[Aber zu Haus Frau Königin]

[673]
Aber zu Haus Frau Königin
Saß wie ein Geist im Zimmer drin.
Sie sprach: »Glaub nur, daß längst ich's weiß,
Und darum schwitz' ich Todesschweiß.
Du bist mir heut untreu gewesen,
Und davon werd' ich nie genesen.
Ich konnte es durch Wände sehn,
Du tatst gestohlne Wege gehn.
Da sieh, ich hab' von Folterqual
An jeder Hand ein Nägelmal.
Als ich das Dunkel taghell fand,
Drückt' ich die Nägel in die Hand.«
Und kugelnd, wie die Eier rollen,
Sind uns die Tränen schnell entquollen.
Wir ließen ihnen flotten Lauf,
Und eins hob sie dem andern auf.
Noch liefen vier gesalzte Flüsse,
Da fanden wir schon alte Küsse,
Tanzten wie die geheilten Lahmen,
Die sich vom Herz die Krücken nahmen.
Ich sank zum Kuß auf ihre Hand
Und hab' das Nägelmal erkannt.
Ist es, als wenn die Steine klagen,
Dann traut man sich nichts mehr zu sagen.
Tat wie geschlachtet tief erröten,
Wünschend, man mög' mich schleunigst töten.
Plötzlich sah sie die leere Hand,
Den Finger mit dem weißen Rand,
[674]
Dort, wo mein Ring vorher gesessen,
Sie sprach: »Hat sich der Ring vergessen?«
Erklären tat ich nur ein Wort, –
Da flog ihr Ring vom Finger fort.
Sie sprang und stampfte auf das Gold,
Als wenn sie sich zertreten wollt'.
Sie flog zur Luft mit hundert Armen,
Rauste ihr Haar wild zum Erbarmen,
Und es erschien mir voll Entsetzen,
Als riss' sie sich in kleine Fetzen.
Ich rief: »Ach, alles ist vorbei,
Geh du nur selbst mir nicht entzwei!
Dein Schmerz tat meine Sünde richten,
Ich werd' auf Fortsetzung verzichten.
Die ganze Welt sei jetzt vergessen,
Und treu wird stets zu Haus gesessen.
Ich habe mich so lang gewehrt,
Sehnsucht jedoch um nichts sich schert.
Das Mohrle liebte ich ganz stumm,
Ich lieb' euch beid', das bringt mich um.«
Da nahte sie sich auf den Zehen,
Wie Löwinnen auf Wüsten gehen.
Sie sprach: »Und das nennst du verzichten?
Gott möge dich und sie vernichten!«
Ich rief: »Gott straf' mich auf dem Sitz,
Tu Unrecht ich, Gott send' den Blitz!«
»Ach nein,« rief plötzlich da mein Weib
Und warf sich über meinen Leib,
[675]
»Kommt dir der Blitz, sterb' ich mit dir,
Ich bleibe nicht alleine hier.
Ich weiß, dein Herz ist immer rein,
Muß anders nur als andre sein.
Was schlecht ist, wenns ein andrer tut,
Wenn du es tust, dann ist es gut.«
Die Tränen liefen um uns rund,
Wir weinten eine lange Stund',
Und endlich sahn wir beide ein,
Wie einer ist, so muß er sein.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dauthendey, Max. Gedichte. Bänkelsang vom Balzer auf der Balz. 2. [Aber zu Haus Frau Königin]. [Aber zu Haus Frau Königin]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7816-D