Dreizehntes Capitel
Der König und die Königin
Mein verehrter Freund, sagte Dankmar; du siehst, wie viel sich während deiner Krankheit um dich her neu begeben hat. Jede Stunde bringt dir eine neue Aufklärung. Helene d'Azimont, das Bild, Rafflard, Ackermann, der Thurm, alles Das tritt wie aus einem Nebelbilde wieder vor deine gestärkten Sinne. So wisse denn auch, daß von den Ufern des Schwarzen Meeres die verwitwete Schwester der Gräfin d'Azimont hier angekommen ist mit ihren drei Kindern, diesen beiden vorlauten kleinen Schwätzern da und jener älteren Olga, der mein Bruder, der bei der Fürstin die ästhetischen Honneurs macht, sogleich wie ein treues Windspiel nachgesprungen ist.
Aber Rudhard? Rudhard? rief Egon und drängte um Aufklärung über diesen ihm theuern Namen, den er in Lyon einst selbst geführt hatte.
Daß Rudhard in die Familie Osteggen eingetreten war, schien dir nicht unbekannt? sagte Dankmar.
Nein! Er hatte Helenen und ihre Schwester Adele erzogen. Sie kamen durch die Heirath mit dem Fürsten Wäsämskoi nach Odessa. Helene heirathete den Attaché [1749] Grafen d'Azimont und ist mit ihrer Familie gespannt. Der Fürst Wäsämskoi starb. Das weiß ich.
Rudhard begleitete die Familie, um die Kinder besser auszubilden, hieher.
Rudhard hier!
Wir fürchteten Alle den zu lebhaften Eindruck, den diese Entdeckung auf dich machen würde –
Um so mehr, als Ihr Alle Rudhard's Urtheil über mich kennt! Aus dem Munde dieser Kinder hab' ich's ja vernommen!
Egon blickte voll Betrübniß.
Ich kann nicht läugnen, suchte Dankmar die Wahrheit zu mildern, daß Rudhard streng über dich urtheilt, und unter der Stellung, in welcher du dich zu einer ihm theuern Familie befindest, doppelt leidet. Die Gräfin und die Fürstin sind so verfeindet, daß sie sich noch bis zur Stunde vermieden haben. Rudhard, ein etwas trockener Pedant, ist unglücklich, daß er dem Zuge seines Herzens nicht folgen kann, wie er möchte. Denn was ich ihm auch von deiner Liebe zu ihm, von deiner Dankbarkeit, von deiner Verehrung vor seinen Grundsätzen erzählen konnte – im Thurme von Plessen hattest du ihn gerühmt, wie er es allerdings verdiente – es hat ihn doch nicht bewegen können, sich schon jetzt mit dir auszusöhnen ....
Es ist ein Spartaner! sagte Egon. Ich kenne diese rauhe Tugend und wenn ich sie einst nicht ertragen konnte, jetzt fühl' ich, wie ehrwürdig sie ist.
Armand's Augen verriethen neue Hoffnung. Er konnte [1750] sich nicht überwinden, in der Stille, unbemerkt von Egon, Dankmar's Hand zu drücken. So wollte er den Prinzen! Gehoben von sittlicher Würde! Beherrscht durch sich selbst und ein edles Beispiel!
Hätte sich Egon jetzt aussprechen mögen, er würde kaum die Fülle seiner Empfindungen haben bewältigen können. Er begann auch zuweilen, wollte von der d'Azimont reden, von ihrer Schwester, von Rudhard, von Vergangenheit und Zukunft; aber er kam über einen kurz ausgestoßenen Seufzer, über ein schmerzliches Lächeln, über ein ungläubiges Schütteln des Kopfes nicht hinaus. Nur die kindischen, vorlauten Worte: »Onkel Rudhard sagt, daß du recht schlimm bist! Wir mögen dich nicht!« wiederholte er zuweilen und knüpfte, um seinen Unmuth zu verbergen, einige spottende Reden daran, deren Aufrichtigkeit man bezweifeln mußte.
Dankmar nahm alle diese Begegnungen leichter und erzählte manches Drollige von den Kindern und ihrer unveränderlichen russischen Natur. Olga, die Mutter schilderte er sehr treffend und auch von Rudhard konnte er nicht umhin zu sagen:
Bester Freund, die Vergangenheit und Erinnerung verklärt Vieles. Mein Bruder, der, wie gesagt, das Factotum des Hauses ist, rühmt die pädagogischen Grundsätze des alten Pfarrers sehr. Aber wie es mir scheint, hat auch er die Erfahrung gemacht, daß sich gegen die Natur nichts ausrichten läßt. Diese Kinder wachsen halbwild auf, biegen sich wie Weidengerten wol so und so, nach seinem [1751] Willen, schlagen aber doch immer wieder in die Lage zurück, die ihnen die bequemste ist. Rudhard hat sich sogar an das Czarenthum akklimatisirt. Ich finde den Fond von Poesie, den ich in dem Erzieher meiner Kinder voraussetzen möchte, nicht sehr reich bei ihm, und wenn du ihn einen Spartaner nennst, so denk' ich ihn mir als Director einer Cadettenanstalt ganz an seinem Platze.
Und doch muß ich ihn sehen! erwiderte Egon. Der Zerfahrenheit meiner späteren Erzieher, der Lüge, der Bosheit dieser Heuchler gegenüber, die eine jugendliche Seele verderben können, steht er in meiner Erinnerung großartig da. Ein Erzieher soll immerhin wie ein hölzerner Stecken sein, an dem die Blume des kindlichen Gemüthes sich aufrankt. Ich dagegen wurde von Schlingpflanzen umwachsen und mit ihnen emporgezogen zu einem künstlichen Gedeihen, das mich zwar schneller dem Sonnenlichte näher brachte, aber auch die Kraft der Wurzeln aussog.
Eine Weile hatte Egon in trüber Stimmung vor sich hin geblickt und das Haupt auf die Lehne der Bank gestützt, als eine muntere, helle Stimme ihn anredete:
Was? Durchlaucht? So sitzen Sie hier auf der Terrasse von Solitüde? Bewegung! Bewegung!
Egon blickte auf.
Es war der Sanitätsrath Drommeldey, der in seiner immer gewählten Kleidung, wie ein eben zum Bau gehender Tänzer, vor ihm stand, die Herren neben Egon mit zusammengekniffenen, forschenden Augen prüfte und sich [1752] über sein plötzliches Erscheinen an dieser Stelle dahin erklärte, daß er sich richtig hätte überzeugen wollen, ob sein Reconvalescent auch die ärztlichen Vorschriften pünktlich befolgte.
Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Doctor ... sagte Egon und bat ihn, Platz zu nehmen.
Nein! Sie müssen lustwandeln! Sich Bewegung machen, Durchlaucht. Was sitzen Sie da, das Haupt aufgestemmt und suchen sich einen Watteau, einen Claude Lorrain aus diesem Fernblick zusammen! Sehen Sie nur die königlichen Herrschaften, die machen es anders ... da kommt die ganze Suite her – Aber warum eilen Sie denn? Bleiben Sie doch! Hier! hier! Es läuft ja Alles aus dem Parke hierher – was wollen wir uns denn entfernen?
In der That hatte sich die Scene eigenthümlich verändert. Alles was nur im Garten von Besuchern zerstreut war, lief aus allen Wegen auf die Terrasse. Auch Paulowna und Rurik mit ihren Bedienten kamen zurückgerannt, aber ohne Siegbert und Olga. Die überall sichtbare hintere Façade des Schlosses hatte offenbar allgemein bemerken lassen, daß sich aus den auf die Erde gehenden Fenstern eine Anzahl Offiziere und mit Orden geschmückter Herren auf die Terrasse begab ... Ihnen folgte das Königspaar ... Frau von Altenwyl die Oberhofmeisterin, Herr von Harder der Intendant der königlichen Schlösser und Gärten, viele Damen und Herren, die sich durch die kleine Allee von Orangenbäumen gerade dahin begaben, wo das Gitter bereits von einigen Lakaien geöffnet wurde ...
[1753] Alles stellte sich in einer Kette theils an den Hecken, theils an dem Gitter auf, um den Zug vorbei zu lassen. Nur Egon mochte nicht bleiben und mußte von Drommeldey fast gewaltsam zurückgehalten werden; wenigstens bewogen ihn nur Äußerungen, wie die: Man hat Sie gesehen, man beobachtet Sie, ich bitte Sie um Alles, was wird man denken? zum Bleiben. Egon stellte sich, als der Hof näher kam, an die eiserne Balustrade ... Drommeldey neben ihn. Etwas entfernter, da sie bei der Absicht gehen zu wollen, einen Vorsprung gewonnen hatten, stellten sich Armand und Dankmar ... Die Bedienten Egon's, die sich immer in einiger Entfernung gehalten hatten, waren richtig im übergrößten Eifer hinzugesprungen, um ihm sein Taschentuch zu bringen, das er auf der Bank hatte liegen lassen und standen nun gleichfalls neben ihm ...
Das eiserne niedere Gitter der Verbindungsthür der Schloßterrasse mit der allgemeinen für das Publikum bestimmten Hälfte der Terrasse war schon aufgegangen. Die Herrschaften kamen schon näher, grüßten die Umstehenden freundlich ... die junge Königin mit einer ganz besonders beflissenen Huld ... Den König schien die Aussicht auf die friedliche Landschaft zu erfreuen. Er lenkte sogleich wieder nach dem Gitter zu, blieb aber stehen, als die Oberhofmeisterin etwas überlaut sprach ... Die Gräfin Altenwyl stellte der Königin die beiden kleinen Wäsämskoi's vor ... Diese beiden Wildfänge waren nicht im geringsten blöde. Sie selbst erkannten sogleich die alte Dame, die in dem Garten ihrer Mutter sie besucht und sie [1754] mit so viel anstandsmäßiger Liebe geherzt und geküßt hatte. Da dachten sie, kann uns kein König der Welt verwehren, daß wir auf diese Dame zugehen und ihr sagen: Tante, wir sind auch hier! Gräfin Altenwyl, die den Bedienten erblickte, sah wohl, daß dies gar sauber gekleidete Mädchen und der kleine dreiste Junge in seiner Strohmütze und dem blauen Sammetkittel »hoffähige« Kinder waren. Um sich zu orientiren, rief sie den Bedienten näher und brauchte nur das Eine: Fürstin Wäsämskoi! zu hören, als sie schon in eine herzliche Bewillkommnung ausbrach und die kleinen Russen der Königin vorstellte ... Diese schlanke junge Dame, der zu ihrem zweifelhaften Glücke, eine Königin zu sein, nur das wirkliche Glück, Kinder zu besitzen, fehlte, beugte sich sogleich gar liebevoll zu den Kleinen herab und küßte ihnen die Stirn. Die Mutter hatte sich ja bereits bei Hofe vorstellen lassen und so war auch der königliche Gemahl über die Beziehung dieser improvisirten Kinder-Cour im Freien völlig au fait und hatte heute Anregung, Lust und Laune genug, sogar einige russische Worte mit den kleinen Moskowitern zu wechseln. Die Königin war besonders glücklich über diese Idee ihres sonst an naiven Einfällen nicht reichen Gemahls. Sie erkundigte sich daher nur um so herzlicher nach der lieben Mutter und trug den Kindern auf, sie von der Königin zu grüßen, zu großer Freude des Bedienten, der auf diese Art einigermaßen die schlimmen Folgen der eigenmächtig gewagten Spazierfahrt nach Schloß Solitüde abzuwenden hoffte.
[1755] Inzwischen kamen die königlichen Herrschaften dem Gitter näher und entdeckten Drommeldey.
Louis und Armand beobachteten in der Ferne mit großer Spannung die folgende Scene ...
Drommeldey, der bei Hofe wohlbekannte, der fashionable Arzt der großen Welt, hatte die leichtesten Formen, spielte wie jeder Sohn des Äskulap nicht viel mit der Etikette und fand es, sie beobachteten Das deutlich, ganz in der Ordnung, dem Hofe seinen Reconvalescenten, den Prinzen Egon von Hohenberg, vorzustellen ... Wie erstaunten sie, als die ganze Suite näher trat und Egon förmlich von ihr umringt war. Der Einzige, der Intendant von Harder, blieb zurück und wandte ihnen das volle Antlitz zu, auf welchem die glänzendste Genugthuung ausgesprochen lag, daß diese Natur, diese Terrasse, diese Aussicht hier gleichsam doch nur für sein eigenes Werk gelten durfte! Bäume, Blumen, Weg und Steg, das Alles beherrschte die Excellenz mit einem Blick, als wären sie die Bundesgenossen seiner gewaltigen Kraft und die dienenden Stützen seines auf Thatsachen sich gründenden Einflusses. Die andern Cavaliere, ja, die hatten hier gut zusehen, die mochten sich ärgern, wie er heute in seinem Lüstre glänzte! Wo hatten diese Kammerherren eine Terrasse, eine Aussicht, einen Park wie diesen den königlichen Herrschaften zum Genusse anzubieten? Henning von Harder hatte dieses Schloß zwar nicht gebaut, diese Orangenbäume nicht gepflanzt, dieses Gitter so zu sagen war alt und die Hecken nicht mehr im neuesten [1756] Geschmack, aber es war doch Alles grün, die Luft war doch blau, die Wege waren doch buschig und schön geharkt, die Vögel zwitscherten, die sich senkende Sonne blitzte so golden; nun ... das mache einmal Einer von Euch Kammerherren mir dem Geheimrath und Intendanten von Harder nach! Wenn ein Ball am Hofe ist, nun wohl, dann mag der Intendant der Musik stolz sein! Wenn man auf die Jagd geht, tummle sich der Oberjägermeister! Aber hier, hier herrscht die Excellenz Kurt Henning Detlev von Harder zu Hardenstein! Hier darf ich allein, ich ganz allein die Mücken verjagen und auch die neue freilich von meinem Inspektor Mangold erfundene Methode auseinandersetzen, die Mücken durch feine Luftspritzungen und kaum sichtbare Staubregengüsse zu tilgen!
Dankmar, der vom Geheimrath, der ein ungemein kurzes Gedächtniß hatte und jetzt nur ganz in der lauschenden Aufmerksamkeit auf die Herrschaften lebte, nicht wieder erkannt wurde, traute seinen Augen kaum, als die Suite sich plötzlich mit Egon und dem Sanitätsrath Drommeldey nach der Schloßterrasse zurückbegab.
Was ist Das? raunte ihm Louis zu.
Man entführt ihn förmlich! sagte Dankmar.
Sehen Sie, wie freundlich die Königin mit ihm spricht!
Und die Oberhofmeisterin mit dem Sanitätsrath ...
O mein Herr, sagte Louis Armand, ich ahne ...
Eine Verabredung? Es scheint fast so. Aber was könnte man mit ihm vorhaben?
Dieser Arzt hat ein leichtes Gewissen, sagte Louis. Ich [1757] muß ihm dankbar sein für Egon's Wiederherstellung, aber seit einigen Tagen zeigt er ein Lächeln, so frivol, er gefällt sich in Scherzen, so leicht, er debütirt Anekdoten, so veraltet ... o wenn doch diese Ärzte sich nur um uns bekümmern wollten, wenn wir krank sind, und uns nicht auch sagen wollten, auf welche Art man gesund sein müsse!
Das ist eine Bemerkung, antwortete Dankmar lachend, deren nähere Erörterung uns für den Ärger trösten muß, daß man uns armselige Geschöpfe hier so ohne Weiteres allein stehen ließ. Ich bin begierig, was uns Egon von dieser sonderbaren Überraschung erzählen wird. Einstweilen gehen wir!
Die Suite mit Egon war im Schlosse verschwunden. Paulowna und Rurik sprangen herbei und faßten Dankmar's Hand, um sich von ihm führen zu lassen. Dieser gab Egon's Bedienten die Weisung, sie sollten dem Fürsten, wenn er wiederkäme, als gemeinschaftliches Rendezvous das Ausgangsportal des Gartens bezeichnen.
Als Dankmar und Louis mit den Kindern den Weg einschlugen, wo sie hoffen konnten, Siegbert und Olga wiederzufinden, geschah ihnen eine seltsame Begegnung.
Ein sonderbares Paar, das sich in dem Eifer, die königlichen Herrschaften zu sehen, verspätet zu haben schien, rannte, man kann wohl sagen wie besessen, auf sie zu ...
Voran, keuchend, glühend vor Erhitzung, eine elegante dicke kleine Frau mit ceriserothem Shawl. Hinter ihr in gemesseneren, aber doch ebenso beflügelten Schritten ein [1758] junges Mädchen mit langen blonden Locken und einer von den Landesfarben gemischten Toilette.
Dankmar kannte beide Damen nicht, aber die Kinder sagten, sie hätten unten am Teiche, wo die Schwäne wären, schon mit Siegbert und Olga gesprochen und sie kennten sie Beide wohl, da sie auch zur Mutter kämen. Den Namen wußten die Kinder nicht, sprachen aber von einem großen wunderschönen Buche, das die eine Dame, die so schrecklich lief, einmal mitgebracht und ihnen die darin enthaltenen herrlichen Bilder gezeigt hätte. Es wäre ganz in Gold eingebunden gewesen, sagte Rurik und Paulowna fügte noch Sammet und Seide hinzu. Und die herrlichen Bilder! Aber das schönste hätte doch Siegbert gemacht!
Dankmar lächelnd und erfreut über die schöne Parteilichkeit der Liebe, sagte sich:
Sollte Das vielleicht Frau von Trompetta gewesen sein?
Er sah sich noch einmal nach den beiden Damen um. Er konnte noch deutlich bemerken, wie sie an dem von den Lakaien wieder geschlossenen Gitter standen und wahrhaft schmachteten und sich verzweifelnd den Schweiß trockneten und tiefbekümmerte Blicke nach dem Schlosse hinüberwarfen. Es schien ihnen zuviel entgangen zu sein! Aber auch zuviel! Sie hatten etwas versäumt, was ihnen unwiederbringlich vorkommen mußte.
An den lebhaften Gestikulationen mit Egon's Bedienten sah Dankmar, wie schrecklich Frau von Trompetta, wenn sie es war, unter dieser Versäumniß litt. Die von der [1759] Erhitzung rosig angeglühte Blondine zuckte hoheitsvoller die Achseln und schien sich mit einer gewissen imposanten Ruhe zu ergeben.
Die Kinder zeigten inzwischen auf den Lichtschimmer, der das Ende einer dunklen hochgewölbten Allee, die sie einschlugen, begrenzte. Dort läge, wie die Dame im rothen Shawl gesagt hätte, der Schwanenteich.
Springt nur vorauf! erinnerte Dankmar die Kinder. Wir kommen nach!
Louis kam, da die Kinder liefen, als ging' es um die Wette, auf das wunderlich eben Erlebte zurück. Dies Zusammentreffen mit dem Hofe schien ihm so gefährlich, daß er in seiner ohnehin schon angeregten Besorgniß davon die schlimmsten Folgen erwartete.
Dankmar stellte seine Befürchtungen in Abrede. Ich wette, sagte er, der Fürst wird uns, wenn wir noch vor einem Unwetter nach Hause fahren, Unterhaltendes erzählen.
Unwillkürlich schlugen die beiden Wanderer, um mehr nach dem drohenden Himmel sehen zu können, einen weniger grün beschatteten Seitenweg ein. Jetzt bemerkten sie erst, welche gewaltige Menge von Wagen fern an der Pforte hielt. Die königlichen Sechsspänner waren höher hinauf dem Schlosse zugefahren, aber außer dem ihrigen stand nun noch der des Sanitätsrathes, der der Fürstin Wäsämskoi und der Frau von Trompetta an der Pforte. Wie einer dieser Kutscher von fern Dankmarn eifrigst grüßte, konnte er sich kaum besinnen, warum der betreßte [1760] Mann in seiner Ehrerbietung so eifrig war. So zerstreut war Dankmar, daß er fast vergessen hatte, wie der Kutscher der Fürstin Wäsämskoi Niemand anders als sein alter Freund Peters sein konnte. Peters, den er selbst nach dem vergeblichen Versuche bei Schlurck durch seinen Bruder bei der Fürstin Wäsämskoi empfohlen hatte, Peters erschien ihm heute zum ersten male in seiner geschmacklos überladenen Livree, und des Bellens eines ihm wohlbekannten Hundes bedurfte es wirklich, um aus jenem geputzten Pagoden seinen alten Freund Peters, den Vertrödler seines Schreins, den unglücklichen Kellner vom Fortunaball herauszufinden.
Ei, Bello! rief Dankmar sich bald orientirend schon in der Ferne, thronst du da oben wie ein gnädiger Pascha von zwei Roßschweifen, an denen du wieder deine Freude hast! Guten Tag, Peters! Guten Tag, Bello! Ihr seid da! Im Staat! So in Gold und Silber und wohlgenährt, daß Ihr ganz stolz ausseht und Einer vor Euch und Euren Pferden Respekt haben muß.
Peters warf sich in der That ganz behaglich in die Brust.
Machen wir Ihnen denn nun Ehre? sagte er. Sie und der Herr Bruder haben ja für uns Beide gutgesagt.
Wie ein Kartenkönig haltet Ihr Euch Peters! lachte Dankmar. Und dem Bello, dem fehlt nur noch ein rothes Halsband und man hält ihn für einen verwunschenen Kammerherrn oder den Schooshund einer holländischen Millionairin.
Und doch haben wir wieder was Schlimmes begangen!
[1761] sagte Peters und schüttelte bedenklich den Kopf, was ihm bei der neuen Tresse seines Halskragens etwas schwer wurde. Das Teufelsmädchen Das!
Wie so denn? Wer denn? Teufelsmädchen? Die kleine Comtesse oder Prinzeß, was sie ist – die Olga!
Nicht wahr? Das ist ein Geniestreich, daß Ihr hier seid?
Sie mag's verantworten, sagte Peters. Wir sollten nach Tempelheide zu dem alten Methusalem – Sie kennen ihn ja –
Dem Präsidenten –
Und zu Frau von Harder, seiner Schwiegertochter – aber kaum bin ich am Pelikan und grüße den alten Hitzreuter, dem die Fortuna seinen Bauch etwas schmaler macht –
Und die Kathrine –
Nein, die ist ja nun ganz auf der Fortuna geblieben! ... Ja die dreht da die Kugel, daß sie immer im Gange ist –
He! Ihr verliert ja die Leine!
Just am Pelikan, heißt's ... Peters, umkehren! Nach Tempelheide umkehren? fragt' ich. Nach Solitüde fahren wir. Was? Nach Tempelheide! Da springt ja das Mädchen auf und reißt mir von hinten die Peitsche aus der Hand. Ich drehe mich um und die beiden Augenräder, die ich da vor mir sah, werd' ich in meinem Leben nicht vergessen. Nach Solitüde also ... Und weil sie mir die Peitsche nicht wiedergab und die Leute in der Vorstadt stillstanden und lachten, mußt' ich schon umwenden und hierher machen –
[1762] Sie wird's verantworten. Gegen Gewalt richtet die Vernunft nichts aus.
Wie steht's denn mit dem Proceß, Herr Wildungen? fragte Peters, diese Gelegenheit zu einem Schnak benutzend. Alle Leute sprechen davon. Den Herrn Siegbert seh' ich oft bei unserer Herrschaft, aber es schickt sich nicht recht, daß ich vor den Herrschaften bekannt mit ihm thue ...
Louis Armand hatte sich inzwischen an die Eingangsthür, die Dankmar schon überschritten hatte, auf eine Bank gesetzt und plauderte bald mit der Frau, die dort Lebensmittel feil hielt, theils sah er nach dem Wetter, theils und am nachdenklichsten nach dem Schlosse hinauf.
An meinem Zank mit dem Justizrath Schlurck, sagte Dankmar, habt Ihr wol gemerkt, daß das Alles langsam gehen wird.
Ein paar Millionen ziehen sich schwer, meinte Peters und machte die übrigen hier haltenden Wagenführer aufmerksam.
Und wenn's auch nur Eine ist, Peters, von dem Bock müßt Ihr dann herunter!
Peters schüttelte den Kopf und meinte:
Sie vertrau'n mir nichts mehr an.
Warum nicht? sagte Dankmar. Seit Eurem Unglück an der Plessener Schmiede hab' ich soviel Abenteuer gehabt, soviel Bekanntschaften gemacht, daß Ihr eigentlich die Veranlassung eines ganz neuen Lebens für mich geworden seid.
[1763] Peters fuchtelte nachdenklich mit der Peitsche ein wenig hin und her und meinte dann nach einigem bedeutsamen Schweigen:
Bello bedankt sich.
Bello? Warum Bello? fragte Dankmar.
In der Bibel steht, sagte Peters: Saul suchte einen verirrten Esel und fand ein Königreich. Daß der Esel durchging, lag doch wol an dem schlechten Hund, der ihn bewachen sollte.
Das nenn' ich Schriftauslegung, Peters, meinte Dankmar lachend. Wahrhaftig, Ihr war't nicht zum Fortunakellner geboren. Was sagt denn nun Kathrine zu dem schönen Tressenkragen da?
Peters zuckte die Achseln.
Peters! Peters! fiel Dankmar ein. Zwischen Euch und Kathrine, zwischen Bello, zwischen dem alten Pelikan-Hitzreuter und dem Fortuna-Hitzreuter, da steckt mir was dazwischen, was so ist, wie's nicht sein soll.
Peters warf die Lippen nachdenklich auf und ließ die Peitsche tänzeln.
Meine Mutter hat in Angerode darüber mehr gehört, als wir damals an der Kegelbahn im Pelikan und dann unten im Tunnel und oben in der Loge Nr. 14 geahnt haben. Ihr spielt Mariage à troîs! Schämt Euch!
Was ist Das für ein Spiel? fragte Peters und hob sich etwas aus seinen Tressen heraus.
Ein Kartenspiel, das bei vornehmen Leuten sehr beliebt ist, erklärte Dankmar. Ihr liegt auf der Landstraße, [1764] die Frau führt im Pelikan die Wirthschaft und im Theater kann man zuweilen ein Stück sehen, wo ein tonnendicker Kerl in Steifleinen vorkommt, der sehr verliebt sein kann ...
Peters hob sich fast vor Zorn und innerster schmerzlicher Erregung auf seinem Bocke empor und rief:
Der aber Geld hat! Der hergeben kann, während den armen Fuhrmann die Eisenbahnen zu Grunde richten?
Sieh! Sieh! sagte Dankmar, die Wirkung seiner Vermuthung auf den armen Peters wohl bemerkend. Kathrinchen ist also eine rechte Frau Quickly: ich will sagen, die Unruhe selbst ... Lustig, namentlich in Alles schicklich ...
Ja! Ja!
Lärm muß um sie her sein ... Trompeten, Pauken ... da ein Zweigroschenstück, hier ein Thaler ... gewechselt ... gelacht ... Charmante Dienerin – Leben und leben lassen ...
Mord und Todtschlag! rief Peters und hieb mit der Peitsche vor Zorn auf die Pferde, als wenn sie und nicht seine Frau die Mucken hätten.
Hab' ich Das damals bei dem Eierkuchen wohl geahnt, daß sie Nachts in die Fortuna läuft und an dem Schenktisch präsidirt! Aber sanftmüthig, Peters! Sanftmüthig! Ihr les't die Bibel! Schickt Euch in die Welt!
Die Bibel! Wegen Saul's Esel meinen Sie? Der ist mir nur noch so in der Erinnerung geblieben, wenn ich manchmal in der Irre ging und nicht wußte, wozu ich noch auf [1765] der Welt bin. Thun Sie mir den Gefallen, gewinnen Sie Ihren Proceß, Herr Wildungen!
Ich thue mein Möglichstes ... Warum aber?
Dann sagen Sie: Peters, ich vergebe dir die Dummheiten, die du noch alle machen wirst. Ich behalte dich für's Leben und für die Scheidungsgebühren verlang' ich nichts ...
Scheidungsgebühren, Peters?
Herr, an dem Tage, wo Kathrine sagte: Peters, hier ziehst du die grüne Marqueurjacke an und steckst die Speisekarte in die Brusttasche, da war's mit uns kopfüber. Ich sagte nichts, aber es war mir doch, als wenn wir wieder am Altar von der Johanniterkirche in Angerode ständen und der eine große Posaunenengel unter der Orgel blies: Hallelujah! Aus Euch wird im Leben nichts!
Wahrhaftig, Peters?
Ich sage wie David sagt: Sela!
Peters, ich glaube Ihr werdet fromm?
Aus Desperation. Ja, ich lese manchmal Abends die Bibel, ich will's nur gestehen; aber ich verstehe sie zu wenig. Ich will einmal unsern Pastor angehen, der zu Hause Alles lenkt und in's Geschick bringt, den Herrn Rudhard ...
Wenn Ihr Das thut, Peters, müßt Ihr mir sagen, was Euch Rudhard geantwortet hat. Übrigens wenn ich Euch und die Kathrine auseinandersägen soll, zu Der Zimmermannsarbeit bin ich erbötig, auch ohne die Million. Wollt Ihr Euch wirklich von Kathrinen separiren lassen?
[1766] Peters schwieg eine Weile und sagte dann feierlich:
Ich bin jetzt beim Buche Chronika in der Bibel. Wenn ich das durch habe und dann das zweite Buch der Könige, dann sprech' ich 'mal mit Ihnen.
Dankmar mochte nicht fortfahren. Die andern Kutscher horchten ... er mußte innerlichst lachen, ohne es zeigen zu können.
Wie leid that ihm der arme Schelm da auf dem Bock! Seine Melancholie hatte etwas rührend Komisches. Er sah in den Wald ganz tiefsinnig hinaus und suchte offenbar in der Religion einen Trost für sein zerknirschtes Gemüth und eine Ablenkung für sein von Eifersucht vielleicht zu Gewaltthätigkeiten geneigtes Herz ... Armer treuer Peters ... Dankmar gelobte sich, nur deshalb einmal wieder auf die Fortuna zu gehen, um der Kathrine Bollweiler mit Nachdruck in's Gewissen zu reden.
Dankmar wollte sich eben zu Louis Armand zurückwenden, der mit einem, wie es schien, hier angestellten Gärtner oder Inspektor sprach, als ihm Peters noch einmal zurief.
O, sagte er, sehen Sie sich doch einmal da den Menschen in Nankingkamaschen an!
Welchen Menschen? fragte Dankmar.
Den, der da mit dem Andern spricht ...
Mit meinem Begleiter? Wer ist Das?
Ja, Das möcht' ich wol auch wissen ...
Was fällt Euch denn an ihm auf?
Wie Sie kamen vorhin und wie Sie ausstiegen ...
[1767] Da ...
War't Ihr denn da schon hier?
Freilich! Wir standen nur drüben da im Walde und paßten so lange auf, bis Sie ankommen sollten mit dem Prinzen Egon von Hohenberg ...
Sollten? Sieh! Sieh! Nun –?
Wie Sie ausstiegen, standen die beiden Bedienten des Herrn von Harder an dem Portal ...
Ich kenne sie! Zwei Hallunken ... Was ist mit ihnen?
Wie Sie, alle vier Herren zusammen, ausstiegen, gaben die beiden Schlingel dem Menschen da ein Zeichen, als wollten sie sagen: Es sind die rechten!
Ein Zeichen?
Wie ich's Ihnen erzähle ... Die Fräuleins und der kleine drollige Junge, der Rurik, haben's mit angesehen ...
Und dann?
Dann lief der Mensch da ganz eiligst ins Schloß hinauf, als gleichsam, als wenn er sagen wollte: Sie sind nun da!
Wunderlich!
Und nun steht er wieder unten und spricht da mit dem Herrn, der bei Ihnen ist –
Es scheint ein Angehöriger des Hofes ...
Es ist ein feiner Mensch und wegen Mancherlei möcht' ich doch wissen, was der Mann eigentlich ist oder was er treibt oder wo ihn Einer hinbringen soll ...
Dankmar's natürliche Regung war die, zu Louis zu gehen und ihm zu sagen: Sie haben Recht! Hier war[1768] ein Arrangement! Wir sind in der That hierher gelockt worden! ... Er betrachtete sich den bezeichneten Mann genauer. Er hatte nur durch einen Streifen an der Mütze ein Zeichen, das auf eine Beziehung zum königlichen Dienst deutete. Sonst war er einfach in einen leichten grünen Überrock von Sommerzeug gekleidet, in weißer Halsbinde, leichten, weiten, gelben Pantalons und Schuhen mit gelben Nankingkamaschen. Der Ausdruck des Gesichts war ruhig und sehr angenehm. Die Farbe sehr blühend, sonnenverbrannt und gesund, der starke Bart blond. Das Kopfhaar, wie es schien, etwas spärlicher. Dieser Mann konnte leicht schon vierzig Jahre zählen und machte einen so wohlthuenden Eindruck, daß es Dankmarn befremdete, ihn mit den schon sattsam genannten Bedienten des Herrn von Harder zusammengenannt zu hören. Er fragte auch deshalb Peters, welches denn die Gründe wären, die ihn bestimmten, sich für diesen Mann, der hier unstreitig ein Garteninspektor oder etwas Ähnliches vorstellte, zu interessiren?
Möchte nicht Einer glauben, sagte Peters, daß dieser Mann etwas Feines und Anständiges ist?
Warum sollt' er das Gegentheil sein?
Es sollte mir Leid thun, wenn ich dem Mann Unrecht thäte. Ich wundre mich des Todes, Den hier zu sehen.
Ihr irrt Euch vielleicht?
Er ist's! Die beiden Bedienten sind Zeugen genug. Mit denen hat sich dieser Mann noch vor drei Wochen in der Fortuna ganz gemein gemacht ...
[1769] Peters, in die Fortuna verirren sich auch respektable Leute!
Mit der Auguste Ludmer und solchen Springerchen?
Auguste Ludmer? Springerchen? Was sind denn Das in der Fuhrmannssprache für Irrwische?
Dieser respektable Mann kommt auf den Ball mit der wilden Person. Kennen Sie diese Auguste Ludmer nicht?
Inwiefern gehört diese mir unbekannte Auguste Ludmer zu den Springerchen?
Die sagt zu Jedem, der sie ansieht, auch wenn sie ihn nicht kennt: Guten Tag! Wie geht's Ihnen?
Gute Definition! Mir ist's aber, als könnt' es Dem da drüben nicht schaden, daß ihn eine lebendig macht. Man möchte glauben, daß Das ein Professor ist. Er demonstrirt da an den Pflanzen ... Spricht wahrscheinlich eben Latein und zeigt auf die Stäbchen, die an den Bäumen ihre Namen nennen.
Wenn Das wäre, Herr Dankmar, und das Frauenzimmer ... Auf der Fortuna hab' ich sie nur zweimal gesehen ... aber hernach bald hier, bald dort ... gestern Abend beim Spazierenfahren ... wieder auf den Anlagen ... Wenn der Mann nicht wissen sollte, wen er am Arme führt –!
Dankmar nahm Interesse an dieser Mittheilung und glaubte hier vielleicht ein gutes Werk stiften zu können.
Steht's denn mit der Auguste, wie heißt sie? Ludmer ... so schlimm? fragte er.
[1770] O, sagte Peters mit einer ablehnenden Bewegung, wer darf den ersten Stein aufheben und Gottes Gnade ist groß!
Peters! Peters! Was für Sprüche!
Langmüthig ist doch der Herr und dunkel sind seine Wege ... Aber wenn Eins so auf die Tanzböden läuft, solchen Heidenlärm schlägt, die Polizei in Trab bringt, nicht arbeitet, singt und jubelt, wie Die ...
Dankmar griff die Gelegenheit auf, vielleicht ein gutes Werk zu stiften.
Ehe noch Peters seinen ferneren Abscheu vor einem Charakter, wie ihn diese Auguste Ludmer zur Schau trug, beendet hatte, war er schon mit drei Schritten am Portal, in der Nähe Armand's und des Mannes mit den gelben Nankingkamaschen.
Ohne sich in seinen Auseinandersetzungen – es waren botanische – stören zu lassen, lüftete dieser Fremde artig sein Mützchen mit dem farbigen Streifen ... es war ein schlanker, kräftiger Mann, gewiß doch schon hoch in den Vierzigen – in der Nähe ließen sich die kleinen Furchen des Antlitzes besser unterscheiden – die weißen Zähne, die großen hellblauen Augen gaben ihm etwas Freundliches und Gefälliges. Er wandte sich in seiner Auseinandersetzung über die Pflege der Georginen, die gerade die Blumen dieses Monats waren, gleicherweise bald vertraut auch an Dankmar wie an Louis und sprach gerade über die eigenthümliche Kunst, die Georginen durch Stoffe, die man der Erde, in der sie wachsen, beimische, [1771] z.B. Asche, nach Belieben zu färben. Es lag in seinen Äußerungen eine gewisse Kindlichkeit.
Sie sind gewiß der Herr Schloßgärtner? fragte Dankmar, ohne sich dabei den geringsten Schein von Indiskretion zu geben.
Wollen Sie mich so nennen, immerhin, sagte der Angeredete und lüftete bescheiden seine Mütze. Ich habe nach Titeln nie gestrebt, lebe nun schon dreißig Jahre so mit der Natur zusammen und wenn man mich Herr Garteninspektor ruft, so hör' ich manchmal weniger darauf, als auf meinen einfachen Namen Mangold!
Was? Sie sind der berühmte Parkologe Mangold? fragte Dankmar erstaunt.
Parkologe? Berühmt? sagte Mangold. Du lieber Himmel!
Weiß man nicht, daß Sie die rechte Hand des Geheimraths von Harder sind, Alles schaffen, Alles hervorzaubern, wofür er den Namen hergibt und die Anerkennung einkassirt?
Das ist einmal so der Dienstbrauch! Das ist in der großen Welt so wie in der kleinen; sagte Mangold lachend.
Sie haben am Rhein das Schloß Buchau hergestellt, sagte Dankmar. Sie waren im Gebirge und haben Selkenthal zu einem Paradies umgeschaffen; Alles was in den königlichen Schlössern Schönes und Geschmackvolles sich findet, ist das Werk Ihrer Erfahrungen, die Sie in den Parkanlagen Englands sammelten ...
Ganz Recht! Englands! Da hab' ich meine paar Brocken [1772] aufgeschnappt, bin dann erst in die Dienste des alten Präsidenten von Harder getreten, hab' ihm Tempelheide für ihn und seine wilden und zahmen Mitbewohner, wie eben Tannen sich ziehen lassen, eingerichtet und ging dann durch den Sohn, als er Intendant der königlichen Schlösser und Gärten wurde, in Staatsdienste. Aber wenn ich Ehre und Ruhm genieße, so weiß ich's nicht. Wo sollte ich Das wissen? Ich lebe nur auf diesen einsamen Schlössern, bald hier, bald da in der Stille. In den Gartenzeitungen ... o ja, die halt' ich mir! ... Da werd' ich genannt und manche Herrschaft hat mich verschrieben, um Schatten und Licht in einen Wald zu bringen – aber Das, dacht' ich, geht doch so in der Stille hin und ich bin froh, wenn mich meine Blumen und Bäume loben. Komm' ich des Morgens in der ersten Frühe auf meine Wiesen und der Thau glänzt mich freundlich in der Sonne an, so hab' ich Glanz genug.
Louis Armand hatte nur nicht den Muth, sonst würd' er diesem einfachen, so still begeisterten Manne die Hand geboten haben.
Dankmar aber, der Das, was er von Peters über Auguste Ludmer gehört, nun mit dem Eindruck, den er hier empfing, in der That nicht vereinigen konnte, wagte jetzt einige Fragen, die allerdings zudringlich erscheinen konnten:
Bleiben Sie auch den Winter auf Solitüde? fragte er.
Nein, sagte Mangold, ich soll ja ganz von hier fort und wieder an den Rhein. Ich bekomme den Titel als Ober-Garteninspektor und werde in Buchau bleiben.
[1773] Auf die Glückwünsche zu seiner Beförderung kam Mangold allmälig in das Geständniß, daß er erst noch ein Weib nehmen würde ...
Ich bin nun, sagte er, sieben und vierzig! Ein alter Knabe! Hab' immer in Gärten und Schlössern gelebt, fern von den Städten, fast wie ein Einsiedler. Die Leute lachen, wenn sie einen ledigen Junggesellen von sieben und vierzig Jahren sehen! Aber wie find' ich Bekanntschaft? Amtsrathstöchter dünken sich hoch, Gärtnerstöchter standen mir zu tief. Wo man befehlen soll, muß man nicht schmeicheln müssen. Da war ich neulich bei unserer Excellenz, dem Intendanten, und sehe ein charmantes Mädchen über den Hof gehen. Prächtiger Wuchs, eine Staatsjungfer! Die könnte mir schon gefallen, sagt' ich zur Frau Geheimräthin, als sie mich neckte, daß ich noch immer keine Anstalt machte. Und wie ich in ihrem Garten eine Wasserleitung revidirt hatte und komme zurück und will mich empfehlen, sagt die alte Dame, die schon viele Jahre bei der Geheimräthin Alles in Allem ist: Mangold, das hübsche Mädchen ist meine Nichte! Wenn sie Ihnen gefällt – dabei zog ich die Mütze und sagte: Madame Ludmer, die nähm' ich gleich mit nach Buchau, aber man muß sie doch sprechen und rasch müßt' es auch gehen, ich habe bis zum siebenundvierzigsten Jahre gewartet und nun aber kein langes Besinnen mehr! Da warf sie einen Blick auf die Geheimräthin, so einen von ihren Blicken, die mehr sagen, als man gleich verstehen kann. Die Geheimräthin zog die Lippen ein Bischen verächtlich [1774] und lachte. Das ärgerte mich fast und ich sagte: Ist sie zu jung für mich? Nein, nein, sagte die schwarzäugige Alte, die Ludmer. Wenn es Ihr Ernst ist, Mongold, muß man Das nur richtig anfassen – zweckmäßig – arrangiren .... Gut, sagt' ich, arrangiren Sie's. Und da sah ich das Mädchen auf einem Ball – die Bedienten der Geheimräthin führten mich immer um sie herum ... sie war auch nur wegen meiner da – ging auch gleich fort, das war Alles abgemacht – vorher besprochen ... ich sah sie wieder ... ich sprach mich dann aus – sie lachte zwar, sie war schnöde und schnippisch – sie wollte von dem Buchau nichts wissen – will auch noch nicht heran und spottet und neckt – aber sie gefällt mir ... ich schenkte ihr Dies und Jenes – ich denke doch, wenn nichts dazwischen kommt – und die Tante noch einmal recht vernünftig mit ihr spräche – so –
Heirathen Sie diese – ...
Der Name erstarb Dankmarn auf den Lippen ... Himmel! dachte er während der Erzählung des unschuldigen immer von den Städten entfernt lebenden Mannes, welche Intrigue steckt hinter dieser abscheulichen Täuschung! Und eben wollte er offen mit seiner Warnung hervortreten, den einfachen, harmlosen Mann bei Seite nehmen, schildern, welchen Gefahren er seine Ehre aussetze, als Louis, der der Erzählung nicht den gleichen Antheil gewidmet hatte, weil er unverwandt die Augen auf das Schloß richtete, rief:
Da kommt Egon!
[1775] Dankmar wandte sich und erblickte Drommeldey mit Egon und den Bedienten niedersteigen. Auch Siegbert kam mit Olga und den Kindern ... Es war Dankmarn jetzt nicht möglich, das Gespräch mit Mangold fortzusetzen. Nur noch die Worte rief er ihm, als er bei Seite trat, zu:
Können Sie mir keinen Gruß an Ihre Braut auftragen?
Braut? So weit ist's noch nicht! Aber ich danke Ihnen, sagte Mangold herzlich. Heut Abend komm' ich noch in die Stadt. Wenn Einer sein letztes Feuer noch einmal zusammennimmt, gibt's einen Brand. Ich gehe gern auf das Café Richter. Kennen Sie Das? In der Königsstraße?
Gewiß! Gewiß! sagte Dankmar. Ich komme dahin.
In der bestimmten Absicht, Alles aufzubieten, was Mangold über die Gefahr, in die er sich sorglos begab, aufklären konnte, trat Dankmar dem Prinzen entgegen, voll Spannung, was dieser über seine Erlebnisse im Schlosse würde zu erzählen haben ...
Es schlug nun eben sechs Uhr vom Schloß Solitüde, als sich an der großen Eingangspforte des Gartens ein Gewirr und Durcheinander von Menschen, Rossen und Wagen verwickelte. Von der aufwärtssteigenden verlängerten Allée kamen vom Schlosse herab erst einige zweispännige, dann vierspännige Wagen, zuletzt ein sechsspänniges Gefährt mit den königlichen Herrschaften selbst. Alles, was bisher im Park zerstreut gewesen war, lief und drängte sich zu der Hauptpforte, um noch diese [1776] Abfahrt mit anzusehen. Auch die kleine runde Dame, die sich hier beinahe schon wieder verspätet hätte, kam spornstreichs von der Terrasse gelaufen, in einiger Entfernung von der jungen Begleiterin mit den blonden Locken, die nur in raschen Schritten ging, nicht lief. Ob die freundliche Verbeugung der jungen Königin diesen huldigungsbeflissenen Damen vorzugsweise galt, ist schwer zu sagen. Die Damen hielten mitten in ihrer Eile auf und verneigten sich tief mit holdseligen Gebehrden, indem sie mit einer Hand gleichsam eine die andere näher heranziehen und dem Hofe mit der andern sagen wollten: Wir sind Beide da! Endlich waren die Herrschaften abgefahren und die kleine runde Dame, in der Sanitätsrath Drommeldey sogleich Frau von Trompetta erkannte, hatte nun Gelegenheit, die minder bedeutenden Menschenkinder zu betrachten, die sie hier versammelt fand. Drommeldey lobte ihre rasche Beweglichkeit, tadelte sie aber an Fräulein von Flottwitz.
Ihnen, liebe Trompetta, sagte er, kann ein solcher Wettlauf mit sechs Pferden einmal nichts schaden; aber Sie, mein liebes Fräulein, bedürfen Schonung und verlangen keine Amazonenkur.
Die Trompetta sprach nur von ihrem unglücklichen »Guignon« auf der Terrasse ...
Wollten Sie, sagte Drommeldey, die Herrschaften an Ihr Gethsemane erinnern?
Ach, antwortete die Trompetta, es liegt allerdings noch auf dem Nähtische der Königin! Man blättert darin [1777] und kann sich nicht entschließen, eine Summe daran zu wagen, die mich der Weitläufigkeiten einer Lotterie überhebt.
Ich bin für die Lotterie, Frau von Trompetta, sagte Drommeldey schon im Einsteigen.
Warum sind Sie für die Lotterie, heidnischer Sanitätsrath? Geben Sie mir doch Ihren Rath! Warum?
Weil Ihnen das Anbringen der Loose von einer vortheilhaften diätetischen Wirksamkeit sein wird. Wenn der Hof das Gethsemane nicht ankauft, ersparen Sie eine Badereise.
Frau von Trompetta hielt den allo-homöopathischen Sanitätsrath fest.
Es ist eine Intrigue gegen mich im Werke – sagte sie, ich weiß es – die Altenwyl – gestehen Sie mir's, Drommeldey!
O behüte, kein Mensch intriguirt, als ich, sagte dieser. Beruhigen Sie sich, Frau von Trompetta! Sie haben den Titel Gethsemane ganz in meinem Sinne gewählt. Es sind in dem Ölgarten Thränen geflossen und von der Angst der Jünger ist viel daselbst gewehklagt worden. Das Schweißtuch der heiligen Veronika muß Ihre nächste Sammlung heißen. Aus diätetischen Gründen und zur Beruhigung für Ihre Freunde dürfen diese Lotterien und die Mühen des Absatzes der Loose für Sie nicht aufhören. Adieu, liebe Missionairin!
Mit diesen für Frau von Trompetta mannichfach verletzenden Worten fuhr Sanitätsrath Drommeldey, ein [1778] kluger Mann, der sich vortrefflich in seine Welt zu schicken wußte und nicht Jeden nach seiner eigenen materialistischen Seelenstimmung behandelte (doch von Frau von Trompetta wußte er, daß ihr der Ärger und Streit über ihre erheuchelte Religiosität von größerem physischen Nutzen war), mit einer freundlichen Handbewegung zu Prinz Egon, rasch davon.
Frau von Trompetta hörte glücklicherweise diesen Spottreden auch schon nur halb zu. Ihre kleinen neugierigen Augen verschlangen den Prinzen Egon und Dankmar Wildungen. Einer von beiden war Prinz Egon und einer Dankmar Wildungen, der Bruder Siegbert Wildungen's ... Das hatte sie schon durch die Bedienten herausgebracht – Aber welcher war der Eine und welcher der Andere? Der Fürst war – Fürst, und Dankmar ein Referendar, der seines Processes wegen das allgemeine Gespräch der Stadt, die Aufmerksamkeit aller Mütter und jungen Mädchen geworden war ... Friederike Wilhelmine von Flottwitz entschied sich für Dankmar und hielt Dankmar für den Prinzen, die Trompetta meinte Dasselbe, drückte Dies aber so aus, daß sie den Prinzen für Dankmar hielt. Sie flüsterten sich, indem sie sehr umständlich in ihren Wagen stiegen, ihre gegenseitigen Vermuthungen mit lebhaften Gestikulationen zu und befahlen dem Kutscher zu halten, als er eben abfahren wollte und sie Siegbert bemerkten, der mit den Wäsämskoi's eben aus der Allee heraustrat. Das war ein Nicken, war ein Grüßen und Winken mit der Hand! Die muthigen oder vielleicht [1779] nur ungeduldigen Rosse wollten weiter, aber die Trompetta richtete sich im Wagen hoch auf und gerieth so in ein taumelndes Schwanken, daß die Flottwitz sie halten mußte. Siegbert, artig wie immer, sprang hinzu, um vielleicht noch einen Befehl zu vernehmen.
Adieu! Adieu! Adieu! rief sie und als Siegbert am Wagenschlage stand, flüsterte sie:
Welches ist denn der Prinz?
Und Ihr Herr Bruder? ließ sich sogar die Flottwitz herab, zu forschen.
Egon und Dankmar standen nahe genug am Wagen, um näher zu treten. Sie hatten die neugierige Frage fast gehört, den nach ihnen schielenden Blick bemerkt, sie ließen sich vorstellen.
Frau von Trompetta –
Prinz Egon von Hohenberg –
Fräulein von Flottwitz –
Mein Bruder Dankmar –
Durchlaucht, o Durchlaucht – begann die Trompetta und weinte fast.
Gnädige Frau – sagte Egon betroffen.
Ach! Ach! Ach! Ich kannte Ihre Mutter – sie war ein Engel; sie war meine Freundin! Wissen Sie denn Das nicht ... Wie liebt' ich sie! Und diese Ähnlichkeit, Durchlaucht! Zum Erstaunen und dem Generalfeldmarschall wie aus den Augen geschnitten! Die königlichen Herrschaften hatten die Huld, Sie nach Ihrer Genesung zu begrüßen! Das Auge der Königin ...
[1780] Arme Trompetta! Die Ungeduld deiner Pferde brach dies rührende Waldgespräch gerade an solcher Stelle ab! Die Füchse waren wie ihre Herrin von den Sechsspännern angesteckt und liefen ihnen ohne Aufhaltens nach, mitten in einem Dankgebete, das die Sammlerin des Gethsemane eben unter den grünen Wipfeln der Eichen für Egon's Genesung anstimmen wollte – und nun kein Wort an Olga Wäsämskoi, kein Gruß, keine Frage mehr an Siegbert, und da jener Dankmar – und das Alles abgebrochen durch die wilden Rosse!
Es war geschehen, die Pferde zogen an und der ärgerliche Kutscher ließ sie laufen. Von Wilhelminen von Flottwitz blieb ein Blick an Dankmarn hängen, der Manches sagen konnte. Die rasche Wendung war der Wirkung dieses Blickes außerordentlich günstig gewesen. Weil er ganz links zur Seite ging, bekam dieser Blick eine Kraft, so zu sagen eine Emaille, die ihm so blendend in die Augen widerblitzte, daß er lachend sagte:
Himmel! War denn das Die? Sie? Die? die Retterin des Vaterlandes! Sie ... die Eine, Einzige!
Und als Siegbert sagte: Die vielbesprochene Flottwitz! rief er:
»Es blieb an mir nur noch ihr Abschiedsblick,
Ein Sommerfaden an der Trauerweide hängen!«
Die wilden jungen Männer empfahlen sich den jungen Wäsämskoi's. Olga, entzückt von dieser Männerwelt, schlug den blauen Schleier ihres Hutes so dicht vor ihr [1781] Antlitz, daß man nichts von ihr sehen konnte als die zierliche Gestalt. Sie schien mit Siegbert zwar etwas zu schmollen, kehrte Allen den Rücken, beantwortete keine Höflichkeit Dankmar's, wich jeder Absicht Egon's, sich ihr vorstellen zu lassen, aus, saß aber im Wagen so sicher, so fertig, als wäre sie schon neunzehn Jahre, während sie doch nur fünfzehn zählte.
Was hat denn Olga? sagte Dankmar. Sie weinte ja vorhin ... Sie soll heirathen? Nicht wahr?
O nein, sie weint, daß ich nicht in ihrem Wagen zurückfahre ...
Heilige Thränen der Liebe! spottete Dankmar. Ist doch auch dein Taschentuch deshalb feucht?
Egon aber, gleichfalls angeregt, scherzte noch mit Paulowna und Rurik.
Wenn ich auch noch so schlimm bin, sagte er, so hilft das dem Papa Rudhard Alles nichts. Morgen ganz in der Frühe hol' ich Euch Kinder aus dem Bett und lasse entweder mir oder Euch für unsere Unarten vom Papa Rudhard die Ruthe geben. Wollt Ihr ihm Das sagen?
Dieser drohende Humor schien den Kindern doch zu bedenklich ... Sie setzten sich zur älteren Schwester. Siegbert half ihnen in den Wagen. Dankmar und Egon zogen, als auch dieser Wagen abfuhr, den Hut und grüßten Olga. Diese beugte mit großer Sicherheit und vornehmer Grazie etwas den Oberkörper und blieb mit zusammengeschlagenen Armen, ein Taschentuch in der Hand, in der Ecke ihres Wagens sitzen. Peters jagte davon.
[1782] Nun wollte Egon einsteigen und sah sich nach seinem Freunde um. Louis Armand, der Tischler, stand ganz in der Ferne ... fast eingeschüchtert.
Egon verstand, was ihn drückte. Mit Herzlichkeit ging er auf ihn zu und sprach in französischen Worten zu ihm:
Aber, Louis –
Louis Armand sah zur Erde und folgte langsam und beklommen seiner Aufforderung, einzusteigen.
Dankmar sah sich noch nach Mangold um. Er war verschwunden. Siegbert schien zerstreut. Er wußte nichts von Dem, was auf der Terrasse vorgefallen war. Die Kinder hatten zwar erzählt, daß sie den König und die Königin gesprochen, aber Egon's Begegnung mit den hohen Herrschaften war ihm so neu, daß er, als davon nun endlich erörternd und erzählend die Rede kam, ausrief:
Sagt' ich es nicht, daß die große Welt die Zeit nicht erwarten kann, Sie im Vorgrunde zu erblicken?
Egon begann nun zu erzählen.
Noch einmal sah er kopfschüttelnd auf das Schloß zurück, das von einigen Sonnenstrahlen, die sich durch die vom Winde heraufgetriebenen Wolken drängen konnten, glühend erleuchtet war. Die hohen Kronen der Bäume der Allee schwankten. Es wehte ein kühler Zug. Der Abend schien nicht so freundlich den Tag zu enden, wie er begonnen hatte. Egon knöpfte seinen Frack zu, ließ seinen Mantel über sich breiten und begann nun folgende Mittheilung:
Was mir soeben widerfahren ist, sagte er kopfschüttelnd, [1783] muß ich eine merkwürdige, überraschende Ehre nennen. Es ist aber eine Ehre gewesen, die eigentlich nicht mir, sondern meinem Namen, der Erinnerung an meinen Vater galt, und in diesem Sinne, gesteh' ich, hat mir das Erlebte auch einen ganz wohlthuenden Eindruck gemacht. Ich bin kein Aristokrat, habe aber gefühlt, wie ernst, wie bedeutungsvoll der Beruf des Adels ist, wenn er seine Aufgabe nur recht verstehen wollte.
Louis Armand wandte sich und sah nach den sie verfolgenden Wolken.
Ja, ja, Louis! Ich bin nun durch und durch Aristokrat geworden! Ihr sprecht von einer Genossenschaft des Geistes! Ich bin ein Paladin der Tafelrunde geworden. Der Adel ist ja schon ein solcher Bund, wie ihn Dankmar bezweckt, und stellt ihn schon von Natur dar. Wenn man, um vollkommner Mensch zu sein, sich von den Menschen, wie sie gewöhnlich sind, abzusondern haben soll, so hat hier die Geschichte eine solche Absonderung schon von selbst erzielt. Richtig verstanden muß der Adel eine Aufforderung sein, sich ganz besonders auszuzeichnen ...
Wo man weiß, fiel Siegbert ein, daß man die Ehre eines gefeierten Namens gleichsam wie ein Fideikommiß zu verwalten hat, wird man sein persönliches Verdienst nur in der Beförderung eines gleichsam anvertrauten objektiven Gutes finden. Man wird sich blindlings in Gefahren stürzen, weiß man doch, daß die Gattung, zu der man gehört, erhalten bleibt! Man wird eine Linie der Thaten [1784] und Auszeichnungen schon bei seiner Geburt vorfinden, der man nur nachzugehen hat, um zu bedeutenden Zielen zu gelangen. Hätte der Adel das Bewußtsein seines wahren Werthes immer nur darin gefunden, der geborene Vorkämpfer der Volksrechte zu sein, wir würden ein solches geschichtliches Institut segnen, statt ihm für seine Anmaßung und die ausschließliche Bundesgenossenschaft mit den Unterdrückern zu fluchen.
Gott sei Dank, sagte Dankmar, der ganz erstaunt zugehört hatte, daß dein aristokratischer Rebus diese Pointe hatte! Ich glaubte schon, das berühmte Fräulein von Flottwitz hätt' es dir mit einem ihrer Blicke links um die Ecke angethan ...
Wer war das blonde Fräulein? fragte Egon.
Das Mitglied einer sehr achtbaren Kriegerfamilie, sagte Dankmar. Die Flottwitz datiren sich auf die ersten ruhmwürdigen Entfaltungen unserer Fahnen zurück und bevölkern die Cadettenhäuser auch schon für unsere zukünftige Glorie ... Das blonde Fräulein hat den weiblichen Reubund gestiftet und steht an der Spitze der großen Demonstrationen mit wollenen Socken und patriotischer Hingebung. Sie ist eine Schwärmerin, wie nur je eine unter dem Drudenbaume saß und in einem Anfalle von landeserrettender Verzückung ausrief: Mein ist der Tzako, mir gehört er zu! Sie vertritt die Principien der politischen Stabilität, wie die quecksilberne Frau von Trompetta die der religiösen. Und doch gesteh' ich, in dem Blick des blonden Mädchens lagen trotz der siegreichen [1785] Reaction noch so viele höhere unbefriedigte Triebe, daß ich wohl einmal an diese weißen zarten Formen anklopfen und fragen möchte: Erlaubst du wohl, daß ich die innere Organisation deines merkwürdigen Gehirnes studire und mich überzeuge, wie man phrenologisch gebaut sein muß, um die Demokratie so gründlich zu hassen, wie es dies Mädchen bis zum Fanatismus treiben soll!
Und Egon fiel ein:
Was sich in dieser Stadt nicht Alles zusammenfindet!
Was hier nicht Alles auf Unsterblichkeit oder das Narrenhaus spekulirt!
Indeß theilte er Cigarren aus und gebot dem Kutscher, trotz des sich verdüsternden Himmels, langsam zu fahren und begann wieder:
Wie ich mich rückwärts an das Gitter der Terrasse lehne, treten die königlichen Herrschaften auf Drommeldey zu, den sie sehr huldvoll grüßen. Ew. Majestäten erstaunen, einen Arzt auf der Terrasse von Solitüde die reinste Luft der Monarchie schöpfen zu sehen, sagte er ... Hier mein Patient, Fürst Egon von Hohenberg, ist Schuld, daß ich ein so seltenes Glück genieße. Ich mußte mich natürlich jetzt tief verbeugen und meine Zurückgezogenheit entschuldigen. Mit großer Güte spricht die Königin von meiner Krankheit, an der jeder Fühlende theilgenommen. Der König erinnert sich allergnädigst, daß ich zuweilen bei ländlichen Festen mit ihm spielen durfte und zeigte mir an der Stirn die Narbe eines Steines, von dem er behauptete, daß ich die unschuldige Veranlassung [1786] davon gewesen wäre. Er begrüßte mich herzlich wie einen alten Kameraden und die Königin ihrerseits war nun erst recht erfreut, den hohen Gemahl so angeregt und von seinen Erinnerungen an die Jugend und die Narbe ergriffen zu sehen. Da ich etwas verlegen und einsylbig antwortete, so glaubte eine alte Hofdame, die der Königin sehr nahe stand, ich wäre vielleicht in der französischen Sprache heimischer und wußte es so geschickt einzufädeln, daß plötzlich die Conversation vom Deutschen in's Französische übersprang und mehre Herren, Militairs und Civilisten, Theil nahmen. Daß ich wie das sonderbarste Wunder der Welt betrachtet wurde, sah ich wohl und fühlte die Nothwendigkeit, mich nicht zu zaghaft, zu schüchtern zu gebehrden. Ich trat mit den Reminiscenzen meiner früheren, vorgenferischen Zeit mit möglichstem Nachdruck hervor. Dadurch ergab sich wie von selbst, daß sich der Zug in eine halb stehende, halb gehende Bewegung setzte, und wir unter die Orangenbäume zu wandeln kamen. Der König, der eine sehr deutsche Gesinnung prononcirte, begann auf's neue in den vaterländischen Lauten und Alles schien erfreut, zu bemerken, daß der Sohn des alten Generalfeldmarschalls, der so vortrefflich Deutsch, wenn nicht zu sprechen, doch zu fluchen verstand, nicht ganz aus der heimatlichen Art geschlagen war. Unter solchen, mehr oder weniger abgerissenen kürzeren oder längeren Bemerkungen standen wir plötzlich vor den geöffneten großen Fensterthüren der untern Säle des Schlosses. Mon prince, sagte die Königin mit vieler Anmuth, finden Sie [1787] hier nicht einige Erinnerungen an Ihre Kindheit? Was wiederhol' ich ihre Worte! Sie bedeutete mich, einen Blick in die Säle zu werfen und nachzusehen, ob dort nicht angenehmere Erinnerungen für mich wären, als die an einen Stein, den ich einmal unglücklicherweise an die Stirn Sr. Majestät geworfen hätte. Ich war befangen, wußte nicht, was sie meinte und trat einem der Säle näher. Die Herrschaften gingen voraus und ich erblickte ein Ameublement von größtentheils schwarzem gothischem Hausrath, der dem ohnehin der Sonne abgewandten Zimmer etwas ungemein Düsteres gab. Noch besann ich mich, was man meinen mochte, als eine kleine Uhr einen Choral zu spielen begann. Nun besann ich mich. Ich war auf Hohenberg, in den Zimmern meiner Mutter, die Erinnerungen der Knabenzeit tauchten zauberhaft in meinem Gedächtnisse auf, und ich gestehe Euch, war es die Rückwirkung meiner noch physischen Schwäche, war es die Macht der kindlichen Erinnerung, wie die kleine Uhr auf einer schwarzen Console mit weißen Marmorfüßen den frommen Choral spielte, dem ich als Knabe oft so neugierig gelauscht hatte, trat mir eine Thräne in die Augen und kaum erblickte man meine Rührung, als sich auch die Königin und alle Damen abwandten, um zu weinen. Der König ergriff zuerst gesammelt das Wort und sagte: Mein lieber Fürst, es war ein Lieblingswunsch der Königin, auf einem unserer Schlösser die Einrichtung der Fürstin Amanda von Hohenberg, von der man so viel Geschmackvolles und Sinniges gehört hatte, zu besitzen. Jetzt kennt [1788] die Königin aber kein angenehmeres Gefühl, als dem Sohne, dem schon die frommen Klänge dieser Uhr die ganze unersetzbare Seligkeit der Jugendzeit zurückrufen, die Freude zu bereiten, die Ausschmückung dieser Zimmer da wieder hin zu verpflanzen, von wo eine allzugroße Indiskretion und Übereilung unserer Seits sie vor einiger Zeit entführte, ehe noch der Befehl dazu gegeben war. Die Bewegung, die diese schönen, gar zarten und rücksichtsvollen Worte im Saale hervorriefen, war um so mehr echt, als ich bemerke, daß sie auch auf Euch einen Eindruck machen. Meine Situation, gesteh' ich, war etwas peinlich. Sire, sagt' ich, mich fassend, mein guter Vater war so ein braver Patriot und hat in seiner Weise dem Vaterlande und Ihrem Hause so ruhmwürdige Dienste geleistet, daß es die Güte Ihres Herzens zu sehr in Anspruch nehmen hieße, wenn ich zugeben wollte, daß Sie die kleinen Schattenseiten seines Charakters, die alle Welt gekannt hat, mit dem Mantel der Liebe bedecken wollten. Wenn dieses Zimmer Ihnen die Erinnerung an einen alten Krieger zurückruft, der ... Nein, nein! unterbrach die Königin meine Ablehnung des sinnigen Rückgeschenkes. Ich würde mir ewige Vorwürfe machen, Prinz, wenn ich die stille Geisterspraehe, die durch diese scheinbar todten Geräthschaften eine Mutter mit ihrem Sohne reden kann, stören oder unterbrechen wollte. Nein, nein, Prinz, zur Feier Ihrer Genesung gestatten Sie uns, da wir hören, daß Sie Ihre Güter unverändert behalten haben, diese Einrichtung dort wieder aufstellen zu lassen, von wo aus [1789] sie ein übergroßer Eifer, der uns Alle erschreckt hat, zu rasch, zu verletzend für uns Alle entfernte. Dabei fiel der Blick der Königin auf eine lange hagere wie angedonnert dastehende Figur ...
Dankmar sagte ganz für sich:
O weh!
Egon fuhr fort:
Auf einen hagern sterngeschmückten Mann, der bisher eine außerordentlich selbstzufriedene Rolle gespielt hatte und wahrscheinlich der Intendant der Schlösser und Gärten, mein schlimmer Freund, Herr von Harder, war. Sämmtliche Kammerherren und Offiziere bissen sich auf die Lippen. Es that Allen wohl, nach einem Momente der Rührung sich durch eine kaum unterdrückte Schadenfreude humoristisch zu erholen. Ich nahm nun die Angelegenheit heiter und leicht, erklärte, wenn man die Gnade haben wollte ...
Pst! rief jetzt Dankmar, unterbrach Egon und blinkte mit den Augen nach etwas, was sich hinter ihnen begab und was er, da er mit Louis rückwärts saß, leichter sehen konnte.
Was ist? fragte Siegbert und lehnte sich rückwärts über den Schlag hinaus.
In demselben Augenblicke schoß ein zweispänniger Wagen im vollen Laufe vorüber, mit den bekannten beiden Bedienten Ernst und Franz ... Die Excellenz von Harder! Unmuthig, die schwarzen Augenbrauen tief heruntergezogen, lag sie in dem Wagen, die Arme übereinandergedrückt.
[1790] Auf dem Bocke saß neben dem Kutscher zu Dankmar's Bedauern der Garteninspektor Mangold, der freundlich und heiter seine Mütze zog und die Gesellschaft grüßte, während der mit Mangold's geistigen Kälbern pflügende Hofmann Dankmarn, den er in seinem Glücksrausche auf der Terrasse nicht gesehen hatte, jetzt in seinem Misgeschick vollkommen erkannte und den spöttischen Gruß, den ihm der Entführer des Bildes, der Mitverschworene Melanie's, mit großer Beflissenheit zuwarf, mit einem kaum achtenden Griff an seinen Hut erwiderte.
Die Miene eines Hofmannes, der so ganz allein mit einer langen königlichen Nase in stiller Einsamkeit da vorüberfuhr, war in dem Grade komisch, daß Alle herzlich lachten und sich von der peinlichen Stimmung, die denn doch die Erzählung des jungen Fürsten hervorgerufen hatte, befreit fühlten.
Egon setzte nun noch hinzu:
Nach einigen allgemeinen Bemerkungen bat ich die Majestäten um die Gnade, mich nächstens im Schlosse vorstellen zu dürfen und empfahl mich mit Drommeldey, der mich draußen auf der Terrasse erwartete, unter den herzlichsten Glückwünschen für meine Genesung. Der Schalk hat mir indessen gestanden, daß dies Abenteuer nicht ganz zufällig war.
Die Bedienten, bestätigte Dankmar etwas bitter, die dort eben vorbeifuhren und der Mann in der Mütze auf dem Bocke, ein Garteninspektor, waren im Einverständnisse [1791] und haben zum Schlosse hinauf das Zeichen unsrer Ankunft gegeben.
Das ist mir, sagte Egon, das einzige Verdrießliche an dem Vorfall, der an und für sich mir sehr wohl gethan hat.
Warum wollen Sie diese Verabredung verdrießlich nennen? sagte Siegbert, der sein Mildern, Ausgleichen, Versöhnen nicht lassen konnte. Ich bin kein begeisterter Monarchist, aber ich finde die Aufmerksamkeit sehr artig und bin überzeugt, daß dies Abschütteln einer lästigen Acquisition, des Mobiliars Ihrer Mutter, allgemein die Gesellschaft entzücken wird.
Das Gute daran ist besonders auch die Nase der Excellenz von Harder, sagte Dankmar und zündete sich aufs neue die ausgegangene Cigarre an. Die Bedienten, fuhr er fort, waren wol nicht aufgestellt, weil sie den Gefangenen vom Plessener Thurme, sondern mich, den Begleiter von Melanien, kannten. Jetzt erinnere ich mich der langen Hälse und Zeichen, die diese Schlingel machten, als wir am Portal hielten ...
Wunderliche Welt! sagte Egon kopfschüttelnd. Was sich da Alles wie ein Schneehaufen zusammengeballt hat und nun so einfach am Sonnenstrahl eines königlichen Wortes auseinanderschmilzt! Ich werde dich bitten, lieber Louis, daß du Heunisch veranlassest, seine Rückreise um einen Tag aufzuschieben und die ganze Bescheerung wirklich nach Hohenberg mit zurückzunehmen.
Louis deutete an, daß er Dies gern besorgen wollte.
Ja, ja, Louis, sagte Egon scherzend, nun sind wir im [1792] Netz. Nicht wahr, jetzt werd' ich mich wie Euer Barnave, du kennst die Revolutionsgeschichte besser als ich, für die schönen Augen meiner Königin opfern und mit Blondel singen: O Richard, mon roi, si l'Univers t'abandonne – Das denkst du doch!
Louis machte eine Bewegung, die allenfalls sagen konnte: Allerdings!
Wenn ich auf Drommeldey hören wollte, sagte Egon, so war dieser königliche Gnadenakt auch zugleich wirklich ein Aufruf an meine Loyalität, der etwa soviel heißen wollte: Bester Hohenberg, Sie haben sich in der Welt umgesehen, man beobachtet Sie, man erwartet etwas von Ihnen; wir brauchen Freunde, tummeln Sie sich jetzt, machen Sie keine dummen Streiche, wählen Sie vernünftigen Umgang, verwirren Sie die Debatte nicht durch neue sogenannte Gesichtspunkte und dergleichen Thorheiten mehr ...
Die Ärzte sind Optimisten, sagte Dankmar.
Er gestand mir kürzlich schon am Krankenbett, bestätigte Egon, daß er zum Reubund gehörte und versicherte mich, ich sollte ihn darum nicht für geschmacklos halten. Er sprach wie einst Schlurck im Heidekrug. Es gäbe Zeiten, wo man das Auffallende mitmachen müsse, um nicht selbst aufzufallen. Er ist schlau und deutete an, ich sollte mir eine politische Stellung machen. Daß er, als seine List gelungen war, sie sogleich eingestand, beweist eine gewisse Gutmüthigkeit.
Herr Dankmar glaubt eine Candidatur für den Prinzen [1793] Egon von Hohenberg aufstellen zu können, fiel Louis Armand ein. Wie nun, wenn der junge Staatsmann auf der Tribüne stünde, für die Rechte der Völker sprechen wollte und in demselben Augenblicke fielen ihm die gerührt weinenden Augen seiner Königin ein?
Du regst eine Frage an, lieber Louis, sagte Egon, die durchaus nicht persönlich, sondern principiell ist. Ich halte es allerdings für schwierig, sein Verhältniß zur freisinnigen Erörterung politischer Zustände mit jenem Maße von Achtung in Einklang zu bringen, das man der Monarchie und allen ihren Traditionen persönlich zollen muß. Ist der monarchische Begriff unvollkommen vertreten, hat man es mit schroffen, anmaßenden Fürsten zu thun, so wird uns der Kampf gegen das Übermaß ihrer Prärogative leichter werden. Schmerzlich aber ist es allerdings, mit liebenswürdigen Persönlichkeiten in principiellen Conflikt zu gerathen!
Ein anständiger Republikaner, bestätigte Dankmar etwas ironisch und meinte es doch ernst, ist allerdings zu bedauern. Man will denn doch nicht dastehen, als hätte man seinen Knigge nicht gelesen. Die Henker sogar haben in der Geschichte, ehe sie die traurige Kunst ihres Schwertes zeigten, gewisse Personen selbst vorher um Entschuldigung gebeten.
Siegbert meinte, Das wäre ein sehr großer Fehler der bevorrechteten Stände, daß sie sich keine Politik ohne Misachtung der Personen denken könnten und wiederum wären unsere Zeitgenoasen gerade noch deshalb für die [1794] Politik unreif, weil sie, wenigstens in dem Staate, in dem sie lebten, die Personen ganz und gar mit dem Principe verwechselten. Nehmen Sie diese Flottwitz, sagte er. Tausende sind wie diese! Sie halten sich an die persönliche Erscheinung der Monarchie und wollen wie Wundergläubige die Kraft ihrer Andacht nur durch die Unmittelbarkeit der Berührung stärken.
Oder, sagte Dankmar, der trotz einer gewissen Aufregung durch das Interesse für Mangold und Auguste Ludmer besonders guten Humors war – die Flottwitz und die Nase der Excellenz hatten ihn belustigt – oder sie stärken ihre Andacht durch ein unmittelbares Eingreifen, besonders in die königliche Chatoulle. Ja, Egon, ich gedenke, von dem Heidekrüger Justus, der dreimal gewählt worden, zwei Chancen für dich zu gewinnen und bei dieser Gelegenheit ihn zu fragen, ob der pensionirte Major vom Busche, der in seinem Wahlkreise die großen Adressen für Fürst und Vaterland preßte, jetzt auch noch das Geld für die Noten bekommt, die seine Tochter auf einem vom König ihr geschenkten Pianoforte spielt.
Verkehrte Welt! rief Egon nach Erzählung dieser Anekdote aus. Hier haben wir noch die arkadischen Sitten patriarchalischer Zeiten, dort nagt die Zweifelsucht schon Alles in Millionen zusammenhangloser Atome! Nenne uns Einer das Zauberwort, das neue Menschen schafft, die für die alte Welt passen, oder eine neue Welt, die die alten Menschen nimmt, wie sie einmal sind! Nichts schickt sich mehr in's Andre. Der Stoff, der Jahrtausende lang die [1795] Herzen kittete und band, scheint verbraucht. Die Ecksteine sind verworfen und wo gibt es neue? Das Todesbeil kann kein Leben schaffen. Aus dem Blute der Geopferten steigt die Rache und kein Segen blüht, wo einmal geflucht wurde. Die Menschheit geht nicht die richtige Bahn. Wer greift die Zügel und schleudert das Gefährt auf die Seite, wo keine Abgründe drohen? Ich suche eine Formel, eine Lehre, die größer ist als alle Könige der Welt und vor der die Könige und Bettler zugleich anbeten! Pflicht! Pflicht! Trätest du aus den Wolken und zögest wie eine entschwebende Glorie über die Erde hin, daß Alle die Hände ausstreckten und riefen: Bleibe bei uns! Verspottet mich nicht Freunde, die Scene mit dem Königspaare hat mich doch so aufgeregt, daß ich blutige Thränen weinen möchte, wie Alles doch so verkehrt geordnet, so toll verwirrt, so unauflöslich und unentwirrbar ist.
Dankmar warf seine glühende Cigarre aus dem Wagen, so erschreckte ihn die Art, wie Egon seine Scherze aufnahm ... Er fragte, ob er Egon verletzt, gekränkt hätte.
Nein, sagte dieser bewegt und reichte allen Dreien die Hand; ist es nicht erschütternd, daß wir vier, die wir die Dinge, wie sie jetzt gehen, mit gleicher Aufrichtigkeit hassen, uns doch nicht vereinigen können über den Weg, wohin sie gehen sollen? Da ein Communist, hier ein Radikaler, Freund Siegbert, wie ich schon hörte, als wir auf die Terrasse stiegen, ein idealer Sozialist, und ich ...
In diesem Augenblicke ertönte in der Ferne ein greller Pfiff. Der Kutscher hieb so heftig in die Pferde, daß der [1796] Ruck, den der Wagen dadurch erhielt, Egon's fernere Rede unmöglich machte.
Die Eisenbahn! riefen die Bedienten fast sich überneigend.
Man sah in der merklich vorgeschrittenen Dämmerung den Rauch einer daherbrausenden Lokomotive. Der Kutscher wollte ihr zuvorkommen und den Durchschnitt der Bahn noch gewinnen ... Aber schon fanden sie die Barriere verschlossen und mußten halten.
Wie sie so stillhielten, kam von der andern Seite mit gleicher Schnelligkeit eine Gesellschaft zu Pferde. Auch sie glaubte noch das Schließen der Schranken überholen zu können, kam aber ebenfalls zu spät. In der vom dunkeln mit Wolken gemischten Abendroth widerstrahlenden Beleuchtung nahm sich diese Cavalcade, an deren Spitze eine Dame hielt, außerordentlich malerisch aus. Wenn der Herbst ohnehin so reich an schönen Wolkenmomenten ist, so hatten sich gerade heute dunkelrothe, blaue und gelbe Farben zu einem Hintergrunde gemischt, aus welchem diese Rosse, diese Reiter und diese Amazone sich mit der lebendigsten Wirkung abhoben. Dazu rollte in weiter Ferne ein Donner und ein leichter Blitzschimmer zuckte zuweilen durch das dunkle Gewölk, das jene Reitenden nicht zu achten schienen.
Wie die Amazone in einem schwarzen Sammetrocke mit langherabhängender Schleppe und einem förmlichen Männerhute, der ihr jedoch mehr im Nacken, als auf der Stirn saß, so gewaltsam mit ihren Begleitern heransprengte, [1797] daß im Augenblick, als die Schranken geschlossen wurden, die Pferde fast auf die Kruppe zu stehen kamen, erkannten die Brüder Wildungen Melanie Schlurck.
Egon, der von der Schönheit dieser majestätischen und in der grellen Beleuchtung des farbenreichen Abendhimmels doppelt blendenden Erscheinung mächtig ergriffen wurde, entdeckte sogleich, daß die Brüder die Reiterin kannten. Dankmar, statt ihm zu sagen wer sie war, fragte, ob er sich nicht einer ähnlichen Scene bei Hohenberg im Walde erinnerte?
Wohl, sagte Egon, das ist Dieselbe, die uns in dem Augenblicke begegnete, als uns von unserm Wägelchen der junge, rothhaarige Führer durchging, Schlurck's Schreiber ...
Und dies ist Schlurck's Tochter, die schöne Melanie, wie man sagt die Verlobte jenes jüngern Mannes, der ihr zur Seite reitet, des Stallmeisters Lasally. Ich täusche mich nicht, es sind dieselben Herren wie damals. Der Justizdirektor Herr von Zeisel, und der Banquier von Reichmeyer ... die Andern kenn' ich nicht.
Siegbert grüßte über die Barriere hinüber; nicht minder bewegt, wie Dankmar, der beim Anblick des schönen, ihm zu jeder Stunde so liebevoll und freundlich gewesenen Mädchens seine gewöhnliche Selbstbeherrschung verlor und nicht jede Frage verstand, die Egon an ihn richtete.
Die Lokomotive kommt, sagte Louis, die Dame ist der Barriere zu nahe.
[1798] Und Egon, sich auf den Anblick dieses Mädchens in jener Mondnacht, wo sie im Nachtkleide zum Fenster seines Schlosses in Hohenberg hinausblickte, von neuem wohlbesinnend, ergriffen von der Möglichkeit, daß das Roß des schönen Mädchens scheuen könnte, sprang auf und rief hinüber:
Ich bitte Sie, Fräulein! Reiten Sie zurück!
Reichmeyer und Zeisel zogen unablässig den Hut und schienen ganz die Meinung des Prinzen zu theilen ...
Melanie lehnte sich von ihrem englischen Sattel ein wenig seitwärts, um die donnernd heranbrausende Lokomotive nicht zu sehen und kehrte ruhig lächelnd und für die bewiesene Theilnahme sich leicht verbeugend, als sie vorbei war, wieder in ihre alte Stellung zurück ... Lasally faßte ihre Zügel .... Sie schien es verhindern zu wollen ... In dem Augenblick fuhr der Train mit seinem feurigen Vorspann mit wuchtvoller, centnerschwerer Sicherheit über die Schienen hin ... Als er vorübergedröhnt war, wurden die Schranken geöffnet ... Egon's Pferde zogen an. Melanie mit einer eigenthümlichen Befriedigung auf Dankmar, Siegbert und den ihr bisher nur in einer Blouse bekannt gewordenen, jetzt endlich, endlich sichtbaren wahren Prinzen Egon herabsehend, sprengte nicht ohne Stolz und mit einem eigenen lächelnden Ausdruck an ihnen vorüber ... Die Andern folgten ... außer Herrn von Zeisel, der am Wagenschlage seiner Herrschaft hielt und um die Befehle der Durchlaucht bat, ihm Glück wünschend zu der ersten Ausfahrt.
[1799] Bei diesem Wetter reiten Sie? fragte Egon. Wir werden einen Sturm haben.
Grillen eines schönen liebenswürdigen Mädchens, Durchlaucht! sagte Zeisel etwas verlegen.
Sagen Sie diesem Mädchen, daß sie ein Engel ist! Kommen Sie doch morgen mit Heunisch ganz früh zu mir. Ich habe weitläuftige Aufträge für Sie! Aber jetzt Adieu! Adieu! Grüßen Sie die Amazone! Verspäten Sie sich nicht!
Herr von Zeisel zog den Hut ehrerbietigst und ritt in etwas unfreiwilligem Galopp seiner Gesellschaft nach ...
Egon blieb einen Augenblick aufgerichtet im Wagen ... hielt sich, da die Federn schwankten, an der Rücklehne ... und schaute, trunken vor Interesse.
Vom schwarzdunkelblauen Hintergrunde aus nahmen sich die Reiter wie die Boten des Sturmes aus. Ein Blitzstrahl zuckte über Melanie hin, eben als sie sich noch einmal umwandte. Der Schimmer erleuchtete bläulichweiß ihre edelgeformten Züge, in denen Siegbert, leise zum Ohre des Bruders gewandt, etwas Melancholisches, Kummervolles entdeckt haben wollte, das ihr sonst so fremd war ...
Egon konnte, als sie weiter fuhren, nicht begreifen, wie ihm diese Erinnerung jemals hätte schwinden können!
War es die Sorge um die Störung durch den närrischen Einfall deines Begleiters, sagte er, oder lebten meine Gedanken nur in Dem, was ich auf dem Schlosse meiner Eltern vorhatte, ich erinnere mich wohl, auch schon [1800] damals von dieser blendenden Erscheinung überrascht gewesen zu sein, allein der Eindruck schwand und erst jetzt erneuert er sich in ganzer Frische. Wie sind diese Formen des Halses und der Brust so regelmäßig! Wie vollendet gewölbt ist dieser Rücken, den ich mich nur erinnere, an einer Statue der Venus im Pariser Louvre gesehen zu haben! Und diese Rundungen, die von den freien Schläfen und der klaren Stirn herab sich über die Wangen zum Kinn ziehen, wie weich! Wie Wachs! In dem Munde liegt ja ein ganzes Compendium jener Mimik, die Frauen von einer nicht zu excentrischen Leidenschaft und einer bewußten Wärme ihrer Empfindungen so sehr in der Gewalt haben!
Die Gebrüder Wildungen sahen von ihrer eigenen Liebe getroffen wehmüthig zu Boden ...
Wie es zwischen jungen Männern zu geschehen pflegt, ihre Gespräche beginnen mit dem Universum und hören mit den Frauen auf. Es ist das einzige Thema, wo alle Parteien sich rasch verständigen und über den Begriff der Schönheit soviel Nüancen zulassen, wie nie über einen ideellen andern Gegenstand. Da ist der entgegengesetzteste Geschmack zu vereinigen und es läuft bei den verschiedenartigsten Wesen, die man vergleicht, immer darauf hinaus, daß Dasjenige für wahrhaft schön erklärt wird, was gefällt.
Louis hatte in dieser Unterhaltung, die bei dem raschen Zufahren des Wagens sehr lebhaft geführt werden mußte, um sich verständlich machen zu können, die angenehme [1801] Genugthuung, daß Egon seine Beispiele lieblicher Erscheinungen aus der Frauenwelt von seinen Erinnerungen aus Lyon hernahm und mit einem dem Bruder Louison's gebotenen Handdrucke sagte:
Louison hatte Alles, um zu gefallen. Augen, die nicht unstät umirrten, Augen, die, wenn sie empfand, stillstanden und Den, den sie ansah, ganz in sich aufnahmen, ja hinüberzogen wie in eine träumerische Vergessenheit aller Dinge! Louison hatte die schönsten Zähne und lachte doch nur selten! Wer die Eitelkeit der Frauen kennt, wird begreifen, was es heißt schöne Zähne haben und nicht jedes Wort mit einem Lächeln begleitet sehen. Stieg ihr dann aber auch der Schalk in den Nacken, wie konnte sie ausgelassen sein! Wie schlug sie den Arm um meine Schulter und blies mir, wie ein Kind, dem Stäubchen in's Auge geflogen sind, so von der Stirn jede Wolke des Unmuthes! Da konnte sie sich schmiegen, der zarten lieblichen Gestalt Wendungen geben, wie der Knabe einer Weidengerte. Ja, wenn ich oft zürnte und über Mancherlei schmollte, war's da nicht wie mit der Blume im Topfe, die der Sonne zugewendet blüht? Man dreht den Scherben um, läßt die Blumenkrone in den Schatten sehen und in wenig Stunden langt sie mit ihren Armen doch schon wieder nach der Seite des Lichtes hin! Ich will Louison's Andenken nicht entweihen und von ihrem Kusse sprechen. Aber Das kann ich ihren Zärtlichkeiten nachsagen, Louis, daß sie die Eingebungen des Herzens waren. Was das Raffinement des Verstandes, die kalte Leidenschaft, die gemeine [1802] Erfindung, die Liebe entweihend, an Mysterien der Hingebung nur ergrübeln kann, das kam unsrer armen Louison wie ein Einfall der Schalkhaftigkeit und Laune. Ich behaupte, jede Zärtlichkeit eines Weibes, die nicht der Herzensgüte entstammt, ist ein Gift und rächt sich durch den Überdruß. Ich hasse das stürmische, hastige Naschen vom Baume der Erkenntniß. Aber ekel sieht die Asche der verglühten Leidenschaft aus! Ah, Louison! Du hattest ein Geheimniß, das so Wenige verstehen: Du schwiegst, wenn du liebtest! O wie beredtsam war dies Schweigen! Wie genügte diese ruhige, stille, stundenlange träumerische Umarmung! Dieser einzige Blick, wenn sie zu meinen Füßen saß und nur aufschaute und sagte: Rühr' dich doch nicht! Ich brauche nur deine Augen zu sehen! Und Das that sie stundenlang, hielt meine Hand und schwieg. Und nun schweigt sie für ewig!
Die Einfahrt in die lebhafte Vorstadt, der Hinblick auf die eben aufblitzenden Gasflammen der dunkeln innern Stadt brach diese wehmüthige Wendung des Gespräches ab.
Egon ermannte sich, dankte den Brüdern Wildungen für den freundlichen, ihm bereiteten Tag und bat nur entschuldigen zu wollen, daß er mit seinem Freunde Louis die Ruhe suche. Er fühle sich erschöpft, bedürfe für morgen gestärkter Kräfte und dann zu Louis sich wendend, sagte er:
Mit Heunisch wirst du vielleicht noch heute sprechen, nicht wahr?
[1803] Laß mir jede Sorge, Freund! antwortete Armand.
Ihm und Zeisel übertrage das Delogement der wiedereroberten Andenken an meine Mutter! Ich nehme die Sachen nach Hohenberg. Gnaden und Herablassungen dieser Art muß man so nehmen, wie sie geboten sind, sonst ängstigt man den Geber und läßt ihn glauben, man fühle sich durch seine Güte verletzt oder wisse sie nicht zu schätzen.
Es trat eine Pause ein. Man hatte zuviel erlebt, zuviel Eindrücke führte man mit sich heim ...
Der Wagen rollte pfeilschnell ...
Doch sagte Egon, gleichsam um der Bekanntschaft des ihm so wohlthuenden Siegbert die letzte Weihe zu geben:
Sprechen Sie noch heute die Fürstin Wäsämskoi?
Siegbert bejahte.
Nun, so bereiten Sie mir daselbst für morgen einen günstigeren Empfang vor, als ich nach der schlimmen Meinung der Kinder scheine erwarten zu dürfen. Jedenfalls muß ich Rudhard sehen, dessen Namen ich so verehre, daß ich mich in Frankreich nach ihm nannte. Sagen Sie ihm Das! Ich habe viel von Dem, was meine Mutter ihn so übel empfinden ließ, wieder gut zu machen und sind auch meine Mittel gering, so gehört er, das weiß ich, zu Den Menschen, die sich auch durch Gesinnung belohnt fühlen.
Nahe beim Palais des Prinzen stiegen Dankmar und Siegbert aus und mußten versprechen, morgen bei Egon zu speisen.
[1804] Wir haben auch wegen der Deputirtenwahl zu reden, sagte der Fürst lächelnd.
Wohl, erwiderte Dankmar, diese Angelegenheit kann nicht schnell genug betrieben werden.
Als Louis den Schlag von innen zudrückte, gab ihnen Dankmar, dem Arbeiter wie dem Prinzen, mit gleicher Herzlichkeit die Rechte.
Die Brüder sahen dann dem Wagen nach, wie er rasselnd in das Portal des Palais einfuhr ...
Bist du befriedigt? fragte Dankmar, als sie allein waren.
Vollkommen! erwiderte Siegbert. Dieser Egon besitzt den Stoff zu einer großen Zukunft!
Was ich thun kann, ihn hochzuhalten, soll geschehen und müßt' ich selbst der Schemel dazu sein; sagte Dankmar.
Warum sprachst du nichts von unserm Proceß? fragte der Bruder.
Bei günstigerer Gelegenheit. Wir sind ihm noch zu ideell ... Und nun: Guten Abend, Bruder! Du gehst zu ...
Wohin anders als zu meinen Kranken, sagte Siegbert fast wehmüthig. Denn Das sind diese Wäsämskoi's! Sie bedürfen meiner um zu leben und ich fühle, wie qualvoll die Leiden ... eines Magnetiseurs sein mögen.
Die Kleine ist lieblich, voll Charakter, reif zu einem Roman! sagte Dankmar voll Herzlichkeit, die schmerzliche Wehmuth des Bruders wohlverstehend. Warum weinte sie? Gewiß nicht deshalb, weil du nicht mit ihr fuhrst ...
Sie weinte, sagte Siegbert bebend, weil sie glaubt, daß ich die Mutter liebe ...
[1805] Richtiger, sagte Dankmar ernst und voll Schmerz, weil diese Mutter dich in Wahrheit liebt!
Siegbert schwieg ...
Beide Brüder standen sich so voll innerstem Antheil gegenüber.
Ich gehe nach Haus, sagte Dankmar, um für uns zu lesen, zu schreiben, zu arbeiten. Vielleicht auch noch etwas auf das Café Richter!
Komm' nicht zu spät!
Die Brüder trennten sich mit innigem Händedruck ...
Hätten sie noch einige Minuten gewartet, so würden sie noch Louis getroffen haben, der eben rasch, verstört und in großer Unruhe aus dem Portale trat ...
Was war ihm begegnet?
Nichts, als daß er den Prinzen die Treppe hinaufführte und ein Licht aus einer der dienenden Hände nahm, um Egon in ein schon dunkles Zimmer zu begleiten ... Wie er an das letzte kam, dem Egon, um sich auf seine weichen Polster zu werfen, mit rechtem Verlangen schon näher entgegentrat, hörte er drinnen den jubelnden Ausruf einer weiblichen Stimme: Egon da bist du! ... Er trat ahnend näher, das Licht erlosch, er hörte den feurigen Kuß einer sehnsuchtsvollen, zur rasendsten Ungeduld gesteigerten Begrüßung ... er fühlte eine weiche Hand, die einen elektrischen Schlag auszusprühen schien, die seine ergreifen und ihn mit einer einzigen Bewegung fast an die Thür zurückschleudern ... Er trat von selbst zurück. Die Thür fiel in's Schloß und wurde von innen verriegelt ...
[1806] Louis stand eine Sekunde im Dunkeln, besann sich und suchte mit raschem Entschlusse, weil sein beklommenes Herz zu ersticken fürchtete, das Freie.
Vergebens sah er sich nach den Brüdern um, von denen er nichts mehr entdeckte. Ein ferner Donner rollte und helle Blitze zuckten ... Dennoch langsam und tiefaufseufzend ging er der Wallstraße zu, um Heunisch's Abreise noch um einen Tag zu verhindern und sich durch einen freundlichen, Franziska dargebrachten Abendgruß für seine Befürchtungen über die Aussöhnung zwischen Egon und Helene d'Azimont zu trösten.
[1807]