[1] Hafis

Vorrede

Das hier erscheinende Werk besteht, was seinen hauptsächlichsten und interessevollsten Inhalt betrifft, aus einer Sammlung und Auswahl von Gedichten persischen Ursprungs und Charakters, welche den Zweck hat, die auf dem Gipfel ihrer Entwicklung stehende orientalische Poesie in unserem heimathlichen Sprachelemente so treu, wahr und wesenhaft, zugleich aber auch so zwanglos, verständlich und genießbar, als möglich, abzuspiegeln, und welche, um das, was sie ist und sein will, sogleich entschieden kund zu thun, den Namen des großen Geistes, der die poetische Kunst und Weltanschauung des Orientes bis zu jener bewundernswürdigen Höhe gesteigert, und der nicht nur als Dichter im engeren Sinne des Wortes, sondern auch als Denker und Polemiker von der größten Bedeutung ist, an ihrer Spitze trägt. Keinem unserer Leser wird dieser Name völlig unbekannt sein; da aber, wie jetzt noch die Sachen stehen, eine nähere historische Bekanntschaft mit der in Rede stehenden eminenten Erscheinung nur bei sehr wenigen vorhanden sein dürfte, und eine solche in Beziehung auf Verständniß, Genuß und Würdigung dieser Liedersammlung doch nicht wohl zu entbehren ist, [1] so werden folgende vorläufige Notizen nicht überflüssig sein.

Mohammed Schemseddin, die Sonne des Glaubens, mit dem Beinamen Hafis, der Bewahrer des Korans, weil er dies heilige Buch von einem Ende zum andern auswendig wußte, war geboren zu Schiras und lebte daselbst von den ersten bis zu den letzten Decennien des 14ten Jahrhunderts hin, in Zeiten also, wo es bei uns im Occidente noch tief nachtete und an einen Luther, Voltaire, Göthe und ähnliche, ein neues Weltalter großartig vorbereitende Genialitäten und Lichtaufgänge noch lange nicht zu denken war. Er gehörte zu einer Gemeinschaft von Derwischen und Sofis oder contemplativen Weisen und Mystikern, beschäftigte sich mit theologischen und philologischen Arbeiten, stimmte in seiner ascetischen Begeisterung die erhabensten, alles Irdische und Sinnliche unter die Füße tretenden Lieder an, wurde die mystische Zunge genannt, war ein großer, berühmter, eine Menge von Schülern um sich versammelnder Lehrer seiner Zeit, gab Unterricht am Hofe, und stand so hoch in Gunst, daß ihm der Großwesir Hadschi Kawameddin Mohammed Ali eine besondere Schule baute. Alle diese Bestrebungen, Leistungen und Errungenschaften seines Lebens, seine Weisheit und Wissenschaft, seinen Stand und Beruf, seinen Glanz und Ruhm verhöhnt nun aber der einzige Mann in seinen, einer späteren, im Alter eingeschlagenen Richtung angehörigen Gedichten in der freiesten, kühnsten [2] und heitersten Manier, so wie sie nirgend ihres Gleichen hat; er erscheint hier als der geschworene Feind aller Pfaffen, Mönche, Mystiker und Schulpedanten, einer Classe von Menschen also, deren Zunftgenoß und College er selber ist, zu der er aber innerlich den totalsten Gegensatz bildet; er offenbart eine so unendliche Fessellosigkeit nach jener Seite hin und eine so reine, ungetrübte, göttliche Seligkeit und Sicherheit in sich selbst; er entwickelt eine so herrliche, heitere, objektive Weltanschauung und ist zugleich so außerordentlich geistreich in Ausdruck und Form, daß man wohl sagen kann, niemand in der Welt habe das tief wurzelnde Übel einer abstrakten und negativen Denkart, so wie sie in Orient und Occident ihre leidigen Repräsentationen hat und ihren lebensfeindlichen Einfluß übt, vollständiger überwunden, und den entgegengesetzten Standpunkt ingeniöser vertreten und verfochten, als dieser mit wunderbarer Umkehrung des gewöhnlichen Laufes der Dinge statt im Lenze des Lebens in dessen Winter erblühende und in glänzender Jugend des Geistes dastehende Dichtergreis. Gehaßt, doch nicht beschädigt von Zeloten und Finsterlingen, geliebt und verehrt von den Edleren und Verständigeren, entschlief der so zu hohen Jahren Gekommene sanft und ruhig im Jahre 1389, und wurde, wiewohl es die Eiferer versuchten, ihn der Ehre des Begräbnisses zu berauben, in Mosella, einer schönen Vorstadt von Schiras, wohin noch heute seine Verehrer wallfahrten, zur Erde bestattet. Da man es unmöglich[3] fand, seine freisinnigen und lebensfrohen Gesänge und ihre verführerischen Wirkungen auf die Gemüther der Gläubigen durch äußere, brutale Gewaltstreiche zu vernichten, so erklärte man sie für geistliche Allegorien, die unter der Hülle des Sinnlichen und Irdischen ganz nur von dessen Gegentheile, vom Übersinnlichen und Himmlischen reden, ohngefähr, wie sich unsere Theologen das hohe Lied, von dessen wundersamen Liebesgluthen in den Zugaben einige metrische Proben zu finden, zurecht zu machen gewußt. Die ascetische und ethische Abstraktion des Übersinnlichen und Himmlischen ist es aber gerade, was Hafis, wenigstens in dem größten Theile seiner Lieder und Äußerungen entschieden verneint. Eine gewisse Mystik ist zwar allerdings auch hier zu erkennen, aber eine ganz andere, als jene mönchisch düstere, frömmlerische. Wenn er nämlich die Nüchternheit verdammt und die Trunkenheit preist, so versteht er unter jener die Zurückziehung der menschlichen Ichheit vom natürlich Realen und Objektiven in sich, ein abstraktes, subjektives Verhalten, das mit Recht als böse bestimmt und als der Quell alles Übels bezeichnet wird, unter dieser aber kein eigentliches, gemeines Berauschtsein durch Wein, sondern die begeisterte Versenkung der Seele in Natur und Wirklichkeit, eine Trunkenheit, die sehr wohl ohne allen Weingenuß denkbar ist. Sprechen doch selbst wir von einer uns nicht behagenden Nüchternheit, und fordern ein Gegentheil derselben, das uns in etwas ganz Anderem, als in einem [4] durch starke Getränke erzeugtem sinnlosen Taumel besteht! Um den persischen Dichter nicht schief zu fassen, dazu gehört erstlich, daß man Scherz verstehe und nicht Alles, wozu eine fröhliche, neckische Laune in poetischer Darstellung fortzugehen reizt, für trocknen, prosaischen Ernst nehme; dann aber auch, daß man den gleichwohl vorhandenen, selbst hinter dem tollsten Muthwillen versteckten, feineren Ernst bemerke, um dessen willen man sagen kann, daß Hafis, trotz aller Verachtung, Verhöhnung und Zermalmung der Theologie, Speculation und Moral ein Theolog, Philosoph und Moralist in seiner Art ist. In einem Gedichte von Hölderlin kommt folgende hieher zu ziehende Stelle vor:


Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste;
Hohe Tugend versteht, wer in die Welt geblickt,
Und es neigen die Weisen
Oft am Ende dem Schönen sich.

Es ist dies in Beziehung auf Sokrates gesagt; hier aber ist mehr als Sokrates, der, gegen Hafis gehalten, nur ein Philister ist.

Daß ein so unvergleichlicher Genius dem Publikum näher gerückt zu werden verdiene, als bis jetzt geschehen ist, werden Geist- und Geschmackvollere nicht in Abrede stellen, und so sei denn der Wunsch gestattet, daß die hier gegebene auszügliche Darstellung einige Wirkung thun, und daß ich es nicht zu bereuen haben möchte, gewissen dringenden, selbst öffentlich ergangenen Aufforderungen und Mahnungen zur Herausgabe Folge [5] geleistet zu haben. Es ist ein Werk der innigsten Liebe und Hingebung, was man vor sich hat; ich habe mich eine ziemliche Reihe von Jahren hindurch im Stillen damit beschäftigt und die besten Momente meines Lebens darauf verwandt, und das läßt mich hoffen, daß es wenigstens nicht völlig mißlungen sei. Was meine Vorgänger auf diesem Felde betrifft, so konnten mir diese, so hoch sie übrigens in geistiger Kraft und poetischer Kunst gestellt sein mögen, im Ganzen nicht zum Vorbilde dienen; kaum, daß hie und da in einzelnen seltenen Fällen einiges ihnen Verdankte zu bemerken sein möchte. Den häufig vorkommenden Namen Hafis und andere solche habe ich überall mit der für Reim und Rhythmus so vortheilhaften Betonung der letzten Sylbe in Anwendung gebracht.

So viel speciell über den persischen Dichterfürsten und den aus seinem poetischen Zaubergarten in diesen Blumenhain verpflanzten Rosenflor. Kürzer kann ich über die Zugaben sein. Sie bestehen aus einer Reihe von kleineren Sammlungen und Proben der Art, die in Betreff der ihnen zu Grunde liegenden Originalgedichte ebenfalls Produkte der Fremde und Ferne sind, und die der Ehre, mit Hafisens hochpoetischen Gesängen zusammen ein Buch zu bilden, sämmtlich wenigstens einigermaßen würdig scheinen. Namentlich sind die lettisch-litthauischen Volkslieder von einer Schönheit, Zartheit und Lieblichkeit, die Staunen erregt. Man wird da zum Theil einer Mythologie begegnen, die in einer [6] wunderlichen, aber höchst anmuthigen Mischung heidnischer und christlicher Vorstellungen besteht. Die Sonne hat Töchter, Gott aber Söhne, wobei sich erotische Beziehungen ergeben; die Söhne Gottes lieben, voll jugendlichen Feuers, die schönen, herrlichen Sonnentöchter, nähern sich ihnen bei jeder Gelegenheit, erweisen ihnen Gefälligkeiten, fahren sie im Schlitten und werfen sie, zu rasch und wild hiebei zu Werke gehend, in den Schnee; die Sonne zürnt darüber, ist unzufrieden mit dem lieben Gott, der seine Kinder nicht besser im Zaume hält, blickt finster und es giebt einen trüben Tag u.s.w. Tiefer geht das Übrige; es findet sich hier manches, was jeden, der nur noch einigen Sinn für Poesie und menschliche Dinge im edleren Sinne des Wortes hat, im Innersten ergreifen muß. Zu denen, die solche Dinge in ihrem ganzen Werthe zu empfinden und zu erkennen vermögen, hat unser großer Lessing gehört, in dessen Literaturbriefen sich folgende Stelle findet: »Es ist nicht lange, daß ich in Ruhig's litthauischem Wörterbuch blätterte und am Ende der vorläufigen Betrachtungen über diese Sprache eine hieher gehörige Seltenheit antraf, die mich unendlich vergnügte, einige litthauische Dainos oder Liederchen nämlich, wie sie daselbst die gemeinen Mägdlein singen. Welch ein naiver Witz, welche reizende Einfalt! Man kann hieraus lernen, daß unter jedem Himmelsstriche Dichter geboren werden, und daß lebhafte Empfindungen kein Vorrecht gebildeter Menschen sind.« Möchte sich unsere lettisch- [7] litthauische Blüthenlese einiger ähnlicher Leser und Beurtheiler zu erfreuen haben, wie jener Unsterbliche war!

Es bleibt nun noch übrig, ein Paar Worte über die in diesem Werke zur Anwendung gekommenen fremdartig metrischen Formen zu sagen. Hier ist erstlich die des Gasels und der Vierzeile bekannt genug, nur vielleicht der von uns gewählten Darstellung für's Auge wegen nicht jedem sogleich erkennbar und vertraut. Sie besteht, wie man weiß, aus Distichen oder Doppelversen, die alle durch den nämlichen Reim verbunden sind, so daß derselbe in dem ersten, dem sogenannten Königsdistichon, zweimal nacheinander, in den folgenden aber nur einmal anschlägt. Wenn nun die Einzelverse in sich selbst wieder in zwei oder mehrere Theile zerfallen, so werden sie füglich auch so geschrieben, wie wenn man statt folgender gedehnter Schreibart:


An der Pforte der Erbarmung klopft Hafis entschlossen an;
Glaube mir, sie wird ihm eher, als dem Heuchler aufgethan –

nachstehende wählt:

An der Pforte der Erbarmung
Klopft Hafis entschlossen an;
Glaube mir, sie wird ihm eher,
Als dem Heuchler aufgethan.

Werden dann weiter diese Distichen durch Zwischenräume auseinandergehalten, so tritt die befreundete und beliebte Gestalt eines einheimischen, in Strophen [8] abgetheilten Liedes vor Augen, wobei nur die Reimart eigen. So wäre z.B. folgendes hafisische Gedichtchen in unserer Manier gereimt:


Gieb, o Gott, dem Mann der Zelle
Der Entsagung hehre Kraft;
Mache, daß er hoch im Äther
Schweb' ob aller Leidenschaft;
Mir jedoch, dem minder Edlen,
Spende, was mir frommt allein:
Eine Lippe, süß, wie Kandel,
Schöne Reime, Feuerwein!

Setzt man aber am Ende statt Feuerwein: Rebensaft, so bezieht sich der Reim nicht auf den ersten Theil derselben Strophe, sondern auf die ganze erste Strophe zurück und es entsteht eine Vierzeile, die sich indessen der gebrochenen und getrennten Schreibart wegen vielmehr als zweistrophige Achtzeile präsentirt. Künstlicher wird diese Form gehandhabt, wenn in den sonst leer ausgehenden Versen und Zeilen ein zweiter Reim durchgeführt wird, wie in den Nummern 93, 94, 136, 18, 88, 177 unserer persischen Sammlung der Fall. In den neugriechischen Gedichten findet sich der jambische Vers; der an die Stelle des antiken Hexameters und Pentameters getreten. Er zerfällt in zwei Theile, so daß sich der erste derselben auch wieder in sich selbst zu theilen im Stande ist, und zuweilen zwei dieser Theile oder alle drei zusammen mit demselben [9] Worte oder derselben Wortverbindung beginnen, was einen besondern Effekt macht, wie z.B. in folgenden Nachahmungen der Fall:


Nun blüht die Flur, nun lacht die Welt,
Nun ist die schöne Zeit da –
Drei Tage hält er kämpfend aus,
Drei Tage ringt der Brave;
Ohn' alle Rast, ohn' alle Ruh',
Ohn' alle Labe bleibt er.

Was das Übrige betrifft, so ist keine Erläuterung nöthig.

Und so seien denn diese meist wunderschönen Erzeugnisse der poetischen Menschennatur voll Leben und Geist, die ich, soferne Stoff und Gehalt nicht mein Eigenthum ist, ohne alle Unbescheidenheit und Anmaßung rühmen und empfehlen kann, dem Publikum vertrauend an's Herz gelegt!

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TextGrid Repository (2012). Daumer, Georg Friedrich. Gedichte. Hafis. Hafis. Vorrede. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-6CD9-7