[171] Auf Lessings Tod

Der Engel, der mit leichtem Flug'
Die Fackel seines schönen Lebens
Helleuchtend sonst voran vor einem Lessing trug,
Kehrt rasch mit einem mal sie um,
Und das Erstaunen fragt vergebens:
Warum so früh, o Gott! warum?
Zu kühn ist zwar schon diese Frage,
Und nur der unersetzliche Verlust
Macht sie verzeihlich; doch der Klage
Bleibt's wohl erlaubt, daß sie sich vor die Brust,
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An eines Lessings Sarge schlage.
So vielen Witz, so viel Verstand,
Als wir in ihm verloren haben,
Kann selten, selten nur ein Land
In einem einz'gen Mann begraben.
Denn Einer Kunst nur Meister seyn,
So viel das ist, war dennoch ihm zu wenig,
Und schritt er in ein neues Feld hinein:
Erobert ward es ganz, und er darin der König.
Hat er nicht oft in zwanzig Mauren
Die Abende dem Volk' durch Spott verkürzt?
Und das Vergnügen, Unschuld zu bedauren,
Mit süßen Thränen ihm gewürzt?
Doch alles das heißt halb den Mann nur kennen.
Ach! wer ihn selbst, wie ich, gekannt,
Ihn, den wir kaum den Engeln gönnen,
Der fühlet, nun er uns entschwand,
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Im Auge heiße Thränen brennen.
So heiter, und so offen, und so bieder,
Wie ihn mein Auge hier im Bilde noch erblickt,
War auch sein Herz. Ach! nie seh' ich ihn wieder!
Auf immer ist er mir entrückt!
Wenn noch zuletzt mit einem Lorbeerkranze
Die Dankbarkeit den Sarg des Dichters schmückt,
So ist das mehr, als wenn bei Kerzenglanze
Die Eitelkeit mit ihrem Firlefanze
Des Menschenquälers Leiche drückt.
Wann tausend Fürsten längst vergessen,
Mit sammt dem sammtnen Sarg' voll Schilder und voll Tressen,
In ihrem eignen Lande sind,
Und nach der Zeit ein Sandkorn nur hernieder
Aus ihrem Stundenglase rinnt,
Schallt Lessings Name noch von Pol zu Pole wieder.
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Wohl dir, daß dort in glücklichern Gefilden,
Als die du hier durchwandelt hast,
Du ruhig deinen Geist kannst bilden,
Befreiet von des Körpers Last,
Befreiet von den heuchelnden Zeloten,
Die, Sanftmuth lehrten, und voll Wuth,
Als wärest du der Hölle Brut,
Dir mit dem Scheiterhaufen drohten;
Die uns als Pflicht die Demuth priesen,
Und mit Schulmeisters Stolze doch
Zurecht dich Polyhistor wiesen,
Als wärst du ein Quintaner noch.
Wie wird dir nicht bei den Platonen
Und Sophokles, so wohl itzt seyn!
Indeß pedantische Dämonen
Hier wie die Gassenbuben schreyn.
Sie alle rufen ihre Waare,
Angeblich Wahrheit, Haus für Haus,
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Zum Kauf' mit Lobpreisungen aus,
Doch die bischöfliche Thiare,
Nicht Wahrheit, ist im Spiel' ihr Daus.
Dich ekelte des widerlichen Schalles,
Doch warst du nicht von Jesu Christ,
Von Götz nur ein Antagonist;
Dir war die Wahrheit alles, alles!
Jetzt weißt du endlich, was sie ist.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Elegien. Auf Lessings Tod. Auf Lessings Tod. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E167-6