Christian Dietrich Grabbe
Etwas über den Briefwechsel
zwischen Schiller und Goethe
[93] Etwas über den Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe in den Jahren 1794 bis 1805 (6 Theile, Stuttgart und Tübingen, Cotta'sche Buchhandlung), so wie auch einiges über die ebengenannten beiden Dichter selbst und über unsere Zeit.
Die Guillotine der Revolution steht still und ihr Beil rostet, – mit ihm verrostet vielleicht auch manches Große, und das Gemeine, in der Sicherheit, daß ihm nicht mehr der Kopf abgeschlagen werden kann, erhebt gleich dem Unkraut sein Haupt. Napoleons Schlachtendonner sind gleichfalls verschollen. Seine Feinde denken seiner nicht mehr, weil sie ihn nicht mehr sehen noch hören, – Freunde, die ihn kannten, sterben allmählig aus, – jugendliche Enthusiasten bewundern wohl seinen Kriegesglanz, von dem ihnen noch einige Augenzeugen zu erzählen wissen, begreifen aber schwerlich seinen Character, seine Sendung und seine Zeit.
Mit Napoleons Ende ward es mit der Welt, als wäre sie ein ausgelesenes Buch, und wir ständen, aus ihr hinausgeworfen, als die Leser davor, und repetirten und überlegten das Geschehene. In succum et sanguinem haben wir es indeß noch nicht vertirt, selbst die historischen Compendien-Fabrikanten und Guckkastenzeiger, wozu insbesondere die deutschen Geschichtschreiber mehr oder weniger gehören, nicht ausgeschlossen. Und was soll man da hoffen? Was wenigstens bei unsren Landsleuten? Eine Recension, von irgend einem Laffen zusammengeschrieben, [93] ist ihnen oft mehr werth als das recensirte Buch, denn – es ist eine Recension, – eine Pflanze lernen sie eher aus Linnés System kennen, als in der Natur selbst, denn – sie steht in einem System. Analogisch geht's ihnen grade so bei den Weltbegebenheiten.
Aber so ruhig unsere Zeit scheinen, so ruhig man sie betrachten mag, der nachdenkende Beobachter schaudert doch zuletzt zusammen: unter den Gebildeten (und diese wirken auf die Masse vermöge der vielen Mittheilungsmittel mehr zurück als je) Weltüberdruß allethalben, – selbst der Mystiker ist von ihm angesteckt, nur flüchtet er davor nicht in den sinnlichen Wust des Lebens, sondern in seine überirdischen Himmel. Wie wenig Achtung vor den alt-bürgerlichen und religiösen Institutionen! Wie viel Tausende, welche diese Achtung zu haben glauben, brauchen nurgeprüft zu werden, um selbst zu fühlen und Anderen zu beweisen, daß sie dieselbe nicht besitzen. Wie Wenige kennen und schätzen die Bedeutung von König, Staat, Geistlichkeit und Adel? Sogar das nicht historische, das persönliche Verdienst wird bloß da respectirt, wo Stimmführer (meistens elender als der Pöbel, den sie leiten) darauf hinweisen, oder Geldbesitz ihm die Mittel gibt, sich wichtig zu machen. Alles liegt chaotisch durcheinander, und Zeit ist es, daß der Geist Gottes wieder über den Wassern schwebe. Möglich, daß er schon da ist, – manche Brust schlägt hoch auf bei dem Gedanken einer besseren Zukunft. – Die Erdbewohner haben nur Eine Periode gehabt, – die hieß Rom, und sie ist wieder in zwei Abschnitte getheilt, in die kriegerische und in die christliche Weltherrschaft, welche letztere aus der ersteren folgte, oder doch genau damit zusammenhing. Eine andere Periode ist im Annahen, – neue Lebensfrische wird sie um sich verbreiten, aber nach 1800 Jahren werden ihre neuen Institute eben so veraltet seyn wie die, welche wir jetzt alt nennen.
Bei alle dem sieht's an vielen Orten des Erdballs noch ziemlich fröhlich oder doch lebendig aus. Und mit Ursache. Von der Vergangenheit haben wir große Erinnerungen, für die Zukunft dunkle Hoffnungen, und die Gegenwart gibt uns, was wir suchen, – Genuß.
Was das Volk im Palais Royal, der Padischah in seinem Harem, mancher Fant unter den Linden in Berlin, unter Genuß verstehen, sey, wie es sich gebührt, bei Seite gestellt. Die [94] geistigen Genüsse, künstlerische oder wissenschaftliche verdienen hier eher Erwähnung. Und wie ist es da? Ueberall Dilettantismus, das heißt: die Sucht genießen zu wollen, und die Sache nur halb zu verstehen. Bei den Wissenschaften fast an jeder Stelle nur Insecten, die sich an den literarischen Resten der großen Männer des achtzehnten Jahrhunderts fett zu zehren und damit dem Haufen zu imponiren versuchen, oder kenntnißreiche Männer, die mit dem reinen Ergebniß ihrer Forschungen nicht zufrieden sind, und sich und Andere verwirren, indem sie aus Steinen Gold machen wollen, wie z.B. ein Savigny aus dem altrömischen Rechte, ein Creuzer aus der Mythologie, ein Justinus Kerner aus der Medicin, respective ihre historischen Schulen, Symbolik, oder Seherinnen von Prevorst zu deduciren wissen. Mancher anderen Scienzen, vorzüglich jedoch der Theologie und Philosophie gar nicht zu gedenken: die beiden eben genannten kennt man schon seit 6000 Jahren so genau, daß etwas Neues, ungeachtet aller Qualanstrengungen derjenigen, die nun durchaus einmal erfinden wollen, nicht mehr hervorgebracht werden kann.
Die Masse der jetzigen Menschheit, wenigstens der Halbgebildeten in größeren Städten, wendet sich (ihr Essen, Trinken, Betrügen und Betrogen-Werden ausgenommen) zu der Kunst. Wahre Kunst, es sey welche es wolle, hat mit der Schönheit gemein, daß Jeder, auch ohne Studium, ihre Wirkung fühlt. In unserem Zeitalter sind aber soviel durch Ruhm-, Geld- oder Freß- und Sauf-Sucht entstandene belletristische Compendien, Journale, Vorlesungen p.p. erschienen, daß ein Theil der Leser dadurch verwirrt worden ist, ein anderer Theil sich an der Nase ziehen läßt, nach irgend einer beliebigen Autorität, und ein dritter Theil, im halbblinden Vertrauen auf diese Umstände (denn klar erkennen kann er sie nicht) die Marktschreier oder Kunstrichter zu spielen wagt.
Die Losung ist jetzt Musik! Und leider, leider, nicht deshalb, daß die musicalischen Enthusiasten die Tiefe dieser Kunst erkannt hätten, sondern weil Musik noch bequemer und leichter als Poesie die Ohren kitzelt.
Auch das möchte man dahingehen lassen, aber ekelhaft (und was ist schlimmer als ekelhaft?) ist es, daß die musicalischen Dilettanten mitsammt dem kunst- und wissenschaftslosen Pöbel nunmehr nicht mehr die Künstler, sondern die Persönlichkeit beachten.
[95] Was die junge oder die alte theatralische Garde in Berlin denkt oder wünscht, wenn sie die Mamsell Sonntag erblickt, weiß Jeder, der die Leute kennt. Diese eben nicht schöne, ja nicht einmal feurige, aber ziemlich kalt reflectirende Sängerin, weiß recht gut ihre feine Coquetterie in Blick, Bewegung, Putz und Stimme anzubringen, und so lange es dauert, gefällt sie dadurch manchem Narren, der sich leicht in Theaterprinzessinnen verliebt. Signor Paganini, ihr Gegenstück, coquettirt mit dem Publico in anderer Art. Dieser Mensch hat zweifelsohne Genie, – er ist aber nichtsdestominder ein musicalischer Charlatan geworden. Seine Kunststücke auf der G Saite, ewig und immer die alten, haspelt er in jeder Stadt wieder neu ab, und ein Frankfurter oder Berliner Referent sollte sich schämen, wenn er emphatisch abermals das berichtet, was wir schon längst seit Paganinis erstem Auftreten in Wien wissen. Aber Paganini, der bei seinem ziemlich häßlichen Aussehen, nicht die Rolle einer männlichen Sonntag (sit venia verbo) spielen kann, hat dafür bei dem Vortrage seiner Kunststücke statt einer liebenswürdigen Fratze, eine melancholische angenommen. Paganinis Melancholie möchte wohl mit den Geldsummen zusammenhängen, die er in England deponirt hat oder deponiren will.
Ist aber alles das nicht in einer Zeit entschuldbar, wo sogar Könige, die keinen Geldzweck haben können, sondern bloß von überspannten Ansichten ihrer poetischen Kraft getäuscht seyn müssen, Gedichte herausgeben, welche weder Dichtergenie noch grammaticalische Kenntniß verrathen? Der jetzige König von Baiern hat genug Gutes und Großes gethan, als daß ihm etwas am Dichterruhme gelegen seyn könnte, – Er kann gewaltiger und erhabener dichten, als irgend ein Poet in seinen Staaten, Er kann als Herrscher schaffen, – Er thut es auch, und dieses Ποιειν ist ein besseres Gedicht als alle die Verse, welche er den so oft flachen, meistens aus persönlichen Gründen lobhudelnden oder schimpfenden Kunstrichtern der Gegenwart oder Nachwelt vorlegt. Friedrich der Einzige und Napoleon ließen ihre schriftstellerischen Werke erst nach dem Tode in die Welt gehen, – jetzt scheint aber fast die Zeitung der Revolution, die Dichtung der That voraneilen zu wollen.
Alles das ist wieder Schuld der Zeit, – sie ist so schlecht, daß sie nach etwas, das ihr besser scheint als sie selbst ist, [96] unvorsichtig hascht. Die Hoffnung ist bei unseren politischen Weltverhältnissen zu oft getäuscht worden, – wer daher von dem Kunstwahnsinn unangesteckt geblieben ist, oder dabei einige Muße übrig behalten hat, sich auch bisweilen um ernstere Dinge zu bekümmern, wendet sich zu den Bildern der Vergangenheit. Diese dürfen aber ja nicht großartig geordnet, wie sie uns etwa ein Gibbon darstellt (wie viel Belletristen möchten wohl auch nur Gibbon gelesen haben?), gezeigt werden, – das wäre zu viel verlangt. Nein, wir müssen die Geschichte brockenweise genießen, und die Brocken müssen modisch gebacken seyn. Da regnet es denn hageldicht Memoiren, dem literarischen Pöbel immer willkommen, wenn sie nur Anekdoten, gleichviel ob wahre ob unwahre, mitbringen, denn den Waizen aus der Spreu sondern, kann solcher Pöbel nicht, – da kommen Segur'sche phantastische Kriegsgeschichten, – desgleichen historische Romane à la Walter Scott, in denen die Heroen der Vorzeit schnöde castrirt sind, damit sie in ihrem, in der Laffen Tone etwas dem Leser vorpfeifen können. Endlich finden sich da auch Briefwechsel Verstorbener oder Lebender ein, selbst solche bei welchen für den Briefsteller und den Briefempfänger nichts wünschenswerther gewesen wäre, als daß man sie ewig unter ihrem Siegel hätte ruhen lassen und nie der Welt zum Scandal mittheilen sollen. Der über seine Klugheit närrisch gewordene Hamann, welchen Goethe vielleicht eben deshalb, weil er ihn nicht versteht, als Philosophen bei uns einschwärzen will, muß jetzt, nach dem Tode, seine Briefe zum Druck hergeben, – Lessing, Winkelmann, G. Forster, Jean Paul müssen desgleichen thun. Gut, es findet sich stets in diesen Briefen etwas Interessantes, und klärte es auch nur den Character dieser Männer auf. Aber da kommt auch noch der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, und etwas Unbedeutenderes (man möchte sagen Elenderes) ist seit Langem nicht gedruckt.
Die Briefe eines Cicero, eines Plinius geben uns wichtige Aufschlüsse über die Zeit, in der sie geschrieben wurden, – die Briefe aus dem Jahrhundert Ludwigs XIV (von Bussy-Rabutin, von der Sevigné p.p.) zeigen einen eleganten Conversationston, eine außerordentliche Feinheit des Styls, – die Briefe Friedrichs des Einzigen, mit Voltaire, d'Argens u. A. gewechselt, lassen uns überall Geister erkennen, welche die alte Zeitlage erkennend, reformirend in das neue Weltalter [97] schritten, – aber der Schiller-Goethische Briefwechsel, in sechs Bänden dem Publico vorgelegt, welches vielleicht im Vertrauen auf die Firmen Schiller und Goethe tüchtig loskaufen wird, – hat keines der den obigen früheren Briefsammlungen beiwohnenden Interessen, ist weiter nichts als eine Sammlung billetmäßiger Lappalien, wobei anfangs Schiller und Goethe, besonders in ihren staatsbürgerlichen und schriftstellerischen Verhältnissen zu einander, an nichts weniger als deren dereinstige Publication gedacht haben.
Ex post, nach mehr als 20 Jahren, hat sich jedoch Goethe eines Schlimmeren besonnen. Er selbst hat wahrscheinlich diese Trivialitäten herausgegeben. Sicher glaube ich freilich an ein solches Vergehen gegen Schiller und gegen sich selbst noch nicht recht. Indeß – wo kommen die von Schiller an Goethe gerichteten Billette her, wenn Letzterer sie nicht zum Druck ausgeliefert hat? Und – ach! – beginnt der sechste Theil nicht mit einer Dedication an den König von Baiern, nach welcher jeder unseren Dichterliebling (Dichterfürst ist für ihn zu viel) als Herausgeber der qu. Briefsammlung halten muß?
Schiller und Goethe, ihr beiden Heroen am deutschen Dichterhimmel, brauchtet euren Glanz nicht mit den Erbärmlichkeiten eures Privatlebens zu umnebeln – Recht gut, daß man eure Charactere kennen lernt, aber so manche Elendigkeiten, die wir nicht zu wissen brauchten, dabei! – Auch das mag gut seyn, wenigstens bei dem blinden Bewunderer Menschenkenntniß verbreiten, – aber war es (gelinde ausgedrückt) klug oder delicat, daß Goethe sie bekannt machte? Was Schiller oder Goethe künstlerisch oder moralisch sind, weiß der Gebildete auch ohne diese Briefe.
Das literarische Gesindel, welches nichts kann, als Nachschreien und Nachbeten, wird nicht ermangeln auch diesen Briefwechsel zum Himmel zu erheben. Die Berliner Jahrbücher der Literatur, in denen die Recensionen von den Recensenten unterzeichnet werden, und das im belletristischen Fache sehr überflüssig, da man die darin an hohlen Phrasen sich abwürgenden Menschenkinder schon kennt oder schon nicht achtet, haben in ihrem breiten, nach der Schule schmeckenden Style bereits nicht versäumt, dieß auf Kosten Schillers zu thun, der immer nur als Schildknappe neben Goethe mitgehen soll. Auch auf Kosten der Wahrheit, – Herr Varnhagen von Ense, der mehr Kenntniß, und die ist auch so arg nicht, als Urtheil[98] besitzt, hätte sich z.B. recht hüten sollen, Schiller und den jetzigen König von Baiern am Schlusse seiner Kritik in eine poetische Bekanntschaft zu bringen, die nie existirt hat. Andere Journale machen es indeß eben so, und Mancher heult mit, weil er muß.
Schmutz ist Schmuz und kommt er auch aus dem Palaste eines sogenannten Dichterfürsten. Beschenkt dieser die Welt mit Sächelchen, die wie die qu. Briefsammlung oft nichts enthalten, als Einladungen zum gemeinsamen Ausfahren, Grüße an die liebe Frau, an Carlchen bisweilen dazu, so schütze uns Gott, wenn etwa Napoleon, der an Kraft, Geist, Character und Wirksamkeit etwas mehr als Goethe und Schiller bedeutet, ja, auf ihre Dichtungen (Schillers Wallenstein, Goethe's Werke seit 1813) sichtbaren Einfluß gehabt hat, alle seine Tagsbefehle, freundschaftlichen Billets, Licenzzettel pp edirt hätte. Hält Goethe sich für so wichtig, glaubt es sey zu seiner und zu Schillers dereinstigen Characterschilderung so nöthig, daß er nach Schillers Tode diese Briefwechselei herausgibt, so hätte er doch den Leser und das Papier mit den Visiten- und Küchen-Charten (denn viele Billette sind nichts weiter) verschonen sollen. Er konnte ja, wenn »Grüße und Einladungen zum Mitspeisen« so große Bedeutung auf die Bildung und das Wesen zweier Dichter haben, sie nur chronologisch anzeigen – einige hundert Seiten hätte er gespart.
Wer diesen Briefwechsel in das Publicum gegeben hat, ist auch im Stande, seine und Schillers abgetragene Hosen lithographiren zu lassen. Goethe irrt sich aber, wenn er etwa glaubt jeder Leser würde sein Verhältniß zu Schiller so annehmen, wie es hier sich darstellt. Ohne Controlle nichts Gewisses in der Welt – Sollte Schiller an dritte Personen so über Goethe geschrieben haben, wie an Goethe selbst? Man hat Grund zu zweifeln, selbst nach der behutsamen Körner'schen Biographie vor Schillers Werken. Es wäre dankenswerth, wenn noch lebende Freunde Schillers, die mit ihm briefgewechselt haben, nun auch die empfangenen Briefe edirten.
Das Widerlichste der qu. Briefwechselei ist der Anfang des 6ten Theils desselben, die Dedication an den jetzigen König von Baiern. Meine Leser und ich werden sich freuen, wenn dieser Punct beseitigt ist, darum zuerst Einiges über ihn. Man begreift die Verblendung nicht, mit der Goethe dergleichen drucken lassen sollte. Der Besuch, den der Baierkönig ihm vor [99] einigen Jahren gemacht hat, scheint Se. Weimarische Excellenz, von deren Vornehmthun schon Bürger zu singen wußte, ganz in eine baierische verwandelt zu haben. Goethe, der seit mehr als einem halben Jahrhundert von dem Weimarischen Regentenhause unterstützte, beinah verzogene Dichter, entblödet sich nicht, in jener Dedication dem Könige von Baiern zu sagen »wie sehr Schiller das Glück Sr Majestät anzugehören, wäre zu wünschen gewesen, und wie durch allerhöchste Gunst Schillers Daseyn durchaus erleichtert, häusliche Sorge entfernt, seine Umgebung erweitert« pp. geworden seyn würden. Welch ein Gallimathias von höfischer Kriecherei, Unwahrheit und poetischem Schwulst! Haben Goethes Schmeichler ihn so angesteckt, daß er selbst einer wird?
Ich will davon absehen, daß es zweifelhaft bleibt, ob der mit Recht für die Finanzen seines Landes sorgende König von Baiern, Schiller in das von Goethe geträumte Utopien befördert hätte, denn nach dem Tode Schillers läßt sich leicht sagen, aber nicht mehrthun, man würde ihn bei seinem Leben gern glücklicher gemacht haben, als er war. Dann weiß ich außer dem Herrn Eduard von Schenk, keinen Dichter, der vom König begünstigt scheinen könnte, und von Schenk wird diese Gunst mehr seiner Tüchtigkeit als Staatsdiener oder Lebemann, schwerlich seinem dichterischen Klingklang verdanken. Graf Platen soll von dem Könige jährlich 600 F1. erhalten, – davon wird er aber in seinem Rom keinen Falerner trinken können.
Aber womit kann Goethe beweisen, Schiller habe so in häuslicher Sorge und drückendem Daseyn gelebt, daß es für ihn ein Glück gewesen wäre, wenn er dem Könige von Baiern angehört, und dieser sein Da seyn erleichtert hätte? Grade der Briefwechsel beweis't das Gegentheil, und auch ohne denselben wußte der Unterrichtete es besser. Bedeutendes Vermögen, enorme Einkünfte hatte Schiller nicht, aber siehe den Briefwechsel: glücklich, ohne Geschäftssorgen konnte er durch die Gnade seines Herzoges leben, konnte, ungeachtet er Professor in Jena war, und dort seine Functionen hätte verrichten müssen, nach Belieben in seinem Garten daselbst oder in Weimar wohnen und dichten. Goethe mißt, so ausgeschrien seine angebliche Objectivität ist, hier mit einem subjectivem Maaßstabe: er war seit seiner frühesten Jugend an ein Mehreres gewöhnt, als Schiller je besaß.
[100] Und was heißt es, der König würde Schillers Umgebung erweitert haben? Vielleicht, daß er ihn statt in Jena oder Weimar in München oder Rom (von letzterem soll der König in dieser Beziehung gesprochen haben), als zwei größeren Städten, placirte? Ich denke Schiller hätte solche Anerbietungen so gut abgelehnt, als seine bekannte Berufung nach Berlin. Nicht auf die Größe der Städte, auf die Geister, welche darin hausen, kommt es an. München wird schwerlich, und Rom wird kaum einen Kreis von Geistern wie Herzog Karl August und Amalia, wie Wieland, Herder, Goethe selbst, Fichte, Schelling, (den jetzt München als Bruchstück aus dieser Versammlung besitzt), die beiden Humboldt's, wieder vereinigen können. Die Unterhaltung mit ihnen war einem Schiller sicherlich werther als jede sonstige äußerliche Erweiterung seiner Umgebung. Dieses Erweitern scheint einer von den vagen Ausdrücken zu seyn, deren sich Goethe so häufig bedient, wenn er nicht weiß, was er zu sagen hat oder sagen will, z.B. wunderlich, behaglich u.s.w., so wie er seine ganze Lebensbeschreibung dadurch in ein häßliches Zwielicht stellt, daß er sie Dichtung und Wahrheit titulirt.
Und nun die Briefwechselei selbst: fast überall begleitet den Leser die Erinnerung, daß Schillers Manen finster auf dessen Publication herabsehen. Goethe hat oft der Nation, im Vertrauen auf seinen Ruhm, Lappalien dargeboten, hat oft das Sprichwort haud multa, sed multum nicht beherzigt, jetzt übersieht er das wieder, und größtentheils auf Kosten Schillers, der in dem Puncte ganz anders dachte.
Obgleich Goethe nach einer Ankündigung der Gesammtausgabe seiner Werke selbst ziemlich unumwunden und in einem entschuldigenden Tone eingesteht, daß er wegen sich und der Seinigen auch pecuniäre Interessen zu schätzen wisse, will ich glauben, daß bei dem Briefwechsel das Honorar, welches die getäuschten Käufer mit tüchtigen Procenten dem Buchhändler wieder bezahlen müssen, ihm Nebensache gewesen sey. Hauptsache war wohl, wie schon oben im Vorübergehen angedeutet ist, der erstaunten Welt die Huldigung, welche Schiller für Goethe privatim ausdrückte, die freundliche Annahme dieser Huldigung durch Goethe, und billigerweise auch das vornehme Zuneigen und Entgegenkommen desselben zu Schiller, mitzutheilen. sc.: »Einer der gewaltigsten, vielleicht der erste vaterländische Dichter, den Mancher hat über mich setzen wollen, [101] hat meine überwiegenden Geisteskräfte anerkannt, und mir, als ich auf seine Bitte ihm die Hand darbot, im Vertrauen dieselbe geküßt« – möchte etwas von den Ideen des Herausgebers gewesen seyn. Das dürfte bei Goethe, der in seiner Zeitschrift Kunst und Alterthum nicht ermüdet die Leser mit Wiederabdruck günstiger Recensionen seiner Werke zu belästigen, mittelmäßige Lobgedichte auf sich selbst zu communiciren, und hinterdrein zu erklären, eben nicht auffallen.
Das Verhältniß beider Dichter zu einander könnte indeß auch etwas von dem Folgenden an sich haben: Goethe, der dichtende Weltmann, Schiller, der auch etwas zur Weltklugheit genöthigte Dichter, – beide wohl einsehend, es sey ein Staatsstreich von ihnen, wenn sie, während ihre Anhänger sich wüthend befehdeten, insgeheim miteinander Eins wären, – Schiller durch seine Lage gezwungen, in Sr Excellenz, dem Staatsminister Herrn von Goethe den Protector am Weimarischen Hofe zu finden, aber als gleich großer Dichter dieses unter Freundes-Namen verbergend – – Man denke weiter nach. Sollte es anders Schillers, des ernsten Kritikers Ernst gewesen seyn, Goethe's Producte von dem schlechtesten bis zum besten wie Kraut und Rüben durcheinander zu loben? Oder kannte er als Dramatiker seinen Mann? Im Briefwechsel scheint Schiller'n die Goethische Farbenlehre, von der er nicht einmal etwas versteht (etwa manche alberne historische Behauptungen ausgenommen, die Schiller erkannte und verachten mußte, wie z.E. Rom die Wolfstochter und Räuberbraut wäre aus einem behaglichen Zustande in die Breite der Weltherrschaft gediehen) eben so hoch zu schätzen wie wahrhaft reichhaltige, wenn auch nicht großartige und nach Goethe's bequemer Manier sogar künstlerisch unvollendete Werke: Wilhelm Meisters Lehrjahre und Faust. Werden Goethes kleine, oft treffliche Lieder, manchesmal mit Recht gelobt, so ist aber auch in dem Briefwechsel das kalte Ding, Hermann und Dorothea, in Gefühl und Vers weit unter der Louise von Voß stehend, vermuthlich unter qualhaften Anstrengungen entstanden, um ein genialeres Gegenstück jener Louise zu bilden, beinah als ein Ideal der epischen Dichtkunst gepriesen! – Und Schiller kannte zu jener Zeit den Homer gut genug.
Ach, wie devot fängt Schiller den Briefwechsel an. Wie formell und schmeichelhaft kommt er dem Hochwohlgeborenen [102] Herrn, Hochzuverehrenden Herrn Ge heimer-Rath im Curialstyl entgegen. Aber wie selbstbewußt und seinem dichterischen und bürgerlichen Range angemessen, weiß Herr von Goethe mit einem »Ewr Wohlgeboren« zu antworten, und wie berechnet nennt er in der Antwort Woltmann, Fichte, von Humboldt, Schiller wackere Männer! Was würde Er sich auch vergeben haben, wenn Er sie Männer genannt hätte, die mindestens so ausgezeichnet waren wie Er. In nämlicher Art geht es fort durch die ganze Briefwechselei.
Ein anderer Grundton dieser Briefwechselei ist die ewige Caresse, welche Schiller dem Herrn von Goethe, abgesehen von allen Standesverhältnissen, wegen seines überlegenen Genies glaubt machen zu müssen. Goethe's Genie ist dem Schiller'schen nicht überlegen gewesen, um so unwahrscheinlicher als grade Bescheidenheit, die gern etwas annimmt, aber nie mit sich selbst renommirt, Quelle und Zeichen des Genies ist. Herr von Goethe denkt aber darin wie eine journalistische Ephemere: er hat von Schiller Manches angenommen, publicirt die Manier, wie er dabei verfuhr, im Briefwechsel jedoch auf eine Art, als hätte er nie etwas angenommen. Die Zukunft wird darthun, wie man solches Verfahren erkennt. 2
Ferner wimmelt der Briefwechsel von den elendesten Lappalien, und leider habe ich dieser schon so erwähnen müssen, daß es unverzeihlich wäre, sie weiter auseinanderzusetzen, oder den Schmutz noch einmal dem Leser vor die Augen zu halten. Einladungen zum wilden Schweinesbraten, zum Ausfahren, noch dazu in einem affectirt nachlässigen Style vorgebracht, wie z.B. »grüßen Ihre liebe Frau« (statt grüßen [103] Sie p.p.) bedurften keiner Herausgabe des Schiller-Goethischen Briefwechsels, um zu zeigen, daß sie existirten. Man hat in Weimar eine lächerliche, manches Gemüth empörende neue Beiseitsetzung des Schiller'schen Schädels auf der dortigen Bibliothek (ob Goethe mit Schuld war? nach der Analogie der Edition des Briefwechsels sollte man es muthmaaßen) für gut gefunden und ausgeführt – nun, weder Schillers Gebeine, noch Schillers Geist haben jetzt noch nöthig sich vor Zorn umzukehren, – Andere sorgen ja nach alle diesem genug dafür.
Wenigstens recht bewegend und etwas aufrührend ist es nächstdem für jeden Deutschen, wenn er sieht, wie im Briefwechsel Schiller und Goethe (ob ausRücksichten gegen einander? ob freimüthig?) die größten Geister ihrer Zeit und ihres Vaterlandes als Lumpen behandeln. Klopstock, Wieland, Garve, Herder, Jean Paul, Tieck p.p., bedeuten nach diesem Briefwechsel nicht viel mehr als Spreu unter den zwei Waizenkörnern: Goethe und Schiller. Auch die Ausländerin, der wir zumeist die Beförderung des deutschen literarischen Ruhms im Auslande verdanken, und welche Goethe so eher achten sollte, als er gegen diesen Ruhm (v.[ide] viele Stellen in seinem Journal Kunst und Alterthum) nichts weniger als gleichgültig ist, die geniale Stael, bekommt ihr unverdientes Theil. Daß aber Goethe auch die Gebrüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel nicht verschont hat, jetzt noch dazu der Welt zeigt, daß er es nicht gethan, ist bemerkenswerther als alles Andere. Goethe scheint denn doch seinen Ruhm vor Allem zu lieben, und wer hat diesen Ruhm, wie er momentan grade ist, anders erschaffen, als die beiden Schlegel? Ein wenig Dankbarkeit, ein wenig Delicatesse gegen die beiden ihm befreundeten Männer, hätte man erwarten sollen. Goethe, von jeher in ältester und neuester Geschichte kein tiefsehender Politiker, indem ihm, wie außer der schon angezogenen Stelle der Farbenlehre auch jedes seiner historischen Dramen beweis't, dazu die Kenntnisse fehlen, hält vielleicht die Schlegel für untergegangen und wähnt wohl deshalb sich sehr hoch zu stellen, wenn er darthut, wie er auch Diener, die ihn zum Goetzen machten, bloß als Gewürm betrachtet hat, – aber er irrt sich: ihre Schule lebt, wenn sie auch ihre Lehrer kaum noch kennt, – es lebt überdem noch Mancher, der recht gut weiß, warum die Schlegel ihn anbeten ließen, und ein paar Leute sind da, die es weder den Schlegel's verdenken, daß [104] sie zu ihrer Zeit aus weltklugen und sonstigen Ursachen immer den verstorbenen Shakspeare über den lebenden Herrn von Goethe, so arg sie ihn auch erhoben, setzten, noch sich ganz des Zweifels entwöhnen können, ob Goethe dieses, vielleicht sich selbst halb unbewußt, nicht übel genommen bis auf den heutigen Tag. Goethe, der Sohn einer mehr gebildeten, mehr bewegten Zeit hat jeden Vorzug, den die Zeit ihm vor dem englischen Dramatiker geben konnte, – aber Shakspeares Geistesgröße hat er nicht – Gesetzt, daß Shakspeare jetzt lebte, und einen Robespierre schriebe, Goethe das Gleiche versuchte – wer würde wählen zwischen der Schilderung des empörten Meeres, wahr, roh und prächtig, wie Shakspeare sie oft (leider auch nicht immer!) gibt, oder zwischen der Darbietung eines Glases Champagner, wohlschmeckend, aber gekünstelt zubereitet, lieblich und nett, wie Goethe z.B. im Egmont uns den Trank reicht? – Ob Goethe, ob die Schlegel dieses Verhältniß gefühlt, ob erstere darum den Goethe nur zu einem der niederern Goetzen, den Shakspeare zum Abgott gemacht haben, und ob Goethe dieses übel nahm oder übel nimmt, stehe dahin. Mir ist es gleichgültig. Die Zeit ist der beste Recensent, und wird endlich entscheiden.
Hin und wieder fallen übrigens dem Leser in dem Briefwechsel einige gute Stellen auf. Wie gern würde ich nach so vielem, und wie mir scheint, so gerechten Tadel, diese Bogen damit füllen. Aber auch diese Stellen sind meistens nur halbwahre, unklare Gedanken (fast sämmtlich von Schiller), oder ein paar Notizen (fast sämmtlich von Goethe), welche Tausende grade so gut an das Licht gefördert haben. Und wie selten trifft man in dem Wuste auf diese Erträglichkeiten! In sechs Theilen, wie dieser Briefwechsel enthält, fördert auch der mittelmäßigste Schriftsteller bisweilen ein tüchtiges Wort zu Tage.
Selbst bei den tüchtigen Worten geht der Herausgeber so leicht zu Werke (ich würde sagen freimüthig, wenn nicht Alles auf Kosten Schillers und aus Ursache der eigenen blinden Eitelkeit gedruckt da läge), daß man deutlich merkt, wie sehr man den beiden Herren erst auf den Nagel fühlen muß, sobald man ihren Worten glauben will. Trotz ihres vorgerückten Alters kennen beide weder recht einen Aristoteles noch einen Thomasius, – weder griechische noch französische Tragiker, – sie verwundern sich wie Kinder, wenn sie etwas Ansprechendes [105] darin finden, urtheilen aber (besonders Goethe) auch wie Kinder frisch darauf los.
Das Angenehmste bei dem traurigen Briefwechsel ist für den Verehrer Schillers, das Gefühl, welches ihn bei den zwei letzten Theilen desselben ergreift. Freilich ist der Inhalt dieser zwei Theile so unbedeutend als der vier früheren Theile, und Schiller würde nimmer sie publicirt haben, – freilich gehen darin die Schiller'schen Complimente an Goethe vorwärts, und Goethe scheint sie noch immer für Ernst zu halten, – freilich hätte Goethe das Publicum auch mit diesen zusammengestoppelten, modo gedruckten, Billetten verschonen sollen, – aber Eines fühlt und sieht man: der Dichter Schiller überflügelt endlich sein Verhältniß zu dem großen Herrn in Kunst und Staat, – seine Kraft wächst und wächst, er fördert Meisterstück auf Meisterstück, – er fühlt sich groß, auch neben Goethe, – seine Billette an ihn werden kürzer, trockener, – er tritt aus der subordinirten Rolle hervor, und ist: Schiller, der mindestens mit Goethe gleichberechtigte Genius.
Das Gefühl dieser Erhebung von Seiten Schillers wird indeß etwas gedämpft, wenn man (wie hier der Fall ist) dabei sieht, wie Goethe's productive Kraft immer mehr sinkt, wie er, in der Angst, etwas zu leisten, aus sich selbst heraus, auf das Feld der Vielwisserei flüchtet. Da sammelt er ein, statt als Poet zu schaffen, – behaglich, in beliebiger Form theilt er das Eingesammelte denen mit, die es genießen wollen, – tiefwissenschaftliche Bildung eines Newton, Alexander von Humboldt oder Winkelmann (in den Fächern dieser Leute beschäftigt er sich besonders) verräth er nirgends, und so schleppt er sein späteres literarisches Leben dahin bis auf den heutigen Tag. Selbst seine Poesien werden oft nur naturhistorische Anschauungen, aber auch bei alle dem quält der treumüthige Schiller sich ab, nicht Abwege, sondern Goethische Objectivität oder Universalität zu erblicken.
Betrachtet man die Mehrzahl der beklagenswerthen Köpfe, welche heut zu Tage die belletristischen Recensenten spielen, und sie bloß deshalb spielen können, weil das Drucken eben so leicht geworden ist, als in einer Thee-Versammlung den Mund aufzuthun und zu schwatzen, so begreift es sich, wie diese Leute, wo sie eine Autorität sehen, derselben durch Dick und Dünn nachfolgen, wie die Esel einem vorgehaltenen Bündel von Disteln. So werden ihnen auch die Zettelchen dieses [106] s.g. Briefwechsels leuchtende Meteore seyn. Großentheils bestehen die ästhetischen Recensenten, Referenten, die romantischen Erzähler, die Dichterlinge, aus überspannten Menschen, welche dadurch zu ihren Kritiken und Productionen gelangt sind, daß sie in der Jugend echte Bildung versäumten, lieber Romane lasen als Kunst und Wissenschaft studirten, und daß sie jetzt, wo sie nirgends nütz und einheimisch sind, sorgen müssen, durch armseelige Productionen ihr bischen Brod zu verdienen. Wären unter diesem Volke nur noch Genie oder Gedanken, die Geist verriethen, man verziehe ihm die albernen und leider so oft lügenhaften Faseleien. Das Gesindel hätte denn doch den Gesckmack ausbilden sollen, weil Jeder, der nicht ganz bornirt ist, das kann. Dieses geht bei einigem Fleiße. Aber man lese, manspreche die Leute, – (Gott behüte mich davor, ich habe Beispiele,) schwerlich 12 unter ihnen, die nicht nach alter Weise frech über Homer, Sophokles, Dante, Shakspeare, Schiller, Goethe ableierten, ohne die Schriftsteller selbst zu kennen, – schwerlich 6 belletristische Blätter in denen nicht jedesmal auf der 3ten Seite ein grober Schnitzer gegen Kunst oder Wissen enthalten wäre. Ein Journal über die Journale, welches deren Fehler aufzeichnete, würde dicker als manches der besten derselben. Bloß Journalliteratur ist die Wissenschaft der meisten Journalcorrespondenten, – der Leser hat in der Regel etwas Ernsthafteres zu thun, als weitläuftig ihren Fehlern und Lügen nachzuspüren, – er nimmt ihre Aussagen als ein Amusement auf Glauben an. Ein schlechtes Amusement verdirbt aber zuletzt den Geist auch.
Von diesen Nachkläffern großer Männer, welche letztere sie mit ihren Tönen anbellen oder vergöttern, wie denn grade die Mode ist, auf diese Männer zurück. Schiller hält sich selbst, besonders in dem Briefwechsel, für subjectiv, Goethe läugnet seine Objectivität nicht, viele Belletristen schwören auf Schillers Sub- und Goethes Objectivität, und die ganze Sache ist ein Traum, ein Streit um philosophische Worte, die so oft ein Wesen bezeichnen wollen, das nicht existirt. Man zeige mir von den Homeriden bis zu Goethe, von Alexander dem Großen bis Napoleon einen Menschen, der nicht subjectiv gedichtet oder gehandelt hätte. Jeder Mensch hat seinen eigenen Schnabel, und dem geht er nach. Schiller und Goethe so gut wie ich.
[107] Schiller strebt ernst zum Idealen und Erhabenen, – Goethe hin und wieder desgleichen, aber seine Eigenthümlichkeit ist Anmuth, mit einiger Empfindung colorirt, und ein kluges, zeitgemäßes Schmiegen in jede Form.
Verschieden wie das Leben beider Männer, ist ihre Poesie. Goethe, begabt mit vielem Talent, war Sohn wohlhabender Eltern. Nahrungssorgen drückten ihn niemals, und seine Grillen werden ihm bei solchen Umständen, und bei dem leichten Temperamente, welches in seiner glücklichen Lage gedieh, die Brust auch nicht all zu stark zerrissen haben. Er studirte mehr, um den einmal nöthigen akademischen Cursus zu machen, als sich zum Broderwerbe vorzubereiten. Sein Goetz von Berlichingen brachte ihm Ruf. Werther gleichfalls. Der Herzog von Weimar stellte ihn an, und ließ ihm auch im Staatsdienst ziemlich freien Lauf. Goethe reisete oft, und wohin er wollte.
In Goethes langem Leben wäre also beinahe nichts, was ihn zur Poesie, einer Tochter des Schmerzes, hätte aufregen können, wenn er nicht, wie er selbst verrathen hat, in der Jugend eine Brustwunde empfing, aus der bei so Manchem Jamben, Hexameter p.p. getröpfelt sind: die Liebe. Es war aber nicht die ideale Liebe Dante's, noch dessen Patriotismus. Auch hatte sie schwerlich etwas gemein mit der zu frühen Ehe Shakspeares, welcher sehr jung eine weit ältere, und wahrscheinlich eben nicht unübel geformte Frau heirathete, und grade dadurch nach einigen Jahren zu seiner oft etwas beschränkten, aber doch möglichstruhigen Weltanschauung kam. Goethe hat nach seiner Wahrheit und Dichtung ein nettes, vermuthlich armes, bürgerliches Mädchen, Gretchen, geliebt, und diese Liebe wohl ziemlich cultivirt. Seine wohlhabenden, spießbürgerlichen Eltern haben ihm aber wie es scheint, nicht erlaubt, seine Leiden oder Versehen durch die Ehe zu mildern. Der Sohn fand freilich bald nachher in Kunst und Leben Abwechslungen, – aber alte Liebe rostet nicht, auch nicht bei dem angeblich so objectivem Goethe. Fast alle Mädchen und Damen, die er geschildert hat, haben etwas von dem Gretchen aus seiner Wahrheit und Dichtung. Margaretha im Faust, Clärchen im Egmont, Mariane in den Geschwistern, die Spinnerin in dem nach ihr benannten Gedichte, sind dieselben Personen. Lotte im Werther, Mariane und Mignon im Meister, Leonore im Tasso, Eugenie in der natürlichen Tochter p.p. sind, wie das einem gebildeten Dichter sehr leicht war, in Sprache und [108] äußerer Erscheinung zwar etwas anders ausstaffirt worden, als das Normal-Gretchen, – aber den Grundton haben sie doch von dem lieben Kinde. Iphigenia in Tauris, die Prinzessin im Tasso, und Philine im Meister entfernen sich am meisten davon, – aber bis auf die Philine, welche nur die Sinnlichkeit Goethischer Gretchen besitzt, sind sie dafür auch ziemlich verzerrte Gestalten geworden: Iphigenia eine ganz ungriechische, sentimentale Priesterin, halb in Pylades verliebt, Tasso's Prinzessin eine geist- und sentenzenreiche Schwätzerin, an einem Theetische recht unterhaltend. Daß Goethe bei einem Talente, wie das seinige ist, dennoch hier und da außer Hauptfiguren, wie die genannten, weibliche Nebenfiguren etwas anders zu markiren wußte, fällt nur einem Kopfe auf, der nichts machen kann.
Mit seinen Helden, Männern, lustigen Burschen geht es Goethe wie mit seinen Damen, – sind die meistens ein Gretchen, so sind die Herren meistens Er selbst. Es sind begabte Menschen, richtig gezeichnet, dafür jedoch auch einer wie der andere schwach, auch gutmüthig, so lange sie keinen Grund haben, ärgerlich zu seyn, höchstens mit einem Anklange von Wehmuth dabei. Diesen Anklang wissen sie aber immer bald zu vertreiben: Egmont streicht sich über die Stirn, und fort ist alles, Faust vergißt sein dämonisches Wesen bei Liebeständeleien und Blocksbergsspectakeln. Werther, Goetz, Wilhelm Meister, Söller ect., sind es nicht Leute nach demselben Modell? Orest und Tasso dazu, nur schwazt letzterer etwas mehr als die anderen.
Dennoch bleibt im Munde seiner Kritikaster Goethe noch stets objectiver als Schiller.
Nur in den kleineren, lyrischen und erzählenden Gedichten Goethe's, möchte diese größere Objectivität statt finden. Diese Gedichte entstanden bei ihm aus augenblicklichem Gefühl. Sobald er aber selbst in diesem Fache größere Compositionen versucht, wie etwa die Braut von Corinth, wird er matt, verräth angestrengte, und doch nicht tiefe Ueberlegung, und steht seinem großen Nebenbuhler weit nach. Da möchte denn doch Mancher auch hier Schillers gedrängte Gedankenreihe, geistvolle Auffassung, dramatische Berechnung und herrliche Sprache, deren Klänge schon an sich, fast so wie die Bibelübersetzung von Luther, das Herz erheben, den Goethischen Versuchen vorziehen.
[109] Schiller hatte einen ganz anderen inneren und äußeren Lebenslauf als Goethe. Niederen Standes, in die Stuttgarter Militairschule gezwängt, um von da aus die Brot:Carriere zu machen, erschuf er, um seine vom bürgerlichen Lebensverhältniß gedrückte Brust zu lüften, die Räuber. Nachher verliebte er sich, und außer tiefgefühltem Schmerz, schafft nichts mehr als Liebe (einerlei, ob unglücklich oder glücklich) den Poeten, – aber er genoß in seiner Jugend der Liebe nicht, wie Goethe vermuthlich gethan. Herr Buchhändler Schwan in Mannheim hielt es für räthlich, dem jungen unbemittelten, bloß von seinem Geiste zehrenden Mann die Hand seiner Tochter Laura zu verweigern. So erreichte er das Mannesalter, ohne äußeres Glück gekannt zu haben. Er mußte sich in sich selbst zurückziehen, und mit Idealen begnügen. Doch ein Geist wie der seinige, zwar übervoll von Gedanken, tüchtige und phantastische durcheinander, aber auch im Drama unaufhörlich mit der Darstellung der realen Welt beschäftigt, merkte bald daß poetische Gebilde nicht bloß Gedanken seyn, sondern auch Form und Körper haben wollen. Und da strebte er denn mit der ihm eigenthümlichen Kraft, die Welt, das Leben, und den Menschen aus Erfahrung und Geschichte kennen zu lernen, und daß er mehr und mehr diese Kenntniß errang, bezeugen seit dem Wallenstein alle seine großen Werke. Er wird mit Ausnahme der Braut von Messina (die vielleicht viele Anklänge früherer Zeit und früheren Naturells ausspricht, und ihm dadurch für stets die Brust lüftete) immer wahrer, objectiver, und in Naturschilderungen eben so trefflich als Goethe. Man lese nur den Tell und das Fragment vom Demetrius.
Schillers Geist und Fleiß hatten am Ende seiner Laufbahn das erobert, was Goethe's Talent und Glück bei dem Anfang der Goethischen besaßen. Schiller begann mit einer Semele und schloß mit einem Tell, Goethe begann mit dem Werther und dem Goetz von Berlichingen, und schloß mit der natürlichen Tochter und den Wahlverwandschaften. Die Belletristen mögen über den Unterschied dieses verschiedenartigen Endes urtheilen. Was Goethe seit den Wahlverwandschaften und der natürlichen Tochter geliefert hat, verdient nur, daß seine Lobhudler in berüchtigter Art es loben. Darum erwähn' ich es nicht.
Fußnoten
1 Obiger Aufsatz wurde, wie ich erweisen kann, vor den letzten Tagen des Juli d. J. geschrieben. Diese Tage rütteln die Welt wieder auf, wenn auch der wohlhabende Mittelstand in seinen Geld- und Erwerbs-Systemen eben so befangen seyn sollte, als 1789 die adligen und geistlichen Kasten, trotz der Wuth mit welcher ihre Mehrzahl anfänglich die Revolution begünstigte, in ihren verjährten Rechts- und Lebens-Ansichten es waren. Immerhin wird vorliegender Aufsatz mit seinen gelegentlichen politischen Bemerkungen doch nicht zu spät kommen. Denn daß seit Belle-Alliance eine Zeit war, wo man der äußeren Erscheinung nach große Abspannung, einige Anspannung, aber wenige Thatkraft gewahrte, ist historisch.
2 Kaum ist etwas widriger, als wenn ein Autor zwanzig, dreißig Druckbogen füllt, und dann versichert, es wäre hier nicht der Ort dazu, weiter über die Sache zu sprechen. Vorliegenden Falls ist nun der Ort dazu, und doch deut' ich Vieles bloß an, grade weil es der Leser in der qu. Briefwechselei nachzusuchen und zu finden vermag, ohne den Setzer dieses zu belästigen. Er leihe die Briefwechselei aus irgend einer Leihbibliothek und bei offnen Augen wird er finden:
1) daß ich Recht habe,
2) daß man mir nicht verdenken darf, wenn ich der Trivialitäten wegen, welche hier erwähnt werden, sowohl sie nicht abzuschreiben als Tinte und Papier zu schonen gedenke. Was ich sage, hoff' ich beweisen, das heißt, wahrscheinlich machen zu können Mehreres verlangt kaum ein Jurist, noch weniger ein Schöngeist, wenn er – Menschen kennt.
Grabbe.