicht Ursache.
ERBPRINZ.
Wer ist Er denn?
EVERSMANN.
Ich? Längere Pause. Ich bin Eversmann. Ab zur Königin.
ERBPRINZ.

Eversmann? Vielleicht der Finanzminister oder der Haushofmeister? Die Sparsamkeit sieht ihm wenigstens aus allen Knopflöchern heraus. Man hört dicht an dem hintern Haupteingange Trommeln und das Präsentieren von Gewehren. Der König kommt? Der König! Wie fühl' ich mich nur plötzlich so beengt, so zaghaft? Entsinkt mir denn der Mut, dieser Merkwürdigkeit des Jahrhunderts entgegenzutreten? Ich will ihn doch lieber erst von der Seite abwarten. Er stellt sich dicht an die Tür links von ihm.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Der König hinter der Szene. Der Erbprinz. Dann Eversmann. Später die Königin und die Prinzessin Wilhelmine.
Es erfolgt an der Tür ein starkes Klopfen mit einem Stock.

ERBPRINZ.
Herein!
KÖNIG
hinter der Szene.
Eversmann!
ERBPRINZ.
Was ist denn das nun wieder?
KÖNIG
schlägt wieder sehr stark mit dem Stock an die Tür.
Eversmann!
ERBPRINZ.
Ich glaube, das Schloß ist behext!Schlüpft in die Tür rechts.
[92]
KÖNIG
klopft noch stärker.
Hört Er denn nicht, Eversmann?
EVERSMANN
kommt schnell von der Königin zurück.
Majestät, es ist ja auf.
ERBPRINZ
beiseite.
Majestät? Ist das der König?
KÖNIG
draußen auf dem Korridor, aber nicht zu sehen.
Im Vorbeigehen! Weiß Er denn, Eversmann, daß heute der große Revisionstag ist?
EVERSMANN.
Jawohl, Majestät. Ich kollationiere auch eben die Bücher Ihrer Majestät der Königin!
KÖNIGIN
tritt horchend und furchtsam heraus.
Ist das die Stimme des Königs?
KÖNIG
draußen.

Eversmann, sag' Er doch dem Schloßmeister: Nach elf Uhr ist bei meiner Frau Feierabend, und wenn es noch öfters vorkommt, daß ich bei ihr bis ein Uhr nach Mitternacht Licht sehe, so komm' ich mal in der Nacht mit Glockenschlag zwölf hier herüber und untersuche jeden Winkel, was hier für politische Ränke geschmiedet werden. Sag' Er's lieber meiner Frau selbst, hört Er? Damit sie sich danach zu richten hat!

EVERSMANN.
Damit sie sich danach zu richten hat!
KÖNIGIN
sich zurückziehend.
Elender Sklave! Ab.
ERBPRINZ
beiseite.
Wird er denn jetzt gehen?
KÖNIG
draußen.
Eversmann!
EVERSMANN.
Majestät –
KÖNIG
draußen.
Hör' Er, und geh' Er dann vors zweite auch zu meiner Tochter, Prinzessin Wilhelmine –
WILHELMINE
tritt leise auf.
EVERSMANN.
Zur Königlichen Hoheit.
KÖNIG
draußen.
Und sag' Er ihr, sie sollte sich in acht nehmen, der Laharpe – das wäre ein Spitzbube.

Beiseite.
WILHELMINE.
Laharpe.
ERBPRINZ.
Was ist das?
KÖNIG.
Der Laharpe ist ein Spitzbube, sag' ich.
EVERSMANN.
Spitzbube.
KÖNIG
draußen.

Dem Kronprinzen, sag' Er das meiner Tochter, würd' ich anstreichen, französische Vagabunden hierher zu schicken, die sich für feine Sprachmaitres ausgeben und hintennach nichts anderes sind als ganz gewöhnliche, niederträchtige Perückenmacher!

WILHELMINE
im Abgehen.
Abscheulich! Ab.
ERBPRINZ
beiseite.
Perückenmacher?
KÖNIG
draußen.
Jetzt revidier' Er wieder die Rechnungen.
EVERSMANN.
Pünktlichst besorgt, Majestät.
KÖNIG
draußen.
Eversmann, noch eins! Eversmann!
[93]
EVERSMANN.
Majestät?
KÖNIG.
Und wenn Er den Erbprinzen von Baireuth sieht –
ERBPRINZ
beiseite.
Kommt die Reihe auch an mich?
KÖNIG.
Den französischen Windbeutel, der sich seit gestern hier in Berlin herumtreibt. –
ERBPRINZ
beiseite.
Schöne Charakteristik!
EVERSMANN.
Ew. Majestät wollten ihn nicht annehmen, werd' ich sagen.
ERBPRINZ
beiseite.
Schurke!
KÖNIG
draußen.

Nein, Eversmann, sag' Er ihm, ich hätte ihm etwas Wichtiges mitzuteilen, etwas sehr Vertrauliches, hört Er –

ERBPRINZ
beiseite.
Mir etwas Vertrauliches?
KÖNIG.
In einer sehr pressanten Angelegenheit –
EVERSMANN.
Ach so, ich weiß schon –
KÖNIG.
Er weiß schon? Was weiß Er denn? Gar nichts. weiß Er –
EVERSMANN.
Ich meinte, man könnte vielleicht schon erraten –
KÖNIG
immer draußen.

Erraten? Was hat Er zu erraten? Gar nichts hat Er zu erraten – versteht Er mich? Einfaltspinsel! Kommandiert. Schultert das Gewehr! Marsch! Ab.


Trommelschlag der sich sogleich verliert.
ERBPRINZ
kommt schnell zurück auf Eversmann zu.
Was wissen Sie? Was glauben Sie, daß der König mir zu sagen hat?
EVERSMANN.
Ei, ei, Ew. Hoheit sind noch hier?
ERBPRINZ.
Der König wünscht mich zu sprechen. Sie wissen weshalb? Sagen Sie, was vermuten Sie?
EVERSMANN.

Wenn Sie mich nicht verraten wollen, Hoheit, so glaub' ich, Sie sollen in einer gewissen Angelegenheit – zwischen Preußen und Österreich –

ERBPRINZ.
Österreich?
EVERSMANN.

Erzherzog Leopold soll nicht abgeneigt sein, wissen Sie, wenn nämlich – Pfiffig auf das Zimmer der Prinzessin zeigend. Prinzessin Wilhelmine –

ERBPRINZ
sich steigernd.
Die Prinzessin?
EVERSMANN.

St! Man wird Sie vermutlich als Unterhändler oder Vermittler in einer Angelegenheit zwischen Preußen und –

ERBPRINZ
außer sich.
Die Prinzessin wäre bestimmt –
EVERSMANN.
Zur künftigen Kaiserin von Österreich! Ab zur Königin.
ERBPRINZ
allein.

Kaiserin?! Königin?! Und ich, der ich sie bis zum Rasendwerden liebe, ich soll der Vermittler dieser Partien [94] werden? Das führt ja geradewegs in ein Trauerspiel oder – Nach einer Pause, heiter. Mut! Mut –! ich denke, in eine Komödie, wie sie an einem Hofe lustiger noch nicht gespielt worden ist! Ab.


Der Vorhang fällt.

2. Akt

1. Szene
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Grumbkow und Seckendorf treten mit Eversmann ein der ein orangenfarbenes großes Ordensband mit vielen Orden und einen glänzenden Degen über dem Arm trägt.

GRUMBKOW.
Eine Depesche, Eversmann?
SECKENDORF.
Aus Hannover, sagten Sie?
GRUMBKOW.
Und der Staat da? Das Ordensband? Der Prachtdegen?
EVERSMANN.
Alles gleich nach Ankunft der Depesche von Sr. Majestät bestellt.
SECKENDORF.

Eine Depesche aus Hannover – vor einer Stunde angekommen – grand cordon bestellt – Staatsdegen – wir müssen kombinieren, Grumbkow.

EVERSMANN.

Und die Tafel ist heute um zwölf Kuverts vermehrt; Bedeutend. 36 Taler sind für den Mittagstisch ausgesetzt; alles soll en grande parure erscheinen.

SECKENDORF.

Eine Depesche ist aus Hannover angekommen – grand cordon – Staatsdegen – zwölf Kuverts – 36 Taler – wir müssen kombinieren, Grumbkow.

EVERSMANN.

Und als er das Siegel von der Depesche abgerissen, da hat er zwei schwere Tränen vergossen und gesagt: Ich will sie alle glücklich machen und sollt' ich mit Kolben dreinschlagen! Und nun ist er in Feuer und Flammen und will ganz Berlin zu Tische laden –

GRUMBKOW.
Für 36 Taler –
EVERSMANN.
Und die Waisenkinder sollen neu gekleidet werden –
GRUMBKOW
betroffen.
Auch noch die Waisenkinder? Das ist eine Vermählungsgeschichte!
SECKENDORF.

Depesche – Hannover – 36 Taler – zwei [95] Tränen – mit Kolben dreinschlagen – man muß nur kombinieren, Grumbkow.

EVERSMANN.
Ich glaube, er kommt. Erschrocken. Der König!
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Der König zur Tür von der Seite hereinsehend. Die Vorigen.

KÖNIG.

Guten Morgen, guten Morgen! Wünsche wohl geruht zu haben, meine Herren! Nun, wo bleibt Er denn mit dem Bettelstaat? Da fehlen ja noch die englischen Orden. – Bind' Er mir gleich alles fest, daß einem der Plunder nicht so am Leib herumschlenkert.

EVERSMANN
scherzend.
So was Großes ist im Werke? Wünschen Ew. Majestät nicht auch die Krone?
KÖNIG.

Narr! Die Krone! Tritt heraus. Sei Er froh, daß Er sie nicht zu tragen braucht! Geh' Er jetzt, Eversmann, bring' Er alles in Ordnung.

EVERSMANN
ab.
KÖNIG
sehr erregt.

Guten Morgen, Grumbkow und Seckendorf! Hab' heute keine Zeit. Sagen Sie dem preußischen Staat ein Kompliment und er sollte mich heut' einmal in Ruhe lassen. Guten Morgen, guten Morgen! Die beiden Minister wollen sich zögernd empfehlen.

GRUMBKOW
an der Tür.
Ew. Majestät sind in einer ganz besonders fröhlichen Laune –
SECKENDORF.
Sollte vielleicht die Ankunft des Kuriers –
KÖNIG
gleichgültig.
Ja – es ist ein Kurier angekommen –
GRUMBKOW.
Aus Hannover?
KÖNIG.
Aus Hannover.
SECKENDORF.
Von Wichtigkeit, Majestät?
KÖNIG.
Von Wichtigkeit.
GRUMBKOW.
Wahrscheinlich über englische Angelegenheiten?
KÖNIG.
Über englische Angelegenheiten –
SECKENDORF.
Höchstwahrscheinlich über den ostindischen Handelstraktat?
KÖNIG.
Nein, nein.
GRUMBKOW.
Über den holländischen Schiffsvertrag?
KÖNIG
sich an der Neugier beider weidend.
So was. Guten Morgen!
GRUMBKOW
beiseite.
Heute wieder eine ganz desperate Laune.
SECKENDORF
beiseite im Abgehen.
36 Taler – zwölf Kuverts – die Waisenkinder – man muß nur kombinieren. Beide ab.
3. Auftritt
[96] Dritter Auftritt.
Der König. Dann Eversmann.

KÖNIG.
Fort sind sie! Endlich ein Augenblick für mich allein.
EVERSMANN
tritt ein.
KÖNIG.
Ich bin übermenschlich glücklich.
EVERSMANN.
Gratuliere untertänigst.
KÖNIG.
Danke. Ja, denk' Er sich – ja so – Beiseite. niemand soll's ja wissen.
EVERSMANN.
Wollten sich nicht Ew. Majestät –
KÖNIG.

Umkleiden? Zieh' Er mir den Rock aus. Nichts soll gespart werden. Man soll wissen, daß ich einen Schatz habe; man soll wissen, daß ich nur gewöhnlich geizig bin, sonst aber auch draufgehen lassen kann, wenn sich dazu eine Gelegenheit bietet, eine Gelegenheit wie jetzt, wo es sich –Herausplatzend. denk' Er sich, Eversmann – Besinnt sich wieder. ja so!

EVERSMANN
zieht dem König den Rock aus.
Majestät werden doch wohl die gestickte Uniform anziehen?
KÖNIG.

Die gestickte Uniform, Eversmann. Natürlich, ich erwarte Gäste, denen man Ehre erzeigen muß, große Ehre; denn ich denke immer, wenn es sich um die Ankunft von Personen – Setzt sich. Zieh' Er mir die Stiefeln aus!

EVERSMANN
schickt sich dazu an.
Es geht schwer.
KÖNIG.
War der Erbprinz schon da?
EVERSMANN.
Machen Ew. Majestät seinetwegen soviel Umstände?
KÖNIG.

Seinetwegen? Vielleicht! Beiseite. Ich will sie alle irreführen. Laut. Au! Flegel, meine Hühneraugen! Ich glaube gar, Er will mir absicht lich wehe tun, weil ich – Ihm nichts sage?

EVERSMANN.
Majestät, ich habe ja noch gar nicht gefragt!
KÖNIG.

Ich würd' Ihn auch bei Fragen! Warum lacht Er denn? He? Hol' Er mir meinen Schlafrock, bis die Uniform da ist –

EVERSMANN
will hineingehen.
KÖNIG.
Heda! warum hat Er vorhin gelacht?
EVERSMANN.
Ach – bis ich Ew. Majestät den Hut in die Hand gegeben habe, haben Sie mir's doch gesagt.
KÖNIG
droht ihm mit dem Stock.
Er untersteht sich?
EVERSMANN
retirierend.

Es muß ja alles heraus bei Ew. Majestät. Es gibt bloß eins, was Ew. Majestät gut bei sich behalten können, das ist das Geld – Ha, ha! Ich hole den Schlafrock. Ab.

4. Auftritt
[97] Vierter Auftritt.
König allein und sitzend, in Hemdärmeln. Dann Lakai und der Erbprinz.

KÖNIG.

Er hat recht. Es drückt mir's Herz ab. Aber sie sollen alle nichts erfahren, sie sollen nicht! Sie haben mir meine liebsten Pläne schon verdorben. Ich will andere Saiten aufziehen und die Kamele alle 'nmal durch ein Nadelöhr schicken. Sie glauben, ich bin für Österreich, aber, haha! Englands eigener Antrag durch den hannöverschen Kurier hat mich überrascht, England ist die Idee meiner Frau, so bin ich denn auch für England, und nun bald Hochzeit und Kindtaufe.

LAKAI
tritt ein und meldet.
Se. Hoheit der Erbprinz von Baireuth.
KÖNIG.
Ganz genehm!
LAKAI
ab.
ERBPRINZ
tritt ein, beiseite.
Sind das die Zimmer des alten Brummbärs? Zum König. Ist das das Kabinett des Königs?
KÖNIG.
Zu dienen.
ERBPRINZ.
Geh' Er hinein und meld' Er mich. Ich bin der Erbprinz von Baireuth!
KÖNIG
staunend beiseite.
Wofür hält mich der?
ERBPRINZ.

Aber wie sieht Er denn aus? Schäm' Er sich. Er ist der Kammerhusar des Königs und empfängt so Personen, denen sein König Audienz geben will?

KÖNIG.
Wollten – Ew. Hoheit – den König von Preußen sprechen?
ERBPRINZ.
Er hört's ja. Meld' Er mich!
KÖNIG.
Den Augenblick, Hoheit. Will ab.
ERBPRINZ.
So will Er zu Seinem Herrn? In Hemdärmeln?
KÖNIG.
Ich stehe mit dem König auf einem sehr vertrauten Fuße! Ab.
ERBPRINZ
allein.

Ein merkwürdiger Hofstaat das! In den Antichambres stehen die Kammerhusaren in Hemdärmeln! Ich vermute, aus Sparsamkeit, um die Livreen zu schonen. – Also! Die Stunde ist da. Die Würfel werden fallen. Wilhelmine! Sie und nur sie! – Sie sollte einwilligen, sich mit dem gemalten Bilde eines Prinzen von Wales, mit dem bunten Schattenriß eines niegesehenen Erzherzogs von Österreich zu vermählen? Ich rechne auf den Genius der Liebe, auf den Zufall, der mir vielleicht günstiger ist, als ich erwarte! Die Eltern sind uneins, so gewinn' ich Zeit, mir – Wilhelminens Herz zu erobern. Der König kommt. Jetzt werd' ich seine günstigen Ansichten über – Österreich hören.

5. Auftritt
[98] Fünfter Auftritt.
König jetzt mit dem Ordensbande. Der Erbprinz. Ein Lakai.

KÖNIG
tritt näher.
ERBPRINZ
betrachtet ihn.
Ist das nicht –
KÖNIG.
Ja, stutzen Sie nur. Eine kleine Verwechselung!
ERBPRINZ
in Verlegenheit.
Meine Unbekanntschaft, Majestät –
KÖNIG.

Hat nichts zu sagen. Aber Sie waren schrecklich grob. Na, die Kammerhusaren tragen dicke Pelze. Also – ich wünschte Sie zu sprechen. Mein lieber Erbprinz von Baireuth – kommen Sie jetzt eben von Baireuth?

ERBPRINZ.
Zu Befehl, Ew. Majestät. Das heißt, vor – vor drei Jahren bin ich von Baireuth abgereist.
KÖNIG.
Und waren – in der Zeit?
ERBPRINZ.
In – in – England!
KÖNIG.
Ah! – – Lange in England?
ERBPRINZ
beiseite.

Jetzt sollt' ich nun wohl bei ihm für Österreich wirken und England schlecht machen? Laut. In England? Hm! Lange genug, um dies verkehrte und überwiegend lächerliche Land nach allen seinen Beziehungen kennen zu lernen.

KÖNIG.

Was? England? Hören Sie! Da können wir noch lange laufen, bis wir dahin angekommen sind, wo schon jetzt die Engländer stehen. Hm – hm – Waren Sie denn auch in Italien, Österreich, da so herum?

ERBPRINZ
beiseite.

Ist er denn für England? Ich denke für Österreich? Er ist für Österreich! Laut. Österreich? O wohl! Eine ausgezeichnete Regierung, ein Gewerbfleiß, ein Handel, ein Verkehr, Bewegung und Leben in allen Kreisen.

KÖNIG.
Hören Sie, Bewegung? Die wird sich in Österreich noch halten lassen.
ERBPRINZ
beiseite.
Ist er denn nicht für Österreich? Ich glaube, ich insinuier' mich gar nicht!
KÖNIG
beiseite.

Sollt' er sich bereits mit Seckendorf und der ganzen Clique verständigt haben und mir zu Munde reden wollen? Laut. Hübsches Ländchen da, Ihr Baireuth. Boden etwas steinig. Bringt Ihrem Vater wohl nicht viel ein?

ERBPRINZ.
Man verbessert jetzt bei uns das Erdreich. Beiseite. Schöne geographische Vorurteile!
KÖNIG.

Wohl durch die Lustschlösser, die Ihr Herr Vater bauen läßt? Was ist nur dem Mann eingefallen? Baut ja einen Firlefanz nach dem andern, ganz à la Ludewig quatorze, und stürzt sein Land in Schulden. Wieviel Schulden hat denn so beiläufig Ihr Ländchen?

[99]
ERBPRINZ
beiseite.
Weiß ich wahrhaftig selbst nicht. Dreist. Zehn Millionen.
KÖNIG.
Zehn Millionen!
ERBPRINZ.
Etwas mehr oder weniger.
KÖNIG.

Großer Gott, und wer soll denn die einmal bezahlen? Und bei solchen Kameralverhältnissen reisen Sie in Europa herum und tragen das bißchen Geld auch noch aus dem Lande?

ERBPRINZ.
Sire, man bildet sich.
KÖNIG.

In Versailles? In Rheinsberg? Nun darüber genug, lassen wir das. Pfeift sich den Anfang des Dessauer Marsches. Sagen Sie mal, Sie haben ja da bei meinem Sohn so manchmal in der Heidenkomödie mitgespielt?

ERBPRINZ.
Vertrautenrollen – ja, Majestät.
KÖNIG.

Gut, ich wollte wegen der Heidenkomödie mit Ihnen sprechen. Prinz, Sie sind ein Mann von Geschmack, wie man sagt, einer, der so recht das gottlose römische und griechische Wesen innehat. Da ich nun gesonnen bin, die Vermählung meiner Tochter mit jedem Aufwand zu feiern, der meiner Krone geziemt, so wollt' ich Sie gebeten haben, sich mit meinem Sohn zu verständigen, wie man acht Tage lang auf eine amüsante und graziöse Manier die Höfe von Polen, von Sachsen, von Braunschweig, von Mecklenburg, die alle herkommen werden, unterhalten kann, und wie man überhaupt mit unserer Hochzeit Ehre einlegt.

ERBPRINZ.
Hochzeit – Ihrer Prinzessin Tochter?
KÖNIG.

Ja, Erbprinz. Kanonenschüsse, die liefert meine Artillerie. Manövers, Revüen, Paraden, das ist meine Sache; dafür soll gesorgt werden. Aber abends, immer werden mir da die fremden Herrschaften in Berlin müde, da nicken sie ein; Biertrinken und Tabakrauchen ist leider noch nicht jedermanns Sache, und so muß man schon mit dem Strom gehen und für angemessene Unterhaltung sorgen durch Illumination, Operas, allegorische Geschichten und dergleichen Schnickschnack über – Preußen und England –

ERBPRINZ.
England?
KÖNIG
steht auf.

Wetter, das ist mir so über die Zunge gelaufen wie der Hase übern Weg! Hm! ich meine ein Spektakulum von – na, also immerhin! – ja, Einhorn, Adler, Adler, Einhorn, Leoparden, immer eins ins andere, Preußisches und Englisches, und gereimt muß es auch sein, sozusagen gedichtet –

ERBPRINZ.

England? Diese Nachricht ist so überraschend – das ganze Land, Europa, die Welt wird erstaunen, wie England zu der Ehre kommt!

[100]
KÖNIG.

Oho, schmeicheln Sie dem alten Kammerhusaren nicht! Mit England sind das schon alte Geschichten und von meiner Frau seit Jahren eingefädelt.

ERBPRINZ.

Von der Königin? Ich glaube, daß Ihre Majestät die Königin – bei weitem mehr – für – für Österreich sein wird.

KÖNIG.

Für Österreich? Beiseite. Das konnt' ich mir denken, daß die schon wieder ihren eigenen Willen haben muß. Laut und entschieden. Nein, heut' hab' ich einen Kurier von unserm Gesandten bekommen, der mich versichert, daß es England mit dieser im stillen abgekarteten Heirat Ernst ist! Der Prinz von Wales hat sich in England eingeschifft, und man vermutet, daß er bereits an der hannöverschen Küste gelandet ist. Einstweilen ist im strengsten Inkognito ein Bevollmächtigter von London abgegangen, der alle Punkte dieser Heirat mit mir verhandeln soll. Dieser Gesandte kann jede Stunde in Berlin eintreffen. Sie würden mich also sehr verbinden –

ERBPRINZ
in Verzweiflung.
Soll es denn ein Schäferspiel sein?
KÖNIG.

Ja! Und der Kronprinz kann dabei die Flöte blasen, die er doch nun mal hinter meinem Rücken gelernt hat.

ERBPRINZ
will gehen und kommt wieder.
Und die Herrschaften sollen selbst darin mitspielen?
KÖNIG.

Na freilich. Ja! Schreiben Sie jedem was zu sagen vor – mir nichts. Grumbkow aber, der soll mitspielen, die Viereck, die Sonnsfeld, Seckendorf auch –

ERBPRINZ
geht wieder zurück.
Englisch oder Französisch?
KÖNIG.

Nein! Lauter reines feuriges Deutsch! Hochdeutsch, verstehen Sie, nicht etwa Berlinisch. Vertraulich. Und wenn Sie etwas Holländisch dabei anbringen könnten, so wäre mir das aus gewissen Handelsrücksichten nicht unerwünscht, da es doch in die Zeitungen kommt und der holländische Gesandte zugegen ist – die Einfuhr des Tabaks müssen – Sie nämlich wissen Ins Ohr und mit dem Gestus des Rauchens. rauchen kann der feine Herr wohl nicht?

ERBPRINZ
verzweifelnd.
Das nicht, Majestät, aber meine Phantasie, die dampft schon wie ein Vulkan!
LAKAI
tritt ein.
Die Geheimen Räte bitten dringend Ew. Majestät um gnädiges Gehör.
KÖNIG.

Die muß die Neugier plagen! Na mal herein mit! Lakai ab. Also wie gesagt! Allegorische Epithalamien! Nicht so ganz in der Manier von Versailles, aber doch ein Polterabend, der sich vor denen da drüben in – ich meine in Dresden – nicht zu sehr zu verstecken braucht. Und Holland! Bringen Sie mir [101] ja etwas von den Kolonien – von dem Land an, Erbprinz, wo der Tabak wächst. Sie wissen doch – es ist das Land –

ERBPRINZ
außer sich.
Wo der Pfeffer wächst! Ab.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Grumbkow und Seckendorf jeder mit einem kleinen Pack rotgebundener Bücher unterm Arm. König, dann Eversmann.

GRUMBKOW.

Majestät halten zu Gnaden, sollte man glauben, daß im Schoß der königlichen Familie so unerhörte Frevel im Werke wären!

KÖNIG.
Was gibt's denn schon wieder?
GRUMBKOW.

Ew. Majestät wissen bereits von dem Franzosen, der ohne Legitimation auf den Straßen Berlins herumlief und sich sogar zu sagen erdreistete, er würde als Sprachmaitre bei Prinzessin Wilhelmine angestellt werden.

KÖNIG.
's ist ein Perückenmacher aus Orleans.
SECKENDORF.

Aber man ist auf weitere Kombinationen gekommen, Majestät. Man hat bei diesem Menschen Bücher gefunden, die einen gefährlichen Zusammenhang mit Rheinsberg voraussetzen lassen –

GRUMBKOW.

Überzeugen sich Ew. Majestät. Diese unsittlichen französischen Schriften tragen sämtlich die Chiffre Sr. Hoheit des Kronprinzen.

SECKENDORF.
F. P. R.
GRUMBKOW.
Frédéric Prince Royal!
KÖNIG
wallt zornig auf, nimmt eins der Bücher und klingelt.
EVERSMANN
kommt.
KÖNIG.
Eversmann! Mit Pathos. Meine Brille!
EVERSMANN
ab.
Kehrt sogleich mit dem verlangten großen Glase, das jedoch nicht zum Aufsetzen ist, zurück.
KÖNIG.

Der Generalfiskal soll die Papiere des Landstreichers aufs genaueste untersuchen. Ich will keine französischen Possenreißer im Lande. – Sieht eins der Bücher an. Der Stempel des Kronprinzen! Aber nein! Nein! Der Vagabund hat sie ihm gestohlen!

GRUMBKOW.
Oder sind sie für den Unterricht der Prinzessin Wilhelmine bestimmt –
KÖNIG.

Dieser Genre von Büchern! Solche französische – sieh! sieh! Das ist – das ist ja wohl gar der abscheuliche Roman von dem buckligen Scarron, dem Gemahl der saubern Madame Maintenon, die berüchtigte Satire auf unsern Hof.

GRUMBKOW UND EVERSMANN.
Unsern Hof?
[102]
KÖNIG
blätternd.
Eine Satire auf uns alle, auf mich, auf Seckendorf, auf Grumbkow, auf Eversmann –
EVERSMANN.
Auch auf mich?
KÖNIG
ernst.

Der Kronprinz hat alles unterstrichen, damit man's besser versteht. Ein Marschall mit dem Beinamen le Chicaneur. Sie wissen doch, das sollen Sie sein, Grumbkow?

GRUMBKOW.
Empörend!
KÖNIG.

Der Ambassadeur Vicomte de la Rancune mit dem Beinamen le petit combinateur; Seckendorf, das sind Sie.

SECKENDORF.
Völkerrechtswidrig!
KÖNIG.
Und Eversmann, den nennt er immer la Rapinière. Das heißt soviel als »der alte Nimmersatt«!
EVERSMANN.

Der Racker! Und solche Bücher kommen ins Land herein und werden noch ordentlich vom Kronprinzen gestempelt?

KÖNIG.

Ist Wilhelmine beteiligt – es wäre empörend. Der Generalfiskal soll alles streng untersuchen. Im äußersten Zorn. Ist denn für mich kein ruhiger Augenblick möglich!

EVERSMANN.
Majestät, die gottlosen Bücher sollen in die Scharfrichterei, damit sie öffentlich verbrannt werden?
KÖNIG.

Nein, nicht als Fidibus in unserm Kolleg möcht' ich sie haben. Nicht einmal zum Verbrennen für die Festlichkeiten, die wir – Meine Herren, schütteln Sie's ab wie ich. Heut' abend, wenn unser Pfeifchen dampft und glüht, bei einem Trunke deutschen Gerstensaftes, machen wir uns dafür ebenso über Versailles und das ganze französische Ministerium lustig.

GRUMBKOW UND SECKENDORF
beiseite.
Nicht für die Festlichkeiten –?
EVERSMANN.
Aber die Bücher werden doch verbrannt, Majestät?
KÖNIG.

Gewiß. Aber auf eine andere Manier! Schick' Er sie hinaus vors Oranienburger Tor in die Pulvermühlen. Da sollen sie für meine Grenadiere Patronen draus machen. Ab.

GRUMBKOW, SECKENDORF UND EVERSMANN beiseite. Festlichkeiten?


Alle folgen.
Verwandlung.
2. Szene
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Ritter Hotham. Kamke. Dann der Erbprinz.

HOTHAM
tritt leise und horchend durch die Mitteltür auf.

Ein Saal mit vier Türen? Richtig! Dort die Zimmer der Prinzessin? Hier die der Königin? Danke, guter Freund! Kamke ab. Ritter Hotham hält sein Inkognito aufrecht bis zur völligen Unsichtbarkeit. Von London über Hannover hab' ich mich ins Land geschmuggelt wie eine verbotene Ware. Trocknet sich die Stirn. Der Henker hole diese reitenden Staatsgeschäfte, wo man die Salonroutine des Dandy mit dem gefühllosen Knochenbau eines Postillions vereinigen muß! Seit vier Tagen bin ich nicht vom Pferde gekommen – ah! –Wirft sich in einen Sessel. Wenn die Nationen wüßten, daß man sich zur auswärtigen Politik durch mehrjährige Kurierdienste vorbereiten muß, so würden sie den Staatsmännern nicht übelnehmen, wenn sie im Alter keine Galoppaden mehr tanzen! – Wie schwer das in den Taschen liegt, wenn man ein Königreich mit sich bringt! Schlägt auf die rechte Rocktasche. Hier die Krone von England, Auf die linke. da die von Schottland und in der Westentasche die von Irland. Was werd' ich mitnehmen? Sieht sich um. Ob wohl die Vergoldungen echt sind? Sieht alles verdammt knapp und sparsam aus! Raum genug in den großen Sälen; aber ich glaube, es wohnen viele Mäuse drin – alles ist still wie ein englischer Sonntag. Erhebt sich. Ich höre kommen –

ERBPRINZ
reißt die Tür auf und bleibt in verzweifelter Stellung stehen.
HOTHAM
beiseite.
Nun?
ERBPRINZ
tritt wieder leidenschaftlich einen Schritt vor und hält sich die Hand vor die Stirn.
HOTHAM
beiseite.
Ich glaube gar, der macht Verse?
ERBPRINZ
will in gleicher Art zu den Zimmern der Prinzessin und erblickt Hotham.
Wie? Wen seh' ich?
HOTHAM
überrascht.
Täusch' ich mich?
ERBPRINZ.
Hotham? Ist es möglich? Freund, Sie in Berlin?
HOTHAM.
Prinz, was ist Ihnen nur?
ERBPRINZ.

In einem Augenblick, wo ich der Verzweiflung nahe bin, treff' ich Sie, Hotham, herrlicher, trefflicher Mensch! Ist es denn möglich! Wo kommen Sie her? Aus Paris?

HOTHAM.

Aus England. Prinz! Mit den besten Grüßen [104] von unsern Freunden und dem Auftrag, Sie womöglich einzufangen und wieder zurückzubringen in unsere Wettrennen, Fuchsjagden und Boxvergnügungen, deren leidenschaftlicher Verehrer Sie waren.

ERBPRINZ.
Hotham, für mich sind diese Freuden vorüber.
HOTHAM.
Hat Sie Ihr Vater von der Thronfolge ausgeschlossen?
ERBPRINZ.

Berühren Sie mich nicht an dem wundesten Fleck meines Daseins? Verschaffen Sie mir das Kaisertum von Marokko!

HOTHAM.
Sie haben Fieberträume oder – einen Beistand nötig, der Ihnen die gesunde Vernunft ersetzen muß?
ERBPRINZ.

Hotham, Sie sind ein Genie, ein Kopf, an dem noch manche Intrige der Feinde Ihres Vaterlandes scheitern wird – aber mir können Sie nicht helfen.

HOTHAM.

Ich wünschte es, Prinz! Ich bin Ihnen verpflichtet, ich bin Ihr Schuldner für tausend Dienste, die Sie mir bei Ihrer Anwesenheit in England geleistet haben. Sie haben mich durch Ihren Einfluß in die Nähe der ersten Staatsmänner gebracht. Sie haben mir meine Karriere als Diplomat erschlossen. Ihnen verdank' ich, was ich bin und habe – befehlen Sie über meinen Verstand, er soll für Sie denken, über meinen Arm, er soll für Sie handeln.

ERBPRINZ.
Hotham, ich bin in einer eigentümlichen Lage –
HOTHAM.

Ich widme Ihnen mein Leben. Was wär' ich ohne Sie? Durch Sie bin ich mit ehrenvollen Missionen beauftragt. Durch Sie bin ich hier.

ERBPRINZ.
Was tun Sie hier?
HOTHAM
sich umsehend.

Eine Sache von Diskretion, die ich indessen, wenn Sie verlangen, nicht Anstand nehme, Ihnen mitzuteilen.

ERBPRINZ
zerstreut.
Ich bin nicht neugierig. Wird Ihr Auftrag lange währen?
HOTHAM.
Hängt von den Umständen ab. Diese Umstände sind zarter Natur.
ERBPRINZ.
Eine Ehrenfache?
HOTHAM
leise.

Es ist eine Unterhandlung wegen eines abzuschließenden Ehevertrags – zwischen Prinzessin Wilhelmine und dem Prinzen von Wales.

ERBPRINZ
außer sich.
Sie, Sie sind der Gesandte, von dem soeben der König mit mir gesprochen hat –?
HOTHAM.
Wäre der König schon unterrichtet?
[105]
ERBPRINZ.
Sie, Sie der unwiderstehliche, geniale Diplomat, den man hier mit offenen Armen erwartet?
HOTHAM.
Der Heirat des Prinzen von Wales wäre in der Tat auch der König schon günstig?
ERBPRINZ.

Entsetzlich! Ich habe diesen Mann als ein Genie unter Tausenden herausgefunden, ich hab' ihn von Paris aus in die englische Verwaltung gebracht, und nun muß ich selbst darunter leiden, daß er mir Ehre macht! So wissen Sie denn, daß König und Königin, ohne ihr Einverständnis zu ahnen, dieser Heirat mit allem, was drum und dran hängt, beide von Herzen zugetan sind, zugleich aber auch, daß Prinzessin Wilhelmine, ein unglückliches Opfer eurer Politik, von einem Fürsten geliebt wird, der sich zwar nicht an Macht und Größe mit eurem Prinzen von Wales messen kann, der aber an Hingebung, Liebe, Leidenschaft alle nur möglichen gekrönten Bewerber um die Hand dieses Engels himmel-, ja paradiesischweit hinter sich läßt, von einem Prinzen, der ich selber bin.

HOTHAM.

Das ist eine Entdeckung, die ich nicht ahnen konnte, und, wie ich leider hinzufügen muß, keine erfreuliche. Aber sollte man Ihnen, wenn Sie sich darum bewerben, nicht die Hand der Prinzessin gewähren?

ERBPRINZ.

Einem kleinen deutschen Duodezprinzen! Wenn man die Wahl zwischen künftigen Königen und Kaisern hat! Sprechen Sie mit der Königin von mir, und Sie werden finden, daß sie regelmäßig Ansbach mit Baireuth verwechselt.

HOTHAM.

Diese Entdeckung ist um so unerfreulicher, als ich allerdings als Bevollmächtigter des Ministeriums alles aufbieten muß, das Projekt dieser Ehe zustande zu bringen.

ERBPRINZ.
Natürlich, Sie müssen ja meiner Empfehlung Ehre machen!
HOTHAM.

Und dennoch wag' ich's auszusprechen, daß vielleicht unter gewissen Verhältnissen – möglicherweise – diese Heirat mit England nicht zustande kommen dürste. In der Tat, Prinz, fassen Sie Mut! Es können Umstände eintreten, wo ich nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht hätte, jeden weitern Gedanken an diese Ehe aufzugeben.

ERBPRINZ.
Sie geben mir das Leben wieder!
HOTHAM.

Der Prinz von Wales, Hoheit, ist nicht derjenige, in dessen Auftrag ich hier erschienen bin. Mich schickt die englische Nation, das Ministerium, das englische Parlament! Sie wissen, Prinz, und haben sich bei Ihrer Anwesenheit in England selbst davon überzeugt, daß das Haus Hannover auf den Thron von England unter Umständen berufen wurde, die ihm zur Pflicht [106] machen, seinen persönlichen Willen dem allgemeinen Interesse des Staats unterzuordnen. Auf eine persönliche Neigung des Prinzen von Wales zu seiner Cousine, Prinzessin Wilhelmine, wird wenig ankommen. Lieben sie sich, lieben sie sich nicht, dem Parlament ist darüber nichts zu Protokoll gegeben. Der Prinz von Wales wird als künftiger König von England jede Verbindung eingehen, die ihm das Nationalinteresse als wünschenswert andeuten wird. Eine solche ist nun unter den gegenwärtigen politischen Konstellationen die mit der Dynastie des jugendlich aufstrebenden Königreichs Preußen.

ERBPRINZ.
Und das enthielte eine Hoffnung für mich?
HOTHAM.

Nicht liegt sie in diesem meinem unglücklichen Auftrage, wohl aber in einer Klausel desselben – diese Ehe, und war' ihr alles günstig, nur unter der Bedingung abzuschließen, Sich umsehend. daß die bisher von Preußen ausgeschlossen gewesenen englischen Waren aufs neue unter annehmbaren Bedingungen Leise. wieder eingelassen werden können.

ERBPRINZ.
Und in dies kaufmännische Projekt mischt sich eine Frage der Liebe, eine Angelegenheit des Herzens?
HOTHAM.

Ich vertrete die Herzen unserer Kaufleute, die heiß für den Thron, aber noch heißer für ihre Rimessen schlagen. Haben unsere Fabriken nichts zu hoffen, dann Reicht dem Erbprinzen die Hand. Prinz, mein Beschützer, mein Beförderer, bin ich der Ihrige, und Sie sollen sehen, daß ich noch mancherlei Talente besitze außer denen eines Diplomaten.

ERBPRINZ.
Hoffnungen zu wecken, denen die bitterste Täuschung folgen wird!
HOTHAM.
Warten Sie ab, Prinz, und vertrauen Sie!
ERBPRINZ.
Einer Merkantilfrage!
HOTHAM.

Warum nicht? Und wenn ich mich Ihnen in dem Falle, daß sich der König zu dem Handelstraktate nicht versteht, ganz gewidmet habe, wenn Sie werden gesehen haben, Prinz, daß gegen einen Fürsten, dem ich durch einen Zufall bekannt wurde und der sich als mein Wohltäter bewährte, in mir ein Herz voll Dankbarkeit schlägt, wenn Sie endlich Herz und Hand der Prinzessin wirklich werden erobert haben – dann erbitt' ich mir von Ew. Hoheit, als deutschem Fürsten, am Reichstage von Regensburg – mitten im Herzen von Deutschland – Ihren Beistand zu einer kleinen Stipulation – mit dem deutschen Reiche über unsere harmlosen, unschuldigen Fabrikerzeugnisse.

KAMKE
öffnet die Tür zur Rechten.
HOTHAM.

Alles übrige wird sich finden. Einstweilen vertrauen Sie! Dort sind die Zimmer der Königin. Leben Sie wohl! Ab.

8. Auftritt
[107] Achter Auftritt.
Der Erbprinz. Später die Prinzessin Wilhelmine.

ERBPRINZ
allein.

Land! Land! Nun wird sich operieren lassen. Einen Hotham zur Rechten, fehlt nur noch ein weiblicher Beistand zur Linken. Der Augenblick ist günstig. Ich versuche, die Sonnsfeld, die kleine Hofdame der Prinzessin, mit in die Verschwörung zu ziehen. Sie weilt hier im Vorzimmer. Ich klopfe. Geht leise an die Tür der Prinzessin und klopft. Ich höre Geräusch Klopft noch einmal. Das Rauschen eines Kleides – sie ist's – Er zieht sich etwas zurück und wendet sich dann. erst diese kleinen Vorposten gewonnen und dann an das Haupttreffen!

WILHELMINE
tritt ein.
ERBPRINZ
erschrickt.
Ah, Sie selbst!
WILHELMINE.
Sind Sie es, Erbprinz? Ich habe Ursache, recht erzürnt auf Sie zu sein.
ERBPRINZ.
Auf mich? Hoheit, warum auf mich?
WILHELMINE.
Als wenn Sie nicht wüßten, welche Beleidigung Sie mir zugefügt haben.
ERBPRINZ.
Prinzessin, wollen Sie mich rasend machen? Nun noch eine Beleidigung gegen Sie?
WILHELMINE.
Haben Sie nicht gehört, wer hinter Ihrem gelehrten Herrn Laharpe verborgen ist?
ERBPRINZ.

Prinzessin! Laharpe ist ein höchst geistreicher, ein höchst witziger Kopf! In Berlin soll man lange suchen, bis man unter den hiesigen Gelehrten einen Mann von solcher Bildung findet.

WILHELMINE.
Ein Perückenmacher ist's aus Orleans!
ERBPRINZ.

Ich sag' Ihnen, Hoheit, es ist kein Perückenmacher! Wohl versteht er die Wissenschaften bis aufs Haar, wohl hat er die Schminke studiert, aber die Schminke eines eleganten Ausdrucks, er geht mit Puder um, ja, aber mit dem Puder geistreicher Sophistik, den man gewiß in Frankreich besser als hier in die Augen zu streuen versteht – schlimm genug, Hoheit, daß die Staaten Ihres königlichen Vaters so verrufen sind, daß Männer von Geist, Poesie und Witz vom Ausland hier nicht anders zugelassen werden, als wenn sie sich einen Paß als Perückenmacher geben lassen.

WILHELMINE.
Aber unser Plan ist zerschlagen. Laharpe ist verwiesen –
ERBPRINZ.

Ein schwacher Abglanz seines Geistes ist zurückgeblieben! Prinzessin, sehen Sie mich nicht für unwürdig an, seine Stelle zu vertreten. Lassen Sie mich das selige Gefühl [108] genießen, beigetragen zu haben, Sie den Fesseln einer Lage zu entreißen, die über alle Grenzen des schuldigen Gehorsams hinausgeht –

WILHELMINE.
Prinz, welche Sprache!
ERBPRINZ.

Die Sprache eines Gefühls, das sich nicht länger besänftigen, eines Unwillens, der sich nicht länger unterdrücken läßt. Prinzessin, wissen Sie, daß Sie bestimmt sind, das Opfer politisch- merkantilischer Kombinationen zu werden? Daß Sie bestimmt sind, gegen die Erzeugnisse der englischen Fabriken an England ausgewechselt zu werden?

WILHELMINE
entrüstet.
Wer sagt das?
ERBPRINZ.

Fern sei es von mir, ein Urteil über Ihre Neigung haben zu wollen, fern sei es von mir, zu forschen, ob Ihr Ehrgeiz nicht vielleicht überrascht wird, wenn Sie hören, daß Sie selbst eine Kai serkrone erringen könnten, aber – wenn Sie den Prinzen von Wales lieben –

WILHELMINE.
Den Prinzen von Wales? Wer behauptet das?
ERBPRINZ.
Ihre Mutter, die es ahnt, Ihr Vater, der es befiehlt.
WILHELMINE.

Den Prinzen von Wales? Meinen Cousin, den ich nie gesehen habe? Einen Prinzen, der nie ein Interesse an mir verraten hat? Einen Prinzen, den ich seiner freien Bitten wegen verabscheue?

ERBPRINZ.
Prinzessin, Sie lieben den Prinzen nicht?
WILHELMINE.

Mein Herz ist frei. Keine Macht der Erde soll mich zwingen, es einem Manne zu geben, den ich nicht selbst gewählt.

ERBPRINZ.
Hör' ich recht?
WILHELMINE.

Ich war gehorsam von den ersten Regungen meines Bewußtseins an. Nie hab' ich einen Willen gehabt, nie gewagt, wenn ich einen hatte, ihn zu äußern. Aber wenn man mir das Einzige rauben will, was mir nach diesen ewigen Demütigungen als mein unantastbares Eigentum geblieben ist, die freie Wahl meines Herzens, dann ist die grundlose Tiefe meines Gehorsams erschöpft. Ich fühle, daß mein Bruder berechtigt war, sich von einem solchen Joch zu befreien, und ich werde der Welt zeigen, daß ich die Schwester dieses Bruders bin.

ERBPRINZ.

Prinzessin! Beiseite. Was tu' ich – vor Wonne und Entzücken! Laut. Prinzessin, drüben die grünen Girlanden an dem kleinen Fenster, die Blumenstöcke sind ein so traulicher Versteck – der kleine Hänfling in dem Bauer wartet so ungeduldig auf die Ankunft seiner holdseligen freundlichen Herrin –

WILHELMINE
entzieht sich seiner Hand.
Sie – wollen –?
ERBPRINZ.

Die Stelle eines verkannten verleumdeten Gelehrten [109] vertreten und dort unter vier Augen, nicht beängstigt von diesen Fußtritten in den Korridoren, von diesen grausamen Trommeln in der Ferne. Wächtern Ihrer Freiheit, der liebenswürdigsten Fürstin Europas sagen –

WILHELMINE.
Sie haben mir nichts, gar nichts zu sagen –
ERBPRINZ
wirft sich ihr zu Füßen.

Prinzessin, daß es einen Fürsten gibt, der dereinst zwar nur über einen kleinen Fleck deutscher Erde zu gebieten hat, dem aber der Zauber Ihrer Schönheit, die Güte Ihres Herzens den Mut gibt zu sagen: Ich liebe Sie, ich bete Sie an!

WILHELMINE.
Prinz, was beginnen Sie? Stehen Sie auf, ich höre kommen –
ERBPRINZ.
Nicht eher, als bis Sie mir sagen: Ich komme –
WILHELMINE.
Wenn man uns überraschte, stehen Sie auf!
ERBPRINZ.
Werden Sie kommen?
WILHELMINE.
Wohin denn? Der Erbprinz zeigt links ans Fenster. Dort? Auch dort bin ich nicht ohne Zeugen.
ERBPRINZ.

Aber es sind Menschen, die sich in ihrer Armut glücklich fühlen, daß eine Fürstin eine Stunde bei ihnen verweilt! Prinzessin, ich habe Ihnen viel, sehr viel zu sagen, über die englischen und österreichischen Pläne, die man mit Ihnen hat; Sie müssen es mir im Stil von Versailles, den ich gründlich kenne, wiedersagen, daß Sie mich hassen, mich verabscheuen –

WILHELMINE.
Prinz, Sie foltern mich. Ich höre Stimmen – man nähert sich, stehen Sie auf –
ERBPRINZ.
Werden Sie kommen?
WILHELMINE.
Grausamer! – Sie stehen nicht auf?
ERBPRINZ.
Nicht eher, als bis Sie sagen: Ich komme –
WILHELMINE.

Wenn Sie mir versprechen, nur von den Plänen, die man mit mir hat, und – von der Grammatik zu reden –

ERBPRINZ
springt auf.

Sie werden kommen? Bei allen Sternen des Himmels schwör' ich Ihnen, mit dem Verbum j'aime, ich liebe, zu beginnen, und Sie sollen sehen, daß gegen die Sprache, die ein liebendes Herz redet, gegen die Kunst, die in der ungeschminkten Natur liegt, selbst Voltaire – nur ein Perückenmacher ist. Ab.

9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Prinzessin Wilhelmine. Dann die Sonnsfeld. Zuletzt Eckhof mit Grenadieren. In der Ferne hört das Trommeln auf.

WILHELMINE
allein.

Sie wollte erst dem Erbprinzen nacheilen, wankt dann aber zurück und geht in schwankenden Schritten an den Tisch, wo sie klingelt.

[110]
SONNSFELD
tritt ein.
Nach einer Pause, in der sie befremdet die Prinzessin anblickt. Königliche Hoheit befehlen?
WILHELMINE
wie aus einem Traum auffahrend.
Ich? Nichts.
SONNSFELD.
Ihre Hoheit haben geklingelt?
WILHELMINE.
Jawohl! Meine Mantille – meinen Fächer – den Schleier –!
SONNSFELD.
Wollen Ew. Hoheit ausgehen?
WILHELMINE.
Ich will ausgehen.
SONNSFELD.
Haben Ew. Hoheit dazu Erlaubnis?
WILHELMINE.
Erlaubnis? Fängst auch du so an? Hole, was ich gesagt habe –
SONNSFELD
sieht sie groß an und geht ab.
WILHELMINE
allein.

Ich bin dieser Lage müde! Ich fange an mich zu fühlen, seitdem ich sehe, daß es noch Menschen gibt, die meinen kleinen Wert er kennen. Dieser Zustand war nicht länger zu ertragen. Ich bin dieses Gamaschendienstes, dieser unwürdigen Subordination überdrüssig –

SONNSFELD
kommt mit Mantille, Fächer und Schleier zurück.
WILHELMINE.
Du hättest wohl auch die Mantille mit den Brüsseler Spitzen wählen können.
SONNSFELD.
Königliche Hoheit, was Bezwecken Sie denn?
WILHELMINE.

Wirf mir den Schleier um! Frag' mich doch nicht nach allem, was ich unternehme! Muß ich über jede Kleinigkeit, die ich mir erlaube, Rechenschaft geben?

SONNSFELD.
Mein Himmel, Sie haben sich doch nicht den revolutionären Ideen Ihrer Mutter angeschossen?
WILHELMINE.

Ich schließe mich niemand an. Ich will endlich einmal zeigen, daß eine Prinzessin von Preußen das Recht hat, aus freien Stücken von einem Hof des Schlosses in den andern zu gehen. Ich bin es müde, mich tyrannisieren zu lassen. Der Große Kurfürst hat auch für mich gelebt. Auch für mich sind die Hohenzollern dagewesen. Adieu!Reicht den Sonnsfeld die Hand zum Kusse. Küß mir die Hand! Vergiß nie, daß ich die Tochter eines Königs bin, der sehr große, sehr bedeutende Pläne auf die Zukunft seines Kindes baut, eines Kindes, das, selbst wenn es eigensinnig genug wäre, auf diese bedeutenden Pläne nicht einzugehen, darum nie aufhören würde, eine Prinzessin von Preußen zu sein. Sie will abgehen.


Die hintere Tür wird geöffnet. Eckhof mit drei Grenadieren tritt ein. Die Tür bleibt offen.
ECKHOF.
Halt!
SONNSFELD.
Prinzessin, bekommen Sie eine Ehrenwache?
ECKHOF.
Grenadiere vor!

[111] Noch drei Mann treten herein ohne Gewehr. Der eine trägt eine Bibel, der andere eine Suppenterrine, der dritte einen Stricktrumpf.
ECKHOF
tritt militärisch an die Prinzessin heran.

Königliche Hoheit wollen allergnädigst verzeihen, daß ich infolge einer von Sr. Majestät verhängten Spezialuntersuchung wegen verbotener Verbindungen mit dem Schlosse Rheinsberg Ew. Hoheit ersuchen muß, einem von Sr. Majestät verordneten strengsten Zimmerarrest sich allergnädigst unterwerfen zu wollen.

SONNSFELD.
Wie! Prinzessin!
ECKHOF.

Ingleichen haben Se. Majestät folgende allerhöchste Anordnungen zu treffen geruht. Erster Grenadier vor!

ERSTER GRENADIER
marschiert mit der Bibel vor.
ECKHOF.

Königliche Hoheit haben Sprüche Salomonis, Kapitel 3–5, so auswendig zu lernen, daß der Herr Oberhofprediger Ew. Hoheit morgen früh um fünf Uhr darin examinieren kann. Zweiter Grenadier vor!

ZWEITER GRENADIER
mit der Suppenterrine.
ECKHOF.

Die Ew. Hoheit zugeteilte Kost wird täglich aus der Garnisonküchenverwaltung pünktlichst verabfolgt werden.

SONNSFELD
öffnet die Terrine.
Abscheuliche Kost! Gequollene Erbsen!
ECKHOF.
Dritter Grenadier vor!
DRITTER GRENADIER
mit dem angefangenen Strickstrumpf.
ECKHOF.

Endlich haben Se. Majestät befohlen, daß Ihre Hoheit alle zwei Tage für das wohllöbliche Berliner Waisenhaus ein Paar wollene Strümpfe fertig zu stricken haben. Halten zu Gnaden, Königliche Hoheit, mein Auftrag ist beendet.

SONNSFELD
im Tone der Verzweiflung.
Prinzessin, sind das die Pläne, die der König mit Ihrer Zukunft vorhat?
WILHELMINE
zitternd vor Aufregung.

Beruhige dich, meine Freundin! Ja, es ist der Anfang einer neuen Lebensbahn für mich. Wohlan! Der Kampf beginne! Geht zu meinem Vater und sagt ihm –

SONNSFELD
ebenso.
Geht zum Könige und sagt ihm – Zur Prinzessin. ja, was sollen sie ihm denn sagen?
WILHELMINE
mit tragischer Entschiedenheit.
Sagt ihm, daß ich –
SONNSFELD.
Sagt ihm, daß wir –
WILHELMINE.
Die Sprüche Der Mut entsinkt schon. zwar – lernen würden
SONNSFELD.
Die Erbsen – zwar – essen würden –
WILHELMINE.
Daß es aber unsere Schuld nicht wäre, wenn wir in Mit neuer Kraft. der Verzweiflung unsres Herzens –
[112]
SONNSFELD
tragisch.
An den Waisenstrümpfen die Maschen fallen lassen –
WILHELMINE.
Und uns lieber wünschen, Prinzessin von Reuß –
SONNSFELD.
Schleiz –
WILHELMINE.
Greiz und Lobenstein zu sein!

Beide heftig ab.
Der Vorhang fällt.

3. Akt

1. Szene
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Prinzessin Wilhelmine lehnt nachdenklich am Fenster. Die Sonnsfeld sitzt links und strickt an einem Kinderstrumpf. Später Eckhof.

WILHELMINE
beiseite.

Stunde um Stunde vergeht. Was wird der Prinz von mir denken! Oder sollt' er mein Schicksal schon erfahren haben?

SONNSFELD.
Sagten Sie etwas, Königliche Hoheit?
WILHELMINE.
Nein, ich – – seufze nur –
SONNSFELD.

Es schien mir doch, als sprächen Sie mit sich selbst. Werden Sie nur nicht schwermütig. Die Verse werden Sie bald auswendig wissen, und vom Stricken lös' ich Sie ab –

WILHELMINE.
Du bist zu gut! Besser als ich heut' um dich verdient habe. Es ermüdet dich, gib her –
SONNSFELD.
Lassen Sie nur. Nehmen Sie den andern angefangenen – so arbeiten wir vor und können später ausruhen.
WILHELMINE
nach der Tür hinhorchend.
Und nicht einmal, daß einem ein freies Wort gegönnt ist!
SONNSFELD
steht auf und sieht an die Tür hin.

Es ist grausam, Soldaten den Anblick einer Prinzessin zu gönnen, die man so tief erniedrigt, Strümpfe zu stricken!

WILHELMINE.
Wozu murren! Es läßt – an sich – recht häuslich. Sie strickt.
SONNSFELD.
Was würde der Erbprinz sagen, wenn er Sie so erblickte?
[113]
WILHELMINE.
Der Erbprinz? Wie kommst du – auf den Erbprinzen?
SONNSFELD.

Sie werden nicht leugnen können, daß Sie von ihm mit einer Aufmerksamkeit behandelt werden, die beinahe zärtlich zu nennen ist.

WILHELMINE.
»Beinahe!«
SONNSFELD.

Diese Augen! Diese Blicke! Ich müßte mich sehr irren, wenn Ihnen nicht der Kronprinz in diesem jungen Fürsten zugleich den feurigsten Liebhaber schicken wollte, den es nur unter der Sonne geben kann.

WILHELMINE.
Liebende halten es ja mehr mit dem Monde.
SONNSFELD.

Und er legt eine so große Verehrung vor Ihnen an den Tag, daß ich mich ferner sehr irren müßte, wenn ich nicht annehmen wollte, unsere Schildwache draußen trüge schon längst ein Billett von ihm an Ew. Hoheit in der Tasche.

WILHELMINE.
Sonnsfeld! Welche Kombination!
SONNSFELD.
Nicht wahr, eine Kombination, würdig eines Seckendorf? Ich werd' ihn aber bei alledem fragen –
WILHELMINE.
Bist du von Sinnen?
SONNSFELD
an der Tür.
Heda! Grenadier!
ECKHOF
tritt ein.
Zu befehlen!
SONNSFELD.
Hat man nicht ein Billett für uns?
ECKHOF.
Halten zu Gnaden, ja!
SONNSFELD
zur Prinzessin.
Da sehen Sie. – Vom Erbprinzen von Baireuth?
ECKHOF.
Halten zu Gnaden, ja!
WILHELMINE.
Wo ist es? Hat Er es angenommen?
ECKHOF.
Halten zu Gnaden, nein! Macht kehrt und ab.
SONNSFELD.

Abscheuliches Land! Die Gefühllosigkeit erstreckt sich hier sogar schon auf die – ungebildeten Volksklassen.

WILHELMINE.

Wie konnte nur der Erbprinz annehmen, daß sich die Wache erlauben würde, so gegen allen Anstand zu verstoßen!

SONNSFELD.
Würden Sie es denn nicht angenommen haben?
WILHELMINE.
Nimmermehr!

Ein Brief mit einem kleinen Stein beschwert, wird durchs Fenster geworfen.
SONNSFELD.
Ein Brief durchs Fenster – ach, was bin ich erschrocken!
WILHELMINE.
Nimm ihn auf.
SONNSFELD
tut es.

Sie nehmen ihn ja nicht an?.. Er ist doch wohl nur vom Erbprinzen und – jedenfalls an Ew. Hoheit – Übergibt ihn.

WILHELMINE.

An mich? Warum auch – warum sollt' ich [114] ihn nicht annehmen? Erbricht ihn. Vom Erbprinzen! Liest beiseite. »Angebetete! Wollen diese Grausamkeiten kein Ende nehmen? Hat man schon begonnen, Sie mit England zu quälen? Man wird zu Ihnen kommen, Sie zu dieser Verbindung zwingen wollen, aber Ritter Hotham, der englische Abgesandte, ist mein Freund, Ihr Freund und wird für Sie handeln, während er gegen Sie zu handeln scheint. Ein gefährliches Spiel, aber es gilt Ihre Freiheit und mein Leben. Die Liebe versteht – die Liebe!«

SONNSFELD.
Darf man wissen?
WILHELMINE.
Eine kleine Beileidsbezeigung – von – von – einem unserer guten Diener –
SONNSFELD.
O, diese guten Leute haben Sie alle so lieb! Sie müssen doch wohl antworten –
WILHELMINE.
Nur zwei flüchtige Worte – es ist wirklich zu unbedeutend –
SONNSFELD.

Man stößt aber niemand gern zurück!Beiseite. Wie sie sich verstellt! Laut. Ich will doch sehen, ob unser Grenadier noch immer so störrisch ist –

WILHELMINE.
Wo denkst du hin?
SONNSFELD.
Wir machen einen Versuch. Tritt an die Tür. Heda, rauher Krieger!
ECKHOF
tritt ein.
Zu befehlen!
SONNSFELD.
Warum hat Er den Brief nicht angenommen?
ECKHOF.
Es stehen Spießruten drauf.
SONNSFELD.
Wir haben Mittel, solche Strafen gutzumachen!
ECKHOF.
Die haben Sie nicht.
SONNSFELD.
Ist Geld kein Mittel?
ECKHOF.

Ließe sich auch Schande durch Geld heilen, so könnten Sie von allen Mitteln doch dies gerade am wenigsten anwenden.

WILHELMINE.
Wieso?
ECKHOF.
Weil Ew. Hoheit kein Geld haben.
SONNSFELD.
Abscheulicher Mensch!
WILHELMINE
beiseite.
Er kennt unsere Lage nur zu gut. Wir müssen den Gedanken an eine Antwort aufgeben.
ECKHOF.
Darf ich abtreten?
SONNSFELD.
Vorwitziger Mensch! Wie heißt Er?
ECKHOF.
Eckhof.
SONNSFELD.
Wo ist Er her?
ECKHOF.
Aus Hamburg.
SONNSFELD.
Was hat Er gelernt?
ECKHOF.
Nichts.
WILHELMINE.
Nichts? Das ist sehr wenig.
[115]
SONNSFELD.
Was hat Er werden wollen?
ECKHOF.
Alles!
WILHELMINE
beiseite.
Sonderbarer Mensch! Laut. Examinier' ihn; er unterhält uns wenigstens.
SONNSFELD
zu Eckhof.

Wir sind nicht gescheut genug, seine geistreichen Antworten zu verstehen. Wie hängt sein Alles und Nichts zusammen?

ECKHOF.

Ich bin in meiner Jugend bei einem Theater aufgewachsen und habe dort anfangs nichts gelernt als die Lichter putzen. Unser Prinzipal entließ seine Gesellschaft, und ich war genötigt, Dienste bei einem Postschreiber zu nehmen. Als mir aber die Frau meines neuen Herrn zumutete, als Bedienter hinten auf ihre Kutsche aufzusteigen, nahm ich den Wanderstab. Ich bettelte mich zu einem Rechtsgelehrten nach Schwerin durch, der mich bei sich als Schreiber anstellte. Die Post und die Gerichtsstube wurden zwei neue Theater für mich. Briefadressen regten meine Phantasie, Prozesse meinen Verstand an. Der Gedanke, von der Bühne herab menschliche Größe und menschliche Verbrechen in lebenstreuen Zügen wiederzugeben, das Laster und die Tugend zu malen, wie sie find, begeisterte mich, aber die Gelegenheit, ihn auszuführen, fand sich nicht. Der Zufall spielte mich in einem Augenblick, wo ich leichtsinnig die Schwermut in einem Rausche zu vergessen suchte, preußischen Werbern in die Hände. Das dargebotene blanke Silber blendete; ich verlor meine goldene Freiheit. Seitdem trag' ich die Muskete. Die tausendmal erwachende Sehnsucht nach der Kunst, zu der ich den Beruf wie eine heilige Mahnung in mir fühle, übertäubt jetzt die lärmende Trommel, den Trieb nach edlerer Menschendarstellung schnürt die Uniform zusammen, und in abgerichteter, unfreier Bewegung der Glieder wird auch wohl zuletzt der freie Wille und das Gefühl für die menschliche Würde sterben. Von diesem Schicksal erlöst den verkauften armen Soldaten nichts als der Tod.

WILHELMINE
beiseite wehmütig.
Ein Bild meiner eigenen Leiden.
SONNSFELD.

Das ist schon alles ganz gut, aber im Grunde kann Er froh sein, jetzt wenigstens etwas zu sein, da Er sonst nichts war und nichts gelernt hat.

ECKHOF.
Aus Büchern wenig, aber manches aus dem Leben. Auch versteh' ich etwas Musik.
SONNSFELD.

Musik? Da könnt' Er hier die arme gefangene Königstochter unterhalten! Prinzessin, die Flöte des Kronprinzen –

ECKHOF.
Ich spiele Violine –
[116]
SONNSFELD.

Auch eine Violine ist da. Wir haben das ganze Orchester des Kronprinzen Geht an den Schrank. hier versteckt! Da! Bringt eine Violine. Spiel' Er uns! Wir tanzen.

WILHELMINE.

Wo denkst du hin? Dort sind die Zimmer der Königin. Hier Auf rechts zeigend. kann uns jeden Augenblick der König überraschen –

SONNSFELD.
Eine kleine Française! Eine Vorübung zum Fackeltanz bei Ihrer künftigen Vermählung!
WILHELMINE.
Du kennst den Abscheu des Königs gegen Spiel und Tanz.
SONNSFELD.
Da, Eckhof, nehm' Er nur! Fang' Er nur an!
ECKHOF
sieht sich um.

Wenn ich aber – mein Himmel – Bewegt. seit drei Jahren hab' ich ein so edles, zaubervolles Instrument nicht berührt!

SONNSFELD.
Nur zu! Prinzessin, ich bin der Herr, Sie sind die Dame.
ECKHOF
spielt einen Tanz in dem einfachen naiven Geschmack jener Zeit.
Die beiden Damen tanzen.
SONNSFELD.

Brav, Eckhof! Es geht ganz gut. Ach, welche Wohltat, einmal tanzen zu können! So – la, la, la, la Sie singt die Melodie nach.

2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Der König ist während dieses Tanzes aus der Seitentür rechts leise eingetreten. Die Tanzenden und den musizierenden Grenadier erblickend stutzt er. Diese bemerken ihn nicht. Er tritt näher und sucht sich unbemerkt in den Tanz zu mischen. Die Vorigen.

WILHELMINE.
Sonnsfeld, du tanzest ja falsch – jetzt der Herr! Reicht rückwärts ihre Hand. So!
KÖNIG
faßt diese leise mit einem Finger und tanzt etwas mit.
WILHELMINE.

Wie schwerfällig, liebe Freundin!Tanzt. Was hast du denn nur heute für eine garstige rauhe Hand! Sieht sich um und erblickt den König, der plötzlich auch die Melodie mit rauher Stimme mitgesungen hat. Alle erschrecken.

ECKHOF
präsentiert mit der Violine.
KÖNIG
zornerfüllt.

Recht niedlich! Recht schön! Also das sind die Sprüche Salomonis? Tanz und Assemblee in meinem Schlosse bei hellem lichtem Tage? Und ein Soldat, ein preußischer Grenadier, der auf der Wache seinem Arrestanten Violine vorspielt?

SONNSFELD.
Vergebung, Majestät, wir haben ihn gezwungen.
KÖNIG.

Gezwungen? Einen Soldaten zwingen! Zwingen, die Pflichten seines Dienstes auf eine so teuflische Art zu verletzen? [117] Für den muß ich eine Strafe erfinden, die in der preußischen Armee noch nicht dagewesen ist.

WILHELMINE.
Gnade, Majestät, Gnade!
KÖNIG.

Mit dir werd' ich hernach reden. Ihm, Konrad Eckhof heißt Er, ich weiß es, Ihm diktier' ich zur Strafe: Er ist aus der Arme, die unter meinen ruhmvollen Fahnen steht, ausgestoßen. Er ist ausgestoßen, nicht etwa in eine Sträflingskompagnie oder in den ehrenwerten Bürgerstand, sondern hör Er, was Sein Schicksal sein soll. Auf dem Lagerhause in der Klosterstraße ist derzeit eine Truppe deutscher Komödianten angekommen. Diese Gaukler – histriones, sind in Nöten, weil ihnen ihr Hanswurst ausgeblieben ist, den sie sich aus Leipzig verschrieben hatten. Zu diesen Possenreißern, hört Er, geht Er mir hinaus, legt Seine glorreiche preußische Uniform ab und meldet sich, ich schickte ihn hiemit, zur Warnung für jedermann, als einen Schauspieler, einen Erzhanswursten, der die deutsche Nation hinfort mit seinen komödiantischen Späßen kriminaliter amüsieren soll. Schande über Ihn!

ECKHOF
in freudigster, jedoch verborgener Erregung mit einem Blick gen Himmel.

Schauspieler? Danke Ew. Majestät für allergnädigstes Erkenntnis. Konrad Eckhof wird sich bemühen, sich und seinen verachteten neuen Stand wieder zu Ehren zu bringen. Ab.

KÖNIG.

Und Sie, mein Fräulein von Sonnsfeld, Sie sollen je eher je lieber Ihre mütterliche Aussteuer einpacken und nach Dresden aufbrechen, wo mein Vetter, der Kurfürst von Sachsen, solche Nymphen und Grazien wie Sie sind für seine Hoffeuerwerke und Balletter nötig hat.

SONNSFELD
im Abgehen, beiseite.
Er straft in seinem Zorn mit Dingen, die jedem Gebildeten nur angenehm sein können! Ab.
KÖNIG.
Wilhelmine!
WILHELMINE.
Majestät, was hab' ich nnr verbrochen, daß ich so unglücklich sein muß, Ihnen ewig zu mißfallen?
KÖNIG.

Majestät nennst du mich, weil du kein kindliches Herz für deinen Vater hast. Ich hab' euch erzogen nach alter deutscher Sitte; ich habe französische Eitelkeit und englische Narrheit von euern kindlichen Herzen zu entfernen gesucht; ich habe auf dem Thron zeigen wollen, daß Könige in ihren Familien ein Muster für den biedern Hausstand ihrer Untertanen sein können. Hab' ich das erreicht?

WILHELMINE.
Sie bestrafen uns für unsere Sünden auch streng genug.
KÖNIG.

Ein Perückenmacher hat dich in allen Zweideutigkeiten der französischen Sprache unterrichten sollen –

[118]
WILHELMINE.
Es war kein Perückenmacher!
KÖNIG.
Es war einer.
WILHELMINE.
Wenn es einer war, so hassen Sie ihn nur Ihrer garstigen Zöpfe wegen!
KÖNIG.

Der Zopf ist die Zierde des Mannes. Im Zopf liegt die zusammengeflochtene Kraft des Mannes. Ein Zopf, das ist nichts Wildes, Flackerndes, Wüstes um den Kopf, den Sitz der menschlichen Seele, wie bei den geckenhaften Buschmännern jetzt mit ihrem langen zottigen Haar, sondern einfache, sittliche, gestriegelte Ordnung, geflochtener Gehorsam, sanft herab über die Schultern gleitend, das Sinnbild eines Christen! Doch ich bin es müde, mit dir zu streiten. Dieser Arrest sei dir der letzte Beweis meiner väterlichen Liebe. Bald sollst du frei wandeln und Herrin deiner eigenen Taten werden. Ich verkündige dir hiermit, daß du jetzt bald nach Belieben schalten und walten kannst –

WILHELMINE.
Vater!
KÖNIG.
Wenn du ihn ehrlich meinst, diesen Ton?
WILHELMINE.
Es kommt von einem Herzen, das nie aufhören wird, den besten der Menschen zu verehren.
KÖNIG.

Erkennt ihr, daß ich nur allein euer Glück will? Ja, Wilhelmine, nun kannst du bald handeln, wie du willst, kannst französische Bücher lesen, kannst Menuetten tanzen, dir eine Kapelle von Musikanten halten, ich habe für dein Glück und für deine Freiheit gesorgt –

WILHELMINE.
Wie versteh' ich? Vater –?
KÖNIG.
Kutschen, Pferde, Heiducken, alles, wie es sich für eine künftige Königin geziemt.
WILHELMINE.
Königin?
KÖNIG.

Du sollst sehen, daß ich den Namen, den du mir gegeben, den Namen des besten Vaters, in der Tat und Wahrheit verdiene. Ich höre deine Mutter –

WILHELMINE.
Was soll geschehen?
KÖNIG.
Bereite dich vor, es ist eine feierliche Stunde – die Stunde deiner Verlobung!
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Die Königin, gestützt auf den Arm des Erbprinzen. Hotham. Bediente. Die Vorigen. Später Lakai.

WILHELMINE
beiseite, überrascht.
Der Erbprinz!
KÖNIGIN
verbeugt sich kalt gegen den König.
KÖNIG
ebenso.
Guten Morgen!
KÖNIGIN
zur Prinzessin Wilhelmine.

Liebes Kind, ich stelle dir [119] hier den Abgesandten Sr. Majestät von England, den Herrn Ritter von Hotham, vor.

WILHELMINE
verneigt sich, beiseite.
Der Freund des Erbprinzen? Wie versteh' ich – alles?
KÖNIG.

Erlaube, liebe Frau, der Erbprinz hatte den Vorrang. Liebes Kind, ich stelle dir hiermit den Erbprinzen von Baireuth vor.

ERBPRINZ
sich verneigend, beiseite zu Wilhelminen.
Verlieren Sie den Mut nicht, es wird alles gut werden.
KÖNIGIN.
Gute Nachrichten aus Ansbach, lieber Erbprinz?
ERBPRINZ
beiseite.

Immer die verdammte Verwechselung. Laut. Majestät, man hat die Absicht, Ansbach nach Baireuth zu verpflanzen.

KÖNIG
der nur halb hörte.

St! Lassen wir jetzt alle irdischen Gedanken und Baupläne und bereiten uns vor zu einem Werk von heiliger Bedeutung. Setze dich drüben zu deiner Mutter, Wilhelmine!

WILHELMINE
beiseite.
Was soll denn werden?
KÖNIG.
Sie, Erbprinz, mein natürlicher Beistand hier –! Ritter Hotham, Sie in der Mitte!
BEDIENTE
tragen den Tisch in die Mitte und gehen ab.
ERBPRINZ
beiseite.
Hotham, der Handelstraktat!
HOTHAM
setzt sich in die Mitte, öffnet ein Portefeuille, das er mitgebracht, legt Papier zurecht und untersucht seine Federn.
KÖNIG
die Hände faltend.

Im Namen Gottes! Nach einer Weile. Wenn ich dich jetzt, getreue Gattin und Lebensgefährtin, frage, was ist eine glückliche Ehe –

KÖNIGIN.
Gehört das in den Heiratskontrakt unserer Tochter?
KÖNIG.

Unterbrich mich nicht! Wenn du's nicht fühlst, ich fühl's, was dieser feierliche Augenblick bedeuten will!

HOTHAM.
Halten zu Gnaden, Majestät, ich hab' hier auch bereits zu Papier: Im Namen Gottes!
KÖNIG
sieht angenehm überrascht hinüber.
Haben Sie das wirklich geschrieben?
HOTHAM.
Es steht schon gewöhnlich gedruckt über solchen und ähnlichen Verträgen.
KÖNIG.
Gedruckt ist nicht so gut. Der Buchstabe, sagt die Schrift, tötet und – doch fangen Sie jetzt an –!
HOTHAM.

Es handelt sich um eine Verbindung zweier Nationen, die, an Sprache, Sitten und Gebräuchen verschieden, dennoch der Berührungspunkte so viele gemein haben, daß sie jede Gelegenheit ergreifen sollten zu einem innigern Anschluß.

[120]
KÖNIG.
Könnten Sie da nicht einflechten, daß die Engländer eigentlich von den Deutschen abstammen?
HOTHAM.
Dürfte zu weit führen.
KÖNIG.
Nun, wie Sie wollen. Der Anfang war gut.
HOTHAM.

Eine solche Gelegenheit bietet sich in dem beiderseitig ausgesprochenen Wunsch der beiden Dynastien von Preußen und England, zwei ihrer erlauchten und ruhmwürdigen Sprossen durch das Band der heiligen Ehe verbinden zu wollen. Der Prinz von Wales wirbt um die Hand der Prinzessin Wilhelmine –

WILHELMINE.
Der Prinz von Wales?
KÖNIG
feierlich.
St!
HOTHAM.
Und erhält dieselbe Bunter folgenden Bedingungen.
WILHELMINE.
Erhält sie?
KÖNIG.
St! Störe doch den feierlichen Akt nicht durch Plauderhaftigkeit!
WILHELMINE.
Aber wie ist es denn nur möglich?
ERBPRINZ
zur Prinzessin.
Königliche Hoheit, die Bedingungen werden ja erst entworfen.
KÖNIGIN
beiseite.

Unterlaß diese Unterbrechungen! Was soll ein Abgesandter des seinen Hofes von Saint James von den Manieren einer preußischen Prinzessin denken?

KÖNIG
zur Königin.
Diese plauderhaften Frauenzimmer! Gut, Herr von Hotham. Der Anfang war gut. Nicht wahr, Erbprinz?
ERBPRINZ.
Jawohl – Majestät – Beiseite. Abscheulich!
KÖNIGIN.
Die Bedingungen? Beiseite. Auf die Aussteuer bin ich begierig.
HOTHAM.
Paragraph eins: –
KÖNIG.

Erlauben Sie, das kann ich Ihnen kürzer sagen. Ich gebe meiner Tochter als Aussteuer vierzigtausend Taler und ein jährliches Nadelgeld von zweitausend Talern. Die Hochzeit will ich auch ausrichten. Das ist aber auch alles.

KÖNIGIN
steht auf.

Ich will nicht hoffen, daß dies Ihr Ernst ist, Majestät! Ritter Hotham, nehmen Sie diese Erklärung Sr. Majestät nicht zu Protokoll.

KÖNIG
sitzend.
Nicht zu Protokoll? Hm! Hm! Vierzigtausend Taler bares Geld zu wenig?
HOTHAM.

Die Frage der Mitgift wird für ein so reiches Land wie England keine Schwierigkeiten bieten. Es handelt sich bei weitem mehr um diejenigen politischen Punkte, welche bei dieser engen Vereinigung zu besonderer Berücksichtigung kommen dürften.

KÖNIG.
Politische Punkte?
[121]
HOTHAM.
Ich meine – einige Fragen und Erörterungen, die ich mir vorzutragen erlauben möchte.
KÖNIG.
Fragen und Erörterungen? Haben Sie an meiner Tochter etwas auszusetzen? Steht auf.
HOTHAM.
Majestät, es könnten für beide Nationen selbst gewisse Vorteile –
KÖNIG.
Vorteile für Preußen? Setzt sich. Dann reden Sie!
HOTHAM.

Um nur eins zu nehmen: England wird für diese Heirat Ew. Majestät in der Investitur der Herzogtümer Jülich und Berg ohne Hindernis bestätigen.

KÖNIG.
Recht anständig. Danke!
ERBPRINZ
beiseite.
Hotham, Fuchs?
HOTHAM.
Ferner hat sich bei dieser Angelegenheit das Parlament bereit erklärt –
KÖNIG.
Bereit erklärt –
WILHELMINE.
Aber was soll denn nur das Parlament? Ich heirate ja nicht das Ober- und Unterhaus.
KÖNIGIN
halblaut.
Stille! Das verstehst du nicht. In England sprechen alle Parteien mit.
KÖNIG
halblaut.
Ja, Kind! Das wäre so recht ein Land für deine Mutter. Also?
HOTHAM.

Das Parlament erklärt sich bereit für den Fall, daß Ew. Hoheit die Eroberung von Schwedisch-Pommern vervollständigen wollen, deshalb das Ministerium nicht zu interpellieren.

KÖNIGIN
angenehm angeregt.

Sehr artig! Ich hätte das Parlament nicht für so liebenswürdig gehalten. Denke dir, Wilhelmine, das Parlament will nicht interpellieren!

WILHELMINE.
Was ist denn das nun wieder für eine politische Grausamkeit?
KÖNIG
zur Prinzessin.

Interpellieren heißt, das Ministerium durch unaufhörliche Widersprüche, Einwendungen und Zwischenreden in Verlegenheit setzen. – Drum hat's deine Mutter auch gleich verstanden. Laut. Danke, liebster Herr von Hotham, grüßen Sie dafür das Parlament freundschaftlichst von mir! Aber weiter! Weiter!

ERBPRINZ
beiseite.
Ich stehe auf Kohlen.
HOTHAM.

Für diese vielen Beweise von Entgegenkommen und Uneigennützigkeit, für diese mannigfachen und von mir noch näher zu erörternden Zeichen von politischer Zuvorkommenheit und inniger Neigung, dauernd, ewig sich einem Staate anzuschließen –

KÖNIG.
Nun?
[122]
HOTHAM.

Für dies alles nur noch eine kleine Bedingung unsererseits, die diese Heirat besonders segensreich für beide Teile machen würde.

KÖNIG.
Losgeschossen!
HOTHAM.

Die preußische Industrie ist auf einer Höhe, die es England wünschenswert erscheinen läßt, die Erzeugnisse derselben unter gewissen Bedingungen auch bei sich prüfen zu können. Dafür –

KÖNIG.
Dafür?
HOTHAM.

Würde England sich sehr verpflichtet fühlen, wenn das seit dem glorreichen Regierungsantritt Eurer Majestät unterbrochene frühere freundliche kommerzielle Einvernehmen –

KÖNIG.
Einvernehmen –
HOTHAM.

Wieder eintreten und sich Ew. Majestät entschließen könnten, bei Gelegenheit dieser erfreulichen, von England mit Jubel begrüßten Verbindung eine teilweise Aufhebung eintreten zu lassen der gegenwärtigen – Prohibitivmaßregeln –

KÖNIG.
Wie?
HOTHAM.
Mit einem Wort, England bittet um den Abschluß eines neuen Handelstraktates.
KÖNIG.
Handelstraktates? Handels – Steht auf. Pause. Die Sitzung ist aufgehoben.
KÖNIGIN.
Was ist?
KÖNIG.

Hab' ich darum die Kultur meines Landes zu veredeln gesucht, Handel und Gewerbe gehoben, die Schiffahrt befördert, Tausenden von armen französischen Religionsflüchtlingen in meinen Staaten ein Asyl gegeben, daß ich nun, um die Ehre, mit England verschwägert zu werden, die Tore öffnen und zum Ruin meiner Untertanen die verbotenen englischen Waren wieder hereinlassen soll? Geht an den Tisch und klingelt.

LAKAI
erscheint.
KÖNIG.
Meine Minister!
KÖNIGIN.
Wie? Sie wollen das Glück Ihrer Tochter opfern?
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Grumbkow. Seckendorf. Drei Generale. Die Vorigen.

KÖNIG.

Treten Sie näher, meine Herren. – Ich ließ Sie im ungewissen über eine Depesche, die heute in der Frühe für mich aus Hannover angekommen. Hören Sie jetzt meine feierliche Antwort darauf. Erbprinz, Dichter, erschrecken Sie nicht! Unsere Feste finden dennoch statt; unsere Kanonen sollen dennoch [123] donnern, unsere Lampen sollen dennoch flimmern. Sind Sie geneigt, Erbprinz mich auf ewig zu verbinden?

ERBPRINZ
mißverstehend.
Majestät wie? – Wär' es möglich?
KÖNIG.
Wollen Sie mich zu Ihrem ewigen Schuldner machen –?
ERBPRINZ
freudig.
Ich? Wilhel –
KÖNIG.
Nehmen Sie Kurierpferde, Erbprinz, reisen Sie in dieser Stunde als mein Bevollmächtigter nach Wien.
ERBPRINZ, GRUMBKOW UND SECKENDORF. Nach Wien?!
KÖNIG.

Die Hand meiner Tochter ist nach Wien vergeben. In vierzehn Tagen trifft in den Mauern meiner Residenz ein Sproß des erlauchten Kaiserhauses ein.

HOTHAM.

Ew. Majestät zwingen mich, für den Fall dieser Ankunft eines Erzherzogs, hiermit eine offene Erklärung zu geben.

KÖNIG.
Und die wäre?
HOTHAM.
Der Prinz von Wales – ist bereits hier.
ALLE.
Der Prinz von Wales – in Berlin?
HOTHAM.
Seit drei Stunden ist der Prinz von Wales hier angekommen.
GRUMBKOW UND SECKENDORF.
Unmöglich!
KÖNIGIN
triumphierend.
Das gibt mir das Leben wieder!
KÖNIG
ist heftig betroffen, doch sammelt er sich.

Herr Ritter von Hotham, ich muß gestehen, daß mich diese Nachricht überrascht, ja erschüttert. Indessen schreiben Sie es nur Ihrer eigenen egoistischen Politik zu, wenn ich Ihnen erkläre, daß für mich in Berlin kein Fremder existiert, der nicht an den Toren meiner Residenz rechtmäßig angemeldet ist. Will man mich aufs äußerste bringen, will man mir den eigenen Boden unter den Füßen unsicher machen, so erklären Sie dem Prinzen von Wales, daß ich zwar sehr gerührt bin von seiner Anhänglichkeit an meine Familie, ihn aber unter solchen Bedingungen, die das Wohl meines Landes, das Glück meiner Untertanen bedrohen, höflichst ersuchen ließe, da wieder hinauszugehen, wo er herein gekommen ist. Erbprinz, Sie reisen im Auftrag meiner Monarchie nach Wien. Wilhelmine, die künftige Kaiserkrone wird dich trösten, und Sie, Madame, Zur Königin beiseite. wird denn Ihr Stolz nicht endlich seine Grenzen erreicht haben?

KÖNIGIN.
Ich habe England mein Wort gegeben.
KÖNIG.

Aber Gutmütig. wenn es nun doch nicht möglich ist –?! Nähert sich ihr traulich und bietet ihr die Hand.

[124]
KÖNIGIN
bewegt, schwankend.

Vor einer Stunde, ja! Aber jetzt – Rafft sich wieder auf und entschlossen. die persönliche Ankunft des Prinzen von Wales hat alles entschieden!

KÖNIG.

Nun denn, wer den Krieg willZu Hotham. Sie haben keine andern Instruktionen als die, die wir gehört haben?

HOTHAM.
Keine.
KÖNIG.

So empfangen Sie, Erbprinz, von mir die Aufträge für Wien. Statt Englands denn ein deutscher Staat! Und 's ist besser so, meine Herrn, 's ist besser. An Deutschland schließ' ich mich an mit ganzer Seele. Fremder Eigennutz lehre Deutschlands Fürsten und Völker einig sein. Ab in sein Kabinett.


Die Generale, Grumbkow, Seckendorf folgen.
KÖNIGIN
zu Hotham.

Mein Herr, Sie haben einer Szene beigewohnt, die Ihnen bestätigt, was man über meine Lage in England nicht glauben wollte. Wilhelmine, die Nachricht von der Ankunft des Prinzen von Wales gibt mir das Leben wieder. Reisen Sie nach Wien, Erbprinz! Werden Sie zum Verräter an einer Sache, die siegen muß trotz aller Intrigen meiner Feinde. Ihren Arm, Ritter Hotham! Der Prinz von Wales in Berlin! O, ich fass' es kaum. Führen Sie ihn zu mir und bereiten Sie ihn vor auf alles, alles! Doch nein, verschweigen Sie ihm – die empörenden 40000 Taler! Ab mit Hotham.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Erbprinz. Prinzessin Wilhelmine.

WILHELMINE.
Was sagen Sie nun von Ihrem Freunde? Der Prinz von Wales ist in Berlin!
ERBPRINZ.

Noch kann ich nicht zu mir selbst kommen. Hotham ist ein Verräter, ein Undankbarer, der mich, der uns alle betrogen hat!

WILHELMINE.

Seien Sie vorsichtiger, künftig von Freundschaft und Liebe zu sprechen, und – leben Sie wohl! Will der Königin nach.

ERBPRINZ.
Prinzessin, das der Abschied, während ich mich rüste, dem Tod oder der Verzweiflung entgegenzugehen?
WILHELMINE.
In Wien stirbt sich's nicht so leicht –
ERBPRINZ.

Sie können glauben, daß ich jetzt ans Ihrer Nähe scheiden werde, jetzt, wo der Glanz des persönlichen Auftretens eines Prinzen von Wales Wilhelminens Auge, vielleicht ihr Herz blenden wird?

[125]
WILHELMINE.

Ich muß, ich seh' es ja, anfangen, mein Herz nur noch unter dem Gesichtspunkt der Politik zu betrachten.

ERBPRINZ.

Sie zweifeln an meiner Aufrichtigkeit, Prinzessin? Sie mißtrauen einem Herzen, das nur einmal wahrhaft liebte, einmal und ewig, Sie, Wilhelmine!

WILHELMINE
beiseite.
Wäre diese Sprache keine Täuschung?
ERBPRINZ.

Prinzessin, ich fühle, was ich Ihnen schuldig bin. Wahrheit vor der Welt, aufrichtige Werbung um Ihre Hand, selbst mit Gefahr, Sie auf ewig zu verlieren. Ich gehe zum König, ja, ich erkläre ihm jetzt, jetzt in diesem Augenblick, daß ich unfähig bin, seinem Wunsch zu dienen, ich werfe mich ihm zu Füßen und gestehe mit offener Ehrlichkeit, daß ich Sie liebe. Wollen Sie?

WILHELMINE
schwankend.
Nimmermehr!
ERBPRINZ.

Sie zittern, Prinzessin? Ich fühle, daß Ihr kindliches Herz vor dem Gedanken bebt, Ihren Eltern zu trotzen und der Stimme Ihrer eigenen Wahl zu folgen. Aber – sagen Sie, glauben Sie an das Herz Ihres Vaters?

WILHELMINE.
Es ist voll Güte und Liebe.
ERBPRINZ.

Wohlan! Er hat mich ausgezeichnet, er hat Vertrauen zu mir gewonnen. Die Anwesenheit des Prinzen von Wales reizt ihn, dieser Kühnheit die Stirn zu bieten. Ich schildere ihm die Lage meines Herzens, und dann, Wilhelmine dann? – Wenn er die Hand versagt?

WILHELMINE
sich abwendend.
Sie werden – Trost – finden –
ERBPRINZ.
Und wenn er sie gewährt?
WILHELMINE
mit überwältigtem Gefühl und den vollen Ausbruch ihres Herzens gebend, aber dabei schalkhaft.

Dann fürcht' ich, werden Sie doch Ihr Wort nicht halten – zur Strafe, daß ich Sie so grausam gequält habe!


Schnell ab.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Erbprinz allein.

ERBPRINZ.

Sie liebt mich! So ist denn eines entschieden! Jetzt geh' ich den geraden Weg, mitten in den Rachen des Löwen hinein. Was bleibt noch übrig? Von Hotham verraten, nichts als Wilhelminens Liebe – und der Mut! Geht an die Tür des Königs.

7. Auftritt
[126] Siebenter Auftritt.
Eversmann. Erbprinz. Zuletzt Hotham.

EVERSMANN
tritt vom König heraus.
Wohin, Hoheit?
ERBPRINZ.
Zum König.
EVERSMANN.
Finden ihn in großem Zorn!
ERBPRINZ.
Über wen?
EVERSMANN.
Über Sie, Prinz.
ERBPRINZ.
Sie scherzen.
EVERSMANN.
Die Gesandtschaft nach Wien übernimmt der Herzog von Weißenfels.
ERBPRINZ.
Was ist das nun wieder?
EVERSMANN.
Generalfiskalische Untersuchungen. Eben an den König gelangt. Es war doch ein Perückenmacher!
ERBPRINZ.

Sie sind toll! Ich muß den König in der wichtigsten Angelegenheit meines Lebens sprechen. Will hinein.

EVERSMANN.
Erlauben Sie Prinz! Se. Majestät überschicken Ihnen diesen Brief.
ERBPRINZ
nimmt den Brief und liest.

»An meinen Sohn, den Kronprinzen von Preußen. Eigenhändig, binnen 24 Stunden in Rheinsberg abzugeben, gefälligst durch den Erbprinzen von Baireuth.« – Das ist ja eine förmliche – Ausweisung aus Berlin! Wie kommt das gerade jetzt?

EVERSMANN.

'ne höfliche Andeutung bloß. Es ist alles entdeckt – und nicht bloß von wegen Rapinière! Nein, Majestät kennt Sie jetzt vollständig als Abgesandten des Kronprinzen, der hier in Berlin Hans und Hof in Revolution bringen sollte. Auf Sie hat der Perückenmacher alles bekannt. Ew. Hoheit kamen mir gleich so verdächtig vor. Glückliche Reise nach Rheinsberg! Ab.

ERBPRINZ.
Verraten und verkauft von allen Seiten!
HOTHAM
tritt schnell von der Königin heraus.
Prinz, glückliche Botschaft, die Prinzessin ist aufs neue verhaftet worden.
ERBPRINZ.
Das nennen Sie, Verräter, eine glückliche Botschaft?
HOTHAM.

Noch mehr, Prinz! Der Verräter hat mit Vergnügen gehört, daß auch Sie beim König plötzlich in Ungnade gefallen sind.

ERBPRINZ.
Mit Vergnügen haben Sie das gehört?
HOTHAM.

Der Verräter versichert Sie auf Ehre, daß es keinen glücklicheren Weg geben konnte, Ihre Wünsche zu erfüllen.

ERBPRINZ.
Wollen Sie mich wahnsinnig machen?
HOTHAM.

Um wenigstens die erste kleine Dusche über Ihre [127] Zweifel zu gießen, Sieht sich um. lesen Sie diese Stelle eines Briefes, den ich soeben empfangen habe.

ERBPRINZ.
Wahrscheinlich ein Billett von Ihrem Prinzen von Wales?
HOTHAM.
Lesen Sie nur!
ERBPRINZ
liest.
»London, den 5. Juni.«
HOTHAM
zeigt ihm weiter unten.
Dort! Dort!
ERBPRINZ.

»Sie fragen mich nach Neuigkeiten vom Hofe, doch sind wir ziemlich arm daran. Der Prinz von Wales befindet sich noch immer – auf der Eberjagd – in den Hochwäldern des Walliser Landes« – Der Prinz ist – nicht in Berlin?

HOTHAM
lächelnd sich umblickend.
Ebensowenig, wie Sie gegenwärtig im Palast von Saint James.
ERBPRINZ.
Aber was soll ich davon denken –?
HOTHAM.
Daß Sie zu Hothams Freundschaft, Ergebenheit und Klugheit ein besseres Vertrauen haben sollten!
ERBPRINZ.
Der Prinz von Wales ist nicht in Berlin?
HOTHAM.

St! Er ist nicht hier für uns; er ist aber hier für alle, für jeden! Der Prinz von Wales ist da, dort, hinter der Wand, im Kamin, in der Luft, unter der Erde, nirgends, wo er uns im Wege steht, und überall da, wo wir ihn brauchen werden zur spaßhaftesten Komödie von der Welt!

ERBPRINZ.
Hotham, ich hätte mich in Ihrer Freundschaft nicht betrogen?
HOTHAM.

Seitdem unser Handelstraktat durchgefallen ist, ebensowenig, wie ich mich trotz Kerker und Ungnade jetzt in Ihrer Hoffnung irre! Aber kommen Sie – zu dem Kobolde, der für uns arbeiten soll, zu dem rätselhaften Geiste, mit dem wir von heut' an die Welt in Angst und Schrecken versetzen wollen, zu Ihrem mächtigen Gegner, aber noch mächtigeren Bundesgenossen –


Lachend und staunend.
ERBPRINZ.
Sie meinen –
HOTHAM.
Zum Prinzen von Wales?

Beide ab.
Der Vorhang fällt.

4. Akt

1. Szene
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Eversmann. Dann Seckendorf.

EVERSMANN
tritt vom König heraus.
SECKENDORF
steckt den Kopf durch die Tür.
St! Eversmann! Haben Sie ihn schon gesehen?
EVERSMANN.
Wen, Herr Graf?
SECKENDORF.

Den Prinzen von Wales. Er ist in der Tat in Berlin – überall hat man ihn gesehen – Unter den Linden – an der Stechbahn – sogar hinter Treptow – eine schmächtig gebaute Gestalt, etwas übergebeugt – die linke Schulter ist um einen halben Zoll höher als die rechte. Beim Sprechen fehlt ihm ein Augenzahn.

EVERSMANN.
Der König erkennt keinen Prinzen von Wales an.
SECKENDORF.

Man hintergeht uns, Eversmann! Der König erkennt ihn dennoch an. Leise. Oder haben Sie nichts von dem sonderbaren, höchst auffallenden, alle unsere Kombinationen umstoßenden Schloßbefehl gehört? Alle Wachen sind angewiesen, einen weißen Domino, falls sich ein solcher des Nachts im Schlosse zeigen würde, ungehindert und sogar unangerufen passieren zu lassen. Begreifen Sie darin nicht die Rücksicht für den Prinzen von Wales? Der ist es, der sich auf diese Art heimlich zu Sr. Majestät einschleicht. Eversmann, alle unsere Kombinationen für Österreich sind in Gefahr. Man pocht. Man erschrickt ordentlich vor jedem Geräusch.

EVERSMANN.
Es wird der Hofschneider sein – erlauben Sie. Ha, ha! Geht an die Tür. Der weiße Domino!
SECKENDORF.

Der Hofschneider? Was soll denn nun wieder der Hofschneider? Und ein weißer Domino? Das Interesse Wiens ist und bleibt bedroht. Der König ist doch für England! Ich muß Gewißheit haben. Nun ist es Zeit, daß ich mich mit ganzer Kraft entwickle.

2. Auftritt
[129] Zweiter Auftritt.
Hotham. Eversmann mit einem kleinen Paket. Seckendorf.

HOTHAM
verbeugt sich.
Se. Majestät haben mir eine Abschiedsaudienz zu bewilligen geruht.
EVERSMANN.

Sollen sogleich gemeldet werden, Herr Ritter. Öffnet das Paket und zieht einen weisen Domino heraus. Nun, Herr von Seckendorf,Lächelnd. wenn Sie den Prinzen von Wales sehen wollen, Zeigt auf den Domino. da ist er!Ab zum König.

SECKENDORF
beiseite.
Das der Prinz von Wales?
HOTHAM
beiseite.
Ein weißer Domino der Prinz von Wales?
SECKENDORF
beiseite.
Wie kombinier' ich mir denn das nun wieder?
HOTHAM
beiseite.
Sollte dahinter vielleicht ein Geheimnis stecken?
SECKENDORF
beiseite.
Ich will den Ritter Hotham auszuforschen suchen.
HOTHAM
beiseite.
Vielleicht, daß mir der besternte Herr da Auskunft geben kann.
SECKENDORF
räuspert sich.
Wie befinden sich des Prinzen von Wales Königliche Hoheit in Berlin? Bin Graf Seckendorf.
HOTHAM.
Sehr erfreut. Exzellenz sahen ja, er befindet sich Zeigt Eversmann nach. in den besten Händen.
SECKENDORF
stutzt.

Beiseite. Besten Händen? Foppt der mich, oder foppt man ihn? Es scheint, er steckt mit in dem Komplott.

HOTHAM
beiseite.
Das Mißverständnis spannt meine Neugier.
SECKENDORF.

Sie irren sich, Herr Ritter, wenn Sie glauben sollten, daß wir den Bewerbungen des Prinzen von Wales entgegengearbeitet haben. Verschaffen Sie mir Gelegenheit, den Prinzen zu sprechen, und ich werd' es mir zur Ehre anrechnen, ihm diese Versicherung mündlich zu wiederholen.

HOTHAM
auf die Tür des Königs zeigend.

Der Eintritt in das Kabinett Sr. Majestät des Königs steht ja, wie ich höre, dem kaiserlichen Gesandten zu jeder Zeit offen.

SECKENDORF
beiseite.

Kabinett des Königs? Wohin eben der Hofschneider den weißen Domino – Laut. Hm! Herr von Hotham, ist Ihnen vielleicht die Sage von der Weißen Frau bekannt, die seit Jahrhunderten mit der Geschichte des brandenburgischen Hauses verschwistert ist?

HOTHAM.
Jawohl, Exzellenz, ich höre, daß sie sich seit einiger Zeit wieder sehen läßt.
SECKENDORF
beiseite.

Seit einiger Zeit. Es ist ein Komplott! Unter dem Geheimnis von der Weißen Frau betrügt man uns. [130] Der Prinz von Wales steht mit dem König im vollkommensten Einvernehmen. Laut. Herr von Hotham, Sie spielen ein doppeltes Spiel. Gerade heraus! Der Prinz ist nicht nur hier, er wird auch beim König jederzeit vorgelassen.

HOTHAM.
Woraus schließen Sie das?
SECKENDORF.
Es ist artig ausgemacht, die Sage von der Weißen Frau gerade jetzt wieder in Umlauf zu bringen.
HOTHAM.
Der König wird seine Ursachen dazu haben.
SECKENDORF.

Der König? Also wirklich der König seine –? Haha! Und Sie glauben nicht, daß man das feine Spiel durchschaut, daß es Augen gibt, die auch bei Nachtzeit gewisse Personen im Dunkeln über die Höfe des königlichen Schlosses schleichen sehen, Ohren, die es deutlich hören, daß diese Personen deshalb nicht angerufen werden, weil sie – ha, ha, ha! einen weißen Domino tragen? Lieber Herr von Hotham, Sie müssen Ihre Pläne doch noch etwas feiner einfädeln, wenn Sie nicht den einfachsten Kombinationen Blößen geben wollen. Aber bauen Sie nicht zuviel auf die Schonung, die der König dem Prinzen von Wales angedeihen läßt! Es ist sein Neffe, er will ihn nicht kompromittieren, er läßt ihn deshalb unter allerlei Verkleidungen aus- und einpassieren. Glauben Sie mir, das ist alles, was er hier zu hoffen hat. Wenigstens würde es mir leid tun, wenn ein junger, erst beginnender Diplomat, wie Sie, in diesem Wink nicht von einem Staatsmann etwas lernen wollte, der zwanzig Jahre schon kombiniert hat und in Kombinationen noch nicht übertroffen ist. Ab.

3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Hotham. Dann der König. Grumbkow. Eversmann.

HOTHAM
allein.

Die Wachen lassen einen weißen Domino passieren aus Rücksicht auf den Prinzen von Wales, der gar nicht existiert? Und in das Kabinett des Königs trägt man in der Tat einen weißen Domino? Hier sind zwei Tatsachen. Der König selbst hat ein nächtliches Abenteuer vor, wobei er von seinen Wachtposten nicht gestört sein will. Seine Günstlinge, die alles zu erfahren suchen und doch nur alles halb wissen, bringen den Schloßbefehl mit dem Gespenst, genannt Prinz von Wales, in Verbindung und setzen eine Schonung des jungen Abenteurers vielleicht aus verwandtschaftlichen Rücksichten oder wohl gar aus politischen Absichten voraus. Unbezahlbar! Setzt sich, um im Portefeuille etwas zu schreiben. Da könnt' ich unter dem Vorwande, [131] den Prinzen von Wales einzuführen, den aus Berlin und dem Schloß verbannten Erbprinzen wieder ungehindert bald zu seiner gefangenen Prinzessin, bald zur Königin – ei, das wird Sonnenlicht! Aber erst noch Sturm. Der König kommt.


König zum Ausgehen bereit. Grumbkow.
Eversmann.
KÖNIG
spricht schon draußen.
Wer, sagten Sie?
GRUMBKOW.
Der Ritter von Hotham.
KÖNIG
eintretend.

Sagen Sie ihm, ich ließe mich ihm und seinem englischen Preiskurant bestens empfehlen – Wir wären hier in Berlin nicht baumwollisch gesinnt –

GRUMBKOW
zeigt auf Hotham, der sich verbeugt.
Herr von Hotham wünscht Ew. Majestät persönlich aufzuwarten.
KÖNIG.

Sagen Sie ihm, Preußen nähme sich zusammen. Die deutschen Fabrikanten müßten Luft haben, um den Engländern das nachzuhaspeln und nachzuweben, was die uns schon voraus sind.

GRUMBKOW.
Herr von Hotham ist im Begriff, sich von Ew. Majestät selbst die Entlassung zu erbitten.
KÖNIG
nicht achtend.

Die Angelegenheit ist abgetan. Nur durch meine Minister! Ich ziehe die üblichen Formen vor. Setzt sich.

GRUMBKOW
in der Mitte.
Sie sehen, Herr von Hotham –
HOTHAM
zu Grumbkow.

Sagen Sie Sr. Majestät, Herr General, daß ich unendlich bedaure, den Zweck meiner Reise verfehlt zu haben. Sagen Sie ihm –

GRUMBKOW.
Se. Majestät sind zugegen!
HOTHAM.

Sagen Sie ihm, daß die Industrie eines Landes jahrhundertjährige Vorbereitungen bedarf, um den Preiskurant so niedrig zu stellen, wie ihn der englische Kaufmann stellt. Sagen Sie ihm –

GRUMBKOW.
Wollen Sie nicht Sr. Majestät persönlich –?
HOTHAM.
Ich ziehe die üblichen Formen vor.
KÖNIG
sitzend und sich mit Notizen in seiner Brieftasche beschäftigend.

Ganz schön! Und dann, Grumbkow, melden Sie ihm auch von wegen dem Prinzen von Wales, ich wollt' erst noch in Berlin ein paar neue Tore bauen lassen, jetzt müßt' er schon, um sich aus dem Staube zu machen, mit den alten vorliebnehmen.

GRUMBKOW.
Sehr wohl.
HOTHAM.

Und fügen Sie gefälligst hinzu, Herr von Grumbkow, da man annehmen dürfte, daß die Prinzessin die gleichen Empfindungen für ihren Vetter, den Prinzen von Wales, hegt –

[132]
KÖNIG.

Darauf gehen Sie gar nicht ein, Grumbkow, sondern erklären Sie ihm, daß meine Kinder gewohnt sind, meinen Willen zu erfüllen, und die Sache mit Wien auch schon so gut wie in Richtigkeit ist. Verstanden?

GRUMBKOW.
Sehr wohl, Majestät.
HOTHAM.

Fügen Sie auch hinzu, Herr von Grumbkow, daß ich beim Abschied von Sr. Majestät mir hätte eine Gnade ausbitten wollen.

KÖNIG.
Grumbkow, Sie müssen ihn dann auch so beiläufig fragen, was das für 'ne Gnade sein soll.
HOTHAM.
Herr General!
GRUMBKOW.
Herr von Hotham!
HOTHAM.

Wenn sich der König geneigt zeigt, die bittere Art, wie er einen Bewunderer seiner militärischen Größe entläßt, aus ihm angeborenem Edelmut wieder gutmachen zu wollen, dann sagen Sie ihm, ich hätte einen schöngebauten kräftigen jungen Mann, einen nahen Bekannten von mir, aus guter Familie, der es sich zur Ehre anrechnen würde, unter den ruhmvollen Fahnen Sr. Majestät von unten auf zu dienen.

KÖNIG.

Grumbkow! Sie können dann auch dem Herrn von Hotham sagen, daß mir sein Wesen, seine Manieren recht wohl gefallen haben und daß ich von Herzen wünschte, die Engländer wären alle von seinem Schlage. Was den jungen Mann anbelangt, so ließ' ich ihn fragen, ob sich der Rekrut selbst equipieren wollte?

HOTHAM.

Fügen Sie auch hinzu, Herr General, daß sich der junge Mann bei Sr. Majestät Armee einstellen würde, vorschriftsmäßig angetan, Haar und Herz auf der rechten Stelle, und daß er auch einen artigen Mutterpfennig mitbringt.

KÖNIG
immer angenehmer berührt.

Von einem geborenen Engländer nicht anders zu erwarten. Grumbkow, fragen Sie ihn auch, den Ritter, ob der junge Mann, der ohne Zweifel in England das preußische Exerzitium einführen soll, besser zu Fuß oder zu Pferde wäre?

HOTHAM.
Er bittet um eine Stelle bei den Gardedragonern in Potsdam.
KÖNIG.

Potsdam! Das geht nicht. Alles will zur Garde! Nein, nein, er kann eintreten – vorläufig in – in Pasewalk bei den Glasenappschen Füsilieren. Auch ein schönes Regiment.

HOTHAM.

Drücken Sie Sr. Majestät meinen innigsten Dank aus. In einigen Tagen wird der junge Rekrut die Ehre haben, sich Eurer Majestät vorzustellen.

KÖNIG.

Hören Sie, Grumbkow, wenn man aus Freundschaft [133] dem Ritter Hotham anböte, bei uns als Werbeoffizier einzutreten?

HOTHAM.
Die Ehre würde er ausschlagen, sich dafür aber eine zweite Gnade erbitten –
KÖNIG.
Die wäre?
HOTHAM.

In allen Zeitungen, in allen Reiseberichten liest man von einer Gesellschaft in Berlin, die jede Vorstellung übertrifft, die sich ein Engländer von Klubs und geschlossenen Gesellschaften nur machen kann.

KÖNIG.
Das sollte bei uns in Berlin die Polizei dulden? Da bin ich doch neugierig.
HOTHAM.

Ein gemütlicher Mann versammelt wöchentlich einige Male in einem kleinen niedrigen Zimmer des Schlosses eine kleine auserlesene Gesellschaft von Männern, denen er sein nächstes Vertrauen schenkt. Auf hölzernen Schemeln sitzend, oft mit ausgezogenen Röcken, den Bierkrug vor sich auf dem groben Tisch von Eichenholz, die dampfende holländische Tonpfeife im Munde, unterhält man sich daselbst trotz der hohen Stellung, welche diese Männer alle in der Welt einnehmen, auf die ungebundenste Weise. Einige, die nicht rauchen können, halten, um das Ensemble nicht zu stören, die Pfeife kalt im Munde. Den Stoff zum Lachen bietet gewöhnlich ein Mitglied dar, und es geht förmlich nach dem Lose. Das Stichblatt der lustigsten Satire zu werden, kann an jeden die Reihe kommen. In eine Sitzung dieser sonderbarsten aller Hofassembleen eingeführt gewesen zu sein, wäre für mich eine der denkwürdigsten Erinnerungen, die ich von Berlin mit hinwegzunehmen wünschen könnte.

KÖNIG.
Alle Wetter, Grumbkow, ich glaube gar, er meint unsere – Tabagie?
HOTHAM.
Das weltberühmte preußische Tabakskollegium!
KÖNIG.

Und davon hätten Sie – hätte der Ritter – Nein – Steht auf. jetzt brauch' ich die üblichen Formen nicht mehr. Ritter Hotham, Sie haben von meiner Tabagie gehört, Sie haben Gutes von ihr gesprochen, das söhnt mich mit Ihnen aus! Können Sie rauchen?

HOTHAM.
Leichten holländischen Varinas.
KÖNIG.

Hab' ich, auch Portorico, auch ungarischen Tabak. Ja, ich lasse jetzt sogar in der Mark Brandenburg einen trefflichen Knaster ziehen.

HOTHAM.
Für diesen würde ich danken.
KÖNIG.

Geben Sie mir die Hand, Ritter! Kommen Sie heut in unser Kolleg. Bei einem Trunk Bier spülen wir unsern diplomatischen [134] Ärger hinunter, und in den blauen Dampfwolken verpuffen wir alle unsere Ränke, Pfiffe und Kniffe.

EVERSMANN.
Aber, Majestät, wer soll denn heute den Stoff um Lachen abgeben?
HOTHAM.
Nehmen Ew. Majestät heute mich zum Stichblatt!
KÖNIG.

Oho! Herr Ritter, da geht's scharf her! Wer so von einem Dutzend alter Soldaten geprellt wird, der erholt sich in ein paar Wochen nicht wieder!

HOTHAM
beiseite.
Angenehmes Schicksal, da den Fuchs zu machen.
KÖNIG.

Wir finden aber schon einen, den wir heut in die Mitte nehmen. Lachen sollen Sie, lachen und dann – dann erzählen Sie uns auch etwas von den Hahnenkämpfen und von den Boxern in England. Sehen Sie, solchen Spaß, den hätt' ich für mein Leben gern und wollt' ihn auch gern hereinlassen ins Land, ohne Zoll, ohne Akzise. Also um acht Uhr Tabagie! Pardon für die sonderbare Abschiedsaudienz. Bringen Sie einen guten Durst mit. Im Trinken – da halten wir uns dann auch nicht an die üblichen Formen! Ab. Die übrigen, außer Hotham, folgen.

4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Hotham. Dann der Erbprinz.

HOTHAM
allein.

Vortrefflich! Wir schicken uns in die Verhältnisse, und die Verhältnisse schicken sich in uns. Jetzt mein Billett an die Königin! Setzt sich und liest in einem seinem Portefeuille entnommenen, bereits angefangenen Briefe. »Meine hohe Gebieterin! Ihr Wunsch, den Prinzen von Wales zu sehen, ist für Ihren untertänigsten Diener Befehl. Wenn nicht alles fehlschlägt, hab' ich die Ehre, noch diese Nacht den Prinzen von Wales seiner königlichen Tante zuzuführen. Er erwartet nicht nur das Glück, Ew. Majestät die Hand küssen zu dürfen, sondern rechnet auch mit aller Sehnsucht seines Herzens darauf, endlich zum Anblick seiner teuern Prinzessin Braut zu gelangen. Bieten Sie alles auf, für diesen Abend die Prinzessin aus ihrer Haft zu befreien. Schreibt noch hinzu. Ich schlage Ihnen zu dem Ende vor, der Prinzessin anzuraten, sich eines weißen Dominos zu bedienen. In dieser Tracht wird sie ungehindert an den Wachen des Schlosses vorübergehen dürfen.« So! Auf die Art können sich die jungen Leute wiedersehen, das Herz der Mutter bestürmen, die öffentliche Meinung, repräsentiert durch die geladenen Gäste, für sich gewinnen – [135] Siegelt. Wenn ich nun noch den Erbprinzen – aha – da ist er.

ERBPRINZ
sieht schon vorher ins Zimmer.
Hotham, ich suche Sie überall! Denken Sie sich, was mir eben begegnet ist!
HOTHAM.
Wieder ein Auftrag?
ERBPRINZ.

Noch kann ich mich kaum fassen. Wie ich trostlos, mich zur Abreise rüstend, zu den Fenstern der gefangenen Geliebten hinaufblicke, nähert sich mir ein Lakai des Königs; ich erwarte eine neue Demütigung, aber denken Sie sich mein Erstaunen über die Überraschung. Sie kennen doch den Wert, den der König auf seine nächtlichen Tabaksgesellschaften legt. Nur Personen, mit denen er ganz besondere Absichten hat, pflegt er zu diesen Gelagen einzuladen. Denken Sie sich mein Befremden, wie ich höre, daß mich Se. Majestät ersucht, ihm vor meiner Abreise heute noch einmal das Vergnügen zu machen, seiner Tabagie beizuwohnen.

HOTHAM.
Sie sind eingeladen?
ERBPRINZ.
Sie lachen ja?
HOTHAM
bricht immer mehr in Lachen aus.
ERBPRINZ.
Warum lachen Sie denn?
HOTHAM.
Unbeschreiblich komisch!
ERBPRINZ.

Komisch? Ich finde es tragisch, wenn ein Fürst so inkonsequent ist, uns erst zu demütigen, und uns dann plötzlich mit Zuvorkommenheiten überhäuft! Was ist Ihnen denn?

HOTHAM.

Stellen Sie sich einmal gerade! So! Brust heraus, Kopf in die Höhe, Hände am Leibe, mehr nach hinten zu –

ERBPRINZ.
Ja, was wollen Sie denn?
HOTHAM
faßt ihm ins Haar.
Prächtiger Wuchs!
ERBPRINZ.
Was wollen Sie von meinem Haar? Und Ihr Lachen?
HOTHAM.

Infolge einer kuriosen diplomatischen Verhandlung bin ich heute zu der Ehre gelangt, gleichfalls zur Tabagie eingeladen zu werden. Und um mir nun den rechten Hautgout der dortigen, wie es scheint, etwas stark natürlichen Unterhaltung zu verschaffen, hat man sich nach einem Wildbret umgesehen, auf das eine allgemeine Hetzjagd angestellt werden soll –

ERBPRINZ.

Und dies Wildbret – soll ich sein? Nun wird's zu arg! Hotham, ja, ich will hin, ich will mich ans unterste Ende der großen Tafel setzen, aber ich sage Ihnen, meine Geduld ist erschöpft. Ich will zeigen, daß ich gegen die Späße plumper Soldaten Waffen führe, die ich bisher nicht angewendet habe. Ich will hingehen, mit scheinbarer Ruhe will ich anhören, was man mit mir vorhat, aber dann werd' ich auch meinen Köcher [136] hervorziehen, Pfeil auf Pfeil auf diesen groben Despotismus abschießen, und wenn ihnen auch die Geschosse nicht durchs grobe Lederkoller dringen, dann, Hotham, schlag' ich mit dem Degen drein!

HOTHAM.

Brav, Prinz! So recht! Vortrefflich! So kann ich Sie brauchen. So fahren Sie fort! Das ist die Sprache, die man hier reden muß! Die Zeit rückt heran; meinen Plan auseinanderzusetzen, führt zu weit – diesen Brief schnell an die Königin besorgt, dann in die Tabagie – aber Sie sind, seh' ich, in einem Humor, der keine Erörterungen zuläßt. Erhalten Sie sich diesen Zorn, wüten Sie! Recht so! Schnauben Sie – wie ein Tiger! – Führt ihn unterm Arm ab. Wütender! Immer noch wütender! So! Nun werden Sie meinen Plan unterstützen, der kein andrer ist, als den König dadurch zu gewinnen, daß Sie ihm imponieren! Beide ab.


Verwandlung.
2. Szene
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Lakaien tragen einen eichenen Tisch herein und stellen um ihn her eine Anzahl hölzerner Schemel. Dann bringen sie auf hölzernen Platten Krüge, die sie rings auf den Tisch setzen. Ein Kohlenbecken. Lakaien ab.
Der König tritt in leichter militärischer Hauskleidung, den kleinen holländischen Pfeifenstummel im Munde, aus der Tür links. Er macht sorgfältig hinter sich zu. Eversmann.

KÖNIG.
Versammeln sie sich schon?
EVERSMANN.
Scheint recht lebhaft draußen.
KÖNIG.

Meine einzige Erholung das! Solange ich diese kleine Zerstreuung noch haben kann, will ich die Lasten und Sorgen der Regierung gerne tragen. Sind die tönernen Kanonen geladen?

EVERSMANN.
Dampfen schon welche draußen.
KÖNIG.
Das Bier hübsch frisch, ein bißchen bitter? Was?
EVERSMANN.
's könnte besser sein.
KÖNIG.

Die Bernauer Brauer sollen sich in acht nehmen, daß ich ihnen nicht mal über die Blase komme! Wie ist's mit dem weißen Kittel, den ich bestellt habe?

EVERSMANN.
Alles in Ordnung.
[137]
KÖNIG.
Wenn die Sitzung aufgehoben ist, weiß Er, was ich vorhabe –
EVERSMANN.
Alles in Bereitschaft.
KÖNIG.
Geh Er jetzt! Mit Glockenschlag zehn wird die Tür geöffnet.
EVERSMANN.
zu Befehl. Ab.
KÖNIG
geht ans Fenster und bleibt eine Weile stehen.

Pause. Bei meiner Frau ist wieder Licht da drüben! Drei Zimmer sind erhellt, wo's an einem genug ist, und das Talg ist so teuer! Auf heute nacht sind ein Dutzend Frauenzimmer hinübergeladen worden, und jedenfalls soll ein großes Komplott geschmiedet und der Prinz von Wales mir zum Trotz inkognito da empfangen werden! Aber wartet, ich komme unter euch! Ein Tag, der wichtig angefangen hat und wichtig enden soll!


Eine kleine Zimmeruhr schlägt zehn.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Die Nebentür nach rechts wird geöffnet. Die Mitglieder der Tabaksgesellschaft, Grumbkow und Seckendorf an der Spitze, treten ein. Ihre Zahl beträgt außer den handelnden Personen etwa noch zehn. Aue treten feierlich ein, den Hut auf dem Kopfe, die Pfeife im Munde. Beim König vorübergehend fassen sie an den Hut und nehmen einen Augenblick die Pfeife aus dem Munde. Zuletzt Hotham und der Erbprinz. Der König steht links und läßt den Zug an sich vorüber nach rechts passieren. Eversmann.

GRUMBKOW
macht die vorgeschriebene Begrüßung.
Guten Abend, Majestät!
KÖNIG.
Guten Abend, Grumbkow!
SECKENDORF.
Guten Abend, Majestät!
KÖNIG.
Guten Abend, Seckendorf!
GRAF SCHWERIN.
Guten Abend, Majestät!
KÖNIG.
Guten Abend, Schwerin! Schmeckt's?
GRAF SCHWERIN.
Danke, Majestät! Geht vorüber.
GRAF WARTENSLEBEN.
Guten Abend, Majestät!
KÖNIG.
Guten Abend, Wartensleben! Hat sie Luft?
GRAF WARTENSLEBEN.

Danke, Majestät! Geht vorüber. Die andern gehen alle nach und nach oder mehrere auf einmal mit Begrüßungen vor über.

KÖNIG.

Nun, meine Herren, nehmen Sie Platz. Ohne Unterschied, nach Belieben! Pulverdampf macht alles gleich.

GRUMBKOW.
Aber das Ziel, Majestät, das uns für heute versprochen?
KÖNIG.
Ha, ha! die Scheibe. Da ist sie.

Hotham und der Erbprinz treten ein.
ALLE.
Der Erbprinz?
[138]
ERBPRINZ.
Guten Abend!
KÖNIG.

Recht so, Erbprinz, daß Sie gekommen sind. Nun können Sie doch in Rheinsberg etwas Ordentliches von meiner Familie wiedererzählen. Beiseite. Spion! Laut. Ich glaube gar, Sie rauchen kalt.

ERBPRINZ
mit verhaltenem Zorn.
Das Feuer denk' ich mir hier zu holen.

Man setzt sich und zwar so, daß an der einen Spitze des Tisches der König mit Grumbkow, an der andern Hotham mit dem Erbprinzen sitzen.
KÖNIG.
Langen Sie zu, meine Herren. Da stehen die Sorgenbrecher!
SECKENDORF.
Aus das Wohl Sr. Majestät!
KÖNIG.
Nein, nach einem heißen Tag voll Ärger und Kummer, auf Heiterkeit, Frohsinn und gute Einfälle!

Alle stoßen an.
EVERSMANN
der ab- und zugeht, die Gäste bedient und die Kohlen zum Anzünden reicht, beiseite.
Auf Einfälle stoß' ich nicht an. Ich baue mir jetzt schon mein viertes Haus.
KÖNIG
beiseite.
Grumbkow, ich glaube, heute wird's hübsch werden.
GRUMBKOW
beiseite.
Den Erbprinzen wollen wir gleich anbohren.
KÖNIG
beiseite.

Machen Sie's gnädig. Der Angstschweiß steht ihm schon auf der Stirne. Laut. Sagen Sie mal, Erbprinz, da Sie doch so viel in der Welt herumgewindbeutelt sind, rauchen sie denn auch schon in Versailles Tabak?

ERBPRINZ.
Nein, Majestät, aber in London hab' ich Matrosen gesehen, die kauen ihn.
KÖNIG.

Brr! Grumbkow, das führen wir nicht ein – ich will nicht sagen von wegen dem Geschmack, aber solche Mahlzeiten müssen sehr kostspielig werden.

HOTHAM.
Unsere Matrosen brauchen den Tabak auch nur als Mittel gegen den Skorbut –
SECKENDORF.
Was ist Skorbut?
ERBPRINZ.
Ein Übel, Herr von Seckendorf, das mit einem bösen Munde anfängt.
KÖNIG
lachend beiseite.
Ah, Grumbkow, merken Sie was? Er kitzelt. Jetzt mal heraus mit der Plempe!
GRUMBKOW.
Eversmann! Sind die neuesten holländischen Zeitungen angekommen?
EVERSMANN.
O wohl, aber wieder lauter Lügen drin, Exzellenz.
[139]
KÖNIG.
Lügen? Drum, glaub' ich, nach dem Sprichwort, ist auch unser Bier so sauer.
GRUMBKOW.
Sagen Sie, Eversmann, steht nichts von Ansbach drin?
HOTHAM
beiseite zum Erbprinzen.
Rüsten Sie sich!
EVERSMANN
frech.
Ach, über so ein kleines Ländchen –
KÖNIG.

Stille! Preußen war auch einmal klein! Sagen Sie lieber, was schreiben denn jetzt die Holländer über Preußen?

EVERSMANN.
Schändlich! Es wären aus Potsdam wieder soviel Deserteure durchgegangen –
KÖNIG.
Das ist nicht gelogen. Leider!
ERBPRINZ.
Aber sie drücken sich darüber zarter aus.
KÖNIG.
Wie denn, Erbprinz?
ERBPRINZ.

Die Garden Ew. Majestät bestünden aus Menschen, die größtenteils an einem krankhaften Wachstum litten. Diese Riesen bekämen zuweilen Perioden, wo sie so ausschlügen, daß sie über alle Fichten gingen und ganz aus dem menschlichen Gesichtskreise. verschwänden –

KÖNIG.
Ha, ha! Lustig ausgedrückt. Trinken Sie doch, Erbprinz!
GRUMBKOW.
Ich denke, Ew. Hoheit lesen nur französische Blätter?
ERBPRINZ.

Ich würde am liebsten preußische lesen, aber, dank der Politik des Herrn von Grumbkow, zurzeit dürfen in Preußen noch keine Blätter erscheinen.

KÖNIG.

Ha, ha, da haben Sie's. Beiseite. Sieh, sieh, der nimmt kein Blatt vor den Mund. Es wird hübsch heute.

HOTHAM
beiseite zum Erbprinzen.
Werden Sie nicht zu scharf! Mäßigung!
GRUMBKOW
beiseite.
Seckendorf, strengen Sie mal Ihren Witz an.
SECKENDORF
beiseite.
Stille, ich kombiniere schon lange etwas. Lassen Sie mich nur die günstige Zeit abwarten.
KÖNIG.

Aber Sie trinken nicht, Erbprinz! Hier muß man trinken können. Beiseite. Eversmann, schenk' Er ihm tüchtig ein.

HOTHAM
beiseite.
Man will Sie berauschen! Rücken Sie nur immer Ihren Krug zu mir herüber.
KÖNIG.
Kennen Sie den alten Dessauer, Erbprinz?
ERBPRINZ
befremdet.
Majestät –
KÖNIG.
Wissen Sie aber auch, welche große Erfindung die Menschheit dem alten Dessauer zu verdanken hat?
ERBPRINZ
beiseite.
Hotham, wissen Sie's nicht?
HOTHAM
beiseite.
Verdammte Querfrage – sagen Sie die Gamaschen!
[140]
ERBPRINZ.
Was – der alte Dessauer – erfunden hat, wünschen Ew. Majestät zu wissen?
SECKENDORF
beiseite.
Sehen Sie, nun fangen wir ihn.
KÖNIG.
Ja! Was hat der alte Dessauer erfunden?
ERBPRINZ.
Das Pulver kann's nicht sein, denn das hat schon Herr von Seckendorf erfunden. Alle lachen.
SECKENDORF
beiseite.
Lassen Sie nur, Grumbkow, ich warte nur den günstigen Augenblick ab.
KÖNIG.

Die eisernen Ladestöcke hat er erfunden! Sehen Sie, so was wird mein Sohn in Rheinsberg mit all seinem Homer und Voltaire und wie sie heißen, die verdammten Heiden, in seinem Leben nicht zustande bringen. Beiseite. Trinkt er denn, Eversmann?

HOTHAM
beiseite.
Verlieren Sie Ihren Vorteil nicht.
ERBPRINZ
beiseite.
Wer, Teufel, kann auch an die eisernen Ladestöcke denken?
GRUMBKOW
aufstehend.
Auf die glückliche Reise Sr. Hoheit des Erbprinzen von Baireuth!
ALLE
außer dem König stehen auf.
Glückliche Reise!
HOTHAM
beiseite.
Sie erliegen, Sie verlieren alles!
ERBPRINZ
beiseite.
Schändliche Perfidie!
HOTHAM
beiseite.

Imponieren Sie ihm! Grob wie er selbst! Stellen Sie sich berauscht. Alle setzen sich wieder, nachdem sie lachend angestoßen haben.

ERBPRINZ
steht mit dem Krug in der Hand auf und spricht mit der Andeutung einer leichten Trunkenheit.
Meine Herrschaften –
KÖNIG
beiseite.
Ich glaube, er hat 'nen Spitz!
ERBPRINZ.
Und – und – und – ich danke Ihnen.Setzt sich. Alle lachen.
KÖNIG.
Bravo, Erbprinz! Vortrefflicher Redner sind Sie!
GRUMBKOW.
Majestät, er ist fertig. Er soll jetzt eine Rede halten –
KÖNIG.
Ja, Erbprinz, halten Sie 'ne Rede!
ALLE.
Eine Rede, eine Rede!
ERBPRINZ
stützt den Kopf in die Hände und sieht nicht auf.
HOTHAM.
Es früge sich nur, über was?
KÖNIG.
Über alles, – was er will!
HOTHAM.
Ich wüßte einen interessanten Gegenstand.
KÖNIG.
Heraus damit!
HOTHAM.
Über irgendein Mitglied dieser lustigen Gesellschaft.
KÖNIG.
Topp! Und daß wir nicht lange zu wählen brauchen – über mich!
[141]
ALLE
betroffen.
Über Ew. Majestät?
KÖNIG.

Es ist schrecklich heiß hier! Knöpft sich den Rock auf. Machen wir's uns bequem, Eversmann! – Erbprinz! Jetzt mal los! Halten Sie eine Rede über mich!

HOTHAM.
Bitte –
KÖNIG.
Nicht gezögert, gerade als wenn ich gestorben wäre.
HOTHAM.
Majestät –
KÖNIG.

Ruhig, alles still! Der Erbprinz hält über mich eine Rede. Beiseite. In vino veritas! Ich will doch hören, ob in so einem französischen Windbeutel alles Lüge ist.

HOTHAM
beiseite.
Das wird ein entscheidender Moment.
ERBPRINZ
tritt vor.
Er schwankt etwa, sammelt sich aber wieder. Fröhliche Versammlung!
KÖNIG.
Fröhliche? Ich bin ja gestorben.
ERBPRINZ.
Tut nichts. Sind doch fröhlich.
KÖNIG.
Sapperment, ist das wahr?
ERBPRINZ.

Fröhliche Versammlung, vergnügte Leidtragende! Erlauben Sie, daß ich die heutige Festfreude durch einige schmerzliche Betrachtungen unterbreche über die Eigenschaften des Dahingeschiedenen.

KÖNIG.
Schmerzliche Betrachtungen? Das ist ja ein schöner Anfang!
ERBPRINZ.

Friedrich Wilhelm I., König von Preußen, war – ein großer Charakter, in dem sich – die sonderbarsten Widersprüche – vereinigten.

KÖNIG.
Widersprüche?
ERBPRINZ.

Wie bei allen Menschen, die ihre Erziehung sich selbst verdanken, stand sein an sich edles Gemüt unter dem Einfluß trüber Regungen, von denen die trübste sein Mißtrauen war.

KÖNIG.
Das sind mir ja schöne Sachen!
ERBPRINZ.

Seine Staaten hat er zu einem glänzenden Aufschwung gebracht. Er hat die Regierung vereinfacht, er hat die Gerechtigkeitspflege verbessert. Den ruhigen Genuß aller dieser Segnungen verdarb er sich aber durch eigene Schuld.

KÖNIG.
Sieh, sieh, durch eigene Schuld?
SECKENDORF
beiseite.
Der junge Mensch muß schrecklich viel getrunken haben.
ERBPRINZ.

Sein lebhafter Geist versetzte ihn in eine fortwährende Unruhe, die ebenso für andere wie für ihn selbst peinlich war. Ermüdet konnte er das Bedürfnis gemütlicher Erholung nicht unterdrücken, und seine Sitten waren einfach genug, dies Bedürfnis nirgends anders befriedigen zu wollen als im Schoße seiner Familie.

[142]
EVERSMANN
beiseite.
Wenn das kein Unglück gibt!
ERBPRINZ.

Aber auch hier, statt sich auf Rosen zu legen, bettete sich der arme Fürst auf Dornen. Die unglückliche Geschichte seines Sohnes ist so bekannt, daß ich sie mit Stillschweigen übergehen darf –

KÖNIG.
Mit – Stillschweigen –
ERBPRINZ.

Die Freiheit des menschlichen Willens hat Friedrich Wilhelm nicht verstanden. Impfen wollt' er Stamm auf Stamm, Sohn auf Vater, Jugend auf Alter. Die Hand einer liebenswürdigen Tochter bald hier-, bald dorthin verschenkend, fiel ihm niemals ein, auch einmal der Wahl des Herzens Rechte einzuräumen, auch einmal zu fragen: Macht meine Wahl dich auch glücklich, Kind?

KÖNIG.
Eversmann, nehm' Er mal die Pfeife!
ERBPRINZ.

Nun ist er geschieden. Jene Kreatu ren, die während seines Lebens das Herz der Mutter vom Herzen des Vaters und Gatten entfernt gehalten hatten, zittern. Was der verkannte Sohn mit diesen Kreaturen beginnen wird, steht dahin. Des Vaters Schöpfungen werden die Grundlage dieses Staates bleiben. Über sie her aber wird ein milderer Geist wehen, Künste und Wissenschaften werden den Ruhm der Kugeln und Kanonen überflügeln, und der himmelanstrebende Adler Preußens wird seine Devise jetzt wahrhaft erfüllen: Nec soli cedis! Zu deutsch: Selbst der Sonne Blick darf dich nicht blenden! Selbst die Sonne muß dir aus dem Wege gehen! Besinnt sich und geht, sich wieder trunken stellend, nach einer Pause an den Tisch. Hotham, geben Sie mir zu trinken!

KÖNIG
nach einer Pause.
Was ist die Uhr?
EVERSMANN.
Elfe durch – Majestät – Beiseite. Treffen wir jetzt den Prinzen von Wales, dann wehe ihm!
KÖNIG
geht an den Tisch und nimmt einen Krug.

Erbprinz, wenn Sie morgen bei Verstand sind, dann lassen Sie sich erzählen, daß ich mit Ihnen angestoßen habe.

ERBPRINZ
stößt an.
Zu Befehl, Majestät.
KÖNIG.

Er versteht's nicht, Hotham! Übersetzen Sie's ihm ins Nüchterne! Gute Nacht, meine Herren! Wendet sich noch einmal um und betrachtet den Erbprinzen nachdenklich, indem er dessen Worte wiederholt. »Macht meine Wahl dich auch glücklich?« Auf den Erbprinzen blickend. Schade um ihn, es ist ein Büchermensch.

EVERSMANN
ergreift geschäftig einen Leuchter, streift im Zorn an dem triumphierenden Hotham vorbei und spricht mit einem ingrimmigen Blick auf den Erbprinzen.
Darf ich Ew. Majestät vorleuchten – zu dem Besuch – jetzt – bei –
[143]
KÖNIG
unterbricht ihn mit des Erbprinzen Worten.

»Die Kreaturen zittern?« Nach einer Pause, während deren er alle übersieht. Ich will allein sein.Geht ab.


Der Vorhang fällt.

5. Akt

[1. Szene]
1. Auftritt
Erster Auftritt.
Kamke steht auf einem Tritt und befestigt vor dem Fenster einen großen Vorhang. Zwei Lakaien sind ihm dabei behilflich. Dann Fräulein von Sonnsfeld.

KAMKE
oben.

So! Empfangt jetzt die Damen an der kleinen Seitentreppe! Sie kommen alle in Portechaisen. Ohne Geräusch, hört ihr? Leise, leise!

LAKAIEN
ab.
SONNSFELD
tritt von links ein.

Nun, das ist doch einmal ein Fest, womit sich der preußische Hof wieder sehen lassen kann! Kamke, wozu verstopft Er denn die Fenster?

KAMKE.

Damit man unser Fest nicht sehen kann!Heruntersteigend. Sie lassen sich also auch in diese Staatsverschwörung ein?

SONNSFELD.

Die Königin wird alles verantworten. Sie setzt ihre eigene Freiheit an die Freiheit ihrer Tochter und empfängt heute den Prinzen von Wales im verschwiegensten Inkognito. Ist alles bereit?

KAMKE.

Sie wollen die Prinzessin aus ihrer Haft befreien? Bedenken Sie, Fräulein, das ist ein Majestätsverbrechen.

SONNSFELD.

Es muß gelingen, es koste, was es wolle! Die Königin will die Prinzessin im Kreise des gesellschaftlichen Zirkels sehen, den sie heute zu einem geheimen Zweck eingeladen hat. Die Prinzessin ist unterrichtet. Sie weiß, daß ich kommen werde und zur Täuschung der Wache statt ihrer im Gefängnis bleibe. An dem blauen Saal wird sie Ihm begegnen –

KAMKE.
Da – wo seit einigen Nächten die Weiße Frau gesehen wird?
SONNSFELD.
Sie wird Ihm erscheinen –
KAMKE
entsetzt.
Mir?
SONNSFELD.
Sie wird Ihn anreden –
KAMKE.
Mich?
[144]
SONNSFELD
zieht ihn an die Tür rechts.

Ja, gebildeter Berliner! Ihm und Ihn! Und du führst sie hierher, ergreifst ihre Hand und bringst sie auf dem sichersten Wege in die Gesellschaft –

KAMKE.
Fräulein – Wen? Die Prinzessin Wilhelmine?
SONNSFELD
im Abgehen nach rechts.
Nein, nein, Kamke, die Weiße Frau! Aber geschwind, geschwind! Beide ab.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
Frau von Viereck, Frau von Holzendorf und noch etwa sechs Damen treten nach und nach behutsam durch die Mitteltür herein. Lakaien. Später die Königin.

VIERECK.
Pst! Treten Sie behutsam auf!
HOLZENDORF
flüsternd.
Es ist noch alles still. Wenn nur meine erwünschten Schuhe nicht so knarren wollten!
VIERECK
flüsternd.
Was mag Ihre Majestät die Königin nur vorhaben?
HOLZENDORF.
Ist denn Se. Majestät der König verreist?
VIERECK.
Beim französischen Gesandten hört' ich, Se. Hoheit der Kronprinz wäre von Rheinsberg gekommen –
HOLZENDORF.
Wahrscheinlich zugleich mit Sr. Hoheit dem Prinzen von Wales –
VIERECK
leise.

Beide waren soeben in der Tabagie des Königs. Der Kronprinz soll sich aufs neue mit seinem Vater über die künftige Verwaltung des Staates überworfen haben.

HOLZENDORF.
Ist es möglich?
VIERECK.

Und der Erbprinz von Baireuth soll den Streit haben vermitteln wollen, aber der Prinz von Wales soll dem Kronprinzen beigestanden haben.

HOLZENDORF.
Der Prinz von Wales? So ist er also doch empfangen worden?
VIERECK.

Der König, in der Hitze des Wortwechsels, soll Befehl gegeben haben, die Prinzessin Wilhelmine, die Ursache des Streites, sogleich nach Küstrin abzuführen –

HOLZENDORF.
Großer Gott, meine Damen! Und da liegen Karten auf den Tischen! Still, ich höre Geräusch.
VIERECK.
Es ist die Königin.
DIE KÖNIGIN
im großen Kostüm, tritt sehr aufgeregt und doch voll Bangen ein.
HOFDAMEN
verneigen sich.
KÖNIGIN.

Willkommen meine Damen! Ich fühle mich glücklich, wieder einmal einen Kreis von Wesen um mich zu haben, die mich lieben! Nehmen Sie Platz! Ich habe mir vorgenommen, [145] geselliger zu werden und Sie wieder öfter bei mir zu sehen. Sie werden spielen, Frau von Viereck?

VIERECK.

Spielen, Majestät? Seit achtzehn Jahren erinnere ich mich nicht, im Schlosse eine Karte gesehen zu haben.

KÖNIGIN.

Ja, das soll anders werden. Meine Damen, Sie kennen meine Pläne noch nicht; Sie wissen noch nicht, welche Überraschungen Ihnen der heutige Abend bereiten wird –

HOLZENDORF.
Überraschungen, Majestät?
KÖNIGIN
zeigt auf einen Spieltisch am Fenster.
Dorthin, liebe Holzendorf! Machen Sie Partie mit Frau von Viereck –
VIERECK
beiseite.

Mein Himmel, spielen? Und durch diesen Vorhang kann man deutlich die Konturen meines Schattens sehen.

KÖNIGIN
die sich gesetzt hat.
Warum zögern Sie?
VIERECK.
Um Vergebung, Majestät, wenn wir die Tische etwas näher rückten? An dem Fenster hier zieht es.

Lakaien rücken den Tisch etwas vom Fenster ab.
KÖNIGIN.

Ja, meine Damen, mit dem heutigen Abend beginnt eine neue Epoche unserer Monarchie – ich breche endlich unsere bisherige Etikette! In bezug auf die servierenden Lakaien. Befehlen Sie, was Sie vorziehen! Die Getränke Chinas und der Levante sollen von jetzt an keine Fremdlinge mehr an unserm Hofe sein.

HOLZENDORF.
Was seh' ich, Tee?
VIERECK.
Kaffee? Diese verbotenen Getränke?
HOLZENDORF.
Wenn Se. Majestät der König –
KÖNIGIN.

Befürchten Sie nichts! Geben Sie sich dem lautesten Ausbruch Ihrer Gefühle, geben Sie sich ohne Furcht dem Bewußtsein einer Sicherheit hin – Es klopft rechts. Klopft es nicht?

VIERECK
zitternd, für sich.
Was soll das geben –!

Es klopft wieder, alle stehen erschrocken auf.
KÖNIGIN.

Ruhig, meine Damen. Wir sind ohne Gefahr. Dieser Abend wird Schlag auf Schlag eine Überraschung nach der andern bringen. Wen vermuten Sie wohl dort an der Tür?


Man pocht wieder.
HOLZENDORF.
Die Hand scheint nicht die zarteste zu sein.
KÖNIGIN.

Doch! Doch! Es ist das ungestüme Verlangen eines Wesens, das ich den Mut gehabt habe, aus einer entwürdigenden Lage zu befreien. Nehmen Sie ruhig Ihre Plätze ein meine Damen. Lassen Sie sich durch nichts, durch keine Überraschung stören. Von den Dingen, die heute kommen werden, ist dies der Anfang, und so ruf' ich denn, mit überwallendem Gefühl, Während wieder geklopft wird. mäßige dein Ungestüm, geliebtes Wesen, du findest, was du suchtest, deine Mutter! Sie öffnet.

3. Auftritt
[146] Dritter Auftritt.
Der König in einem weißen Mantel, den Hut tief ins Gesicht gedrückt. Die Vorigen.

KÖNIG.
Ja, deine Mutter!
HOFDAMEN
stehen mit einem Entsetzenslaut auf.
KÖNIG
nimmt den Hut ab.
KÖNIGIN
beiseite, vernichtet.
Der König!
KÖNIG
zornig, sich aber zur Leutseligkeit zwingend.

Sieh, sieh, was das hier hübsch ist! Wie schön sich das hier ausnimmt, wenn so recht viel Lichter brennen! Bläst einige aus. Warum verstecken Sie sich denn so, meine Damen? Haben Sie diesen Besuch erwartet?

KÖNIGIN.
Majestät –
HOFDAMEN
stellen sich so, daß sie die Tisch verdecken, und verbergen rasch die Karten.
KÖNIG.

Lassen Sie sich doch nicht stören, meine Damen! Welches ist denn der Gegenstand Ihrer angenehmen Unterhaltung? Ei, ei, Frau von Holzendorf, ein Schälchen Suppe, gern gegeben! Geht näher, sieht das Service. Hoho, Silberservice!Sieht in die Tassen. Was? Tee? Schokolade? Kaffee?

KÖNIGIN.
Sie werden – erlauben, Majestät, daß wir – mit unserm Jahrhundert fortschreiten.
KÖNIG.

Frau von Viereck, Sie, dächt' ich, wären doch mit Ihrem Jahrhundert schon lange genug fortgeschritten! Vor dreißig Jahren bekam ich alter Knabe manchmal ein Händchen von Ihnen – Reicht listig eine Hand.

VIERECK
sucht hinten die Karten zu verbergen.
Ach, diese Gnade, Majestät –! Reicht eine Hand.
KÖNIG.
Beide, beide, Frau von Viereck!
VIERECK
läßt hinten die Karten fallen.
KÖNIG.

Was ist das? Sie ließen etwas fallen? Mein Gott, Karten! Steht sprachlos. Karten –! Zur Königin. Madame, Karten –! Ein christlicher Hof – und Karten! Nicht wahr, Frau von Viereck, Sie haben aus den Karten nur geweissagt, Sie haben sich bloß die Karten gelegt, meine Damen, Sie haben bloß wissen wollen, Frau von Viereck, ob Sie noch einmal Ihren fünften Mann begraben werden? Wie? Oder doch –? Geld auf den Tischen –Schlägt die Hände zusammen. Sie haben ge spielt! An meinem Hofe gespielt! Karten gespielt! Es klopft rechts. Wer klopft da?

KÖNIGIN
beiseite.
Wilhelmine oder der Prinz von Wales! Ich bin verloren. Es klopft wieder leise.
KÖNIG.
Erwarten Sie noch mehr Besuch? Herein –!Geht selbst und öffnet.
4. Auftritt
[147] Vierter Auftritt.
Wilhelmine weiß verschleiert und im weißen Domino tritt behutsam herein. Die Vorigen.

KÖNIG.

Eine verschleierte Dame? So geheimnisvoll die Besuche, die hier empfangen werden? Hebt den Schleier ab. Was seh' ich? Wilhelmine!

WILHELMINE
stürzt ihm zu Füßen.
Vater, Vergebung!
KÖNIG.
Ein Einbruch in die Staatsgefängnisse? Ein Attentat auf meinen allerhöchsten Willen?
WILHELMINE
sich erhebend beiseite.
Da bin ich schön angekommen. Es klopft jetzt links.
KÖNIG.

Klopft es nicht schon wieder? Es klopft stärker. Ich glaube, das Schloß ist verhext? So bin ich also dem Ausbruch einer Verschwörung noch glücklich zuvorgekommen! Es klopft stärker. Wer ist an jener Tür? Sie antworten nicht? Nun, so muß ich selbst öffnen.

KÖNIGIN
tritt ihm entgegen.
Sie werden nicht!
KÖNIG.
Sie wollen mich verhindern, die Feinde der Krone kennen zu lernen? Ich werde öffnen.
KÖNIGIN.
Nimmermehr!
KÖNIG.
Sie bieten mir Trotz? Sie widersetzen sich dem König?
KÖNIGIN.

Ja, ich fühle die Kraft in mir. Meine Damen hören Sie, weshalb ich Sie einlud, heute in diesen Zimmern, heute bei Ihrer Königin zu erscheinen. Ja, Sire, der Zweck dieser Stunde war, die Fäden Ihrer Politik durch zwei Hände zu zerreißen, welche bestimmt sind, vereint durchs Leben zu gehen.

WILHELMINE.
Zwei Hände?
KÖNIGIN.

Wilhelmine, ich habe dich aus einer Gefangenschaft befreit, die der Tochter eines Königs unwürdig ist. Öffnen Sie, Sire! Sie finden meinen Neveu, meinen künftigen Schwiegersohn, den Prinzen von Wales!

ALLE.
Den Prinzen von Wales?
KÖNIG
nachdem er sich gesammelt hat.

Madame, Sie erreichen, was Sie wollen. Sie zerreißen das Band, das mich bisher an meine Familie, das mich ans Leben fesselte. Sie wissen, daß mir die Ehre und der gute Ruf über alle Berechnungen der Politik gehen. Sie wissen, daß durch diese nächtliche Szene, durch dies geheime Einverständnis mit einem für mich nur abenteuerlichen Fremdling Wilhelminens Ruf auf immer vernichtet ist. Freuen Sie sich Ihres Triumphes auf Ihrem künftigen Witwensitz [148] Oranienbaum, wohin ich Sie hiermit nach den Gesetzen unsers Hauses für die noch kurze Zeit meines Lebens verweise.

WILHELMINE
auf den König zueilend.
Nimmer mehr!
KÖNIG.
Madame, lassen Sie jetzt den Prinzen von Wales eintreten!
KÖNIGIN
schwankt mit hörbaren Atemzügen an die Tür, sie wirft noch einen Blick gen Himmel und öffnet.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Der Erbprinz tief in einen weißen Mantel gehüllt. Hotham mit einer spitzen Blechmütze, wie sie zum damaligen preußischen Militärköstum gehörte, in der Hand; doch darf diese Mütze noch nicht gesehen werden. Die Vorigen.

WILHELMINE.
Wie? Wen seh' ich?
ALLE.
Der Erbprinz von Baireuth!
KÖNIGIN.
Was ist das, Ritter! Wo ist der Prinz von Wales?
HOTHAM.

Majestät, ich erstaune! Wie ich soeben, in diesem Augenblick, erfahren habe – der Prinz ist auf einer Reise nach Schottland begriffen.

ALLE.
Wie?
KÖNIGIN.
Der Prinz ist nicht in Berlin?
HOTHAM.

Während einige der glaubwürdigsten Zeugen versichern, der Prinz wäre wirklich hier gewesen, wollen andere behaupten, er wäre nach England in dem Augenblick zurückgekehrt wo er erfahren mußte, daß sich das Interesse seines Patriotismus das Interesse der Baumwolle mit den Empfindungen seines Herzens nicht vereinigen ließe.

KÖNIGIN.
Was soll der Erbprinz von Baireuth?
HOTHAM.

Er suchte, wie wir, den Prinzen von Wales, mit dem er im Begriff ist, sich auf Tod und Leben zu schlagen.

ALLE.
Ha!
KÖNIG.
Zu schlagen? Warum denn er?
HOTHAM.

Weil der arme Prinz eines kleinen Landes dem Prinzen eines Weltstaates seine Flotten, seine Armeen, seine Schätze gönnt, einen Schatz aber nur mit seinem Blut ihm abtreten wird, die Hand der Prinzessin Wilhelmine, die er liebt!


Allgemeine Bewegung.
KÖNIG.

Die er liebt? Die Hand meiner Tochter? Ja, kann denn der Erbprinz von Baireuth auch ein Schwert führen?

HOTHAM
zieht dem Erbprinzen den Mantel ab und setzt ihm die blecherne Mütze auf.
ERBPRINZ
steht im Kostüm eines Grenadiers der Zeit da.
Sein Haar ist in einen langen Zopf geflochten. Er bleibt unbeweglich, in militärischer Haltung.
KÖNIG.
Was seh' ich? Der Erbprinz? Ein Grenadier? Mit Zopf – und – Schwert?
[149]
HOTHAM.

Die Equipierung des jungen Rekruten vom Regiment Glasenapp, den ich vor seiner Abreise nach Pasewalk Ew. Majestät vorzustellen die Ehre habe.

KÖNIG.

Ein deutscher Prinz, der sich's zur Ehre rechnet, in meiner Armee von unten auf zu dienen? Kommandiert. Bataillon, linksum! Bataillon, vorwärts marsch!

ERBPRINZ
exerziert auf Wilhelminen zu.
KÖNIG.

Halt! Zu Wilhelminen. Ist der Feind da drüben gesonnen, sich der diesseitigen Kapitulation anzuschließen?

WILHELMINE.
Bis in den Tod!
KÖNIG.
Ganzes Regiment, rechtsum schwenkt! Vorwärts marsch, Rechten, Linken, einundzwanzig, zweiundzwanzig!

Alle drei marschieren auf die links stehende Königin.
KÖNIG.
Halt!
WILHELMINE UND ERBPRINZ
sinken der Königin zu Füßen.
Mutter!
KÖNIG.
Das war kein Kommando.
ERBPRINZ.
Aber der Drang des Herzens.
HOTHAM
gutmütig zur Königin flüsternd.
Majestät, verbessern Sie den Fehler der beiden jungen Rekruten.
KÖNIGIN.

Gehen Sie mir aus den Augen, Sie Verräter an Ihrem Königshause. Steh' auf, Wilhelmine.Zum König, zögernd. Wir haben ja aber noch Österreich?

KÖNIG.

Aber Österreich hat nicht uns. Die Krea turen, Prinz? Morgen früh gibt's Abschiede und Pensionen. Mütterchen, nehmen wir ihn zum Schwiegersohn?

KÖNIGIN.
Unter der Bedingung – daß – die Aussteuer von mir festgesetzt wird –
KÖNIG.

Und der – daß du Die Königin umarmend. an meinem Herzen bleibst. Jetzt fehlt nur Friedrich noch! Ritter Hotham, das kam also alles von Ihrer Baumwolle her? Dank Ihnen für den prächtigen Rekruten! Zu Hotham laut ins Ohr. Wie ist er denn so schnell nüchtern geworden?

ERBPRINZ.
Majestät, Vergebung, noch bin ich ja trunken vor Freude!
KÖNIG.

Vergebung? Für Ihre Rede, mein Sohn? Wenn sie einst so, wie Sie sie gehalten haben, im Buch der Geschichte steht, ist mein altes Herz zufrieden und wünscht nur noch, daß man hinzufügt: Er wollte mit seinem Schwert wohl König, aber mit seinem Zopf im Staat nur der erste Bürger sein!


Gruppe.
Der Vorhang fällt.

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TextGrid Repository (2012). Gutzkow, Karl. Dramen. Zopf und Schwert. Zopf und Schwert. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1728-1