27. Zwerg Lehnort.

Mündlich in Weibeck.


Ein Bauer war ohne seine Schuld sehr heruntergekommen, so daß er nicht mehr ein noch aus wußte; drum gieng er hin, kaufte sich für seinen letzten Kreuzer einen Strick, lief damit in den Wald und wollte sich am ersten besten Baume aufhängen. Als er so an den Bäumen aufschaute, begegnete ihm ein kleiner wohlgekleideter Zwerg und fragte ihn: »Was hast du denn im Sinn, daß du immer so bedenklich an allen Bäumen aufsiehst?« Der Bauer erzählte ihm sein Unglück, und daß er sich jetzt erhängen wolle; da aber trat der Zwerg zu ihm und sagte: »Das ist ein häßlicher Tod! Höre, ich will dir einige hundert Thaler ›lehnen‹; arbeite dich damit durch, und wenn du wieder im Wohlstande bist, bring mir das Geld wieder. Geh dann nur dort in den Berg, klopfe dreimal an den Felsen und rufe dreimal den Namen ›Lehnort‹; so will ich herauskommen und dir das Geld abnehmen.« Der Bauer voller Freude nahm das Geld mit Dank an, gieng damit nach Hause, arbeitete treu und fleißig und brachte es in kurzer Zeit so weit, daß er nicht nur seine Schulden abbezahlte, sondern sogar in Wohlstand kam.

[83] Als er das Geld, welches ihm der Zwerg geliehen, auch wieder erübrigt hatte, gieng er in den Berg, klopfte dreimal an den Felsen und rief mit lauter Stimme: »Lehnort! Lehnort! Lehnort!« Alsbald öffnete sich der Fels, ein kleines Männchen kam heraus, und das sprach zu ihm: »Lehnort ist gestorben und hat vor seinem Tode bestimmt, wenn du das Geld brächtest, so sollten wir es nicht annehmen, sondern es dir für immer schenken; denn du habest immer so fleißig gearbeitet und seiest in allen Dingen so treu gewesen.« Indem das Männchen noch mit ihm redete, sah er, wie sie Lehnort in einem gläsernen Sarge wegtrugen; hinter dem Sarge giengen lauter kleine Männchen mit langen schwarzen Röcken; auf dem Deckel saßen vier weiße Täubchen, zwei zu den Häupten und zwei zu den Füßen; und der Fußboden war von Moos, die Wände glänzten von lauter Gold und Edelsteinen, und alles Hausgeräth war mit schwarzem Flor behangen. Traurig darüber, daß er seinen Wohlthäter nicht mehr sprechen konnte, gieng der Bauer nach Hause, lebte aber mit seiner Familie glücklich und zufrieden, half manchem Nothleidenden, und alle dankten dem Zwerge noch in seinem Grabe.

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TextGrid Repository (2012). Colshorn, Carl und Theodor. Märchen und Sagen. Märchen und Sagen aus Hannover. 27. Zwerg Lehnort. 27. Zwerg Lehnort. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-56FA-4