[19] Dritter Abschnitt

»Hör, Nettchen!« – sprach der gnädige Papa,
Als Nettchen einst bewies: es sey doch Schande,
Mamselln zu sehn in Stoff, Batavia,
Und Atlas, ach! und sie, bei ihrem Stande,
In Zindeltafft! – »Hör, Nettchen, hätt' ich da
Den Schrank voll Geld: in unserm ganzen Lande
Trügst du gewiß die besten Kleider dann;
So aber – weißt du was? nimm einen Mann!«
»Der Sekretär ist zwar kein Edelmann; –
'S ist Schade drum! – doch Geld hat er bei Haufen.
Das wag' er nur am rechten Ort' daran,
Man kann für Geld Rang, Titel, Alles kaufen.
Hielt nicht ich Narr vergebens zehnmal an,
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Um einen Dienst? Ich müßte noch drum laufen;
Allein des Herzogs Favoritin bat
Zum Glück' um meinen Hund, und – ich ward Rath.«
Antonia empfand bei dieser Lehre,
So liebreich sie auch war, doch manchen Schreck.
Stumm saß sie da, und spielte mit der Scheere,
Und klebte mit dem Blick' an einem Fleck'.
»Ha! wenn der Mann doch nur von Adel wäre!
Und wär' er gleich im übrigen ein Geck!« –
So übersetz' ich Nettchens leises Ach!
Denn dieser Laut war alles, was sie sprach.
Laßt's überhaupt den Autor nicht entgelten,
Wenn er noch oft zu übersetzen wagt;
Die handelnden Personen haben selten,
Was sie geheim für sich gedacht, gesagt.
Ich hab' indeß noch kürzlich Jungfer Velten,
Des Fräuleins Zof', umständlich ausgefragt:
Wie war der Blick? die Stellung? Mien' und Ton?
Und hieraus füllt' ich manche Lücke schon.
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»Kommt Zeit, kommt Rath!« sprach Nettchen. »Adlerkant
Wird selbst noch nicht an eine Heirath denken.
Ich bin so alt noch nicht, um meine Hand
Gleich jedem, der sie nur verlangt, zu schenken.«
Der Kriegesrath, vergnügt, den Widerstand
So klein zu finden, hofft' ihn noch zu lenken,
Wohin er will. Was aber Nettchen fein
In Petto noch behielt, weiß ich allein.
»Soll ich so jung zu Hause schon versauern?
Was plack' ich mich mit Wirthschaft Tag und Nacht?
Was hör' ich dran, wenn oft ein Trupp von Bauern
Papa halb taub mit Lärm und Schreien macht?
Und immer mich bei Büchern einzumauern,
Da würd' ich doch mit Recht wohl ausgelacht?
Nein! klüger ist's, daß man die Welt genießt,
Eh' noch die Zeit, die beste Zeit, verfließt.
Quält' ich mich nicht, bis ich erträglich sang,
Und Bachs Konzert' auf unserm Flügel spielte?
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Ein Liebesgott nach Preißler mir gelang?
Und jeden Spott im Moliere fühlte?
Wo ist denn wohl nach allem dem ein Drang?
Wenn Adlerkant nicht etwas darauf hielte –
Ha! ha! wenn der auch noch so viel drauf hält,
Was schiert um den sich unsre feine Welt?
Er lebt so still für sich, so unbekannt;
Der Adel weiß kaum mehr als seinen Namen,
Und dennoch ist er ihm schon ein Pedant,
Der nichts versteht, als Steuerwust und Dramen.
Daß er bei mir so vielen Zutritt fand,
Darüber muß ich schön der Herrn und Damen
Gespötte, Tag für Tag, am Spieltisch' seyn. –
Was soll ich thun? ich weiß nicht aus noch ein.«
Das Resultat von diesem Monolog'
Räth jeder leicht: daß falsche Scham, Vergnügen,
Kurz, Weiblichkeit, empor die Schale zog,
Worin Vernunft, Moral und Tugend liegen.
Kein Wunder, daß sie in die Höhe flog;
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Ein weiblich Herz pflegt immer so zu wiegen;
Drum, wenn ein Weib, du Weiser oder Thor,
Dein Schicksal wiegt, gewinn ihr Herz zuvor!
»Ach! denken Sie, mein lieber Adlerkant,«
Hieß es nunmehr, »ich soll zu Assembleen
Und Bällen, und wie sonst der Narrentand
All' heißen mag, mit meinem Vater gehen,
Bloß, weil es so – aus Vorurtheil – mein Stand
Erfordern soll. Wär's dort nur auszustehen,
So ging' ich gern, aus Achtung für ihn, hin;
Doch sehn Sie selbst, wie ich verlegen bin.« –
»Warum denn nicht? man muß die Thoren ja,
Früh oder spät, einmal ertragen lernen.
Was kümmern Sie die süßen Herrchen da?
Und steife Herrn mit Kreutzen und mit Sternen?
Wenn man Sie sonst in Assembleen sah,
Wie könnten Sie sich jetzt daraus entfernen?
Man würde Sie, als sonderbar verschrein:
Wem wäre dann die Schuld am Ende? mein!« –
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Zureden hilft; Zureden half auch hier.
Antonia zeigt wieder nach gerade,
Im deutschen Tanz', dem jungen Kavalier,
Den kleinsten Fuß, die schönste volle Wade.
Das fade Zeug der Grafen deuchtet ihr,
Trotz dem Geschmack' am Molier', nicht fade,
Und ihr gefällt des Geigers Dur für Mol,
Trotz dem Geschmack' an Bachs Konzerten, wohl.
Im Grunde war das Ding dem alten Rath',
Was Nettchen auch versichert, ungelegen.
Aus Wohlstand, (nicht, weil ihn das Fräulein bat,
Auch nicht zur Hut, wie andre Väter pflegen,)
Begleitet' er sie bloß; und, in der That,
Wer gerne schläft, und sich, des Wohlstands wegen,
Drei Stunden Schlaf, wie er, entziehen muß,
Entzieht sie sich wahrscheinlich mit Verdruß.
Dem Sekretär war auch nicht wohl dabei;
Vernunft bezwang indeß bei ihm die Liebe.
Ihm träumte nicht, daß gar die Heuchelei
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Ihr loses Spiel in Nettchens Herzen triebe;
Er glaubte fest, daß seines Mädchens Treu'
In Jahren, selbst ein Prinz, nicht untergrübe:
Doch fern vom Ball', wo Nettchen tanzt, zu seyn,
Bloß weil das von ihm fehlte – welche Pein!
Voll Edelmuth faßt Nettchen den Entschluß,
Trotz Spiel und Tanz! dem Mann' getreu zu bleiben,
Zum wenigsten, bis einst ihr Genius
Was Bessers ihr zu Netze würde treiben.
An Freiern ist zwar selten Ueberfluß,
Doch weiß sich klug ein Mädchen so zu sträuben,
Daß Hoffnung selbst noch ein Thersit behält,
Bis ein Adon in ihre Netze fällt.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Die Schlittenfahrt. Dritter Abschnitt. Dritter Abschnitt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DF3D-1