[115] Der Deserteur

Auf der Hauptwacht sitzt geschlossen
Des Gebirges schlanker Sohn,
Morgen frühe wird erschossen,
Der dreimal der Fahn' entflohn.
Heute gönnten mit Erbarmen
Sie ihm Wein und Prasserkost;
Doch in seiner Mutter Armen
Gibt und nimmt er letzten Trost:
»Mutter, seht, die närr'schen Leute
Heischten Treu' und Eid mir ab,
Die ich doch, und nicht erst heute,
Meiner lieben Sennin gab!
Soll mein Blut dem Fürsten geben,
Mag wohl sein ein guter Mann;
Doch er fordre nicht mein Leben!
Was blieb' euch, o Mutter, dann?
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Eures Hauptes Silberflocken,
Acker schirmen, Hof und Haus
Und der Liebsten goldne Locken,
Füllt's nicht schön ein Leben aus?
Hoch von langen Stangen wallten
Fetzen Tuchs, drauf sie recht fein
Ein geflügelt Raubthier malten;
Und da sollt' ich hinterdrein!
Dem Gevögel Adlern, Geiern,
War ich doch mein Lebtag gram;
Schoß manch einen, der zu euern
Und der Liebsten Heerden kam!
Ueber eine blanke Schachtel
Spannten sie ein Eselsfell:
Welch Gedröhn, statt Lerch' und Wachtel,
Die im Korn einst schlugen hell!
Trommellärm trieb mich von dannen,
Alphorn rief mich zu den Höhn,
Wo die grünen, duft'gen Tannen,
Meine echten Fahnen, wehn!
Unserm Küster lauscht' ich lieber
Mit dem tapfern Fiedelstrich,
Während vom Gebirg herüber
Süß'rer Klang mein Ohr beschlich!
In zweifarbig Tuch geschlagen,
Knebelten mich Spang' und Knopf,
Einen Höcker sollt' ich tragen
Und als Hut solch schwarzen Topf!
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Besser läßt, das sieht doch Jeder,
Mir der grüne Schützenrock,
Auf dem Hut die Schildhahnfeder,
Stutzen auch und Alpenstock!
Wachtstehn sollt' ich Nachts vor Zelten!
Lullt mein Wachen sie in Ruh?
Legt der Herr den mir geschmälten
Schlummer wohl dem ihren zu?
Besser als durch mich geborgen
Stellt' in Himmels Schutz ich sie;
Und vor Liebchens Haus am Morgen
Stand als Ehrenwacht ich früh.
Morgen, wenn die Schüsse schüttern
Mutter, denkt, daß fern von euch
Im Gebirg bei Hochgewittern
Mich erschlug ein Wetterstreich!
Besser will mir's so behagen!
Kann doch auf den Lippen treu
Euren, ihren Namen tragen,
Wie der blüh'ndsten Rosen zwei!«
Und der Morgen stieg zur Erde;
Unter laub'gem Blüthenbaum
Ruht die Sennin; ihre Heerde
Weidet rings am Bergessaum.
Horch! Im Thalgrund Büchsenknalle,
Daß, aus seinem Morgentraum
Aufgeschreckt vom rauhen Halle,
Bang und zitternd lauscht der Baum!
[118]
Aus der Krone losgerüttelt
Taumeln Blüthenflocken hin,
Tropfen Thau's, wie Thränen, schüttelt
Er aufs Haupt der Sennerin!
Und entsunken sind zur Stunde
In dem Thale, grün und frei,
Einem rothen Jünglingsmunde
Wohl der blüh'ndsten Rosen zwei.

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TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. Gedichte. Lieder aus dem Gebirge. Der Deserteur. Der Deserteur. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0CD7-1