10. De drei Vügelkens.
Drei Stunden von Corvei westlich liegt der Keuterberg, Köterberg, Teuteberg (übereinstimmend mit dem nicht weit davon anhebendenTeutoberger Wald) d.h. Götter-, Völker-, Vater-Berg, auf dessen Gipfel sich die Corveischen, Hanöv. und Lippischen Gränzen berühren. Er ist von beträchtlicher Höhe und mag leicht mehr als 40 Stunden im Umkreis beherrschen, tiefer ist er mit Wäldern bewachsen, die Kuppel selbst ist kahl, hier und da mit[16] mit großen Steinen besäet und gewährt dürftige Weide für Schaafe. An ihn haben sich natürlich viele Sagen geknüpft und durch ihn erhalten. Rings um den Berg liegen sechs Dörfer, aus einem derselben ist das Märchen ganz in der Mundart mit allen ungleichen zwielichtigen Formen (denn nur die Schriftsprache hat eine einzige bestimmte, die lebende so häufig mehrere zugleich) z.B. sehde und segde, graut und grot, bede und beide, derde und dride. Teite für Vater, das alte Tatta, wird nur in diesen sechs Dörfern gesagt, sonst immer Vaer. – Der Eingang hängt noch mit folgender Sitte zusammen: wenn die Kinder, auf den verschiedenen Seiten des Bergs das Vieh hütend, sich etwas sagen wollen, ruft eins: »hela!« oder: »helo! helo! hör mal!« Dann antwortet das andere von drüben: »helo! helb! wat wust du?« – »helo! helo! kumm mal to mie herover!« – »helo! helo! ick kumme glick!«
Dieses Märchen stimmt sagenmäßig mit dem der 1001 Nacht von den zwei Schwestern, die auf ihre jüngste eifersüchtig sind (VII. 177. ff) überein; die arabische Erzählung ist nur mehr ausgedehnt, die deutsche einfacher und auch wohl schöner; beide haben ihre Eigenthümlichkeiten und beweisen ihre Selbstständigkeit damit. Aus jenem allgemein zugänglichen Buch wäre Auszug und Zusammenstellung bis ins einzelne überflüssig. Der Derwisch, welchem der Prinz erst Bart- und Augenhaar abschneidet, eh er redet (eins mit dem Gespenst in deutschen Sagen, welches stillschweigend rasirt seyn will), ist hier die hülfreiche alte Frau; sie geht fort und ist erlöst, gleichwie jener stirbt, nachdem er seine Bestimmung erfüllt hat.
Aber nicht blos als arabisches auch als altitaliänisches erscheint dieses merkwürdige Märchen bei Straparola (IV 3.); eine äußere Ableitung von dorther wendet entscheidend der Umstand ab, daß Straparola längst vor dem Uebersetzer der 1001 Nacht lebte. Manches ist bei ihm sogar besser: den Kindern fallen, wenn, sie gekämmt werden, Perlen und Edelsteine aus den Haaren, wodurch ihre Pfleg Eltern reich werden, dort im arabischen heißt es nur einmal (S. 280.): »die Thränen des Kinds sollten [17] Perlen seyn,« aber der Mythische Zug selbst ist schon untergegangen und hat nur diese Spur hinterlassen. Die Wunderdinge, welche im ital. verlangt werden, das tanzende Wasser, der singende Apfel und der grüne Vogel kommen mit der 1001 Nacht überein; aber abweichend und begründeter ist, wenn die Schuldigen, von welchen die Kinder ins Wasser geworfen waren, bewirken, daß die Schwester ihrer Brüder zu dem gefährlichen Unternehmen reizt, weil sie hoffen, diese sollten dabei umkommen: in der 1001 Nacht bleibt es unerklärt, warum die Andächtige die Neugierde der Schwester rege macht. Dagegen kommt das Verbot sich nicht umzusehen ohne Noth bei Straparola vor, da die Strafe des Versteinens nicht darauf steht.
Wichtiger als diese Abweichungen der arab. und ital. Sage unter sich, ist es, anzuführen, wie unsere Deutsche in einigem mit dieser, in anderm mit jener übereinkommt; der sicherste Beweis ihrer Unabhängigkeit (wiewohl schon jeder, der die Gegend kennte, wo es aufgenommen ist, überzeugt seyn würde, daß jene fremde Erzählungen niemals dorthin gelangt sind). – Mit Straparola stimmt es, daß die Kinder einen rothen (goldenen) Stern auf der Stirne (altes Zeichen hoher Abkunft: Flamme auf dem Haupt 1; mit zur Welt bringen, wovon die arab. Erzählung nichts weiß. Mit dieser dagegen, daß keine böse Stiefmutter, wie bei Straparola mitwirkt, sondern blos die Schwestern; daß die Kinder in drei Jahren nach einander nicht auf einmal zur Welt kommen und sich die beiden ersten Male der König besänftigt. Eigenthümlich dem deutschen und schön ists, daß aus dem Wasser jedesmal, wie das Kind hineingeworfen ist, ein Vögelchen aufsteigt, welches andeutet, daß der Geist das Leben sich erhalten hat, (denn die Seele ist ein Vogel, eine Taube), wie im Märchen vom Machandelboom (I. 47.); darauf beziehen [18] sich auch die Worte im Vers 2 »zum Lilienstraus« sie wollen sagen, das Kind war zum Tode bereit (d.i. todt) bis auf weitern Bescheid (Gottes) aber ist es gerettet; die Lilie lebt noch, denn die Lilie ist auch der unsterbliche Geist (s. das Märchen von den drei Brüdern I, 9. S. 28. wo statt der Lilie die ihr gleichstehende weiße Studentenblume: Narcisse, verwandelter Jüngling, vorkommt; und das Volkslied im Wunderhorn, wo aus dem Grab darin Vater, Mutter und Kind liegen, drei Lilien aufspriessen). Das Goldwasser und tanzende Wasser ist hier richtiger Wasser des Lebens, dieses wird öfter in den Mythen gesucht (auch in rabbinischen findet es sich) und daß es in der 1001 Nacht nicht anders seyn soll, ist daraus klar, daß die Princessin durch Wasser, das sie gleichfalls oben bei dem Vogel gewinnt, die schwarzen Steine zu Prinzen wieder belebt, wie hier den schwarzen Hund; viel natürlicher ist auch, daß es angewendet wird, um die unschuldige Mutter, die im Kerker saß, wieder gesund zu machen. – Zum Ganzen vgl. das folgende Märchen.