[294] Jugend-Erinnerungen

O du Garten, wo, als Knaben,
Mir zu hoch kein Apfel hing,
Du verschwiegner Mühlengraben,
Wo den ersten Schmerl ich fing,
Und du Busch, durch dessen Aeste
Mir ein Hänfling einst entflog,
Und fünf Junge mir im Neste
Ueberließ, die ich erzog:
Eurer werd' ich dann noch denken,
Wenn der Operntänzer Kunst
Mit der Scaramuze Schwänken
Längst bei mir verflog wie Dunst.
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Eurer werd' ich nicht vergessen,
Wenn ich gleich des Witzlings Spaß,
Und der Prunksucht Abendessen
Schon am Morgen drauf vergaß.
Nachbarin im Flügelkleide,
Meines Herzens erste Braut,
Meiner Kindheit liebste Freude!
Hörst du jetzt noch meinen Laut?
Denkst du noch im Himmel meiner?
Oder weist du nichts von mir?
Lieb' ist dort ja selbst nicht reiner,
Als die meinige zu dir.
Jährlich wird der Hügel kleiner,
Den dein Sarg so lange trug,
Aber das Gedächtniß deiner,
Mindert nicht der Jahre Flug.
Lieben werd' ich, bis mein Endchen
Lebenslicht ist abgebrannt,
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Dich wie sonst, als noch dein Händchen
Unschuldsvoll mir Kränze band.
Ach! aus keinem Festpokale
Sog ich solchen Rausch noch ein,
Als aus dir, geliebte Saale!
Auf dem Felsen Gieb'chenstein.
Tragt, wenn's seyn kann, aus dem Thale
Sterbend mich auf jene Höhn,
Daß ich da zum letztenmale
Seh' die Sonne niedergehn.
Von der Newa bis zum Rheine,
Von der Weichsel bis zur Aar,
Sah ich jede Flur, doch keine,
Die mir lieb wie jene war.
Wie ich nun allein so walle
In des Lebens Abendroth!
Saale! Wie zerstreut sind alle
Unsre Freunde, oder todt!
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Meinen Schlaf hat nur zwei Lenze,
Emma 1! dein Geräusch erquickt,
Aber tausend Veilchenkränze
Mir die Freud' an dir gepflückt.
O du trauter Vollmond! glänze
So noch jetzt auf meinen Pfad!
Meine Tage waren Tänze,
Meine Nächt' ein kühlend Bad.
Dort versucht' auf kleiner Leyer
Meine Hand den ersten Griff.
Doch, so segelt ohne Steuer
Ein sich selbst gelaßnes Schiff.
Dennoch hüpfte damals freier
In den Adern mir das Blut,
Als wie jetzt, wo unterm Schleier
Nicht wie sonst mein Name ruht.
Was gibt mehr als edle Liebe?
Und was diese geben kann,
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Gab sie alles mir. Ich bliebe
Noch ein hochbeglückter Mann,
Hätte sie die Hälfte dessen,
(Zu partheiisch zwar vielleicht!)
Was sie mir hat zugemessen,
Nur zu meinem Theil' gereicht.
Tückisch stachen zwar die Schlangen
Um des Neides Haupt, auch mich;
Doch Vergangnes sey vergangen!
Dann so schmerzt nicht mehr ihr Stich.
Uebrig bleiben nur die Zähren,
Die der Tod mir ausgepreßt,
Aber diese selbst gewähren
Mir ein stilles Herzensfest.
Nimm denn, Glück! mir jede Gabe!
Dennoch bleibt mir noch genung,
Wenn ich dich nur immer habe,
Süße Rückerinnerung!
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Bleibst nur du bis an das Ende
Meines Lebens mir getreu:
O so sterb' ich reich, und fände
Mich der Tod auf einer Streu.

Fußnoten

1 Die Holtemme, ein Fluß bei Halberstadt.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Lyrische Gedichte. Drittes Buch. Jugend-Erinnerungen. Jugend-Erinnerungen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DEDB-3