[74] Abenteuer der siebenten Amme

Jemand muß heut' noch sterben,
Ein Hund heult in die Nacht.
Die Zähn' klappern wie Scherben,
Jed' Amme Kreuze macht.
Und Alle Kälte fühlen,
Der Ofen ist fast leer.
Man muß den Ofen füllen,
Und Eine redet mehr.
Klagt: »Männer selbst mit Glatzen,
Die sind im Klatsch zu Haus.
Bis Speicheldrüsen platzen,
Und länger hält man's aus.«
Zufällig bin ich selber
Vertraut mit Rosali'.
Wir sind nicht blöde Kälber,
Wie Jener uns verschrie.
Wohl schrieb sie Schreibmaschine,
Kindsmädchen war sie keins.
Mit Königinnenmiene
Verlobte sie sich Heinz.
Sie traf den Heinz, nicht blöde,
In einem Luftkurort.
Und dort in luft'ger Öde
Da fiel das Treuewort.
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Er lernte sie dort kennen, –
Als sie im Sarg schon lag.
Gar greulich ist's zu nennen –
Es war ihr Scheintodstag.
In einer Stallremise
Stand aufgebahrt der Sarg.
Weil im Hotel man diese
Zufälle gern verbarg,
Kurgäste leicht erschrecken.
Der Wirt sprach irritiert:
»Tut mir die Leich' verstecken,
Sonst mein Hotel verliert.«
Heinz fand die junge Dame
Im Sarg, abseits gestellt.
Hielt diese Art infame,
Und in der Nacht gequält
Von überbösen Träumen,
Eilt er, wo man sie barg.
Als könnt' er was versäumen,
So wartet er am Sarg.
Scheucht von ihr Mäus und Ratten
Und hält die Totenwacht.
Denn Rosa's Eltern taten
Erst kommen Abends acht.
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Die Zeit wird ihm nicht lange,
Konnt' Rosa sich besehn.
Ganz blaß auf jeder Wange,
Fand er sie wunderschön.
Die Finger so symetrisch,
Das Ganze war ihm neu,
Und Rosa noch ein Backfisch.
Herr Heinzen, sonder Scheu,
Sprach: »Schöne, junge Dame,
Weshalb kam ich zu spät!
Würd' wahr jetzt die Annahme
Daß man noch leben tät,
Ich würde Sie verehren
Mehr als ein Leben lang.
Warum tun Sie sich wehren?
Zeigen sie Lebensdrang!
Ach, Sterben ist elendig,
S'ist kalt 'ne Leiche sein.
Ach, würden Sie lebendig,
Wir liebten uns zu Zwein.«
Sie hat ihn angeblinzelt –
Heinz glaubt, daß er schlecht sieht.
Bis Rosa etwas winselt,
Und's Heinz zu Rosa zieht.
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Er sieht die Leich' sich rühren,
Neu war auch dieses sehr.
Die tat ihr Herz anschüren
Und lebte mehr und mehr.
Der Heinz mocht' niemand sprechen,
Holt seine Frühbouillon,
Will ihr den Mund aufbrechen
Und einfiltern davon.
Doch geht's nicht in der Eile.
Der Heinz stürzt in das Haus,
Holt eine Nagelfeile,
Bricht ihr zwei Zähne aus.
Die Suppe macht ihr Hitze,
Auf wacht sie tout-à-coup,
Fliegt auf mit einem Sitze –
Fort war die Totenruh'.
Heinz lacht im vollen Glücke,
Die Leiche sie wird rot.
Ihr Mund lacht mit der Lücke
Und wünscht zur Suppe Brot.
Spricht, als sie stark gegessen:
»Hab jedes Wort gehört.
Schön ist's im Sarg gewesen,
Man war so ungestört.«
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Sie lacht dabei so eigen,
Heinz ihr den Arm dann gibt.
Sie konnt' dem Sarg entsteigen,
Die Rosa ganz verliebt.
Heinz nahm sie auf die Arme
Und trug sie zum Hotel.
Dort unterm Kellnerschwarme
Der Wirt ruft: »Ober, schnell!
Ist das nicht unsre Leichen
Aus dem Remisenstall?
Sie tut ihr furchtbar gleichen,
Und lebt auf jeden Fall.«
Der Ober wirft die Sauce
Der Remoulade hin.
Er wackelt in der Hose
Und sagt: »Ja, die lag drin.«
Die Gäste an dem Fenster
Vom großen Speisesaal
Stehn blaß da wie Gespenster,
Und das Hotel wirkt fahl.
Rosa von Heinz getragen,
Sie fand das Leben neu.
Spricht: »Schön ist's, nicht zum sagen,
O Heinz, Dir bleib' ich treu!
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Ich war doch tot noch eben,
Es hat mich nichts gefreut.
Jetzt darf ich Dich erleben,
Mein Scheintod mich nicht reut.
Dir, Heinz, sag ich's aufs Neue:
Der Scheintod ist ein Glück.
Man bleibt dem Leben treue
Und kommt darauf zurück.«
Rosalie blieb am Leben.
Des Abends schon um acht
Die Eltern Segen geben,
Daß sie Verlobung macht.
Der Heinz war kreuzzufrieden
Mit seiner Rosabraut.
Doch selten wird hinieden
Ein Glück blitzschnell gebaut.
Die Braut tat's nicht gestehen,
Daß Mutter sie sogar.
Heinz braucht' s nicht nahzugehen,
Da er nicht Vater war.
In hoher Töchterschule
Ward es ihr angetan.
Singend das Lied von Thule,
Kam sie als Buhle dran.
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König war ein Primaner
Im Wäldchen vor der Stadt,
Dazu Amerikaner,
Der wieder reisen tat.
Maifest war's; bei Kastanien,
Wo Bilder man gestellt,
Trug sie im Haar Geranien,
Was sehr bei ihr gefällt.
Manch Jungfrauengemüte
Kommt unschuldig in Schuld
Zur Maienkäferblüte,
Denn Mai bringt Ungeduld.
Darnach ward sie anämisch.
Manche, die ahnten's doch.
Die Menschen sind so hämisch –
Bei Unglück lacht man noch.
Die Mutter schickt die Rosa
Zu jenem Luftkurort,
Trotzdem man es schon so sah.
Doch ward's nicht besser dort.
Dort plötzlich tat ein Wunder
Fast eine Medizin.
Die Rosa schluckt's hinunter
Und fällt dann scheintot hin.
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Die Mutter, die zu Hause
Stets über Rosa stöhnt,
Trifft' s wie 'ne kalte Brause.
Doch kaum ist sie's gewöhnt,
Ward Rosa neu lebendig
Und Abends echte Braut.
Die Mutter eigenhändig,
Sie segnet Heinzen laut.
Heinz wollt' an Rosa haben
'ne Art von Ideal.
Weil alle ihm gleich gaben,
Was man gibt allemal.
Drum hat es ihm gefallen,
Daß Eine an ihn denkt,
Eine im Erdenwallen
Selbstlos in ihn versenkt.
Die Rosa konnt's vollbringen.
Sie wartet zwanzig Jahr.
Wenn auch die Jahre gingen,
Die Brautschaft ewig war.
Sie glaubte stets das Eine,
Daß er noch kommen würd'.
Doch hielt sie sich alleine
Und ward Heinz nie zur Bürd
[82]
Wie war sie heut' beklommen,
Als jäh ein Telegramm
Mit: Rosa eiligst kommen!
Von Heinzen plötzlich kam.
Sie fand gar keine Worte,
Eilte mit jüngstem Blut.
Ich schrie noch an der Pforte:
»Ach, Gnädige, Ihr Hut!«
Wir, ach du meine Güte,
Kamen halbtot per Bahn,
Noch immer ohne Hüte,
Bei Heinz dem Leichnam an.
Rosalie konnt' kaum denken
Vor'm Sarg bei all' den Frau'n.
Ich glaubt', es müßt' sie kränken,
Heinz so geliebt zu schaun.
Doch nein. Tief wie befreiet
Atmet sie auf wie nie.
Haucht: »Heinzen, es verzeihet
Verständig Rosalie.
Ich bleibe wie versprochen
Auf ewig Deine Braut,
Wir haben nichts gebrochen
Auch wenn's darnach ausschaut.«
[83]
Rosalie tat nicht weinen,
Erquickt vom Wiedersehn
Und tief mit sich im Reinen,
Blieb ganz verzückt sie stehn.
Ich glaub', könnt' er es machen,
Heinz hätt' sie jetzt geküßt,
Doch ideale Sachen
Man mit dem Leben büßt.
Es rinnt ein blutig Fädchen
Ihm rot vom Herzen her.
Schuld dran sind alle Mädchen,
Doch Rosa um so mehr.
Heinz hat auf sie geschworen,
Doch dieser Advokat,
Hat's hinter beiden Ohren,
Der's Maul nicht halten tat.
Welch' Zufall, daß Babette
Just im Kamin' gehockt!
Sonst ohne Zweifel hätte
Kein Teufel heut frohlockt.
»Und jetzt«, schloß hier die Ammen
»Kann sich's schon Jeder denken.
Nie kommt man mehr zusammen,
Nochmals will ich einschenken.« –

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TextGrid Repository (2012). Dauthendey, Max. Gedichte. Die Ammenballade. Abenteuer der siebenten Amme. Abenteuer der siebenten Amme. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7870-3