[Ein Herz ersehnt sein Konterbild]

Ein Herz ersehnt sein Konterbild,
Und kriegt man's nicht, so macht das wild.
Die Sehnsucht ist ein tolles Weib,
Sie boxt den Mann zum Zeitvertreib,
Und willst du nicht gleich mit ihr gehn,
So läßt sie schwarze Nägel sehn.
Die Sehnsucht schleift dich durch die Gassen,
Lehrt dich solide Menschen hassen,
Willst nicht auf Trottoiren gehn,
Zu langsam tut die Welt sich drehn.
Die Sehnsucht ist ein Nadelöhr,
Hindurch muß jeder, ist's auch schwer,
Und hat sie dich ganz dünn bekommen
Und alles Überfett genommen,
Hast still verzichtet und verflucht,
Da naht sich sanft, was du gesucht.
[605]
Weißt nicht, warum der Lärm geschah,
Scheinbar war längst schon alles da,
Hast überhungert deinen Durst,
Und alles ist dir beinah Wurst.
So ging es mir, dem Balthasar,
Der gar so lang' gerudert war,
Der immer nur nach Sehnsucht frug
Und eine Dornenkrone trug.
Die Sehnsucht drängte mich zur Stadt,
Wo alles einst verdrängt mich hat,
Zwar traf ich nicht Frau Königin,
Doch P.T. kam gleich zu mir hin.
Süß war der Abend wie Rosinen,
Fixsterne haben stark geschienen,
Der Fluß schwamm sacht zur Seite fort,
P.T., der stand am Wasser dort,
P.T. zeigte mir leer die Hände,
Fragend, ob ich daran was fände,
Da neulich er zum Pfandhaus ging,
So trüg' er jetzo keinen Ring.
»Denn sieh, ich konnt' es nicht mehr tragen,
Lieb' nicht den Brautstand sozusagen;
Zur Heirat fehlt mir jeder Halt,
So brauchte einfach ich Gewalt.
Für eine frohe freie Nacht.
Hab' ich den Ring zu Wein gemacht.
Ein Übermensch soll niemals frei'n
Und sollte mehr geschmackvoll sein.«
[606]
»P.T., dein Mund gefällt mir nicht,
Da er so ganz respektlos spricht.
Die Ärmste, die du jetzt verlassen,
Sie wird mit Weinen sich befassen.«
»Ja, siehst du, Balzer, mein Gebaren
Reißt mich verflucht jetzt in den Haaren,
Kaum hat sie keinen Ring gesehn,
So ließ sie mich stillschweigend stehn.
Sie sprach nicht und sie schrie nicht laut,
Ihr Schweigen hat mich durchgehaut,
Sie schrieb, sie wolle nichts mehr wissen,
Ich hielte nichts und hätt's zerrissen.
Sie hält auf dich, mein Freundesknochen,
Stets hat sie hoch von dir gesprochen,
Schön war sie, wenn sie von dir sprach.
Und denke ich darüber nach,
Blind ist des Weibes Lebenslauf,
Ich hoffe noch, sie sucht dich auf.«
»Dann, P.T., muß ich dir gesteht,
Nicht länger würd' ich seitwärts gehn.
Wohl möcht' ich heut schon bei ihr weilen,
Doch peinlich ist's, sich jetzt zu eilen.
Erst soll ihr Schmerz vorüber sein,
Dann stelle ich mich liebend ein.«
Gern wäre ich vor Lust geflogen,
Zum Venusstern hat's mich gezogen,
Ich durfte es mir eingestehn:
Das Leben ist doch wunderschön.
[607]
P.T. verfluchte sich und schrie,
Er sei kein Mensch, ein Übervieh,
Unglücklich sei er bis zum Rand
Und wolle schleunigst aus dem Land.
Wir sprachen dies auf einer Brücke,
Den P.T. hielt ich kaum zurücke,
Am liebsten sprang er in den Strom,
Ich nahm ihn fest und sagte: »Komm.«
»Nein, laß mich,« schrie er wie verwirrt,
»Ich habe mich in mir geirrt,
Das Schlimmste, was der Mensch erfährt
Ist, wenn er fühlt, er ist nichts wert.«
Er sprang nicht in das Wasser 'runter,
Warf nur den Regenschirm hinunter.
Die ganze Welt hat ihn geödet,
Symbolisch hat er sich getötet.

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TextGrid Repository (2012). Dauthendey, Max. Gedichte. Bänkelsang vom Balzer auf der Balz. 1. [Ein Herz ersehnt sein Konterbild]. [Ein Herz ersehnt sein Konterbild]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-73FD-D