[389] Dritter Aufzug
Zimmer im Schlosse auf dem Hradschin. Rechts im Hintergrunde eine türförmige Öffnung, in der ein Schmelztiegel auf einem chemischen Ofen steht. Daneben der Haupteingang Kaiser Rudolf kommt aus einer Seitentüre rechts.
RUDOLF.
He, Martin, Martin! Plagt dich denn der Böse?
Ist alles denn verworren und verkehrt?
Es fehlt an Kohlen, Kohlen.
Ein Mann in berußter Jacke und Mütze, einen Korb Kohlen am Arme, ist eingetreten.
RUDOLF.
Träger Zaudrer!
Besorgt denselben Dienst seit dreißig Jahren
Und gafft und glotzt, als wärs zum erstenmal.
Der Mann beschäftigt sich im Hintergrunde.
Wo schüttest du die Kohlen hin? Carajo!
Scheints doch, du willst mir die Retorte füllen
Und nicht den Herd. Verwünschter Schlingel!
Bist du bezahlt, zu Tode mich zu ärgern?
DER MANN
nach vorn kommend, seine Mütze abnehmend und sich auf ein Knie niederlassend.
Verzeiht, o Herr, ich bins nur nicht gewohnt.
RUDOLF.
Du bist nicht Martin! – Fuego de Dios!
Der Mann hat auch das Wams geöffnet.
RUDOLF.
Ah – Herzog Julius von Braunschweig, Liebden!
Wie kommt ihr her? und doch zumeist
Mißtrauisch mehrere Schritte zurücktretend.
Was wollt ihr?
HERZOG JULIUS.
Seit vierzehn Tagen such ich Audienz
Und konnte nun und nimmer sie erhalten,
Da griff ich in der Not zu dieser List.
Verzeiht dem Treuen, der es gut gemeint.
RUDOLF.
Ha, ha, ha, ha! Kein übler Spaß! Steht auf!
Ihr könnt nun wenigstens dem Volk bestätgen,
Daß ich noch lebe, was man, heißts, bezweifelt.
JULIUS
der aufgestanden ist.
Bezweifelt, und mit Recht.
RUDOLF.
Ja, alter Freund,
Damit ich lebe, muß ich mich begraben,
[390] Ich wäre tot, lebt ich mit dieser Welt.
Und daß ich lebe, ist vonnöten, Freund.
Ich bin das Band, das diese Garbe hält,
Unfruchtbar selbst, doch nötig, weil es bindet.
JULIUS
der den Kittel ausgezogen und auf einen Stuhl gelegt hat.
Doch wird das Band nun locker, Majestät?
RUDOLF.
Mein Name herrscht, das ist zur Zeit genug.
Glaubst: in Voraussicht lauter Herrschergrößen
Ward Erbrecht eingeführt in Reich und Staat?
Vielmehr nur: weil ein Mittelpunkt vonnöten,
Um den sich alles schart, was gut und recht
Und widersteht dem Falschen und dem Schlimmen,
Hat in der Zukunft zweifelhaftes Reich
Den Samen man geworfen einer Ernte,
Die manchmal gut und vielmal wieder spärlich.
Zudem gibts Lagen, wo ein Schritt voraus
Und einer rückwärts gleicherweis verderblich.
Da hält man sich denn ruhig und erwartet,
Bis frei der Weg, den Gott dem Rechten ebnet.
JULIUS.
Doch wenn ihr ruht, ruhn deshalb auch die andern?
RUDOLF.
Sie regen sich, doch immerdar im Kreis.
Die Zeit hat keine Männer, Freund wie Feind.
JULIUS.
Allein der Krieg in Ungarn?
RUDOLF.
Der ist gut.
Den Krieg, ich haß ihn als der Menschheit Brandmal,
Und einen Tropfen meines Blutes gäb ich
Für jede Träne, die sein Schwert erpreßt;
Allein der Krieg in Ungarn, der ist gut.
Er hält zurück die streitenden Parteien,
Die sich zerfleischen in der Meinung schon.
Die Türkenfurcht bezähmt den Lutheraner,
Der Aufruhr sinnt in Taten, wie im Wort,
Sie schreckt den Eifrer meines eignen Glaubens,
Der seinen Haß andichtet seinem Gott.
Fluch jedem Krieg! Doch besser mit den Türken,
Als Bürgerkrieg, als Glaubens-, Meinungsschlachten.
Hat erst der Eifer sich im Stehn gekühlt,
Die Meinung sich gelöst ins eigne Nichts,
[391] Dann ist es Zeit zum Frieden, dann mein Freund,
Soll grünen er auf unsern lichten Gräbern.
JULIUS.
Allein der Friede ward geschlossen.
RUDOLF.
Ward.
Ich weiß, doch nicht bestätiget von mir,
Und also ist es Krieg, bis Gott ihn schlichtet.
Doch daß ich nicht auf Zwist und Streit gestellt –
– Siehst du? ich schmelze Gold in jenem Tiegel.
Weißt du, wozu? – Es hört uns niemand, mein ich.
Ich hab erdacht im Sinn mir einen Orden,
Den nicht Geburt und nicht das Schwert verleiht,
Und Friedensritter soll die Schar mir heißen.
Die wähl ich aus den Besten aller Länder,
Aus Männern, die nicht dienstbar ihrem Selbst,
Nein, ihrer Brüder Not und bitterm Leiden;
Auf daß sie weithin durch die Welt zerstreut,
Entgegentreten fernher jedem Zwist,
Den Ländergier und was sie nennen: Ehre,
Durch alle Staaten sät der Christenheit,
Ein heimliches Gericht des offnen Rechts.
Dann mag der Türke dräun, wir drohn ihm wieder.
Nicht außen auf der Brust trägt man das Zeichen,
Nein, innen, wo der Herzschlag es erwärmt,
Es sich belebt am Puls des tiefsten Lebens.
Mach auf dein Kleid! – Wir sind noch unbemerkt. –
Er hat aus der Schublade des Tisches eine Kette mit daranhängender Schaumünze hervorgezogen.
Der Wahlspruch heißt: Nicht ich, nur Gott. – Sprichs nach!
JULIUS
der sein Kleid geöffnet und sich auf ein Knie niedergelassen hat.
Nun denn: Nicht ich, nur Gott – und ihr!
RUDOLF.
Nein, wörtlich.
JULIUS.
Nicht ich, nur Gott.
RUDOLF
nachdem er ihm die Kette umgehangen.
Es ist besondres Gold,
Gewonnen auf geheimnisvollen Wegen.
Nun aber schließ das Kleid und doppelt, dreifach,
Daß niemand es erblickt. Du bist ein Ketzer,
Allein ein Ehrenmann. So sei geehrt.
[392]JULIUS
der aufgestanden ist.
O Herr, wenn ihr dem Andersmeinenden,
Ihr mir die Huld verleiht, die mich beglückt,
Warum versöhnt ihr nicht den Streit der Meinung
Und gebt dem Glauben seinen Wert: die Freiheit,
Euch selbst befreiend so zu voller Macht?
RUDOLF.
Zu voller Macht? Die Macht ists, was sie wollen.
Mag sein, daß diese Spaltung im Beginn
Nur mißverstandne Satzungen des Glaubens,
Jetzt hat sie gierig in sich eingesogen,
Was Unerlaubtes sonst die Welt bewegt.
Der Reichsfürst will sich lösen von dem Reich,
Dann kommt der Adel und bekämpft die Fürsten;
Den gibt die Not, die Tochter der Verschwendung
Drauf in des Bürgers Hand, des Krämers, Mäklers,
Der allen Wert abwägt nach Goldgewicht.
Der dehnt sich breit und hört mit Spotteslächeln
Von Toren reden, die man Helden nennt,
Von Weisen, die nicht klug für eignen Säckel,
Von allem, was nicht nützt und Zinsen trägt.
Bis endlich aus der untersten der Tiefen
Ein Scheusal aufsteigt, gräßlich anzusehn,
Mit breiten Schultern, weitgespaltnem Mund,
Nach allem lüstern und durch nichts zu füllen.
Das ist die Hefe, die den Tag gewinnt,
Nur um den Tag am Abend zu verlieren,
Angrenzend an das Geist- und Willenlose.
Der ruft: Auch mir mein Teil, vielmehr das Ganze!
Sind wir die Mehrzahl doch, die Stärkern doch,
Sind Menschen so wie ihr, uns unser Recht!
Des Menschen Recht heißt hungern, Freund, und leiden,
Eh noch ein Acker war, der frommer Pflege
Die Frucht vereint, den Vorrat für das Jahr,
Als noch das wilde Tier, ein Brudermörder,
Den Menschen schlachtete, der waffenlos,
Als noch der Winter und des Hungers Zahn
Alljährlich Ernte hielt von Menschenleben.
Begehrst ein Recht du als ursprünglich erstes,
[393] So kehr zum Zustand wieder, der der erste.
Gott aber hat die Ordnung eingesetzt,
Von da an ward es licht, das Tier ward Mensch.
Ich sage dir: nicht Skythen und Chazaren,
Die einst den Glanz getilgt der alten Welt,
Bedrohen unsre Zeit, nicht fremde Völker:
Aus eignem Schoß ringt los sich der Barbar,
Der, wenn erst ohne Zügel, alles Große,
Die Kunst, die Wissenschaft, den Staat, die Kirche
Herabstürzt von der Höhe, die sie schützt,
Zur Oberfläche eigener Gemeinheit,
Bis alles gleich, ei ja, weil alles niedrig.
Er setzt sich.
JULIUS.
Ihr schätzt die Zukunft richtig ab, das Ganze,
Doch drängt das Einzelne, die Gegenwart.
RUDOLF.
Mein Haus wird bleiben, immerdar, ich weiß.
Weil es mit eitler Menschenklugheit nicht
Dem Neuen vorgeht oder es begleitet,
Nein, weil es einig mit dem Geist des All,
Durch Klug und scheinbar Unklug, rasch und zögernd,
Den Gang nachahmt der ewigen Natur,
Und in dem Mittelpunkt der eignen Schwerkraft
Der Rückkehr harrt der Geister, welche schweifen.
JULIUS.
Doch eure Brüder denken nicht wie ihr.
RUDOLF.
Mein Bruder ist nicht schlimm, obgleich nicht klug.
Ich geb ihm Spielraum, er begehrt zu spielen.
JULIUS.
Wars Spiel? daß eigner Macht er schloß den Frieden,
Ists Spiel? daß er den Herren spielt im Land?
RUDOLF.
Du spielst mit Worten, wie er mit der Macht.
JULIUS.
Man sagt, der Türke hab ihm angeboten
Die Krone Ungarns.
RUDOLF.
Sagt! Die Krone Ungarns.
Der Türke hat das Land. Was soll das Zeichen?
JULIUS.
Die Protestanten – Herr, ich bin ein Protestant,
Doch nur im Glauben, nicht in Widersetzung –
Sie haben ihm als Preis der Glaubensübung
Beistand geschworen wider männiglich.
RUDOLF.
Mein Bruder ist katholischer als ich.
[394] Er ists aus Furcht, indes ichs nur aus Ehrfurcht.
Die Glaubensfreiheit stünde gut mit ihm!
JULIUS.
So nützt er sie, um später sie zu täuschen.
Die Wirkung bleibt die nämliche für jetzt.
In Mähren greift die Regung schon um sich
Und fremde Truppen ziehen durch die Städte.
RUDOLF.
Das ist der Tilly, den ich hingesandt –
Ich bin so blind nicht, als ihr etwa glaubt –
Der hält das Land in Zaum.
JULIUS.
Es sind die Völker
Aus eures Bruders ungarischem Heer.
In Böhmen selbst –
RUDOLF.
Du weißt nicht, was du sprichst.
Die Böhmen sind ein starres Volk, doch treu.
JULIUS.
Vor allem treu stammalter Überzeugung.
Der Huß ist tot, doch neu regt sich sein Glaube.
In Prag hält man schon Rat und knüpft Vereine.
RUDOLF
gegen die Türe gewendet.
Und das verschweigt man mir?
JULIUS.
Verzeiht, o Herr!
Man will es euch gemeldet haben, doch –
RUDOLF.
Der eine sagt mir dies, der andre das,
Wie's ihm sein Vorteil eingibt, seine Meinung.
Arm sind wir Fürsten, wissen das Geheime,
Allein das Offenkundge, was der Bettler weiß,
Der Tagelöhner, bleibt uns ein Geheimnis.
Auch war so viel zu tun in letzter Zeit.
Der Schotte Dee war hier. Ein Mann der Wunder,
Der eindringt in die Urnacht des Geschaffnen
Und sie erhellt mit gottgegebnem Licht.
Ich habe viel gelernt in dieser Zeit.
Hätt ich gleich ihm nur einen mir zur Seite,
Ich stünde dieser Welt und ihrem Dräun.
JULIUS.
Ihr seid verraten, hoher Herr, verkauft.
Indes ihr lernt, lehrt ihr der Welt den Aufruhr,
Der schon entfesselt tobt in euern Städten.
RUDOLF.
Hast dus gesehn?
JULIUS.
Ich nicht.
[395]RUDOLF.
So sprich auch nicht!
Ein jeder sieht ein andres, nein, sieht nichts
Und gibt den Rat, der nichtig schon von vornher.
JULIUS.
Ein Mann ist hier, er kommt von Brünn und Wien.
Er hat gesehn. Es ist derselbe, Herr,
Der euern Flüchtling rückgebracht! – Don Cäsar.
RUDOLF.
Bring ihn zu mir, den Mann! Ich will ihn sprechen.
Er hat geleistet mir den höchsten Dienst,
Der mir erwiesen ward seit langen Jahren.
JULIUS.
Er ist im Vorgemach.
RUDOLF.
Warum nicht hier?
Was zögert er? Warum nicht mir genüber?
Don Cäsar! Wie mein Innres sich empört!
Der freche Sohn der Zeit. – Die Zeit ist schlimm,
Die solche Kinder nährt, und braucht des Zügels.
Der Lenker findet sich, wohl auch der Zaum.
Herzog Julius hat indessen Lukrezias Vater eingeführt.
RUDOLF
ihm einige Schritte entgegengehend.
Ah, du, mein Ehrenmann!
Zurücktretend.
Bleibt immer dort!
Dort an der Tür. Ihr seid ein Bürger Prags?
PROKOP.
Ich bin es, Majestät.
RUDOLF.
Seit wann denn führen
Die Bürger Waffen?
PROKOP
auf den Dolch in seinem Gürtel blickend.
Herr, die böse Zeit
Gebeut zu rüsten sich.
Den Dolch mit der Scheide aus dem Gürtel ziehend, mit einer Bewegung nach der Türe.
Doch will ich –
RUDOLF.
Bleibt!
Ihr habt den Flüchtling, der sich Cäsar nennt,
Gestellt uns als Gefangenen zur Haft.
Wir danken euch und denken eure Tochter
Zu schützen gegen ihn; vorausgesetzt,
Daß sie nicht selbst, wie etwa Weiberart,
Ihn anfangs tändelnd angezogen –
[396]PROKOP.
Nein!
RUDOLF.
Nun, ihr sprecht kurz. Ihr seid ein Protestant?
PROKOP.
Herr, Utraquist, des böhmschen Glaubens.
RUDOLF.
So!
Warum des böhmischen und nicht des deutschen?
Des welschen, griechisch, spanschen? – Arme Wahrheit!
Vergaß ich fast doch, daß es soviel Kirchen
Als Kirchenräume gibt und – Kirchhofgräber.
Nun gut. Vor Cäsar lebt nur künftig sicher,
Ich will ihn hüten wie des Auges Stern.
Und hört ihr einst, er sei zu Nacht gestorben,
So denkt nur: seine Krankheit hieß Verbrechen,
Und Strafe war sein Arzt. – Ihr kommt von Wien.
Ich weiß, was man dort treibt und halb ich dulde
Und halb ein Wink von meiner Hand zerstreut.
Doch lüstet michs zu hören, was ihr saht,
Ein einfach schlichter Mann.
PROKOP
gegen Herzog Julius.
Das von der Huldgung?
Zum Kaiser.
Ich war dabei in Wien, als beide Östreich
Im Landhaussaal geschworen euerm Bruder.
RUDOLF.
Geschworen als Erzherzog, nun, er ists.
PROKOP.
Umringt war er von ungrischen Magnaten,
Als er den Saal betrat, die laut und jubelnd
Ihn grüßten als des Ungarlandes König.
RUDOLF.
Das ist nicht wahr.
PROKOP
zu Herzog Julius.
So kann ich wieder gehn?
RUDOLF.
Wenn ich euchs heiße, früher nicht noch später.
Der Ungarn König? Nun: voraus bezeichnet,
Nachfolger etwa; ob auch das zur Zeit
Nicht sicher noch, abhängig von gar vielem.
In Mähren dann?
PROKOP.
Ich war in Brünn zugegen
Beim Einzug eures Bruders, wo er jubelnd,
Vor allem von den Dienern meines Glaubens,
Empfangen ward, ein Retter in der Not.
Die protestantschen Kirchen stehen offen;
Und ob er gleich sich letzter Zeit entfernt –
[397]RUDOLF.
Entfernt? Wohin?
PROKOP.
Man weiß nicht, Herr, die Richtung.
RUDOLF
zu Herzog Julius.
Ich sage dir: er ging zurück nach Wien.
Ihm fehlt der Mut. Ich kenne diesen Menschen:
Zum Anfang rasch, doch zögernd kommts zur Tat.
Zu Prokop.
Ich danke dir, mein Freund, und weiß genug;
Der Aufstand ist am Schluß, wie dein Bericht.
PROKOP.
Obgleich sich der Erzherzog nun entfernt,
Blieb doch an seiner Stelle Bischof Klesel,
Der mit der Grenze meuterisch verkehrt.
RUDOLF.
Wie war das? Klesel? Ist er doch in Neustadt,
Wohin ich ihn gebannt, in seinem Sprengel.
PROKOP.
Er ist in Brünn, wo ich ihn selber sprach
Von wegen meines sicheren Geleits,
Und steht vor allen nahe dem Erzherzog.
RUDOLF
zu Herzog Julius.
Das wäre schlimm. Wenn jener listge Priester
Das, was dem andern fehlt, den Mut, die Tatkraft,
Ihm gösse in die unentschiedne Seele.
Das wäre schlimm, und denk ich fort und weiter,
Vergrößert sichs zu wirklicher Gefahr.
Zu Prokop.
Ich dank euch, guter Freund! Ihr seid entlassen,
Und euer Kind, es zähl auf meinen Schutz.
Da Prokop sich entfernt und die Türe offen steht.
He, Wolfgang! Wolfgang Rumpf!
WOLFGANG RUMPF
eintretend.
Hier, Majestät.
RUDOLF.
Bringt die Berichte dieser letzten Tage,
Und was an Briefen, in mein Kabinett.
Und will ich künftig ungestört mich wissen,
So hinderts nicht, daß, wenn das Haus in Flammen,
Ihr dennoch kommt und ansagt: Herr, es brennt.
HERZOG JULIUS
zu Rumpf halblaut.
Wars möglich denn?
RUMPF
ebenso.
Ihr wißt nicht, edler Herzog.
[398]Der Kaiser drohten mit geschwungnem Dolch,
Wenn jemand nur ihn anzusprechen wagte.
RUDOLF.
Nun wohl, ihr habt das Zünglein an der Wage,
Das ich mit Sorge hielt im Gleichgewicht,
Ihr habt es rohen Drängens angestoßen,
Es schwankt und blutge Todeslose fallen
Aus beiden Schalen auf die bange Welt.
Leiht mir nicht eure Schuld; wenns etwa Schuld nicht,
Daß ich vertraut, ein schwacher Sterblicher, kein Gott.
Ruft mir den Kanzler!
RUMPF.
Herr, er ist schon hier
Und spricht im spanschen Saale zu den Ständen.
RUDOLF.
Die Stände, wie?
RUMPF.
Die gleicherweis erschienen,
Von des Gerüchtes Stimmen aufgeregt.
Zu Herzog Julius.
O Herr, o Herr! Wir wissens erst seit jetzt:
Des Herrn Erzherzoges Mathias Gnaden
Sind insgeheim von Brünn verrückt nach Tabor,
Von wo sie nun, durch Meuterer verstärkt,
Mit Heeresmacht heranziehn gegen Prag.
Die Stadt ist in Bewegung, Manifeste
Sind angeschlagen an den Straßenecken,
Die von des Kaisers Hoheit ehrfurchtslos –
RUDOLF.
Ich weiß den Inhalt dieser Manifeste:
Daß ich, ein alter Mann, an Willen schwach,
Entziehe mich dem Reich und seinen Sorgen;
Indes mich das Gespenst der blutgen Zukunft
Verfolgt bis in mein innerstes Gemach,
Und, nachts empor auf meinem Lager sitzend,
Der Trommel Ruf, des Schlachtenlärms Getos
Mir wachend schlägt ans Ohr, den Traum ergänzend.
Dazu noch das Bewußtsein, daß im Handeln,
Ob so nun oder so, der Zündstoff liegt,
Der diese Mine donnernd sprengt gen Himmel.
Ihr habt gehandelt, wohl! Das Tor geht auf
Und eine grasse Zeit hält ihren Einzug.
Was wollen sie, die Stände? Weiß man es?
[399]RUMPF.
Sie tragen eine Handfest vor sich her,
Von Pergament gerollt, auf einem Kissen.
RUDOLF.
Es ist der Majestätsbrief, den sie früher
Mir vorgelegt, doch damals ich zurückwies,
Berechtigung zusichernd ihrem Glauben.
Bitter.
Die Zeit scheint ihnen günstig zum Vertrag.
Die Mütze abziehend, heftig.
Allmächtger Gott, der du mich eingesetzt,
Zu wahren deiner Ehre und der meinen,
Die Doppellast, sie spottet meiner Kraft,
Und nicht vermag ich fürder sie zu tragen.
Ich stelle dir zurück, was deines Reichs,
Bist du der Starke doch, und was du willst
Führst du zum Ziel durch unerforschte Wege.
Doch, was mein eignes Amt, daß diese Welt
Ein Spiegel sei, ein Abbild deiner Ordnung,
Daß Fried und Eintracht wohnen brüderlich,
Vom Unrecht ungestört und von Verrat,
Das will ich üben, stehst du, Gott, mir bei.
Er hat sein Barett wieder aufgesetzt.
Ich will hinüber zu den treuen Ständen;
Treu nämlich, wenn – und ehrenhaft, obgleich –
Anhänglich auch, jedoch – wahrhaft, nur daß –
Und wie die krummen Wege alle heißen,
Auf denen Selbstsucht geht und die Gemeinheit.
Er macht einige Schritte gegen die Türe, dann bleibt er stehen, mit dem Fuße stampfend.
Mich widerts an. Ich mag den Hohn nicht sehn,
Die Schadenfreude auf den frechen Stirnen.
Ruft sie herüber. Heißt das: einen Ausschuß,
Für alle führend insgesamt das Wort.
Erträglich ist der Mensch als einzelner,
Im Haufen steht die Tierwelt gar zu nah.
Was zögerst du? ruf sie herüber, sag ich.
Rumpf ab.
Nun, Herzog Julius, fühlt ihr noch die Kraft,
Das Schwert zu schwingen in der alten Rechte?
[400] Mich selbst befällt ein Hauch der Jugendzeit,
Und an der Spitze, denk ich, meiner Treuen
Hinauszuziehn, um Stirne gegen Stirn
Den Aufruhr zu befragen, was sein Ziel.
Nicht daß mich lockt die stolze Herrschermacht,
Und wüßt ich Schultern, die zum Tragen tüchtig,
Ich schüttelte sie ab als ekle Last,
Von da an erst ein Mensch und neu geboren.
Doch wenn es wahr, daß Gott die Kronen gibt,
Geziemt es Gott allein nur, sie zu nehmen,
Sie abzulegen, selbst, auch ziemt sich nicht.
Wo ist mein Degen? Wolfgang! Wolfgang Rumpf!
Er lehnt am Tisch, zunächst an meinem Bette.
Da Herzog Julius auf das Kabinett zugeht.
Herr, ihr bemüht euch selbst? Habt Dank, o Lieber!
Herzog Julius ins Kabinett ab.
RUDOLF
gegen den Haupteingang gewendet.
Hört mich denn niemand? Sind sie schon geflohn,
Vom Niedergang gewendet zu dem Aufgang?
Das soll sich ändern, ja es soll, es muß.
Herzog Julius kommt zurück.
RUDOLF.
Ihr bringt den Mantel auch? Habt ihr doch recht,
Die Welt verlangt den Schein. Wir beide nur,
Wir tragen innerhalb des Kleids den Orden.
Nachdem er mit Herzog Julius Hilfe den Mantel umgehängt.
Den Degen legt nur hin! Ist doch das Eisen
Fast wie der Mensch. Geschaffen, um zu nützen,
Wird es zur schneidgen Wehr und trennt und spaltet
Die schöne Welt und aller Wesen Einklang.
Ich höre kommen. Nun, wir sind bereit,
Und frommt die Milde nicht, so hilft das Schwert.
Der Kaiser setzt sich. Mehrere böhmische Stände treten ein. Vor ihnen ein Page, der auf einem samtenen Kissen eine Pergamentrolle trägt.
RUDOLF.
Fragt sie, was ihr Begehr?
Da einer vortritt.
RUDOLF.
Nicht ihr, Graf Thurn!
Ihr seid kein Eingeborner, seid kein Böhme,
Die Lust an Unruh hat euch hergeführt.
Laßt einen andern, laßt den nächsten sprechen.
[401]ZWEITER
vortretend.
Erlauchter Herr und König, gnädger Kaiser,
Euch ist bekannt, was sich im Land begibt
Und in dem Nachbarland an seinen Grenzen.
Bewaffnet ziehen Scharen gegen Prag,
Und eurer Hoheit Bruder heißt ihr Führer.
Da ist das Volk nun mannigfach bewegt:
Die einen wittern heimlich Einverständnis
Mit eurer Majestät betrauten Räten
Und meinen, wenn das fremde Heer im Land,
Werd es die Schneide kehren gegen uns,
Zum Umsturz unsrer Satzungen und Rechte.
RUDOLF
vor sich hin sprechend.
Sehr heimlich wär das Einverständnis, wahrlich.
DER WORTFÜHRER.
Die andern wieder werden angelockt
Von dem, was ihnen anbeut die Empörung:
Freiheit der Meinung und der Glaubensübung,
Was jedem Menschen teurer als sein Selbst.
Nicht wir nur sinds, die diese Sprache führen,
Allein das Volk –
RUDOLF.
Das Volk! Ei ja, das Volk!
Habt ihr das Volk bedacht, wenn ihr die Zehnten,
Das Herrenrecht, von ihnen eingetrieben?
Das Volk! Das sind die vielen leeren Nullen,
Die gern sich beisetzt, wer sich fühlt als Zahl,
Doch wegstreicht, kommts zum Teilen in der Rechnung.
Sagt lieber, daß ihr selbst ergreift den Anlaß,
Mir abzuzwingen, was ich euch verweigert
Und jetzt auch weigern würde, stünde gleich
Ein Mörder mit gehobnem Dolch vor mir.
Doch handelt sichs von mir nicht jetzt, noch euch,
Vielmehr von dem, was sein muß und geschehn,
Soll nicht der Grundbau jener weisen Fügung,
Die Gott gesetzt und die man nennt den Staat,
Im wilden Taumel auseinandergehn.
Ich sehs an jener Schrift. Es ist die gleiche,
Wie sie seit Monden liegt in meinem Zimmer,
Gleichstellung fordernd für den neuen Glauben.
[402] Was ihr hier bittet, beut euch an der Aufruhr.
Vor Irrtum kann ich länger euch nicht wahren,
Aufruhr ersparen aber kann ich euch.
Seid ihr zufrieden, wenn ich euch verspreche,
Sobald gestillt die Unruh in dem Land,
Frei zu bewilligen, was ihr begehrt?
Ihr schweigt. Mißtraut ihr mir?
ABGEORDNETER.
Nicht euch, Herr Kaiser,
Dem Einfluß aber von Madrid und Rom.
RUDOLF.
Hätt ich gehört auf das, was dorther tönt,
Wär längst getilgt die Lehre samt den Schülern,
Und in Verbannung geiferte der Trotz.
Ich aber duldete mit Vatermilde,
Die Überzeugung ehrend selbst im Irrtum.
Verfolgt ward niemand wegen seiner Meinung;
Im Heer, im Rate sitzen eure Jünger,
Auf Herzog Julius zeigend.
Selbst hier mein Freund ist euch ein Lehrgenoß.
Geduldet hab ich, aber nicht gebilligt,
Bestätgen wäre billigen zugleich.
Zuckt ihr die Schulter? Nun, ihr meint, das Messer
Sitzt eben an der Kehle, und habt recht.
Will ich vergessen nicht mein weltlich Amt,
Muß ich dem Himmel überlassen seines.
Gebt her die Schrift! Sie ist wohl gleichen Inhalts
Mit jener frühern; doch da ihr mißtraut,
Ziemt Mißtraun wohl auch mir. Gebt eure Schrift!
Die Rolle, die der Page ihm knieend darbietet, vom Kissen nehmend.
Ists doch, als ginge wild verzehrend Feuer
Aus dieser Rolle, das die Welt entzündet
Und jede Zukunft, bis des Himmels Quellen
Mit neuer Sündflut bändigen die Glut,
Und Pöbelherrschaft heißt die Überschwemmung.
Die Schrift entfaltend und lesend.
Der Eingang, wie gewöhnlich, leere Formel.
Von Treu, Anhänglichkeit – wohl Liebe gar!
Drum fordert ihr auch meiner Neigung Pfänder.
[403] Ein Hofdiener ist unmittelbar aus der Türe links gekommen und hat sich Wolfgang Rumpf genähert, der dem Kaiser gegenüber im Vorgrunde steht.
DIENER
leise.
Erzherzog Leopold aus Steiermark
Sind angekommen, heimlich, unerkannt,
Und wünschen augenblickliches Gehör.
RUMPF
ebenso.
Es ist nicht möglich jetzt.
DIENER.
Sie dringen sehr.
Da Wolfgang Rumpf einige Schritte gegen den Kaiser macht.
RUDOLF.
Was solls? Jetzt ist nicht Zeit. – Was immer. Später!
Rumpf zieht sich zurück und bedeutet dem Diener durch Zeichen, der sich entfernt.
RUDOLF
weiterlesend.
Hier ist ein Punkt, der neu. Der muß hinweg.
Gehorsam zu verweigern gibt er euch
Das ausgesprochene Recht, wird irgendwie
Geordnet, was entgegen eurer Satzung.
Das ist der Aufruhr, ständig, als Gesetz.
Bedenkt ihr auch das Beispiel, das ihr gebt?
Ich nicht allein bin Herr, auch ihr seid Herren,
Habt Untertanen, die in eurer Pflicht;
Wenn ihr mir trotzt, so drohen sie euch wieder.
Erst gebt dem einzelnen, dem Unverständgen
Ein Urteil ihr in dem, wo selbst die Weisen
Verstummend stehn als an der Weisheit Grenze;
Dann ruft ihr ihn vom Acker auf den Markt,
Zählt seine Stimme mit und heißt ihn mehren
Die Mehrzahl wider Ehrfurcht und Gesetz.
Ihr stellt ihn gleich mit euch und hofft doch, künftig
Als Mindern ihn zu stellen unter euch?
Und wärt ihr auch so christlich mild gesinnt,
Im Menschen nur zu sehen euern Bruder:
Seht an die Welt, die sichtbar offenkundge,
Wie Berg und Tal und Fluß und Wiese stehn.
Die Höhen, selber kahl, ziehn an die Wolken
Und senden sie als Regen in das Tal,
Der Wald hält ab den zehrend wilden Sturm,
Die Quelle trägt nicht Frucht, doch nährt sie Früchte,
Und aus dem Wechselspiel von hoch und niedrig,
Von Frucht und Schutz erzeugt sich dieses Ganze,
[404] Des Grund und Recht in dem liegt, daß es ist.
Zieht nicht vor das Gericht die heilgen Bande,
Die unbewußt, zugleich mit der Geburt,
Erweislos, weil sie selber der Erweis,
Verknüpfen, was das Klügeln feindlich trennt.
Du ehrst den Vater – aber er ist hart;
Du liebst die Mutter – die beschränkt und schwach,
Der Bruder ist der nächste dir der Menschen,
Wie sehr entfernt in Worten und in Tat;
Und wenn das Herz dich zu dem Weibe zieht,
So fragst du nicht, ob sie der Frauen Erste,
Das Mal auf ihrem Hals wird dir zum Reiz,
Ein Fehler ihrer Zunge scheint Musik,
Und das: ich weiß nicht was, das dich entzückt,
Ist ein: ich weiß nicht was für alle andern;
Du liebst, du hoffst, du glaubst. Ist doch der Glaube
Nur das Gefühl der Eintracht mit dir selbst,
Das Zeugnis, daß du Mensch nach beiden Seiten:
Als einzeln schwach, und stark als Teil des All.
Daß deine Väter glaubten, was du selbst,
Und deine Kinder künftig treten gleiche Pfade,
Das ist die Brücke, die aus Menschenherzen
Den unerforschten Abgrund überbaut,
Von dem kein Senkblei noch erforscht die Tiefe.
O, prüfe nicht die Stützen, beßre nicht!
Dein Menschenwerk zerstört den geistgen Halt,
Und deine Enkel lachen einst der Trümmer
In denen deine Weisheit modernd liegt.
Ist eure Satzung wahr, wird sie bestehn,
Und wie das Bäumchen, das vom Stein gedrückt,
Die Zweige breitet, siegend ob der Last;
Allein wenn falsch, so wißt, daß seine Wurzeln
Auflockern all, was fest und alt und sicher.
Der Zweifel zeugt den Zweifel an sich selbst,
Und einmal Ehrfurcht in sich selbst gespalten,
Lebt sie als Ehrsucht nur noch und als Furcht.
Maßt euch nicht an, zu deuteln Gottes Wahrheit.
ABGEORDNETER.
Wir baun auf festen Boden, auf die Schrift.
[405]RUDOLF.
Die Schrift?
Rasch unterschreibend.
Hier meine Unterschrift. Da ihr
Den toten Zügen einer toten Hand
Mehr traut als dem lebendig warmen Wort,
Das von dem Mund der Liebe fortgepflanzt,
Empfangen wird vom liebedurstgen Ohr,
Hier schwarz auf weiß. – Und nun noch Blut als Siegel.
Blut ist das rote Wachs, das jede Lüge
Zur Wahrheit stempelt; wenn von Volk zu Volk,
Warum nicht auch von Fürst zu Untertan?
Und nun hinaus, beweisen mit dem Schwert,
Was nur der Geist dem Geiste soll beweisen.
Des Reiches Ehre soll und muß bestehn.
Und ist das Tor dem Unheil nun geöffnet,
Ist Mord und Brand geschleudert in die Welt,
Dann denkt einst spät, wenn längst ich modre:
Wir waren auch dabei und haben es gewollt.
Ein ferner Kanonenschuß.
RUDOLF
zusammenfahrend.
Was ist? – Mein Geist ist stark, mein Leib nur zittert.
Zu einem Diener, der eingetreten ist und sich Rumpf genähert hat.
Was solls?
DIENER.
Man hat den Wall am Wischehrad besetzt
Und schießt auf Truppen, die der Stadt sich nahn.
RUDOLF.
Man soll nicht schießen!
Neuer Kanonenschuß.
RUDOLF
mit dem Fuße stampfend.
Soll nicht, sag ich euch!
DIE STÄNDE
die Schwerter ziehend.
Mit Gut und Blut für unsern Herrn und Kaiser!
RUDOLF.
Da stehts vor mir! Der Mord, der Bürgerkrieg.
Was ich vermieden all mein Leben lang,
Es tritt vor mich am Ende meiner Tage.
Es soll, es darf nicht. Steckt die Schwerter ein,
Vertragt euch mit dem Feind! Und diese Handfest,
Die ihr als Preis des Beistands abgetrotzt,
Sei euch geschenkt. – Ihr selbst, Herr Kanzler, seht,
[406] Was sie begehren draußen vor der Stadt.
Ist es mein Bruder doch, bestimmt, zu herrschen,
Wenn mich der Tod, ich hoffe bald, hinwegrafft.
Er übe sich vorläufig in der Kunst,
Der undankbaren, ewig unerreichten,
In der, verkehrt, was sonst den Menschen adelt:
Erst der Erfolg des Wollens Wert bestimmt,
Der reinste Wille wertlos – wenn erfolglos.
In Böhmen aber will ich ruhig sitzen
Und harren, bis der Herr mich zu sich ruft.
Mit einer Entlassungsbewegung gegen die Stände.
Mit Gott, ihr Herrn!
Die Stände entfernen sich.
Und ihr, Herr Kanzler, eilt!
Alle, bis auf Herzog Julius und den Kaiser, ab.
RUDOLF.
So sind wir denn allein. – Ein wüstes Wort.
Du tadelst mich, mein Freund?
JULIUS.
Herr, ich verehr euch.
RUDOLF.
Ich bin so gut nicht, als es etwa scheint –
Die andern nennens schwach, ich nenn es gut.
Denn was Entschlossenheit den Männern heißt des Staats
Ist meistenfalls Gewissenlosigkeit,
Hochmut und Leichtsinn, der allein nur sich
Und nicht das Schicksal hat im Aug der andern;
Indes der gute Mann auf hoher Stelle
Erzittert vor den Folgen seiner Tat,
Die, als die Wirkung eines Federstrichs,
Glück oder Unglück forterbt späten Enkeln.
Ich aber bin so gut nicht, als du glaubst.
In diesen Adern sträubt sich noch der Herrscher,
Und Zorn und Rachsucht glüht in meiner Brust.
Zu züchtigen, die sich an mir vergessen,
Die schwach mich nennen, schwächer weit als ich;
Die alte Brust zu schnüren noch in Erz
Und in dem Glanz verletzter Majestät
Genüber mich zu stellen den Verrätern,
Ob sich ihr Aug empor zu meinem wagt.
Und war ein Funke Glut in diesen Männern,
[407] Die sich Vertreter nennen eines Volks,
War irgend etwas nur in ihrem Blick,
Das mehr als Eigennutz und Schadenfreude,
Ich stünde jetzt mit ihnen drauß im Feld
Und tötete mit Blicken den Verrat.
Die Seitentüre links öffnet sich, Erzherzog Leopold, in einen dunkeln Mantel gehüllt, tritt heraus.
RUDOLF.
Siehst du, da kommt er, der Versucher, da!
Mein Sohn, mein Leopold! – Und doch, hinweg!
Er steht im Bund mit meines Herzens Wünschen.
Er wird mir sagen, daß ja noch ein Heer
In Passau steht, zu meinem Dienst geworben:
Daß Rache süß und daß der Kampf gerecht.
Mein Sohn, es ist zu spät! Ich darf nicht, will nicht.
Sie nennen schwach mich, und ich bins zum Kampf,
Allein zum Fliehen reichen noch die Kräfte.
Versucher, fort! Ob hundertmal mein Sohn.
Er eilt ins Kabinett rechts.
ERZHERZOG LEOPOLD
der den Mantel abgeworfen.
Mein Oheim und mein Herr!
An der Türe des Kabinetts.
Verschließt ihr euch?
HERZOG JULIUS
zu Rumpf.
Geht ihr und weilet draußen vor der Tür.
Damit kein Unberufner störend nahe.
Rumpf geht hinaus.
LEOPOLD.
So komm ich her spornstreichs auf Seitenwegen,
Verborgen, unerkannt, und bring euch Hilfe,
Und ihr verschließt die Pforte mir, das Herz?
Ja denn, noch ist ein Kriegsheer euch bereit,
Mit Müh halt ichs in Passau nur zurück.
Ein Wort von euch und tausend Schwerter flammen
Zu euerm Schutz, zum Schutz der Majestät.
Doch wenn ihr auch den Retterarm verschmäht,
Stoßt nicht zurück das Herz, die Kindestreue.
Laßt mich, das Haupt gelehnt an diese Pfosten,
Nicht glauben, eure Brust sei hart wie sie. –
Die Türe wird bewegt – sie öffnet sich – Mein Vater!
Er stürzt in das Kabinett, dessen Türe sich hinter ihm schließt.
[408]JULIUS
mit gefalteten Händen.
O, daß nun nicht der Groll, gekränkte Würde
Und die Empfindung, die, wenn aufgeregt,
Gern übergeht in jegliches Empfinden:
Von hart zu weich, von Innigkeit zu Zorn,
Ihn hinreißt, einzuwillgen in das Schlimmste:
Zu handeln, da's zu spät.
RUMPF
zur Türe hereinsprechend.
Herr Bischof Klesel.
JULIUS.
Nicht jetzt, nur jetzo nicht!
RUMPF.
Sie lassen sich
Abweisen nicht.
KLESEL
eintretend.
Nein, wahrlich, in der Tat.
JULIUS
ihm entgegentretend, mit gedämpfter Stimme.
Ihr wagt es, Herr, hier in denselben Räumen,
Die euer Rat mit Zwietracht angefüllt –
KLESEL.
Ich komme her im Auftrag meines Herrn.
JULIUS.
Wollt ihr den Kaiser zwingen, euch zu sprechen?
KLESEL.
Da sei Gott für! Gemeldet will ich werden,
So heißt mein Auftrag und, wenn abgewiesen,
Kehr ich zurück. Doch melden muß man mich.
Er setzt sich links im Vorgrunde.
JULIUS.
Ich bitt euch, Herr, sprecht leise.
KLESEL.
Und warum?
JULIUS.
Glaubt ihr denn nicht, die Stimme schon des Mannes,
Der ihm, er glaubts, so Schlimmes zugefügt,
Muß in des Kaisers Brust, jetzt, wo Entschlüsse
Hart mit Entschlüssen kämpfen, Scham und Zorn –
KLESEL.
Jetzt ist nicht von Entschlüssen mehr die Rede,
Notwendigkeit ist da und sie schließt ab.
In des Kaisers Kabinett wird geklingelt.
JULIUS.
Es ist geschehn! Nun wahre Gott der Folgen!
Wolfgang Rumpf geht ins Kabinett.
JULIUS.
Und war kein anderer als ihr zu finden
Zu solcher Botschaft, die fast klingt wie Hohn?
KLESEL.
Vielleicht, weil ich allein kein Schranz und Höfling,
Gewohnt, zu sagen gradaus, was gemeint.
JULIUS.
Die Derbheit ist nicht immer Redlichkeit.
KLESEL.
So ist sie denn Arznei, die, schon als bitter,
[409] Den langverwöhnten Magen stärkt und heilt;
Und Heilung war gemeint mit diesem Umschwung,
Man wirds zuletzt erkennen, hört man mich.
Wer den Ertrinkenden erfaßt am Haar,
Er hat gerettet ihn und nicht beleidigt.
Rumpf kommt aus dem Kabinette zurück.
RUMPF.
Der Kaiser ist ergrimmt, er heißt euch gehn,
Von seinem Antlitz fern der Strafe harren.
Der nächste Augenblick droht euch Gefahr.
KLESEL.
Ich gehe denn. Den Frieden wollt ich bringen.
Wählt man den Haß, so suche man nach Macht.
Die Strafe, die man droht, sie liegt so fern,
Wir freuen uns indessen an dem Lohn.
Er geht.
JULIUS.
Es werden Stimmen laut im Kabinett.
Geht ihr hinein, versucht es, sie zu stören.
Ich fürchte dies Gespräch und seine Folgen.
Erzherzog Leopold kommt aus dem Kabinette, in das sogleich Rumpf hineingeht.
LEOPOLD
einen Zettel in die Höhe haltend.
Ich habs, ich habs!
Aus der Seitentüre links tritt Oberst Ramee heraus.
LEOPOLD.
Ramee, und nun die Pferde!
Er nimmt seinen Mantel auf.
Nichts teurer ist hierlands als der Entschluß,
Man muß ihn warm verzehren, eh er kalt wird.
RUMPFS STIMME
im Kabinett.
Erzherzogliche Hoheit!
JULIUS
sich Leopolden nähernd.
Gnädger Herr!
LEOPOLD.
Schon kommt die Reue, dünkt mich, laß uns gehn!
Erzherzog Leopold und Ramee durch die Seitentüre links ab.
RUMPF
aus dem Kabinett kommend.
Der Kaiser will noch einmal mit euch sprechen,
Es ist noch eins zu sagen.
JULIUS.
Er ist fort.
RUMPF.
Der Herr ist sein kaum mächtig, schlägt die Brust.
JULIUS.
Ich will ihm nach! Gibt Flügel die Gefahr,
So flieg ich, statt zu gehn; denn das Verderben,
Es steht vor mir in gräßlicher Gestalt.
Er folgt dem Erzherzog durch die Seitentüre links.
[410]RUMPF
sich dem Kabinett nähernd.
Man bringt ihn noch zurück. – Der Herzog selber. –
Eh er sein Pferd besteigt, ereilt man ihn.
Er geht ins Kabinett.
Der Kleinseitner Ring in Prag. Volk füllt mannigfach bewegt den Hintergrund.
Die drei Wortführer der Stände kommen von der linken Seite.
GRAF THURN.
Laßt uns hinaus, begrüßen den Erzherzog.
Der Magistrat der Altstadt rüstet sich,
Entgegen ihm zu gehn. Kommt, laßt uns mit,
Ist er ja doch der Retter, der Befreier.
SCHLICK.
Nur, fürcht ich, wuchert fort in ihm der alte Same,
Zur Macht gelangt, wirft er die Maske weg.
THURN.
Für neues Drängen gibt es neue Mittel,
Und sag ich: neue, mein ich nur die alten.
Der leise Widerstand stumpft jeden Stachel,
Und streiten sie um unsre Krone sich,
Verarmen wie im Rechtsstreit beide Teile,
Reich werden Richter nur und Anwalt, wir.
In die Szene zeigend.
Dort drängt sich Bischof Klesel durch das Volk,
Verehren wir die Sonne, die im Aufgang.
SCHLICK.
Freund, er ist schlau.
THURN.
Ich bins nicht minder, Freund!
Sie mischen sich unter das Volk, das, von vorne abgewendet, des feierlichen Aufzuges harrend, sich nach dem Hintergrunde drängt.
Erzherzog Leopold und Oberst Ramee, in Mäntel gehüllt, kommen links im Vorgrunde. Herzog Julius folgt ihnen.
JULIUS.
Ich laß euch nicht. Ihr müßt zurück zum Kaiser.
LEOPOLD.
Ich habe schriftlich seinen hohen Willen,
Nun ists an mir, ihn treulich zu vollziehn.
JULIUS.
Kommt ihr ins Land mit fremdgeworbnen Truppen,
So gärt der Aufruhr neu, des Kaisers Gegner
Benützen es zu seinem Untergang.
Es ist zu spät.
LEOPOLD.
Und früher wars zu früh.
Wann ist die rechte Zeit?
[411]JULIUS
ihn anfassend.
Ich laß euch nicht.
So faß ich euch und flehe: kehrt zurück!
LEOPOLD
den Mantel abstreifend, der in Herzog Julius Hand zurückbleibt.
Wie Joseph denn im Hause Potiphar
Laß ich den Mantel euch, mich selber nicht.
RAMEE
auf das Volk zeigend.
Herr, wenn man euch erkennt.
LEOPOLD.
Man soll mich kennen.
Mit starken Schritten nach rechts abgehend.
Halt ihn zurück!
Ramee tritt zwischen beide.
JULIUS.
Nun denn, es ist geschehn.
Den Mantel fallenlassend.
Die Hülle liegt am Boden. Das Verhüllte
Geht offen seinen Weg als Untergang.
Unterdessen hat im Hintergrunde der Zug des Magistrats mit Panieren und Traghimmel fortgesetzt.
VOLK.
Vivat Mathias! Hoch der Magistrat.
Indem Herzog Julius, die Augen mit der Hand verhüllend, sich schmerzlich abwendet, fällt der Vorhang.