446. Der lombardische Spielmann

Als Karl vorhatte, den König Desiderius mit Krieg zu überziehen, kam ein lombardischer Spielmann zu den Franken und sang ein Lied folgendes Inhalts: »Welchen Lohn wird der empfangen, der Karl in das Land Italien führt? Auf Wegen, wo kein Spieß gegen ihn aufgehoben, kein Schild zurückgestoßen und keiner seiner Leute verletzt werden soll?« Als das Karl zu Ohren kam, berief er den Mann zu sich und versprach ihm, alles, was er fordern würde, nach erlangtem Sieg zu gewähren.

Das Heer wurde zusammenberufen, und der Spielmann mußte vorausgehen. Er wich aber aus allen Straßen und Wegen und leitete den König über den Rand eines Berges, wo es bis auf heutigen Tag noch heißt: der Frankenweg. Wie sie von diesem Berg niederstiegen in die gavenische Ebene, sammelten sie sich schnell und fielen den Langobarden unerwarteterweise in den Rücken; Desiderius floh nach Pavia, und die Franken überströmten das ganze Land. Der Spielmann aber kam vor den König Karl und ermahnte ihn seines Versprechens. Der König sprach: »Fordre, was du willst!« Darauf antwortete er: »Ich will auf einen dieser Berge steigen und stark in mein Horn blasen; soweit der Schall gehört werden mag, das Land verleihe mir zum Lohn meiner Verdienste mit Männern und Weibern, die darin sind.« Karl sprach: »Es geschehe, wie du gesagt hast.« Der Spielmann neigte sich, stieg sogleich auf den Berg und blies; stieg sodann herab, ging durch Dörfer und Felder, und wen er fand, fragte er: »Hast du Horn blasen hören?« Und wer nun antwortete: »Ja, ich hab's gehört«, dem versetzte er eine Maulschelle mit den Worten: »Du bist mein Eigen.«

So verlieh ihm Karl das Land, soweit man sein Blasen hatte hören können; der Spielmann, solange er lebte, und seine Nachkommen besaßen es ruhig, und bis auf den heutigen Tag heißen die Einwohner dieses Landes die Zusammengeblasenen (transcornati).

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TextGrid Repository (2012). Grimm, Jacob und Wilhelm. Sagen. Deutsche Sagen. Zweiter Band. 446. Der lombardische Spielmann. 446. Der lombardische Spielmann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-055E-D