Theodor Däubler
Das Nordlicht
Florentiner Ausgabe
Erster Theil. Das Mittelmeer
Prolog
[Ich sah einmal in einen Regenbogen]
[Die Erde treibt im Norden tausend blaue Feuerblüthen]
[Fürwahr, ich habe Tropenwälder schon im Traume]
[Nun seh ich Menschen, von der Erde selbst gehoben]
[Auch ich will wandern, immer weiter heimwärts schreiten]
[Ich kenne in mir selbst ein Thal, wo alle Bäume]
[Nun heißt es bauen, Schiffe bauen, Holz behauen]
[Nun schweige Du als Traum; sieh Welten westwärts träumen]
[Es folgt am Himmelsbogen]
[Zum Wind und Nebelreigen wehn]
[Einst trug der Mond Geschöpfe]
[Die Nebel fliegen weiter]
[19][21]
Die Hymne der Höhe
[Wildwabbernde Fackeln, die qualmend verglühen]
Venedig
[Mir war es einst, als hätte mich der Felsenaar zum Licht getragen]
[Venedig, deine Marmorsäulenwälder]
[Oh Frühjahrsfrüh, hoch oben auf Arkadiens Bergen]
[Die Welt kann sich durch Liebe nur erhellen]
[Mir ist es oft, als sehnten sich die Blumenwiesen]
[Mir ist es oft, wenn ich die Augen schließe]
[Versteinerte Eichen am Grund der Lagune]
[Oh Farbenstadt Venedig, dir zu Füßen]
[Venedig, dankbar bringen dir die Götter Gaben]
[Der Dogenpalast, den Phantome bewohnen]
[Im Erdgeschoß tragen die Ganzunbekannten]
[So flammt denn auf, ihr goldenen Hallen]
[Auf dem Markusplatze in Venedig finden]
[Was ich denke und empfinde]
[Das Wasser scheint vom Lande eingesogen]
[Es lodern die Thürme, es lohen die Masten]
[Sonne, Sonne, holde Sonne]
[Die Strahlen der Sonne sind blutige Speere]
[Venedig, es ergießt sich Deine Ernte]
[Der Zauber, den ringsum die Nacht aufgerufen]
[Auf des Tages Abendschleppe]
[Steile Thürme hoher Bauten]
[Ein Stier mit einem Silberhorn]
Rom
[Ihr Wasserträgerkaryatiden]
[Aus einer Wolke Glastportalen]
[Der Boden ist verdorrt und braun wie Ocker]
[Den Meisten scheinst Du, Rom, dazu erkoren]
[Enthüllt sich mir ein Glücksempfinden]
[Zur Pauluskirche geh ich täglich]
[Der Petrustempel bleibt hienieden]
[Dir Artemis, der Erstgeborenen]
[Zu Wüstensand verbrannte]
[Oh Göttin, welches Weh durchzittert]
[Es steigt mit der goldenen Leier]
[Der Morgenrothstrauß hat sich lang schon erhoben]
[Die schaumgeborenen Nixen sind übersprudelnd heiter]
[Du dunkle See, vertraue Nachts der Sonnenwärme]
[Du siehst die Eos kaum im Traum erzittern]
[Oh Sonne, unsere holde Lebensmutter]
[Es grüßt sie Athene mit blitzender Lanze]
[Die Sturmfluth des Lenzes, des Lichtes, der Gluthen]
[Von Eris, der streitbaren Schwester geleitet]
[Doch früher schon fühlte ein Mann sich erkoren]
[Die Verschwenderin der Liebe, unsere Sonne leuchtet wieder]
[Durch den Zitteräther blinken]
[Es lebt in Dir, oh Zeus, wie Menschen Dich erfassen]
[Oh Zeus, Du hehres Angesicht in Hellas Mythen]
[Oh Rom, wer hat mit einer Wölfin Dich verglichen]
[Aus den Häusern, von den Schollen]
[Sieh Rom, es gleicht Dein rundes Prachttheater]
[Ich ahne einen Zirkusbrunnen]
[Der Abend hält die Welt umschlungen]
[Das Taggerüst steht jetzt in Flammen]
[Siebenfache Bogengänge]
[Ganz stille wirds in Neros finsterm Garten]
[Die Kuppen der Berge sind Eisgötterzelte]
[Oh Flora, du hast dein Italien der Kriege]
[Oh großes Rom, mit Deinen stolzen Marmorbauten]
[Du freudige Stadt, ein ensetzliches Nagen]
[Ganz erschöpft vom Bacchanale findet Nero keinen Schlaf]
[Die dunkelsten Gluthen des Juli verbluten]
[Es haben die meisten ihr Viertel verlassen]
[Oh Weltenleu, oft sträubst Du Deine Flammenmähne]
[Das Weltgenie von Rom war todt]
[Gedeihe, großes Rom, bestelle Dir Konzile]
[Jetzt fühle ich der Schönheit Flügelschläge]
[Es siebt die Erdengluth durch Kathedralenranken]
Unfaßbare, unendlich ferne Grundgewalten
[Rand: Duccio da Buoninsegna]
Beginnen wie aus Schlünden rings hervorzuklingen,
Um demuthsvoll um Unsere Liebe Frau zu walten.
[Rand: Piero della Francesca]
Ganz makellos erstrahlt, wer unser Heil geboren,
Es ist, ob Ewiges von keiner Sünde wüßte,
Jungfräulichkeit hat sich zur Schöpfungsgluth erkoren!
[Oh Rom, Du Stadt des Heiles und der großen Wunder]
Oh Rom, Du Stadt des Heiles und der großen Wunder,
[Rand: Buonaventura Berlinghieri]
Du Licht des Glaubens, das die Christenheit durchleuchtet,
Wir alle fühlen uns durch Deinen Trost gesunder!
»Dort wo die Märtyrer das Gnadenwerk vollstreckten,
[Rand: Simone Martini]
Da wird uns Elenden der reichste Trost gespendet!«
Denkt mancher Pilger, dessen Muth Legenden weckten.
Verschiedene Wirthe nach den Pilgersäckeln schielen.
[Rand: Antonio del Pollajuolo]
Oft stumme, dunkle Mädchen, unter niedern Thüren,
Erröthen, wenn sie schmucken Jünglingen gefielen.
[204] [Rand: Masaccio]
Dann kam ein Wirth die Pilger in sein Haus zu führen,
Und da sie lahm und müde vor den Schänken harrten,
War es das Erste dort, die Schuhe zu entschnüren.
[Rand: Sano di Pietro]
Dann wollten sie behaglich auf die Mahlzeit warten,
Zu Haus jedoch, gewahrte einer, voll Vergnügen,
[Rand: Pisanello]
Drei Mädchen wunderbar in einem Nelkengarten.
[Rand: Botticelli]
Es waren Schwestern mit den selben schönen Zügen,
Die sich soeben um den gleichen Freier stritten,
Mit einem andern wollte keine sich begnügen.
[Rand: Pisanello]
Wie sie das Köpfchen sanft an ein Geländer lehnte,
Umschwirrten dieses Schmetterlinge, die der Nelke
Fast glichen, die von ihrer Brust sich aufwärtssehnte.
Der langersehnte Jüngling war nunmehr im Garten,
[Rand: Botticelli]
Und für die Jüngste hat er gleich ein Beet geplündert,
[Rand: Pisanello]
Doch setzten sich darauf rasch Falter aller Arten.
Kein Zweifel hat den Fant, bei seiner Wahl, behindert.
[Rand: Botticelli]
Er ging zur Jüngsten hin, die ihn so bang ersehnte.
Die Andern schwiegen. Ward dadurch ihr Schmerz gelindert?
Rasch reichten sie der Braut, die nun am Bräutigam lehnte,
Schnellabgerissene, schmetterlingsumhuschte Blüthen
[Rand: Pisanello]
Und gingen dann von dannen, da ihr Auge thränte.
[Rand: Botticelli]
Als dies der Fremdling sah, so mußte er darüber brüthen,
[Rand: Masaccio]
Doch ward er weg vom Traum zum Abendmahl geladen,
Das, wohl aus Müdigkeit, die Pilger stark verfrühten.
Wie Abendvögel kamen Männerstimmen angeflogen,
[Rand: Giotto]
Und endlich konnte er des Liedes Worte auch verstehen,
Sie baten sanft die Jungfrau: »Sei uns Elenden gewogen!«
[Rand: Neoccio da Siena]
Wie konnte dieser Sang nun eines Pilgers Herz beschweren,
Denn dieser blieb zurück, aus Reue sich am Rain zu winden,
Er schluchzte laut, denn unermeßlich war sein Bußbegehren.
[Rand: Alessio Baldovinetti]
Sie sang: »Oh Mutter, hör auf uns, Du kannst alleine nicht ergrimmen.
Christi Reich mit List und Lanzen kühn bewahren,
Doch Du bleibst Königin des Heils, die Heiligen sind die Immen.
[Im Norden aber scheinen sich Gerippe gegen Fleisch zu wehren]
[Altes Rom, der große Geist Deiner Cäsaren]
[Morgen wird es! Wie verfleischlicht schweigt die Frühe]
[Ich fühl den Blick von einem Sterne]
[Arkadien meiner Seele, nun erwache!]
[Es ist Italiens Karneval ein großer Dichter]
[Die Dirnen erscheinen als büßende Nonnen]
[Der Frühling ist da und am Korso erscheinen]
[Oh, nun leb auch ich der Freude]
[Namenlos sind meine Lieder]
[Ich will in einem Park den goldenen Abend feiern]
[Ein blendendes Treppenhaus hält mich umfangen]
[Oh, sei mein Lenz, ein ganzes neues Leben!]
[Nun bist Du mein! Denn wunderbar ist Liebe]
[Es ist, als ob ein Traum zu sein sich schäme]
[Florenz, das ist ein kühner Frühlingstag]
[Florenz, das sind die Erzstunden des Tages!]
[Florenz, am Himmel stehen weiße Lilien]
[Es ruft mein Weib: Du darfst im Singen nicht ermatten]
[Die Windesschlangen lispeln schadenfroh von Eden]
Die Windesschlangen lispeln schadenfroh von Eden
[Rand: Botticelli]
Und fiebern goldig dort durch einen Lorbeerhain,
Es will der Abend mit den Blattern freundlich reden
Und Dämmer zieht in die verborgenen Seelen ein.
[Es blickt der Mond schon skeptisch auf die Dinge nieder]
Es blickt der Mond schon skeptisch auf die Dinge nieder.
[Rand: Ambrogio Lorenzelli]
»Er fühlt sich«, sagt mein Weib: »als ganzes Element,
Es regen Thierbeginne ihre Ringelglieder,
Erwirbeln sich und werden wieder rings getrennt.
[Der grüne Kreuzgang soll im Mondenschein vergehen]
Der grüne Kreuzgang soll im Mondenschein vergehen,
[Rand: Paolo Uccello]
Er sei von Silberkatarakten überschwemmt,
Allein die Arche Noahs soll noch fort bestehen,
Man hämmere, zimmere sie, geheim und ungehemmt!
[Erkenne Dich in Deinen gelben Seelenhallen]
»Erkenne Dich in Deinen gelben Seelenhallen,
[Rand: Giotto]
In denen Du den Sonnenmythus tief erlebst:
Ersehnst Du Wesen, die in Dich herüberwallen,
Ersteht ein stilles Traumbild, daß Du ganz erbebst!«
»Wir müssen uns durch innere Willensthiere dienen
[Rand: Simone Martini]
Und werden erst durch unsere Lieblingslämmer Wir,
Wir brauchen Wölfe mit verwegenen Räubermienen
Und brave Hunde für des Geistes Jagdrevier!
»Merkst Du denn nicht, wie bange ich im Mondlicht fische,
[Rand: Taddeo Gaddi]
Der Stier, die große Macht, ist schon seit langem todt,
Das Lamm verglüht, jetzt schickt der Geist uns seine Frische,
Ich Armer warte fiebernd vor der Seelennoth!
Was man auch will, den Willen wird man doch verketzern!
[Rand: Thomas von Aquino]
Denn blos in großen Grundideen kennt sich Gott.
Oft ist ein Mensch, der sich besinnt, zu voll von Schwätzern,
Und leer an Glauben, Ehrfurcht, Adelskraft und Spott.
Im hellen Seelenscheine sehe ich mich selber,
[Rand: Taddeo Gaddi]
Seit Ewigkeit auf meinem eigenen Kreuzweg gehn,
Ich irre durch das Zweifeln ab, die Welt wird gelber,
Ich sterbe, lebe auf und ab, und muß bestehn!
[Florenz, wie herrlich ragen Deine Burgenthürme]
Florenz, wie herrlich ragen Deine Burgenthürme,
Toskanas Gluth wölbt Deine Kuppeln stolz empor:
[Rand: Masaccio]
Im hohen Dom vertoben erst die Erdenstürme,
Und oben lobt Dich still der Sterne Engelschor.
Oh Muttergottes, jenseits Deiner Herzensnähe [Rand: Die heilige Anna] Erdämmert eine Mutter, die wir nie erkannt. Befragt mich nicht, da ich sie unwahrnehmbar sehe, Doch weiß ich mich von ihrer Heimlichkeit gebannt.
[Florenz, wie selbstverständlich still sind die Paläste]
Florenz, wie selbstverständlich still sind die Paläste,
[Rand: Leon Battista Alberti]
Vor denen einstens große Fackeln grell geloht –
Die Feste sind vorbei, nur selten seh ich Gäste,
Und nirgends zeigt sich mehr ein stolzer Schloßdespot.
[Der geile Brunnen mit den steilen Wasserwürfen]
Der geile Brunnen mit den steilen Wasserwürfen,
[Rand: Bartolomeo Ammanati]
Der zwischen Thürmen sich nach Eigenhöhe sehnt,
Mit seinen Erzfiguren, die nackt Austern schlürfen,
Erscheint mir jetzt einer versunkenen Welt entlehnt.
[Ich habe einst Giganten langsam wandeln sehen]
Ich habe einst Giganten langsam wandeln sehen
[Rand: Andrea del Castagno]
Und nun vergesse ich das Schauspiel nimmermehr,
Dann konnten sie auf einmal nicht mehr auferstehen
Und ich war froh, denn sie bedrückten mich zu sehr.
[Herz, mein Herz, sei wieder demuthvoll und offen]
Herz, mein Herz, sei wieder demuthvoll und offen
[Rand: Der heilige / Franz von Assisi]
Und komme Dir und andern Feinden gütig bei,
Du darfst und sollst noch mehr als ein Florenz erhoffen,
Doch manche Dich zuerst von Wuth und Dünkel frei!
[Ich wandle nun, als urbesorgter Mensch und Dichter]
Ich wandle nun, als urbesorgter Mensch und Dichter,
[Rand: Domenico di Michelino]
Als Riese, unerreichbar hoch, über Florenz,
In meiner Hand ist alles, selbst die Himmelslichter,
Ihr Grund gewährts und mein Beschluß erkennts!
[Die Gnade will, daß wir die argen Dinge hassen]
Die Gnade will, daß wir die argen Dinge hassen.
[Rand: Die heilige / Katharina von Siena]
Der Brand entsteht, damit das kalte Licht besteh!
Der Friede kommt, damit wir uns zusammenraffen,
Der Engel aber, der uns liebt, birgt Krieg und Weh!
[Florenz, es kämpfen Riesenwolken mit dem Äther]
Florenz, es kämpfen Riesenwolken mit dem Äther,
[Rand: Filippo Brunelleschi]
Noch sind sie haltlos über Fluren hingestreckt,
Doch heller, windgeblähter, lauern rings Verräther,
Am Marmor haben Schatten jäh emporgeleckt!
[Florenz, Du wirst in meiner Wirklichkeit bestehen]
Florenz, Du wirst in meiner Wirklichkeit bestehen,
[Rand: Cimabue]
Erglühe, strahle ferner monderleuchtet fort,
Mein Seelensturm wird Deinen Lilienstaub verwehen,
Ich trage Kinder Deiner Huld von Ort zu Ort.
[Mein Weib und ich, wie glücklich sind wir doch gewesen]
Mein Weib und ich, wie glücklich sind wir doch gewesen,
[Rand: Fillippo Lippi.]
Sie folgt uns noch, die goldene Wonne von Florenz,
Es ist in jenem Traum ein anderer Mensch genesen,
Oh glaube, danke doch dem lichtentzückten Lenz.
Der Traum von Venedig
[Die Nacht ist eine Mohrin, eine Heidin!]
Perlen von Venedig
Jacopo Bellini
Der Schiffer
Das Weib
Die Irrsinnige
[Um Neumond ist traumblau mein Gatte erschienen]
[Ich gab meinen Wahnsinn dem wandernden Wasser]
[Oh Meer, ach, ich brauche von Dir eine Thräne]
Das Märchen vom Meere
Gewißheit
Die Sonnenblume
Frieden
Orpheus
Vision
Des Liedes Wesen
Einsam
Panik
Odysseus
Verstumpfen
Der Gesandte des heiligen Antonius
Das Meer
Die Glanzperle
Sonderbar
Grau
Adria
Schicksal
Das Eiland
Der rothe Schimmer
Die Dogaressa
Das ferne Schloß (Miramar)
Zauber
Die Wasserschlange
Die Epheuranke
[Jetzt mag der Mond auf Mosaiken spielen]
Der Strom
Übertreibung
[Der Vollmond naht des Meeres Silberrande]
Das Sonnett
Der Herold des Sonntags
Die hohe Botschaft
Der Ruf
Der Löwe
Serenissima
Der Herold von Florenz
Die Tochter von Fiesole
Des Dichters Angebinde
Die Sendlinge von Siena
Der Wasserfall
Der holde Mönch vom Monte Oliveto
Das schnelle Ende
Der Bernstein
Schluß der Perlen von Venedig. [361]
[Du holdes Weib, verliebte, lyrische Gedanken]
[Irr nicht ab, oh Geist, vom Pfad auf dem Du wandelst]
[Glocken erschallen!]
[Am Volksplatze vereinen sich die Karawanen]
[Die Glocken, Vögel und die Zwielichtzitterluft]
Mit Magieraugen blickt Ihr dunklen, hellen Sterne
[Rand: Leonardo]
In unsere leiderfüllte, heitere Sonnenwelt
Und wirkt, daß man den Trug der Täglichkeit verlerne.
Und endlich habt Ihr eine Seele selbst erhellt!
Ja es verhaucht, verwildert, manche Wunderseele,
[Rand: Tasso]
Entblättert sich der Wandelträume ohne Halt,
Sie liebt, daß ihre Liebe sie zu Tode quäle,
Und alles ängstigt sie, als fremde Weltgewalt.
Oh Nachtigall im Frühlingswald des Südens,
[Rand: Raphael]
Dein Sang verklingt und nimmer hört man so ein Lied,
Du warst die Fiebergluth urweiblichen Ermüdens,
Ein Hauch, ein Traum, der jede Duftberührung mied.
[Mein Rom, in Deinen Kirchen, Friedhöfen und Hainen]
[Zypresse, ach verlaß mich nicht]
Neapel
[Du herrschendes Kind im erwachsenen Leben]
[Zum sternigen Himmel italischer Nacht]
[Ob verliebt in Menelaus]
[Die Sonne glüht die Weltgesetze]
[Oh Sonne, Sonne, großer Lichtgedanke]
[Einer Frucht, die reif ist, ähnlich]
[Es schlingen durch Liebe verkettete Stunden]
[Hier lacht die Nacht: das ist die Stadt der tollen Nächte]
[Lebensgold ist jedes Blatt und es kann nicht sterben]
[Mein Gedanke hat mir Weib und Kind getödtet]
Ende des ersten Theiles. [420]
Zweiter Theil. Sahara
Das Kataklisma
[Da Deine Sternenaugen nie erblinden]
[Mein Weib, mein Weib, wie Du Dich tapfer sträubtest!]
[Es scheint, daß eine schillerreiche]
[Oh Wißbegier, wann hast Du ausgetobt in meinem Innern]
[Oh Wißbegier, wann hast Du ausgetobt in meinem Innern?]
[Des Lebens große Sonnerklärung]
[Was mir erscheint, ist das der große Gotteshimmel]
[Schwindel packt mich, Bilder eilen]
Schwindel packt mich, Bilder eilen
[Rand: Der testamentarische Todtentanz]
Ringsumher in wildem Tanz,
Hergeschleppt viel tausend Meilen,
Sprühn sie auf, in matten Glanz:
Keines mag um mich verweilen,
Jedes schwankt als Firlefanz.
Leiber scheinen sich zu theilen
Und verschwinden plötzlich ganz;
Doch in einem bleichen Haine,
Wo sich Ast und Ast verflicht,
Zeigen plötzlich sich Gebeine –
Und auf einmal wieder nicht.
Eva huscht in rothem Scheine,
Kauernd fast, hervor ans Licht:
Eingestemmt sind ihre Beine,
Abwärts schaut ihr Angesicht.
Ob sie jäh der Mutterscheide
Als ein reifes Weib entsprang,
Und dem Druck der Eingeweide
[20]Schmerzhaft sich, mit Wucht, entrang?
[Rand: Der testamentarische Todtentanz]
Wie gedrückt zu ewigem Leide,
Reißt sie sich vom Nabelstrang:
Und schon schwanken alle beide,
Mann und Weib, den gleichen Gang.
Deutlich will der Tod sich zeigen
Und er grinst mich hönisch an:
»Sieh, was einem Sein zu eigen,
Sprich, ob man noch hoffen kann!
Alles will sich hier verzweigen,
Setzt die besten Kräfte dran:
Menschen die zum Lichte steigen
Drehn sich schon in meinem Bann!«
Kurze Beine, schöne Büsten,
Weiber ohne Ebenmaaß,
Sah ich, die sich läppisch grüßten,
Komisch, ohne rechten Spaß!
Ob sie für die Ichsucht büßten,
Die ihr Sein aus Grüften las?
Tod Du wirst den Spuk verwüsten, –
Er zerspringt wie sprödes Glas!
Musiker mit Löwenmähnen,
Häupter ohne Leiberhalt,
Hat ein tiefes Lichtersehnen,
Plötzlich fast, emporgeballt.
Alles scheint sich hier zu dehnen.
Ist noch nichts als Ungestalt.
Sucht sich aber schon zu wähnen:
Wird bewußte Urgewalt!
»Solches Ineinanderklingen
Gab dem Leben Melodie,
Brachte mit gereiften Dingen
[21]Auch den Zwerg in Harmonie.
[Rand: Der testamentarische Todtentanz]
Kann nicht so die Sichel schwingen,
Wie sie Schönheit einst verlieh,
Könnt mich um das Unkraut bringen,
Doch verschwinden werd ich nie!«
Kaum hat dies der Tod gesprochen,
Den ich blaß im Zwielicht sah,
Kamen Sphinxe angekrochen –
Und schon waren sie mir nah.
Wie von Zweigen abgebrochen,
Waren auch Harpyen da,
Und mein Herz begann zu pochen,
Als ich merkte was geschah.
Alle letzten Erdengäste,
Die im Todeskrampf entstehn,
Abfallszwitter, Lebensreste,
Die im Menschthum untergehn,
Wollten sich zum letzten Feste
Noch in Folterqualen sehn!
Was sich grausam würgte, preßte,
Lüstern, leidend, zu vergehn,
Fand, als Abglanz, aus den Wänden
Eines Saales jetzt Gestalt.
Manche Sphinx hat beim Verenden
Sich dort oben eingekrallt;
Nur ein Weib bis zu den Lenden,
Blickt sie um sich stumm und kalt,
Doch verräth ihr Nackenwenden
Einer Löwin Hinterhalt!
Ferne scheint mir, goldverschwommen,
Daß ein Weib im Takt sich dreh.
Wirbelnd wird sie naher kommen,
[22]Ob ich sie dann besser seh?
[Rand: Der testamentarische Todtentanz]
Ist denn noch kein Blick erglommen,
Hier im Weck m meiner Näh?
Ach, wie bin ich angstbeklommen,
Denn der Tod ward Salome!
Hei, sie tanzt mit Castagnetten –
Wie das klappert, wie das klirrt,
Um den Leib, die goldenen Ketten,
Haben klimpernd sich verwirrt.
Will sie vor dem Haupt sich retten,
Das sie surrend jetzt umschwirrt?
Nein, die Haare will sie glatten,
Und da steht sie unbeirrt.
»Sieh, das Ich in vollem Siege,
Wie es plastisch triumphiert,
Sieh, die Glieder, die ich biege,
Sieh, die Jugend, die sich ziert;
Daß sie nimmer unterliege,
Lobt den Tod, der sie gebiert:
Schaukelnd steht er bei der Wiege,
Da ers Leben balanciert."«
Als die Worte rasch verklangen,
Die Salome zu mir sprach,
Kamen Greise angegangen
Und die Jugend folgte nach;
Und mir wars, als ob sie sangen,
Als das Schloß zusammenbrach.
Doch von Mauern noch umfangen
Sah ich plötzlich ein Gemach;
Vieler frommer Greise Hände
Trugen sanft ein zartes Kind,
Statt des Mutterleibes Wände
[23]Hieltens Menschen, wohlgesinnt!
[Rand: Der testamentarische Todtentanz]
Denn wenn Fleisch und Warme schwanden,
Da wir kaum geboren sind,
Müßten wir gar schnell verenden,
Ist was schroff ist und geschwind,
Doch an sich der Grund der Leiden,
Da er Liebesketten sprengt!
Uns der Ichsucht zu entkleiden,
Die in Jammer uns gedrängt,
Und vom Tod und Sünde, beiden,
Die noch über uns verhängt,
Uns mit Liebeshand zu scheiden,
Ward ein Mensch der Welt geschenkt.
Sterne flogen hin und wieder,
Botschaft kündend nächtelang,
Und die Menschen knieten nieder,
Nahmen Jesum in Empfang.
Königsmienen, still und bieder,
Eine Mutter schwank und krank,
Eines Kindleins zarte Glieder,
Sah ich jetzt im Traumgerank,
Plötzlich ist der Tod erschienen,
Als ich kaum das Bild gewahrt:
»Alles muß mir ewig dienen!«
Höhnte er nach Siegerart.
Mütter mit Verzweiflungsmienen,
Sah ich jetzt um mich geschaart:
»Hab gewüthet unter ihnen,
Keiner blieb ihr Leid erspart!«
Ries der Tod und tanzte schrecklich!
»Hei der Tag vom Kindermord!«
Scholl es: »war für mich erklecklich,
[24]Nie ergötzt ich mich wie dort.
[Rand: Der testamentarische Todtentanz]
Selbst die Gluth blieb unerwecklich,
Die mich tödtet und verdorrt!«
Niemals tanzte er so kecklich
Und dann endlich war er fort!
Söldner seh ich spielen, wetten,
Christen, die um Gnade stehn,
Und zum Golgatha, in Ketten,
Jesum durch die Menge gehn.
Kann ein Mensch die Götter retten,
Die bedingt im All bestehn?
Wenn sie Macht zur Hilfe hätten,
Würde sie kein Sturm verwehn!
Alles will nach oben streben,
Höhenrausch umfangt uns schon,
Selbst der Tod kämpft um sein Leben,
Furcht gebiert schon seinen Hohn.
Ja, ein Gott ward uns gegeben,
Ohne Ende, ohne Lohn.
Zu ihm kannst Du Dich erheben,
Läßt Du neidlos ihn am Thron.
Götter mußten arg ergrimmen,
Als ein Mensch in Freiheit starb.
Konnte nicht der Tag verglimmen,
Als sein Leib am Kreuz verdarb?
Nicht die Nacht den Thron erklimmen,
Als ein Mensch um Gottheit warb?
Nutzlos tönten Donnerstimmen:
»Blutiger Himmelsriß, vernarb!«
Nein, die Wunde blieb geröthet.
Gluth ergoß sich aus dem Schnitt.
Götzen, die das Volk gelöthet,
[25]Stürzten ohne Halt und Kitt.
[Rand: Der testamentarische Todtentanz]
Menschen, die Ihrs Kreuz erhöhet,
Wo ein Mensch fürs Leben stritt,
Einen Gott habt Ihr getötet,
Doch er riß die Götzen mit!
Da erfaßten mich Skelette,
Statt des Todes Wiederkunft,
Sah ich mich in einer Kette
Von Gespenstern selbst verschrumpft.
Eine Stimme rief: »Ich wette,
Du verknöcherst in der Zunft,
Dichter, laß, daß ich Dich rette,
Folg nun wieder der Vernunft!«
Und nun fühlt ich mich im Fallen.
Sah Gerippe über mir.
Sank allein durch blasse Hallen,
Ausgeschmückt mit Ungethier.
Hielt an Fühlern mich von Quallen.
Und die sahn mich an mit Gier.
Dann entfiel ich ihren Krallen,
Durch ein andres Albspalier!
Und den ganzen Weg des Tanzes,
Den der Tod mit mir getollt,
Schien mir wie ein Drachenganzes.
Hart gestockt! In sich verknollt!
Und im Grün des Panzerglanzes,
In der Schuppen Flimmergold,
Sah ich mich von seines Schwanzes
Knorpelgliedern eingerollt.
Ruckweis ward ich vorgeschoben.
Rhythmisch schwankt ich hin und her.
Durch das Zucken dieses Kloben
[26]Glitt und fiel ich immer mehr.
[Rand: Der testamentarische Todtentanz]
Plötzlich schwamm ich wieder oben.
Ob der Schweif der Jordan wär?
Denn den Drachen hör ich toben:
Sicherlich das Todte Meer!
[Dies irae, dies illa]
[Verworren scheint mir, was ich eben hörte]
[Schon krallen sich Leiber hervor aus den Schluchten]
[Du Lebenskrampf, nun wirst Du Klarheit wollen]
[Die Menschen kamen fast allein in steinige Lande]
[Ganz plötzlich ward ein blondes Mädchen irgendwo geboren]
[Wieder kam die Welt ins Schwanken!]
[In einem Land, das von der Fluth fast unberührt geblieben]
[Durch Schlucht und Schlund brach jäh der Sturm]
[Es schreckt mich die Wüste, die rings sich entrollt]
Das Ra Drama
Die Pyramide
[Waren dies die Spinxfelsfibern]
[105]Waren dies die Spinxfelsfibern,
[Rand: Der klassische Todtentanz]
Die da schwollen und erstarrten?
Wars ein Ruck von Weltverschiebern,
Die noch tief in Grotten harrten?
Oder kam ich selbst ins Fiebern,
Als um mich die Berge knarrten!
Welch Gezücht von Ottern, Biedern
Quietschte in den Felsenscharten,
Als aus Höllenschluchtkalibern
Grufteinbrüche sie verscharrten.
Bache sträubten sich und zischten,
Auf und nieder durch Kulissen.
Wo sich Fels und Wasser mischten,
Ward der Strudel fortgerissen.
Eulen, die mit Hast entwischten,
Prallten auf an Hindernissen;
Und ich sah die mörderischten
Szenen jetzt ins Schattenrissen.
Riesengroße Schlangen fischten,
Aufgereckt, nach Leichenbissen!
Aufwärts langten sie nach Beute.
Senkrecht standen sie im Kessel.
Und ich wußte: dies bedeute,
Daß, was todt schien, sich entfessel:
Und bald peitscht die Albspukmeute
Uns mit Dorngerank und Nessel!
Mumien sehn ein neues Heute.
Tod sitz fest auf Deinem Sessel,
Denn, was Deine Hand zerstreute,
Bricht die Raum und Zeitmaaßfessel!
Und als Schlangenhälse barsten,
Da entkrochen Lurchenkröpfen
[106]Nestbesätze mit bizarrsten
[Rand: Der klassische Todtentanz]
Schwulstentschlüpften Doppelköpfen,
Und die allersonderbarsten
Vögel, mit Gesicht und Zöpfen,
Flogen aus den todtenstarrsten
Mumien auf und Urnentöpfen.
Schlünde sah ich rasch verkarsten
Und im Nu ihr Schreckbild schöpfen.
Felsen zeigten, daß sie leben,
Daß die todtgeglaubten Steine,
Ewig wechselnd, sich erheben.
Katzenklumpen, Riesenschweine
Schienen fast im Sprung zu schweben.
Und im letzten Wonnehaine,
Trat ein Stier auf heilige Reben.
Rosse schleppten Menschenbeine,
Und von Dreck und Aas umgeben,
Schnaubten Hunde Feuerscheine.
Plötzlich klaffte eine Spalte,
Und des Tages gelbe Grelle,
Die ins dunkle Wirrsal prallte,
Bannte uns an Ort und Stelle.
Nur ein Mannestorso ballte
Sich empor mit Riesenschnelle:
In ihm staute und verkrallte
Sich die letzte Lebenswelle,
Und der Glast, der einwärts wallte,
Glich da einem Löwenfelle.
Ja, es krümmten sich und zuckten
Rumpfgestalt und Muskelbänder,
Denn sie alle würgten, schluckten
Unthierspuk und Leichenschänder.
[107]Keine Kopfknaufschwülste guckten
[Rand: Der klassische Todtentanz]
Wuchernd über Halsstumpfränder,
Denn die Brut von Spukprodukten,
Lang verheerter Unglücksländer,
Schrumpfte ein, und manche duckten
Selber sich im Zweckvollender.
Berge wurden Muskelgruppen.
Rückgratfurchen Gießbachsschachte!
Achselhöhlen Grottenkuppen:
Jedes Ungeheuer brachte
Abfallschnitzel, Wesenschnuppen
Unter, als ihr Herr erwachte.
Knorpeln, Muskeln, Fleisch entpuppten
Stets was ihr Entstehn entfachte.
Drachen, Lurche, Urbrunsttruppen
Wurden, daß ein Arm sie schlachte!
Rings auf albbefreite Länder
Schien der Mittag heiter nieder,
Wolkenberge, Inselränder
Gaben klar die Wollust wieder,
Die das Meer, der Liebesspender,
Aus dem Irisflittermieder,
Rings durch Schleier, durch Gewänder
Und mit Lust und Luftgefieder,
Wallen läßt, als Freudensender!
Und um schroffe Inselglieder
Wand sich eine Strandguirlande,
Und die See, die weiblichweiche,
Spielte mit dem feinen Sande.
Sie, die trug und schimmerreiche,
Schwellte Flittergold zum Strande:
Und da warfen Klippen, Teiche,
[108]Scheine, Splittergold, zum Pfande
[Rand: Der klassische Todtentanz]
See zurück, fürs Gleiche;
Und so suchte, im Verbande,
Jedes, daß es Lust erschleiche!
Aus den Räthselbuchten fuhren
Windgetragene Seegelboote,
Und auf ihren goldenen Spuren
Sah ich, wie die Schönheit lohte.
Volle junge Kraftnaturen
Folgten da dem Lichtgebote,
Fernen, fremden Kreaturen
Nichts zu sein als Liebesbote:
Und ich wünschte, fern auf Fluren,
Glück dem Schönheitsaufgebote!
Rings um Brunnen, klare Quellen,
Wuschen Königskinder Linnen:
Solches Mädchenspiel mit Wellen
Wollte Venus einst ersinnen,
Daß der Busen holdes Schwellen,
Vor der Mädchen Prüfersinnen,
Sich dort spiegeln und erhellen
Müßte, stündlich, vor dem Minnen:
Pracht zur Strahllust zu gesellen,
Ist der Venus Urbeginnen!
Aller Herrlichkeit Vollendung
Sah mein Aug, im Abendglanze
Vor sich stehn, als reife Sendung.
Nackt, mit einem Myrthenkranze,
Ward ein Weib, mit keuscher Wendung
Ihrer Hüften jetzt der ganze
Inbegriff von Schönheitsspendung!
Ach, in einem Todtentanze,
[109]Traf mich plötzlich volle Blendung:
[Rand: Der klassische Todtentanz]
Helena stand auf der Schanze
Priamus, und Troja brannte!
Und ich sah, wie sich begehrlich
Heldensinn zu Fernen wandte!
Völker schienen unversehrlich,
Als die Not sie westwärts sandte.
War die Fahrt auch grundgefährlich,
Kam man doch um Riff und Kante.
Fehlte auch was unentbehrlich,
Wenn kein Wind die Segel spannte,
Blieb doch Raubsucht unverzehrlich!
Grüne, schmale Länderstrecken,
Zwischen gelben Horizonten,
Silberranken, Städte, Flecken,
Felsenlehnen, die sich sonnten,
Kollossale Gräberrecken,
Ewig stumme Gruftremonten,
Tempel zu Begräbnißzwecken,
Schrecklich starre Festungsfronten,
Sah ich rings das Feld bedecken,
Das mir Träume geben konnten.
Aller Vögel Zufluchtstätte,
Anhalt meiner Trostgedanken,
Reich der Todten, stau und rette,
Was Du kannst, in schattenschwanken
Wunschphantomen: ach verkette
In den blassen Traumesranken,
Jetzt im stummen Spukballette,
Aller jener, die versanken,
Die, die ich so gerne hatte:
Ach, vermöcht ichs, Dir zu danken!
[110]Helden wohl nach dem Gebahren,
[Rand: Der klassische Todtentanz]
Mann und Weib in Brunst verschlungen,
Konnt ich nun genau gewahren.
Just ist Lust ins Weib gedrungen.
Er, bedeckt von ihren Haaren,
Schwand beinah vom Weib bezwungen:
Manneswucht zu offenbaren,
Ist er keuchend aufgesprungen.
Sie ist mit emporgefahren:
Keinem ist der Sieg gelungen.
Tief verschmolzen, brunstbeklommen,
Konnte niemand matt entschleichen,
Zu einander zuckten, klommen,
Beide wonneschauergleichen
Leiber, deren Lust erglommen.
Wieder hat sie seine reichen
Lebenskräfte aufgenommen,
Doch nun mußte sie erbleichen,
Plötzlich war sie weißverschwommen,
Und ihr Fleisch schien zu erweichen.
Und sie hockten alle beide
So verkrümmt, aus Brunstverlangen,
Daß die Blicke, voll vom Leide
Ihrer Lust, mich wild bezwangen.
War ich beider Augenweide?
Galt mein Schmerz und Schauderbangen
Als der Ausdruck nur vom Neide,
Weil sich Schemen hold umschlangen?
Hell erblitzte ihr Geschmeide,
Ihre Augen, ihre Spangen,
Denn nun war sie weiß wie Kreide.
Wieder hat ihr Leib empfangen.
[111]Dennoch wars, als ob er leide:
[Rand: Der klassische Todtentanz]
Sprühend waren seine Wangen,
Unerschöpft die Eingeweide:
Sie doch blieb, von ihm umfangen,
Ein Skelett im Schleierkleide,
Ihre letzten Gluthen drangen,
Wie durch leichte, bleiche Seide.
Augen und Rubinenschlangen,
Glühten jetzt so schauertrunken:
Alles was ich um mich sah,
Schien ein Streit von Wollustfunken,
Ach, und ich erkannte da
Jener Augen Glühn und Prunken:
Meiner Todten war ich nah!
Wie, sie winkte halbversunken?
Gräßlich war nun was geschah:
Schon zersetzten dunkle Tunken
Antonius und Kleopatra!
Wie bist Du furchtbar hingeschwunden,
Geliebte mein, Geliebte mein,
Wie konntest Du mich so verwunden,
War Deine Seele niemals rein?
Nein, nein, sich so verrucht bekunden:
Der Frevel geht mir nimmer ein!
Als Buhlin jenem dort verbunden,
Soll dies ein Neugierantrieb sein,
Daß ich in grausen Marterstunden
Dich nun verfolg mit Graun und Pein!
Ist dies die Feindschaft der Geschlechter,
Der ewige Amazonenkrieg!
Schon seh ich Männerschaaren, Fechter,
[112]Mit ewigvorbestimmtem Sieg.
[Rand: Der klassische Todtentanz]
Dort ists, als ob ein Troß bezechter
Mänaden sich durchs Dunkel schmieg:
Und schon durchzuckt mich Brunstgelächter,
Das lang in meiner Seele schwieg.
Auch scheint mir gar nichts folgerechter
Als, daß schon Eins beim Andern lieg.
Nun will das Weib den Mann bezwingen.
Wie es bestrickend ihn umnetzt!
Er muß die Weiblichkeit durchdringen.
Ach, wie der Mann die Beute hetzt!
Nein, beide wollen sich verschlingen!
Der Haß wird langsam abgewetzt.
Der Friede will auch hier gelingen:
Es ist im Urlauf festgesetzt,
Daß Ruheformen jung entspringen,
Wo irgendwas das Maaß verletzt.
Die Schatten seh ich rings verschwinden.
Nun taucht ein Jüngling strahlend auf.
Mein Auge scheint fast zu erblinden,
Als ob es Goldgeflock betrauf.
Wie Knospen langsam sich entrinden,
Entschwellt nun Anmuth jedem Knauf
Der Sehnen, die sich herb verbinden,
Und endlos ist ihr Fleischverlauf.
Des Jüngling Namen will ich finden,
Ich denke nach, wie ich ihn tauf:
Antinous, nicht Bacchus heißt er
Und wird als Ziel emporgeschnellt.
Als Frucht entschwundener, entgleister
Gestalten, die er rings zerschellt,
Ist er versuchsgeburtumkreister
[113]Endzweck, der sich ins Menschthum stellt!
[Rand: Der klassische Todtentanz]
Wird ein Geschlecht sein hehrer Meister?
Erscheint die Zeit, da er verfallt,
Und andre junge SonnenGeister
Befruchten was sein Maaß erhält?
Leibhaftig sah ich ihn soeben!
Die Einsicht hat ihn mir erhellt:
Weltkräfte, die uns Knorpeln geben,
Die Weiblichkeit, die Busen schwellt,
Die haben sich als Formbestreben,
Zusammen hier als Leib gesellt.
Von Milch der Weichlichkeit umgeben,
Von Mädchenanmuth zart umwellt,
Seh ich den Jüngling keusch erbeben:
Um den Epheben ringt die Welt.
Tod, Du menschlicher Gedanke,
Sag, wann wirst Du ausgewischt?
Was nicht harren kann, das Kranke,
Wann wirds plastisch aufgefrischt?
Werden uns nach wildem Zanke,
Wenn die Rachsucht einst verzischt,
Feste Bissen mit dem Tranke
Seliger Räusche aufgetischt!
Noch erzwingt sich keine Schranke,
Bis der Aufruhr nicht erlischt!
Hier in diesem Herd der Gährung,
Seh ich alles wild vermengt:
Sklaven, ohne Rast und Zehrung,
Werden rasch zurückgedrängt.
Wer nichts suchte als Belehrung
Wurde nutzlos angestrengt.
Wünschte jemand gar Bekehrung,
[114]Weil ihn Todesfurcht bedrängt,
[Rand: Der klassische Todtentanz]
Hat er Urtheil, Gott, Entbehrung
Selber über sich verhängt!
Zwischen rundverzweigten Schienen
Ist der Tod ein Sektorschnitt,
Durchgefurcht durch Brunstlawinen,
Voll bewegtem Lebenskitt.
Hier kann nur Erfahrung dienen.
Sonst hält der Verstand nicht Schritt!
Unter Fratzen, wilden Mienen,
Geht der Tod mit Würde mit,
Doch er ist als Bild erschienen,
Platon ists, der ihn vertritt!
Unfügbar ins Wechselganze
Bleibt das feste Ideal,
Drum gehts auch im Todtentanze
Weiter ein für allemal.
Tod, zu unserm Lebensglanze,
Bist Du selbst der tiefste Strahl:
Larven auch, zum Mummenschanze,
Schenkst Du uns, zur eigenen Wahl:
Gott und Mensch und Thier und Pflanze
Streben aus der Scheidungsqual!
[Aus dem Schäumen des Gesagten und den Rhythmen, die mich trugen]
[127] Lothos
[Theben ist eben dem Leben ergeben!]
[Mir träumte nun, uns allen träumte]
[138]Mir träumte nun, uns allen träumte,
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Daß, was da zuckte, vorwärtsglitt
Und so die Welt zusammenräumte,
Denn jeder Abfall hupfte mit.
Das Blut, das noch aus Schrammen schäumte,
Ward abermals zum Daseinskitt,
Was krampfhaft sich zusammen bäumte,
Verschrumpfte rasch beim Übertritt
Zum Jungwurf, der sich kraus umsäumte,
Denn kleinlich war der neue Schnitt.
[139]
»Zwerg, Wirbelknirbs« rief ich: »belustig
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Dich frisch, verdirbs dem Tod, beim Tanz,
Was stiegt erwirbs und werde fett und wustig:
Des Nichtsgezirbs Urdissonanz
Sei laut in Dir, sei eigenbrustig!
Tanz, tanz, die Welt entlaus, entwanz,
Hei Negerzwerg, pechspeckig, rußdick
Bedeckt von schwarzem Kohlenglanz,
Dein Kopf schrumpft ein, der Rumpf wird krustig,
Und um Dich walzt ein Mummenschanz!«
[140]
Mein Sinken mocht ich nur vermuthen,
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Denn schon entschlüpfte ich dem Schlamm,
Und meine starren Glieder ruhten
Bereits auf einem Sammtsanddamm.
Tief unter mir, in dunklen Fluthen,
Erglühte mancher blutige Schwamm:
Am Ufer wuchsen Binsenruhten
Und blühten Blut, das leuchtend schwamm.
Die Leiche fing sich an zu sputen
Und regte sich gar wundersam.
[141]
Des magern Weibes starre Glieder
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Vermochten kaum noch gradzustehn,
Sie standen auf und fielen nieder,
Sie mußten sich aus Schwache drehn.
Nun schlossen sie sogar die Lider.
Das Weib war noch zu matt zum Sehn.
Die Binsen lagen rings danieder
Und schienen plötzlich einzugehn,
Doch ihre Kraft gab ihr ein Mieder:
Ein Gluthhauch schien sie anzuwehn.
[142]
Scheingreise grinsten rings im Kreise,
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Und da empfand das Weib die Scham,
Da kams, daß sie auf grause Weise
Ein wilder Ekel überkam.
Angstfieber schüttelten sie leise
Und ihr Gehaben wurde zahm.
Es staunten selbst die lüstern Greise,
Wie seltsam sich das Weib benahm,
Ihr wars, als stak sie tief im Eise,
Und ihre Glieder wurden lahm.
[143]
Tief ein ins fremde Weibeswesen.
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Und dieses, schamdurchschauert, scheu,
Versuchte Ranken aufzulesen.
Doch, was es angriff, ward zu Spreu.
Die Ruthen, selbst die Binsenbesen,
Zerstoben wie verdürrtes Heu.
Sie alle mußten rasch verwesen
Und trugen schon, im Weib, aufs Neu:
Sie sind der Zuchtkraft selbst genesen,
Und sieh, das Weib ward keusch und treu.
[144]
Lauter winzige Silberwische
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Wurden ringsum immermehr,
Keimgefunkel, schwärmerische
Flitterblühten, wie im Meer,
Liebesblicke ewiger Frische,
Wohl ein ganzes Traumlustheer,
Wirbelten als gleisnerische
Sehnsuchtsfibern, voll Begehr,
Daß sich Gleiches geil erwische,
Sich verwickelnd, um mich her.
[145]
Denn der Blüthe blasse Blätter
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Wiegten sich gar wollustbleich,
Blutdurchglüht und leicht violetter
Schmiegten sie sich weiblichweich,
Immer fleischlicher und fetter,
Endlich weißen Leibern gleich,
Eins ans andre, als erkletter
Jede Wallung aus dem Teich,
Fiebernd, wie ein fernes Wetter,
Leiblich schon und wollustreich,
[146]
In den letzten Brunstgewittern,
[Rand: Der äthiopische Todtentanz]
Die ganz kraftlos sind und satt,
Sprüht die Liebe noch aus Zwittern,
Fast affektlos schon und matt;
Ohne Fernen zu durchwittern,
Ist die Liebe satt und platt,
Kaum geschlechtlich mehr, erzittern
Leib an Leib verlegen, glatt;
Und hier zucken und verwittern
Weib an Weib als Lothosblatt. –
[»Barbaren!« war der Warnungsruf]
[147][154] Ra
[»Chuenaten,« rief Ti, dessen Mutter: Chuenaten]
[Unfaßbar viel Volk ist nach Theben gekommen]
[163][»Chuenaten,« spricht Ti, dessen Mutter: Chuenaten]
[Was mag der Krawall im RaLager besagen]
[Es war das kein Brand, sagt sich selber Chuenaten]
Der Ararat
Die Indische Symphonie
[Kann die Nacht heut nimmermehr vergrauen]
Die Iranische Rhapsodie
Die Alexandrinische Phantasie
Roland
Drei Ereignisse
[Ist das die Sonne, sind es Augen die mich wecken]
[Oh Dom Du! – Was ist das. Wie furchtbar! Wie entsetzlich!]
Die Auferstehung des Fleisches
Der Ararat speit!
Lieder im Seelenschein
Was
Der flammende Lavabach
Der Geist
Ende des zweiten Theiles.
Kergeoës, Frühjahr 1906. [602]
Dritter Theil. Pan - Orphisches Intermezzo
Pan
[Die Erde braust dem Sonnenlicht entgegen]
[Dir Pan, herrlichem Wesen]
[4][Nach Ruhe geht das Weltverlangen]
[Erscheine, Pan, tritt auf im erdbewußten Kreis]
[Pan, Pan, so öffne Deines großen Reiches Pforten]
[Oh Pan]
[Oh Urwald, Du Sinnbild von Lebensgedanken]
[Oh Natur, Du hast harmonisch]
[15][Es hebt die Sonne uns, in Ichbewußte Kreise]
[Von Flimmerlüften war das Nebelmeer verschlungen]
[Pan]
[Die Sinne, die uns in die Höhe führen]
[23][Als sich die Seele ihrem Körper angegossen]
[Als sich im Menschen jener goldenen Zeiten]
[Es war einmal. Der Wald war halb entblättert]
[Wie oft mußte das erste Menschenpaar erstaunen!]
[Ein Wildbach kam von einem fernen Gletscher]
[Die Purpursonne war schon tief hinabgesunken]
[Als Morgens Mann und Weib im Wüstensand erwachten]
[Gar traurig zog der frühe Mann mit seinem Weibe]
[Die Wüste hat schließlich von Menschen gewimmelt]
[Der Verstand ist Mann und Wüstenkönig]
[Oh Weib, was mußtest Du am Wüstenweg erdulden]
[Ihr Seelen, haltet Euch in trauter Lust umfangen]
[Wie still es ist. Wo sind der Seele tiefe Stürme]
[Wie still es ist. Wo sind der Seele tiefe Stürme?]
[45][Des Weibes Seele ist ein tiefer Bronnen]
[Oh Mann und Weib, die Schrecken könnt Ihr überwinden]
[Es jubelt die Flur. Eine kühlende Briese]
[Tief unten, im schattigen windstillen Thale]
[Lichter müssen rings zersplittern]
[Geheimnisse in meiner Kinderseele]
[Ich kann ihn schon genau im Wald vernehmen]
[Ach, wenn doch meine bleiche Braut noch lebte]
[Zwischen lauter lauten Unken]
[Orpheus zieht es nun zum Meere]
[Junger Mond Du gießt die Stille]
[63][Was soll mir diese Schaukelpantomine]
[Wahrhaftig, es wirbeln da blasse Figuren]
[Orpheus fühlt sich müde und entkräftigt]
[Orpheus sieht sich um. Der Unhold ist verschwunden]
[Geier der Verzweiflung krallen]
[Orpheus ist vielleicht in tiefen Schlaf gesunken]
[Orpheus fühlt sich ganz verlassen]
[98][Orpheus will im Wald erschauern]
[100][Orpheus wandert ohne Ziel und Richtung]
[Wer hat Euridikens Glanz beleidigt]
[Sonne, mildes Herrscherauge]
[Die Fluren singen ihre frischen Sonnenlieder]
[Es blickt nun der Fremdling empor zu den Bergen]
[Der Mittag strahlt in krystallener Klarheit]
[115][Der Dichter hat kaum diese Worte gesprochen]
[117][Es tönt: Das ist das Lied der großen Liebe]
[124][Orpheus Blicke schweifen in die Weite]
[Jetzt greift der Sänger wieder sinnend in die Leier]
[Nun hallt es und schallt es schon wieder im Walde]
[Gebilde von Schleiern, Gestalten und Lichter]
[Es ist nun die Sonne gesunken]
[146][Es wurde Nacht. Verdeckt sind Sterne und Mond]
[Oh Nacht, oh unendliche, herrliche Nacht]
[151]Ende des Intermezzos.
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