[219] An Fräulein von der Lühe
Heydau 1, den 15. Mai 1810.
Sendet die jüdische Braut dem nie gesehenen Freier
Ihr verschönertes Bild: büßen einst wird sie dafür!
Häßlicher als sie ist, wird seine Verlobte ihm scheinen,
Wenn er das Original nun mit dem Bilde vergleicht.
Dann beneidet er selbst die Sitte des Orientalen,
[220]Der auf gutes Glück zitternd entschleiert die Braut.
Doch was kümmert es viel den Maler, ob der Getäuschte
Das betrügende Bild und die Gemalte verwünscht?
Haben doch ihren Zweck sie beid' erreichet; vertrage
Mit der Wirklichkeit sich jener, so gut er nur kann.
Nein, Dorette! so soll dich kein Gemälde der Landschaft,
Die mich jetzt umgibt, täuschen, damit du nur kommst.
Die Natur gab hier dem Menschen gerade so viel nur,
Daß er aus Hunger nicht stirbt, oder im Winter erfriert.
[221]Warum sollte sie denn noch mehr ihm spenden? Ein Felsen
Träget kein Korn; Ein See bringet sehr wenig nur ein;
Zwei Jahrhunderte braucht der Wald von Eichen zum Wachsthum';
Berge? Ja die ersteigt ohne Beschwerde man nicht. –
Von dem herrschenden Edelmann' an, bis dienenden Bauer,
Wünschet jeder sich nur Boden, um Weitzen zu baun.
Wer die Reitze von dir, Natur! verachtet, den strafst du!
Mag er auf sandiger Flur pflügen mit magerem Stier',
Seine Rinderherd' er weiden auf gelblichem Grase,
[222]Kaum mit Löwenzahn höhnisch von Floren bestreut.
Siehe! wie schleichet der Bach so stumm am nackenden Ufer!
Keine Forelle, kein Schmerl springet und scherzet in ihm.
Kein Vergißmeinnicht verlanget sich in ihm zu spiegeln,
Die geborstene Weid' ist seine Freundin allein.
Wald genug siehst du umher, doch ach! von traurigen Kiefern,
Nur von Raupen besucht, oder noch höchstens vom Specht'.
Hier bringt Zephyr nicht die Zweige zu süßem Geflüster,
Und der Nachtigall Lied wurde hier nimmer gehört.
Fluchend der drückenden Luft und brennenden Nadeln des Bodens,
Eilt mit verdoppeltem Schritt' lechzend der Pilger hindurch.
[223]Kann dein Auge nur sonst das Blenden des Saudes ertragen,
Nun, so siehe dort links Hügel mit Reben bepflanzt.
Aber merkest du wohl: sie lesen die kleinlichen Trauben
Ohne Gesang und Klang. Schämt man sich ihrer vielleicht?
Nur der Krämer schämet sich nicht, den gewachsenen Essig
Umzuwandeln in Gift, das er dann Medoc benennt.
Hat ein vertriebenes Volk, umher ohne Vaterland irrend,
Zwischen diesem Gau und dem Verhungern die Wahl:
Nun! so bauet es freilich sich an! Doch sterben die Enkel,
[224]Ohne die schöne Natur jemals im Schmucke zu sehn.
Wie viel Freuden, die nichts am Weserufer und Rheine
Kosten, entbehret nicht der, welcher die Oder nur sieht!
Glücklich kann er nur seyn, hat er sie nimmer verlassen.
Wer das Bessre nicht kennt, sehnt nach dem Bessern sich nicht.
Aber wenn das Geschick ins Riesengebirge ihn führet,
O so kehr' er doch ja nimmer zur Oder zurück!
Wer, wie ich, am Fuße des Brockens, am Ufer der Saale,
Wo sie vom Giebichenstein buschigte Felsen bespült,
[225]In des hügelumkränzten
Brunnzell's 2 beblümeten Thale,
Und auf
Emma's 3 Flur unter Schalmeyengetön,
Hat ein halbes Jahrhundert gescherzt, der wendet von Kiefern,
Und vom Sande, der kaum Hirse und Heidekorn trägt,
Weg das Auge, gefüllt mit Thränen vergeblicher Sehnsucht.
Hier zu leben, ist schwer, schwerer ist sterben hier noch.
Dennoch, geliebte Natur! so lang ich noch Tannen von Kiefern
[226]Unterscheid', und noch duftende Veilchen vom Moos,
Streu' ich den Saamen, den du in fetterem Boden erzeugest,
Auf mein Blumenbeet in den veredelten Sand,
Pflanz' im Wäldchen die duftende Birke, die stolze Platane,
Und zum mindesten dankt mir Philomele dafür.
Hast du, Freundin, genug an diesem Garten und Wäldchen,
Dann so säume du nicht! Binde die Augen dir zu!
Rolle, (wo möglich, im Schlaf',) auf grob zerschlagenen Steinen,
Sonst Chaussee genannt, bis an die Oder hinab.
Hat sich Frankfurt dann aus deinem Blicke verloren,
[227]Und die sandige Heid' endet zehn Meilen lang nicht:
O so bedenke, daß du durch dieses Opfer den Abend
Meines Lebens erhellst, der itzt so dunkel mir scheint.