Weib contra Weib
Ich komme zu einem betrübenden Abschnitt meiner Verteidigungsschrift, zu dem Abschnitt: »Weib gegen Weib.« Die drei Frauen, gegen die ich mich wende, sind starke Individualitäten. Sie vertreten nicht wie die Ärzte Meinungsgruppen. Sie stehen für sich allein. Darum muß ich sie mit Namen nennen.
Wie gegen Nietzsche, so verteidige ich mich gegen diese halb oder ganz antifeministischen Frauen mit Gewissensskrupeln, denn auch sie sind auserlesenen Geistes. Die eine ist von einer glänzenden, originellen schriftstellerischen Begabung, die andere hat ein Engelherz und führt eine begeisterte Feder, die dritte ist von feinster Geistigkeit und süßer Vornehmheit. Und doch – je höher diese Frauen stehen, je verhängnißvoller muß ihr Einfluß sein, ihn zu brechen, soweit wir es vermögen, ist unabweisbare Pflicht.
Wenn Frauen, die als Mütter, Gattinnen und Hausfrauen ein volles Genügen finden, von ihrer Persönlichkeit, ihren Bedürfnissen ausgehend, sich den Frauenbestrebungen gegenüber feindlich verhalten, so haben sie, eben vermöge ihrer Persönlichkeit, eine gewisse Berechtigung für ihren Standpunkt, wir können ihn verstehen.
Wenn aber freidenkende Schriftstellerinnen, die selbst der Enge des Hausfrauentums entschlüpft, im goldenen [80] Licht der Freiheit atmen, sich gegen die Frauen wenden, so machen sie sich einer Undankbarkeit schuldig, da sie doch schon die Früchte ernten von dem, was jene gesäet.
Die Angriffe unserer Widersacherinnen richten sich zumeist gegen die Frauenrechtlerinnen, die man willkürlich von anderen Frauengruppen absondert, selbst wenn letztere in ihren Grundanschauungen und Endzielen mit ihnen übereinstimmen.
Fast scheint es, als spräche bei dieser Antipathie das Wort »Frauenrechtlerin« mit. Es schmeichelt sich nicht gerade ins Ohr. Warum beseitigen wir nicht ein schlechtklingendes Wort, das noch dazu von unseren Gegnern ersonnen ist, und das einen etwas ironischen, nörglerischen Beigeschmack hat!
Die Bezeichnung »Radikale« oder »äußerste Linke« dürfte genügen. Radikal heißt wurzelhaft und bezeichnet am besten das Wollen und Handeln jener streitbaren Frauen, die die Axt an die Wurzel der Übel legen.
Viele Denkträge aber sind zufrieden, wenn sie mit einem Wort einen Begriff unter Dach und Fach gebracht haben. Der Begriff ist hier ein Frauentypus von abstoßender äußerer und innerer Vermännlichung.
Was die äußere Vermännlichung betrifft, so muß ich allerdings zugeben, daß zwei bis drei unter den Berliner Radikalen kurzgeschorenes Haar tragen, aber aufrichtig gesagt, ich habe diese Frisur mehr auf weibliche Koketterie (sie steht ihnen sehr nett) zurückgeführt, als auf den Drang, Männer werden zu wollen. Als die Männer früherer Jahrhunderte ihre Haare lang trugen, dachte man nicht daran, sie um dessentwillen der Weibischkeit zu zeihen. Und soll man ihnen ihre Jakets, Kravatten, Chemisettes männlichen Schnittes als Schuld anrechnen? Aber sie folgen damit [81] einfach der Mode, an der alle anderen Damen, auch die von der Frauenfrage gänzlich Unangekränkelten, participieren. Ja, die eleganten Weltdamen sind ihnen in der Vermännlichung der Tracht noch um eine Nasenlänge voraus, indem sie sich der Spazierstöcke bedienen, die ich bei den Frauenrechtlerinnen noch nicht wahrgenommen habe. Altmodische Gegner fügen wohl zur Vervollständigung des Bildes noch Ältlichkeit, ein Organ, das zum Kreischen neigt, einen Kneifer und eine spitze, schnüfflige Nase hinzu.
Und der Radikalen Seelenabnormität, ihre innere Vermännlichung? Draufgängerischen Tatendrang sagt man ihnen nach, geistiges Akrobatentum, viel Ellenbogen, Haare auf den Zähnen.
Daß einzelne prononzierte Persönlichkeiten in der Agitation für Frauenrechte Antipathien erregen, ist sicher, aber völlig gleichgültig. Die Frauenfrage ist doch keine Personenfrage. Und warum sollen denn gerade diese Ruferinnen im Streit vorzugsweise Sylphiden, Madonnen, Aeolsharfen sein? Wer mauerfeste Vorurteile stürzen will, bläst nicht Schalmeien, wenn es auch nicht gerade Posaunen zu sein brauchen! Wohl möglich, daß der frischgärende Most der jungen Freiheit einigen Heißspornen zu Kopfe steigt und ihnen etwas Geharnischtes gibt.
Auch unter den Nurhausfrauen kommen – und zwar recht häufig – Exemplare ausbündiger Kraftmeierei vor. Mancher Eheherr weiß ein Lied davon zu singen.
Ich kenne unter den Kämpferinnen für Frauenrechte auch Frauen von holdester weiblicher Anmut. Und alle Mittelstufen gibt's auch. Zahme und wilde gibt's die Zahmen aber herrschen vor, noch viel zu sehr.
Hauptsächlich ist es das Vereinswesen, das den Antipathien gegen die Frauenrechtlerinnen zu Grunde liegt, [82] es sind die gelegentlichen geistigen Raufereien in den Vereinen, die persönlichen Disharmonien, die ab und zu wie Hagelschauer, oder sonst ein Schauer, unter ihnen niedergehen.
Erst seit so kurzer Zeit sind Frauen in der öffentlichen Agitation thätig. Ist es zu verwundern, daß es ihnen hin und wieder noch an Disziplin und Selbstbeherrschung, an strenger Sachlichkeit und Unpersönlichkeit fehlt? Daß sie an einander zu wenig oder zu viel Kritik üben und noch ab und zu an Stich- und Schlagworten hängen bleiben?
Haben die Sozialisten im Reichstag nicht auch Jahre gebraucht, ehe sie sich der sentimentalen und drohenden Apostrophierungen, der Stich- und Schlagwörter enthielten?
Warum ist man denn so geärgert, überrascht, daß die Frauen sich nicht vorteilhafter von den Männern abheben, daß sie in denselben Situationen dieselben allzumenschlichen Qualitäten bekunden? Wäre es nicht ein Geschlechtsgrößenwahn, wenn die Frauen vermeinten, als Sterne am Himmel der Menschheit die Männer überstrahlen zu können!
Das heftige, heiße Gebahren steht aber den Frauen nicht zu Gesicht?
Ach, den Männern steht es auch nicht zu Gesicht. Wir sind nur an ihre Rauf- und Kampflust gewöhnt.
Können im Ernst unsere Gegnerinnen glauben, daß die in der Öffentlichkeit agitierenden Frauen, die von der Tribüne herab, die mit Petitionen und Resolutionen, Propaganda für die Frauenrechte machen, nicht nur überflüssig sind, sondern sogar eine Gefahr für die Förderung der Frauenbewegung bedeuten? daß bei dieser Frage von unermeßlicher Tragweite, wo es sich darum handelt, Denkgewohnheiten von Jahrtausenden zu beseitigen, die zahme Propaganda durch ästhetische oder ethische Teekränzchen, [83] durch Saloncauserien oder poetisierende und ethisierende Essays genügten? Daß sie es im Ernst glauben, werden wir später sehen.
Die drei Hauptrepräsentantinnen der Rückwärts-Bewegung sind: Laura Marholm, Ellen Key, Lou Andreas-Salomé. Daß sie ausgezeichnete Schriftstellerinnen sind – müßte dieser Umstand nicht selbst die Feministen stutzig machen? Nein. Denn jede dieser Frauen stellt ein Weibideal auf, das von dem ihrer Gesinnungsgenossinnen völlig verschieden ist.
Die Quintessenz ihrer Anschauungen vom Frauentum läßt sich in wenige Worte zusammenfassen. Bei Laura Marholm ist der Daseinszweck des Weibes der Mann; bei Ellen Key ist er das Kind; bei Lou Andreas-Salomé ist das Weib etwas Selbsteigenes, das nur seine eigene Entwickelung sucht. Da nun in jedem dieser Köpfe das Frauentum sich anders spiegelt, so dürfen wir wohl annehmen, daß keiner von den dreien der Träger einer ewigen Wahrheit ist.
Die orthodoxeste unter den drei Frauen, und die am meisten zitierte und bewunderte ist Laura Marholm. Mit dem ganzen Rüstzeug ihrer eminenten schriftstellerischen Begabung tritt sie der nach geistiger und ökonomischer Selbstständigkeit aufwärtsringenden Frau entgegen, zugleich sich als der Engel gerierend, der mit flammendem Geistesschwert die Männer vor der Fraueninvasion in ihre Erwerbsparadiese zu schützen sich berufen fühlt.
Die beiden Bücher, mit denen sie dieser Mission obliegt: »Das Buch der Frau« und »Zur Psychologie der Frau«, sind aus einzelnen Aufsätzen, die zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Journalen zum Abdruck gelangten, [84] entstanden. Im »Buch der Frau« zeichnet sie sechs geniale Frauen, die für unsere Zeit typisch sein sollen: Marie Baschkirtzew, Charlotte Edgren-Leffler (Herzogin von Cajanello), Eleonore Duse, George Egerton und Sonja Kowalewska.
Sie bietet uns mit diesen Frauenbildern einen schönen, etwas narkotisch duftenden Strauß. Nur sind Giftkräuter hineingeraten.
Sie lesen sich wie erschütternde Novellen. Lyrik und Pathos ist in ihnen. Aus dem Aufsatz über Eleonore Duse klingt etwas von Psalter und Harfe.
Ich bezweifle zwar die Ähnlichkeit der Porträts. Bei dem einzigen, das ich kontrollieren kann, das der Marie Baschkirtzew, deren Tagebuch ich gelesen, decken sich Bild und Original nicht im mindesten. Ich habe mithin ein Recht, auch an der Ähnlichkeit der anderen zu zweifeln, um so mehr, da ich die Verfahrungsart der Verfasserin kenne. Sie macht sich ein Schema zurecht, da hinein preßt sie ihr Weibbild, und »ist es nicht willig, so braucht sie Gewalt.«
Für die Wirkung der Charakterbilder kommt aber die Ähnlichkeit nicht in Betracht. Wir empfinden ja auch künstlerisches Entzücken vor einem virtuos gemalten Porträt, selbst wenn wir das Original nicht kennen.
Übrigens hat sie nebenbei noch das große Verdienst, die Aufmerksamkeit des Publikums auf etliche hervorragende weibliche Persönlichkeiten gelenkt zu haben.
Wo sie aber weder Porträts zeichnet, noch persönlich Erlebtes und Empfundenes gibt, wo ihr Ehrgeiz sich an die höchsten Probleme der Menschheit wagt, da versagt ihr Talent. Die Höhen und Tiefen sind ihre schwache Seite.
Vertiefte ich mich mit wahrem Genuß in ihre Charakterbilder, [85] so hatte ich immer schon Angst vor ihren Folgerungen, denn – ach Gott, ich wußte, da kommt wieder der Tiefsinn, der Übersinn, – Pythia kommt!
Es ist ein schweres Stück Arbeit sie zu widerlegen. Sie sagt ja immer etwas ganz anderes, als was sie schon gesagt hat.
Sie ist ein Aal, und sollten in der Zoologie schlaue Aale vorkommen, würde ich sagen: ein schlauer Aal. Will man sie an der einen Stelle greifen, schon ist sie an eine andere entschlüpft.
Man lese, was sie über den Madonnenkultus, was sie über Protestantismus und Katholizismus, über Rassenkreuzung u.s.w. sagt. Lauter völlig aus der Luft gegriffene oder aus der Tiefe ihres Gemüts geschöpfte Behauptungen. Sie kommt vom Hundertsten ins Tausendste, denkt kreuz und quer, bleibt nie bei der Stange, balanziert aber darauf, und verliert sie die Balanze, so fällt sie in einen Wortstrom, in dem siecon amore umherplätschert.
Ihr Geist ist ein Wirbelwind, der Spreu, Staub, fruchtbaren Samen, Totes, duftige Blüten und noch einmal Staub umherstreut.
Sie ist das Wort. Es ist, als ob die Gedanken sich ihren Worten anbequemen müßten, die oft genug auch bloß »Ausbrüche wilder Mundübungen« sind, wie sie sie gelegentlich den gemanischen Völkern vorwirft.
Nein, sie ist keine Sucherin. Sie hat Alles schon gefunden.
Die ganze Kulturgeschichte, die tiefsten Zusammenhänge aller historischen Geschehnisse, den Inhalt der Weltanschauungen aller Zeiten und Religionen, die Ursachen aller geistigen Evolutionen, alles, alles kann sie an den Fingern herzählen.
[86] Ich höre die Botschaft, doch mir fehlt der Glaube.
Oder, soll ich glauben, daß, seitdem der Protestantismus aufgekommen, mit dem das Kind aufgehört habe, heilig zu sein, die Kindesmorde grassieren?
Soll ich glauben, daß zur Zeit des Madonnenkultus (herrscht er nicht noch in katholischen Ländern?) »die Verletzung des Weibes eine Todsünde für den Mann wurde«, und daß zugleich dieser Kultus »den Mann vom Weibe befreite«, dem Weibe, das ihm lästig fiel, und welches Weib sich gegenwärtig dafür an ihm zu rächen scheint, indem es – so sagt Laura Marholm – Ekel an ihm bekommen hat?
Soll ich glauben, weil in der modernen Malerei an den weiblichen Bildnissen nichts mehr zu sehen ist, als etwas Streifiges, Verwischtes u.s.w., daß dies der malerische Ausdruck dafür sei, daß der Mann gar nicht mehr weiß, was er mit dem Weibe anzufangen habe?
(Der Maler scheint auch nicht zu wissen, was er mit den Männern anfangen soll, er malt sie nämlich gerade so streifig, verwischt u.s.w.)
Ich glaube auch nicht, daß bei der Blutmischung von Juden und Germanen die männlichen Sprößlinge weibisch geraten (S. 266), mit krähenden Stimmen, dicken, weißen, bartlosen Gesichtern, süßlichem Lächeln u.s.w., während die weibliche Deszendenz maskuline Eigenschaften erwirbt.
Daß, falls das Weib die ihr von der Natur verliehenen Geisteskräfte entwickelt und zu ihrem Vorteil ausnutzt, sie dadurch des Vermögens verlustig geht, diese Gaben auf die Kinder zu vererben, glaube ich ebensowenig, als daß Kranksein jetzt bei Weibern le dernier cri du chic ist, und Pflicht und Zierde.
»Triefte wirklich Rahel von Lebensweisheit, weil Goethe der Lebensweise war«? (um ihm nachzuahmen).
[87] Und glaubt etwa jemand, daß die »Ursache und Wirkung der alten, Gott und Logik vertrauenden Schulästhetik die feste Burg aller Schauspielkunst ist?«
Widerspruchsvoll wie der Gedankeninhalt ihrer Bücher ist auch ihr Stil. Ein Filigranstil in überraschenden Verschlingungen, kunstvoll geschliffen. Er flimmert und prunkt und blendet. Widersprüche wechseln mit wahrhaft stupenden Willkürlichkeiten, ja eigentlich sind ihre beiden Bücher eine einzige immense Willkürlichkeit.
Ganz pikant, wie sie oft von dichterischem Schwung zu schauderhafter Derbheit und brüskem Dreinhauen übergeht, wie sie auf ihrer Leier zarte Töne anschlägt, und dazwischen scharf, spitz mit Trompetenton schmettert.
Sie findet schlagende Worte, die den Nagel auf den Kopf treffen, kühne Bilder, geistreiche originelle Wendungen, drollige Unverfrorenheiten. Hier und da berührt sie uns widrig durch Geschmacklosigkeiten; wenn sie z.B. in Wendungen, die allenfalls einem Arzt anstehen würden, von krankhaft physischen Vorgängen des Weibes spricht, oder von der Lüsternheit der jungen Mädchen, die um »die Barthaare des Mannes streichen u.s.w.«
Und dann wieder Stellen, wo aus dem Dickicht ihrer Rede reizvolle Blumen blühen, wenn es auch meist Tuberosen und Nelken sind, oder sonst etwas rotblühendes. Nur die Lilien gelingen ihr nicht, das sind künstlich papierne, und die Veilchen stehen ihr auch nicht zu Gesicht.
Niedrig, niedrig stellt sie das Weib. »Es liegt ganz nach außen in seinen Instinkten, Trieben, Bedürfnissen, Interessen. Das Weib – ja das Weib ist seelisch und physiologisch eine Kapsel über einer Leere, die erst der Mann kommen muß zu füllen. Es weiß nichts von sich, [88] es weiß nichts vom Manne, es weiß nichts von der großen stummen Unabänderlichkeit des Lebens,« (die ist meist auch schwer zu verstehen).
So absolut Laura Marholm diese Behauptungen hinstellt, immerhin scheinen ihre sechs repräsentativen Frauen schon »vor dem Kuß, der das Dornröschen weckte«, über eine Persönlichkeit verfügt zu haben, um die mancher Mann sie hätte beneiden können. Sie nennt Sonja Kowalewska »einen königlichen Weibgeist«, was doch für jemand, der nie in den Besitz seiner Persönlichkeit gelangt ist, ganz erheblich ist.
Sie vindiziert der jungen Russin »eine starke, tiefe Individualität, ein tumultuarisches, inneres Leben, ein Verstehen, Erfassen, eine Vibration der Seele, deren frühreife Genialität ohne gleichen ist. Alles an ihr ist aus erster Hand.«
Aus erster Hand? wo bleibt der Mann? Und deckt sich eine so tiefe und starke Individualität mit der »Kapsel über einer Leere?«
Und der eigentliche Gedankeninhalt des Buches – sein Kern?
Er deckt sich so ziemlich mit dem Märchen Undine, welche Nixe bekanntlich erst durch die Liebe eine Seele empfing. Nur kraft der »durchseelten, durchsinnlichten Hingabe an den Mann tritt das Weib in den Besitz seiner Persönlichkeit.« Geliebte zu werden ist ihr Beruf.
»Im Mann beginnt das Leben des Weibes, und im Mann beschließt es sich (besonders bei den früheren indischen Witwen, verbrannten Angedenkens). In allen Fällen ist der Mann der einzige Sinn ihres Lebens. Denn des Weibes Inhalt ist der Mann.«
[89] Sie hat solche Angst, daß die Emanzipation die durchseelte, durchsinnlichte Liebe eindämmen könnte. Sie spottet über die Mädchenschulen, deren große erzieherische Aufgabe es scheine, das Weib zur Geschlechtslosigkeit zu erziehen, sagt uns aber nicht, wie in den Mädchenschulen der Geschlechtlichkeit Rechnung zu tragen sei.
Das weibliche Backfischalter von 15–17 Jahren hält sie für das geeignetste, um das Menschengeschlecht fortzupflanzen. Nachher ist nicht mehr viel los mit den jungen Mädchen. Nie wieder sind sie so – bereit.
Wenn für das weibliche Geschlecht der Zeitpunkt unmittelbar nach vollendeter körperlicher Reife der für die Fortpflanzung der Menschheit günstigste ist, müßte dasselbe nicht auch für das männliche Geschlecht gelten? Und in der Tat, für die Bereitschaft, Vater zu werden, sprechen bei den Knaben derselben Entwicklungsstufe noch ganz andere, lebhaftere Zeichen, als die »feuchten, heißen Hände der Backfische, ihr Erbleichen und Erröten, ihr verwirrtes Augenniederschlagen u.s.w.«, die Laura Marholm für Symptome der Sehnsucht hält, »Mutter zu werden«.
Sie klagt, daß man fast seit einem Jahrhundert das Weib zu einer Scheinweiblichkeit erzogen hat. »Infolgedessen ist die Liebe immer weniger der blinde Trieb geworden, der das Weib unbedingt und uneingeschränkt dem Manne zuwirft«.
Das klingt ja recht geschlechtlich; der blinde Trieb aber, der das Weib uneingeschränkt in die Arme des Mannes wirft, dürfte kaum mit unseren Sitten in Einklang zu bringen sein.
Freilich, wenn die jungen Mädchen schon zwischen dem 15. und 17. Jahre ihrem mütterlichen Daseinszweck obliegen sollen, hat es Eile mit der Geschlechtlichkeit.
[90]»Dichtung ist Natur, durch ein Temperament gesehen«, (Zola). Laura Marholm sieht die Natur und das Weib durch ein Temperament, ihr Temperament. Sie ist eine Predigerin der Sinnlichkeit. (Natürlich fehlt es nicht an Stellen in ihren Schriften, wo sie es wieder nicht gewesen ist.) Da das Predigeramt und die Buchhändler aber Reserve auferlegen, so dämmt sie ihn zuweilen zurück, den Lavastrom der Sinnlichkeit, wenn er zu rot flutet, winkt dem Manne ab, und auf Goldgrund erscheint ein Heiligenbild, oder sie leiht wenigstens der Aphrodite einen Heiligenschein – aus Talmi.
Eine Rattenfängerin, diese Schriftstellerin, die mit ihren sinnbetörenden Melodien die Weibchen geradezu in den Hörselberg hineinpfeift. Ach, Laura Marholm, steck die Pfeife ein. Nur Allzuviele haben sich bereits unter dem Banner Aphrodites geschart, wenn auch die Durchseelung ihrer heißen Triebe hier und da etwas zu wünschen übrig läßt. Das sind die grandes mondaines, und andere flotte Damen der Ganz- und Halbwelt. Das sind ihre »weiblichsten Weiber«, wie sie sie S. 58 schildert: mit Bewegungen als lägen sie immer auf weichen Pfühlen, mit einer zwitschernden Plauderhaftigkeit u.s.w. Das sind die Delilas und manche andere, die zugleich des Mannes und des Teufels sind.
Etwas von Haschisch ist in dem Buch. Mit diesem »Zaubertrank im Leibe« sieht Laura Marholm nur eine Farbe: rot, hört sie nur einen Ton: den schluchzenden Flötenton der männchenlockenden Nachtigall, sie sieht, wie des »Weibes Vitalität nur unter dem Glühen des Mannes, von ihm geweckt, schwillt und blüht«.
Sie ist böse, daß die Frauenrechtlerinnen alle möglichen Rechte verlangen, nur nicht das Recht des Weibes zu lieben.
[91] Darin bin ich mit ihr einverstanden, daß das Recht zu lieben den Frauen bisher in naturwidriger Weise verkümmert worden ist. Doch finde ich es vernünftig, daß die Radikalen über dieses Recht schweigen. Zuerst die politischen Rechte. Im Besitz des Stimmrechts, als teilnehmender Faktor an der Gesetzgebung, werden sie imstande und befugt sein, das Recht der Frau zu lieben aus seinen Einschnürungen zu befreien. Kein Stimmrecht – kein Recht zu lieben!
Ich gebe zu, es hat den Anschein oder mag auch wirklich den Tatsachen entsprechen, daß bei einer sehr großen Anzahl von Frauen das Zentrum ihres Wesens im Geschlecht liegt, ich gebe ferner zu, daß unter diesen Frauen eine beträchtliche Anzahl das Durchschnittsniveau überragt. Daraus schließe ich aber nicht, daß allein diese Frauen ihre Naturbestimmung erfüllen und alle andersgearteten ihnen Heerfolge zu leisten haben. Ich schließe im Gegenteil daraus, daß bei diesen körperlich oder geistig reichorganisierten Naturen die überschüssigen vitalen Kräfte sich der Erotik zuwenden, weil ihnen kein anderer Spielraum gegönnt ist.
Es geht absolut aus dem Marholmschen Buch nicht hervor, was die denkende Frau unserer Zeit nun eigentlich tun soll. Studien, Auszeichnungen sind nur »Schaugerichte«, vor denen sie verschmachtet. Die Dichterin kann doch nicht im Ernst der ganzen Frauenwelt empfehlen, allerweiblichste Weiber zu werden, wie sie sie schildert.
Nehmen wir an, Laura Marholm hätte mit ihren Behauptungen recht: Das Weib gelange nur durch den Mann zu einer Persönlichkeit, und die durchseelte, durchsinnlichte Hingabe an ihn wäre der einzige Sinn seiner Existenz. Welchen Einfluß würde diese Tatsache auf das reale Frauenleben [92] unserer Zeit haben? Das Weib kann doch nicht täglich 12–14 Stunden der Minne pflegen? Und die Pausen? Nicht lang genug für die Ausübung eines künstlerischen, wissenschaftlichen oder professionellen Berufes? Hat der Mann ihr durch seine Umarmung eine Seele einverleibt, so hat sie sie nun doch einmal, und ist es nun für die Gestaltung ihres Lebens nicht gleichgültig, von wannen ihr diese Seele gekommen ist?
Mit dem Weibsein wird die Natur ganz von selber fertig. Um das sich veredelnde Menschentum müssen wir ringen, und nicht die geschlechtlichen Nerven sind dabei maßgebend, der sittliche Nerv ist's.
»Das Geschlecht wird schon schlummern, so lange das Gehirn in Anspann geht.« Diese Wahrheit (eine ihrer Lieblingsthesen) sucht sie an ihren sechs repräsentativen Frauen nachzuweisen. Ich habe den Eindruck, daß sie erst ihre Frauenbilder geschrieben, und als sie dieselben später in einem Band sammelte, sei ihr hinterher die Idee gekommen, sie in ihre Theorie hineinzupressen.
»Alle diese sechs Frauen waren krank an einer inneren Spaltung, die erst mit der Frauenfrage in die Welt gekommen ist, an einer Spaltung zwischen ihrer Verstandesrichtung und der dunklen Basis ihrer Weibnatur. Und alle standen vor der zugeschlagenen Tür ihres inneren Heiligtums und hörten den Gottesdienst der Mysterienfeier heraus klingen und bebten in sterilen Schauern und schmachteten nach den belebenden Wonnen, von denen sie sich selbst ausgeschlossen ... Das beste Weibmaterial hat den unheimlichen Drang nach Halbmannhaftigkeit, einen Trieb zu hybrider Sterilität.«
Das beste Weibmaterial hat sicher diesen Drang nicht. Das Geschlecht schlummerte bei ihnen nie, aber nie. Daß [93] der englische Lord, den Marie Baschkirtzew als dreizehnjähriges Kind »so heftig, so schmachtend, so echt wie ein reifes Weib liebte«, eine Erwachsene dem Kinde vorzog, war doch nicht ihre Schuld. Und als später der Neffe des Kardinals, für den sie Feuer fing, sie nicht heiraten wollte, dafür konnte sie auch nichts.
Und was von der Herzensgeschichte der Duse in die Öffentlichkeit gedrungen ist, läßt durchaus nicht auf ihren Drang nach hybrider Sterilität schließen.
George Egerton, Charlotte Edgreen, Amalie Skram, alle, alle haben gar nicht daran gedacht, sich von dem Gottesdienst der Mysterienfeier ausschließen zu wollen, und ihre Schauer sind nichts weniger als steril.
Und Sonja Kowalewska liebt ihren Bojaren »wie ein junges Mädchen, das eben reif geworden, mit einer zitternden, verräterischen, steuerlosen Seligkeit ... Er war der einzige, in dem sie fühlte, das brennende Fieber des erwachenden Geschlechts stillen zu können.« Vor seiner gelassenen Ruhe aber, »schlug alles wieder nach innen zu einer trockenen, zehrenden Hitze.«
War es Sonjas Schuld, daß sie »in dem Leben des Bojaren keine phänomenale Rolle spielte«, und er sich zu dem »schmachtenden, außer sich geratenen Liebhaber«, den sie begehrte, nicht eignete? Oder soll man es ihr als Schuld anrechnen, daß sie in Unwissenheit über »die Präliminarien der Liebe« blieb, daß ihr »die Routine der Anziehung« fehlte? Denn auf diese Mängel allein führt die Verfasserin die Kühle des Bojaren zurück.
Es ist aber doch wohl kaum angängig, junge Mädchen zur Erlernung der Routine der Anziehung und der Präliminarien der Liebe anzuhalten, um sie in den Stand zu setzen, später mit Erfolg Geliebte zu werden.
[94] Daß Sonjas Verkehr mit dem Bojaren intimster Art war, ist zweifellos. Sie reist zu ihm, sobald sie Urlaub erhält, und er will sie heiraten. Seite 187 wird uns mitgeteilt, daß Sonjas intimster Verkehr mit dem Bojaren in die Zeit fiel, wo sie »unter Anstrengungen und Nachtwachen« für den prix Bordin arbeitete, der ihr europäische Berühmtheit eintrug.
Nach Laura Marholm ging Marie Baschkirtzew weniger an der Schwindsucht – wie die Ärzte behaupteten – zugrunde als »am Nichtleben, an das sie ihre vitale Kraft verlor, daran, daß sie die sinnlichen und seelischen Schauder des Genießens verabsäumte«, daß Bastien-Lepage nicht der Mann war, »ihre Nerven in die echten zitternden Schwingungen zu bringen. Sie war eine durch ihren verhaltenen Durst Zerstörte.«
Sonja Kowalewska starb nicht – wie die Ärzte behaupteten – an einer heftigen Erkältung, sondern an dem zu einer trockenen, zehrenden Hitze zurückgeschlagenen Fieber des Geschlechts.
Was will nun Laura Marholm eigentlich? Hätte Sonja nicht Mathematik treiben, nicht Romane dichten sollen? Wäre sie dann glücklicher und der Bojar feuriger geworden? Den Einwurf, daß keiner Sonjas »mit dem Urtrieb des Mannes« begehrte, weil sie schon im dreißigsten Jahre alt und reizlos ausgesehen, weist sie damit zurück, daß wohl gewöhnliche Frauen durch Alter und Häßlichkeit entstellt würden, das Genie aber altere nicht! So scheint sie doch hohe geistige Capacität für einen ausgezeichneten Liebesleiter zu halten.
Sollen schon die Liebesgefühle bei Sonjas Seelenzerfall eine Nolle gespielt haben, so scheint mir eher ein Übermaß krankhafter Erotik bei ihr vorzuliegen als der Schlummer [95] des Geschlechts und der Umstand, daß »der Treibriemen der Zeit sie erfaßte und in die Runde drehte.« Unerfindlich der Zusammenhang zwischen diesem Treibriemen der Zeit und der gelassenen Ruhe des Bojaren.
Vielleicht ist eine andere Annahme, als die »vom Treibriemen der Zeit, der sie in die Runde drehte«, berechtigter, die Annahme, daß Sonja litt, weil sie eben ein Genie war, dem man ja von jeher eine Verwandtschaft mit dem Wahnsinn und die Neigung, sich in den Abgrund der eigenen Seele zu stürzen, nachgesagt hat. Genies sind Seher oder Seherinnen, und »eine jede Kassandra mußte noch ihr gequältes Herz einsam in die Wüste tragen« .... Und »wer erfreute sich des Lebens, der in seine Tiefen blickt.«
Übrigens könnte sich das erotische Marholm-Weib bei ihrer Auslese wohl eines feineren Geschmacks befleißigen: »das Brutale, Massive, Protzige am Mann ist das Einzige .... was die Frau an dem Mann erschauern macht, was ihr an ihm imponiert.«
Was ist – nach Laura Marholm – die Frauenbewegung?
Sie ist »das grundsätzliche Parasitentum des Weibes.« Und ich dachte, gerade die ökonomische Selbständigkeit der Frau müßte den Mann entlasten.
Seite 126 hält sie das Frauenrechtlertum für versetzte emotionelle Dränge, abgeleitet von ihrem Zentralpunkt (dem Geschlechtsleben.) Dann wieder ist die Emanzipation ein mißratener Verzweiflungscoup, was daraus erhellt, daß diese Abgeirrten »massenhaft an den Rändern aller Wege sterben.«
Wo liegen sie denn begraben?
Obgleich nun diese, zum massenhaften Hinsterben an Wegrändern Verurteilten, »wie eine Seuche Deutschland verheeren,« [96] sind sie doch die »bestbegabtesten, energischsten, seelisch und geistig gut ausgerüsteten.«
Nicht sonderbar, daß diese Besten und Begabtesten eine Deutschland verheerende Seuche bilden, und die Minderwertigen haben recht?
Inbalde aber enthebt Laura Marholm das Weib wieder der Schuld an der Emanzipation und wälzt sie auf die Schultern von Stuart Mill und Bebel. »Die Frauen bildeten sich nach ihnen zu Nichtfrauen.«
Kurz darauf ist die Emanzipation eine Auflehnung der weiblichen Bescheidenheit gegen das Piedestal, auf das der Mann sie gestellt hat. Seite 204 ist der zentrale Grund der Frauenbewegung, daß das Weib sich jetzt selber besitzen und genießen will, was es früher zufrieden war zu vererben« ....
Nein, so eine Unverschämtheit von dem Weib!
Ein andermal läßt sie die Frauenbewegung aus materieller und geistiger Not entspringen, – was jede Frauenrechtlerin nur unterschreiben kann.
Daß die Bewegung aber sogar mit dem Corset parallel läuft (die Emanzipierten wollen es ja gerade abschaffen) und mit der Prostitution Hand in Hand geht, – wer hätte das gedacht!
Zur unheilkündenden Kassandra wird Frau Marholm, wenn sie fernsieht in die Folgen der Emanzipation. Sie sieht »schwere Krisen, ungeheures Sinken der Kultur« u.s.w.
Indem nämlich das Weib sich einem Beruf ergiebt, arbeitet es »an der Zerstörung des Mannes«, »nimmt es dem Familiengründer das Brot vom Munde weg.«
Die Verfasserin nennt die Frauen auf den eroberten Arbeitsgebieten Eindringlinge, Parasitinnen.
[97] In der Vorrede klagt sie, »daß ihr Buch unter Hindernissen und Störungen jeder Art zustande kam, die dem Weib im Existenzkampf bereitet werden.«
Das geschieht ihr recht, das Weib soll ja gar keinen Existenzkampf führen. Mit all ihren Schriften will Laura Marholm ja nichts anderes, als dem Weib Hindernisse im Existenzkampf bereiten. Oder denkt sie, wo es sich um ihre eigene Person handelt: »Ja Bauer, das ist ganz was anderes?« Ist Schriftstellerei kein Broterwerb? Oder schenkt sie den Buchhändlern ihre Bücher? Ich bin überzeugt, sie nimmt dafür, soviel sie kriegen kann.
Über die Anhängerinnen der Emanzipation bricht sie erbarmungslos den Stab. Seite 2 heißt es: »Ein Drang in den Frauen unsrer Zeit geht dahin, des Mannes zu entraten.« (Als Ernährer und Gebieter – ja, als des Liebenden und Geliebten, als des Freundes und Kameraden – nie.) »Wo sind jene Frauen, – ruft sie klagend – deren Salons Sammelpunkte der feurigsten Geister und bedeutendsten Männer ihrer Zeit waren? Sie sind nicht da. Wo sind jene Frauen, deren feine Klugheit an den hohen und höchsten Angelegenheiten mitwirkend teilnahmen? Sie sind nicht da.«
Das liegt vielleicht an den Männern, die den Salon für den Austausch politischer und sozialer Gedanken nicht mehr brauchen, seitdem es Parlamente und öffentliche Versammlungen gibt, die im Zeitalter der Salons nicht existierten. An die Stelle jener politischen Circen sind Gruppen ernster Frauen getreten, die gern auf den Einfluß durch Hintertüren, Intriguen und Amors Beihilfe verzichten, und die den Einfluß auf die Kulturentwicklung kraft des Stimmrechts erstreben.
[98] »Wo sind jene Frauen, deren durchseelte, durchsinnlichte Hingabe dem Mann zur Lebenswärme wurde, zu hebenden Armen und nährendem Inhalt.« (Ei, da spielen die Geschlechter ja, ›Verwechsel das Bäumchen‹, und sie gibt ihm den nährenden Inhalt, den sie doch erst von ihm bezogen.) »Zu Flügeln, die ihn trugen ins Unbekannte und ihn zurücktrugen in dies schöne, reiche, schwere Leben? Sie sind gewesen.« Und Frau Marholm findet es selbstverständlich, daß die modernen Frauen weder die Macht noch die Anziehung jener »alten Zauberinnen« haben.
Die ins Unbekannte tragende Mission der Flügel verstehe ich zwar wieder nicht ganz. Ich traue aber jenen »alten Zauberinnen« nicht recht. Adlerflügel werden es wohl nicht gewesen sein, eher Schmetterlingsflügel, was sich auch mit der Ansicht der Verfasserin decken würde, »daß der ganze Mann stets im Weibe das Geschlecht sucht.«
Jene alten Zauberinnen waren gewiß reizend, aber ich fürchte, sie liebten die Männer mehr als die Menschen.
In dem Buch »Zur Psychologie der Frau« gebärdet sich Laura Marholm als vollkommene Seherin der weiblichen Psyche. Der reine psychische X-Strahl, dringt sie in das geheimste Innere von Millionen Frauenseelen. Es ist nichts so fein darin gesponnen, sie bringt es an die Sonnen.
Eine größere geistige, tappende Unsicherheit, bei scheinbar kühnster Sicherheit, ist mir selten vorgekommen. Hat sie eine grelle These vom Stapel laufen lassen, gleich verklausuliert sie sie wieder. Überhaupt Klauseln sind ihre Passion. Das Buch ist wie ein Testament, bei dem, wegen der vielen Klauseln und Legate, der Universalerbe leer ausgeht.
Mitunter hatte ich fast den Eindruck, daß es gar nicht [99] die unzähligen lebendigen Frauen ihrer Bekanntschaft sind, die ihre Psychologie auf die Beine gebracht hat, sondern daß sie ihre Seelenkunde französischen Moderomanen verdankt, etwa Gyp'schen oder Henri Meilhac'schen Typen. Meilhac, dessen Frauengestalten jüngst in seiner Grabrede so sehr gepriesen wurden als »ces héroïnes amoureuses, curieuses, changeantes, froufroutantes, avec leur grain de vice« u.s.w.
In ihrer Psychologie überfällt uns Laura Marholm mit einem wahren Heuschreckenschwarm von Fragen und Antworten, und die Antworten sind auch nur Fragezeichen.
»Woher die heimliche, lahme Gier und dieser heimliche Ekel am Mann? – woher diese flügellahme Liebe?« ..
Ihre zahllosen, komplizierten, in einander verhäkelten Warums und Darums, Wohers und Dahers, muten uns an, wie jene maliziösen Scherzgeschenke, wo in einem umfangreichen Paket von Papierhüllen ein Papierchen immer ins andere geschachtelt ist, und öffnet man endlich, um den Kern zu finden, das letzte Papier, – nichts.
Viele, viele Seiten lang bringt sie das »rastlose klagende Gemurmel – den erstickten Jammerschrei«, die unsagbare Verzweiflung des Weibes zu Papier. Es konnte nicht anders kommen. Warum ist die Frau auch »Halbweib« geworden!
Wie wird das Halbweib nun Ganzweib?
Auf den 300 Seiten ihrer Seelenanalysen hält uns Frau Marholm in Erwartung und schwebender Pein. Erst am Schluß erfahren wir es.
Dieser Schlußaufsatz »Die produktive Arbeit der Frau« wirkt verblüffend. Sie hat die einzig produktive Arbeit des Weibes entdeckt. Wir sind aufs höchste gespannt. Was wird kommen? Etwas Neues? nein, etwas Altes, sogar Uraltes: das Kind kommt!
[100]Bis jetzt hatte sie in allen ihren Schriften das ganze Feuer ihrer Beredsamkeit in die Kernsätze gelegt: »Im Manne beginnt das Leben des Weibes, und im Manne beschließt es sich .... in allen Fällen ist er der einzige Sinn ihres Lebens; denn des Weibes Inhalt ist der Mann.«
Und nun plötzlich muß der Mann dem Kind weichen, wie »Winterstürme dem Wonnemond«.
Wenigstens legt Laura Marholm dem Weibe mit ihrer produktiven Arbeit keine besonderen Unkosten auf.
»Die produktive Arbeit (das Kind) ist überhaupt gar nichts, wobei mit Willen, Absicht, Anstrengung, Vorsätzen u.s.w. viel zu erreichen wäre .... Die produktive Arbeit des Weibes ist seine innere Natur, sein angeborenes Wesen, seine warme Seele, sein gutes Herz, – gesundes Blut, – ungebrochene Kraft, Unermüdetheit, Unmittelbarkeit, Spannkraft, Frische.«
Ureinfach: das Halbweib wird Halbengel. Wird? Nein; Wille und Absicht ist ja nicht dabei. Sie ist der geborene Halbengel, was sich nicht ganz damit reimt, daß Laura Marholm selbst die Frau von heut in den schwärzesten Farben malt. (Vielleicht wachsen ihr die Halbengelflügel bei der Lektüre der Marholm'schen Bücher.)
»Durch Millionen Frauen geht der stumme, unbewußte Schrei, gebt uns das Glück, unser Weibsein auszuleben, das ist für uns das eine, alleinige Glück.«
Aber warum schreien denn diese Millionen so? Das »Sichalsweibausleben« geht doch einzig und allein in und an dem Kind von statten. Wer nimmt ihr denn das Kind? im Gegenteil, alle Welt redet ihr es ja bei jeder, auch der ungeeignetsten Gelegenheit auf, sogar die dramatischen Dichter, die, wenn sie für ihre Ehedramen keinen versöhnenden Schluß finden, geschwind das Kind in den Riß springen lassen.
[101] Freilich, gleich darauf sieht sie wieder vom Kinde ab, indem sie erkennt, daß »im letzten und tiefsten Grunde das Weib sich nur für geschlechtliche und religiöse Dinge erwärmen« kann.
Gehört das Kind zu den geschlechtlichen oder zu den religiösen Dingen?
Sie entdeckt immer neue Daseinszwecke des Weibes. Ob sie sich nicht schließlich noch die Großmutter als Daseinszweck des Weibes langen wird?
Niemals wirkt Laura Marholm auf mich unerfreulicher, als wenn sie, wie in diesem letzten Aufsatz, in Idealität macht, sich mit einem paar geborgter Flügel in ätherblauen Tugenddunst verfliegt, und für Allmütterlichkeit und Menschenliebe en gros schwärmt.
Welche Frau nicht Mutter im Fleisch ist, soll wenigstens Mutter im Geist und Mutter in der Seele sein, und kraft ihrer Weibnatur auf eigenes Leben verzichten.
Ein alter Berliner Knittelvers lautet: »I Hannemann, geh' du voran, du hast die großen Stiebeln an.«
Frau Marholms Bücher haben einen großen Erfolg gehabt. Die Männer huldigten ihr als Prophetin ihrer Größe.
Vielleicht wird ihnen aber doch allmählich bange vor einer Superiorität von Marholms Gnaden, die Hand in Hand geht, bei den einen (so schildert sie S. 270 die Großstadttypen) mit »Mattäugigkeit und schiefbeiniger Schwächlichkeit«, bei den andern mit »Massigkeit, Glotzigkeit, dicken Weiberbeinen, protziger Großschnäuzigkeit u.s.w.« Wir erfahren sogar, daß das Weib heut keine schönen, starken Männer gebären kann, weil es lauter »Rundrückige, Krummbeinige, der Vermauschlung entgegentreibende« vor Augen hat.
[102] Vorläufig aber baut man ihr noch Altäre. In einer vielgelesenen Tageszeitung gipfelt das Entzücken eines rühmlich bekannten Schriftstellers in den Schlußworten: »Das Buch der Frauen« der Frau in die Hand gegeben, wird ihr zum zweiten Gebetbuch werden. Frau Laura Marholm ist ein Arzt und ihre Arzneien helfen sicher, sie ist ein Prediger, und ihre Wahrheiten sind seligmachend.«
Ob dieser begeisterte Apologet Laura Marholms vermählt ist? kaum; dürfte er sonst ohne Bangigkeit in die Hände seines unschuldigen Weibes dieses Gebetbuch legen, in dem auf einer der frommen Seiten zu lesen ist, daß Marie Baschkirzew zugrunde ging, »weil sie die große Liebe nicht kennen lernte mit ihren seelischen Schaudern des Genießens, von denen das Weib aufsteht als Herrscherin der Erde!« Und wo auf einer anderen frommen Seite Sonja Kowalewska von der Rache Aphrodites ereilt wird, »weil sie zwar Gattin und Mutter, aber nicht Geliebte wurde.«
Ein anderer Schriftsteller huldigt (in einem vornehmen Kunstblatt) der Entdeckerin des Weibes von Mannes Gnaden, indem er sie die einzige Frau nennt, die endlich »die letzte Hülle von der Seele der Frau gezogen, und das sorgsam Verborgene an das Licht gebracht hat.«
Das Weib ist erkannt. So ist es nicht nur, so soll es auch sein. Schön. Aber warum sitzt man denn gleich so bös zu Gericht über die Frau, die sich nun wirklich etwas lebhaft auf dem Gebiet der Erotik betätigt.
Und warum versteht man unter der tugendhaften Frau vorzugsweise diejenige – sie mag im übrigen von ganz schlechter Charakterqualität sein – die der Erotik den schuldigen Tribut, den Laura Marholm ihr auferlegt, nicht zollt? Naiver Frager. Auf Warums, wenn die realen [103] Lebensgepflogenheiten im Widerspruch zu den gedruckten Anschauungen stehen, erhältst Du nie eine Antwort.
Ach! und was wird aus den vielen ältlichen und alten Frauen, die dem Ideal des erotisch geschwollenen Weibes nicht mehr entsprechen, und nun bis an ihr unseliges, leider viel zu spätes Ende, traurig vegetieren müssen, weil sich für ihre durchseelte, durchsinnlichte Hingabe kein Abnehmer mehr findet?
Das größte schriftstellerische Talent, wenn nicht Gesinnung, Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit es trägt, wird dauernde Erfolge nicht erzielen.
Die Ritter vom Geist wachsen nur im Dienst der Ideen, die die Zukunft in ihrem Schoß tragen. Und Laura Marholms Ideen – – ich hör' die Botschaft, doch mir fehlt der Glaube.
Völlig anders geartet als Laura Marholm ist Ellen Key, die ein goldenes Herz hat und eine begeisterte Feder führt, und gerade darum die gefährlichste unserer Gegnerinnen ist.
Dem, der ihren Essay: »Mißbrauchte Frauenkraft« (in dem sie ihre Anschauungen über Frauenwesen niederlegt) aufmerksam liest, geht ein Mühlrad im Kopf herum. Ein tönendes Gewirr zärtlicher Molltöne; mit ihren unendlichen Wiederholungen, ihren Unklarheiten und Widersprüchen, ihrem vorsichtigen Einhalten, wenn sie glaubt, durch zu Rückschrittliches ihr geistiges Renommee zu kompromittieren, erregt sie – mir wenigstens – ein nervöses Übelbefinden, das sich bis zu geistiger Qual steigert. Es ist, als hätte [104] sie in ihrer Schrift das Preisrätsel lösen wollen, wie man zugleich für und wider eine Sache schreiben könne. Einen wahren Eiertanz zwischen ja und Nein führt sie auf. Fast auf jeder Seite ist man versucht, auszurufen: Dilemma! Dilemma! Sie hat die aalhaft gewundene, sich schlängelnde Argumentationart der Frau Laura Marholm. Will man sie bei einem recht handgreiflichen Irrtum packen, – schnell entschlüpft sie und beweist, daß der Biß eine Liebkosung war. Der Essay wirkt wie ein Wechselbad von kalt und warm. Erst warm, dann kalt, dann wieder warm und so fort ...
Selbst Frauen radikaler Denkart huldigen dieser Hohenpriesterin der Phrase. (Wohlgemerkt, ich spreche hier nur von der vorliegenden Broschüre. 5 »Alles Gutgesagte wird geglaubt,« sagt Nietzsche, und da Goethe dasselbe fast mit denselben Worten sagt, wird es wohl wahr sein.
Ellen Key lancirt nicht gewöhnliche Phrasen, die nur durch schöne Klangwirkung blenden und bestechen. Ihre Phrasen kommen als Gedanken verkleidet, sie winken als Ethos aus der Höhe mit Palmen, sie haben Flügel, in Aether getauchte, oder in Sonnengold flimmernde. Sie kränzt sie wohl auch mit Rosen und flicht Passionsblumen hinein. Mit einem Wort: sie sehen ungeheuer nach etwas aus – nicht immer zwar. Und das ist das Bestechendste und Verwirrendste an der Verfasserin der »Mißbrauchten Frauenkraft«, daß sie hier und da in das süße Gebimmel flammende Leuchtkugeln wirft, echte Gedanken, Gedanken [105] von kühnem Radikalismus, die, wenn auch nicht neu, doch durch ihre hymnische Form beinah als neu wirken. Und Leuchtkugeln haben es an sich, daß man vor ihrem Glanz des dämmernden Dunkels in der Umgegend nicht gewahr wird.
Das Motto ihrer Schrift heißt: »Des Weibes Geschichte ist Liebe.« Liebe für die ganze Menschheit? gewiß, das heißt mit Ausnahme der Frauenrechtlerinnen, die zu vernichten sie »den Eid Hannibals« geschworen hat.
Aus dem Sündenregister, das sie der gefährlichen Rotte der Unweiber vorhält, greife ich das wesentliche heraus.
S. 22. »Die Frauenrechtlerinnen wollen, die Frauen sollen männlicher, energischer erzogen werden, um ganz und gar in ihrer Arbeit aufgehen zu können.«
Haben die Radikalen wirklich diese Forderung gestellt, so möchte man sich gern an dem von Ellen Key geschworenen Eid Hannibals beteiligen.
»Man hört von ihnen (man? wer? ich nicht) die Äußerung, das Cölibat sei der würdigste Zustand für die Frau ... es sei ein Rest von niedrigen Instinkten, wenn sie es nicht vorzieht, sich zu einem Intelligenzwesen zu entwickeln, statt zu einem Geschlechtswesen, falls sich nicht beides vereinen läßt.«
Ja, da eben liegt der Hase im Pfeffer. Diese Emanzipierten glauben nämlich, daß sich beides vereinen läßt.
Und was ist denn das: ein Nurintelligenzwesen? gibt es das? werden bei geistigen Arbeiten die Empfindungsnerven ausgeschaltet, wird den Gefühlen ein Riegel vorgeschoben, und das Gehirn funktioniert maschinenartig? Ein Hegel, ein Schelling, ein Fichte und andere große Denker, ob sie ihre Ideen nicht in entzückten Schauern empfangen, in Schmerz und Lust geboren, mit ihrem Herzblut genährt haben? und mit einem so begeisterten Gemütsanteil, [106] daß die instinktive Mutterliebe grob daneben erscheint?
Es ist überhaupt eine Taktik unserer Gegner, den Lesern oder Hörern zu suggerieren, daß die Trägerinnen der Frauenbewegung diese oder jene Absurdität, ästhetische oder ethische Plumpheit propagieren.
So sollen die Radikalen jede psychische und geistige Verschiedenheit zwischen Frau und Mann leugnen.
Und da kämpfen nun die Antifeministen wie die Löwen für die Ungleichheit der Geschlechter, die noch niemand – auch nicht die blutroteste Emanzipations-Jakobinerin bestritten hat.
Freilich nehmen die Feministen nicht wie ihre Widersacher Gegensätze an, wo nur Verschiedenheiten sind, Verschiedenheiten, die, ihrer Ansicht nach, die Frauenfrage kaum berühren.
Sie lehnen die beliebte schroffe Scheidung zwischen Kopf und Herz ab. (Der Kopf – dem Mann, das Herz – der Frau.)
Hat nicht im Grunde diese geistige Kasteneinteilung eine Verwandtschaft mit der staatlichen Kasteneinteilung halb barbarischer Völker? Im alten Indien stand Todesstrafe darauf, wenn die niedere Kaste in die Tätigkeitssphäre der höheren eingriff, wenn z.B. ein Sudra es wagte, ein heiliges Buch zu lesen.
So grausam straft man das nach verbotenem Wissen lüsterne Weib heut nicht mehr. Man begnügt sich mit milden Hinrichtungen durch wilde Broschüren.
Die Radikalen – heißt es – befürworten eine schrankenlose Erotik.
Wo steht das?
[107] Die Frauenrechtlerinnen wollen, daß das Weib sich der Mutterpflicht entziehe.
Warum nicht gar. Das steht wohl im Schöppenstädter Anzeiger.
Die Emanzipierten stellen das weibliche Geschlecht über das männliche.
Wo denn? wer denn? Namen nennen!
Möchte der Antifeminist doch bei der Stange der Wahrheit bleiben, und sich hübsch der Gänsefüßchen bedienen, wenn er blödsinnige Lehren des Reformweibes geißelt.
Sollten indessen einzelne Frauen dem verwerflichen Glauben an die Überlegenheit des Weibes huldigen, so wäre das ihre Privatansicht, die mit den Grundsätzen der Radikalen nichts gemein hat.
Übrigens – könnte man es den Frauen verargen, wenn in gewissen Momenten ihr Glaube an die Überlegenheit des Mannes ins Wanken geriete? in dem Augenblick z.B., als im Reichstag (vor 2–3 Jahren geschah es) ein leibhaftiger Minister – wahrscheinlich zur Verwunderung des Stenographen – verjährteste Gemeinplätze zur Abwehr der Mädchengymnasien vorbrachte, die, wenn eine Frau sie gesprochen, Wasser auf der Mühle derjenigen Antifeministen gewesen wären, die für die Inferiorität des Weibes schwärmen.
Vergessen wir auch nicht den erheiternden Augenblick, den uns ein hochgeschätzter Professor der Theologie bereitete, der die Frauenbewegung energisch ablehnte, weil die Frauen »das schwächere sittliche Gefüß wären«, und der im Hinblick auf den etwaigen priesterlichen Beruf der Frau ausrief: »Wie würde die Frau im Talar aussehen.«
Aber Herr Theologie-Professor, seitdem die gesundheitlich [108] nicht genug zu preisende Reformkleidung aufgekommen ist, geht ja heut schon eine beträchtliche Anzahl von Frauen Tag ein Tag aus in Gewändern umher, die dem Talar zum Verwechseln ähnlich sehen.
Ich meine, mit viel mehr Recht dürften wir ausrufen – wenn die Gewohnheit unser Auge nicht abgestumpft hätte: »Wie würde ein Mann im Talar aussehen!« was wir ja allerdings schon wissen.
Es ist derselbe Professor, der die Mädchenerziehung folgendermaßen aufzubessern wünscht: »Ein tüchtiger Klaps, (hüpft bei diesem Klaps nicht unter seiner weißen Weste Örtels Herz?) die Schnorr'sche Bilderbibel, nicht zu viel aufgestrichen beim Frühstück, und nicht zu häufig in Konzerten herumräkeln.«
Der reine Petrucchio, dieser Professor von Nathusius, der durch Hunger und Mißhandlung die bösen Emanzipations-Kätchen zähmen will. Und ob der fromme, vornehme Theologe so inferiore Lokale, wo junge Mädchen sich herumräkeln, (warum sind sie auch das schwache Gefüß) wohl jemals besucht hat?
Derartige männliche Denkentgleisungen dürften geeignet sein, den Respekt der Frau vor dem männlichen Geist auf ein Minimum herabzudrücken, wenn ihre Verständigkeit sie nicht davor bewahrte, die Redefrevel Einzelner an die Rockschöße des ganzen Geschlechts zu hängen.
Es sind die Studien, die wissenschaftlichen Betätigungen, – zu denen die Radikalen das Weibsvolk so gefährlich anstiften sollen – die Ellen Key ein Dorn im Auge sind.
»Quält sie sich ab, die Höhe des Mannes zu erreichen, muß sie als Weib zu Grunde gehen.«
Nie wenn ich ein Buch schrieb, habe ich daran gedacht [109] (und das gilt wohl auch von allen anderen Schriftstellerinnen, Künstlerinnen u.s.w.) die höchste Höhe des Mannes erreichen zu wollen. Ich dachte nicht einmal daran, die höchste Höhe der Frau erreichen zu wollen, etwa eine George Sand oder George Elliot. Und war ich je von einem Ehrgeiz besessen, so war es der, meine eigene höchste Höhe erreichen zu wollen.
Ellen Key hat aber nun einmal die fixe Idee, berufsmäßig arbeitende Frauen für Ikarusse zu halten, die ihre Wachsflügel an männlichen Sonnen zu schmelzen bestimmt sind.
Ihr selbst ist eine wissenschaftliche Ausbildung in reichem Maß vergönnt gewesen. Hat sie persönlich erfahren, daß die Anstrengung eine so unerhörte und eine so unfruchtbare war? Und die Seligkeit des Erkennens ist ihr nicht aufgegangen? Und ist sie es, woher nimmt sie die beispiellose Lieblosigkeit, ihre Geschlechtsgenossinnen von diesem nie versiegenden Quell reinster, höchster Freuden (Spinoza fühlte sich als Erkennender göttlich) ausschließen zu wollen!
Die Verfeinerung des Familienlebens soll ihre Kulturaufgabe sein. Ja, gibt es denn etwas, das den Menschen mehr humanisiert, mehr verfeinert als wissenschaftliches Erkennen, als Reife und Geübtheit des Denkens? Und was uns selbst am meisten humanisiert, wird mit zwingender Notwendigkeit auf unsere Familie zurückwirken. Die Kinder sind die Erben ihrer Mütter.
»Um der Studien willen wurde das unendlich wichtige Studium des Lebens der Frauen als Geschlechtswesen vernachlässigt.« Und was ist denn das für ein Studium des Frauenlebens als Geschlechtswesen, das sie den Frauen anempfiehlt, aber nicht näher definiert? Physiologie, Psychologie, Anatomie?
[110] Sollte nicht die Natur auf diesem Gebiet eine ausreichende Lehrmeisterin sein, wenn man sie nur freier walten ließe!
Das geschlechtliche Moment, die erotischen Gefühle nicht berücksichtigt zu haben, klagt sie, gerade wie Laura Marholm – die Frauenrechtlerinnen an.
Ja, durften denn die Frauen in den Zeitaltern vor den Emanzipationsbestrebungen (die erst seit wenigen Jahrzehnten datieren) ihrer Geschlechtlichkeit freien Lauf lassen?
Das Dilemma, in das Ellen Key bei der Ehefrage gerät, wäre ja recht amüsant, wenn ihre flimmernde Art, der es so ganz an geistiger Sauberkeit fehlt, nicht Logik und Wahrheitssinn beleidigten. »Wenn allmählich – sagt sie, die echt weiblichen Wesensbestimmungen (Mütterlichkeit und Heim) durch die äußeren Arbeitsinteressen abgeschwächt werden sollten, so kann das schicksalsschwer inbezug auf das Glück der Ehe werden.«
Auf derselben Seite aber glaubt sie an eine Zukunft, in der kein einziges Mitglied der Gesellschaft sich der Arbeitspflicht mehr entziehen darf »die Frau bedarf der Arbeit zu ihrer allseitig intellektuellen und ethischen Entwicklung« ... S. 23: »Die zur Arbeit untaugliche Frau gerät immer in irgend ein erniedrigendes Abhängigkeitsverhältnis, und das erniedrigendste ist die Ehe aufgefaßt als Versorgung. Dank der Möglichkeit, ihr Brot selbst zu verdienen, sündigen sie jetzt seltener dadurch, daß sie eine Ehe gegen ihr innerstes Wesen eingehen. Auf der anderen Seite freilich treten sie dann oft mit einer durch das Brotstudium unterdrückten Weiblichkeit in die Ehe, und sie kann doch nur durch die Ganzheit und Fülle ihrer Hingabe – das Glück der Ehe schaffen.«
Da haben die Frauen nun die Qual der Wahl: Entweder[111] – sie schreiten, um der Versorgung willen – gegen ihr innerstes Wesen – beruflos, aber mit völliger Konservierung ihrer Weiblichkeit zur Ehe, oder – sie verscherzen durch Berufsarbeit die Ganzheit und Fülle der Hingabe – das Glück der Ehe. Ein circolo vizioso, eine Spiegelfechterei, mit einem Wort: »ein ungeheueres Dilemma.«
Das Sündenregister der Radikalen ist noch lange nicht erschöpft. Immer düsterer ballt es sich über dem von den Frauenrechtlerinnen bedrohten Weibe zusammen: Sogar »das Intelligenz-Niveau sinkt unter ihrer Herrschaft.« (Auf einer anderen Seite war sie der Meinung, daß mit der Steigerung des Intelligenzlebens das Gefühlsniveau der Frau sänke. Gedächtnis schwach.)
S. 54 geht sogar unter dem Einfluß der Radikalen der weibliche Körper in die Brüche: »Daß bei intensiven Studien und Sport der Frauenkörper seinen eigenen Charakter verliert und einen männlichen annimmt – wäre dann die Regel.«
Ob sie diese Idee vielleicht dem Aristoteles verdankt, der in seiner Schrift »De animalibus« erzählt, daß eine Henne einen Hahn besiegte und ihr aus der Vorstellung dieses Sieges Kamm und Sporn eines Hahnes gewachsen seien?
Übrigens, mit der von Ellen Key gefürchteten Umwandlung der weiblichen Körperformen würde sich ja das Weib dem modernsten Frauenideal nähern, indem die größtmögliche – alle Rundungen ausschließende – jünglingshafte Schlankheit der – wie Laura Marholm sagen würde – dernier cri du chic ist.
Ellen Key erinnert warnend an die totale Entartung des Familienlebens während der römischen Kaiserzeit.
Ja, hätten die alten Römerinnen einem tüchtigen[112] Beruf obgelegen, so würde es mit der sittlichen Entartung gute Wege gehabt haben. Die Entartung entsprang ja im Gegenteil der übermächtig gewordenen Erotik, und es ist gerade die Bekämpfung der erotischen Gefühle, die sie den Radikalen zum Vorwurf macht. –
Und siehe – schon zuckt der Blitz der Rache nieder, mit dem die Natur die Unnatur dieser – sie murmelt etwas von Hermaphroditen – tötlich trifft. Das Menschengeschlecht stirbt aus – Erduntergang. Nämlich, wenn diese Emanzipierten ihr Ziel – die intellektuelle Ebenbürtigkeit mit dem Manne erreichten, so – »fordert die Logik dieses Zugeständnisses, daß das Aussterben die schließliche Folge sein würde.«
Schauderhafte Perspektive! Bei Männern ist es natürlich ganz anders, – was wieder ein grelles Licht auf die Verschiedenheit der Geschlechter wirft – die bleiben – wahrscheinlich kraft eines Naturgesetzes – auch wenn sie immerzu Werke ersten Ranges schaffen, in der Anteilnahme an den Freuden des Lebens sehr mobil und hüten sich, zu denen zu gehören, die »ohne Weib, Wein, Gesang Narren bleiben lebenslang.« Da hätten wir ja gleich den Luther selbst als Beispiel.
So ganz anders als Ellen Key denkt, ist es aber doch bei den Frauen nicht.
Wir Hausfrauen erfahren es zu unserem Leidwesen alle Tage, wie unsere Köchinnen, Kinderfräuleins – letztere bei den nervenanstrengendsten, erstere bei den zeitraubendsten Berufsarbeiten, – unentwegt hinter der Erotik her sind. Ich kenne Telephonistinnen, Lehrerinnen, Buchhalterinnen – eine Verkümmerung ihres Liebeslebens habe ich bei keiner einzigen wahrgenommen. Wie? und gerade ernste Studien sollten einen so gefühlsmörderischen Einfluß üben und Asketen züchten!
[113] Ob aber nicht doch in der Tiefe dieser paradoxen Anschauung ein Körnchen Wahrheit sich verbirgt?
Wäre die Möglichkeit ausgeschlossen, daß in dem hohen, reinen Äther sublimiertester Geistigkeit, dem – nach Buddha, Schopenhauer, Tolstoi – die Menschen entgegenstreben, der Zeugungstrieb ausstirbt? Dann, in der Tat, würde die Emanzipation der Frau – ihr geistiger Aufstieg – einen Schritt vorwärts bedeuten zu dieser Geistigkeit, zu dem universellen Nirvana der Menschheit.
Ellen Key glaubt selbst nicht recht an das Aussterben des Menschengeschlechts, aber nur deshalb nicht, weil die Frauenrechtlerinnen ihr Ziel nicht erreichen werden. Wo die Not am größten, ist Gottes Hilfe (Ellen Key sitzt zu seiner Rechten und hilft mit) am nächsten. Das Düster lichtet sich, und Seite 55 spannt sie den Regenbogen über die weibliche Menschheit aus. »Diese Intelligenzperiode wird vorübergehen, und ein Frauenideal wird zur Geltung kommen, gleich der kuhäugigen Hera des Homers, mit ganz niedriger Stirn, aber mit der Nahrung eines Herakles in ihrem schwellenden Busen.«
Wer wird denn nun aber in diesem seligen Zeitalter der so sehr nahrhaften Mutter den kleinen Herakles schenken? Der Mann mit den von der Geistesarbeit entkräfteten Muskeln? Oder sind zur Gebärung des Herakles die durch keines Gedankens Blässe angekränkelten zärtlichen Gefühle des Weibes ausreichend?
Gelt! Ellen Key ist eine begeisterte Antifrauenrechtlerin!
I wo! Ich trete den Beweis dafür an, daß sie – ihren Hannibal-Eid auf die leichte Achsel nehmend – gelegentlich mit Pauken und Trompeten ins Lager ihrer Feindinnen abschwenkt.
Seite 1 lesen wir schwarz auf weiß: »Kein denkender [114] Mensch zweifelt daran, daß um die Wende des nächsten Jahrhunderts alles errungen sein wird, was die Vorkämpfer der Frauensache fordern«, (Na also!) nämlich: das Recht der vollen individuellen Entwicklung, der vollen gesetzlichen Gleichstellung mit dem Manne, die volle Erwerbsfreiheit u.s.w. (Hört! hört! Und das sagt, ohne mit der Wimper zu zucken, dieselbe Frau, die – auf einer anderen Seite natürlich – der Meinung ist, daß Berufstätigkeit das Weib in der Frau ersticke.)
Und Seite 64: »Sie muß dieselbe Möglichkeit haben wie der Mann, sich mit Leidenschaft und Erfolg jedem Angriff auf ihre besondere Gestaltungsart zu widersetzen.« Aber Ellen Key! Ellen Key! Sie hat doch gerade zu begründen versucht – natürlich auf einer anderen Seite – daß die Natur mit allen Frauen dasselbe beabsichtigt, indem sie ihnen die Fürsorge für die Kinder und ihre Erziehung als Lebensaufgabe schon in die Wiege legte.
Auch das Stimmrecht fordert sie für die Frauen, und Seite 64 steigert sie sich sogar zu einem begeisterten Aufruf im Nietzschestil zu Gunsten der radikalsten Forderungen. Willkommen sind ihr im Frauentum die »glühenden Flammen der großen Leidenschaft, die alle konventionelle Form zu Asche verbrennt. – – Große leuchtende Verzückungen ... Wir brauchen den dionysischen Rausch und die apollinische Klarheit (als spräche Nietzsche), die dämonische Kraft, die eins ist mit der Schöpferkraft, (Herr Gott, da dürfen sie mit einem Mal die Schöpferkraft kriegen, die sie ihnen vorher – auf einer anderen Seite natürlich – gänzlich abgesprochen hat) ... wir brauchen die große Rücksichtslosigkeit mit ihren Rauchwolken und ihrer Sturmglocke ... Wir brauchen den großen Glauben und den großen Zweifel, die große Liebe und den großen Haß« ... Wie? auch der [115] Haß des Weibes wird gebraucht, und das in einer Schrift mit dem Motto: »Des Weibes Geschichte ist Liebe«?
Und Seite 41 verfällt sie gar einem roten Radikalismus in der Frauenfrage. Sie wirft dem Weibe vor, daß es nicht seinen eigenen wilden Weg gegangen, den Weg der Revolte gegen all das Böse in der Gesellschaft (warum muß denn das ein wilder Weg sein?). Staunend lesen wir, daß die Welt sich bisher gleich geblieben ist (ist sie das wirklich?), weil die Frauen sich als Nullen hinter einer männlichen Ziffer aufreihten.
Wie? und darum ist die Welt sich gleich geblieben, trotz all der großen Ideen, Entdeckungen, Erfindungen, die einzig und allein vom Manne ausgingen! und trotzdem das Weib, wie sie meint, auf geistigem Gebiet nur die Handlangerin des Mannes sein kann?
»Mögen die Frauen jetzt also vereint (während die Frauenrechtlerinnen zur Strafe in der Ecke stehen müssen) gegen den Seelenmord der Schule, gegen den Massenmord, gegen die Menschenopfer des jetzigen Produktionssystems revoltieren!«
Was? revoltieren? wo denn? wie denn? in der Kinderstube? Wo bleiben denn die Kinder – deren Pflege und Erziehung Daseinszweck des Weibes sein soll – während ihre Mütter den wilden Weg der Revolte gehen?
Seite 70 ist nach ihrer tiefen Überzeugung das einzige (das einzige! hört!), dessen die Frauensache bedarf, um aus allen Schiefheiten herauszuwachsen, der neue Gedanke, daß man ganz einfach »den Schwerpunkt seiner Beweisführung (sie verlegt öfter ihre Schwerpunkte) auf das verlegt, was die Frauen schon für die Kultur getan haben« ...
»Dann nämlich gewinnen wir die für unser Selbstgefühl erlösende Gewißheit: daß wir in der Tat ganz[116] ebenso große Werte in die Kultur eingesetzt haben wie der Mann, wenn auch von anderer Art. Und aus diesem Selbstgefühl wird eine strahlende Siegesgewißheit, eine unbezwingliche Freimütigkeit (sonderbar diese unbezwingliche Freimütigkeit) hervorgehen. Dann werden die Frauen mit stolzer Zuversicht dem Manne sagen: ›Unser Einsatz in die Kulturarbeit ist die Humanisierung des Gefühls gewesen.‹«
Wenn der Mann es nur glaubt, daß die Humanisierung, trotz Christus und anderer großer Ethiker, Frauenmonopol gewesen ist.
Neu mag dieser Gedanke von der rückwärts schauenden strahlenden Siegesgewißheit sein; daß er alle Schiefheiten in der Frauensache beseitigen wird, glaube ich nicht.
»Die Frau – frohlockt sie – ist glücklicherweise ein unendlich viel Tieferes, Reicheres, Herrlicheres und Furchtbareres (Na – die Selbstbehauptung durch Selbsthingabe – ihr Daseinszweck nach Ellen Key – ist doch nicht gar so furchtbar), als die Frauenrechtlerinnen es ahnen.«
Darum »écrasez l'infame« – das Frauenrechtlertum – das sich des Weibes »furchtbarer« Herrlichkeit widersetzt.
Wie erlangt nun aber das weibliche Geschlecht ohne diese streitbaren Frauen all die Rechte, die auch Ellen Key fordert? Sehr einfach. Sie sagt es uns: »Es gilt zuerst bei der Frauenfrage das durch das innerste Gesetz des Wesens Notwendige zu suchen, dann kommt all das andere (Freiheit und Rechte) später von selber hinzu« ... »Mit inniger Überzeugung und beharrlicher Ausdauer« soll die Frau dem Manne ihre Wünsche vortragen, und er wird ihr Gehör schenken, und »sie wird schließlich alles gewinnen, was sie wünscht.«
Glaube ich nicht. Zum Liebhaben dieser Kinderglaube, [117] daß einem die gebratenen Tauben von selbst in den Mund fliegen werden.
Das durch das innerste Gesetz ihres Wesens Notwendige – nach Ellen Key Mütterlichkeit und Familienleben – ist ja schon seit Jahrtausenden gefunden worden, und nichts ist anders geworden und von selbst gekommen; und erst als die Vorkämpferinnen der Frauenfrage, diese, angeblich innersten Gesetze nicht anerkennend, die alten Satzungen durchbrechend, außerhalb des Familienkreises ihre Stimmen erhoben, ist manches anders geworden, aber noch lange nicht anders genug. Sie sind es, die den Frauen die Universitäten, Werkstätten, Akademien, Bureaus erstritten haben, oder zu erstreiten im Begriff sind. Sie sind am Werk, ihnen das Stimmrecht zu erobern. Und erst wenn alle diese erstrebten Rechte Tatsache geworden sind, wird alles andere sich von selbst ergeben.
Ich faße kurz zusammen, worin sich die Radikalen von den Gegnerinnen à la Ellen Key und Lou Salomé unterscheiden. Beide Frauengruppen fordern dieselben Bildungsmöglichkeiten, dieselben Rechte und Freiheiten, wie sie das Gesetz dem Manne gewährleistet. Die Repräsentantinnen der Reaktion verlangen diese Rechte aber nur – entweder zur privaten Daseinslust der Frau, oder in so weit sie ihrer Mütterlichkeit zu gute kommen. Und sie knüpfen daran die Bedingung, daß der Gebrauch der Freiheit ihre weiblichen Eigentümlichkeiten nicht schädige, welche Schädigung bei einem Broterwerb zu fürchten sei.
Die Radikalen fordern alle Freiheiten und Rechte unbedingt und uneingeschränkt, in der Meinung, daß aus lauter Bischens (ein bischen Freiheit, ein bischen Beruf) doch nur etwas An- und Zusammengeflicktes wird, und ihr [118] Hauptgesichtspunkt dabei ist die ökonomische Selbständigkeit der Frau, ohne welche ihrer Meinung nach (es ist auch die meine) alle übrigen Rechte illusorisch sind.
Die Frauenwelt ist zu ihrer Versorgung auf die Ehe oder den eigenen Broterwerb angewiesen. Was soll z.B. der Frau die Freiheit, eine unglückliche Ehe ohne jede Schwierigkeit lösen zu dürfen, wenn sie nach der Scheidung verhungern kann und nebenbei noch ihrer sozialen Stellung verlustig geht? Was nützt ihr die Freiheit, zu studieren, wenn sie ihre Studien für ihre Existenz nicht verwerten kann! Für ihr Seelenleben mögen sie ja auch ohne Anstellung von höchstem Wert sein. Der Mensch lebt zwar nicht von Brot allein, aber ohne Brot geht es auch nicht.
Für die Fernseherin Key ist »der bedeutungsvolle Zug am Schluß des Jahrhunderts: die Rückkehr zum eigenen (weiblichen) Ich, zur Urnatur, zu dem Großen, Geheimnisvollen, das unsere Lebensquelle ist.«
Ob dieser schöne Satz zu den Leuchtkugeln gehört? oder – nicht?
Darauf, wie Ellen Key ihren Eid Hannibals, den sie zur Vernichtung der Frauenrechtlerinnen geschworen hat, einlösen wird, dürfen wir gespannt sein.
Frau Lou Andreas-Salomé. Betrübt las ich ihre Schrift »Der Mensch als Weib.« 6 Frau Lou (ihr voller, zu langer Name frißt zu viel Manuskript) Antifrauenrechtlerin!
Aus dieser Schrift heraus spricht sie zu uns wie durch [119] zarte Schleier oder wie aus einer gewissen Entfernung; und je mehr Das, was sie sagt, anzuzweifeln ist, um so subtiler tastet sie daran. Auf weichen Sohlen gleitet sie, fast schwebend, selbst über schlüpfrigen Boden; und in der Tonart von Flöte und Harfe rührt sie leise und vornehm an die heikelsten Dinge auf dem Gebiet des Geschlechtslebens. Ganz Nacktes hüllt sie in schimmernden Nebeldunst. Singendes und Klingendes sagt sie, sich im Kreise Wiegendes, Schwingendes. Es ist, als blickte sie seitwärts unter langen Wimpern hervor, nicht geradeaus. Etwas mystisch Seherisches ist auch in ihrer Art. Aber nicht wie die Spiritisten materialisiert sie Geister, umgekehrt: recht Materielles spiritisiert sie ins Mystische hinein. Weit über die Wirklichkeit hinaus fliegt ihre Psyche. Meinem suchenden Auge verschwebt sie leicht.
Frau Lous Weibideal? Sie spricht wenig vom Mann, sie spricht nicht vom Kind; sie ist kinderlos und schweigt bescheiden von Dem, was sie nicht kennt. »Harmonisches Ausleben, das schön, froh und gesund macht«, will sie für die Frau. »Die Frau«, so sagt sie, »hat eine intaktere Harmonie, sicherere Rundung (als der Mann), eine ruhende, größere vorläufigere Vollendung und Lückenlosigkeit ... Ihre Kräfte schlagen gleichsam in den eigenen Mittelpunkt zurück und vollenden sich in ihrer Selbstbeschränkung ... Charakteristisch für alles Weibliche ist jene Sattheit der schöpferischen Wiederholung von sich selbst, des Zusammenhaltens aller Kräfte innerhalb der eigenen Produktion ... Im Weib scheint sich alles ins Leben hinein, nichts aus ihm heraus entladen zu sollen: es ist, als kreise in ihm das Leben gleichsam innerhalb seiner eigenen Rundung, als dürfe es ohne Wunde und Verletzung so wenig daraus austreten wie Blut aus der Körperhaut ... Das Weib ist das Sinnbild alles Ganzen, alles Ewigen ...« »Als [120] Lebensgesamtheit verbraucht das Weib seine Kraft und seinen Saft innerhalb des eigenen Wesenmarkes.«
Nach Ellen Key verbraucht sie ihre Kraft und ihren Saft für das Kind.
»Das Weib ist vor allem etwas Selbsteigenes ... Tun und Sein fallen bei ihm zusammen, bis alle einzelnen Taten nichts mehr sind als der große unwillkürliche Seins-Akt selbst und bis das Weib dem Leben nur noch mit Dem zahlt, was sie ist, nicht mit Dem, was sie tut.«
Schiller spricht einen ganz ähnlichen Satz aus: »Edle Naturen zahlen mit Dem, was sie sind, gemeine mit Dem, was sie tun.« Augenscheinlich aber gehört zu seinen »Naturen« auch der Mann.
Frau Lou betont die weibliche Selbstherrlichkeit, das Souveraine und Unantastbare im Weibe. »Der Mann ist von vorn herein gestellt auf Differenzirungsvermögen, dem irgend ein letztes seliges Phlegma im Weibe lächelnd widerstrebt.« Es sucht nur sich selbst und seine eigene Entwickelung ... Sie muß an sich wachsen und zunehmen dürfen zu immer größerem Seins-Umfang. Vielleicht ist dem Weib das Los geworden, nach urewigen Gesetzen, einem Baum zu gleichen, dessen Früchte nicht einzeln gepflückt werden, sondern der als Baum in der Gesamterscheinung seiner blühenden, reifenden, Schatten spendenden Schönheit da sein und wirken will.« Die Frucht, die niedersinkt, ist »doch nur Fallobst, mühelos abgeworfen, und soll nicht mehr als Das bedeuten wollen«... »Es bedarf nicht des Beweiserbringens ihrer Leistungen ..., sie braucht nur ihre Schatten spendenden Zweige von sich zu strecken« ... »Frauen haben etwas von schimmernden Wassertropfen, die sich, ob klein, ob groß, zur nämlichen kugeligen Form zusammenrunden und, täten sie das nicht, [121] elend versickern würden, bis ihr letzter Glanz im Staub der Dinge vergeht.«
Noch viele, viele schöne Bilder gibt sie uns. Sie klingen, klingen wie Elfenreigen oder sonst etwas poetisch, selig Hingeträumtes. Sie führt uns in ein Märchenland reiner Geister und Herzen, wo alle Männer tief, alle Frauen tauduftig, herrlich veranlagt in Jugendschöne prangen. Und keinen Hunger gibt es in diesem Eldorado, weder physischen noch geistigen. Das Weib hat es so gut, so gut, in sich und bei sich selbst!
Ich legte Frau Lous Abhandlung, als ich damit zu Ende war, nachdenklich aus der Hand. Bestechend war, was sie sagte, schmeichelnd, zu sich hinlockend; es entsprach meinen Instinkten. Ob sie Recht hat? Zweifel an meinen eigenen Überzeugungen stiegen in mir auf. Soll ich ihr glauben? Ja, glauben müßte man. Uns modernen Menschen aber ist der Glaube abhanden gekommen und wir sind vorsichtig geworden in der Behauptung von Naturgesetzen. Überzeugt wollen wir werden. Beweise fordern wir. Die bleibt sie uns mit ihrer Vision von einem Weibe schuldig. Ach ja: ich möchte auch wie »ein Stück uralter vornehmster Aristokratie auf eigenem Schloß daheim sein« (eines ihrer, das Frauentum bezeichnenden Bilder), ich möchte mich auch blumenhaft entfalten dürfen, ins Weite blühend und duftend; mich in selig lächelndem Phlegma, in intakter Harmonie wie ein schimmernder Wassertropfen zusammenkugeln. Aber es kommt gewöhnlich ganz anders.
Ich las die Schrift noch einmal; und der Zauber war gebrochen. Und gegen meine tiefen Sympathien reagierte stark und klar mein nüchterner Verstand. Wie käme ich dazu, meine ganz individuelle Veranlagung zum Maßstab der ganzen Frauenwelt zu machen? Damit verfiele ich ja [122] in den Fehler der Frauen, die mit sich alle anderen Frauen identifizieren. Nein, die Frauen in ihrer Gesamtheit lassen sich nicht unter einen Hut bringen. Sehe und erfahre ich nicht täglich, daß es auch völlig anders geartete Frauen gibt, Frauen wie Sturm und Feuer? Es gibt Amazonen und Opferlämmer, Hypatias und liebe einfache Hausmütterchen, – und alle wollen sich nach ihrer Wesensart betätigen und alle haben Recht, tausendmal Recht.
Und nun fand ich in Frau Lous Frauenideal etwas von einem sublimierten feingeistigen Harem, ohne den Sultan freilich, aber Selbstverliebtheit ist dabei und etwas Seelenfettes. Die Wirklichkeit widerspricht dem Ideal der Frau Lou allzu grausam. Seiner Realisierung müßte eine Umgestaltung aller sozialen Verhältnisse vorausgehen, die der Frau eine Staatsrente sicherte, eine so beträchtliche, daß sie »auf eigenem Schloß in uralter aristokratischer Vornehmheit« ungehemmt sich seelisch abrunden könnte. Und sollte diesem Ideal Erfüllung winken, müßte dann nicht der Mann ein wenig Sklave des Weibes werden, und im Schweiße seines Angesichtes des herrlichen, Schatten spendenden Baumes der Weiblichkeit warten, damit ihres Seins Umfang in intakter Harmonie wachse?
Frau Lou hält ihr Ideal auch für das Weibideal des Mannes. »Der männliche Mann«, sagt sie, »hat den gleichen tiefen Schauder vor dem mannesseligen wie vor dem emanzipationseligen Weibe.« An den Schauder vor dem mannesseligen glaube ich nicht so recht. Laura Marholm z.B. hält gerade Mannesselige für sein Genre. Und Schauder vor dem emanzipationsseligen! Schauder vor unangenehmen Frauenzimmern, – ja. Die aber gibt's unter allen Himmelsstrichen, geographischen und geistigen, unter den berufslosesten und den im Beruf arbeitsamsten.
[123] Nicht nur im Kern ihrer Anschauungen, auch in wesentlichen Einzelheiten gehen die drei Dichterinnen auseinander.
Ellen Key verlegt den Schwerpunkt des Weibes aus sich heraus in ihre Kinder, in den Familienkreis. Frau Lou ist der Ansicht: wenn »dieser Schwerpunkt in andere Menschen oder in eine andere Sache verlegt wird, so wäre das eine Art Götzendienst, der ihre tiefste menschliche Produktion unterbindet, ihren goldenen Kreis zersprengt, bis sie sich selbst nicht mehr in seliger Sicherheit hat.« ... »Nicht das weiblichste Wesen ist es, das am meisten des Hauses, der Sitte, des festgezogenen Kreises bedarf, um sich als Weib zu fühlen.«
Ellen Key: »Wir besäßen jetzt nicht eine so hohe und seelenvolle Gattenliebe, eine so intensive weibliche Keuschheit« ...
Laura Marholm wieder hält die Liebe zu dem Gatten für so ziemlich ausgestorben, und die weibliche Keuschheit negiert sie schon bei dem jüngsten Mädchen. Frau Lou findet, daß die Frau eine tiefe Wohltat für den Mann ist. Laura Marholm betont den Ekel des Mannes am Weibe.
Besteht nicht ein tiefer Widerspruch zwischen der Selbsteigenheit der Frau, die Frau Lou will, und ihrer absoluten materiellen Abhängigkeit vom Mann? Hat nicht der Mann, der die Frau erhält, ein Recht auf Leistungen, die ihm genehm sind? Und selbst wenn der Mann ihr völlige Freiheit in ihrem Tun ließe: müßte nicht in ihrem Bewußtsein etwas vom Magdtum sein, dem Mann gegenüber, der ihr Stellung und Lebensunterhalt gibt?
Wie diese Frauen sich auch wenden und winden: sie fallen aus einem Dilemma ins andere, wenn sie die ökonomische Unabhängigkeit der Frau aus ihrem Programm streichen.
[124] Ich komme zu dem, worin die drei Dichterinnen übereinstimmen. Erstens: in der Überzeugung von der großen intellektuellen Überlegenheit des Mannes. Zweitens: darin, daß die Berufstätigkeit der Frau vom Übel sei. Drittens: in ihrem Zorn gegen die Frauenrechtlerinnen. Selbst die milde Frau Lou wird laut und borstig, wenn sie von den Frauenrechtlerinnen spricht.
In der Verherrlichung des Mannes geht Frau Lou so weit, daß sie erklärt: »Nur der Mann ist in voller Schärfe der tragische Typus des Menschengeschöpfes.« Ellen Key betont, daß ihre »Betrachtungen (über Frauen) indirekt ein Beweis sind für die Überlegenheit des männlichen Intellektes, ... denn ohne die Anregung, die sie durch männliches Denken erhalten, hätte sie sie nicht anstellen können.« O ja, das merkt man, daß sie aus den Seelen der Männer heraus in die Seelen der Frauen hineinspricht. Auch Frau Lou hat das Beste, was über Frauen gedacht worden ist, von Männern gehört.
Einig sind die Drei darin, daß die Werke der Frauen in Kunst und Wissenschaft zu entbehren sind. Frau Lou nennt, was eine Frau etwa zu produzieren vermag: »Fallobst«. Ellen Key ist der Ansicht, daß sie nur die Gedanken oder die Schöpfung eines andern verkörpern könne. Sie sucht die geistige Inferiorität des Weibes auch historisch nachzuweisen. Die pièce de résistance ihrer Beweisführung sind die Nonnen früherer Zeiten, »wo es ganz sicher die begabtesten und persönlich entwickeltsten Frauen gewesen sind, die nach dem Kampf des Lebens das Kloster aufsuchten.« Wirklich? ganz sicher? Ist es nicht wahrscheinlicher, daß es die frömmsten und unglücklichsten Frauen waren, die im Kloster Frieden suchten? Und »nach dem Kampf des Lebens?« Also doch betagtere Damen [125] die wohl kaum noch den Sporn und Drang zum Beginn von Studien fühlten.
Ellen Key: »Was die Ideen betrifft, so gibt es keine geniale Frau, die dort originell wäre.« (Wie? Genial und ohne Originalität?) Um zu beweisen, daß die geniale Frau immer von diesem oder jenem Mann beeinflußt ist, führt sie Sonja Kowalewska an, »die von ihrem Lehrer Weyerstraß beeinflußt wurde.« Und die genialen männlichen Mathematiker, – die saugen sich wohl die Mathematik aus den Fingerspitzen?
Marie Bashkirtsew soll Bastien-Lepage nachgeartet sein. Hier ist sie im Widerspruch mit ihrer Prophetin Laura Marholm, die die junge Malerin origineller und genialer findet als ihren Lehrer.
Die berühmten Briefe der Sevigné sollen – nach Ellen Key – ihren unsterblichen Wert der Mutterliebe verdanken. Das wußte ich gar nicht. Ich dachte, es wären, neben dem wundervollen Stil, die genialen Zeitbilder, die die Briefe berühmt gemacht haben.
Das gehört eben auch zu den uns feindlichen Methoden, geniale Frauenleistungen – wenn sie nicht ganz wegzuleugnen sind – auf einen Mann zurückzuführen, so daß gewissermaßen die Frauen – um ein Bild Heines zu gebrauchen – Zwerge sind, die groß erscheinen, weil sie auf den Schultern von Riesen stehen. George Sand soll ihre dichterischen Produktionen dem Einfluß ihrer Liebhaber und dem Philosophen Comte, George Elliot ihre Ideen Spencer verdankt haben, u.s.w.
Ja, glaubt man denn bei den Männern an Selbstbefruchtung? Kants Ideen werden auf die englischen Philosophen zurückgeführt, diejenigen Nietzsches auf Stirner, und die Stirnerschen wiederum auf Hegel. Schopenhauers [126] Philosophie soll im esoterischen Buddhismus wurzeln, und die Heinesche Poesie wird als die in Stimmung umgesetzte Hegelsche Philosophie bezeichnet.
Das hat gewiß alles seine Richtigkeit, denn wir alle sind Glieder einer unabsehbaren Kette von geistigen Wirkungen, die bis in die Anfänge der Kultur hinabreichen.
Die Werke der Frauen nur Fallobst! Fallobst auch Frau Lous Werke? Fallobst auch ihre Ideen über den Daseinszweck des Weibes? Hätten sie sich da nicht, des mühelosen Abschüttelns der unreifen, angegangenen Früchte enthalten sollen? Ist es nicht eine fast grobe Naivetät, wenn eine Frau dem Weib die Ideen produzierende höhere Intelligenz abspricht und in demselben Atem ein souveränes Verdikt über die höchsten Probleme der Menschheit abzugeben sich berechtigt glaubt? Ist es nicht verwunderlich – um nicht einen härteren Ausdruck zu gebrauchen – die Dringlichkeit zu sehen, mit der diese Frauen die intellektuelle Inferiorität ihres Geschlechtes der Welt kund und zu wissen tun? Man ist versucht, ihnen zuzurufen: Bitte sprechen Sie in Ihrem Namen!
Und braucht denn der Mann diese Apologetinnen seiner Ideentiefe? Wenn er nur nicht stutzig wird bei diesen gedruckten Zusicherungen seiner intellektuellen Überlegenheit, die von geistig ihm nicht Ebenbürtigen ausgehen! Ich werde immer stutzig, wenn jemand, dessen Intelligenz nicht besonders ist, ein Buch von mir lobt, und denke: es gleicht dem Geist, dem es gefällt.
Die Gegnerinnen des Radikalismus in der Frauenfrage verwerfen im großen und ganzen die Berufstätigkeit der Frau, die – nach Laura Marholm eine schwere Kulturbedrohung [127] bedeutet. »Die Mütterlichkeit,« sagt Ellen Key, erschöpft die psychischen und physischen Kraftquellen des Weibes. Und Frau Lou: Die Frau soll nur immer bei sich selbst bleiben und »nicht in zersplitternder Einzeltätigkeit um sich hauen wie der Mann.«
Frauen müssen (wenn sie studieren) das Weib in sich ersticken.
Grausamste Ungerechtigkeit der Natur! Der Mann, der Glückliche, – er studiere so viel, so ernsthaft, wie er will: erstickt er dabei den Mann in sich? O nein, schon der eifrigste Student benimmt sich meist gefährlich erotisch, obgleich er daneben noch so sehr viel Bier trinken muß, was die studierende Jungfrau höchstens in Witzblättern tut.
Sollte man nicht vielmehr annehmen dürfen, daß der Adel wissenschaftlicher Studien eher vergeistigend als vergröbernd auf Antlitz, Haltung und Geberde wirke und der Frau mehr Anmut und Würde verleihe als die massenhaftesten Familiengefühle?
Ellen Key hat studiert. Ob ihre Weiblichkeit es ausgehalten hat? Wie überzeugend wäre es, wenn sie vor uns hinträte mit den Worten: »Ich spreche aus eigener Erfahrung, denn trauernd sitze ich auf den Trümmern meiner Weiblichkeit!« Und wenn die Frau wirklich durch eine Berufstätigkeit einige ihrer reizvollen weiblichen Eigentümlichkeiten einbüßte, wozu braucht denn Ellen Key für die ästhetischen Genüsse, die Anmut und Schönheit des Weibes den Männern bieten, so ins Zeug zu gehen? Die werden schon selbst für ihre Lebensfreuden sorgen.
Ellen Key fürchtet auch, »daß ein so begrenztes Wesen, wie die Frau es ist, von einer zu großen (intellektuellen) Kraftentwickelung zersprengt werde.« Wenn es nicht unhöflich klänge, könnte ich sagen, daß ihre Kraftentwickelung [128] bei der Abfassung ihres Essays nicht zu groß gewesen sein muß, da sie ihr begrenztes Wesen nicht zersprengt hat.
»Wenn erst,« sagt Frau Lou, »durch das geistige Rivalisieren mit dem Mann bei der Frau der Ehrgeiz geweckt würde, so wäre das ungefähr die tödlichste Eigenschaft, die das Weib sich anzüchten kann.« Sie verwirft es als den allerpersönlichsten Ehrgeiz, als die zugespitzteste Selbstsucht der Vereinzelung, wenn das Weib als Anne oder Marie eine gewisse Stufe der Vollendung erreichen will, statt als Weib im allgemeinen sich in der eigenen Welt genügen zu lassen, zufrieden, im Meer des Weibtumes als einzelner Tropfen zu verperlen.
»Die Abwesenheit von Ehrgeiz macht des Weibes natürliche Größe aus, die sichere Gewißheit, daß es eines Beweiserbringens ihrer Leistung nicht bedarf.« Sollte diese Gewißheit, daß sie nur da zu sein braucht, um zu laben, zu beglücken, nicht an die Stelle des Ehrgeizes satteste, saftigste Eitelkeit und Eigenliebe setzen?
Auch Ellen Key entdeckt, daß die weibliche Natur ohne Ehrgeiz ist.
Das Weib ohne Ehrgeiz! Mit welchen Madonnen, ephebischen Jungfrauen oder arkadischen Schäferinnen haben diese Damen denn verkehrt? Ehrgeizig habe ich das Weib gefunden wie den Mann, wenn auch auf anderen Gebieten. Schon das Backfischen ist auf einem Ball von dem glühenden Ehrgeiz erfüllt, die meisten Bouquets zu erhaschen. Die Mutter erhebt ihre Dutzendkinder zu Genies – aus Ehrgeiz. Und die Hausfrau, der das Übertrumpfen anderer Hausfrauen die intimsten Herzensfreuden verschafft? Und die Weltdame auf ihren Eroberungszügen durch die Salons? Sie wären nicht ehrgeizig, über alle Maßen ehrgeizig? Der Ehrgeiz müßte ihnen erst angezüchtet werden?
[129] Ich habe es im Leben nie anders wahrgenommen, als daß die Anne als Anne, die Marie als Marie gelten wollte, ohne jede Geneigtheit, als einzelner Tropfen im Meer zu verperlen, was ja schließlich das Los aller ist, ein Los, dem sich die Weisesten – zu denen ja die Frauen nicht gehören sollen – am leichtesten fügen.
Gemeinsam ist den drei Schriftstellerinnen auch, daß sie dem Speer des Achilles gleichen, der die Wunden, die er schlägt, auch heilt.
Ellen Key: Zur Intelligenzhöhe des Mannes kann das Weib nicht hinauf, dafür erreicht er nie die tiefste Tiefe ihres Gefühles. Frau Lou spricht der Frau das Differenzierungsvermögen ab, aber: daß sie es nicht hat, gerade das ist ihre genialische Kraft.
Für politische Gründe, logische Beweise und Schlußfolgerungen der Männer ist das Weib nicht zugänglich, aber dafür setzt sie »ihren eigenen Glauben, die Hoffnung und das Vorgefühl ein.«
»Nur der Mann gibt der Menschheit neue Ideen, Kunstschöpfungen u.s.w. Dafür erzieht das Weib der Menschheit neues Leben« (in den Kindern). Das wäre aber doch eine Ungerechtigkeit der Natur gegen den Mann. Kinder kann jede Frau kriegen, aber nicht jeder Mann kriegt neue Ideen. Was für ein Äquivalent gewährt die Natur den Männern, die keine Ideen gebären?
Mir scheint, ein Kardinalfehler, der den Auffassungen dieser Frauen zu Grunde liegt, ist, daß, wenn sie vom Weibe sprechen, sie immer nur das junge Weib im Auge haben. Sie berücksichtigen nicht die ältere und nicht die alte Frau. Und die wollen doch auch leben. Ellen Key berücksichtigt sie nicht, da sie Kinderpflege und Erziehung [130] (deren das erwachsene Kind nicht mehr bedarf) zum Daseinszweck des Weibes macht, Laura Marholm, da ihr die seelisch-sinnliche Hingabe an den Mann der Inhalt des Frauenlebens ist, eine Hingabe, die nur der jungen und jüngeren Frau anstehen dürfte. Auch Frau Lous Ausführungen lassen die Vorstellung von ältlichen Frauen nicht zu. Am Schluß ihrer Abhandlung sagt sie: »Wenn der Mann von dieser Höhe (den Weihestunden auf Bergeshöhen) niedersteigt ... in den lauten Werktag und das Weib sieht: da muß es ihm vorkommen, als sähe er die Ewigkeit selbst in Gestalt eines jungen, knieenden Wesens ...« Und wenn er eine alte runzelige Hausfrau oder eine bebrillte Großmutter knieen sähe: würde es ihm auch so vorkommen, als sähe er in ihrer Gestalt die Ewigkeit selbst? Kaum.
Von wundervollster Einigkeit sind die Drei in ihrer heftigen Antipathie gegen die Frauenrechtlerinnen. Temperamentvoll schildern sie ihren unheilvollen Einfluß. »Es ist Zeit, daß wir unser ganzes Weibsein zurückerobern, alles von uns weisen, was wir kraft und durch unser Geschlecht nicht sind.« So Laura Marholm. Und Ellen Key: »Wenn die Frauen erst wieder Frauen sein dürfen, brauchen sie nicht mehr ihre herzzerreißenden Schriften zu schreiben.«
Bei solchen Auslassungen fasse ich immer an meinen Kopf und frage: Bin ich verrückt oder ...
Ja, wer um Gotteswillen hat die Frauen denn gehindert, alles ihnen Widerstrebende zurückzuweisen? Machtmittel sind doch nur angewendet worden, sie von Bildungsstätten fern zu halten, aber nicht um sie hineinzutreiben. Wer hat je eine Frau gehindert, das Weibsein im Sinn dieser Antifrauenrechtlerinnen zu üben? Wer hat je ihrer [131] »Selbstbehauptung durch Selbsthingabe« (nach Frau Lou und Ellen Key die Lebensaufgabe der Frau), wer hat je ihrer Lust, ein Dutzend Kinder zu gebären, Schranken gesetzt? Haben die berufsmäßig Arbeitenden Schreie ausgestoßen, so waren es Freudenschreie über die Erlangung einer Stelle, die ihnen Brot gab, da sie nun doch einmal von ihren unermeßlichen Gefühlen nicht leben können und ihnen ja auch die Kinder (um derenwillen sie da sein sollen), nicht vom Himmel in den Schoß fallen. Die Emanzipationsbestrebungen sind doch gerade umgekehrt eine Antwort auf die Schmerzensschreie der Frauen, die unter der engen Gebundenheit des Weibes, unter seiner absoluten Abhängigkeit vom Mann litten, der Frauen, die an physischem oder psychischem Hunger verdarben. Ein solcher Schmerzensschrei ist das Buch »Halbtier« von Helene Böhlau.
Und weiter schildert Ellen Key die Leiden der Unglücklichen, die den Emanzipierten ins Garn gegangen sind: »Unzählige Impulse der Zärtlichkeit müssen sie unterdrücken ... ihr Herz gegen tägliches Anklopfen verhärten ... sie müssen sich von den kleinen Kinderhänden losreißen.« ... Auch völlig beruflose Frauen reißen sich unter der Beihülfe von Kinderfrauen und allerhand anderen, zum Teil sehr willkommenen Abhaltungen, die den größten Raum des Tages in Anspruch nehmen, von den kleinen Kinderhänden los; und die kleinen Kinderhände wachsen so schnell und machen sich dann von selbst von den großen Mutterhänden los.
Ellen Key oktroyiert den Frauenrechtlerinnen: »Sie sehen ein, daß das Gehirn ihre Muskeln entkräftet« (durch die Studien). Erstens: sie denken nicht daran, es einzusehen; und wäre es der Fall: könnte dann nicht das auf [132] Kosten der Muskeln so sehr gekräftigte Gehirn ihnen zu der klugen Einsicht verhelfen, daß Leibesübungen – Schwimmen, Turnen, Radeln, Massage, Luftbäder, Tennis u.s.w. – ein Äquivalent für geistige Anstrengungen bieten?
»Die Frauenrechtlerinnen haben auf die Mehrzahl der Frauen einen ungeheuren Druck ausgeübt.« Wo denn? Wie denn? Vergebens besinne ich mich auf Schriften, Reden, Petitionen oder irgend eine Art der Agitation, die angetan waren, einen ungeheuren Druck auf die Frauenwelt auszuüben, und die Hausfrau veranlaßten, »sich als Armenhäuslerin zu fühlen.«
Und mein eigenes Frauenideal?
Ich brauche mich nicht in die Unkosten eigener Gedanken und Worte zu stürzen. Ein Satz aus Ellen Keys Schrift deckt sich völlig mit meinem Ideal vom Frauentum. Sie sagt: »Jede Frau muß, ohne daß ihr von der Gesellschaft Hindernisse in den Weg gelegt werden, danach streben dürfen, das herauszufinden, was die Natur gerade mit ihr beabsichtigt hat ... Es gilt, diese Eigenart bis in die geringsten Einzelheiten zu schützen.« (Daß ihre Gesamtauffassung der Frau im grellsten Widerspruch zu diesem Satz steht, ist nur ein Widerspruch mehr in dem Essay.)
Warum hält man die Frauen für Törinnen, die sich selbst weh tun, gerade das tun wollen und werden, was gegen ihre Natur ist? Aus seiner eigenen Haut zu fahren, verbietet sich ja eigentlich von selbst. Ein Unmusikalischer wird sich nicht – falls er nicht ein Narr ist – der Musik widmen. Das gilt auch von allen übrigen Arbeitgebieten, vorausgesetzt, daß eine Notlage uns nicht Widernatürliches aufzwingt. Ich sah einen Menschen, der mit den Füßen [133] schrieb. Aber er hatte keine Hände. Bei Gott, wenn diese lieben und hochbegabten Dichterinnen so sehr gegen die Berufstätigkeit der Frau und ihre Konkurrenz mit dem Mann eifern: warum bleiben sie denn nicht selbst im Rahmen der Weiblichkeit, fern jeder Berufstätigkeit, warum produzieren sie denn Fallobst und ähnliches Zeug? Warum streben sie denn nicht Ellen Keys Zukunftsideal an: »Das Weib mit der Nahrung für einen Herakles im schwellenden Busen«?
Eine Karikatur ihrer Art bietet ein Verein von Antifrauenrechtlerinnen in Amerika, dessen Mitglieder von öffentlicher Rednerbühne herunter die gröbsten und zornigsten Bannflüche auf die Frauenrechtlerinnen niederschmettern.
Und warum stellen diese Frauen nicht einfach und klar – ja: besonders klar – ihre Thesen auf? Warum verkleiden sie ihre Gedanken? Wozu der malerische Faltenwurf, der stolze Kothurn, der mystische Dreifuß? Es gibt ja so viele andere, für poetische Ergüsse geeignetere Gebiete als die Frauenfrage! Wer, nach dem er Ellen Keys »Mißbrauchte Frauenkraft« gelesen hat, mir sagen kann, was sie nun eigentlich will, was die Frau tun und was sie lassen soll, – den halte ich für einen gewiegten Rätselentzifferer.
Frau Lou freilich will nichts als ein goldumduftetes Bild der Frau geben, wie sie visionär es in der Seele geschaut hat. Sie enthält sich des kategorischen Imperativs: Das Weib soll!
Nein. Sie soll nicht. Was ich sein kann, das will ich sein. Wie? man will mich in die kompakte Masse einer bestimmten Wesenheit hineinkneten? mich mit naiver Brutalität in einen Gattungsbegriff zwängen, wie es mit den Tieren [134] geschieht, bei denen auch nur die Gattung, nicht das einzelne Exemplar in Betracht kommt? Ein Esel ist so ziemlich wie der andere Esel, aber nicht ist ein Weib wie das andere. Die Frauen sind untereinander so verschieden, wie ein Mann von dem andern verschieden ist. Was die eine energisch von sich weist, kann die andere ebenso energisch erstreben. Fühle ich den Trieb, irgend eine Wissenschaft zu studieren, oder mir als Kaufmann Millionen zu erwerben, so ist es Vergewaltigung, mir Wissenschaft und Millionen aus meinem Lebensrepertoire zu streichen.
Man gibt mir einen Gatten und sagt: das bist Du! Man gibt mir eine Hauswirtschaft und sagt: das bist Du! Man gibt mir ein Kind: das bist Du! Aber diese Besitztümer alle können mir auf irgend eine Weise wieder abhanden kommen, und ich allein bleibe immer übrig, ist das blühende Gerank von mir abgefallen, als ein kahler Stamm, wenn der Stamm nicht aus der eigenen Wurzel genährt sich nicht mit eigenem Laubwerk schmücken kann.
Gleichgültig, ob ich Mann, Weib oder Neutrum bin – das Geschlecht ist Privatsache – vor allem bin ich Ich, eine bestimmte Individualität, und mein menschlicher Wert beruht auf dieser Individualität.
Was reden denn all' die Fremden in unsere Seelen hinein! Was haben sie sich um unser Weibsein zu kümmern? Des Weibseins werde ich nun und nimmer ledig, ob ich dem Holofernes den Kopf abschlage oder mich von meinem betrunkenen Mann prügeln lasse, ob ich als Griseldis oder Messalina entzücke oder entsetze.
Wer im Kampf der Geschlechter siegen wird?
Weit überragt der Mann an Intelligenz das von Gefühlen beherrschte Weib. Er hat die Macht. Auf allen wichtigsten [135] Lebensgebieten bestätigen und bekräftigen Sitten und Gesetze seine Oberhoheit. Und der Sieg sollte zweifelhaft sein?
Oder – geht doch Recht vor Macht? Ist in zeugungsstarken Ideen eine siegende Kraft, vor der das Schwert zerbricht, da ein Gott daran rührte?
Ich glaube, daß ich eine ganz normale Frau bin – Durchschnitt – vielleicht mit einem kleinen Überschuß derjenigen Qualität, die man als besonders weibliche zu bezeichnen pflegt. Meine persönlichen Neigungen sind jeder bestimmten Berufsart widerstrebend, um keinen Preis hätte ich Ärztin, Oberlehrerin oder gar Königin werden mögen, und am allerwenigsten – ein Mann.
Wenn ich trotzdem mit glühender Überzeugung die Gleichberechtigung der Geschlechter fordere, so geschieht es auf Grund langer Erfahrungen und Beobachtungen, auf Grund des einfachen gesunden Menschenverstandes, der nicht verstehen kann, daß man Menschen, die ihre fünf Sinne haben, in Zwangsjacken steckt. Es geschieht auf Grund der ethischen Forderung einer Aufwärtsentwickelung, die nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht jedes Menschen ist. Und es geschieht endlich auf Grund eines tiefen Seelenschmerzes.
Ich brauche niemand zu fragen, was in der Frauenbewegung das Richtige ist. Ich weiß es. Der, dem ein Dachziegel auf dem Kopf fällt, weiß, daß das Dach schadhaft ist. Er braucht es nicht erst untersuchen zu lassen. Wenn man mich um des Umstandes willen, daß ich mit weiblicher Körperbildung zur Welt kam, des Rechtes beraubte, meine Individualität zu entwickeln, wenn man der nach Wissen und Erkennen Verlangenden den wirklich überschätzten Kochlöffel in die ungeschickte Hand drückte, so jagte man damit eine Menschenseele, die vielleicht geschaffen war,[136] herrlich und nutzbringend zu leben, in ein wüstes Phantasieland wilder und unfruchtbarer Träumereien, aus denen sie erst erwachte, als dieses Leben zur Neige ging.
Wer so des Weibtums ganzen Jammer in der eigenen Brust gefühlt, der ermißt an dem Schmerz der nie vernarbenden Wunden die tödliche Ungerechtigkeit der bisherigen Weltordnung.
Ein Kreuz war bisher das Weibtum, an das man die Frau genagelt.
Der Narben lacht, wer Wunden nie gefühlt. Darum eben lacht der Antifeminist.
»Schreibe mit Blut« (Nietzsche). Dieses Buch der Verteidigung ist mit Herzblut geschrieben.
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