[9] 2.

»Ich war bescheidener Sonettendichter,
Im Qualm Venedigs zündend Himmelslichter,
Gebund'ne Rede meisternd wohlbedächtig,
Gebund'ner Hände jetzo minder mächtig.
Da lieg' ich nun gleich einem schlechten Verse,
Verrenkt, gezwängt, vom Wirbel bis zur Ferse,
Die Ketten klappernd wie unreine Reime,
In übler Form verwischt die schönsten Keime!
Vor'm Thor San Marco's hielt ich Siesta gerne,
Betrachtend irdische und Himmelssterne;
Einst ungefähr, vertieft ganz in ihr Blitzen,
Blieb einer Prozession im Weg ich sitzen.
Einst in Fenice's höchstem Logenrange
Sah ich ein schönes Kind mit heitrer Wange;
Ich flog empor, – da saß der alte Doge
In einem Winkel, ach, derselben Loge!
Zum Unglück reimt' ich einmal auf: Tyrannen
In einem Klinggedicht das Wort: von dannen!
Ein andermal fiel mir auf: Senatoren
Kein andrer Reim just ein, als: Midasohren!
Die Reime, traun, sind reine, regeltreue,
Ich brauchte gleich sie wieder ohne Reue;
Doch meinten drauf die Herrn, auf mein Sonette
Gäb's keinen bessern Reim mehr, als: die Kette!«

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TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. Schutt. Der Thurm am Strande. 2. [»Ich war bescheidener Sonettendichter]. 2. [»Ich war bescheidener Sonettendichter]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1060-0