Franz Grillparzer
Ein Bruderzwist in Habsburg
Trauerspiel in fünf Aufzügen

Personen

[346] Personen.

    • Rudolf II., römisch-deutscher Kaiser.

    • Max,
    • Mathias, seine Brüder.

    • Leopold,
    • Ferdinand, seine Neffen.

    • Don Cäsar, des Kaisers natürlicher Sohn.

    • Melchior Klesel.

    • Herzog Julius von Braunschweig.

    • Mathes Thurn.

    • Ein Wortführer der böhmischen Stände [Graf Schlick].

    • Seyfried Breuner.

    • Oberst Wallenstein.

    • Wolf Rumpf, des Kaisers Kämmerer.

    • Oberst Ramee.

    • Ein Hauptmann.

    • Feldmarschall Russworm.

    • Prokop, ein Bürger von Prag.

    • Lukrezia, seine Tochter.

    • Ein Fahnenführer.

    • Mehrere Soldaten, Bürger und Diener.
    • [346]

1. Akt

Erster Aufzug

Auf dem Kleinseiter Ring zu Prag. Feldmarschall Rußworm, ohne Waffen, von der Stadtwache geführt, an deren Spitze eine Gerichtsperson. Rechts im Vorgrunde Don Cäsar mit Begleitern. – Früher Morgen.

GERICHTSPERSON.
Im Namen kaiserlicher Majestät
Ruf ich euch zu: Laßt ab!
DON CÄSAR.
Ich nicht, fürwahr!
Ihr gebet den Gefangnen denn heraus,
Den man zurückhält ohne Fug und Recht.
GERICHTSPERSON.
Nach Recht und Urteil, wie's der Richter sprach.
DON CÄSAR.
So war das Urteil falsch, der Richter toll.
Der Mann hat einen anderen erschlagen,
Weil jener ihn erschlug, kam er zuvor nicht.
GERICHTSPERSON.
Der Richter kam zuvor, hätt ers geklagt.
DON CÄSAR.
Ha, Feiger Schutzwehr, die von Feigen stammt,
Wer hat ein Schwert und bettelt erst um Schutz?
Dann: wenn Belgioso fiel von seiner Hand,
Geschahs auf mein Geheiß.
RUSSWORM.
Mit Gunst, Don Cäsar.
Ich war euch stets mit Neigung zugetan,
Als einem wackern Herrn von raschen Gaben,
Wohl auch erkennend und mich gerne fügend
Dem, was in euch von höherm Stamm und Ursprung.
Doch hat Feldmarschall Rußworm seiner Tage
Befehl gegeben andern oft und viel,
Empfangen nie, als nur vom Heeresfürsten.
Ob falsche Nachricht, Ohrenbläser Tücke
Mich trieb zur Tat, die nun mich selbst verdammt,
Ob meine Dienst in mancher Türkenschlacht
Rücksicht verdienen, Mildrung und Gehör,
Das mag der Richter prüfen und erwägen;
Allein, daß Belgiojoso euch im Weg,
Euch Nebenbuhler war in euerm Werben,
Hat seinen Tod so wenig ihm gebracht,
Als, war ers nicht, es ihn vom Tod errettet.
DON CÄSAR.
Nun denn, so faßt mich auch und führt mich mit!
[347] Denn wahrlich, hätt ihn dieser nicht getötet,
Belgioso fiel durch mich, ich hatts gelobt.
GERICHTSPERSON.
Wir richten ob der Tat, den Willen Gott.
DON CÄSAR.
Ich aber duld es nicht! Mit diesem Schwert
Entreiß ich euch die Beute, die euch lockt.
Setzt an! Auf sie! Macht den Gefangnen frei!
GERICHTSPERSON.
Zu Hilfe der Gerechtigkeit!

Bürger kommen aus ihren Häusern.
RUSSWORM.
Laßt ab!
Ihr seid zu schwach und bringt die Stadt in Aufruhr.
Steht meinen Feinden offen, nun wie vor,
Des sonst so gütgen, meines Kaisers Ohr,
So rettet mich kein Gott. Laßt ab, laßt ab!
Zu beten scheint jetzt nötger als zu fechten.
Wo ist der Minorit?
DON CÄSAR.
Und ich solls ansehn,
Es ansehn, ich, mit meinen eignen Augen?

Lukrezia kommt mit ihrem Vater aus einem Hause rechts im Vorgrunde.
DON CÄSAR.
Ha, Heuchlerin, so kommst du, dich zu weiden
Am Unheil, das durch dich, um deinetwillen da?
Sieh, dieser ists, der deinen Buhlen schlug,
– Er tats, nicht ich, doch freut mich, was er tat –
Ein Ende setzte jenem nächtgen Flüstern,
Den Ständchen, dem Gekos, drob Ärgernis
Den Nachbarn kam, besorgt um scheue Töchter;
Er tats, und statt dafür ihn zu belohnen,
Schleppt man ihn vor den Richter und verdammt ihn.
PROKOP
zur Gerichtsperson.
Ist es gestattet, Herr, auf offner Straße
Ehrbare Mädchen zu beschimpfen also?
DON CÄSAR.
Ehrbare Mädchen? Ha, sie täuscht dich, Alter,
So wie sie mich getäuscht und alle, alle Welt!
Wohin nur geht ihr? Je, zur Kirche wohl!
Da weift sie ab die volle Sündenspule,
Um neue drauf zu winden, still bemüht.
Warum gehst du in Schwarz? Dir starb kein Blutsfreund.
Register führ ich über alles Unheil,
Das dich bedroht und das dich schon betraf.
[348] Kein Blutsfreund starb dir. Warum denn in Schwarz?
Klagst du ob dem, den dieser Mann erschlug?
Sprich ja, und dieses Schwert – O Nacht und Greuel!
Warum in Schwarz?
PROKOP.
Komm, laß uns gehn, mein Kind!
DON CÄSAR.
Geh nicht, und du! – Bleib noch! – Lukrezia!

Prokop mit seiner Tochter ab.

Ich will ihr nach! – Und doch! – Rußworm, verzeih,
Mich übermannte, blendete der Zorn.
Doch soll darob nicht deine Sache leiden.
Zum Kaiser geh ich, fordre deine Freiheit,
Und weigert ers – Glaub nur, er wird es nicht! –
So werf ich vor ihm ab die Gnaden alle,
Die Lasten, die mir seine Laune schuf,
Gönn andern das Bemühn, ihm zu gefallen,
Und such in Ungarn Türkensäbel auf.
Leb wohl! Ihr andern aber merkt euch dieses Wort:
Wird ihm ein Haar gekrümmt, eh neue Botschaft,
Des Kaisers eigener Befehl es heischt,
Zahlt euer Kopf für jede rasche Regung.

Im Vorübergehen vor Lukrezias Hause.

Haus, sei verdammt, du Hölle mir von je!

Ab.
Rußworm wird nach der andern Seite abgeführt.

Verwandlung.


Saal im kaiserlichen Schlosse zu Prag. Durch die Mitteltüre treten Hofleute auf, die sich im Hintergrunde zerstreuen.
Ein Kämmerer kommt durch den Haupteingang, hinter ihm Klesel und Erzherzog Mathias.
KLESEL.
Ich bitt euch, Herr!
KÄMMERER.
Fürwahr, es kann nicht sein.
KLESEL.
Ein Augenblick Gehör.
KÄMMERER.
Sie sind beschäftigt.
KLESEL.
Des Kaisers Bruder selbst.
KÄMMERER.
Wenn auch, wenn auch!
Doch will ich wohl versuchen, obs gelingt.

Ab in eine Seitentüre rechts.
MATHIAS.
So viel denn brauchts, den Kaiser nur zu sehn!
[349]
KLESEL.
Den Kaiser? Herr, glaubt ihr, wir sind so weit?
Bei Wolfen Rumpf, geheimen Kämmerer,
Sucht ihr nun Audienz.
MATHIAS.
Du heilger Gott!
Und das im selben Schloß, denselben Zimmern,
Wo ich an unsers Vaters Hand einherging,
Mit meinem Bruder – der geliebtre Sohn.
KLESEL.
Je, der geliebtre Sohn! Da liegt es eben!
Hätt euer Vater minder euch geliebt,
Was gilt es, euer Bruder liebt' euch wärmer.
MATHIAS.
Entehrt, verstoßen!
KLESEL.
Hart, ich geb es zu.
Doch war der Schritt bedenklich wohl genug,
Der euch zuletzt gebracht aus allen Hulden.
Reist ab von Wien ins ferne Niederland,
Stellt an die Spitze der Rebellen euch,
Entzweit die Höfe von Madrid und Wien;
Und, was das Schlimmste, kehrt dann endlich heim
Und habt nichts effektuiert.
MATHIAS.
Ich ward getäuscht,
Oranien betrog mich um den Sieg.
Doch war der Plan, gesteht es, göttlich schön:
Hineinzugreifen in den wilden Aufruhr
Und aus den Trümmern, schwimmend rechts und links,
Sich einen Thron erbaun, sein eigner Schöpfer,
Niemand darum verpflichtet als sich selbst.
KLESEL.
Ich seh es kommen. Weht der Wind von daher?
Hab, was du hast, woher dus hast, gilt gleich,
Gekauft, ererbt – nur nicht gestohlen, Herr.
Zwar Politik nennt so was aquiriert
Und findt sich wohl dabei.
MATHIAS.
Mit mir ists aus.
Ich will den Kaiser untertänig bitten,
Mir zu verleihn die Stadt und Herrschaft Steyr,
Dort will ich leben und dafür entsagen
All meinem Erbrecht, aller Sukzession,
Die mir gebührt auf österreichsche Lande.
Der Anfallstag, er fände mich im Grab.
[350]
KLESEL.
Nun allzuwenig, wie nur erst zuviel.
So treibt ihr euch denn stets im Äußersten,
O Maximilians unweise Söhne!

Nachdem er sich umgesehen, leise.

Eur Spiel steht gut, ihr habt die Trümpfe, Herr!
Harrt aus! Harrt aus! Und nur nichts von Entsagung,
Von Schäferglück! Begehrt mir ein Kommando
In Ungarn! Ein Kommando, sag ich, Herr!
Was soll euch Steyr? Der Wagebalken steht,
Und kurze Frist so schnellt ein Quentchen mehr
In eurer Schale, diese in die Höh.
Auf euch ruht Habsburgs Heil, das Heil der Kirche,
Ruht unser aller Heil.
MATHIAS.
Mit mir ists aus!
KLESEL.
Ich seh es ist, und so geb ich euch auf.
Hier kommt Herr Rumpf, führt selber eure Sache.

Er tritt zurück.
Wolf Rumpf kommt aus der zweiten Seitentüre rechts, Schriften unter dem Arme, gebückten Ganges, der Kämmerer hinter ihm.
Der Kämmerer zeigt mit der Hand auf Erzherzog Mathias. Rumpf geht, ohne darauf zu achten, der Mitteltüre zu. Nachdem er sie fast erreicht hat, tritt ihm Klesel in den Weg.
KLESEL.
Eur Strengen! Darf Erzherzogliche Durchlaucht
Gehör beim Kaiser hoffen?
RUMPF.
Kann nicht sein.
KLESEL
auf Mathias zeigend, der im Vorgrunde steht.
Dort sind Sie selbst.
RUMPF.
Je, Diener, Diener! – Geht nicht.
Des Kaisers Majestät sind unwohl. – Acta,
Negotia.
KLESEL.
Nur wenige Minuten.

Leise zu Mathias.

Drängt ihn! Drängt ihn!
MATHIAS.
Herr Rumpf, gebt mir die Hand!
RUMPF.
Je, meritiers nicht. Aber kann nicht sein.
Nicht wohl geruht; empfinden sich turbiert
Mit mal di testa. Wage meinen Dienst,
So ich es permittier.
[351]
KLESEL.
Ihr scherzt, Herr Rumpf.
Wer kennt nicht eure Macht an diesem Hof.
RUMPF.
So scheints, so scheints. Doch sind der Herr gar streng.
Je näher ihm, so näher seinem Zorn.
Noch gestern abend, waren hoch ergrimmt,
Sein kein Philipp der Dritte, schrieen sie,
Diktieren sich zu lassen von Privaden.
Mußt meinen Abzug nehmen eilig durch die Tür.
Es darf nicht sein. Ich kann nicht, kann nicht, nein!

Er entfernt sich von ihnen.
Don Cäsar stürmt zur Türe herein.
DON CÄSAR.
Wo ist der Kaiser? Nun, Perückenmann,
Ist er zu sprechen?
RUMPF.
Huldreichst guten Morgen
Señor Don Cäsar. Gott erhalt eur Gnaden.
DON CÄSAR.
Wie gehts dem Kaiser?
RUMPF.
Gut. Verwunderlich.
Der Herr verjüngen sich mit jedem Tage,
Sehn wie ein Dreißiger. Sagt ich doch heut nur:
Daß sie so selten öffentlich sich zeigten,
Die Weiber sei'ns, die drob am meisten klagten.
Da lachten Seine Majestät.
DON CÄSAR.
Ich glaubs wohl.
War ich dabei, ich hätte auch gelacht.
Ein Dreißiger! mit solchem Bauch und Beinen.
Wie nun, kann ich ihn sprechen?
RUMPF.
Allerdings.
Ein Weilchen nur hochgnädige Geduld.
Des Kaiser Majestät sind –

Er spricht ihm ins Ohr, auf Mathias zeigend.
DON CÄSAR.
Gut denn, gut.
Wem ist das Pferd, das man im Hofe führt?
RUMPF.
Ach, euer, wenn ihr wollt. Der Kaiser hat es heute
Besehen und gekauft.
DON CÄSAR.
Ich wills besteigen.

Ab.
MATHIAS.
Wer ist der junge Mann?
[352]
KLESEL.
So wißt ihr nicht?
Ein Findelkind, im Schlosse hier gefunden.
Der Kaiser liebt ihn sehr. Begreift ihr nun?
MATHIAS.
Don Cäsar?
KLESEL.
Wohl, er selbst. – Nun, noch einmal,
Begehrt in Ungarn ein Kommando.
MATHIAS.
Wozu?
KLESEL.
Ihr sollt noch hören. Doch verlangt es!

Ein Kämmerer tritt ein.
KÄMMERER.
Erzherzog Ferdinand aus Steiermark
Sind angekommen, bitten um Gehör.
RUMPF.
Du liebe Zeit! Ihr Gnaden sind willkommen.

Kämmerer ab.
KLESEL.
Seht ihr? Da kommt der künftge Kaiser an,
Der Erb von Österreich, wenn ihr nicht vorseht.
MATHIAS.
Ich will in Ungarn ein Kommando suchen.
Dann – Hab ich dich verstanden? – Klesel, dann,
Die Macht in Händen –
KLESEL.
Nur gemach, gemach!
Ihr habt die Macht noch nicht.
MATHIAS.
Und ich soll betteln?
KLESEL.
Um Gotteswillen, ihr verderbt noch alles.

Ein Kämmerer öffnet die Seitentüre rechts.
RUMPF.
Der Kaiser kommt. Ich bitt eur Durchlaucht freundlichst,
Abseit zu treten, bis ich angefragt.
MATHIAS.
Ich muß den Kaiser sprechen und ich bleibe.
RUMPF.
Bedenkt!
MATHIAS.
Ich habs gesagt.
RUMPF.
Nun denn, mit Gott!
Stellt euch dorthin. Der Kaiser geht vorüber,
Wenn er zur Messe sich verfügt. Vielleicht
Will euch das Glück, daß er euch sieht und anspricht.
Er kommt.
KLESEL.
Verfärbt ihr euch? Nur Mut, nur Mut!
Der Augenblick gibt alles oder nimmt es.

Alles steht in ehrfurchtsvoller Erwartung. Erzherzog Mathias zieht sich bis hinter die Seitentüre links zurück. Klesel in seiner Nähe.
[353] Zwei Trabanten treten aus der Seitentüre rechts und stellen sich daneben auf; dann einige Pagen, zuletzt der Kaiser, auf einen Krückenstab gestützt.
Zwei Männer, Gemälde haltend, knieen auf seinem Wege. Er bleibt vor dem ersten stehen, betrachtet es, zeigt dann mit dem Stocke darnach hin und
bezeichnet an seinem eigenen linken Arme die Stelle, wo das Bild ihm verzeichnet scheint. Er schüttelt den Kopf, das Bild wird weggebracht.
Er steht vor dem zweiten und gibt Zeichen der Billigung. Endlich nickt er Rumpfen zu, daß dieses zu behalten sei. Zugleich hebt er drei Finger der rechten Hand empor.
RUMPF.
Zweitausend?
RUDOLF
heftig und stark.
Drei.

Er tritt zum Tische, auf dem mehrere Bücher liegen. Er ergreift eines derselben.
RUMPF.
Aus Spanien.
RUDOLF
heiter.
Lope de Vega.
RUMPF.
Depeschen auch von eurer Majestät
Gesandten an dem Hofe zu Madrid.

Rudolf schiebt die auf dem Tische liegenden Briefschaften verächtlich zurück. Er setzt sich und liest, das aufgeschlagene Buch in der Hand.
RUMPF.
Erzherzog Ferdinand sind angelangt.

Rudolf sieht, aufhorchend, einen Augenblick vom Buche weg und liest dann weiter.
RUMPF.
Don Cäsar waren hier.

Rudolf, obige Bewegung.
RUMPF.
Sie kommen wieder.
KLESEL
zu Mathias.
Nehmt euch nur Mut! Ihr zittert, weiß es Gott.

Der Kaiser lacht unterm Lesen laut auf.
KLESEL.
Die Zeit ist günstig. Seine Majestät
Scheint frohgelaunt. Versuchts!
RUDOLF
im Lesen.
Divino autor,
Fenix de España.

Mathias nähert sich ihm.
MATHIAS.
Gnädger Herr und Kaiser,
Ich habs gewagt, aus meinem Bann zu Linz –
RUDOLF
vom Buche aufblickend.
Sortija del olvido – Ei, ei, ei!
»Ring des Vergessens« – Ja, wer den besäße!
[354]
MATHIAS.
Ob ihr vergönnt –

Er läßt sich auf ein Knie nieder.

Bereit, mein Herr und Kaiser,
Die Rechte alle, die mein Eigentum,
Und die man mir beneidet, aufzugeben,
Mein Erbrecht auf die österreichschen Lande,
Die Hoffnung, einst zu folgen auf dem Thron,
Für einen Ort, um ruhig drauf zu sterben.

Er legt die Hand auf die Armlehne von des Kaisers Stuhl.
RUDOLF.
Wer da? – Rumpf! Will allein sein! – Rumpf, allein!
Allein.
MATHIAS.
Mein Kaiser und mein Herr!
RUDOLF
den Stock gegen Rumpf gehoben.
Allein!
RUMPF.
Ich sagt es ja, doch seine Durchlaucht drängten.
RUDOLF
mit steigender Heftigkeit.
Allein!
RUMPF
zu Mathias.
Entfernt euch, gnädger Herr!
KLESEL.
Kommt, kommt!
Verloren geht sonst alles.
MATHIAS.
Gott!
RUDOLF
vor sich hin.
Allein.
MATHIAS.
Führt mich ins Grab, da wird mir doch wohl Ruh.

Ab, von Klesel geführt.
RUDOLF
dumpf.
Allein!
RUMPF.
Was nun beginnen? Gott!

Er hebt das Buch auf, das der Kaiser weggeworfen hat, und reicht es ihm.

Das Buch!

Rudolf weist es zurück.
RUMPF.
Berichte sind aus Ungarn eingelangt:
Raab ist entsetzt und Papa wird belagert.
Die Malkontenten sollen willens sein –

Lebhafter.

Ein Kaufmann aus Florenz hat sich gemeldet.
Geschnittne Steine führt er aller Art
Von hohem Werte.
RUDOLF.
Sehn!
[355]
RUMPF.
Allein die Preise
Sei'n unerschwinglich.
RUDOLF.
Albern.
RUMPF.
Soll ich also? – Gut.
Der spanische Orator Balthasar
Zuñiga wünscht Gehör.

Der Kaiser schüttelt den Kopf.
RUMPF.
Beliebts euch etwa
Nunmehro die Berichte –?

Der Kaiser stößt unwillig mit dem Stocke auf den Boden.
RUMPF.
Guter Gott!

Don Cäsar kommt.
RUMPF.
Ihr kommt zur rechten Zeit. Versucht, ob etwa –
DON CÄSAR.
Ich küß eur Majestät die hohen Hände.

Der Kaiser mißt ihn mit zornigem Blicke.
DON CÄSAR.
Ihr scheint nicht gut gelaunt, doch muß ich sprechen.
Es gilt ein Leben, gilt wohl mehr als dies.
Es hat ein Kriegsgericht, ob eines Totschlags,
Verübt im herben Fall der Selbstverteidgung,
Zum Henkersschwert verurteilt Herman Rußworm,
Den treusten Diener eurer Majestät,
Den Helden in der Türken heißen Schlachten.
Ich bitt euch nun, das Urteil aufzuheben,
Das Unsinn ist, Verrücktheit, Gotteslästrung.
Euch zu erhalten ein so teures Leben,
Mir einen Freund, den ich nicht lassen kann
Und retten muß, gält es das Äußerste.

Rudolf sieht Wolfen Rumpf fragend an.
RUMPF.
Es ist von wegen Herman Rußworm,
Der, halb gereizt und halb aus leidgem Zufall,
Den Obersten erschlug.

Der Kaiser wirft, wie suchend, die auf dem Tische liegenden Papiere untereinander.
RUMPF.
Vielleicht das Urteil?
Es lag zur Unterschrift in dero Kabinett.
Soll ich vielleicht –? Ich gehe, es zu holen.

Ab durch die Türe rechts.
DON CÄSAR.
Ich dank eur Majestät denn nur im voraus
[356] Für die Begnadigung des wackern Manns,
Der alles ist, was dieses Wort besagt,
Indes sein Feind ein Weiber-, Pfaffendiener,
Ein Heuchler und ein Schurk! Und wenn der Rußworm
In Zornesglut sich allzuweit vergaß,
So denkt: derselbe Zorn, der hier den Gegner schlug,
Gewann euch auch in Ungarn zwanzig Schlachten.

Rumpf kommt mit einem gesiegelten Paket zurück.
RUMPF.
Das Urteil.

Er reicht die Schrift dem Kaiser, der sie zurückweist.
RUMPF.
Guter Gott – Beliebt vielleicht
Eur Majestät, hochgnädig zu bestimmen,
Was Dero Absicht mit so wichtger Schrift?

Der Kaiser nimmt das Paket, liest hohnlachend die Aufschrift und gibt es zurück.
RUMPF.
Ich weiß recht wohl: die äußre Fertgung lautet
An Rat und Schöffen eurer Altstadt Prag.
Doch, wenn das Urteil wirklich unterschrieben,
Wie ich vermuten sollte –

Der Kaiser stößt unwillig mit dem Stocke auf den Boden.
DON CÄSAR.
Gnädger Herr!
Ich muß euch bitten für zwei Augenblicke
Die feindlich düstre Laune aufzugeben,
Die sich in diesem Schweigen wohlgefällt.
Bedenkt: kommt dieses Urteil, so gefertigt
Und unterschrieben, auf das Prager Schloß,
So stirbt mein Freund.
RUDOLF.
Er stirbt! – Und du mit ihm,
Wagst ferner dus, ein Wort für ihn zu sprechen. –
Entarteter! Ich kenne deine Wege.
Du schwärmst zu Nacht mit ausgelaßnen Leuten,
Stellst nach den Kindern ehrbar stiller Bürger,
Hältst dich zu Meutern, Lutheranern.
DON CÄSAR.
Meuter
Hab ich mit meiner Freundschaft nie beehrt.
Und was den Glauben, Herr, betrifft, da richtet
Nur Gott.
RUDOLF.
Ja, Gott und du. Ihr beide, nicht wahr?
[357] Glaub du an das, was deine Lehrer glaubten,
Die Weiseren, die Bessern laß entscheiden,
Dann kommts wohl noch an dich. – Der Rußworm stirbt!
Und dank es Gott und einem Rest von Neigung,
Daß ich die Helfer, sie, die darum wußten,
Die lobten, billigten den feigen Mord,
An Belgiojoso freventlich vollbracht,
Nicht ebnermaßen suche mit dem Schwert. –
Das Mädchen, dem du nachstellst, wüsten Sinns,
Laß frei!
DON CÄSAR.
Nein, Herr, denn sie betrog mich.
RUDOLF.
Meinst du?
Cäsar, solang die ewgen Sterne kreisen,
Betrügt der Mann das Weib.
DON CÄSAR.
Zum mindsten wars so
Mit einer Frau, die mir gar nah verwandt.
RUDOLF.
Die dir verwandt? So kennst du deine Mutter?
Und kennst du den, der dir das Leben gab?
Sag ja! Sag ja! und ewiges Gefängnis,
Entfernt vom Strahl des gottgegebnen Lichts –
So haben in den Sternen sies gelesen:
Je näher mir, mir um so grimmrer Feind.
Und also steht er da, hohnlachend, trotzend,
Wie einst der Teufel vor des Menschen Sohn.
Fort dieses Lachen, fort! – Gib deine Waffen!
Nehmt ihn gefangen! – Wie, ihr zögert? weilt?
So will ich selbst mit meiner eignen Hand –

Zu einem Trabanten, der zu äußerst rechts steht.

Leih deine Partisan mir, alter Freund!
Daß ich –

Indem er den Stock fahren läßt, um nach der Partisane zu greifen, wankt er und ist im Begriff zu fallen. Die Umstehenden eilen herzu, ihn zu unterstützen.

Legt ihr die Hand an mich? Rebellen ihr!
Yo soy el emperador! Der Kaiser ich!
Bin ich verkauft im Innern meiner Burg,
Und ist kein Schirmer, ist kein Helfer nah?

Erzherzog Ferdinand erscheint in der Türe.
[358]
ERZHERZOG FERDINAND.
Viel Glück ins Haus! – Wie, eure Majestät?
Was ist? Was war? Wer sagts?
DON CÄSAR
zu Rumpf, der ihn zu begütigen strebt.
Mich kümmerts wenig,
Ob tausend Teufel mir entgegengrinsen!
ERZHERZOG FERDINAND
zu Don Cäsar, die Hand leicht ans Schwert gelegt.
Geht, junger Mensch! Ihr lernt sonst einsehn,
Daß uns der Böse nah, wenn man ihn ruft.
Fort ihr! und ihr!

Die Anwesenden ziehen sich gegen den Hintergrund. Don Cäsar in ihrer Mitte, von Rumpf geleitet. Alle ab.
ERZHERZOG FERDINAND
zum Kaiser tretend.
Mein kaiserlicher Herr!
RUDOLF.
Wer seid ihr? Wer? Und wie erkühnt ihr euch?
ERZHERZOG FERDINAND.
Eur Neffe bin ich, Herr, und euer Knecht,
Fernand von Gräz, zu jedem Dienst bereit.
RUDOLF
sich von der Berührung zurückziehend.
Es bien! es bien! All gut! Seid uns willkommen!
ERZHERZOG FERDINAND.
Wollt ihr nicht sitzen, Herr? Ich sehs, der Zorn,
Er zehrt mit Macht an euerm edlen Sein.

Er leitet den Kaiser zum Lehnstuhle.
RUDOLF
sitzend.
Seht ihr, so halten wirs in unserm Schloß. –
So dringt die Zeit, die wildverworrne, neue,
Durch hundert Wachen bis zu uns heran,
Und zwingt zu schauen uns ihr greulich Antlitz. –
Die Zeit, die Zeit! Denn jener junge Mann,
Wie sehr er tobt, er ist doch nur ihr Schüler,
Er übt nur, was die Meisterin gelehrt. –
Schaut rings um euch in aller Herren Land,
Wo ist noch Achtung für der Väter Sitte,
Für edles Wissen und für hohe Kunst?
Sind sie vom alten Tempel ihres Gottes
Nicht ausgezogen auf den Berg von Dan,
Und haben dort ein Kalb sich aufgerichtet,
Vor dem sie knieen, ihrer Hände Werk?
[359] Es heißt: den Glauben reinigen. Daß Gott!
Der Glaube reint sich selbst im reinen Herzen,
Nein, Eigendünkel war es, Eigensucht,
Die nichts erkennt, was nicht ihr eignes Werk.
Deshalb nun tadl ich jenen Jüngling, straf ihn,
Und fährt er fort, erreicht ihn bald sein Ziel,
Allein erkenn auch, was ihn so entstellt.
Deucht mirs doch manchmal grimmiges Vergnügen,
Mit ihm zu ringen, in des Argen Brust
Die Keime aufzusuchen der Verkehrtheit,
Die ihm geliehn so wildverworrne Welt.
Die Zeit kann ich nicht bändgen, aber ihn,
Ihn will ich bändgen, hilft der gnädge Gott.
ERZHERZOG FERDINAND.
Ihr werdets, Herr, und bändigtet die Zeit,
Wär euch der Wille dort so fest als hier.
RUDOLF.
Mein Ohm, der fünfte Karl, hats nicht gekonnt,
Sankt Just sah ihn als büßenden Karthäuser.
Ich bin ein schwacher, unbegabter Mann,
Ich kann es auch nicht.
ERZHERZOG FERDINAND.
O des argen Mißtrauns
In euer edles Selbst und seine Gaben!
Wollt erst nur, wollt! und Gottes Beistand wird
Wie ein erhört Gebet auf euch sich senken.
Die Zeit bedarf des Arztes und ihr seids.
RUDOLF.
Ein wackrer Arzt, der selber Heilung braucht!
Und dann: Allein!
ERZHERZOG FERDINAND.
So wärt ihr, Herr, allein?
Verzeiht dem Schüler, der den Meister meistert.
Um euch schart sich die Hälfte einer Welt,
Die treu noch ihrem Gott und seinem Abbild:
Dem Fürsten auf dem angestammten Thron.
Für euch ist Spanien, der Papst, ist Welschland,
Des eignen Erblands ungebrochne Kraft,
Noch nicht verführt von falschen Glaubenslehren.
Zählt eure Schar, und zehnfach, hundertfach
Wiegt sie die Gegner auf, die, schwach an Zahl,
Nur scheinbar sich durch Regsamkeit verdoppeln.
RUDOLF.
Der Arme viel, wo aber bleibt das Haupt?
[360]
ERZHERZOG FERDINAND.
Ihr selbst, dem niemand gleich an Sinn und Wissen.
Dann noch die edlen Fürsten eures Hauses,
Die Gott als Helfer selbst euch anerschuf.
RUDOLF.
Sprecht ihr von euch?
ERZHERZOG FERDINAND.
So werde nie mir Heil,
Als je mein Sinn ein andres Trachten kannte,
Als Östreichs Wohl und Jesu Christi Ruhm.
Mein Alter heißt mich lernen statt zu lehren.
Auch bin nicht ichs, die Brüder sinds, die Nächsten,
Der edle Max, Albrecht der sinnig weise,
Und jener Dritte – Erste, den nur eben
Im Vorgemach ich kummervoll –
RUDOLF
sich abwendend.
Es bien!
ERZHERZOG FERDINAND.
Seht ihr, da senkt das alte Mißtraun wieder
Sich nebelgleich herab auf eure Stirn!
O, weh uns, wenn es wahr, was man sich sagt,
Daß jener finstern Sternekundgen einer,
Die euern Hof zum Sammelplatz erwählt,
Mit astrologisch dunkler Prophezeiung
Euch abgewandt von euerm edeln Haus,
Gefahr androhend von den Nahverwandten.
O, weh uns, wenn es so, und ihr für Schein
Den wahren Vorteil aufgebt, aller Heil.
RUDOLF
auffahrend.
Für Schein? für Schein? So kennst du diese Kunst,
– Wenns eine Kunst – daß du so hart sie schmähst?
Glaubst du, es gäb ein Sandkorn in der Welt,
Das nicht gebunden an die ewge Kette
Von Wirksamkeit, von Einfluß und Erfolg?
Und jene Lichter wären Pfennigkerzen,
Zu leuchten trunknen Bettlern in der Nacht?
Ich glaub an Gott und nicht an jene Sterne,
Doch jene Sterne auch, sie sind von Gott.
Die ersten Werke seiner Hand, in denen
Er seiner Schöpfung Abriß niederlegte,
Da sie und er nur in der wüsten Welt.
[361] Und hätt es später nicht dem Herrn gefallen,
Den Menschen hinzusetzen, das Geschöpf,
Es wären keine Zeugen seines Waltens,
Als jene hellen Boten in der Nacht.
Der Mensch fiel ab von ihm, sie aber nicht.
Wie eine Lämmerherde ihrem Hirten,
So folgen sie gelehrig seinem Ruf,
So heut als morgen, wie am ersten Tag.
Drum ist in Sternen Wahrheit, im Gestein,
In Pflanze, Tier und Baum, im Menschen nicht.
Und wers verstünde, still zu sein wie sie,
Gelehrig fromm, den eignen Willen meisternd,
Ein aufgespanntes, demutvolles Ohr,
Ihm würde leicht ein Wort der Wahrheit kund,
Die durch die Welten geht aus Gottes Munde.
Fragst aber du: ob sie mir selber kund,
Die hohe Wahrheit aus der Wesen Munde?
So sag ich: nein, und aber wieder: nein.
Ich bin ein schwacher, unbegabter Mann,
Der Dinge tiefster Kern ist mir verschlossen.
Doch ward mir Fleiß und noch ein andres: Ehrfurcht
Für das, daß andre mächtig und ich nicht.
Wenn aber, ob nur Schüler, Meister nicht,
Ich gerne weile in den lichten Räumen;
Kennst du das Wörtlein: Ordnung, junger Mann?
Dort oben wohnt die Ordnung, dort ihr Haus,
Hier unten eitle Willkür und Verwirrung.
Macht mich zum Wächter auf dem Turm bei Nacht,
Daß ich erwarte meine hellen Sterne,
Belausche das verständge Augenwinken,
Mit dem sie stehn um ihres Meisters Thron. –

Immer leiser sprechend.

Wenn nun der Herr die Uhr rückt seiner Zeit,
Die Ewigkeit in jedem Glockenschlag,
Für die das Oben und das Unten gleich,
Ins Brautgemach – des Weltbaus Kräfte eilen
– Gebunden – in der Strahlen Konjunktur –
Und der Malefikus – – das böse Trachten – –

[362] Er verstummt allmählich. Sein Haupt sinkt auf die Brust. Pause. Erzherzog Ferdinand tritt ihm, besorgt, einen Schritt näher.
RUDOLF
emporfahrend.
Ist jemand hier? – Ja so! – Was solls? –
Ihr spracht von meinem Bruder, von Mathias.
Ich seh, es ist ein Plan. Was also will man?
Warum verließ er seinen Bann zu Linz?
ERZHERZOG FERDINAND.
Und wenns der Wunsch nach Tätigkeit nun wäre?
RUDOLF.
Nach Tätigkeit? Ist er denn tätig nicht?
Er reitet, rennt und ficht. Wir beide haben
Von unserm Vater Tatkraft nicht geerbt,
– Allein ich weiß es, und er weiß es nicht.
Was also noch? Zum mindsten will ich zeigen,
Daß nicht der Sterne Drohn, daß euer Trachten,
Die Heimlichkeit der nahverwandten Brust,
Mir Mißtraun gab und gibt. – Die Klugheit riete,
Zu halten ihn in heilsamer Entfernung,
Allein ihr wollts. Was also solls mit ihm?
ERZHERZOG FERDINAND.
Er wünschte –
RUDOLF.
Nun?
ERZHERZOG FERDINAND.
In Ungarn ein Kommando.
RUDOLF.
Hat er schon je, und wo hat er gesiegt?
Zwar ist der Mansfeld dort, ein tüchtger Degen,
Der gönnt ihm gern die Ehre des Befehls
Und tut die Pflichten selbst. Schickt ihn denn hin!
Doch heißt ihn zügeln seine Tätigkeit;
Er füge sich des Feldherrn beßrer Einsicht.
Auch sind der Krieger dort, der Führer viel,
Die zugetan der neuen Glaubensmeinung.
Es ist jetzt nicht die Zeit noch da der Ort,
Zu streiten für die Wahrheit einer Lehre.

Da Erzherzog Ferdinand zurücktritt.
RUDOLF.
Was ist? Was geht ihr fort?
ERZHERZOG FERDINAND.
Nicht anzuhören,
Wie Östreichs Haupt, wie Deutschlands Herr und Kaiser
Das Wort führt den Abtrünnigen vom Glauben.
RUDOLF.
Das Wort führt, ich? Kommt euch die Lust zu scherzen?
[363] Allein wer wagts, in dieser trüben Zeit
Den vielverschlungnen Knoten der Verwirrung
Zu lösen eines Streichs.
ERZHERZOG FERDINAND.
Wers wagte? Ich!
RUDOLF.
Das spricht sich gut.
ERZHERZOG FERDINAND.
Nur das? Es ist geschehn.
In Steier mindestens, in Krain und Kärnten
Ist ausgetilgt der Keim der Ketzerei.
An einem Tag auf fürstlichen Befehl
Bekehrten sich an sechzigtausend Seelen
Und zwanzigtausend wandern flüchtig aus.
RUDOLF.
Und ohne mich zu fragen?
ERZHERZOG FERDINAND.
Herr, ich schrieb
So wiederholt als dringend, aber fruchtlos.
RUDOLF
die auf dem Tische liegenden Papiere untereinanderschiebend.
Es ist hier wohl Verwirrung oft mit Schriften.
ERZHERZOG FERDINAND.
Da schritt ich denn zur Tat, dem besten Rat.
Mein Land ist rein, o wär es auch das eure!
RUDOLF.
Und zwanzigtausend wandern flüchtig aus?
Mit Weib und Kind? Die Nächte sind schon kühl.
ERZHERZOG FERDINAND.
Durch Drangsal, Herr, und Schmerz erzieht uns Gott.
RUDOLF.
Und das im selben Augenblick, wo du
Die Sachsenfürstin freist, die Protestantin?
ERZHERZOG FERDINAND.
Gott gab mir Kraft, die Neigung zu besiegen,
Wenn ihrs erlaubt, so steh ich ab von ihr
Und werbe um des Baierherzogs Tochter.
RUDOLF.
Sie ist nicht schön.
ERZHERZOG FERDINAND.
Ihr Herz ist schön vor Gott.
RUDOLF
eine Gebärde des Schiefgewachsenseins machend.
Beinah –
ERZHERZOG FERDINAND.
Gerad ihr Sinn, ihr Wandel und ihr Glauben.
RUDOLF.
Nun, ich bewundre euch. – Weis deine Hände!
Ist das hier Fleisch? lebendig, wahres Fleisch?
Und fließt hier Blut in diesen bleichen Adern?
[364] Freit eine andre, als er meint und liebt –
Mit Weib und Kind, bei zwanzigtausend Mann,
In kalten Herbstesnächten, frierend, darbend!
Mir kommt ein Grauen an. Sind hier nicht Menschen?
Ich will bei Menschen sein. Herbei! Herein!

Mit dem Stocke auf den Boden stampfend. Die Hofleute kommen zurück.
RUDOLF.
Die Kinderzeiten werden wieder wahr.
Und mich umschauderts wie Gespensterglauben.

Zu Erzherzog Ferdinand.

Weilt ihr noch länger hier bei uns in Prag,
Treibts euch zurück vielleicht schon nach der Heimat?
ERZHERZOG FERDINAND.
Ich reise nächst, wenn manches erst geschlichtet

Lebhaft.

Und meinen Bruder ich euch vorgestellt.
RUDOLF.
So ist der Leupold da? Wo ist, wo weilt er?
RUMPF.
Im Schloßhof tummelt er das türksche Roß,
Das ihr gekauft und das Don Cäsar schulte.
Sie jubeln, daß der Erker widerhallt.
RUDOLF.
Sie jubeln? Tummelt? Ein verzogner Fant,
Hübsch wild und rasch, bei Wein und Spiel und Schmaus.
Wohl selbst bei Weibern auch; man spricht davon.
Allein er ist ein Mensch. Ich will ihn sehn,
Den Leupold sehn! Wo ist er? Bringt ihn her!

Einige sind gegangen.
RUDOLF
zu Ferdinand.
Beliebts euch unterdessen, die Gemächer,
Die man euch hier bereitet, zu besehn?
Wo bleibt der Range? Warum kommt er nicht?
ERZHERZOG LEOPOLDS STIMME
von außen.
Señor!
RUDOLF.
Aha, er ruft. – – Was gibt es dort?

Aus der Seitentüre links ist ein Hofbedienter herausgetreten.
RUMPF.
Die Kapelläne fragen untertänigst,
Ob eure Majestät den Gottesdienst –
RUDOLF
das Barett abnehmend und Mantel und Kleid ordnend.
Des Herren Dienst vor allem.

[365] Zu Erzherzog Ferdinand.

Wenns beliebt!

Zu den übrigen.

Und kommt mein Neffe, heißt ihn nur uns folgen.
ERZHERZOG LEOPOLD
zur Türe hereinstürzend.
Mein gnädger Ohm!

Da er den bereits geordneten Zug sieht, stutzt er und zieht das Barett ab.
RUDOLF.
Nur dort, an eure Stelle.

Auf einen Wink Erzherzog Ferdinands stellt sich Leopold ihm zur Seite.
Der Zug setzt sich in Bewegung, die beiden Erzherzoge unmittelbar vor dem Kaiser. Nach einigen Schritten tippt letzterer Erzherzog Leopold auf die Schulter. Dieser wendet sich um und küßt ihm lebhaft die Hand. Der Kaiser winkt ihm liebreich drohend Stillschweigen zu, und sie gehen weiter. Die übrigen folgen paarweise.
Der Vorhang fällt.

2. Akt

[366] Zweiter Aufzug

Freier Platz im kaiserlichen Lager. Im Hintergrunde Gezelte.

EIN HAUPTMANN
tritt hinter sich schreitend auf, wobei er eine kurze Partisane wagrecht vor sich hält.
Zurück, sag ich, zurück auf eure Posten!
Seid ihr Soldaten, wie? und flieht den Feind?

Ein Trupp Soldaten kommt von derselben Seite, ein Fahnenträger unter ihnen.
FAHNENTRÄGER.
Wir fliehen, meint ihr, Herr? Nun denn mit Gunst,
Sagt erst: wo ist der Feind, ob vor ob rückwärts?
Ein Krieger ficht wohl, weiß er gegen wen,
Doch wo nicht Ordnung, Kundschaft und Befehl,
Wehrt er sich seiner Haut und weiter nichts.
HAUPTMANN.
So meisterst du, ein Knecht, den Heeresfürsten?
FAHNENTRÄGER.
Ob zehnmal Herr und zwanzigmale Knecht,
Wenn einer irrt, hat doch der andre recht.
Wir waren auf am Damm bei Raab gestellt,
Wir da und fünfzig andre, die der Säbel
Der Türken fraß in dieser blutgen Nacht,
Auf blachem Feld, zur Unterstützung rings
Soweit das Auge trug, nicht Wacht, noch Posten.
Doch machten wir 'nen Kirchhof zum Kastell
Und hielten straff. Da brichts mit einmal los:
Allah, Allah! aus tausend bärtgen Kehlen,
Nicht vor uns, hinter uns. Die Donau durch,
Rauscht wie ein zweiter Strom, quer durch den andern,
Der Spahi und sein Roß. Hilf, Jesu Christ!
Da galt kein Säumen, und war eitel Nacht.
Trapp trapp, da sprengen kaiserliche Reiter
Und jagen andre, kaiserlich wie sie.
Der Musketier schießt los, und den er traf,
Es war sein Landsmann, in des Dunkels Wirren
Die rasche Kugel wechselnd mit dem Freund.
Bald ist das ganze Heer nur eine Flucht,
Ein Jammern und ein Töten und ein Schrein.
In all der Hast vergaß man ganz auf uns,
Zu gehn, zu bleiben waren wir die Meister,
[367] Doch blieben wir. Erst nach drei heißen Stürmen,
Als mancher schon mit seiner Haut bezahlt,
Brach auf das kleine Häuflein; und nicht seitwärts,
Nur Sicherheit für unsre Leiber suchend,
Zum Lager gradaus schlugen wir uns durch.
Und sind nun hier, dem Türken, sucht er uns,
Der Rückkehr Straße schwarz mit Blut zu zeichnen,
Doch ihn zu suchen keineswegs gewillt,
Man zeig uns denn, wer führt und wer befiehlt.
MEHRERE IM TRUPP.
So ists! – Ein Führer erst! – Dann folgen alle.
HAUPTMANN.
So bin ich unter Meutern?

Oberst Ramee kommt.
HAUPTMANN.
Mein Herr Oberst,
Verrat und Aufruhr in des Lagers Mitte.
Die hier und der –

Es haben sich nach und nach immer mehrere gesammelt.
RAMEE
halblaut.
Laßt nur, laßt nur für jetzt.
Der Feind im Anzug und das Heer entmutigt,
Man drückt jetzt füglicher ein Auge zu,
Als den Gehorsam noch durch Strenge prüfen.
Was weiß man von dem Feldherrn?
HAUPTMANN.
Prinz Mathias?
RAMEE.
Wen sonst?
HAUPTMANN.
Verschieden gehen die Gerüchte.
Er ward gesehn in Mitte der Verwirrung.
Die einen lassen ihn am rechten Donauufer
Die Straße nehmen nach Haimburg und Wien,
Die andern – Heilger Gott, wenn er den Türken –!
Was machen wir, vereinzelt, ohne ihn?
RAMEE.
Dasselbe, mein ich, was mit ihm, den Frieden.
HAUPTMANN.
Allein der Kaiser will nicht.
RAMEE.
Wollen! Wollen!
Hier fragt sich, was man muß, nicht, was man will.
Auch, ist der äußre Krieg erst beigelegt,
Hat man die rüstgen Arme frei nach innen.
HAUPTMANN.
Was aber soll mit all der Soldateska?
Wir sind in Rückstand mit zwölf Monat Sold.
[368]
RAMEE.
Erzherzog Leupold wirbt in Passau Völker,
Wenn hier das Handwerk ruht, fragt an bei uns.
HAUPTMANN.
Und gegen wen –?
RAMEE.
Die Rüstung geht in Passau?
Man weiß noch nicht. Für wen, ich habs gesagt,
Auf jeden Fall für Östreich und den Kaiser.
Wer sind die Männer?

Einige schwarzgekleidete Herren gehen quer über die Bühne. Mehrere grüßen sie mit abgezogenen Hüten.
HAUPTMANN.
Mit den goldnen Ketten?
Die protestantschen Herrn aus Österreich.
Sie kamen, den Erzherzog anzusprechen
In Sachen ihres neuen Christentums
Und halten sich derweile zu den Ungarn.
Das lauscht und flüstert, schleicht und konspiriert.
Wär ich der Prinz, wie wollt ich heim sie senden!
RAMEE.
Heim senden? ei, wenn ihr sie selbst berieft?

Weibergeschrei hinter der Szene.
RAMEE.
Was dort?
EIN SOLDAT
eine gefangene Türkin an der Hand führend.
Nein, sag ich, nein!
ZWEI KÜRASSIERE
die ihm folgen.
Muß doch! muß doch!
SOLDAT.
Mein ist die Heidin zehn- und hundertmal.
Ihr Haus in Gran fiel mir zum Beuteteil,
Ich wars, der ihren Bräutigam erschlug,
Drum ist sie mein und das von Rechtes wegen.
KÜRASSIER.
Mir drücken sie die Hand.
SOLDAT
zur Türkin.
Ists wahr? – Sie kann nicht reden.
Wenns wahr, so spalt ich ihr den Kopf. Doch jetzt,
Jetzt ist sie mein und –
KÜRASSIERE
die Hand am Säbel.
Wollen eben sehn.
SOLDAT.
Kommt an, kommt an! Ob einer gegen zwei.
Ist niemand da, der einem Landsmann hilft?
HAUPTMANN
zwischen sie tretend.
Zurück, Samländer, ketzerische Hunde!
KÜRASSIER.
Was sagen Mann?
[369]
HAUPTMANN.
Ists etwa nicht bekannt,
Daß Türk und Lutheraner stets im Bunde?
Wie ging sonst alles schief in Rat und Lager?
Die heute nacht der Flucht das Beispiel gaben,
Die Ketzer warens, sinnend auf Verrat.
FAHNENTRÄGER
im Vorgrunde rechts.
Wer das sagt, lügt.
HAUPTMANN
sein Schwert halb gezogen.
Mir das? Wer hat gesprochen.
ZWEITER SOLDAT
rechts im Vorgrunde.
Mit Gunst: hat er doch recht. Hier dieser Mann,
Obgleich ein Luthrischer und Kirchenleugner,
Gefochten hat er in der heutgen Schlacht
Wie einer, der gedenkt des ewgen Heils.
Und ob ich gleich als rechter Katholik
Verdammen muß, was seine Predger lehren,
Im Lager hier sind alle Tapfern Brüder,
Und somit meine Hand.
FAHNENTRÄGER
einschlagend.
Hier meine.
MEHRERE
ein Gleiches tuend.
Freund und Bruder!
RINGS HERUM.
Auf ja und nein!
Trotz Papst und Rom?
Wir alle!
HAUPTMANN.
Hört ihr?
RAMEE.
Laßt nur!
GESCHREI
im Hintergrunde.
Hoheisa! Die Zigeuner!

Im Hintergrunde tritt schlechte Musik auf. Einige Paare folgen, sich bei den Händen haltend und zum Tanze anschickend. Die anwesenden Soldaten sammeln sich bei dem dort stehenden Marketenderzelte. Musik und Tänzer gehen hinein.
Gelächter, Zutrinken.
KLESEL
von der rechten Seite kommend.
Du heilger Gott! bin ich im Christenlager,
Und dient katholschen Fürsten dieses Heer?
RAMEE.
Wenn euch das kränkt, seid wohlgemut,
Das Lager wird euch fürder nicht mehr ärgern.
Ihr seid nach Prag berufen, wissen wir,
Der Kaiser sieht euch hier nicht allzugern.
Wann reist ihr ab?
[370]
KLESEL.
Wenns meine Pflicht erheischt,
Die keineswegs mir Prag bis jetzt bezeichnet.
Der Seelenhirt gehört in seinen Sprengel.
RAMEE.
Und ist eur Sprengel hier im Lager? Neustadt,
Neustadt und Wien, dort leuchte euer Licht.
Ihr seid hier schuld an manchem Schief und Argem,
Setzt eure Meinung durch und führt den Krieg
Als eine Wallfahrt nach 'nem Gnadenort,
Nebstdem, daß wenig Gnad in euerm Tun.
Verkehrt ihr doch mit eitel Protestanten
Und wendet euerm Herrn die Herzen ab,
Die ihm bereit aus den getreuen Landen.
Doch ist zur Zeit ein andres Regiment.
Mathias, dieses Lagers Fürst und Führer,
Er fand den Rückweg nicht der andern Flüchtgen,
Und die Erzherzoge, die ihr berieft
Aus Gräz und Wien, zu einem Ratschlag, heißt es,
Sie sind im Lager, treten in sein Amt
Und werden euerm Flüstern wenig horchen.
KLESEL.
Ob ihr beleidigt mich, es sei verziehn,
Allein um aller Heilgen willen sagt,
Was von Erzherzog Mathias euch bekannt.
RAMEE.
Bekannt, daß nichts bekannt. Er ist nicht hier,
Ob nun in Wien, ob – Hoffen wir das Beste,
Euch sei genug: im Lager ist er nicht.
Drum reist nur ab; wenn ihr nicht vorher noch
Bei denen, die ihm folgen im Befehl,
Und die dort nahn, wollt euer Heil versuchen.
Stellt euch in Ordnung! Die Erzherzoge.

Die im Hintergrunde Befindlichen stellen sich in eine Reihe. Von der linken Seite kommen die Erzherzoge Ferdinand, Leopold und Maximilian.
MAXIMILIAN
ein beleibter, wohlbehaglicher Herr.
Die Wege rütteln wie das böse Fieber.
Hat noch von unserm Bruder nichts verlautet?
KLESEL
der in den Vorgrund rechts getreten, auf sie zugehend.
Gott segne euern Eintritt, edle Herrn!

Die Erzherzoge sehen nach der entgegengesetzten Seite und gehen quer über die Bühne ab.
[371]
KLESEL
sich zurückziehend.
Du heilger Gott!
ERZHERZOG LEOPOLD
der zurückgeblieben, links in den Vordergrund tretend.
Ramee!
OBERST RAMEE
zu ihm tretend.
Erlauchter Herr!
ERZHERZOG LEOPOLD.
Es steht hier schlimm, und doch, bedenk ichs recht,
Möcht ich fast sagen: gut. Sie haben Pläne.
Das Lager hier, ich fürchte, löst sich auf.
Hast du versucht, ob ein und andre willig,
Bei uns zu dienen im Passauer Heer?
RAMEE.
Bei zwanzig Führer.
LEOPOLD.
Halt, sprich leise, hier!

Er zieht sich mit ihm nach der linken Seite, wo Ramee zu ihm spricht.
KLESEL
in der Mitte der Bühne mit einer Bewegung gegen den Erzherzog.
Ob ichs versuche, noch einmal versuche?

Eine Gruppe Soldaten rechts im Vorgrunde.
ERSTER
halblaut.
Des Kaisers Sohn, Don Cäsar, ist im Lager.
Er wirbt Gehilfen zu geheimem Anschlag.
Es soll 'ner Kutsche mit zwei Frauen gelten,
Begleitet nur von wenigen Berittnen.
ZWEITER.
Das wär ja wie ein Räuberüberfall.
ERSTER.
Des Kaisers Sohn und Räuber? Dann zuletzt,
Was kümmerts dich? Sieh hier, man zahlt mit Gold.

Münzen zeigend.
ZWEITER.
Gehst du?
ERSTER.
Ja wohl! und Kunz und Hans und Märten.
KLESEL
im Mittelgrunde.
Nein, lieber sterben als den Einsichtslosen
Die Einsicht opfern und gerechten Stolz.
LEOPOLD
zu Ramee.
Sei rasch und klug und hüte dich vor dem!

Auf Klesel zeigend, ab.
ZWEITER SOLDAT
rechts im Vorgrunde.
Hier hast du mich! Solls bald?
ERSTER.
Heut abend.
ZWEITER.
Gut!
[372]
GESCHREI
hinter der Szene.
Vivat! Vivat!
RAMEE.
Was ist?
HAUPTMANN
in die Szene nach links blickend.
Ein Mann – umgeben –
In ungrisch niedrer Tracht. – 's ist der Erzherzog.
RAMEE.
Mathias?
HAUPTMANN.
Wohl! – Nun vivat, vivat denn,
Wers treu mit Östreich meint und seinem Haus.

Klesel, der bei dem Worte Mathias zusammengefahren, stürzt jetzt auf den Hauptmann zu, ihm die Rechte mit beiden Händen drückend, dann eilt er nach der linken Seite ab.
ALLE
in derselben Richtung folgend.
Vivat! Vivat!
RAMEE.
Nun, vivat denn wir alle!

Er schließt sich an.
ERSTER SOLDAT
aus der Gruppe rechts.
Wir kommen noch zurecht. Doch wahrt die Zunge!

Sie ziehen sich nach der rechten Seite zurück.
Die Bühne ist leer geworden.

Verwandlung.


Das Innere eines Zeltes. Kurzer Raum, im Hintergrunde durch einen Vorhang geschlossen.
Von außen hört man noch immer vivat rufen.
Erzherzog Mathias in einfachem ungarischem, bis an die Kniee reichendem Rocke, ein paar Diener hinter sich, von der rechten Seite.
MATHIAS.
Ha, jubelt nur, ihr wackern, treuen Jungen!
Diesmal fürwahr gings nahe gnug an Leib.

Sein Kleid besehend, zu den Dienern.

Gebt einen andern Rock! – Und doch, laßt immer!
Nicht trennen will ich mich von diesen Kleidern,
Bis abgewaschen dieses Tages Schimpf.
Doch einen Stuhl, denn auszuruhn geziemt sich,
Eh man die Kraft zu neuem Wirken spannt.
KLESEL
von rechts eintretend.
Gebt Raum! Gebt Raum! Ich muß zu meinem Herrn!

Sich vor ihm auf die Kniee werfend und seine Hand fassend.

Ihr seids, ihr lebt! O, uns ist allen Heil!
[373]
MATHIAS
Klesel emporhebend.
Habt Dank, mein Freund, habt Dank für eure Liebe.
Ja, diesmal galts. Ein Zoll, ein Haar,
Und Prinz Mathias ging zum dunkeln Land,
Wo Fürsten sich als Bettlergleiche finden.

Sein Kleid zeigend.

Der Riß hier, schau! Das war ein türkscher Säbel,
Den einzeln ich, der einzelne bestand.
Es gab zu tun,

Mit einer Handbewegung.

doch eine schiefe Quart
Des alten Mazzamoro, unsers Lehrers
Aus früher Knabenzeit, das endlich half.
Ein alter Landmann gab mir diesen Rock,
Und so kam ich zurück ins eigne Lager.

Diener haben einen kurzen Mantel gebracht.
MATHIAS.
Was solls? – Sagt ich denn nicht –? Es gilt wohl gleich.

Diener ziehen ihm das ungarische Kleid aus und geben ihm den Mantel um, während dessen.
KLESEL.
Wie waren wir besorgt seit Flucht und Schlacht.
MATHIAS.
Die Schlacht ging schief. Der alte Mansfeld
Mit seinem Zaudern hat das Heer verderbt,
Da ist kein Mann für tüchtges Werk und Wagen.
Dagegen diese Türken,

Den Mantel zurechtziehend, die Diener entfernen sich.

wahr bleibt wahr.
Sonst schützt ein Fluß den drangelehnten Flügel,
Sie aber schwimmen durch mit Roß und Mann,
Und was ein Bollwerk schien, wird Punkt des Angriffs.
In Zukunft sieht man sich wohl vor. – Nun aber,
Was geht für Nachricht von den Flüchtigen?
Sind sie zurück im Lager? Fehlen viel?
KLESEL.
Ein Dritteil, sagt man, fast des ganzen Heers.
MATHIAS
auf und nieder gehend.
Ein Dritteil, schlimm!
KLESEL.
Nicht wahr? Ihr seht nun selbst –
MATHIAS.
Es finden manche sich wohl später ein.
Doch hätt ich nicht gedacht –
[374]
KLESEL.
Der Rest entmutigt,
So daß kein Mittel, als –
MATHIAS
stillestehend.
Erneuter Angriff.
KLESEL.
Als Frieden.
MATHIAS.
Neuer, doppeltstarker Angriff.
KLESEL.
Ihr wart ja doch vor kurzem überzeugt,
Daß nur allein Vertrag –
MATHIAS.
Vor kurzem, ja.
Da war ich Sieger. Aber nun: besiegt.
Bei diesem Wort empört sich mir das Blut
Und steigt vom Herzen glühend in die Wangen.
Mir schwebt ein Plan vor aus Vegetius.
Bewährt sich der, dann sprechen wir des weitern.
KLESEL.
Ist das eur Wort, im selben Augenblick,
Wo die Erzherzoge, von euch berufen,
Im Lager schon, zu handeln von dem Frieden?
MATHIAS.
Sie mögen sich den Krieg einmal besehn,
Mitmachen etwa gar, dergleichen frommt
Für Gegenwart und Zukunft; endlich gehn,
Wohin sie Laune treibt, Beruf, Geschäft.
KLESEL.
Und wenn der Kaiser nun erfährt, daß man
Hier Rat gehalten gegen seinen Willen.
MATHIAS.
Erfahren mußt ers, ob nun so, ob so.
KLESEL.
Doch schützte der Erfolg vor seinem Zorn.
MATHIAS.
Den besten Schutz gibt in der Faust das Schwert.
KLESEL.
Und wenn er euch nun ab vom Heer beruft?
MATHIAS.
Vielleicht gehorcht ich nicht.
KLESEL.
Gestützt auf was?
Der Feldherr, der Gehorsam weigert, heißt
Verräter, aber wer den Frieden gibt
Dem ausgesognen Land, wärs ohne Auftrag,
Er ist der Retter, Abgott seines Volks.

Halbleise.

Vergaßt ihr denn, daß Sultan Amurat,
Der Frieden braucht, dem Geber dieser Ruh
In Ungarn Macht und Einfluß gerne gönnt;
Sowie, daß Östreichs Stände beiden Glaubens
Dem Retter in der Not sich in die Arme,
[375] Die doch auch Hände haben – freudig stürzen.
MATHIAS.
Ich habs gesagt. Die Schmach ertrüg ich nicht.
EIN DIENER
anmeldend.
Die Herrn Erzherzoge.
KLESEL.
Um Gottes willen!
Erkennt doch, daß es Wahnsinn, was ihr wollt.
Und doch – kommts wie ein Lichtstrahl nicht von Oben?
Es ist zu spät. Bleibt, Herr, bei eurer Weigrung.

Sich nach dem Vorgrunde entfernend.

Vielleicht reift unsern Anschlag grade dies.

Die Erzherzoge werden eingeführt.
MAX.
Nun Bruder, Gott zum Gruß. Doppelt willkommen,
Als kaum entronnen solcher Fährlichkeit.
Nun aber ans Geschäft. Man rief uns her,
Als Zeugen dachten wir, von einem Sieg,
Um zu bewundern eure Strategie;
Doch scheint Gott Mars, der strahlende Planet,
Vorläufig in rückgängiger Bewegung.
MATHIAS.
Aus Vor- und Rückwärts bildet sich der Kreislauf.
MAX.
Doch bleibt man hübsch im Kreis und kommt nicht vorwärts.
Nun, Bruder, sei nicht unwirsch, gings mir auch doch
Viel anders nicht im Streit um Polens Krone.
Sie fingen mich sogar, trotz Stand und Würde.
Der Krieg kennt nicht Respekt, er zahlt auf Sicht.
Hier bring ich dir die Neffen, die du kennst,
Obgleich seitdem

Auf Leopold zeigend.

gewachsen

Auf Ferdinand.

und gealtert.
Sie kamen her, den Kreislauf zu studieren
Des Gottes Mars. Auch will man, heißts, beraten
Um dies und das. Zuletzt denn sind wir hier.
FERDINAND
auf Max zeigend.
Des Bruders Gruß, nicht teilend seinen Scherz.
LEOPOLD.
Und hocherfreut, euch, Oheim, wohl zu finden.
[376]
MATHIAS.
Das geht nun so im Lager ab und zu,
Bald oben und bald unten. Ists gefällig?
Ein Imbiß findet sich wohl noch zur Labung.
MAX.
Ich liebe nichts vom Krieg, am wenigsten
Die Kriegerkost. Ein deutscher Ordensmeister
Will alles ordentlich, zumal die Tafel.
Wir haben uns aus unsrer Reiseküche
Im Wagen schon gestärkt und danken freundlichst.
Auch will ich keine Lorbeern hier erwerben;
Drum rasch nur ans Geschäft, ist das beendigt,
Kehr ich nach Wien zurück, sobald nur möglich,
Und wo ein Weg noch von den Türken frei.
Du scheinst nicht meiner Meinung, Leopold?
Bleib hier, gebrauch dein Schwert! Du bist noch jung,
Und kommts zur Flucht, bewegst du rüstge Beine.
Ich bin von Blei, das zwar aus der Muskete
Ein rasches Ding, sonst aber träg und schwer.
Nun aber: wo der Ratstisch und die Stühle?

Klesel zieht an einer Schnur, der Vorhang des Zeltes öffnet sich und zeigt einen grünbehangenen Tisch und Armsessel.
MAX.
Der Teppich grün, ah, so bin ichs gewohnt.
An einem roten Tisch fiel mir nichts ein,
Ein blaubehangner führte grad ins Tollhaus,
Doch grün, das stärkt das Aug und den Verstand.
Kommt sitzen denn, ihr Herrn!

Leise zu Mathias.

Doch hier ist einer,
Der überlei mir dünkt in unserm Rat.
KLESEL
zu Mathias.
Befehlt ihr irgend noch, erlauchter Herr,
Sonst, mit Erlaubnis, zieh ich mich zurück.
MAX.
Bleibt immer denn und führt das Protokoll!
Man spricht sonst her und hin und weiß zuletzt
Nicht ja noch nein und wer und was gesprochen.

Zu den übrigen.

Geht sitzen, sitzen! Kommt!

Kleseln das Ende rechts am Tische anweisend.

Hier euer Platz!
[377] Doch mir zulieb, sprecht erst, wenn man euch fragt.
Nun, Leopold?
LEOPOLD
am Ende links.
Ihr wißt, ich stehe gern.
MAX.
Ich weiß, ich weiß! In Gräz vorm Bäckerladen
Hast du gestanden, eisern, stundenlang,
Bis sich die holde Mehlverwandlerin
Am Fenster, günstig, eine Venus, zeigte.
LEOPOLD.
Ein Stadtgeklatsch.
MAX.
Es klatschte wie von Küssen,
Und niemand wußt es, als die ganze Stadt.

Zu Klesel.

Tunkt ihr die Feder ein? Ihr werdet doch nicht
Das alles setzen schon ins Protokoll?
Seht nur, er mahnt uns, Klügeres zu sprechen
Und er hat recht, nun also denn: zur Sache.
Komm sitzen, Leopold!
LEOPOLD.
Nicht, bis ich weiß:
Ob mit des Kaisers Willen, ob entgegen
Wir uns vereinen hier zu Spruch und Rat.
MATHIAS
nach einer Pause.
Sagt etwas, Klesel!
KLESEL.
Wenn ich also darf:
Es will gewiß der Mensch sein eignes Bestes.
Wird nun des Kaisers Bestes hier beraten,
Kann man noch zweifeln, ob es auch sein Wille?
LEOPOLD.
Ich aber will nur, was ich selber will,
Und Herrscher heißt, wer herrscht nach eignem Willen.
MATHIAS.
Man merkt es wohl, ihr sucht des Kaisers Gunst.
LEOPOLD.
Wer sie nicht wünscht, ist nicht sein Untertan.
MATHIAS.
Doch hängt ein Nebenvorteil manchmal noch
Der Demut an, die nur Gehorsam schien.
FERDINAND.
Komm, Bruder Leopold, es soll nicht heißen,
Daß wir aus Gräz Gerüchten Nahrung geben,
Die Erberschleichung gegen das Gesetz
Auf unsers Hauses Wappenmantel spritzen.
LEOPOLD.
So will ich hören denn, doch sitzen nicht.
MATHIAS.
Wie's euch beliebt.
[378]
MAX.
Nun also denn: was solls?

Da Klesel nach einer Schrift in seinem Busen greift.
MAX.
Laßt stecken, Herr, wir wissen was ihr bringt:
Ein künstlich ausgefeilt Elaborat,
Das uns den Frieden mit den Türken soll
Als rätlich, nötig, unerläßlich schildern.
Ihr seid der Widerhall von euerm Herrn,
Wenn nicht vielmehr das Echo er von euch.
Und deshalb ohne Vorwort zur Beratung.
Der Friede wäre gut, allein der Kaiser,
Des Landes Haupt und Herr, er will ihn nicht.
Nebstdem, daß unter solchen Schmeichelhüllen
Ein Anschlag, meint man, andrer Art sich birgt.

Zu Klesel.

Ich will euch schelten, Herr, drum hieß ich euch
Hier sitzen unter uns; da Bruderliebe
Und Fürstenachtung mir nicht will gestatten,
Zu schelten meinen Bruder, euern Herrn.
Die Stände, sagt man, protestantschen Glaubens
Aus Österreich verkehren still mit euch,
Und als den Preis der Sichrung vor den Türken,
Nebst Zugeständnis ihrer Glaubensübung,
Verspricht man einem Fürsten unsers Hauses,
Den ich nicht kennen will, nicht nennen mag,
Ein neuerdachtes Schützeramt zu gründen,
Halb abgesondert von dem Stamm des Reichs.
Ihr seht, was ihr gesponnen, kam ans Licht.
Seid noch ihr für den Frieden?
KLESEL.
Durchlaucht, ja.
Wenn diesmal auch Verleumdung wahr gesprochen,
Was gut, bleibt gut, wär auch der Geber schlimm.
MAX.
Und, Bruder, du? – Allein was frag ich noch,

Auf Klesel zeigend.

Hat dieser deine Meinung doch gesprochen.
MATHIAS.
Glaubst du?

Zu Klesel.

Sagt eure Meinung noch einmal.
KLESEL.
Den Frieden, hoher Herr.
[379]
MATHIAS.
Und ich den Krieg.
Ich bin beschimpft im Angesicht der Welt.
Die Ehre unsrer Waffen stell ich her,
Dann mag die Klugheit und die Furcht beraten.
MAX.
Nun, Bruder, sei nicht kindisch, möcht ich sagen.
Hoffst du, geschlagen mit dem ganzen Heer,
Nun, mit dem halben, Sieg dir zu erringen?
Von hier bis Wien ist nirgends eine Stellung,
Die Mauern Wiens verfallen, ungebessert,
Ein Wandelgang für friedliche Bewohner,
Nicht eine Abwehr gegen solchen Feind.
KLESEL
die Feder eintauchend, eifrig.
So seid ihr für den Frieden?
MAX.
Ich? Bewahr!
KLESEL.
Doch spracht entgegen ihr dem Krieg.
MAX.
Ei, laßt mich!
FERDINAND
zu Mathias.
Wozu noch kommt, daß es mich heidnisch dünkt,
Für Kriegesruhm und weltlich eitle Ehre,
Das Wohl des Lands, der ganzen Christenheit
Zu setzen auf ein trügerisches Spiel.
LEOPOLD.
Fernand, sie haben dich.
FERDINAND.
Was fällt dir ein?
LEOPOLD.
Wer billigt, der bewilligt wohl zuletzt.
FERDINAND
fortfahrend.
Auch sind im Heer beinah nur Protestanten,
Und wo der Glaube fehlt, wo bleibt die Hoffnung?
KLESEL
zu Mathias.
Beliebts euch, hoher Herr?
MATHIAS.
Was das betrifft,
So weiß ich keinen gläubiger als mich.
Doch ist das Land, sind seine höchsten Stellen
Mit diesen Protestanten ja besetzt.
Muß ich sie schonen nicht, will ich sie brauchen?
Muß ich sie brauchen nicht, wenn zwingt die Not?
Und sag ichs nur: die Fähigsten, die Kühnsten,
Die Ketzer sinds, ich weiß nicht, wie es kommt.
KLESEL
auf sein Papier herabgebeugt, wie vor sich.
Der Krieg ist dieser Spaltung Keim und Wurzel.
[380]
FERDINAND
auf Klesel.
Da spracht ihr wahr, wenn irgend jemals sonst!
Weil Ruhe war in meiner Steiermark,
Weil ich bei Ketzern brauchte nicht zu betteln,
Gelangs mir, ihre Rotte zu zerstreun;
Und deshalb, wäre nicht des Kaisers Wille,
Stimmt ich in euern Antrag freudig ein.
Doch gäb es einen Ausweg, wie mir deucht,
Der Krieg und Frieden gleicherweis vereint:
Den Waffenstillstand –

Zu Klesel.

Schüttelt ihr den Kopf?
MATHIAS.
Und soll er nicht, solang sein Kopf ihm eigen?
Glaubt ihr, der Türke werde müßig gehn,
Für Waffenruh und solchen armen Tand
Des Vorteils sich begeben, der ihm lacht?
– Wenn er im Vorteil ja, wie's wirklich scheint. –
Das ist der Fluch von unserm edeln Haus:
Auf halben Wegen und zu halber Tat
Mit halben Mitteln zauderhaft zu streben.
Ja oder nein, hier ist kein Mittelweg.
FERDINAND.
Wenn man uns drängt, das ist nicht Brauch noch Sitte.
MATHIAS.
Es drängt die Zeit; wir selbst sind die Bedrängten.
FERDINAND.
Und kennt man die Bedingungen des Feinds?
KLESEL
den Stuhl rückend.
Das ist zu wissen leicht aus erster Quelle.
Des Ofner Bassa Sekretär und Dolmetsch
Ist hier im Lager; wenn ihr es gestattet,
Führ ich ihn her, hört selbst dann, was er bringt.
MAX.
Mir ist gemein nichts mit den grimmen Türken.
FERDINAND
heftig.
Weiß sonst man irgend, frag ich noch einmal,
Die Punkte, die der Heide nimmt und gibt.
KLESEL.
Der Stand wie vor dem Krieg.
MAX.
Das wäre billig.
LEOPOLD.
Halt aus, Fernand, halt aus! Kehr ruhig heim.
Ich bleibe hier; wärs als gemeiner Reiter,
Wärs auf den Trümmern des zerstörten Wiens,
[381]
Durch Blut und Krieg mit allen seinen Schrecken,
Zu fechten für des Kaisers Macht und Willen.
FERDINAND
sich mit Abscheu von ihm wendend.
Nun Frieden also denn!
LEOPOLD.
Fernand, auch du?
FERDINAND.
Fragst du mich noch, der du mich selber zwingst,
Mir schildernd alle Greuel des Verweigerns?
KLESEL
ruhig zu Mathias.
Ihr seid für Krieg?
MATHIAS.
Wenn man mich überstimmt!
LEOPOLD.
Hier ist noch einer. Ohm, wir sind zu zwei.
MATHIAS.
Gerade deshalb Frieden auch.
MAX.
Wir sind zu Ende.
KLESEL.
Vorerst erlaubt, daß mit zwei Worten nur
Dem Pfortendolmetsch, der im Lager harrt,
Den Ratschluß ich verkünde samt dem Frieden.
FERDINAND.
Warum so rasch?
KLESEL.
Wir haben dann, was ihr
In eurer Weisheit wünschenswert erachtet:
Stillstand der Waffen. Denn, o Herr, bedenkt!
Benützt der Türke seinen jetzgen Vorteil
Und schneidet ab das Heer im Rücken gar,
So steigert er, befürcht ich, seine Fordrung,
Und unsre Opfer steigern sich zugleich.
MAX.
Schreibt immer denn!
FERDINAND.
In mir ringts wirren Zweifels.
Was gäb ich nicht, wär mir der Schritt erspart.
MAX.
Zuletzt hat unser Bruder jüngster Zeit
So sehr sich von Geschäften rückgezogen
Und aufgeschoben, was doch unverschieblich,
Daß ihm ein milder Zwang vielleicht erwünscht.
LEOPOLD.
Ihr werdet sehen, was ihr angerichtet.

Klesel klingelt, ein Diener erscheint.
KLESEL
den gefalteten Zettel übergebend.
Des Ofner Bassa Sekretär. Sogleich!

Diener ab.
MAX.
Noch einmal sag ich denn: wir sind zu Ende.
KLESEL.
Nicht ganz, erlauchte Herrn!

[382] Aufstehend.

Wenn ich bisher
Nur auf Erlaubnis sprach und wider Willen,
Tret ich nun auf in meinem eignen Amt,
Als Seelenhirt, als Redner für ein Volk
Und als Vertreter unsers heilgen Glaubens.
Dieselbe Stimme, die in Wien und Neustadt
Zu Tausenden bekehrt mit ihrer Macht,
Erheb ich nun mit gleichem Feuereifer
Im Angesicht der Gegenwart und Zukunft.
Ihr schloßt den Frieden, edle Herrn, allein
Wenn ihn, gesetzt, der Kaiser nun verwirft?
MAX.
Er wird es nicht.
LEOPOLD.
Er wirds.
KLESEL
zu Leopold höhnisch.
Ihr habts getroffen
Und kennt, so scheints, des Kaisers tiefste Meinung.

Mathias will auffahren, Klesel hält ihn mit einer Handbewegung zurück.
FERDINAND.
Das sagt ihr uns, nachdem der Bote fort,
Der unser Wort verpfändet an den Türken?
KLESEL.
Die Not erkennend, schloßt ihr den Vertrag,
Doch erst gehalten sind Verträge wirklich.
Wenn nun der Kaiser euern Schluß verwirft?
MAX.
Dann waschen wir in Unschuld unsre Hände.
KLESEL.
Das wäre Unschuld, schlimmer noch als Schuld.
Dies edle Land, es darf nicht untergehn
Und alles, was dem Menschen hoch und heilig,
Nicht von dem Überdruß, den Wechsellaunen
Und der Entfernung zwischen Prag und Wien
Abhängig sein zu drohendem Verderben.
Am heutgen Tag, vertragend mit dem Feind,
– Obgleich vorläufig nur, auf spätern Abschluß -
Erkanntet in euch selber ihr die Macht,
Zu sorgen für des Vaterlandes Beste.
Doch nicht der Kaiser nur ist wankelmütig,
Der Türk ist treulos, als ein Heide schon,
Im ganzen Reich der fernen Möglichkeiten
Ist nichts als Zweifel, Arglist und Gefahr.
[383] Ihr könnt nicht immer hier zu Rate sitzen,
Deshalb ist nötig, daß für alle einer
Mit Macht bekleidet, wenns die Not erheischt,
Zu handeln als des Hauses Hort und Säule.
LEOPOLD.
Er spricht für seinen Herrn.
KLESEL.
Diesmal nicht also!
Befragt ihr mich, wen ich vor allen liebe,
Wen ich an Tapferkeit, an hohem Sinn
Voran den Fürsten mancher Länder setze,
So ist die Antwort: ihn dort, meinen Herrn.
Allein zu solchem Amt fehlt ihm die Festigkeit,
Nicht Kraft, doch das Beharren im Entschluß.
MATHIAS
zornig.
Ich will euch zeigen, ob ich fest, ob nicht.
KLESEL.
Auch hat man uns geheimes Einverständnis.
Mit Ketzern, Unzufrieden schuld gegeben,
Das darf nicht sein bei anvertrauter Macht.
Erzherzog Maximilian wäre rein.
MAX.
Ich bin entwohnt des Wirkens und Befehlens,
Mich träfe ganz, was meinen Bruder halb.
KLESEL.
Nun denn: ein Muster hier der Festigkeit,
Der Herr der Steiermark, der, rascher Tat,
Die Ketzerei getilgt in seinem Land.
MATHIAS.
Was fällt euch ein? Ist euch denn nicht bekannt,
Daß diese Gräzer um des Kaisers Gunst,
Mit Hoffnung wohl, zu folgen auf dem Thron,
Der eine laut, der andre leise buhlen?
FERDINAND
zu Klesel.
Auch, habt gerühmt ihr meine Festigkeit,
Vergaßt ihr ihre Wurzel: das Gewissen;
Das eine Beugung etwa mir erlaubt
Zu gutem Zweck, wie etwa heut und jetzt;
Doch Übertretung, förmliche Verletzung
Mir nicht gestattet, gält es eine Krone.
Mathias ist des Hauses Ältester,
Tut not denn übertragene Gewalt,
Wie es fast scheint, so sei sie ihm vertraut.
MATHIAS.
Ja, mir gebührts von allen und mit Recht.
[384]
KLESEL
ein Papier aus dem Busen ziehend.
Da braucht es nur noch eure Unterschrift.
LEOPOLD.
Seht ihr den Schalk? er hats schon in der Tasche.
KLESEL.
Die Vollmacht, ja, allein der Name fehlt.

Die Schrift hinhaltend.

Er blieb hier weiß.
FERDINAND
zu Max.
Wenns, Oheim, euch genehm.

Sie lesen die Schrift.
LEOPOLD.
Schreibt nur Rudolphus, so bleibts nach wie vor.
Ihr habt uns hier am Narrenseil geleitet,
Ich geh nach Prag und zeigs dem Kaiser an.
MATHIAS.
Das dürft ihr nicht.
KLESEL
demütig.
Herr, das war die Bedingung:
Geheim zu halten, was beschloß der Rat.
LEOPOLD
sein Wehrgehäng zurechtrichtend.
So will ich nur im offnen und geheimen
Den Kaiser schützen, den ihr doch bedroht.
FERDINAND.
Ich setze denn Mathias.
MAX.
Immerhin.
FERDINAND
unterzeichnend.
Und hier die Unterschrift.
MAX
ebenso.
Sowie die meine.
FERDINAND
der aufgestanden ist.
Wenn ich betrachte dieses Unglücksblatt,
So gehts durch meine Seele wie Verderben.
KLESEL.
Sie liegt noch hier; es braucht nur, sie zerreißen,
So stehen wir auf gleichem Platz wie vor.
FERDINAND.
Ich fühle wohl, es muß. Komm, Leupold, mit nach Graz,
Es drängt mich, mein Gewissen auszuschütten
Vor dem, der seine Zukunft kennt und löst.
MAX
aufstehend.
Es ist geschehn. Nun, Bruder, aber höre.
Sei fest und treu! Vor allem aber wisse:
Warst eines Sinnes du mit diesem Mann,

Auf Klesel zeigend.

Ich hätte die Gewalt dir nicht gegeben.
Drum brauch ihn, er ist klug, doch hüte dich.
[385]
MATHIAS
streng.
Ich werde wohl und hab ihn heut erkannt.
FERDINAND.
Vielmehr begehr ich, daß ihr ihn gebraucht,
Er ist ein Eifrer für die fromme Sach.
LEOPOLD.
Du zitterst ja!
FERDINAND.
Laß nur, es geht vorüber.
LEOPOLD.
Wir haben keinen guten Kampf gekämpft.
MATHIAS.
Wollt ihr schon fort?
MAX.
Laß uns! wir sind betrübt.
Und ohne Abschied denn! – Geht ihr?
FERDINAND UND LEOPOLD.
Wir folgen.
MATHIAS.
Zur Kutsche wenigstens nehmt das Geleit.
Auf baldges, frohes Wiedersehn.
DIE ERZHERZOGE.
Wir hoffens.

Sie gehen, von Mathias geleitet.
KLESEL.
Nun rasch ans Werk! Vor allem die Depeschen.

Er setzt sich und schreibt.
MATHIAS
zurückkommend.
Wie, du noch hier? Du trittst vor meine Augen,
Nachdem du erst gesprochen wider mich?
KLESEL
aufstehend.
Herr, wider euch? für euch! Ihr habt die Schrift,
Die euch zum Herren macht in diesem Land.

Da Mathias zu ihm tritt.

Wenn ihr mich stört, such anderwärts ich Ruh.
Es gilt zu schreiben, schreiben, rasch und viel.
Und diese Schrift, ihr sollt mir sie noch küssen,
Wie ich sie küsse jetzt.
Wir sind geborgen.

Er tritt ins Innere des Zeltes, dessen Vorhänge er herabläßt.
MATHIAS.
Er ist ein Rätsel, was er tut und spricht,
Und seine Rede streitet mit ihm selber.
– Nun ja, die Schrift –

Freudig auffahrend.

He, Klesel, Klesel, höre!

Er tritt an den Vorhang.

Er gibt nicht Antwort. Laß ich ihn denn jetzt!
Ein Meer von Bildern schwimmt vor meiner Seele.

[386] Auf die Seitentüre zugehend, bleibt er stehen, als ob er umkehren wollte, geht aber nach einigem Besinnen ab.
Gegend in der Nähe des kaiserlichen Lagers. Abenddämmerung. Man hört einige Flintenschüsse hinter der Szene. Prokop, ein bloßes Schwert in der Hand, kommt mit seiner Tochter.
PROKOP.
Komm, meine Tochter, noch hält dieser Arm
Und fühlt sich stark genug, dich zu verteidgen.

Zwei kaiserliche Soldaten folgen.
ERSTER.
Gebt euch, sag ich. Ihr lebtet längst nicht mehr,
Wär nicht die Furcht, das Mädchen zu verletzen.
PROKOP
rufend.
Janek! Basil!
ZWEITER.
Die hörten auf zu hören.
Ihr seid der einzig Lebende, drum hört!
PROKOP.
So will ich sterben denn, mein Kind verteidgend.
Allein was wird aus ihr, wenn ich erlag.
ERSTER.
Das eben, Herr, bedenkt und weicht der Not,
Sonst eins, zwei, drei, und euer Tag ist aus.

Sie nähern sich ihm.
PROKOP.
Lebt denn kein Retter mehr im weiten All?
Kein Helfer, der bedrängte Unschuld schirmt?

Trompeten in der Nähe.
PROKOP.
Hört ihr?

Ein dritter Soldat kommt.
ERSTER.
Was ist?
DRITTER.
Die Herrn Erzherzoge.
Die, stark begleitet, aus dem Lager kehren,
Ein Unstern führt sie eben hier vorbei.
Wir sind zu schwach, entflieht!
ERSTER.
Ich werde wohl!
Der Lohn, zum Glück, ward vorhinein bezahlt.

Sie ziehen sich zurück.
PROKOP.
Wir sind gerettet, Kind! Lukrezia, hörst du?

Erzherzog Leopold und Oberst Ramee kommen mit Begleitung, die bloßen Schwerter in der Hand.
LEOPOLD.
Nicht Türken sinds, des eignen Lagers Auswurf,
Zu Brudermord gezuckt das feige Schwert.
Verfolgt sie, gebt dem Henker seine Beute!

[387] Ramee und einige in der Richtung der Flüchtigen, ab.
LEOPOLD.
Und wer seid ihr?

Erzherzog Ferdinand mit Dienern und Fackeln ist gekommen.
PROKOP
gegen Ferdinand gewendet.
Ein Bürger, Herr, von Prag,
Mit seiner Tochter, die euch dankt die Rettung.
Ein Mächtiger am Hof verfolgte sie;
Deshalb nun wollt ich sie nach Dukla bringen
Zu einer Tante, die dort lebt im Schloß.
Allein der Kriegslärm, damals weit entfernt,
Er überholte uns auf unsrer Reise.
Seitdem nun irren wir auf Seitenwegen
Und hofften in dem Christenlager Schutz.
LEOPOLD
Lukrezias Hand fassend.
Erholt euch, schönes Kind.
LUKREZIA
die Hand zurückziehend.
Nicht schön, doch ehrbar.

Ramee und seine Begleiter kommen mit einem in einen dunkeln Mantel Verhüllten zurück.
RAMEE.
Den einzgen nur gelang es zu ereilen.
LEOPOLD.
Verhüllt ihr euch? Es ist nicht Fastnachtzeit!
Die Fackel her!

Ein Diener leuchtet hin.
LUKREZIA.
O Gott, er ists.
ERZHERZOG FERDINAND.
Don Cäsar!
PROKOP.
Derselbe, den wir flohn.
FERDINAND.
Wie kommt ihr hieher?
DON CÄSAR.
Fragt nicht und laßt mich frei.
FERDINAND.
Nicht also, Freund!
Der Kaiser will euch gern in seiner Nähe,
Und ihr bedürft, so seh ich, strenger Hut.

Zu einem Befehlshaber.

Geleitet ihn mit eurer Schar von Reitern
Und sagt dem Kaiser, wenn ihr kommt nach Prag –
Allein das tu ich selbst, wenns an der Zeit.
Geht nur! Ihr haftet mir für seine Stellung.

Don Cäsar wird fortgebracht.
PROKOP.
Allein was wird aus uns?
[388]
ERZHERZOG FERDINAND.
Schließt euch nur an,
Bis ihr die Grenze habt erreicht von Mähren,
Wo sicher euer Weg.
PROKOP.
Nehmt tausend Dank.
Komm nur, mein Kind!

Nach Don Cäsar hinweisend.

Er kann nicht weiter schaden.

Ab mit Lukrezia.
LEOPOLD.
Nun, Bruder, sieh, wir taten doch ein Gutes.
FERDINAND.
Nachdem wir Schlimmes erst, ich fühls, getan.
LEOPOLD.
Sei nicht betrübt, es findet sich noch alles.
Was halb du weißt und halb ich dir verschwieg:
Das Heer in Passau, das ich, andern Vorwands,
Seit lange werb, es stellt die Wage gleich
Und gibt dem Kaiser wieder seine Rechte.
FERDINAND
die Arme auf seine Schultern legend.
Nichts Unvorsichtiges, mein Freund und Bruder!
LEOPOLD
während Ferdinand sich auf ihn stützt.
Voraussicht ist ja Vorsicht, oder nicht?
Die Klugheit gibt nur Rat, die Tat entscheidet.
Es soll sich alles noch zum Guten wenden.

Indem sie abgehen, fällt der Vorhang.

3. Akt

[389] Dritter Aufzug

Zimmer im Schlosse auf dem Hradschin. Rechts im Hintergrunde eine türförmige Öffnung, in der ein Schmelztiegel auf einem chemischen Ofen steht. Daneben der Haupteingang Kaiser Rudolf kommt aus einer Seitentüre rechts.

RUDOLF.
He, Martin, Martin! Plagt dich denn der Böse?
Ist alles denn verworren und verkehrt?
Es fehlt an Kohlen, Kohlen.

Ein Mann in berußter Jacke und Mütze, einen Korb Kohlen am Arme, ist eingetreten.
RUDOLF.
Träger Zaudrer!
Besorgt denselben Dienst seit dreißig Jahren
Und gafft und glotzt, als wärs zum erstenmal.

Der Mann beschäftigt sich im Hintergrunde.

Wo schüttest du die Kohlen hin? Carajo!
Scheints doch, du willst mir die Retorte füllen
Und nicht den Herd. Verwünschter Schlingel!
Bist du bezahlt, zu Tode mich zu ärgern?
DER MANN
nach vorn kommend, seine Mütze abnehmend und sich auf ein Knie niederlassend.
Verzeiht, o Herr, ich bins nur nicht gewohnt.
RUDOLF.
Du bist nicht Martin! – Fuego de Dios!

Der Mann hat auch das Wams geöffnet.
RUDOLF.
Ah – Herzog Julius von Braunschweig, Liebden!
Wie kommt ihr her? und doch zumeist

Mißtrauisch mehrere Schritte zurücktretend.

Was wollt ihr?
HERZOG JULIUS.
Seit vierzehn Tagen such ich Audienz
Und konnte nun und nimmer sie erhalten,
Da griff ich in der Not zu dieser List.
Verzeiht dem Treuen, der es gut gemeint.
RUDOLF.
Ha, ha, ha, ha! Kein übler Spaß! Steht auf!
Ihr könnt nun wenigstens dem Volk bestätgen,
Daß ich noch lebe, was man, heißts, bezweifelt.
JULIUS
der aufgestanden ist.
Bezweifelt, und mit Recht.
RUDOLF.
Ja, alter Freund,
Damit ich lebe, muß ich mich begraben,
[390] Ich wäre tot, lebt ich mit dieser Welt.
Und daß ich lebe, ist vonnöten, Freund.
Ich bin das Band, das diese Garbe hält,
Unfruchtbar selbst, doch nötig, weil es bindet.
JULIUS
der den Kittel ausgezogen und auf einen Stuhl gelegt hat.
Doch wird das Band nun locker, Majestät?
RUDOLF.
Mein Name herrscht, das ist zur Zeit genug.
Glaubst: in Voraussicht lauter Herrschergrößen
Ward Erbrecht eingeführt in Reich und Staat?
Vielmehr nur: weil ein Mittelpunkt vonnöten,
Um den sich alles schart, was gut und recht
Und widersteht dem Falschen und dem Schlimmen,
Hat in der Zukunft zweifelhaftes Reich
Den Samen man geworfen einer Ernte,
Die manchmal gut und vielmal wieder spärlich.
Zudem gibts Lagen, wo ein Schritt voraus
Und einer rückwärts gleicherweis verderblich.
Da hält man sich denn ruhig und erwartet,
Bis frei der Weg, den Gott dem Rechten ebnet.
JULIUS.
Doch wenn ihr ruht, ruhn deshalb auch die andern?
RUDOLF.
Sie regen sich, doch immerdar im Kreis.
Die Zeit hat keine Männer, Freund wie Feind.
JULIUS.
Allein der Krieg in Ungarn?
RUDOLF.
Der ist gut.
Den Krieg, ich haß ihn als der Menschheit Brandmal,
Und einen Tropfen meines Blutes gäb ich
Für jede Träne, die sein Schwert erpreßt;
Allein der Krieg in Ungarn, der ist gut.
Er hält zurück die streitenden Parteien,
Die sich zerfleischen in der Meinung schon.
Die Türkenfurcht bezähmt den Lutheraner,
Der Aufruhr sinnt in Taten, wie im Wort,
Sie schreckt den Eifrer meines eignen Glaubens,
Der seinen Haß andichtet seinem Gott.
Fluch jedem Krieg! Doch besser mit den Türken,
Als Bürgerkrieg, als Glaubens-, Meinungsschlachten.
Hat erst der Eifer sich im Stehn gekühlt,
Die Meinung sich gelöst ins eigne Nichts,
[391] Dann ist es Zeit zum Frieden, dann mein Freund,
Soll grünen er auf unsern lichten Gräbern.
JULIUS.
Allein der Friede ward geschlossen.
RUDOLF.
Ward.
Ich weiß, doch nicht bestätiget von mir,
Und also ist es Krieg, bis Gott ihn schlichtet.
Doch daß ich nicht auf Zwist und Streit gestellt –
– Siehst du? ich schmelze Gold in jenem Tiegel.
Weißt du, wozu? – Es hört uns niemand, mein ich.
Ich hab erdacht im Sinn mir einen Orden,
Den nicht Geburt und nicht das Schwert verleiht,
Und Friedensritter soll die Schar mir heißen.
Die wähl ich aus den Besten aller Länder,
Aus Männern, die nicht dienstbar ihrem Selbst,
Nein, ihrer Brüder Not und bitterm Leiden;
Auf daß sie weithin durch die Welt zerstreut,
Entgegentreten fernher jedem Zwist,
Den Ländergier und was sie nennen: Ehre,
Durch alle Staaten sät der Christenheit,
Ein heimliches Gericht des offnen Rechts.
Dann mag der Türke dräun, wir drohn ihm wieder.
Nicht außen auf der Brust trägt man das Zeichen,
Nein, innen, wo der Herzschlag es erwärmt,
Es sich belebt am Puls des tiefsten Lebens.
Mach auf dein Kleid! – Wir sind noch unbemerkt. –

Er hat aus der Schublade des Tisches eine Kette mit daranhängender Schaumünze hervorgezogen.

Der Wahlspruch heißt: Nicht ich, nur Gott. – Sprichs nach!
JULIUS
der sein Kleid geöffnet und sich auf ein Knie niedergelassen hat.
Nun denn: Nicht ich, nur Gott – und ihr!
RUDOLF.
Nein, wörtlich.
JULIUS.
Nicht ich, nur Gott.
RUDOLF
nachdem er ihm die Kette umgehangen.
Es ist besondres Gold,
Gewonnen auf geheimnisvollen Wegen.
Nun aber schließ das Kleid und doppelt, dreifach,
Daß niemand es erblickt. Du bist ein Ketzer,
Allein ein Ehrenmann. So sei geehrt.
[392]
JULIUS
der aufgestanden ist.
O Herr, wenn ihr dem Andersmeinenden,
Ihr mir die Huld verleiht, die mich beglückt,
Warum versöhnt ihr nicht den Streit der Meinung
Und gebt dem Glauben seinen Wert: die Freiheit,
Euch selbst befreiend so zu voller Macht?
RUDOLF.
Zu voller Macht? Die Macht ists, was sie wollen.
Mag sein, daß diese Spaltung im Beginn
Nur mißverstandne Satzungen des Glaubens,
Jetzt hat sie gierig in sich eingesogen,
Was Unerlaubtes sonst die Welt bewegt.
Der Reichsfürst will sich lösen von dem Reich,
Dann kommt der Adel und bekämpft die Fürsten;
Den gibt die Not, die Tochter der Verschwendung
Drauf in des Bürgers Hand, des Krämers, Mäklers,
Der allen Wert abwägt nach Goldgewicht.
Der dehnt sich breit und hört mit Spotteslächeln
Von Toren reden, die man Helden nennt,
Von Weisen, die nicht klug für eignen Säckel,
Von allem, was nicht nützt und Zinsen trägt.
Bis endlich aus der untersten der Tiefen
Ein Scheusal aufsteigt, gräßlich anzusehn,
Mit breiten Schultern, weitgespaltnem Mund,
Nach allem lüstern und durch nichts zu füllen.
Das ist die Hefe, die den Tag gewinnt,
Nur um den Tag am Abend zu verlieren,
Angrenzend an das Geist- und Willenlose.
Der ruft: Auch mir mein Teil, vielmehr das Ganze!
Sind wir die Mehrzahl doch, die Stärkern doch,
Sind Menschen so wie ihr, uns unser Recht!
Des Menschen Recht heißt hungern, Freund, und leiden,
Eh noch ein Acker war, der frommer Pflege
Die Frucht vereint, den Vorrat für das Jahr,
Als noch das wilde Tier, ein Brudermörder,
Den Menschen schlachtete, der waffenlos,
Als noch der Winter und des Hungers Zahn
Alljährlich Ernte hielt von Menschenleben.
Begehrst ein Recht du als ursprünglich erstes,
[393] So kehr zum Zustand wieder, der der erste.
Gott aber hat die Ordnung eingesetzt,
Von da an ward es licht, das Tier ward Mensch.
Ich sage dir: nicht Skythen und Chazaren,
Die einst den Glanz getilgt der alten Welt,
Bedrohen unsre Zeit, nicht fremde Völker:
Aus eignem Schoß ringt los sich der Barbar,
Der, wenn erst ohne Zügel, alles Große,
Die Kunst, die Wissenschaft, den Staat, die Kirche
Herabstürzt von der Höhe, die sie schützt,
Zur Oberfläche eigener Gemeinheit,
Bis alles gleich, ei ja, weil alles niedrig.

Er setzt sich.
JULIUS.
Ihr schätzt die Zukunft richtig ab, das Ganze,
Doch drängt das Einzelne, die Gegenwart.
RUDOLF.
Mein Haus wird bleiben, immerdar, ich weiß.
Weil es mit eitler Menschenklugheit nicht
Dem Neuen vorgeht oder es begleitet,
Nein, weil es einig mit dem Geist des All,
Durch Klug und scheinbar Unklug, rasch und zögernd,
Den Gang nachahmt der ewigen Natur,
Und in dem Mittelpunkt der eignen Schwerkraft
Der Rückkehr harrt der Geister, welche schweifen.
JULIUS.
Doch eure Brüder denken nicht wie ihr.
RUDOLF.
Mein Bruder ist nicht schlimm, obgleich nicht klug.
Ich geb ihm Spielraum, er begehrt zu spielen.
JULIUS.
Wars Spiel? daß eigner Macht er schloß den Frieden,
Ists Spiel? daß er den Herren spielt im Land?
RUDOLF.
Du spielst mit Worten, wie er mit der Macht.
JULIUS.
Man sagt, der Türke hab ihm angeboten
Die Krone Ungarns.
RUDOLF.
Sagt! Die Krone Ungarns.
Der Türke hat das Land. Was soll das Zeichen?
JULIUS.
Die Protestanten – Herr, ich bin ein Protestant,
Doch nur im Glauben, nicht in Widersetzung –
Sie haben ihm als Preis der Glaubensübung
Beistand geschworen wider männiglich.
RUDOLF.
Mein Bruder ist katholischer als ich.
[394] Er ists aus Furcht, indes ichs nur aus Ehrfurcht.
Die Glaubensfreiheit stünde gut mit ihm!
JULIUS.
So nützt er sie, um später sie zu täuschen.
Die Wirkung bleibt die nämliche für jetzt.
In Mähren greift die Regung schon um sich
Und fremde Truppen ziehen durch die Städte.
RUDOLF.
Das ist der Tilly, den ich hingesandt –
Ich bin so blind nicht, als ihr etwa glaubt –
Der hält das Land in Zaum.
JULIUS.
Es sind die Völker
Aus eures Bruders ungarischem Heer.
In Böhmen selbst –
RUDOLF.
Du weißt nicht, was du sprichst.
Die Böhmen sind ein starres Volk, doch treu.
JULIUS.
Vor allem treu stammalter Überzeugung.
Der Huß ist tot, doch neu regt sich sein Glaube.
In Prag hält man schon Rat und knüpft Vereine.
RUDOLF
gegen die Türe gewendet.
Und das verschweigt man mir?
JULIUS.
Verzeiht, o Herr!
Man will es euch gemeldet haben, doch –
RUDOLF.
Der eine sagt mir dies, der andre das,
Wie's ihm sein Vorteil eingibt, seine Meinung.
Arm sind wir Fürsten, wissen das Geheime,
Allein das Offenkundge, was der Bettler weiß,
Der Tagelöhner, bleibt uns ein Geheimnis.
Auch war so viel zu tun in letzter Zeit.
Der Schotte Dee war hier. Ein Mann der Wunder,
Der eindringt in die Urnacht des Geschaffnen
Und sie erhellt mit gottgegebnem Licht.
Ich habe viel gelernt in dieser Zeit.
Hätt ich gleich ihm nur einen mir zur Seite,
Ich stünde dieser Welt und ihrem Dräun.
JULIUS.
Ihr seid verraten, hoher Herr, verkauft.
Indes ihr lernt, lehrt ihr der Welt den Aufruhr,
Der schon entfesselt tobt in euern Städten.
RUDOLF.
Hast dus gesehn?
JULIUS.
Ich nicht.
[395]
RUDOLF.
So sprich auch nicht!
Ein jeder sieht ein andres, nein, sieht nichts
Und gibt den Rat, der nichtig schon von vornher.
JULIUS.
Ein Mann ist hier, er kommt von Brünn und Wien.
Er hat gesehn. Es ist derselbe, Herr,
Der euern Flüchtling rückgebracht! – Don Cäsar.
RUDOLF.
Bring ihn zu mir, den Mann! Ich will ihn sprechen.
Er hat geleistet mir den höchsten Dienst,
Der mir erwiesen ward seit langen Jahren.
JULIUS.
Er ist im Vorgemach.
RUDOLF.
Warum nicht hier?
Was zögert er? Warum nicht mir genüber?
Don Cäsar! Wie mein Innres sich empört!
Der freche Sohn der Zeit. – Die Zeit ist schlimm,
Die solche Kinder nährt, und braucht des Zügels.
Der Lenker findet sich, wohl auch der Zaum.

Herzog Julius hat indessen Lukrezias Vater eingeführt.
RUDOLF
ihm einige Schritte entgegengehend.
Ah, du, mein Ehrenmann!

Zurücktretend.

Bleibt immer dort!
Dort an der Tür. Ihr seid ein Bürger Prags?
PROKOP.
Ich bin es, Majestät.
RUDOLF.
Seit wann denn führen
Die Bürger Waffen?
PROKOP
auf den Dolch in seinem Gürtel blickend.
Herr, die böse Zeit
Gebeut zu rüsten sich.

Den Dolch mit der Scheide aus dem Gürtel ziehend, mit einer Bewegung nach der Türe.

Doch will ich –
RUDOLF.
Bleibt!
Ihr habt den Flüchtling, der sich Cäsar nennt,
Gestellt uns als Gefangenen zur Haft.
Wir danken euch und denken eure Tochter
Zu schützen gegen ihn; vorausgesetzt,
Daß sie nicht selbst, wie etwa Weiberart,
Ihn anfangs tändelnd angezogen –
[396]
PROKOP.
Nein!
RUDOLF.
Nun, ihr sprecht kurz. Ihr seid ein Protestant?
PROKOP.
Herr, Utraquist, des böhmschen Glaubens.
RUDOLF.
So!
Warum des böhmischen und nicht des deutschen?
Des welschen, griechisch, spanschen? – Arme Wahrheit!
Vergaß ich fast doch, daß es soviel Kirchen
Als Kirchenräume gibt und – Kirchhofgräber.
Nun gut. Vor Cäsar lebt nur künftig sicher,
Ich will ihn hüten wie des Auges Stern.
Und hört ihr einst, er sei zu Nacht gestorben,
So denkt nur: seine Krankheit hieß Verbrechen,
Und Strafe war sein Arzt. – Ihr kommt von Wien.
Ich weiß, was man dort treibt und halb ich dulde
Und halb ein Wink von meiner Hand zerstreut.
Doch lüstet michs zu hören, was ihr saht,
Ein einfach schlichter Mann.
PROKOP
gegen Herzog Julius.
Das von der Huldgung?

Zum Kaiser.

Ich war dabei in Wien, als beide Östreich
Im Landhaussaal geschworen euerm Bruder.
RUDOLF.
Geschworen als Erzherzog, nun, er ists.
PROKOP.
Umringt war er von ungrischen Magnaten,
Als er den Saal betrat, die laut und jubelnd
Ihn grüßten als des Ungarlandes König.
RUDOLF.
Das ist nicht wahr.
PROKOP
zu Herzog Julius.
So kann ich wieder gehn?
RUDOLF.
Wenn ich euchs heiße, früher nicht noch später.
Der Ungarn König? Nun: voraus bezeichnet,
Nachfolger etwa; ob auch das zur Zeit
Nicht sicher noch, abhängig von gar vielem.
In Mähren dann?
PROKOP.
Ich war in Brünn zugegen
Beim Einzug eures Bruders, wo er jubelnd,
Vor allem von den Dienern meines Glaubens,
Empfangen ward, ein Retter in der Not.
Die protestantschen Kirchen stehen offen;
Und ob er gleich sich letzter Zeit entfernt –
[397]
RUDOLF.
Entfernt? Wohin?
PROKOP.
Man weiß nicht, Herr, die Richtung.
RUDOLF
zu Herzog Julius.
Ich sage dir: er ging zurück nach Wien.
Ihm fehlt der Mut. Ich kenne diesen Menschen:
Zum Anfang rasch, doch zögernd kommts zur Tat.

Zu Prokop.

Ich danke dir, mein Freund, und weiß genug;
Der Aufstand ist am Schluß, wie dein Bericht.
PROKOP.
Obgleich sich der Erzherzog nun entfernt,
Blieb doch an seiner Stelle Bischof Klesel,
Der mit der Grenze meuterisch verkehrt.
RUDOLF.
Wie war das? Klesel? Ist er doch in Neustadt,
Wohin ich ihn gebannt, in seinem Sprengel.
PROKOP.
Er ist in Brünn, wo ich ihn selber sprach
Von wegen meines sicheren Geleits,
Und steht vor allen nahe dem Erzherzog.
RUDOLF
zu Herzog Julius.
Das wäre schlimm. Wenn jener listge Priester
Das, was dem andern fehlt, den Mut, die Tatkraft,
Ihm gösse in die unentschiedne Seele.
Das wäre schlimm, und denk ich fort und weiter,
Vergrößert sichs zu wirklicher Gefahr.

Zu Prokop.

Ich dank euch, guter Freund! Ihr seid entlassen,
Und euer Kind, es zähl auf meinen Schutz.

Da Prokop sich entfernt und die Türe offen steht.

He, Wolfgang! Wolfgang Rumpf!
WOLFGANG RUMPF
eintretend.
Hier, Majestät.
RUDOLF.
Bringt die Berichte dieser letzten Tage,
Und was an Briefen, in mein Kabinett.
Und will ich künftig ungestört mich wissen,
So hinderts nicht, daß, wenn das Haus in Flammen,
Ihr dennoch kommt und ansagt: Herr, es brennt.
HERZOG JULIUS
zu Rumpf halblaut.
Wars möglich denn?
RUMPF
ebenso.
Ihr wißt nicht, edler Herzog.
[398]
Der Kaiser drohten mit geschwungnem Dolch,
Wenn jemand nur ihn anzusprechen wagte.
RUDOLF.
Nun wohl, ihr habt das Zünglein an der Wage,
Das ich mit Sorge hielt im Gleichgewicht,
Ihr habt es rohen Drängens angestoßen,
Es schwankt und blutge Todeslose fallen
Aus beiden Schalen auf die bange Welt.
Leiht mir nicht eure Schuld; wenns etwa Schuld nicht,
Daß ich vertraut, ein schwacher Sterblicher, kein Gott.
Ruft mir den Kanzler!
RUMPF.
Herr, er ist schon hier
Und spricht im spanschen Saale zu den Ständen.
RUDOLF.
Die Stände, wie?
RUMPF.
Die gleicherweis erschienen,
Von des Gerüchtes Stimmen aufgeregt.

Zu Herzog Julius.

O Herr, o Herr! Wir wissens erst seit jetzt:
Des Herrn Erzherzoges Mathias Gnaden
Sind insgeheim von Brünn verrückt nach Tabor,
Von wo sie nun, durch Meuterer verstärkt,
Mit Heeresmacht heranziehn gegen Prag.
Die Stadt ist in Bewegung, Manifeste
Sind angeschlagen an den Straßenecken,
Die von des Kaisers Hoheit ehrfurchtslos –
RUDOLF.
Ich weiß den Inhalt dieser Manifeste:
Daß ich, ein alter Mann, an Willen schwach,
Entziehe mich dem Reich und seinen Sorgen;
Indes mich das Gespenst der blutgen Zukunft
Verfolgt bis in mein innerstes Gemach,
Und, nachts empor auf meinem Lager sitzend,
Der Trommel Ruf, des Schlachtenlärms Getos
Mir wachend schlägt ans Ohr, den Traum ergänzend.
Dazu noch das Bewußtsein, daß im Handeln,
Ob so nun oder so, der Zündstoff liegt,
Der diese Mine donnernd sprengt gen Himmel.
Ihr habt gehandelt, wohl! Das Tor geht auf
Und eine grasse Zeit hält ihren Einzug.
Was wollen sie, die Stände? Weiß man es?
[399]
RUMPF.
Sie tragen eine Handfest vor sich her,
Von Pergament gerollt, auf einem Kissen.
RUDOLF.
Es ist der Majestätsbrief, den sie früher
Mir vorgelegt, doch damals ich zurückwies,
Berechtigung zusichernd ihrem Glauben.

Bitter.

Die Zeit scheint ihnen günstig zum Vertrag.

Die Mütze abziehend, heftig.

Allmächtger Gott, der du mich eingesetzt,
Zu wahren deiner Ehre und der meinen,
Die Doppellast, sie spottet meiner Kraft,
Und nicht vermag ich fürder sie zu tragen.
Ich stelle dir zurück, was deines Reichs,
Bist du der Starke doch, und was du willst
Führst du zum Ziel durch unerforschte Wege.
Doch, was mein eignes Amt, daß diese Welt
Ein Spiegel sei, ein Abbild deiner Ordnung,
Daß Fried und Eintracht wohnen brüderlich,
Vom Unrecht ungestört und von Verrat,
Das will ich üben, stehst du, Gott, mir bei.

Er hat sein Barett wieder aufgesetzt.

Ich will hinüber zu den treuen Ständen;
Treu nämlich, wenn – und ehrenhaft, obgleich –
Anhänglich auch, jedoch – wahrhaft, nur daß –
Und wie die krummen Wege alle heißen,
Auf denen Selbstsucht geht und die Gemeinheit.

Er macht einige Schritte gegen die Türe, dann bleibt er stehen, mit dem Fuße stampfend.

Mich widerts an. Ich mag den Hohn nicht sehn,
Die Schadenfreude auf den frechen Stirnen.
Ruft sie herüber. Heißt das: einen Ausschuß,
Für alle führend insgesamt das Wort.
Erträglich ist der Mensch als einzelner,
Im Haufen steht die Tierwelt gar zu nah.
Was zögerst du? ruf sie herüber, sag ich.

Rumpf ab.

Nun, Herzog Julius, fühlt ihr noch die Kraft,
Das Schwert zu schwingen in der alten Rechte?
[400] Mich selbst befällt ein Hauch der Jugendzeit,
Und an der Spitze, denk ich, meiner Treuen
Hinauszuziehn, um Stirne gegen Stirn
Den Aufruhr zu befragen, was sein Ziel.
Nicht daß mich lockt die stolze Herrschermacht,
Und wüßt ich Schultern, die zum Tragen tüchtig,
Ich schüttelte sie ab als ekle Last,
Von da an erst ein Mensch und neu geboren.
Doch wenn es wahr, daß Gott die Kronen gibt,
Geziemt es Gott allein nur, sie zu nehmen,
Sie abzulegen, selbst, auch ziemt sich nicht.
Wo ist mein Degen? Wolfgang! Wolfgang Rumpf!
Er lehnt am Tisch, zunächst an meinem Bette.

Da Herzog Julius auf das Kabinett zugeht.

Herr, ihr bemüht euch selbst? Habt Dank, o Lieber!

Herzog Julius ins Kabinett ab.
RUDOLF
gegen den Haupteingang gewendet.
Hört mich denn niemand? Sind sie schon geflohn,
Vom Niedergang gewendet zu dem Aufgang?
Das soll sich ändern, ja es soll, es muß.

Herzog Julius kommt zurück.
RUDOLF.
Ihr bringt den Mantel auch? Habt ihr doch recht,
Die Welt verlangt den Schein. Wir beide nur,
Wir tragen innerhalb des Kleids den Orden.

Nachdem er mit Herzog Julius Hilfe den Mantel umgehängt.

Den Degen legt nur hin! Ist doch das Eisen
Fast wie der Mensch. Geschaffen, um zu nützen,
Wird es zur schneidgen Wehr und trennt und spaltet
Die schöne Welt und aller Wesen Einklang.
Ich höre kommen. Nun, wir sind bereit,
Und frommt die Milde nicht, so hilft das Schwert.

Der Kaiser setzt sich. Mehrere böhmische Stände treten ein. Vor ihnen ein Page, der auf einem samtenen Kissen eine Pergamentrolle trägt.
RUDOLF.
Fragt sie, was ihr Begehr?

Da einer vortritt.
RUDOLF.
Nicht ihr, Graf Thurn!
Ihr seid kein Eingeborner, seid kein Böhme,
Die Lust an Unruh hat euch hergeführt.
Laßt einen andern, laßt den nächsten sprechen.
[401]
ZWEITER
vortretend.
Erlauchter Herr und König, gnädger Kaiser,
Euch ist bekannt, was sich im Land begibt
Und in dem Nachbarland an seinen Grenzen.
Bewaffnet ziehen Scharen gegen Prag,
Und eurer Hoheit Bruder heißt ihr Führer.
Da ist das Volk nun mannigfach bewegt:
Die einen wittern heimlich Einverständnis
Mit eurer Majestät betrauten Räten
Und meinen, wenn das fremde Heer im Land,
Werd es die Schneide kehren gegen uns,
Zum Umsturz unsrer Satzungen und Rechte.
RUDOLF
vor sich hin sprechend.
Sehr heimlich wär das Einverständnis, wahrlich.
DER WORTFÜHRER.
Die andern wieder werden angelockt
Von dem, was ihnen anbeut die Empörung:
Freiheit der Meinung und der Glaubensübung,
Was jedem Menschen teurer als sein Selbst.
Nicht wir nur sinds, die diese Sprache führen,
Allein das Volk –
RUDOLF.
Das Volk! Ei ja, das Volk!
Habt ihr das Volk bedacht, wenn ihr die Zehnten,
Das Herrenrecht, von ihnen eingetrieben?
Das Volk! Das sind die vielen leeren Nullen,
Die gern sich beisetzt, wer sich fühlt als Zahl,
Doch wegstreicht, kommts zum Teilen in der Rechnung.
Sagt lieber, daß ihr selbst ergreift den Anlaß,
Mir abzuzwingen, was ich euch verweigert
Und jetzt auch weigern würde, stünde gleich
Ein Mörder mit gehobnem Dolch vor mir.
Doch handelt sichs von mir nicht jetzt, noch euch,
Vielmehr von dem, was sein muß und geschehn,
Soll nicht der Grundbau jener weisen Fügung,
Die Gott gesetzt und die man nennt den Staat,
Im wilden Taumel auseinandergehn.
Ich sehs an jener Schrift. Es ist die gleiche,
Wie sie seit Monden liegt in meinem Zimmer,
Gleichstellung fordernd für den neuen Glauben.
[402] Was ihr hier bittet, beut euch an der Aufruhr.
Vor Irrtum kann ich länger euch nicht wahren,
Aufruhr ersparen aber kann ich euch.
Seid ihr zufrieden, wenn ich euch verspreche,
Sobald gestillt die Unruh in dem Land,
Frei zu bewilligen, was ihr begehrt?
Ihr schweigt. Mißtraut ihr mir?
ABGEORDNETER.
Nicht euch, Herr Kaiser,
Dem Einfluß aber von Madrid und Rom.
RUDOLF.
Hätt ich gehört auf das, was dorther tönt,
Wär längst getilgt die Lehre samt den Schülern,
Und in Verbannung geiferte der Trotz.
Ich aber duldete mit Vatermilde,
Die Überzeugung ehrend selbst im Irrtum.
Verfolgt ward niemand wegen seiner Meinung;
Im Heer, im Rate sitzen eure Jünger,

Auf Herzog Julius zeigend.

Selbst hier mein Freund ist euch ein Lehrgenoß.
Geduldet hab ich, aber nicht gebilligt,
Bestätgen wäre billigen zugleich.
Zuckt ihr die Schulter? Nun, ihr meint, das Messer
Sitzt eben an der Kehle, und habt recht.
Will ich vergessen nicht mein weltlich Amt,
Muß ich dem Himmel überlassen seines.
Gebt her die Schrift! Sie ist wohl gleichen Inhalts
Mit jener frühern; doch da ihr mißtraut,
Ziemt Mißtraun wohl auch mir. Gebt eure Schrift!

Die Rolle, die der Page ihm knieend darbietet, vom Kissen nehmend.

Ists doch, als ginge wild verzehrend Feuer
Aus dieser Rolle, das die Welt entzündet
Und jede Zukunft, bis des Himmels Quellen
Mit neuer Sündflut bändigen die Glut,
Und Pöbelherrschaft heißt die Überschwemmung.

Die Schrift entfaltend und lesend.

Der Eingang, wie gewöhnlich, leere Formel.
Von Treu, Anhänglichkeit – wohl Liebe gar!
Drum fordert ihr auch meiner Neigung Pfänder.

[403] Ein Hofdiener ist unmittelbar aus der Türe links gekommen und hat sich Wolfgang Rumpf genähert, der dem Kaiser gegenüber im Vorgrunde steht.
DIENER
leise.
Erzherzog Leopold aus Steiermark
Sind angekommen, heimlich, unerkannt,
Und wünschen augenblickliches Gehör.
RUMPF
ebenso.
Es ist nicht möglich jetzt.
DIENER.
Sie dringen sehr.

Da Wolfgang Rumpf einige Schritte gegen den Kaiser macht.
RUDOLF.
Was solls? Jetzt ist nicht Zeit. – Was immer. Später!

Rumpf zieht sich zurück und bedeutet dem Diener durch Zeichen, der sich entfernt.
RUDOLF
weiterlesend.
Hier ist ein Punkt, der neu. Der muß hinweg.
Gehorsam zu verweigern gibt er euch
Das ausgesprochene Recht, wird irgendwie
Geordnet, was entgegen eurer Satzung.
Das ist der Aufruhr, ständig, als Gesetz.
Bedenkt ihr auch das Beispiel, das ihr gebt?
Ich nicht allein bin Herr, auch ihr seid Herren,
Habt Untertanen, die in eurer Pflicht;
Wenn ihr mir trotzt, so drohen sie euch wieder.
Erst gebt dem einzelnen, dem Unverständgen
Ein Urteil ihr in dem, wo selbst die Weisen
Verstummend stehn als an der Weisheit Grenze;
Dann ruft ihr ihn vom Acker auf den Markt,
Zählt seine Stimme mit und heißt ihn mehren
Die Mehrzahl wider Ehrfurcht und Gesetz.
Ihr stellt ihn gleich mit euch und hofft doch, künftig
Als Mindern ihn zu stellen unter euch?
Und wärt ihr auch so christlich mild gesinnt,
Im Menschen nur zu sehen euern Bruder:
Seht an die Welt, die sichtbar offenkundge,
Wie Berg und Tal und Fluß und Wiese stehn.
Die Höhen, selber kahl, ziehn an die Wolken
Und senden sie als Regen in das Tal,
Der Wald hält ab den zehrend wilden Sturm,
Die Quelle trägt nicht Frucht, doch nährt sie Früchte,
Und aus dem Wechselspiel von hoch und niedrig,
Von Frucht und Schutz erzeugt sich dieses Ganze,
[404] Des Grund und Recht in dem liegt, daß es ist.
Zieht nicht vor das Gericht die heilgen Bande,
Die unbewußt, zugleich mit der Geburt,
Erweislos, weil sie selber der Erweis,
Verknüpfen, was das Klügeln feindlich trennt.
Du ehrst den Vater – aber er ist hart;
Du liebst die Mutter – die beschränkt und schwach,
Der Bruder ist der nächste dir der Menschen,
Wie sehr entfernt in Worten und in Tat;
Und wenn das Herz dich zu dem Weibe zieht,
So fragst du nicht, ob sie der Frauen Erste,
Das Mal auf ihrem Hals wird dir zum Reiz,
Ein Fehler ihrer Zunge scheint Musik,
Und das: ich weiß nicht was, das dich entzückt,
Ist ein: ich weiß nicht was für alle andern;
Du liebst, du hoffst, du glaubst. Ist doch der Glaube
Nur das Gefühl der Eintracht mit dir selbst,
Das Zeugnis, daß du Mensch nach beiden Seiten:
Als einzeln schwach, und stark als Teil des All.
Daß deine Väter glaubten, was du selbst,
Und deine Kinder künftig treten gleiche Pfade,
Das ist die Brücke, die aus Menschenherzen
Den unerforschten Abgrund überbaut,
Von dem kein Senkblei noch erforscht die Tiefe.
O, prüfe nicht die Stützen, beßre nicht!
Dein Menschenwerk zerstört den geistgen Halt,
Und deine Enkel lachen einst der Trümmer
In denen deine Weisheit modernd liegt.
Ist eure Satzung wahr, wird sie bestehn,
Und wie das Bäumchen, das vom Stein gedrückt,
Die Zweige breitet, siegend ob der Last;
Allein wenn falsch, so wißt, daß seine Wurzeln
Auflockern all, was fest und alt und sicher.
Der Zweifel zeugt den Zweifel an sich selbst,
Und einmal Ehrfurcht in sich selbst gespalten,
Lebt sie als Ehrsucht nur noch und als Furcht.
Maßt euch nicht an, zu deuteln Gottes Wahrheit.
ABGEORDNETER.
Wir baun auf festen Boden, auf die Schrift.
[405]
RUDOLF.
Die Schrift?

Rasch unterschreibend.

Hier meine Unterschrift. Da ihr
Den toten Zügen einer toten Hand
Mehr traut als dem lebendig warmen Wort,
Das von dem Mund der Liebe fortgepflanzt,
Empfangen wird vom liebedurstgen Ohr,
Hier schwarz auf weiß. – Und nun noch Blut als Siegel.
Blut ist das rote Wachs, das jede Lüge
Zur Wahrheit stempelt; wenn von Volk zu Volk,
Warum nicht auch von Fürst zu Untertan?
Und nun hinaus, beweisen mit dem Schwert,
Was nur der Geist dem Geiste soll beweisen.
Des Reiches Ehre soll und muß bestehn.
Und ist das Tor dem Unheil nun geöffnet,
Ist Mord und Brand geschleudert in die Welt,
Dann denkt einst spät, wenn längst ich modre:
Wir waren auch dabei und haben es gewollt.

Ein ferner Kanonenschuß.
RUDOLF
zusammenfahrend.
Was ist? – Mein Geist ist stark, mein Leib nur zittert.

Zu einem Diener, der eingetreten ist und sich Rumpf genähert hat.

Was solls?
DIENER.
Man hat den Wall am Wischehrad besetzt
Und schießt auf Truppen, die der Stadt sich nahn.
RUDOLF.
Man soll nicht schießen!

Neuer Kanonenschuß.
RUDOLF
mit dem Fuße stampfend.
Soll nicht, sag ich euch!
DIE STÄNDE
die Schwerter ziehend.
Mit Gut und Blut für unsern Herrn und Kaiser!
RUDOLF.
Da stehts vor mir! Der Mord, der Bürgerkrieg.
Was ich vermieden all mein Leben lang,
Es tritt vor mich am Ende meiner Tage.
Es soll, es darf nicht. Steckt die Schwerter ein,
Vertragt euch mit dem Feind! Und diese Handfest,
Die ihr als Preis des Beistands abgetrotzt,
Sei euch geschenkt. – Ihr selbst, Herr Kanzler, seht,
[406] Was sie begehren draußen vor der Stadt.
Ist es mein Bruder doch, bestimmt, zu herrschen,
Wenn mich der Tod, ich hoffe bald, hinwegrafft.
Er übe sich vorläufig in der Kunst,
Der undankbaren, ewig unerreichten,
In der, verkehrt, was sonst den Menschen adelt:
Erst der Erfolg des Wollens Wert bestimmt,
Der reinste Wille wertlos – wenn erfolglos.
In Böhmen aber will ich ruhig sitzen
Und harren, bis der Herr mich zu sich ruft.

Mit einer Entlassungsbewegung gegen die Stände.

Mit Gott, ihr Herrn!

Die Stände entfernen sich.

Und ihr, Herr Kanzler, eilt!

Alle, bis auf Herzog Julius und den Kaiser, ab.
RUDOLF.
So sind wir denn allein. – Ein wüstes Wort.
Du tadelst mich, mein Freund?
JULIUS.
Herr, ich verehr euch.
RUDOLF.
Ich bin so gut nicht, als es etwa scheint –
Die andern nennens schwach, ich nenn es gut.
Denn was Entschlossenheit den Männern heißt des Staats
Ist meistenfalls Gewissenlosigkeit,
Hochmut und Leichtsinn, der allein nur sich
Und nicht das Schicksal hat im Aug der andern;
Indes der gute Mann auf hoher Stelle
Erzittert vor den Folgen seiner Tat,
Die, als die Wirkung eines Federstrichs,
Glück oder Unglück forterbt späten Enkeln.
Ich aber bin so gut nicht, als du glaubst.
In diesen Adern sträubt sich noch der Herrscher,
Und Zorn und Rachsucht glüht in meiner Brust.
Zu züchtigen, die sich an mir vergessen,
Die schwach mich nennen, schwächer weit als ich;
Die alte Brust zu schnüren noch in Erz
Und in dem Glanz verletzter Majestät
Genüber mich zu stellen den Verrätern,
Ob sich ihr Aug empor zu meinem wagt.
Und war ein Funke Glut in diesen Männern,
[407] Die sich Vertreter nennen eines Volks,
War irgend etwas nur in ihrem Blick,
Das mehr als Eigennutz und Schadenfreude,
Ich stünde jetzt mit ihnen drauß im Feld
Und tötete mit Blicken den Verrat.

Die Seitentüre links öffnet sich, Erzherzog Leopold, in einen dunkeln Mantel gehüllt, tritt heraus.
RUDOLF.
Siehst du, da kommt er, der Versucher, da!
Mein Sohn, mein Leopold! – Und doch, hinweg!
Er steht im Bund mit meines Herzens Wünschen.
Er wird mir sagen, daß ja noch ein Heer
In Passau steht, zu meinem Dienst geworben:
Daß Rache süß und daß der Kampf gerecht.
Mein Sohn, es ist zu spät! Ich darf nicht, will nicht.
Sie nennen schwach mich, und ich bins zum Kampf,
Allein zum Fliehen reichen noch die Kräfte.
Versucher, fort! Ob hundertmal mein Sohn.

Er eilt ins Kabinett rechts.
ERZHERZOG LEOPOLD
der den Mantel abgeworfen.
Mein Oheim und mein Herr!

An der Türe des Kabinetts.

Verschließt ihr euch?
HERZOG JULIUS
zu Rumpf.
Geht ihr und weilet draußen vor der Tür.
Damit kein Unberufner störend nahe.

Rumpf geht hinaus.
LEOPOLD.
So komm ich her spornstreichs auf Seitenwegen,
Verborgen, unerkannt, und bring euch Hilfe,
Und ihr verschließt die Pforte mir, das Herz?
Ja denn, noch ist ein Kriegsheer euch bereit,
Mit Müh halt ichs in Passau nur zurück.
Ein Wort von euch und tausend Schwerter flammen
Zu euerm Schutz, zum Schutz der Majestät.
Doch wenn ihr auch den Retterarm verschmäht,
Stoßt nicht zurück das Herz, die Kindestreue.
Laßt mich, das Haupt gelehnt an diese Pfosten,
Nicht glauben, eure Brust sei hart wie sie. –
Die Türe wird bewegt – sie öffnet sich – Mein Vater!

Er stürzt in das Kabinett, dessen Türe sich hinter ihm schließt.
[408]
JULIUS
mit gefalteten Händen.
O, daß nun nicht der Groll, gekränkte Würde
Und die Empfindung, die, wenn aufgeregt,
Gern übergeht in jegliches Empfinden:
Von hart zu weich, von Innigkeit zu Zorn,
Ihn hinreißt, einzuwillgen in das Schlimmste:
Zu handeln, da's zu spät.
RUMPF
zur Türe hereinsprechend.
Herr Bischof Klesel.
JULIUS.
Nicht jetzt, nur jetzo nicht!
RUMPF.
Sie lassen sich
Abweisen nicht.
KLESEL
eintretend.
Nein, wahrlich, in der Tat.
JULIUS
ihm entgegentretend, mit gedämpfter Stimme.
Ihr wagt es, Herr, hier in denselben Räumen,
Die euer Rat mit Zwietracht angefüllt –
KLESEL.
Ich komme her im Auftrag meines Herrn.
JULIUS.
Wollt ihr den Kaiser zwingen, euch zu sprechen?
KLESEL.
Da sei Gott für! Gemeldet will ich werden,
So heißt mein Auftrag und, wenn abgewiesen,
Kehr ich zurück. Doch melden muß man mich.

Er setzt sich links im Vorgrunde.
JULIUS.
Ich bitt euch, Herr, sprecht leise.
KLESEL.
Und warum?
JULIUS.
Glaubt ihr denn nicht, die Stimme schon des Mannes,
Der ihm, er glaubts, so Schlimmes zugefügt,
Muß in des Kaisers Brust, jetzt, wo Entschlüsse
Hart mit Entschlüssen kämpfen, Scham und Zorn –
KLESEL.
Jetzt ist nicht von Entschlüssen mehr die Rede,
Notwendigkeit ist da und sie schließt ab.

In des Kaisers Kabinett wird geklingelt.
JULIUS.
Es ist geschehn! Nun wahre Gott der Folgen!

Wolfgang Rumpf geht ins Kabinett.
JULIUS.
Und war kein anderer als ihr zu finden
Zu solcher Botschaft, die fast klingt wie Hohn?
KLESEL.
Vielleicht, weil ich allein kein Schranz und Höfling,
Gewohnt, zu sagen gradaus, was gemeint.
JULIUS.
Die Derbheit ist nicht immer Redlichkeit.
KLESEL.
So ist sie denn Arznei, die, schon als bitter,
[409] Den langverwöhnten Magen stärkt und heilt;
Und Heilung war gemeint mit diesem Umschwung,
Man wirds zuletzt erkennen, hört man mich.
Wer den Ertrinkenden erfaßt am Haar,
Er hat gerettet ihn und nicht beleidigt.

Rumpf kommt aus dem Kabinette zurück.
RUMPF.
Der Kaiser ist ergrimmt, er heißt euch gehn,
Von seinem Antlitz fern der Strafe harren.
Der nächste Augenblick droht euch Gefahr.
KLESEL.
Ich gehe denn. Den Frieden wollt ich bringen.
Wählt man den Haß, so suche man nach Macht.
Die Strafe, die man droht, sie liegt so fern,
Wir freuen uns indessen an dem Lohn.

Er geht.
JULIUS.
Es werden Stimmen laut im Kabinett.
Geht ihr hinein, versucht es, sie zu stören.
Ich fürchte dies Gespräch und seine Folgen.

Erzherzog Leopold kommt aus dem Kabinette, in das sogleich Rumpf hineingeht.
LEOPOLD
einen Zettel in die Höhe haltend.
Ich habs, ich habs!

Aus der Seitentüre links tritt Oberst Ramee heraus.
LEOPOLD.
Ramee, und nun die Pferde!

Er nimmt seinen Mantel auf.

Nichts teurer ist hierlands als der Entschluß,
Man muß ihn warm verzehren, eh er kalt wird.
RUMPFS STIMME
im Kabinett.
Erzherzogliche Hoheit!
JULIUS
sich Leopolden nähernd.
Gnädger Herr!
LEOPOLD.
Schon kommt die Reue, dünkt mich, laß uns gehn!

Erzherzog Leopold und Ramee durch die Seitentüre links ab.
RUMPF
aus dem Kabinett kommend.
Der Kaiser will noch einmal mit euch sprechen,
Es ist noch eins zu sagen.
JULIUS.
Er ist fort.
RUMPF.
Der Herr ist sein kaum mächtig, schlägt die Brust.
JULIUS.
Ich will ihm nach! Gibt Flügel die Gefahr,
So flieg ich, statt zu gehn; denn das Verderben,
Es steht vor mir in gräßlicher Gestalt.

Er folgt dem Erzherzog durch die Seitentüre links.
[410]
RUMPF
sich dem Kabinett nähernd.
Man bringt ihn noch zurück. – Der Herzog selber. –
Eh er sein Pferd besteigt, ereilt man ihn.

Er geht ins Kabinett.
Der Kleinseitner Ring in Prag. Volk füllt mannigfach bewegt den Hintergrund.
Die drei Wortführer der Stände kommen von der linken Seite.
GRAF THURN.
Laßt uns hinaus, begrüßen den Erzherzog.
Der Magistrat der Altstadt rüstet sich,
Entgegen ihm zu gehn. Kommt, laßt uns mit,
Ist er ja doch der Retter, der Befreier.
SCHLICK.
Nur, fürcht ich, wuchert fort in ihm der alte Same,
Zur Macht gelangt, wirft er die Maske weg.
THURN.
Für neues Drängen gibt es neue Mittel,
Und sag ich: neue, mein ich nur die alten.
Der leise Widerstand stumpft jeden Stachel,
Und streiten sie um unsre Krone sich,
Verarmen wie im Rechtsstreit beide Teile,
Reich werden Richter nur und Anwalt, wir.

In die Szene zeigend.

Dort drängt sich Bischof Klesel durch das Volk,
Verehren wir die Sonne, die im Aufgang.
SCHLICK.
Freund, er ist schlau.
THURN.
Ich bins nicht minder, Freund!

Sie mischen sich unter das Volk, das, von vorne abgewendet, des feierlichen Aufzuges harrend, sich nach dem Hintergrunde drängt.
Erzherzog Leopold und Oberst Ramee, in Mäntel gehüllt, kommen links im Vorgrunde. Herzog Julius folgt ihnen.
JULIUS.
Ich laß euch nicht. Ihr müßt zurück zum Kaiser.
LEOPOLD.
Ich habe schriftlich seinen hohen Willen,
Nun ists an mir, ihn treulich zu vollziehn.
JULIUS.
Kommt ihr ins Land mit fremdgeworbnen Truppen,
So gärt der Aufruhr neu, des Kaisers Gegner
Benützen es zu seinem Untergang.
Es ist zu spät.
LEOPOLD.
Und früher wars zu früh.
Wann ist die rechte Zeit?
[411]
JULIUS
ihn anfassend.
Ich laß euch nicht.
So faß ich euch und flehe: kehrt zurück!
LEOPOLD
den Mantel abstreifend, der in Herzog Julius Hand zurückbleibt.
Wie Joseph denn im Hause Potiphar
Laß ich den Mantel euch, mich selber nicht.
RAMEE
auf das Volk zeigend.
Herr, wenn man euch erkennt.
LEOPOLD.
Man soll mich kennen.

Mit starken Schritten nach rechts abgehend.

Halt ihn zurück!

Ramee tritt zwischen beide.
JULIUS.
Nun denn, es ist geschehn.

Den Mantel fallenlassend.

Die Hülle liegt am Boden. Das Verhüllte
Geht offen seinen Weg als Untergang.

Unterdessen hat im Hintergrunde der Zug des Magistrats mit Panieren und Traghimmel fortgesetzt.
VOLK.
Vivat Mathias! Hoch der Magistrat.

Indem Herzog Julius, die Augen mit der Hand verhüllend, sich schmerzlich abwendet, fällt der Vorhang.

4. Akt

[412] Vierter Aufzug

Die Kleinseite in Prag, wie zu Anfang des ersten Aufzuges. Die Sturmglocke wird gezogen. Man hört schießen.
Bürger treten fliehend auf.

EIN BÜRGER.
Flieht, Nachbar, flieht! 's ist das Passauer Kriegsvolk.
Der Kaiser hat sie in das Land gerufen,
Erzherzog Leopold, sein Neffe, führt sie.
PROKOP
aus seinem Hause tretend.
Was ist? Was solls?
BÜRGER.
Ihr wißt ja: die Passauer.
PROKOP.
Doch ist die Stadt bewahrt.
BÜRGER.
Man hat die Pforte
Geöffnet ihnen oben am Hradschin,
Und nun ergießt der Trupp sich durch die Straßen.
PROKOP
sein Schwert ziehend.
So greift zur Wehr!
BÜRGER.
Dort, seht ihr? kommt ein Trupp.
PROKOP.
Schließt euch und haltet aus! Ist doch die Stadt
Von Männern voll. Tut jeder seine Pflicht,
So lehren wir den Räubern wohl die Reue.

Gegen sein Haus gewendet.

Dich, Kind, indes befehl ich Gottes Hut.
Der ist kein Bürger, der die eigne Sorge
Vergißt nicht in der Not des Allgemeinen.
Zieht euch zu jener Ecke, sie gibt Schutz,
Und gehn sie vor, so fallt in ihre Seiten.

Sie ziehen sich zurück.
Oberst Ramee tritt auf mit Soldaten.
RAMEE
zu einigen, die ihre Gewehre anschlagen.
Halt ein mit Schießen! Es erweckt die Schläfer.
Wir überfallen sie, und ohne Blut,
So will es der Erzherzog, sind wir Sieger.
Drängt nicht zu scharf! Denn rasch in ihrem Rücken
Eilt eine Reiterschar der Moldau zu,
Besetzt die Brücke, dringt ins offne Tor;
Die Altstadt unser, sind wir Herrn von Prag.

Trompeten in weiter Ferne.
[413]
RAMEE.
Die Brücke ist genommen. Jetzt auf sie!

Mit den Soldaten nach der rechten Seite ab. Man hört Lärm des Gefechts Don Cäsar im Wams, ohne Hut, kommt, von einigen Soldaten umgeben.
CÄSAR.
Ich dank euch, Freunde, daß ihr mich entledigt
Der bittern Haft, in der mich hielt die Willkür,
Um jener wegen, die dort oben wacht.

Auf Prokops Haus zeigend, in dessen oberm Geschoß ein Licht brennt.

Ich will mit euch, will kämpfen, fechten, sterben,
Gleichviel, für wen und gleichviel, gegen wen;
Den, der mich tötet, nenn ich meinen Freund.
Doch vorher noch ein Wörtchen oder zwei
Mit ihr, die mich verdarb.

Da einige sich der Türe nähern.

Halt, kein Geräusch!
Ich kenne die Gelegenheit des Hauses,
Aus frührer Zeit. Dort rückwärts an der Mauer
Ist noch ein Pförtchen, das ins Innre führt,
Von wo zwei Treppen nach der Gartenseite
Zum Söller steigen nächst an ihr Gemach.
Dort seis versucht, und ihr bewahrt den Eingang!

Sie verlieren sich hinter dem Hause.
Zimmer in Prokops Hause. An der linken Seite ein
Fenster. Gegenüber eine Tür. Im Hintergrunde zwei andere, worunter eine Glastüre, die nach dem Söller führt.
LUKREZIA
tritt aus der Seitentüre links.
Es kommt der Tag, allein mein Vater nicht.
Ich hörte schießen, schrein, Geklirr der Waffen,
Und er verläßt sein Kind in dieser Not.
O, daß die Männer nur ins Weite streben!
Sie nennens Staat, das allgemeine Beste,
Was doch ein Trachten nach dem Fernen nur.
Gibts denn ein Bestes, das nicht auch ein Nächstes?
Mein Herz sagt nein, nächstpochend an die Brust.

Ans Fenster tretend.

Nun ist es ruhig, und der graue Schein
Vom Ziskaberg verkündet schon die Sonne.

Rasch umgewendet.

Hör ich Geräusch und kehrt mein Vater heim?

[414] Die Glastüre des Söllers öffnet sich und Don Cäsar tritt ein.
DON CÄSAR.
Viel Glück ins Haus!
LUKREZIA.
O Gott, so schaut das Unglück!
DON CÄSAR.
Erschreckt nicht, holde Maid! Ich bin es selbst;
Und bins auch nicht. Die Asche nur des Feuers,
Das einst für euch geglüht, ihr wißt, wie heiß;
Der Schatten nur des Wesens, das ich war.
Und selbst der letzte Schimmer dieses Daseins,
Der noch ins Dunkel strahlt, das Leben heißt,
Kommt zu verlöschen mir in dieser Nacht.
Ich geh in Kampf und weiß, ich werde fallen,
Die Ahnung trügt nicht, wenn vom Wunsch erzeugt.
Was soll ich auch in dieser wüsten Welt,
Ein Zerrbild zwischen Niedrigkeit und Größe;
Verleugnet von dem Manne, der mein Vater,
Mißachtet von dem Weib, das ich geliebt. –
Erzittert nicht! Davon ist nicht die Rede.
Die Leidenschaften und die heißen Wünsche,
Die mich bewegt, sie liegen hinter mir,
Ich habe sie begraben, eingesargt.
Was ist es auch: ein Weib? Halb Spiel, halb Tücke,
Ein Etwas, das ein Etwas und ein Nichts,
Je demnach ich mirs denke, ich, nur ich.
Und Recht und Unrecht, Wesen, Wirklichkeit,
Das ganze Spiel der buntbewegten Welt,
Liegt eingehüllt in des Gehirnes Räumen,
Das sie erzeugt und aufhebt, wie es will.
Ich plagte mich mit wirren Glaubenszweifeln,
Ich pochte forschend an des Fremden Tür,
Gelesen hab ich und gehört, verglichen,
Und fand sie beide haltlos, beide leer.
Vertilgt die Bilder solchen Schattenspiels,
Blieb nur das Licht zurück, des Gauklers Lampe,
Das sie als Wesen an die Wände malt,
Als einzge Leidenschaft der Wunsch: zu wissen.
Laßt mich erkennen euch, nur deshalb kam ich;
Zu wissen, was ihr seid, nicht, was ihr scheint.
[415] Denn wie's nur eine Tugend gibt: die Wahrheit,
Gibts auch ein Laster nur: die Heuchelei.
LUKREZIA.
Mir aber dünkt, der Heuchler, wie ihrs nennt,
Zeigt mindstens Ehrfurcht vor dem Heilgen, Großen,
Das eure Wahrheit leugnet, wenn sies schmäht.
DON CÄSAR.
So seid ihr Heuchlerin?
LUKREZIA.
Ich war es nie.
DON CÄSAR.
Ich fürchte doch: ein bißchen, holde Maid.
Als ich, nun lang, zum erstenmal euch sah,
Da schien mir alle Reinheit, Unschuld, Tugend
Vereint in eurem jungfräulichen Selbst;
Zeigt wieder euch mir also, laßt mich glauben!
Und wie der Mann, der abends schlafen geht,
Von eines holden Eindrucks Macht umfangen,
Er träumt davon die selig lange Nacht,
Und beim Erwachen tritt dasselbe Bild
Ihm mit dem Sonnenstrahl zugleich vors Auge.
So gebt mir euch, euch selber auf die Reise,
Von der zurück der Wandrer nimmer kehrt.
Kein Weib, ein Engel; nicht geliebt, verehrt.
LUKREZIA.
Wie ohne Grund ihr mich zu hoch gestellt,
So stellt ihr mich zu tief nun ohne Grund.
DON CÄSAR.
Nicht doch, nicht doch! – Ihr stießet mich zurück.
Ich mußt es dulden, manchen Fehls bewußt.
Doch seht, da war ein Mann, Belgioso hieß er,
Ein Heuchler und ein Schurk.
LUKREZIA.
Er war es nicht.
DON CÄSAR.
Verteidigt ihr ihn denn?
LUKREZIA.
Wer klagt ihn an?
DON CÄSAR.
Ich, der ich ihn gekannt. – Er hielt zu mir:
In all dem Treiben, das mit Recht man tadelt,
Im wilden Toben war er mein Genoß.
Doch ging er hin und zeigt' es heimlich an
Und brachte mich um meines Vaters Liebe.
LUKREZIA.
Der laute Ruf erspart' ihm diese Müh.
DON CÄSAR.
Die Welt hat Recht zum Tadel, nicht der Freund.
Doch plötzlich kehrt' er sichtlich mir den Rücken,
Zu gleicher Zeit betrat er euer Haus.
[416]
LUKREZIA.
Er war der Freund des Vaters, nicht der meine.
DON CÄSAR.
Als Freund des Vaters denn nahmt ihr ihn auf,
Doch als der eure, denk ich, kam er wieder,
War Mitbewohner fast in diesem Haus,
Bei Tag, bei Nacht.
LUKREZIA.
Zu Abend, wollt ihr sagen,
Im Beisein meines Vaters, anders nie.
DON CÄSAR.
Ich aber stand genüber auf der Straße,
Mit Reif und Schnee bedeckt, und sah empor
Zum Fenster, wo die Schatten Glücklicher
Wie Mücken flogen um den Strahl des Lichts.
Da endlich kam der Tag, der ihn bestrafte.
LUKREZIA.
Erinnert ihr mich noch an seinen Tod?
DON CÄSAR.
Nicht ich tats, noch geschahs um meinetwillen,
Das euch zu sagen kam zumeist ich her.
Feldmarschall Rußworm, zwar mein Freund und Lehrer,
Doch Täter seiner Taten er allein,
Im Streit, beim Spiel, was weiß ich? oder sonst,
Hat ihn besiegt in ehrlichem Gefecht,
Wie's Edelleute pflegen und Soldaten.
Und wißt ihr, welches Los ward meinem Freund?
Der Kaiser ließ auf offnem Marktplatz ihm
Das Haupt vom Rumpfe trennen, angesichts
Des ganzen Volks, beinah vor meinen Augen.
Gedenk ich jenes Tags, so gärts in mir
Und blutige Gedanken werden wach.
Stünd er vor mir, der heuchelnde Verräter,
Nicht damals tat ichs, aber jetzt geschähs:
Das Schwert bis an das Heft in seiner Brust,
Bezahlt' er mir die Schrecken jener Stunde.
LUKREZIA.
O Gott, wer rettet mich?
DON CÄSAR.
Seid nicht besorgt!
Mir ists, sagt' ich, um Wahrheit nur zu tun.
Glaubt nicht auch, daß mich Eifersucht bewegt!
Die Eifersucht ist Demut, ich bin stolz,
Verachtung liegt mir näher als der Haß.
Doch daß ihr von erlogner Tugend Höhe
Herabseht auf die Welt, auf mich, auf alle,
[417]
Den gleichen Fehl verhehlend in der Brust,
Das soll nicht sein. Fluch aller Heuchelei!
Sagt mir: ich liebt ihn, den geschiednen Freund,
Ich liebt ihn, weil sein Antlitz zart und weiß,
Ich liebt ihn, weil sein Haar von Salben duftend,
Ich liebt ihn, weil ich töricht, albern, schwach,
Sagts, und ich laß euch frei.
LUKREZIA.
Ich liebt ihn nicht;
Nur Gott hat meine Liebe und mein Vater.
DON CÄSAR.
Recht gut, recht schön! – Doch wes ist dieses Bild
– Ich bin vertraut mit eures Hauses Räumen –

Die Seitentüre öffnend.

Wes ist das Bild, das hängt an jener Wand,
Vom Licht der Lampe buhlerisch beschienen?
Ists Belgiojosos nicht? Ertappt, ertappt!
LUKREZIA.
Mein Vater hängt' es hin.
DON CÄSAR.
Und ihr, Madonna,
Ihr rücktet euern Schemel zum Gebet
Hart an das Bild, daß, wenn die Lippen beten,
Das Herz zugleich schwelgt in Erinnerungen,
Erinnerungen, die – Und wenn ich tot,
Lacht an der Seite eines neuen Buhlen
Ihr mein und meiner Liebe, wie ihr lachtet
An Belgiojosos Hand.

Lukrezia entflieht ins Seitengemach.
CÄSAR.
Nicht dort hinein!
Nicht dort hinein vor meines Feindes Bild,
Des Heuchlers, Heuchlerin! – Ringst du die Hände
Zu ihm als deinem Heilgen?

Er hat eine Pistole aus dem Gürtel gezogen, die er jetzt in der Richtung der offnen Türe abschießt.

Folg ihm nach!
– Was ist geschehn?

In die Türe blickend.

Weh mir! – O meine Taten!

Er wirft sich auf ein Knie, die Augen mit den Händen bedeckend.
Ein Hauptmann kommt mit Soldaten.
HAUPTMANN.
Hier fiel ein Schuß, und er ist in der Nähe.
[418]
PROKOP
der sich durch die Soldaten drängt.
Lukrezia, mein Kind!

An der offenen Türe.

O! greulich, gräßlich!

Er stürzt hinein, die Türe schließt hinter ihm.
HAUPTMANN
Don Cäsar emporrichtend.
Wir suchten euch.
DON CÄSAR.
Nun denn, ihr habt gefunden.
Gibts Richter noch in Prag?
HAUPTMANN.
Es gibt sie wieder.
Der Feind hinausgeschlagen aus der Stadt,
Kehrt Ordnung und das Recht zurück von neuem.
DON CÄSAR.
So richtet mich! Erspart mir selbst die Müh.

Er geht auf die Hintertüre zu, von den Soldaten gefolgt.
PROKOP
in der Seitentüre erscheinend.
Hieher, hieher! Vielleicht ist Hilfe möglich.

Einige Diener, die während des vorigen gekommen sind, folgen ihm ins Seitengemach.
Alle ab.
Garten im königlichen Schlosse auf dem Hradschin. In der Mitte des Hintergrundes ein Ziehbrunnen mit einem Schöpfrade.
Heinrich Thurn und Graf Schlick kommen mit einigen bewaffneten Bürgern.
THURN.
Stellt Wachen aus, besetzt die äußern Pforten!
Von hier aus ließ den Feind man in die Stadt,
Darum bewehrt vor allem den Hradschin.

Die Bürger gehen.
SCHLICK.
Scheints doch ein Wunder fast, daß wir gerettet.
THURN.
Das Wunder war der Mut, die Tapferkeit
Der wackern Bürger unsrer Altstadt Prag.
Der Feinde Plan war listig angelegt.
Hier oben von Verrätern eingelassen,
Drang ihre Schar nur langsam, zögernd vor,
Als ob den Widerstand der Gegner scheuend;
Doch desto schneller fliegt durch Seitengassen
Ihr Reitertrupp der Moldaubrücke zu,
Die Altstadt, wohl im Schlaf noch, überfallend.
Schon füllt die Brücke sich mit Roß und Mann,
[419] Schon dringen, die zuvorderst, in die Stadt;
Da fällt mit eins das Gitter vor das Tor,
Und von dem Turm aus Büchsen und Kartaunen
Ergießt sich Feuer auf die wilde Schar.
Die Rosse bäumen und die Reiter stürzen,
Der Vortrupp weicht, der Nachzug drängt nach vorn,
Ein unentwirrter Knäuel füllt die Brücke,
Entladend in die Moldau sein Gedräng;
Bis endlich Schrecken, mächtger als die Raubgier,
Nach rückwärts treibt den lauten Menschenstrom,
Sich überstürzend und den Nachbar schädgend,
Ins eigne Fußvolk bricht die Reiterei,
Daß unsern Bürgern, die im Ausfall folgen,
Die Mühe nur des Schlachtens übrigbleibt.
Die Wege, die er kam, verfolgt der Rückzug,
Und Bürgertreue schließt die Einbruchspforte,
Die Rachsucht öffnete und der Verrat.
SCHLICK.
Doch sind sie stark noch außen vor der Stadt.
THURN.
Seid unbesorgt! Der räuberische Durchzug
Von Passau her, durchs obre Österreich
Bis fern nach Böhmen, blieb nicht unbewacht,
So wie er unvorhergesehen nicht.
Von ringsum sammeln sich die Garnisonen,
Der Landmann greift zur Wehr, und der Erzherzog
Mathias, derzeit noch von Ungarn König,
Und bald von Böhmen, denk ich, etwa auch,
Er ist zur Hand, rasch folgend ihrer Ferse.
Ja nur, weil nicht gewachsen ihm im Feld,
Versuchten sie heut nacht den Überfall.
Von hier verdrängt, ihr Zufluchtsort verloren,
Zerstäubt in alle Winde bald die Schar.
SCHLICK.
Allein was tun wir selbst?
THURN.
Man wirbt um euch.
Verhaltet euch wie die verschämte Braut,
Der neue Freier bringt euch neue Gaben.

Herzog Julius kommt mit einem Hauptmanne, der einen Schlüssel trägt.
JULIUS.
Ihr Herrn, ist das wohl Fug und Recht? Man stellt
Im Schlosse Wachen, wie in Kerkermauern,
[420] Selbst vor des Kaisers fürstliches Gemach.
Man fordert ab die Schlüssel aller Pforten,
Des Eingangs Freiheit und des Ausgangs hemmend.
Zuletzt noch diesen, der vor allem nötig.
Er führt zum Turm, in den man rück Don Cäsar,
Den unglückselig wildverworrnen, brachte,
Im Wahnsinnfieber gen sich selber wütend.
Die Ärzte haben, Blut mit Blut bekämpfend,
Die Adern ihm geöffnet an dem Arm.
Er braucht des Beistands und des freien Zutritts,
Drum fordr ich diesen Schlüssel hier von euch.
THURN.
Doch deucht mich, daß Don Cäsar, eben er,
Verbunden mit den Räubern heute nacht,
Teilnahm an all dem Greuel, der geschah,
Weshalb er in Gewahrsam nur mit Recht.
JULIUS.
Der Richter wird erkennen seine Schuld.
THURN.
Man weiß noch nicht, wer Richter hier im Land.
JULIUS.
Doch wohl nicht ihr?
THURN.
Verhüt es Gott!
Doch auch nicht jene, die des Unheils Stifter,
Als schuldig etwa selber sich gezeigt.
Wir harren eines Höhern, der schon naht.
Allein damit ihr seht, daß euer Wert
Als Fürst des Reiches und als Ehrenmann
Auch hier im fernen Böhmen anerkannt;
Nehmt diesen Schlüssel; ob zwar auf Bedingung:
Daß nur der Eintritt und für Ärzte nur,
Nicht auch der Austritt etwa gar für ihn
Geknüpft an diesen Bürgen seiner Haft.
JULIUS.
Ich dank euch, edler Graf, und bin erbötig
Zu gleichem Dienst, kommt ihr in gleichen Fall.
Doch jetzt nehmt euern Abschied, wenns beliebt.
Von fern seh ich des Kaisers Majestät,
Den ihr vertrieben aus der Burg Gemächern,
Gönnt ihm den Atem in der freien Luft.
THURN.
Die Luft ist frei für jeden, doch die Burg
Verschließt man gern vor Untreu und Verrat.

Er entfernt sich mit seinem Begleiter.
[421] Der Kaiser kommt, von Rumpf und einigen begleitet, von der linken Seite. Er bleibt vor einem Blumenbeete stehen.
RUMPF.
Die Blumen sind zum guten Teil geknickt,
Das tat der böse Sturm in heutger Nacht.

Der Kaiser winkt bestätigend mit dem Kopfe.
RUMPF.
Den Sturmwind mein ich eben, Majestät.

Der Kaiser hat sich nach vorn bewegt, jetzt bleibt er stehen und fährt mit dem Stabe einigemale über den Boden.
RUMPF.
Der Fußtritt vieler Kommenden und Gehnden
Hat arg gehaust in dieses Gartens Wegen.
Des Gärtners Rechen gleicht es wieder aus.
Beliebts euch nun, den Tieren nachzusehn,
Die in den Käfigen der Füttrung harren?
Der Löwe nimmt die Nahrung nur von euch,
Die Wärter sagen, daß gesenkten Haupts
Er leise stöhnt, wie einer der betrübt.

Der Kaiser hat den Herzog von Braunschweig bemerkt und hält ihm die Hand hin.
JULIUS
auf ihn zugehend.
Mein Kaiser und mein Herr!

Er will ihm die Hand küssen, der Kaiser zieht sie zurück und hält sie, als zum Handschlag, wieder hin.
JULIUS
des Kaisers Hand mit beiden fassend.
Nun denn: willkommen!
Mich freut das Wohlsein eurer Majestät.

Der Kaiser lacht höhnisch.
JULIUS.
Nach Wolken, sagt ein Sprichwort, kommt die Sonne,
Die Sonne aller aber ist das Recht.

Der Kaiser weist mit dem Stabe gen Himmel.
JULIUS.
Nicht nur dort oben, auch schon, Herr, hienieden.
Denn selbst der Bösewicht will nur für sich
Als einzeln ausgenommen sein vom Recht,
Die andern wünscht er vom Gesetz gebunden,
Damit vor Räuberhand bewahrt sein Raub.
Die andern denken gleich in gleichem Falle,
Und jeder Schurk ist einzeln gegen alle;
Die Mehrheit siegt und mit ihr siegt das Recht.
Wärs anders, Herr, die Welt bestünde nicht,
Und alle Bande des gemeinen Wohls,
Sie wären längst gelöst von Eigennutz.
[422] In euerm Fall: glaubt ihr, des Reiches Fürsten,
Sie werden ruhig zusehn dem Verderben hier,
Nicht böses Beispiel für sich selbst befürchten?
Selbst euer Volk –

Ein Bürger, nachlässig bewaffnet, die Muskete auf der Schulter, tritt von der linken Seite auf, betrachtet die Anwesenden und kehrt auf einen Wink Herzog Julius wieder zurück. Der Kaiser fährt zusammen.
RUMPF.
Es sind die Wachen –
Die Leibwacht freilich nicht der Königsburg –
Vielmehr die Bürger, die man ausgestellt,
Weil sie behaupten, daß hier vom Hradschin
Den Feind man eingelassen in die Stadt,
Und weil man Tor und Pforte will verwahren.

Der Kaiser droht heftig mit dem Finger in die Ferne.
JULIUS.
O scheltet nicht den Neffen, der euch liebt!
Erzherzog Leopold, glaubt mir, o Herr,
Er fühlt das Unglück tiefer als ihr selbst.
Er war bei mir, als schon der Kampf entschieden,
Und bat mich, nassen Augs, ihn zu vertreten
Ob seiner Wagnis, die der Zufall nur,
Ein mißverstandener Befehl vereitelt,
Sonst wart ihr frei und Herr in euerm Land.
Er geht nach Deutschland, um des Reiches Stände
Zum Schutze zu vereinen seines Herrn.
Zugleich die andern Fürsten eures Hauses –

Zu Rumpf.

Ward es gemeldet schon?

Auf eine entschuldigende Gebärde Rumpfs.

Sie sind uns nah.
Sie kommen heut nach Prag, um als Vermittler
Zu schlichten diesen unheilvollen Zwist.
Dabei auch, wie ihr früher selbst begehrt,
Abbittend der verletzten Majestät,
Genugzutun für alles, was sie selbst
In guter Meinung früherhin gesündigt.
Die Welt, sie fühlt die Ordnung als Bedürfnis,
Und braucht nur ihr entsetzlich Gegenteil
[423] In voller Blöße nackt vor sich zu sehn,
Um schaudernd rückzukehren in die Bahn.

Der Kaiser zeigt auf die Erde, wiederholt mit dem Stabe auf den Boden stoßend, und entfernt sich
dann, auf Rumpf gestützt, nach dem Hintergrunde.
Ein Diener, von der rechten Seite kommend, halblaut zu Herzog Julius.
DINER.
Um Gottes willen, gebt den Schlüssel, Herr!
JULIUS.
Was ist?
DIENER.
Die Ärzte fordern Einlaß zu Don Cäsar.

Der Kaiser hat sich umgewendet und blickt forschend nach den Sprechenden.
RUMPF.
Der Kaiser wünscht zu wissen, was die Sache.
JULIUS.
Man hat Don Cäsar in den Turm gebracht,
Wo als Erkranktem, der dem Wahnsinn nahe,
Die Adern man geöffnet ihm am Arm.
DIENER.
Er aber tobte an dem Eisengitter
Und rief nach einem Richter, um Gericht,
Er wolle leben nicht; bis plötzlich, jetzt nur,
Er den Verband sich von den Adern riß.
Es strömt sein Blut, und die verschloßne Tür
Verwehrt den Eintritt den berufnen Ärzten.
Gibt man den Schlüssel nicht, ist er verloren.
JULIUS
den Schlüssel aus dem Gürtel ziehend.
Hier nimm und eil!

Der Kaiser winkt mit dem Finger.
JULIUS.
Allein bedenkt, o Herr!

Da der Kaiser den Schlüssel genommen hat und sich damit entfernt, ihm zur Seite folgend.

Von einem Augenblick hängt ab sein Leben,
Und nicht sein Leben nur, sein Ruf, sein Wert.
Ihm selbst und jedem andern, der ihm nah,
Liegt nun daran, daß er vor seinen Richtern
Erläutre, was er tat und was ihn trieb,
Daß nicht wie ein verzehrend, reißend Tier,
Daß wie ein Mensch er aus dem Leben scheide,
Wenn nicht gereinigt, doch entschuldigt mindstens.
Ihm werde Spruch und Recht.
DER KAISER
der auf den Stufen des Brunnens stehend, den Schlüssel hinabgeworfen hat, mit starker Stimme.
Er ist gerichtet,
Von mir, von seinem Kaiser, seinem –

[424] Mit zitternder, von Weinen erstickter Stimme.

Herrn!

Er wankt nach der linken Seite, von Rumpf unterstützt, ab.
JULIUS
auf die Stufen des Brunnens tretend und hinabsehend.
Es ist umsonst! Don Cäsar ist verloren.
Sprengt auf die Tür! – Und doch, es ziemt uns nicht,
Dem Urteil vorzugreifen seines Richters. –
O, daß er doch mit gleicher Festigkeit
Das Unrecht ausgetilgt in seinem Staat,
Als er es austilgt nun in seinem Hause.
Geht nur, es ist geschehn.
HINTER DER SZENE
wird gerufen.
Halt da! Zurück!
JULIUS.
Was dort?
Der Kaiser aufgehalten von den Wachen?
Legst du die Hand an ihn, an den Gesalbten?
Das soll nicht sein, solang ich leb und atme.
Mein letztes Blut für ihn. Zurück die Hände!
Sonst zahlst du deine Frechheit mit dem Tod.

Er geht, die Hand am Schwert, nach der linken Seite ab.

Verwandlung.


Gemach in der Burg wie zu Anfang des dritten Aufzuges. Die nischenartige Vertiefung rechts im
Hintergrunde mit einem herabgelassenen Vorhange bedeckt.
Thurn und Schlick kommen, ein Arbeiter mit Schurzfell hinter ihnen.
THURN.
Ward jeder Ausgang nach Geheiß verschlossen?
Hier ist noch eine Tür.
ARBEITER
den Vorhang wegziehend und an einer in der Mauer befestigten Spange zurückschlagend.
Sie ist nicht mehr.
Mit starken Bohlen hat man sie verrammelt,
Sie hält so fest nun als die feste Wand.
THURN.
Geht immer nur und seht nach außen zu.

Arbeiter ab.
THURN.
Vor allem liegt daran, daß unser König,
Der aus sich selbst wohl Schlimmes nie begehrt,
Nicht, von Verrätern heimlich weggebracht,
Zur Fahne diene feindlichem Beginn.
SCHLICK.
Allein, mein Freund, wir ehren unsern König,
Und das geht weiter, als die Absicht war.
[425]
THURN.
Die Absicht, Freund, ist ein vorsichtger Reiter
Auf einem Renner feurig, der die Tat.
Den spornt er an zu hastigem Vollzug.
Hat er das Ziel erreicht, zieht er die Zügel
Und meint, nun wärs genug. Allein das Tier,
Von seiner edlen Art dahingerissen
Und von dem Wurf des Laufes und der Kraft,
Es stürmt noch fort durch Feld und Busch und Korn,
Bis endlich das Gebiß die Glut besiegt.
Da kehrt man denn zurück.
SCHLICK.
Wenns dann noch möglich.
THURN.
Wenn nicht, dann nur kein Wort von Zweck und Absicht,
All, was geschehn, das hast du auch gewollt.
Doch nahen Tritte; wohl der Kaiser selbst,
Laß uns noch sehen nach der äußern Pforte.

Sie gehen durch die Türe links.
Der Kaiser kommt, auf Rumpf gestützt, Herzog Julius geht vor ihm her.
JULIUS.
Verzeiht, o Herr, der Wachen Unverstand.
Der Mann, den man zur Obhut hingestellt,
Erkannt euch nicht.

Der Kaiser nickt höhnisch mit dem Kopfe.
JULIUS.
Er folgte dem Befehl,
Der jedermann den Zutritt untersagte.

Der Kaiser erblickt den verschlossenen Eingang zum Laboratorium und zeigt mit dem Stocke darauf hin.
RUMPF
den zurückgeschlagenen Vorhang herablassend.
Besorgnis wohl für eure Sicherheit,
Man will den Eingang Unberufnen wehren.
RUDOLF.
Den Eingang? Sag den Ausgang! Mir, dem Kaiser.
Ich bins und fühle mich als Herrn, obgleich in Haft.
Drum fort von mir, du menschlich naher Schmerz.
Gib Raum dem Ingrimm der verletzten Würde.
Und weißt du, wers getan? Nicht daß mein Bruder
Die Hand erhoben wider meine Krone;
Ich hab ihn nie geliebt, und er ist eitel,
Er tat nach seinem Wesen, obgleich schlimm.

Ans Fenster tretend.

Doch diese Stadt. Schau, wie sie üppig liegt,
[426] Geziert mit Türmen und mit edlem Bau,
Verschönt durch Kunst, was Gott schon reich geschmückt.
Und mein Werk ists. Hier war mein Königssitz.
Für Prag gab ich das lebensvolle Wien,
Den Sitz der Ahnen seit des Reiches Wiege.
Die heuchlerische Stille tat mir wohl,
Weil selbst ich still und heimisch gern in mir.
Gehütet wie den Apfel meines Auges
Hab ich dies Land und diese arge Stadt,
Und während alle Welt ringsum in Krieg,
Lag, einer blühenden Oase gleich,
Es in der Wüste von Gewalt und Mord.
Doch bist du müde deiner Herrlichkeit
Und stehst in Waffen gegen deinen Freund?
Ich aber sage dir: wie eine böse Beule
Die schlimmen Säfte all des Körpers anzieht,
Zum Herde wird der Fäulnis und des Greuls,
So wird der Zündstoff dieses Kriegs zu dir,
Der lang Verschonten, nehmen seinen Weg,
Nachdem du ihm gewiesen deine Straßen.
In deinem Umfang kämpft er seine Schlachten,
Nach deinen Kindern richtet er sein Schwert,
Die Häupter deiner Edlen werden fallen,
Und deine Jungfraun, losgebundnen Haars,
Mit Schande zahlen ihrer Väter Schande.
Das sei dein Los, und also – fluch ich dir! –
Die du die Wohltat zahlst mit bösen Taten.
Wo ist mein Stock? Die Kniee werden schwach,
Laßt niemand ein! ich höre Stimmen drauß,
Wer immer auch, ein Feind ists und Verräter.

Die Erzherzoge Maximilian und Ferdinand erscheinen in der Türe.
RUMPF.
Es sind die Herrn Erzherzoge. O Wonne!
RUDOLF.
Ihr seid es? Bruder, du? Willkommen, Vetter!
Nehmt Sitz! Ihr kommt in wunderlicher Zeit.

Er hat sich gesetzt.

Was Neues in der Welt? Zwar stets dasselbe:
Das Alte scheidet und das Neue wird.
Kommt ihr zum Taufschmaus oder zum Begräbnis?
[427]
FERDINAND.
Eh wir uns setzen, so erlaubt, daß knieend
Abbitte wir für das Vergangne leisten,
Den Willen unterstellend für die Tat.

Die Erzherzoge knieen.
RUDOLF.
Vom Boden auf! – Und du, mein guter Bruder,
Sprichst nicht?
MAX.
Mir ist das Weinen näher.
Auch kniet sichs schwer mit meines Körpers Last.
RUDOLF.
Vom Boden auf! Soll unser edles Haus
Vor jemand knieen als vor seinem Gott?
Ist einer tot, so liegt er auf dem Grund,
Doch lebend kniet kein Mann und kein Erzherzog.

Die beiden sind aufgestanden.
RUDOLF.
Sollt ich euch strenger richten als mich selbst?
Wir habens gut gemeint, doch kam es übel.
Das macht: dem reinen Trachten eines Edlen,
Kann ers nicht selbst vollführen, er allein,
Mischt von der Leidenschaft, der bösen Selbstsucht
Der andern, die als Werkzeug ihm zur Hand,
So viel sich bei, daß, hat er nun vollbracht,
Ein Zerrbild vor ihm steht, statt seiner Tat.
Ich habe viel gefehlt, ich seh es ein,
Seitdem ich aus den Nebeln, die am Gipfel,
Herabgestiegen in das tiefe Tal,
In dem das Grab liegt als die letzte Stufe.
Ich hielt die Welt für klug, sie ist es nicht.
Gemartert vom Gedanken drohnder Zukunft,
Dacht ich die Zeit von gleicher Furcht bewegt,
Im weisen Zögern sehnd die einzge Rettung.
Allein der Mensch lebt nur im Augenblick,
Was heut ist, kümmert ihn, es gibt kein morgen.
So rannten sie hinein ins tolle Werk,
Und ihr, ihr ranntet nicht, allein ihr gingt.
Ich tadl euch nicht, ihr wart besorgt ums Ganze,
Nicht böse Selbstsucht hat euch irrgeführt.
Nur einen tadl ich, den ich hier nicht nenne;
Den ich verachtet einst, alsdann gehaßt,
Und nun bedaure als des Jammers Erben.
[428] Er hat nur seiner Eitelkeit gefrönt,
Und dacht er an die Welt, so wars als Bühne,
Als Schauplatz für sein leeres Heldenspiel.
MAX
vom Stuhle aufstehend.
Gerade darum, Bruder, sind wir hier.
Es muß der böse Zwist zum Abgrund kehren,
Und Recht dir werden, der du rechtlich bist.
RUDOLF.
Davon kein Wort! Der König ist dahin.
Ich geb ihn auf. Allein das Königtum
Möcht ich der Welt erhalten, ders vonnöten.
Mein Bruder herrscht in Ungarn und in Östreich,
Er wills in Böhmen auch, nicht künftig, jetzt.
Wohlan, es sei darum; denn keine Teilung
Verträgt, was alle Teile eint zum Ganzen.
Ich selbst, wie einst mein Oheim, Karl der Fünfte,
Als er die Welt, wie sie nun mich, zurückstieß,
Im Kloster von Sankt Justus in Hispanien
Den Tod erwartete, so will auch ich.
Es währt nicht lang, ich fühl es wohl, denn Undank
Gräbt tiefer als des Totengräbers Spaten;
Und Kloster sei und Zelle mir dies Schloß.
Mathias herrsche denn. Er lerne fühlen,
Daß Tadeln leicht und Besserwissen trüglich,
Da es mit bunten Möglichkeiten spielt;
Doch Handeln schwer, als eine Wirklichkeit,
Die stimmen soll zum Kreis der Wirklichkeiten.
Er sieht dann ein, daß Satzungen der Menschen
Ein Maß des Törichten notwendig beigemischt,
Da sie für Menschen, die der Torheit Kinder.
Daß an der Uhr, in der die Feder drängt,
Das Kronrad wesentlich mit seiner Hemmung,
Damit nicht abrollt eines Zugs das Werk,
Und sie in ihrem Zögern weist die Stunde.
Ihr selbst wart um mein Herrscheramt bemüht,
Mehr fast als gut. Sorgt auch für ihn.
Allein bedenkt: Der auf dem Throne sitzt,
Er ist die Fahne doch des Regiments,
Zerrissen oder ganz, verdient sie Ehrfurcht.
[429] Fernand, du glaubst dich stark, und bist es auch,
Vor allem, wenn du meinst, für Gott zu streiten.
Seis gleicherweis auch sonst, und stark, nicht hart!
Was dir als Höchstes gilt: die Überzeugung,
Acht sie in andern auch, sie ist von Gott,
Und er wird selbst die Irrenden belehren.
Des Menschen Innres, wie die Außenwelt,
Hat er geteilt in Tag und dunkle Nacht.
Das Aug ertrüge nicht beständges Licht;
Da führt er an dem Horizont herauf
Die Dunkelheit mit ihrer holden Stille,
Wo die Empfindung aufwacht, das Gefühl,
Und süße Schauer durch die Seele schreiten.
Doch immer Nacht wär schlimmer noch als nie.
Und was du weißt, weißt du durch Tag und Licht.
Ich selber war ein Mann der Dunkelheit.
Von ihren Streitigkeiten angeekelt,
Floh ich dahin, allwo die frühsten Menschen
Zuerst erkannten ihres Lebens Meister.
Vom Hügel auf zu den Gestirnen blickend
Und ihre stetge Wiederkehr betrachtend,
Erscholls in ihrer Brust: es ist ein Gott
Und ewig die Gesetze seines Waltens.
Seitdem hat er sich kundig offenbart
Und übertönt die Stimmen der Natur,
Doch in der Stille klingen sie noch nach,
Und als er selbst als Mensch zu Menschen kam,
Da sandt er einen Stern, und jene Weisen,
Sie ließen ruhen ihrer Weisheit Dünkel
Und folgten jenem Zeichen bis zur Hütte,
Wo schon die Hirten standen, und die Engel
Aus weiter Ferne: Friede, Friede sangen.
– Ist hier Musik?
JULIUS.
Wir hören nichts, o Herr.
RUDOLF.
Nun denn, so ists der Nachklang von der Weihnacht,
Die mir herübertönt aus ferner Zeit,
An die ich glaube und im Glauben sterbe.
– Nicht Stern, nur Gott! – Wer bist denn du,
[430] Du flammender Komet? Nur Dunst und Nebel. –
Nun Frieden auch mit dir, mit allen Frieden. –
Wie hold es klingt und fort und fort und weiter! –
MAX.
Sein Geist beginnt zu schwärmen.
FERDINAND.
Laßt uns gehn!
Versöhnen, was zu sühnen ist, und dann
Ihm schützend stehn zur Seite, Wächtern gleich.
RUMPF.
Ach, wir empfehlen euch den frommen Herrn.

Die Erzherzoge gehen.
RUDOLF.
Und einig, einig seid! Das Neue drängt.
Die alternden Geschlechter sterben aus,
Das Band gelöst, bricht es die einzelnen.
RUMPF.
Sie sind schon fort.
RUDOLF.
Schon fort? Nun, um so besser!
Mir ist so leicht, so wohl. Gebt mir nur Luft!
Ich will ans Fenster.
RUMPF.
Herr, wir leiten euch.
RUDOLF.
Was fällt dir ein? Ich fühle Jugendkraft.

Er versucht aufzustehen.

Doch ists der Geist nur, meine Glieder wanken.
Rückt einen Stuhl ins Fenster, ich will Luft.

Unterstützt ans Fenster gehend, zu Herzog Julius.

Siehst du? So lohnt die Welt für unsre Sorge.
Sie saugt uns aus und findet uns dann welk,
Indes sie prangt mit unsern besten Kräften.

Er sitzt.

Das Fenster auf!
RUMPF.
Allein, o Herr, bedenkt!
Ihr habt der Luft euch sorglich stets verschlossen.
RUDOLF.
Nicht Kaiser bin ich mehr, ich bin ein Mensch
Und will mich laben an dem Allgemeinen.
Wie wohl, wie gut! Und unter mir die Stadt
Mit ihren Straßen, Plätzen, voll von Menschen.
JULIUS.
Und gabt ihr erst den Fluch in euerm Zorn.
RUDOLF.
Tat ichs? Nun, ich bereus. Mit jedem Atemzug
Saug ich zurück ein vorschnell rasches Wort,
Ich will allein das Weh für alle tragen.
Und also segn ich dich, verlockte Stadt,
[431] Was Böses du getan, es sei zum Guten.
Mein Geist verirrt sich in die Jugendzeit.
Als ich aus Spanien kam, wo ich erzogen,
Und man nun meldete, daß Deutschlands Küste
Sich nebelgleich am Horizonte zeige,
Da lief ich aufs Verdeck, und offner Arme
Rief ich: mein Vaterland! Mein teures Vaterland!
– So dünkt mich nun ein Land, in dem ein Vater –
Am Rand der Ewigkeit emporzutauchen.
– Ist es denn dunkel hier? – Dort seh ich Licht,
Und flügelgleich umgibt es meinen Leib.
– Aus Spanien komm ich, aus gar harter Zucht,
Und eile dir entgegen – nicht mehr deutsches,
Nein, himmlisch Vaterland. – Willst du? – Ich will! –

Er sinkt zurück.
RUMPF.
Ruft Ärzte! Er hat öfter solchen Anfall.
Der Herzschlag geht. Nach Ärzten, Hilfe, schnell!
Und bringt ihn auf sein Bett in jene Kammer!
Ich mag nicht denken, daß es Schlimmres wäre.
JULIUS
sich entfernend.
Das Schlimmste kennt kein Schlimmres, er erlitts.
Der Kaiser starb, ob auch der Mensch genese.
RUMPF.
Er lebe, ich fühls. Faßt ihn nur sorgsam an!
JULIUS
auf ihn zueilend und am Stuhle niederknieend.
Mein edler, frommer, mildgesinnter Herr!

Der Vorhang fällt.

5. Akt

[432] Fünfter Aufzug

Saal in der kaiserlichen Burg zu Wien.
Klesel steht wartend, Erzherzog Ferdinand tritt ein.

FERDINAND.
Ists endlich mir gegönnt, bei meinem Oheim,
Mit dem ich sprechen muß, Gehör zu finden?
KLESEL.
Die Türe steht euch offen jederzeit,
Ihr seht ihn täglich, stündlich, wenn ihr wollt.
FERDINAND.
O ja, im Schwall des Hofs, bei Spiel, beim Tanz.
Wohl auch im Kabinett, in eurem Beisein.
KLESEL.
Er ist der Herr und ich sein Diener nur.
Befiehlt er mir zu gehen, geh ich; bleibe,
Wenn er mein Bleiben förderlich ermißt.
FERDINAND.
Nur neulich sprach ich endlich ihn allein,
Nur merkt ich wohl aus den zerstreuten Blicken,
Die stets er warf nach der Tapetentür,
Daß jemand dort versteckt, der uns behorchte.
Und ihr warts, mein ich; leugnets, wenn ihr könnt.
KLESEL.
Wär es geschehn, geschah es auf Befehl:
Gehorchen schließt das Horchen selbst nicht aus.
FERDINAND.
Wir aber wollens länger nicht mehr dulden,
Daß sich ein Fremder eindrängt zwischen uns
Und stört die Einigkeit von unserm Hause.
Wars darum, daß wir uns euch angeschlossen
Und gegen ihn, den rechten, gütgen Herrn?
So daß die Röte mir der Scham noch jetzt,
Indem ich spreche, aufsteigt bis zur Stirne.
Da hieß es, daß ein Haupt dem Reich vonnöten,
Daß nur mit festem Tritt und sicherm Aug
Der Ausweg sei zu finden aus den Wirren,
In denen labyrinthisch geht die Zeit,
Und wir, wir stimmten ein – wärs nie geschehn! –
Doch kaum erreicht das langersehnte Ziel,
Gestillt die Gier des Herren und – des Dieners,
Wankt man auf gleichem Irrweg durch den Wald
Und meint: sich regen sei schon weitergehn.
KLESEL.
Ihr irrt; ein fester Plan beherrscht das Ganze,
Und jeder Schritt führt näher an das Ziel.
[433]
FERDINAND.
Doch dieses Ziel, sag ich, es ist verderblich.
Ausgleichung heißts, Gleichgültigkeit für jedes;
Vermengung des, was Menschen ist und Gottes.
Sagt selbst, ob euer Herr –
KLESEL.
Nur meiner?
FERDINAND.
Meiner auch.
Doch einen Abstand bildet wohl, was nah und nächst.
Sagt selbst: war er nicht heißer Tatendurst,
Zu zügeln kaum und kaum zurückzuhalten,
Solang die Krone lag im Reich der Hoffnung;
Und nun, bedeckt mit ihr, als einem Helm,
Den Szepter als ein Schwert in seiner Hand,
Schläft er auf trägen Purpurkissen ein
Und bringt die Zeiten Kaiser Rudolfs wieder.
Ja, schlimmer noch; denn jener war die Wage,
Die beide Teile hielt im Gleichgewicht;
Ihr aber legt, was euch noch bleibt an Schwere,
Der einen Schale zu, und zwar der schlechten,
Der gottverhaßten, der verderblichen.
Ist nicht halb Österreich noch immer protestantisch,
Mit Ketzern nicht besetzt ein jeglich Amt.
Die hohe Schule, deren Rektor ihr,
Ertönt von Worten frecher Kirchenleugner.
KLESEL.
Wir suchen Wissen bei der Wissenschaft,
Der Glaube wird gelehrt von gläubgen Meistern.
FERDINAND.
Fluch jedem Wissen, das nicht aufwärts geht
Zu aller Wesen Herrn und einzgem Ursprung.
KLESEL.
Von oben rinnt der Quell, doch rinnt er nicht zurück,
Wo er das Licht betritt, ist er schon Lauf, nicht Quelle.
FERDINAND.
Seid ihr derselbe, der, ein Kirchenfürst,
Berufen zur Verteidgung ihrer Lehre?
Der sie verteidigt auch, o ja, ich weiß,
Solang der Kirche Gold und Rang und Ansehn
Euch noch ein Lohn schien, der des Strebens wert,
Und habt, so sagt die Welt, nicht nur von Glaubensschätzen,
Auch von den Schätzen dieser irdschen Welt
Ein Artiges gehäuft in euern Speichern.
KLESEL.
Man sieht sich vor; die Zeiten schlagen um.
[434]
FERDINAND.
So mag der einzelne vielleicht sich trösten,
Doch für den Staat gibt es kein einzelnes,
Für ihn hängt alles an derselben Kette.
Ja, selbst die Mächte, die mit uns vereint,
Die gleichen Wegs mit unsern ebnen Bahnen,
Sie nehmen an der Lauheit Ärgernis
Und ziehen sich zurück. Was bleibt uns dann?
Hispanien, der Papst, das fromme Baiern.
KLESEL.
Von daher also kommts? Mein hoher Herr,
Es sorgt ein jeder doch zunächst für sich,
Der Freund ist, mehr als meiner noch, sein eigner.
Hispanien begehrt die Niederlande
Durch unsern Beistand und mit unserm Blut.
Der Papst ist der Kompaß, des sichre Nadel
Die Richtung anzeigt uns zum fernen Pol;
Allein die Segel stellen und das Ruder brauchen,
Das überläßt er uns; wir hoffen so.
Und endlich Baiern. Arglos frommer Herr,
So seht ihr nicht, wohin sein Streben geht?
Ist Östreich erst verworren und geschwächt,
Steht nichts in Weg ihm zu der Kaiserkrone.
FERDINAND.
Der Baierfürst hegt gottesfürchtgen Sinn,
Das Wohl der Kirche sucht er, nicht sein eignes.
KLESEL.
Will einer erst die Herrschaft Gott verschaffen,
Sieht er in sich gar leicht des Herren Werkzeug
Und strebt zu herrschen, damit jener herrsche.
Auch ist der Seeleneifer und der Eigennutz
Nicht gar so unvereinbar, als man glaubt.
Die Überspannung läßt zuweilen nach,
Und wie der Adler, der der Sonne nächst,
Holt er sich Kräftigung durch irdsche Beute.
Man meints selbst von der Kurie in Rom.
FERDINAND.
Ob ihr nun sprecht, was euch und mir nicht ziemt,
– Ihr nennt, ich weiß es, derlei Politik –
Doch eins tut not in allen ernsten Dingen:
Entschiedenheit; ob unser ihr, ob nicht.
KLESEL.
Was nennt ihr unser? Ich bin meines Herrn.
Er ist mein uns, mein euch, mein ich, mein alles.
[435] Er ist entschieden und ich bin es auch.
Doch wenn die Macht nicht einig wie der Wille,
Wer trägt die Schuld, als jene, die im Dunkeln
Am Hofe selbst sich bilden zur Partei
Und die Parteiung in den Ländern nähren?
In Böhmen selbst, wo man den Majestätsbrief
Erfüllen will, getreulich, ohne Hehl,
Trifft jeder Auftrag Seiner Majestät
Auf einen heimlich widersprechenden,
Gegeben von den Nächsten seines Hauses.
Die Utraquisten wollen Kirchen baun,
Wozu sie Kaiser Rudolfs Brief berechtigt,
Man hindert sie und stellt die Arbeit ein.
FERDINAND.
Null ist der Majestätsbrief, als erzwungen.
KLESEL.
Erzwungen ist zuletzt ein jeder Friede;
Der Schwächere gibt nach. Doch, soll das Schwert
Nicht wüten bis zu völliger Vertilgung,
Muß Friede werden, der nur Friede ist,
Wenn er gehalten wird, ob frei, ob nicht.
Sie sollen Kirchen baun, so wills ihr König.
FERDINAND.
Sagt doch vielmehr nur: Ihr.
KLESEL.
Nun also: Ich,
Sofern mein Rat ein Teil von seinem Willen.
Mich hat umsonst aus meiner Niedrigkeit
Die Vorsicht nicht gestellt auf jene Stufe,
Zu der sonst nur Geburt und Gunst erhebt.
Der Kirche Macht bekleidet mit dem Purpur,
Der mich den Königen zur Seite stellt.
Ich werde nicht vor Menschen feig erzittern,
Und wärens Könige – im Land der Zukunft;
Die nämlich kommen kann, nicht kommen muß.
FERDINAND.
Da wär zu zittern denn an mir?
KLESEL.
Niemand soll zittern!
Vor allem, der im Recht ist und der klug.
FERDINAND
auf die Kabinettstüre zugehend.
Da ist denn einer nur, der hier entscheidet.
KLESEL
mit einer gleichen Bewegung.
Ich bin bestellt.
[436]
FERDINAND.
Und ich, ich bin berufen,
Im Sinn der Schrift. Berufen und – erwählt,
In Böhmen wenigstens als künftger König.

Ein Kämmerling erscheint in der Kabinettstüre.
KLESEL.
Sagt, daß wir warten hier, und sputet euch!

Der Kämmerling geht ins Kabinett zurück.
Klesel geht mit starken Schritten auf und nieder.
FERDINAND
sich entfernend.
Der Bauer steckt noch ganz in seinem Leibe
Mit des Emporgekommnen Übermut.

Der Kämmerling hemmt zurück.
FERDINAND.
Hat man gemeldet also?
KÄMMERLING
mit einer Einlaßbewegung.
Eminenz.

Klesel geht mit starkem Schritt ins Kabinett.
KÄMMERLING.
Entschuldgen soll ich seine Majestät,
Hochwichtge Nachricht sei aus Prag gekommen,
Sie stehn zu Dienst, wenn das Geschäft beendigt.
FERDINAND.
Ich bins gewohnt, den Dienern nachzustehn.
Wie ists in Prag, vor allem mit dem Kaiser?
KÄMMERLING.
Ein Anfall, wie er öfter schon ihn traf,
Nur stark wie nie, bedroht sein Leben, sorgt man,
Doch gibt man Hoffnung noch – für dieses Mal.
FERDINAND.
Ich bete drum, denn er ist unsre Hoffnung,
Der schutzlos selber, unser einzger Schutz.

Kämmerling geht zurück.
FERDINAND.
Nun denn, der Augenblick der Tat, er kam.
Stirbt Kaiser Rudolf, was wohl furchtbar nah,
Und folgt Mathias auf dem deutschen Throne,
Verdoppeln sich die furchtsamen Bedenken,
Die ihm dies Schwanken in die Brust gelegt.
Des Reiches Fürsten, ketzerisch zumeist,
Hier Sachsen, Brandenburg, die böse Pfalz,
Sie nötigen zu Schonung, schwachem Dulden,
Und jene Spaltung setzt sich endlos fort,
In der Gott selbst so wie sein Wort gespalten.
Vor allem jetzt muß dieser Priester fort,
Des schlimme Schmeichelei, gehüllt in Derbheit,
Ihn ehrlich nennt, wo listig er zumeist.
[437] Des Leichtigkeit in Schrift und Wort und Tat,
Ihn unentbehrlich macht, weil er bequem
Die Herrschaft auflöst in die Unterschrift.
Jetzt oder nie! Seit Monden seh ichs kommen,
Und der ich Festigkeit von andern fordre,
Mir ringen Zweifel selber in der Brust.

Aus der Tasche seines Mantels Briefe hervorziehend.

Bin ich gewappnet nicht mit aller Vollmacht
Von Rom, von Spanien, dem katholschen Deutschland?
Das böse Beispiel, das ich etwa gebe,
Es findet sich geheiliget im Zweck:
Der Ehre Gottes und dem Sieg der Kirche.

Das Barett abnehmend.

So war dem Hohenpriester wohl zumut,
Als er den Ahab tötete im Haus des Herrn.
Er warf sich nieder vor der Bundeslade,
Wie ich jetzt beugen möchte hier mein Knie
Und Gottes Wink erflehn und seine Stimme.
Ich will noch einmal meinen Oheim sprechen,
Ihm vor die Augen legen diese Briefe,
Die alle fordern, was das Heil von allen.
Dann aber rasch, denn er ist wankelmütig!
Der nächste Tag bringt einen andern Sinn,
Und die Gewohnheit ist das Band der Schwäche.

Die Türe im Hintergrunde öffnend.

Seyfried, bist du bereit?
SEYFRIED BREUNER
eintretend.
Ich bins seit lange.
FERDINAND.
Nun, diesmal gilts. Besorg erst einen Wagen.
SEYFRIED.
Des Klesel Kutsche, die ihn hergebracht,
Hält unten noch im Hof.
FERDINAND.
Um desto besser.
Indes ich noch mit meinem Oheim spreche,
Halt ihn zurück durch irgendeinen Vorwand,
Bis ich dir sage: jetzt! Dann schnell nach Kufstein.
Merk wohl, er darf zurück nicht in sein Haus,
Denn seine Schriften sind vor allem wichtig.
Er kommt. Geh nur und sieh nach deinen Leuten.

Seyfried ab.
[438] Klesel kommt aus dem Kabinett.
FERDINAND.
Darf ich nun endlich meinem Oheim nahn?
KLESEL.
Er ging nur eben nach der Scholßkapelle,
Doch kehrt er wieder, ehrt ihn der Besuch.
FERDINAND.
Es ist kaum zehn, um eilf Uhr ist die Messe.
KLESEL.
Die Andacht bindet sich an keine Zeit.
FERDINAND.
Nun, das habt ihr getan. Ich dank euch drum.
Ich forderte ein Zeichen erst vom Himmel,
Ihr gebt das Zeichen selbst. Noch einmal: Dank!
Das ist der Lohn der Schlauheit, daß sie fein
Den Faden spinnt, bis er, am feinsten, bricht.
Ihr sollt nach Kufstein, Herr!
KLESEL.
Nicht daß ich wüßte!
Mir ist zu reisen weder Zeit noch Lust.
FERDINAND.
Doch wenn ihr müßt?
KLESEL
sich dem Kabinette nähernd.
Wer wagt hier zu gebieten?
FERDINAND.
Ihr habt ja selbst des Schutzes euch beraubt.
Der König ist von seinen Zimmern fern,
Gesendet habt ihr ihn nach der Kapelle
Und seid gegeben nun in unsre Macht.
Der Papst will euch in Rom; deshalb nach Kufstein,
Das annoch deutsch und auf dem Weg nach Welschland.
KLESEL.
Der König ruft zurück mich augenblicks.
FERDINAND.
Seid dessen wirklich ihr so sicher?
KLESEL.
– Nein!
Ihm hat die Herrschaft aufgedrückt die Makel,
Die sie der Könge besten nur erspart:
Unsicherheit und Mangel an Entschluß.
Doch später, wenn der Samen aufgegangen,
Den man gesät in den entzweiten Landen,
Verwirrung und Empörung, ja der Krieg
In blutigroter Blüte wuchernd sprossen,
Dann wird man pilgern hin zu Kufsteins Toren,
Dann kehr ich heim in siegendem Triumph.
SEYFRIED
eintretend.
Es drängt die Zeit.
FERDINAND.
Sei immer ruhig, Freund,
Er hat dafür gesorgt, daß uns sein Herr
[439] Nicht vor der Zeit hier störe im Beginnen.
Nun aber fort! Es ziemt nicht meiner Würde,
Den Schergen hier zu spielen nebst dem Richter.
Obwohls mich freut, erquickt in meinem Sinn,
– Nicht meinetwillen, nein, um Gottes wegen –
Im Staub zu sehn den Mann, der ihm getrotzt.
Glück auf den Weg! Nach Kufstein also rasch!

Durch die Mitteltüre ab.
KLESEL.
Herr Seyfried, seht, ich war euch stets ein Freund.
SEYFRIED.
Drum habt ihr meiner Schwester auch verweigert
Die Pension, die ihr zu Recht gebührt.
KLESEL.
Sie soll sie haben, und verlangt ihr Gold,
Nennt den Betrag bis dreißigtausend Kronen,
Nur gönnt mir Aufschub, eine Viertelstunde.
Laßt mich zu Hause ordnen noch Papiere,
Man hat so viel, was nicht für jeden taugt.
SEYFRIED.
Ich bin vom selben Stoff wie meine Waffen,
Die Faust von Eisen und die Brust von Erz.

Auf die Seitentüre zeigend.

Dort unser Weg. Verlegt euch nicht auf Bitten.
KLESEL.
Ihr mahnt mich recht. Ich habe hier geboten
Und will nicht betteln um der Bettler Gnade.
Vollführt denn die Befehle eures Herrn,
Der sich von Eisen fühlt, wie euer Harnisch,
Sooft ihn Glaubenseifer vorwärts treibt,
Doch kommts einmal zu menschlicher Zerwürfnis,
Vor jedem zittern wird, der, starken Sinns
Sich dienend aufgedrungen ihm zum Herrn.
Er wird mein Rächer sein. Ich ahn ihn schon
Und höre seine Tritte aus der Ferne.
EIN DIENER
der die Mitteltüre öffnet, anmeldend.
Herr Oberst Wallenstein.
KLESEL.
Hört ihr den Namen?
SEYFRIED.
Jetzt ist nicht Zeit zu sprechen. Dort hinaus.

Aus der Seitentüre sind Trabanten herausgetreten.
KLESEL
zu Seyfried, der vorausgehen will.
Zurück! Mir bleibt der Vorrang, wärs in Ketten.

[440] Er geht mitten durch die Trabanten ab. Seyfried folgt. Oberst Wallenstein ist eingetreten und sieht ihnen verwundert nach.
Erzherzog Ferdinand kommt durch die Mitteltüre.
FERDINAND.
Wir freuen uns, Herr Oberst, euch zu sehn.
Ihr kommt aus Prag?
WALLENSTEIN.
Auf einem Umweg, ja.
FERDINAND.
Wie stehts im Schloß?
WALLENSTEIN.
Verwirrung allerorten.
Man spricht von Krankheit, manche gar von Tod.
FERDINAND.
Verhüt es Gott!
WALLENSTEIN.
Er wird wohl etwa, denk ich.
Allein im Land bedarf es unsre Sorge,
Da ist das Unterste zuoberst, Herr.
FERDINAND.
Vielleicht das Oberste zuunterst bald.
WALLENSTEIN.
Man hat den Bau der Kirchen eingestellt,
Die ihnen zugesagt der Majestätsbrief.
FERDINAND.
Das hat er nicht.
WALLENSTEIN.
Nun, auch gut, also nicht.
Allein sie glaubens, und der Aufstand lodert
In Braunau, Pilsen, weit herum im Land.
Schon bis nach Prag erstreckt sich die Bewegung.
Der Mathes Thurn liegt dort im Hinterhalt.
FERDINAND.
Und unsre Treuen, Martiniz, Slawata,
Des Landes fromme Pfleger, dulden sies?
WALLENSTEIN.
Sie haben Ärgeres bereits erduldet.
Der Mathes Thurn ließ eben, als ich abging,
Nach einer alten Landessitte, sagt er,
Sie aus den Fenstern werfen am Hradschin,
Im vollen Landtag und im besten Sprechen.
Doch sind sie unverletzt, seid unbesorgt.
Sie haben noch gar höflich sich entschuldigt,
Weil nach dem Rang sie nicht zu liegen kamen,
Zuoberst, weil zuletzt, der Sekretär.
Betrachtet Böhmen drum als feindlich Land.
FERDINAND.
Nun, um so besser denn!
WALLENSTEIN.
Ihr seid mein Mann!
Drum eben ist Gewalt Gewalt genannt,
Weil sie entgegentritt dem Widerstand.
[441] Und wie im Feld der Heeresfürst gebeut,
Nicht fremde Meinung oder Tadel scheut,
So sei auch in des Landes Regiment
Ein Gott, ein Herr, ein Wollen ungetrennt.
Ich will nun noch zu seiner Majestät.
FERDINAND.
Laßt das auf später. Setzt für jetzt euch hin,
Schreibt die Befehle an die Garnisonen.
WALLENSTEIN.
Das ist bereits geschehn.
FERDINAND.
Durch wen? und wann?
WALLENSTEIN.
Da auf den Stationen, als ich herritt,
Man mit den Pferden zögerte, wie's Brauch,
Benutzt ich jede Rast und schrieb die Orders
An die entfernt gelegnen Truppen selbst,
Sie teils nach Brünn, teils her nach Wien bescheidend.
Erwartet heut noch die Dampierrschen Reiter,
Kapraras Fußvolk auch ist wohl schon nah.
Der Krieg hat Füße denn doch nur und Hände,
Wenn er Geschwindigkeit mit Kraft vereint.
FERDINAND.
Und das nahmt ihr auf euch?
WALLENSTEIN.
So sollt ich nicht?
FERDINAND.
Ich dank euch, Herr; und denk euch wohl zu brauchen,
Wenn mich einst Gott auf diesen Thron gesetzt.
Doch will ich mich auch hüten, nehmts nicht übel,
Daß ihr nicht mehr mir dient, als lieb mir selbst.
WALLENSTEIN.
Wer kann wohl sagen, meint ein altes Sprichwort:
Aus diesem Brunnen will ich niemals trinken!
Die Zeit entscheidet da, Herr – und der Durst.
ERZHERZOG FERDINAND
die Mitteltüre öffnend.
Herbei, wer in den Vorgemächern draußen
Und treu es meint mit Östreichs edlem Haus.

Mehrere treten ein.
FERDINAND.
In Prag hat sich der Pöbel, Glaubenspöbel
Erfrecht, was nimmermehr zu dulden ziemt.
Wer Christ und Edelmann, ist aufgefordert,
Zu ziehn mit uns für Gott und für das Recht.
EINIGE.
Seht uns bereit!
ANDERE.
Mit Gut und Blut und Leben!
[442]
FERDINAND.
Besendet Tilly, schreibt an Baierns Herzog,
Daß uns ihr Beistand sicher, wenn er not.
Obwohl für jedes Menschenleben gern
Ich einen Teil hingäbe meines Selbst,
Will ich nicht ruhn, bis dieses böse Schlingkraut
Vertilgt in jeder Windung bis zum Kern.

Trompeten in der Ferne.
WALLENSTEIN
ans Fenster eilend.
Das sind, weiß Gott! schon die Dampierrschen Reiter.
Die habt ihr nun wie Würfel in der Hand.

König Mathias kommt aus dem Kabinette.
MATHIAS.
Was sind das für Trompeten? und was solls?
FERDINAND.
Die Truppen, Herr, die sich nach Prag bewegen,
Wo frecher Aufruhr uns die Stirne beut.
MATHIAS.
Die Früchte das von dem geheimen Treiben,
Das hinter unserm Rücken still bemüht.
Schickt nach dem Kardinal!

Da die Angeredeten verlegen zurücktreten.

Was zögert ihr?
FERDINAND.
Er ist nur eben abgereist nach Kufstein.
MATHIAS.
In diesem Augenblick? Ist er von Sinnen?
FERDINAND.
Gerad in diesem Augenblick, mein König.

Auf das Kabinett zeigend.

Gefällts euch, hier ins Innre einzutreten,
So leg ich euch die Gründe dienstlich vor.
MATHIAS
streng.
Sprecht öffentlich, damit ich offen richte.
FERDINAND
Schriften aus dem Mantel ziehend, halblaut.
Die Briefe hier von Baiern, Spanien, Rom,
Den einzgen Stützen unsrer guten Sache,
Die nur auf die Entfernung dieses Manns
Den Beistand uns verheißen, den wir brauchen.
Hier Oberst Wallenstein, er kommt aus Prag
Und meldet uns, daß dort der Aufstand rege.
Die Andersgläubigen der andern Länder
Erwarten nur das Zeichen solchen Ausbruchs,
Um zu vereinen sich zu gleichem Trotz.
Glaubt ihr, daß wir mit unsern eignen Kräften,

Auf die Schriften zeigend.

[443] Nicht unterstützt von gleichgesinnten Mächten,
Dem Sturm gewachsen, der uns rings bedroht?
MATHIAS.
Wär Klesel hier, er wüßte des wohl Rat.
FERDINAND.
Er ist kaum auf dem Weg. Geliebt es euch,
So bringen Boten ihn noch heut zurück.
Allein alsdann verzeiht, wenn ich mich selbst
Vereine mit den Schreibern dieser Briefe,
Zurück mich ziehend in mein stilles Land.

Mit gebeugtem Knie die Schriften hinhaltend.
MATHIAS
die Schriften ihm heftig aus der Hand nehmend.
Wir wollen sehn! – Herr Oberst Wallenstein,
Ihr kommt von Prag. Wie steht es mit dem Kaiser?

Mit einem Seitenblicke auf Erzherzog Ferdinand.

Ich fühle mich nur jetzt an ihn gemahnt.
WALLENSTEIN.
Er ward so oft im Leben totgesagt,
Daß nun auch kaum man den Gerüchten glaubt,
Die Unheil kündend sich vom Schloß verbreiten.
Doch überholt ich an der Taborbrücke
Ein Sechsgespann mit kaiserlichem Wappen
Und Herren drin in Schwarz, vielleicht in Trauer.
Hier sind sie, deucht mich; hört die Antwort selbst.

Herzog Julius von Braunschweig und einige Hofleute, die reichverzierte Kleinodiengehäuse tragen, sämtlich in Trauer, treten ein.
MATHIAS.
Ich weiß genug. Es sprechen eure Kleider.
Mein Bruder tot. Wär ich es erst nur auch.

An der Türe des Kabinetts.

Und niemand folge mir! Ich will allein sein.

Er geht hinein.
FERDINAND.
Und ist es so?
JULIUS.
Es ist. Ein jäher Anfall,
Der noch der Hoffnung Raum ließ, weil er öfter,
So sagen seine Diener, ihn ergriff.
Doch diesmal wars der Tod. Er ist geschieden.
FERDINAND.
O, daß der Drang der Zeit mir Weile gönnte,
Ihn zu beweinen, wie er es verdient.
Er war ein frommer Fürst.
JULIUS.
Wohl, und ein weisrer,
Als ihm die Hast der Übereilung zugibt.
[444]
FERDINAND.
Doch zeigt die Weisheit sich im Handeln meist.
JULIUS.
Wo nichts zu wirken, ist auch nicht zu handeln.
Die Zeit hilft selbst sich mehr, als man ihr hilft.
Wir bringen die Insignien des Reichs,
Das einem andern nun zu Recht gehört,
Ein Erbe, der die Erbschaft schon besitzt.
Und so nun, meine Freundespflicht erfüllt,
– Er war mein Freund, ich wenigstens der seine –
Empfehl ich dieses Land in Gottes Schutz
Und kehre rück zu meinem, das mich ruft.
FERDINAND.
Vor allem noch nehmt unsers Hauses Dank,
Herr, und erlaubt, daß bis zur äußern Tür –
JULIUS
ablehnend.
Der Tod macht gleich. Wir alle müssen sterben.

Er geht. Seine Begleiter setzen die Kapseln mit den Insignien auf einen rechts im Hintergrunde stehenden Tisch.
Militärmusik in der Ferne.
WALLENSTEIN
ans Fenster eilend.
Das ist Kapraras Fußvolk, wie ich sagte.
FERDINAND.
Laßt diese Töne schweigen, die den Jubel
In unsers Herzens Trauer spottend mischen.
– Auch stört es etwa Seine Majestät,
Die jetzt wohl schwer von anderen Gedanken.

Es ist jemand auf den Balkon getreten und hat mit den Schnupftuch ein Zeichen gemacht. Die Musik schweigt.
FERDINAND.
Und so im Geist der Leichenfeier folgend
Des hingeschiednen Herrn, laßt uns ihn rächen.
Zwar Rache ziemt dem echten Christen nicht,
Doch seine Feinde strafen, die auch unsre;
Und strafend sie, wärs mit dem Äußersten,
Zugleich erretten von dem ewgen Tod.
Ein kurzer Feldzug nur steht uns bevor –
WALLENSTEIN
in der Menge.
Der Krieg ist gut, und währt' er dreißig Jahr.
FERDINAND.
Wer sprach? Was fällt euch ein? Und warum dreißig?
Ists doch, als ob mit wiederholtem Schall
Das Wort von allen Wänden widertönte.
Ein kurzer Feldzug, sagt ich, und so ists.
Was fällt euch ein? Und warum dreißig eben?
[445]
WALLENSTEIN.
Ei, Herr, man nennt so viel ein Menschenleben.
Und eh nicht, die nun Männer, faßt das Grab,
Und die nun Kinder, Männer sind geworden,
Legt sich die Gärung nicht, die jetzt im Blut.
FERDINAND.
Wir achten euch als wohlerprobten Krieger,
Als tüchtgen Führer, wohl dereinst als Feldherrn,
Doch zum Propheten seid ihr noch zu jung.
Und wenn ihr, wie man sagt, in Sternen lest,
So denkt an Kaiser Rudolfs traurig Wissen.
Nun laßt uns die Befehle noch bereiten,
Daß jedem kundig, wo sein wahrer Punkt.
Denn gleich der Tat ehr ich die kluge Schrift;
Die Feder schlägt oft sichrer als die Waffe.

Musik und Lärm auf der Straße.

Vivat Mathias!
FERDINAND.
Schweigt man nimmer denn?
EIN DIENER
der eingetreten ist.
Der Tod des Kaisers hat sich schon verbreitet.
Man jauchzt dem neuen Herrn. Man will ihn sehn.
AUF DER STRASSE.
Vivat Mathias!
FERDINAND
auf das Kabinett zeigend.
Geh denn einer hin
Und sage – Meldet Seiner Majestät
Des Volkes Wunsch und der Getreuen Bitte.

Der Diener geht ins Kabinett.
FERDINAND.
Man muß die Stimmung nützen, wenn sie neu.
Gealtert teilt sie gern des Alters Zweifel
Und frägt nach Gründen; endlos im Warum?
MATHIAS
aus dem Kabinette.
Wird mir denn nimmer Ruh? Was soll es noch?
FERDINAND.
Das Volk, von dem Ereignis unterrichtet,
Das seinen Herrn beruft zum deutschen Thron,
Dazu die Krieger, die ins Feld sich rüsten,
Verlangen euch zu sehn, erlauchter Herr.
MATHIAS.
Nun denn, nur schnell.
FERDINAND
auf die Glastüre zeigend.
Vielleicht hier vom Balkon.
MATHIAS.
Geht ihr mit mir und steht an meiner Seite,
Vielleicht erkennt das Volk dann, wer sein Herr.

Erzherzog Ferdinand tritt mit einer ehrerbietigen Verbeugung zurück.
[446]
MATHIAS.
So öffnet denn die Tür! – Und –

Mit einer Abschiedsbewegung.

Gott befohlen!

Er tritt auf den Balkon. Jubelgeschrei von außen.
FERDINAND.
Wir wollen denn nicht länger lästig fallen.
Ich selber ziehe nicht mit euch ins Feld.
Doch will ich sorgen, daß, dieweil ihr fern
Die Feinde tilgt mit scharfgeschliffner Waffe,
Die Gegner in dem Rücken eures Heers,
Die heimlichen, deshalb gefährlichsten,
Gejätet und gesichtet und getilgt,
Auf daß das Land ein wohlbestellter Garten,
Ein Ährenfeld, zu Frucht dem höchsten Herrn.

Indem die Anwesenden sich öffnen und einen Durchgang bilden.
FERDINAND.
Es geht in Krieg, seid froh, Herr Wallenstein.
WALLENSTEIN.
Ich bins.
MEHRERE.
Wir auch, und währt es dreißig Jahr.
– Ja, wärens dreißig. – Dreißig! – Um so besser.

Indem sie Wallenstein die Hand schütteln, alle ab.
MATHIAS
der vom Balkon zurückkommt.
Was sprechen sie von Krieg und dreißig Jahren?
Ich werd es nicht erleben. Glück genug.
Und übrall Lärm. Ich aber brauchte Stille,
Tönts doch in meinem Innern laut genug;
Und wieder öde, daß kein Widerhall
Des allgemeinen Jubels rückerklingt.
Am Ziel ist nichts mir deutlich als der Weg,
Der kein erlaubter war und kein gerechter.

Sein Blick trifft die Reichskleinodien, er wendet die Augen ab.

O Bruder, lebtest du, und wär ich tot!
Gekostet hab ich, was mir herrlich schien,
Und das Gebein ist mir darob vertrocknet,
Entschwunden jene Träume künftger Taten,
Machtlos wie du, wank ich der Grube zu.
Ich will ins Freie, mich zerstreun – und doch,
Wie ein Magnet ziehts mir die Augen hin
[447] Und täuscht mit Formen, die nicht sind, ich weiß.
Reicht denn dein Haß herüber übers Grab,
Selbst nach der Strafe noch?

Lärm und Musik von neuem aus der Ferne.
MATHIAS
gegen den Tisch gekehrt in einiger Entfernung niederknieend und wiederholt die Brust schlagend.
Mea culpa, mea culpa,
Mea maxima culpa.
VON DER STRASSE.
Vivat Mathias!

Indem das Vivatrufen fortwährt und Mathias das Gesicht mit beiden Händen bedeckt, fällt der Vorhang.

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TextGrid Repository (2012). Grillparzer, Franz. Dramen. Ein Bruderzwist in Habsburg. Ein Bruderzwist in Habsburg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-F62B-7