Anastasius Grün
Gedichte

[3] Prolog

Was drängt das junge Laub der Eichen
So frisch aus Maienlicht sich heute,
Und sieht doch unten Seinesgleichen,
Des letzten Herbstwinds dürre Beute!
Was jauchzt die Nachtigall sanglodernd,
Als ob ihr horchten Ewigkeiten,
Und sieht doch ihre Schwester modernd,
Wenn Schnee sein Bahrtuch läßt entgleiten!
Was drängt ihr, Lieder, euch vermessen,
Im Dichtersaal Gehör zu fordern,
Und seht doch längst verhallt, vergessen
Die Lieder edler Sangesvordern! –
[3]
Und wüßt' ich auch, ein Schutzgeist schreibe
Mein Lied in Felsen unverdrossen,
Daß aufbewahrt es Enkeln bleibe, –
Ich hielte fest den Mund verschlossen.
Und wüßt' ich, daß zu fernen Zeiten
Ein jeglich Bild aus meinen Sängen
Als Marmorbildniß würde schreiten, –
Fest würd' ich zu die Lippen zwängen.
Denn freud'ge Ahnung im Gemüthe
Und Hoffnung will mich süß durchdringen,
Es werde unsres Daseins Blüthe
In einem neu'n Geschlecht sich jüngen;
Das, Manneskraft im starken Busen
Und Gotteslieb' im warmen Herzen,
Einst lächeln muß ob unsrer Musen
Fruchtlosen Kämpfen, müß'gen Scherzen.
Doch würden, wend' es Gott! die Söhne
Nicht edler als die Väter wieder,
Dann sind sie unsrer Schmerzenstöne
Nicht werth und unsrer Kampfeslieder.
Und süßer als ein ruhmlos Leben
Im weiten, todesstillen Raume,
Ist's, zu verklingen, zu verschweben,
Wie Blatt und Vogel sinkt vom Baume.
[4]
Wenn ihr nur einen Ast zersplittert,
Ein Blättlein reißt vom Zweigesrande,
Traun, ihr verletzt und ihr zerknittert
Dem Lenz ein Stück vom Festgewande!
Schießt ihr ein Vöglein, leicht zu missen,
Nur Eines aus dem Schwarme nieder,
Des Frühlings Lied habt ihr zerrissen,
Der ganze Vollklang ist's nicht wieder!
So ist mein Lied im Dichterlenze
Ein Vogel nur, ein Blatt, ein Schimmer,
Und fehlt es, bleibt noch g'nug dem Lenze,
Doch ist der ganze Lenz es nimmer.
Drum grüne kühn, Baum meiner Lieder,
Im Haine deutschen Sangs ein Sprosse,
Inmitten deiner schönern Brüder
Ein treuer, heiterer Genosse.
Du hast gebebt vor den Gewittern,
Die ihren starken Stämmen drohten;
Mit ihnen mußtest du erzittern,
Wenn um ihr Haupt die Blitze lohten.
In grüner Schale aufgefangen
Hat jedes Blatt den Thau der Frühe;
In Thränen mag der Himmel prangen!
Und Hoffnungsmorgenroth erglühe!
[5]
So laß gemuth dein Leben gleiten,
Wie dir's schon liegt in Mark und Kerne,
Die Lenze sei'n dir Ewigkeiten,
Dein Ruhm die schönen, flücht'gen Sterne.
Und deiner Wipfel echte Töne,
Sie werden Ort im Ganzen finden,
Doch das Unheil'ge und Unschöne
Sei dir entführt von günst'gen Winden!

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TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. Gedichte. Prolog. Prolog. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0C74-E