[92] Auf die in Leipzig im April des 1733 Jahres angenommene Erbhuldigung Sr. Königl. Hoheit Herrn Friedrich Augusts II

Die Nacht ist hin, der Tag bricht an!
O Sachsen, auf aus deinem Schlummer!
Vergiß, was dich betrüben kann,
Und fasse dich nunmehr nach herbem Gram und Kummer.
Was weinst du doch um deinen Held,
August, die Lust der halben Welt,
Den du, so wie es schien, vor kurzer Zeit verlohren?
Getrost! du irrst. Er lebet noch!
Er lebt! ach jauchze, jauchze doch!
Und zeigt sich nur verjüngt und gleichsam neu gebohren.
Wie eine zarte Braut erwacht,
Wenn sie des Liebsten Stimme höret,
Nachdem der Hochzeitkerzen Pracht
Ein trauriges Gerücht von seiner Gruft gestöret;
Sie rafft sich auf, und sieht umher,
Und horcht bestürzt, und zweifelt sehr,
Ob irgend sie dabey ein süßer Traum betrogen;
Doch endlich glaubt sie, was sie sieht,
Und weil ihr Glück nun wieder blüht,
So wird im Augenblick der Brautschmuck angezogen:
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So seh ich Sachsens matten Blick
Auf einmal hell und munter werden.
Der bloße Ruf von solchem Glück,
Gesetzt, er wäre falsch, erweckt es aus der Erden.
Wie? heißt sein Wort: Was? lebt August?
Lebt Friedrich, seiner Länder Lust?
Wer spottet meines Grams, und tröstet mich zum Hohne?
Es ist unmöglich! – – Sachsen, nein!
Man täuscht dich nicht; dein Wunsch trifft ein:
Denn Friedrich August lebt wahrhaftig in dem Sohne.
Dort kömmt ja dein erwünschtes Haupt,
Dein theurer Churfürst, unsre Freude.
Was hat dir nun der Tod geraubt?
Und warum gehst du noch, so wie bisher, im Leide?
Sieh doch sein holdes Angesicht!
Sieh, seiner Augen heitres Licht
Erweckt ja jeder Brust ein wallendes Vergnügen.
Ein jeder dringt vor seinen Thron,
Und will dem großen Königssohn,
Wie seinem Vater sonst, entzückt zu Füßen liegen.
Doch nein! das ließ August nicht zu,
Der wollte nichts von Sklaven wissen:
Ein gleiches, Herr! bezeigest du,
Du reichest bloß die Hand, nur diese darf man küssen.
So sieht mans, wem du ähnlich bist;
So braucht es weder Kunst noch List,
Des großen Vaters Art in deinem Thun zu finden.
Du bist ihm fast in allem gleich;
War er an Gnad und Weisheit reich,
So weist du beydes auch vollkommen zu verbinden.
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Kaum legtest du die Kindheit hin,
So stund dein Herz nach edlen Sachen:
Denn Frankfurt lockte deinen Sinn,
Der deutschen Kaiser Wahl dir recht bekannt zu machen.
Du sahst sie an; doch da Paris
In seinem Ludwig vieles wies,
Was Fürsten vor der Welt zum höchsten Ruhm erhebet:
So war der Weg dir nicht zu weit,
Vielmehr hat deine Munterkeit
Dem Gipfel wahrer Höh begierig nachgestrebet.
Du sahst auch ferner Rom und Wien,
Das alt und neue Haupt der Erden:
Und alles das, mit dem Bemühn,
Durch das, was du gesehn, ein weiser Fürst zu werden.
Nicht fremder Völker Eitelkeit,
Nein, Staatskunst und Erfahrenheit
War, andrer Telemach! der Zweck von deinen Reisen:
Drum spürten auch die Länder schon,
Es würde dieser Königssohn
Der Welt einmal ein Bild vollkommner Fürsten weisen.
Das Schrecken Achmets, Deutschlands Schutz,
Karl, welcher Temeswar bezwungen,
Und gar, dem Muselmann zu Trutz,
Bis in des Reiches Herz nach Belgrad eingedrungen;
Dieß große Haupt der Christenheit
Erblickte bald die Trefflichkeit,
Die Sachsens Churprinz schon in frühen Jahren zeigte.
Er fand, und hat es oft erklärt:
Ein solcher Prinz sey Kronen werth,
Der jedes Herz gewann, und alles zu sich neigte.
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Doch dir ward auch dein Hers entführt,
O Herr! als Amor dich gefangen;
Josepha hatte dich gerührt,
Des Kaiserstammes Schmuck, dein einziges Verlangen.
Du zogst nach Sachsen zwar zurück;
Doch drehte sich dein kluger Blick
Noch stets nach Oesterreichs und Wiens verlaßnen Gränzen.
So kehrt sich jener Wunderstein
Nach des entfernten Nordsterns Schein;
Gesetzt, er sieht ihn nicht bey hellem Tage glänzen.
Ihr Musen, denen nichts entfällt,
Was auch vor grauer Zeit geschehen:
O sagt, wie froh war unser Held,
Als seine Liebe drauf den Wunsch erfüllt gesehen?
Beschreibt mir doch Josephens Pracht,
Und lehrt mich, was ihr Herz gedacht,
Als Friedrich August sie in Dresden aufgenommen;
Als sie aus Gassen, Volk und Stadt,
Aus Burg und Hof geschlossen hat,
Sie sey in Dresden fast zum Kaiserthron gekommen.
So war das große Band nun fest,
Das Sachsenland und Wien verbunden;
Das keine Zeit veralten läßt,
Und das noch unverrückt des Himmels Huld empfunden.
Wie manchen Segen keuscher Brunst
Hat dir des Schicksals höchste Gunst,
In deinem Ehbett, Herr, nach Herzenswunsch verliehen!
Noch itzo grünt die Hoffnung schön:
Wie kann dein Stamm denn untergehn,
Da so viel Zweige schon vor deinen Augen blühen!
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Was zeigt sich für ein Wunderbau?
Hat mich denn Phöbus gar entzücket?
Was stellt sich für ein Schloß zur Schau,
Dergleichen wahrlich Rom und Wälschland kaum erblicket?
Wer zählt der Fenster Menge hier?
Wer schätzt der stolzen Thore Zier?
Wer kann der Dächer Pracht, der Flügel Größe nennen?
Wer lehrt mich alle Symmetrie,
Und was wir nach der Eurythmie,
Im Bauen, für ein Werk der größten Kunst erkennen?
O Hubertsburg! bist du es nicht
In deinen schattigten Gebüschen?
Ja ja, du bists, und mein Gesicht
Kann leichtlich deinen Bau mit Wälschlands Pracht vermischen.
Ich seh dich zwischen Berg und Thal,
Mit stolzen Tannen ohne Zahl,
Mit Eichen edler Art und anderm Holz umringet.
Hier ist Dianens Reich und Sitz!
Allhier wohnt Echo, deren Witz
Dem Jäger, wenn er bläst, die Antwort zehnfach bringet.
Verliert sich doch das Auge ganz
In meilenlang durchschnittnen Wäldern!
Da sieht man deiner Fenster Glanz,
Wenn Phöbus sie bestralt, in weitentlegnen Feldern.
Man rückt hinzu, man nähert sich,
Und jeder Schritt vergrößert dich,
Bis dich die Gegenwart in voller Schönheit weiset;
Bis dich durch den gespaltnen Wald,
Des Wildes grünen Aufenthalt,
Ein ferner Blick zuletzt auf langen Wegen preiset.
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Mein Churfürst, dieß hat dein Verstand,
Dein großer Geist allein erfunden:
Allhier hat deine Meisterhand
Die Schönheit der Natur und jeder Kunst verbunden.
Dein Lustschloß ist der Jagd geweiht;
Doch deines Volkes Aemsigkeit
Hat seinen Fleiß und Witz hier überall gewiesen:
Hier hat kein Künstler was versehn,
Und dadurch ist es längst geschehn,
Daß alle den Geschmack, womit du baust, gepriesen.
So bist du denn dem Vater gleich,
Der dir auch darinn vorgegangen:
Denn Bauen macht den Bürger reich,
Und lockt die Fremden hin, wo solche Schlösser prangen:
O theurer Churfürst, fahre fort!
Es kostet dich ein einzig Wort,
Dein Sachsen ganz und gar zum Wunderwerk zu machen.
Vollführe der Gebäude Pracht,
Die selbst dein Vater ausgedacht,
So wird der Held in dir vor aller Welt erwachen.
Man eilt zur Jagd; dein Roß ist stolz,
Dich, Herr, ins freye Feld zu tragen;
Ein weites Garn umspannt das Holz,
Da will es Preis und Ruhm durch seinen Lauf erjagen.
Das Waldhorn tönt, das Windspiel bellt,
Das Rohr geht los, das Wildpret fällt,
Oft sinkt ein matter Hirsch ganz athemlos zur Erden.
O Churfürst! diese Heldenlust
Muß billig deiner Fürstenbrust
Der beste Zeitvertreib, nach Müh und Sorgfalt, werden.
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Dieß war der alten Helden Brauch,
Die dämpften Hydren und Chimären!
So hetzte sonst Ulysses auch,
Im Jagen so geübt, als in der Weisheit Lehren.
So hat dort der Trojanerheld,
Carthago, durch dein flaches Feld,
Auf einem schnellen Gaul des Wildes Spur entdecket;
So ward auch Agamemnons Pfeil
Manch aufgespürtes Wild zu Theil,
Bevor er Troja noch in lichten Brand gestecket.
O! wären diese Helden doch
Bey solcher Fürstenlust geblieben:
So stünden Priams Mauren noch;
So hätte Griechenland sich selbst nicht aufgerieben!
Was half sie ein so langer Krieg,
In dem der theurerkaufte Sieg,
Durch ganze Ströme Bluts, ein geiles Weib errungen?
Weit besser ists, ein Thier bekämpft,
Ein erimantisch Schwein gedämpft;
Als voller Mordbegier ein feindlich Heer bezwungen.
Wenn wird das menschliche Geschlecht
Doch endlich seiner Wuth vergessen,
Und sich nach Billigkeit und Recht
Nicht nach der blinden Macht gestählter Fäuste messen?
Zurück, ihr Furien, zurück!
Verbergt nur euren finstern Blick
In des Avernus Pfuhl, und räumt den Kreis der Erden:
Irenens Gottheit zeigt sich schon,
Sie pflanzt sich unter uns den Thron,
Und ganz Europa soll ein Friedenstempel werden.
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Sie bricht schon an, die güldne Zeit,
Da wir aus Schwertern Sicheln schmieden;
Wo keine Macht der andern dräut,
Seit dem die Feder mehr, als sonst der Stahl entschieden.
Es weicht der Völker Barbarey;
Man liebt kein rohes Feldgeschrey,
Seit die Vernunft den Platz der Dummheit eingenommen.
So scheint es, daß dem Occident,
Der Gott den Gott des Friedens nennt,
Vor allem Blutdurst schon ein Ekel angekommen.
Zwar Waffen blinken überall,
Doch nur zur Lust der Potentaten:
Man hört der Stucke Donnerknall,
Doch nur aus Fröhlichkeit im Glück vergnügter Staaten.
So wurdest du, o Herr! begrüßt,
Als Leipzig, dessen Lust du bist,
Dich, als sein neues Haupt, mit reger Brust empfangen;
So hat des Bürgers Rohr gekracht,
Als du ihn gnädig angelacht,
Und ihm vor Zärtlichkeit die Augen übergangen.
Sey, Herr! ein andrer Salomon,
So wie dein Wesen längst geschienen;
Denn Sachsens Glück entspringt davon,
Wenn seine Kinder dir in Ruh und Friede dienen.
Irene macht die Völker groß,
Wenn Stadt und Land, dem Glück im Schooß,
Den fetten Acker baut, den Handel eifrig treibet:
Indessen daß ein rüstig Heer,
Bereit zu tapfrer Gegenwehr,
Zu voller Sicherheit in steter Uebung bleibet.
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Wie ist mir denn? Und welch ein Ton
Entzückt mich hier von ganzen Chören!
Läßt irgend sich Latonens Sohn,
Mit den gelehrten Schwestern hören?
Ist Orpheus und Amphion da?
Ich irre nicht; sie sind es, ja!
Mann nennt sie nur nicht mehr mit den verjährten Namen.
O süsse Zauberharmonie!
Ach wüßte dich die Poesie,
Ach wüßte dich mein Mund in etwas nachzuahmen!
Ich bin in Dresden, ist mir recht,
In Friedrichs Augusts Hofcapelle.
Hier kläng Arions Harfe schlecht,
Hier fänd auch Heman selbst im Singen keine Stelle.
Was sag ich viel? Man fühle nur,
Wie mir der Ton ins Herze fuhr;
Wie der mich bald erquickt, bald wieder halb entgeistert;
Wie der bald froh, bald traurig macht,
Den einen rasend aufgebracht,
Des andern reger Wuth sich durch den Schlaf bemeistert.
Hier, Churfürst, läßt dein zartes Ohr
Des reifen Urtheils Stärke spüren:
Nur solch ein auserlesnes Chor
Kann deinen edlen Geist durch Kunst und Anmuth rühren.
So wie dort ein Pythagoras
Früh morgens auf den Bergen saß.
Entzücket durch den Ton bewegter Himmelssphären:
So mag auch deine weise Brust,
Im Gottesdienst und bey der Lust,
Nur das vollkommenste, des Himmels Vorschmack hören.
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Ein gleiches liebt auch dein Gemahl,
Die Krone deutscher Prinzeßinnen;
Vor ihres Urtheils kluger Wahl
Weis nichts verwerfliches den Beyfall zu gewinnen.
O Herr! was unsrer Lust gebricht,
Ist dieses, daß Josepha nicht,
Durch ihre Gegenwart, dein Leipzig auch beglücket:
Daß dieser Kaiserstochter Pracht,
Uns nicht in unsers Traurens Nacht,
Durch einen Gnadenblick vollkommner Huld erquicket.
Laß uns, o Vater! nächstens hier
Des Landes theure Mutter sehen!
Wir alle wollen mit Begier,
Für sie und ihre Frucht des Himmels Huld erflehen.
Sie schmücket Sachsens Heldenhaus
Durch schöne Prinzeßinnen aus,
Durch ein erwünschtes Paar von Gott erbethner Prinzen.
Sie fahre fort! so wünscht das Land,
Und nennt dich, Herr, das Unterpfand
Des allgemeinen Heils der sächsischen Provinzen.

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Oden. Erbhuldigung Herrn Friedrich Augusts II. Erbhuldigung Herrn Friedrich Augusts II. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E48B-B