78. Einochs.

J. Grimm lat. Ged. d. 10. u. 11. Jhd.


Es war einmal ein Bauer in einem Dorfe, dem gar nichts glücken wollte. Er konnte es zu nichts bringen und konnte nicht weiter kommen; die Bienen flogen ihm aus und hiengen sich in fremden Baumgärten an; seine Hühner wurden mehr als andere vom Fuchse heimgesucht, und wenn anderer Bauern Mutterschweine [219] zwölf Ferkel warfen und mehr, mußte unser Bauer zufrieden sein, wenn eins oder zwei hinter seiner Sau herquiekten. Sein höchster Wunsch war es, einmal mit einem Spann Ochsen fahren zu können, und er sprach hin und wieder davon, daß er es noch einmal dahin bringen müße. Aber es wollte und wollte nicht gehen, und eines Tages stürzte ihm von seinen beiden Ochsen der eine, so daß er nur noch einen übrig behielt. »Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen«, dachte der Bauer, und richtig, die Leute nannten ihn, weil er mit vieren hatte fahren wollen und ihm nur noch einer geblieben war, Einochs. Bald aber passte dieser Name, wie die Leute meinten, noch beßer auf ihn, und das war damals, als ihm auch der letzte Ochs gestürzt war, und er nun gar keinen mehr hatte. Einochs besah das gefallene Thier von der einen und von der andern Seite mit betrübter Miene; aber der Ochs wurde nicht wieder lebendig, und Einochs sprach: »Ich muß nun mein eigner Ochs sein.« So streifte er gutes Muthes dem Thiere die Haut ab und ritt damit zum Marktflecken, um sie zu verwerthen. Um die Haut ärmer und wenige Kreuzer reicher, trat er den Heimweg an. In einem Walde mußte er absteigen, und als er einmal eine Hand voll Gras ausrupfte, um seine Schuhe zu säubern, blinkte es zu seinen Füßen. Er sah nach und fand drei Töpfe mit Geld, so viel und so schwer, daß er es kaum auf dem Sattel fortbringen konnte, und langsam nebenher wandernd, kam er mit Einbruch der Dunkelheit in seiner Hütte an. Um seinen Reichthum zu meßen, schickte er seinen Jungen zum Schulzen und lieh eine Metze. Als er sie am andern Tage wieder zurücksandte, war in einer Ritze ein Groschen hängen geblieben, und als der Schulze den Jungen fragte, was Einochs damit gemacht habe, mußte er zu seiner größten Verwunderung hören, daß Einochs sein Geld gemeßen und fünf gestrichene Metzen voll eingesackt habe. Der Schulze hatte nichts Eiligeres zu thun, als nach dem Vorsteher zu gehn und ihm die neue Zeitung mitzutheilen, und als dieser hörte, daß der arme Einochs ein reicher Mann geworden sei, lief er mit dem Schulzen zum Geschwornen und machte diesem die Neuigkeit kund. Der [220] Geschworne war ein kluger Mann, der das Gras wachsen und die Fliegen husten hörte, und als er von dem ungemeinen Reichthum des armen Einochs hörte, meinte er gleich, es müße etwas dahinter stecken, und es möge wohl nicht ganz richtig sein. Die beiden anderen sahen sich verschmitzt an, und alle drei wurden einig, zu Einochs zu gehn und ihn kurz und gut zu fragen, an wem er den Mord und Straßenraub begangen habe. Gesagt, gethan. Der Geschworne trat voran in Einochs Hütte, räusperte sich und hustete, stützte sich mit dem Kreuze auf seinen Stab, hustete und räusperte nochmals und platzte dann heraus, Einochs solle nur gestehn, wen er heimlich erschlagen und des grausamen Reichthums beraubet habe. Und dabei hielt er ihm, um ihn zu überführen, den Groschen, der in der Metze hängen geblieben war, vor die Nase und sprach: »Kennst du diesen!« Einochs, der gar nicht wußte, was dem Schulzen und dem Vorsteher und dem Geschwornen durch den Sinn gefahren sei, wurde ganz betreten, und als er endlich erfuhr, daß der Schulze seinen Jungen ausgefragt hatte, legte er sich aufs Leugnen und wurde den dreien immer mehr verdächtig. Zuletzt, als er nicht mehr ausweichen konnte, gestand er seinen Reichthum ein und log noch mehr hinzu, als er hatte, sagte den dreien aber, er habe weder jemanden beraubt noch umgebracht, sondern alles ehrlich für seine Ochsenhäute gelöst, die bei den Schuhmachern auf dem Markte reißend abgegangen und dreifach mit Geld aufgewogen seien, da schon lange Mangel an Leder vorhanden, und die Leute in Gefahr gewesen, barfuß laufen zu müßen; wenn er nur noch viele Ochsen und Kühe zu schlachten gehabt hätte, würde er mit allen Häuten einen guten Handel haben machen können; die Nachfrage sei gar zu groß. Der Geschworne blinzte den Vorsteher, der Vorsteher den Schulzen und der Schulze den Geschwornen an, und alle drei begaben sich hinweg, um auch reich zu werden. Am andern Morgen brüllte in den Ställen des Schulzen, des Vorstehers und des Geschwornen weder Rind noch Stier, weder Kalb noch Kuh; dafür aber fuhren die drei mit beladenen Wagen dem Markte zu, und auf jedem Wagen lagen Ochsen- und Rinderhäute die schwere Menge.

[221] Auf dem Markte drängten sich die Leute und hatten wenig Acht auf die Rinderhäute des Schulzen, des Vorstehers und des Geschwornen. Dann und wann trat ein Schuster oder Gerber an den Wagen, rupfte und zupfte an einer Haut und gieng seines Weges. Als nach geraumer Zeit sich endlich ein Käufer einfand, machte der Schulze eine wichtige Miene und forderte so gewaltig viel Geld, daß der Käufer lachend davongieng. Beim Vorsteher war der Handel nicht billiger, und der Geschworne war viel zu klug, um seine Ware den schlauen Stadtleuten zu schenken. Er hielt sie noch höher im Preise als der Vorsteher und der Schulze. Der Gerber, der beim Schulzen gelacht, beim Vorsteher verwundert den Kopf geschüttelt hatte, wurde beim Geschwornen verdrießlich und wollte sich nicht zum Narren haben laßen. Er schalt laut auf die dummen Bauern, und die dummen Bauern wollten das nicht auf sich sitzen laßen. Ein Wort gab das andre, von Worten kam es zu Püffen, daß darüber ein Gedränge entstand, und gar ein Auflauf und Tumult daraus wurde, wobei dem Schulzen, dem Vorsteher und dem Geschwornen die Häute vom Wagen gerißen und hierhin und dorthin verschleudert wurden. So hatten sie viele Nehmer, aber keine Zahler gefunden und mußten noch froh sein, mit heiler Haut davonzukommen. Ärmer, als sie hingefahren, fuhren sie wieder heim und schwuren Einochs den Tod dafür, daß er sie so geäfft hatte.

Einochs traute dem Handel nicht recht und dachte daher einen neuen Muthwillen aus. Er bestrich seine Frau mit dem Blute eines geschlachteten Schweins, legte sie in der Stube auf eine Bahre und bedeckte sie mit einem weißen Laken. Als der Schulze, der Vorsteher und der Geschworne in Einochs Haus stürmten, um Rache an ihm zu nehmen, erschraken sie vor der Frau auf der Todtenbahre, und anstatt über Einochs herzufallen, fiengen sie mit ihm zu klagen an, bis sie erfuhren, daß Einochs seiner Frau den Hals abgeschnitten habe. Da wurden sie wieder zornig und wollten dem Frevler an das Leben. Einochs aber hieß sie schweigen, zog eine Flöte von Weidenbast hervor und gieng blasend dreimal um die Bahre. Dann gebot er der Hingestreckten, [222] sich zu erheben, sich zu waschen und wieder einzutreten. Die Frau erhob sich über und über mit Blut bedeckt unter dem Tuche, gieng hinaus, um sich zu säubern, und trat dann sauber und rein wieder in die Stube. Der Schulze, der Vorsteher und der Geschworne rißen die Augen sperrangelweit auf. Die Frau kam ihnen jünger und schöner vor als früher, und als Einochs ihnen sagte, das komme alles von der Wunderkraft seiner Flöte, deren Ton Todte erwecke und alte Weiber jung mache, baten sie ihn so lange, bis er ihnen die Flöte lieh. Der Schulze, als der vornehmste unter ihnen, bekam die Flöte zuerst. Alsbald gieng er nach Hause, befahl seiner Frau sich hinzustrecken, und als sie es lachend, weil sie nicht wußte, was ihr Mann vorhabe, gethan hatte, zog er ein großes Meßer hervor und schnitt ihr rasch die Kehle ab. Dann nahm er die Flöte, blies hinein und gieng dreimal um die Leiche. Kaum vernahm der Vorsteher den Klang der Flöte, als er seine Frau gleichfalls tödtete und dann eiligst zum Schulzen lief, um die Wunderflöte zu holen. Er gieng um die Leiche seiner Frau und blies aus Leibeskräften, um sie wieder lebendig und jung zu machen. Als der Geschworne das hörte, machte er es mit seiner Frau, wie es der Schulze und der Vorsteher mit ihren Frauen gemacht hatten, holte die Flöte und blies mit vollen Backen darauf, aber vergebens; alle drei Frauen waren todt und blieben todt. Da wurden der Schulze, der Vorsteher und der Geschworne über die Maßen zornig auf Einochs und machten sich auf, um dem Mörder und Betrüger das Leben zu nehmen.

Einochs hatte schon lange gewittert, daß die Luft nicht rein war, und wieder einen neuen Muthwillen ausgedacht. Er zog sein Pferd aus dem Stalle, stellte es mitten auf der Diele auf ein ausgebreitetes weißes Laken und füllte es hinten mit kleinen Silbermünzen von seinem Schatze. Als der Schulze, der Vorsteher und der Geschworne hereinstürmten, um Einochs zu tödten, blieben sie wie angewurzelt auf der Schwelle stehn. Von dem Pferde fiel ein Stück Geld nach dem andern auf das Linnentuch. Einochs that sehr verlegen, als er sich beim Aufsammeln des [223] Geldes überrascht sah. Die drei fragten ihn, ob das ein Wunderpferd sei, und Einochs sprach, er wolle kein Hehl daraus machen, da sie es doch einmal gesehen; ja, das Pferd sei ein Wunderpferd, und von ihm komme der Reichthum, den er mit Metzen gemeßen habe. Da baten sie ihn so lange, daß er ihnen das Pferd für schweres Geld verkaufe, bis er einwilligte. Sie legten zusammen, brachten das Geld und führten das Pferd mit sich fort. Der Schulze, als der vornehmste unter ihnen, bekam es zuerst und stellte es gleich in seinem Hause auf ein ausgebreitetes weißes Laken, band ihm einen großen Beutel mit dem besten Hafer vor das Maul, daß es die Nacht tüchtig freßen sollte, und konnte kaum schlafen vor Gedanken, was er mit allem Reichthum anfangen sollte. Endlich als es Tag wurde, lief er nach dem Pferde und suchte in den Rossäpfeln auf dem Laken nach Geld. Richtig fand er auch ein kleines Silberstück, das er gerade einstecken wollte, als der Vorsteher, den die Gedanken auch nicht hatten schlafen laßen, eintrat und den Schulzen glücklich pries, daß er in einer Nacht ein steinreicher Mann geworden sei. »Jetzt«, sagte er, »ist die Reihe an mir«, und damit faßte er das Pferd beim Halfter und führte es in seinen Stall. An Futter ließ er es nicht fehlen. Die Raufe wurde mit Heu gefüllt, die Krippe mit reinem Hafer, dem Wunderpferde ein großes weißes Laken untergebreitet, und der Stall zugeschloßen, damit niemand etwas merke oder wegnehme. Das Laken wurde auch voll, aber nicht voll Geld. Als der Vorsteher nachsuchte, sah er sich fast blind; aber er fand kein Geld. Ungeduldig kam der Geschworne herzu und meinte, der Vorsteher sei nun reich genug geworden, jetzt komme die Reihe an ihn, er wolle sein Theil auch haben. Der Vorsteher leugnete, daß er schon irgend einen Groschen gefunden habe, und schalt auf das Pferd und auf Einochs, der sie betröge und wieder betröge. Der Geschworne lachte dazu und glaubte, der Vorsteher wolle das Pferd nur länger für sich allein behalten, um noch reicher zu werden. Er faßte es deshalb kurz und gut beim Halfter und führte es in seinen Stall. Er machte es wie der Vorsteher, und es gieng ihm auch gerade wie dem Vorsteher. [224] Da war kein Geld und kam kein Geld. Zornig lief der Geschworne zum Vorsteher und mit dem Vorsteher zum Schulzen, und alle drei machten sich auf, um an Einochs Rache zu nehmen.

Einochs war nicht ganz wohl zu Muthe. Er dachte hin und her, was er machen sollte, wenn der Schulze, der Vorsteher und der Geschworne den neuen Muthwillen merken und dann kommen würden, um sich an ihm zu rächen. Als er noch so in Gedanken saß, die Ellenbogen auf die Knie und den Kopf in die Hände gestützt, kamen die drei mit blanken Spießen hereingestürmt und sprachen: »Einochs, du mußt sterben!« »Ja, das mußt du«, sagte der Schulze, »hast du uns nicht um die Rinderhäute betrogen!« »Und uns verführt«, sagte der Vorsteher, »unsere Frauen zu tödten!« »Ja und dann«, sagte der Geschworne, »haben wir wohl was von dem Pferde gehabt, als Stank und Undank!« »Du mußt sterben«, riefen sie alle wie aus einem Munde, »sterben mußt du!« »Ja, das muß ich«, sagte Einochs kläglich und schlug seine Augen gottsbarmherzig zu dem zornigen Schulzen, Vorsteher und Geschwornen auf, »sterben muß ich, es fragt sich nur, wann und wie. Ihr habt meinen Tod beschloßen, und ich will mich nicht wehren. Thut mir nur die letzte Liebe und setzt mich in ein Faß und werft mich ins Meer; einen andern Tod halte ich nicht aus.« Der Schulze, der Vorsteher und der Geschworne fanden den Wunsch nicht unbillig und beschloßen, da Einochs einen andern Tod nun einmal nicht aushalten könne, ihn zu ertränken. Alsbald wurde ein Faß herbeigerollt, Einochs hineingesetzt, der Boden eingelegt, die Reifen angetrieben, und hin giengen sie mit Einochs im Faß auf den Schultern. Vor dem Dorfe seufzte Einochs laut und vernehmlich im Faße, so daß der Geschworne ganz erschreckt rief: »Er stirbt, er stirbt!« »Ja, ich sterbe«, seufzte Einochs; »aber das macht mir keinen Kummer, ich seufze um ganz andre Dinge. Hört, ihr lieben Leute, ich will euch etwas bekennen. Da es nun doch einmal gestorben sein soll, was hilft mir nun Geld und Gut! Ich habe zu Hause noch das Geld verborgen, das ich aus dem Pferdehandel von euch gelöst habe. Das will ich euch schenken. Aber wenn ich todt bin, kann ich euch nicht [225] sagen, wo es steckt. Setzt nieder, lieben Leute, setzt nieder und hört mich.« Der Schulze, der Vorsteher und der Geschworne setzten das Faß ab, und der Schulze, als der vornehmste unter ihnen, sagte: »Sprich, Einochs, wo hast du das Geld hingethan, das du uns schenken willst.« »Ja«, sagte Einochs, »ich muß mich besinnen.« »Das ist wahr«, sagte der Vorsteher, »der Kopf mag ihm wohl brummen in dem Faße, er muß sich besinnen.« »Und wenn ich es euch nun sage«, sprach Einochs, »und ihr geht hin und findet es nicht gleich an seinem Orte, und ihr würft mich ins Meer, bei wem wolltet ihr denn fragen, ob ihr mich auch recht verstanden habt?« »Das ist wahr«, sagte der Geschworne; »wir wollen das Faß so lange stehen laßen, damit wir Einochs fragen können, wenn wir das Geld nicht finden, ob er uns die Wahrheit gesagt hat.« Der Rath war billig, und der Schulze und der Vorsteher hielten es für das Beste, zu thun, wie der Geschworne gesagt. »Lieben Leute«, sagte Einochs im Faße, »laßt es euch nicht leid sein, daß ich sterben muß, und vertrinkt das Geld, das ich euch schenken will, in der Schenke in kühlem Weine. Um mich seid unbesorgt; ich will hier schon warten. Zu Hause in der Stube hinter der Thür in dem Kasten unter der Bank liegt ein Schlüßel, mit diesem schließt den Schrank in der Kammer am Fenster auf; darin hängt ein Rock, in dessen Tasche ein Schlüßel steckt, der einen Kasten in der Stube unter der Bank am Fenster schließt, darin werdet ihr einen Beutel finden, in dem nichts ist; und auf dem Schranke, wo der Rock hängt, steht ein Kasten, der ist offen, und darin ist auch nichts. Aber in dem Kasten unter der Bank hinter der Thür in der Stube findet ihr neben dem Schlüßel ein Päckchen mit Geld. Das ist das Geld, das ich euch schenke, und das ihr in der Schenke in kühlem Weine vertrinken sollt.« »Ganz wohl«, sprach der Schulze. »Wir wollen es schon finden«, sagte der Vorsteher. »Wir wollen es schon behalten«, meinte der Geschworne, und alle drei machten sich auf den Weg nach Einochs Hause, um das Geld zu suchen, das er ihnen zum Weine gegeben. Sie nahmen in der Stube hinter der Thür aus dem Kasten unter der Bank [226] einen Schlüßel, der den Schrank in der Kammer am Fenster schloß. Darin fanden sie in der Tasche des Rocks den Schlüßel, der zu dem Kasten in der Stube unter der Bank am Fenster schloß. Darin lag ein Beutel, und in dem Beutel war nichts. »Einochs hat die Wahrheit gesagt«, sprach der Geschworne. »Er lügt doch nicht immer«, sagte der Vorsteher. »Er ist doch beßer, als man meinen sollte«, bemerkte der Schulze. Sie suchten dann weiter und fanden auf dem Schranke, wo der Rock hieng, einen Kasten, der war offen, und darin war auch nichts, genau, wie es Einochs gesagt hatte. Aber in dem Kasten unter der Bank hinter der Thür in der Stube fanden sie neben der Stelle, wo der Schlüßel gelegen hatte, ein Päckchen, das der Schulze, als der vornehmste unter ihnen, hervornahm und öffnete. Das Läppchen gab er dem Vorsteher zu halten und zählte dem Geschwornen das Geld in die flache Hand. Es waren 13 Schaf, 1 Stüver und 9 Witten, Geld genug, um einen kühlen Trunk dafür zu thun. Alsogleich machten sich der Schulze, der Vorsteher und der Geschworne auf nach der Schenke und waren fröhlich und guter Dinge.

Einochs in seinem Faße wartete, daß jemand des Weges kommen werde, und richtig kam auch ein Schweinhirt daher, der eine gestohlne Herde vor sich hintrieb und auf der Weidenflöte pfiff. Einochs pochte und klopfte in seinem Faße und schrie: »Ich will kein Schulze werden! ich will kein Schulze werden!« Erschrocken ließ der Hirt die Flöte fallen und wagte sich kaum heran, denn er glaubte, der Teufel stecke in dem Faße. Als er aber näher zuhörte, merkte er wohl, daß es ein Mensch war. Er fragte nach Grund und Ursache, und Einochs sagte ihm, die Bauern wollten ihn zum Schulzen haben, und da er sich geweigert habe, das schwere Amt auf sich zu nehmen, hätten sie ihn in das Faß gesteckt, um ihn zu ersäufen. »Oho«, sagte der Schweinhirt, »ist es so; da kann Rath werden. Ich will das Amt wohl verwalten. Steige nur heraus, daß ich mich hineinsetze.« »Ja, lieber Schweinhirt«, sagte Einochs, »treib nur die Reifen los, daß ich den Boden ausstoßen kann.« Behende trieb der Hirt die Reifen los, Einochs [227] stieß den Deckel ab und sprang aus dem Faß wie das Küchlein aus dem Ei. Der Hirt setzte sich geschwind hinein, Einochs legte den Deckel auf, trieb die Reifen an und führte die Herde pfeifend des Weges.

Der Schulze, der Vorsteher und der Geschworne hatten das geschenkte Geld in kühlem Weine verzecht und machten sich nun auf, Einochs ins Meer zu werfen. Richtig stand das Faß noch, wo sie es abgesetzt hatten. Als sie herbeikamen und das Faß auf die Schultern luden, schrie der da drinnen: »Ich will ja Schulze werden! ich will ja Schulze werden!« »Wir wollen dich beschulzen«, sprach der Schulze zornig, »du mußt des Todes sterben!« Der da drinnen hörte aber nicht auf zu toben und zu schreien, so daß der Vorsteher und der Geschworne meinten, Einochs sei vom Teufel beseßen, und an zu laufen fiengen, um ihn desto rascher ins Meer zu werfen. Nun waren sie am felsigen Ufer. Der Schulze stemmte sich rückwärts, der Geschworne, der hinten trug, kippte das Faß über, der Vorsteher half nach, und plump lag das Faß mit dem Manne im Meere. »Der betrügt uns nicht wieder«, sagte der Geschworne. »Er soll uns mit keiner Wunderpfeife mehr äffen«, meinte der Vorsteher. »Und Schulze wollte er gar noch werden«, sprach der Schulze. »Vor dem sind wir sicher«, riefen sie alle drei und kehrten zufrieden ins Dorf zurück.

Nach einigen Tagen schrien die Kinder im Dorfe: »Einochs kommt! Einochs ist wieder da!« Langsam, den Stab auf der Schulter, die Weidenflöte blasend, trieb Einochs die Schweineherde vor sich her ins Dorf. Der Schulze steckte den Kopf zum Fenster heraus, der Vorsteher legte sich auf die Halbethür, und der Geschworne trat auf die Schwelle. Alle trauten sie ihren Augen nicht, als sie Einochs sahen, wie er leibte und lebte. Der aber trieb langsam mit gesenkten Augen durch das Dorf auf sein Haus zu. Alsbald rannte der Schulze, der Vorsteher und der Geschworne ihm nach. Als sie ihn erreicht hatten, fragte der Schulze: »Bist du nicht im Meer ertrunken, Einochs? Wie kommst du wieder her, und wem gehören die Schweine?« »Wohl bin ich ertrunken und gestorben«, sagte Einochs demüthig; [228] »aber die große Liebe zu meiner Frau ließ mir keine Ruhe im Meere. Da ist es herrlich und schön; auf feuchten Weiden wimmelt es von prächtigen Schweinen, und jeder, der im Meer ertrinkt, darf sich wählen, so viel er will, und heimkehren, wann er will. Aber es ist so schön da, daß niemand heim will, der einmal die Herrlichkeit mit Augen geschaut. Da ist kein Hungern und Dürsten und kein Streit und keine Mühsal. Im stillen Frieden gehn die Menschen einher, und überall ist Ruhe und Liebe. Ich bin gekommen, mein Weib zu holen, der es dort beßer werden soll als hier.« »Sind dort im Meere«, fragte der Schulze, »auch Schweine für uns?« »Für euch und alle«, sprach Einochs liebreich; »der Fülle ist kein Ende, und des Reichthums kein Abgang.« »Und wo sind die größten und fettesten?« fragte der Vorsteher. »Da, wo die Felsen des Ufers am höchsten, und die Fluten des Meeres am tiefsten sind«, sagte Einochs. »Aber werden wir auch aufgenommen?« fragte der Geschworne. »Alle sind willkommen auf der Trift am Grunde des Meers«, sagte Einochs, »ihr aber vor allen; denn ich habe gesprochen von euch, wie man von euch sprechen soll nach Fug und Recht.« »Wohlan denn«, sagte der Schulze, der Vorsteher und der Geschworne, und alle drei machten sich auf zum Ufer und sprangen, wo die Felsen am höchsten, ins Meer, wo es am tiefsten war.

Einochs nahm seine Weidenflöte, gieng in des Schulzen, des Vorstehers und des Geschwornen Haus, blies ein sanftes Stücklein an den Leichen der Frauen, und alle drei richteten sich lebendig wieder auf und waren jünger und schöner, als sie vorher gewesen. Der Schulze, der Vorsteher und der Geschworne hatten die Kunst zu blasen wohl verstanden, nur nicht recht. Einochs aber verstand die Kunst aus dem Grunde.

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TextGrid Repository (2012). Colshorn, Carl und Theodor. Märchen und Sagen. Märchen und Sagen aus Hannover. 78. Einochs. 78. Einochs. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5715-D