[276] Ein Traum
Im fernen, fernen Meere
Da segelt' ein Schiff bei Nacht,
Der Schiffsherr in der Kajüte
Entschlief auf der Matte sacht.
Der Kiel schnitt still und ruhig
Den weiten stillen Raum;
Jedoch so still und ruhig
War nicht des Schiffsherrn Traum:
Ihm träumt', ein Blitzstrahl habe
Den stolzen Mast zerspellt,
Es sei an einem Felsen
Im Sturm das Schiff zerschellt,
Und über Bord geschleudert
Schwimm' er im tosenden Meer,
Und Wogenkolosse und Blitze
Die sausen um ihn her.
Er rudert mit brechenden Armen,
Schon sieht er die Küste nahn,
Doch brausend an ihre Felsen
Schlägt hoch die Brandung hinan.
[277]
Auf einem der grauen Felsen
Sieht er eine Jungfrau stehn;
Sie winkt und läßt hernieder
Zu ihm eine Rose wehn.
Doch dort schwimmt nun ein Balken
Zur Rettung ihm heran;
Soll er zuerst die Rose,
Zuerst den Balken umfahn?
Schon brechen die Arme, schon sinkt er
Ins fluthende Grab hinein;
Da faßt ihn die Brandung und schleudert
Ihn an das Felsgestein.
Der Schiffsherr erwacht und stürzet
Rasch aufs Verdeck hinan;
Doch ruhig und sicher gleitet
Das Schiff durch die stille Bahn.
Die flüsternden Wellen baden
Das Haupt im Morgenlicht; –
Wohl sah er keine Trümmer,
Doch auch die Rose nicht.