[101] [103]Zehnter Reim

Die Teufelsballade vom Teufel ausgesonnen, um Venusine zurück zu gewinnen

[103][105]
»Am dritten Morgen nach Christi Tod
Boten zwei Frauen im Garten
Einander den ersten Morgengruß:
Maria, die Schwester des Lazarus,
Und Magdalen, die viel geliebt,
Der Christus den Ehebruch vergibt.
Die Frauen reichten sich stumm die Hand.
Sie hatten nie einander gesehn,
Doch Zwei, die zum selben Grabe gehn,
Die werden schnell einander verwandt.
Maria erschien mir wie eine Braut,
Die Liebe auf den Sternen sucht,
Doch ihres Blutes Wärme mißtraut.
Ich fragte die Frauen: »Ihr wollt zum Grab?
Ich komme und wälze den Stein Euch ab.«
Sie dankten sich neigend. Wir gingen zur Gruft.
Der Garten ward süß von Hochzeitsluft.
Die Blumen erkannten Magdalen schnell,
Und die Bäume wurden wie Fackeln hell.
Und Rosen waren wie Kohlenglut,
Nie habe ich Rosen so rot gesehn. –
Doch plötzlich fühlt ich nicht mehr mein Blut,
Und still war's, als sollte ein Wunder geschehen.
Ich sah, wie Maria zum Rosenstrauch kam,
Einen Dornenzweig, der sie am Kleide nahm.
Sie schrie, wie ein Mensch im Schlaf aufschreit, –
Ihre Augen die höhlten sich tief und weit.
Sie rief die Rosen wie Leute an:
»Ihr wißt es alle, kommt nur heran!
[105]
Sein Blut erwürgt' ich, ich elendes Weib.
Kein Herz, eine Eule hab ich im Leib.
Statt ihm die Lippen zum Kuß zu geben,
Statt die Stunden in seinem Arm zu leben,
Nahm ich zum Buhlen einen eisigen Wahn –
Ich stachelte Christus zum Sterben an.
Ich saß in der Tür und wir sprachen von Gott –
O, wie schien mir sein Mund wie die Herdflamme rot! –
Ich saß in der Tür und ich lud ihn nicht ein,
Ich machte meine Brüste zu Türmen aus Stein.
Meine Arme lagen mir tot in dem Schoß,
Mit Gedanken umschlang ich ihn kalt und groß.
Nie lief mein Herz mit mir davon,
Ich nannt ihn statt Liebster mein – Gottes Sohn«.
Maria fiel zu den Rosen hin:
»O, fühlt, rief sie weinend, wie kalt ich bin!
O, Rosen gebt mir mein Mädchenblut!
Wie weh euer Rot meinen Augen tut!
Ich hab meinen Gott zum Leichnam gemacht, –
Der Tod schläft bei mir nun jede Nacht.«
Maria weint und der Garten wird laut.
Magdalena kniet bei ihr: »Sei still seltne Braut!
O, Tröste Dich schnell, er wollte kein Weib,
Hatte Zeit nie zum süßesten Zeitvertreib.
Dein Kuß hätt ihm nicht den Tod genommen,
Durch mich ist der Tod über Christus gekommen.
Längst erwählte mein Blut sich den kühlen Mann
Und schlich sich begehrend an ihn heran.
Ich sagte, ich wollte die Sünden büßen –
In Wahrheit trieb es mich ihn zu küssen.
[106]
Ich verkaufte Schmuck und mein bestes Gewand,
Nur daß ich die teuerste Narde erstand.
Den Geliebten zu salben, trat ich ins Haus, –
Mit Fluch in den Zähnen sprang ich hinaus.
Ich drängte mich ein in der Gäste Schar
Und öffnete weit mein prunkendes Haar.
Schön war ich, daß ich mich Keinem mehr gönnte,
Nur ihm den die keuscheste Kühle krönte.
Den Fuß ihm zu küssen, der schlank und weiß –
Wie eine Hand war der Fuß, – ich sehnte mich heiß,
Ich küßte ihn auch – teuflischer Genuß!
Ich fluche noch jetzt diesem eisigen Fuß.
Ich rieb seine Knöchel mit meinem Haar
Und küßte ihn drunter mit einer Schar
Von Küssen, jeder ein Liebesdorn –
O, noch in Erinnerung schüttelt mich Zorn!
Der Fuß stand still, wie einer Schale Gestell,
Und Christus' Stimme sprach deutlich und hell:
»Weib, Deine Sünden sie seien vergeben,
Da Du viel geliebt in Deinem Leben!«
Ich schlug mein Haar zurück, hob mein Haupt:
»Wer hat es Dir, der nie liebte, erlaubt
Zu künden, daß ich Sünderin bin?
Ich bin Weib, Du aber warst niemals Mann!
Ich klag' Dich der größten der Sünden an!
Du tötest das göttlichste seligste Gut,
Du würgst das Verlangen im Fleisch und Blut.«
Mein Blick, der sagt' es ihm Wort bei Wort,
Ich selber schwieg und ging bitter fort.
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Und später, da rief ich: »Kreuziget ihn!
Verächter der Frauen, Dir wird niemals verzieht!«
»Doch heute da komm' ich aus Neugier her,
Er will auferstehen am Dritten, so sagte er.«
Die Andere zuckt, wie von Feuer getroffen,
Sie zeigt in den Garten – das Grab steht offen.
Beim Eingang der Gruft: liegt eine Gestalt.
Sie eilen und finden ein lächelnd Gesicht,
Eine Frau, die stirbt, und die Hand ist schon kalt,
Als ob von den Bäumen die Blätter schweben,
So legte sie Worte hin mit fliehendem Leben.
»Meinem Herz, meinen Augen ist wohl geschehen!
Ich sah Dich neulebend Geliebter gehen!
Dein Mund war Freude im Morgenrot,
Die Freude gibt mir den köstlichsten Tod!«
Die Frau lächelt heimlich; als würde sie wach
Und sieht den Wolken am Himmel nach.
Eine Alte tritt klagend nah zu uns hin –
Die Mutter vielleicht, vielleicht Dienerin,
Spricht: »Schaut, sie hat Nächte betend durchwacht,
Ihr zärtlich Herz hat ein Wunder vollbracht!
Sie ist des Pontius Pilatus Weib
Und tötet aus Liebe zu Christus den Leib.
Zur Zeit, da Christus gefangen lag,
Bat sie um Gnade Nacht und Tag.
Pilatus fragt endlich: »Liebst Du ihn?« –
Und gab dann Christus dem Henker hin.
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Sie hat ihn noch einmal im Traum gesehn
Und tot dann und schwor, er soll auferstehn.
Sie rief zu dem Gott der Leben gibt:
›O, Gott erhöre dies Blut das liebt!
Dem Toten gib Atem und mir seinen Tod!
Es mache mein Herz seinen Mund wieder rot.
Halt' mir im Auge das Lachen ein,
Und leg es ihm in die Hände hinein!
Es schein' meine Jugend aus seinen Wangen!
Und ist ihm das Grab wieder aufgegangen,
Und fragt er, wer ihn so eifrig liebt,
So sagt: eine Magd, wie es Tausend gibt.‹
Und heut in der Nacht, da geschah ein Schlag,
Sie, die noch jammernd am Estrich lag,
Sie lacht unter Tränen: ›Mein Herz hat's getan!
Es öffnet das Grab dem geliebten Mann.‹
Zugleich war im Hof ein großes Geschrei,
Man rief, daß Christus erstanden sei.
Ich hielt die Tür bis der Lärm verlief.
Dann eilten wir hin, sie suchte, sie rief,
Hob sich auf die Zehen, als habe sie Flügel. –
Die Sonne ging auf dort hinter dem Hügel ...«
Die Alte stottert, Schmerz stürzt ins Gesicht,
Schmerz, der ihr die Stimme aufschluchzend zerbricht
Die Sterbende lächelt und hebt ihren Arm –
Noch einmal werden die Lippen ihr warm.
Sie spricht von der Lieb und dem Tod berauscht,
Als ob sie Gespräche mit Wolken tauscht:
[109]
»Einmal da hab ich im Traum Dich gesehn
Und wollte nicht mehr aus dem Traume gehn.
Im Haus war es schwül. Unterm Epheubaum
Da schlief ich und fand Dich Geliebten im Traum.
Wir tanzten zärtlich im Wiesengrund
Und ruhten in einem reichen Gezelt.
Die Herzen pochten uns Mund auf Mund,
Nur allein die Liebe war auf der Welt ...
Es kam Dein Bild, wie der Mond an die Wand
Gab Küsse und Lächeln und Frieden und schwand.«
Der Tod tritt dunkelnd zur Sterbenden hin:
»Wird es Abend?« fragt sie, »wie glücklich ich bin.«
Magdalen' und Maria verbergens Gesicht,
Ich weiß nicht mehr, welche zur Toten spricht:
»Du wußtest wie selig es ist zu leben!
Du einziges Weib hast Liebe gegeben.
Doch wen nur Gedanken asketisch lenken,
Der muß die Venus im Fleische kränken.
Denn Herzen dürfen nur zu zwein
Ins große Paradies hinein.« –
»Seht«, sprach ich darauf mit festlichem Blick,
Und ich warf mein Haupt wie ein Gott ins Genick,
»Er, der die Seele allein nur pries,
Verscherzt' wie der Teufel ein Paradies.«

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TextGrid Repository (2012). Dauthendey, Max. Gedichte. Der Venusinereim. [Die Teufelsballade vom Teufel ausgesonnen]. [Die Teufelsballade vom Teufel ausgesonnen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-73E9-A