82. Nothfeuer.

Bericht von A. Bruno.

(Aus Colshorn's deutscher Mythologie.)


Ich erzähle als Augenzeuge. – Es mochte im Sommer 1828 sein, als in Eddesse, Amts Meinersen, mehrfache Viehseuchen grassierten: unter den Schweinen die Bräune, und unter den Kühen der Milzbrand. Da nun die angewandten Mittel gegen diese Seuchen nichts vermochten, ward auf dem Versammlungsplatze, dem sogenannten Brink, von den Bauern großer Rath gehalten und darin beschloßen, am nächsten Morgen ein Nothfeuer, welches sich schon vielfach bewährt habe, anzuzünden. Der Bauermeister befahl darauf Haus bei Haus, den folgenden Tag vor Sonnenaufgang bei Strafe kein Feuer anzumachen und zum Austreiben des Viehes frühzeitig bereit zu sein. Am Nachmittage noch wurden die nothwendigen Vorarbeiten beschafft. In einer engen, durch [234] zwei stehende Planken eingeschloßenen Straße bohrte der Zimmermeister des Orts ein etwa drei Zoll tiefes und eben so weites Loch in einen eichenen Plankenpfahl, richtete dann einen zweiten Pfahl, mit gleichem Loche versehen, ungefähr zwei Fuß gegenüber auf, passte in die beiden Löcher eine eichene, etwa vier Zoll im Durchmeßer haltende Welle ein und befestigte an dem äußeren Pfahle noch einen Hebebaum, um mit diesem die Welle gehörig einpressen zu können. Gegen zwei Uhr morgens brachte jeder Hauswirth etwas Stroh und Buschholz mit zur bezeichneten Stelle und legte es nach vorgeschriebener Weise quer über die Straße. Die jungen Leute des Orts waren bestimmt, das Feuer anzureiben. Zu diesem Zwecke legte man um die beschriebene Welle ein neues, langes hanfenes Seil zweimal herum, und an jedes Ende desselben faßten, wenn ich noch recht behalten habe, die kräftigsten Junggesellen an, um durch Hin- und Herziehen des Seils die Welle in rasche Bewegung zu bringen. Nachdem nun noch die Zapfen der Welle mit Wagenpech und Theer gehörig versehen, und in unmittelbarer Nähe derselben viele Stoffe, welche leicht Feuer fangen, als Heede, Werg und aus Leinewand gemachter Zunder, angebracht waren, gieng die eigentliche Arbeit an. Mit einer wahren Wuth ward gerißen, es dampfte auch bald; aber wirkliches Feuer wollte es zum Schrecken aller Umstehenden immer nicht geben. Einige ältere Leute gaben schon den Rath, durch den Drechsler auf der Drehbank Feuer anmachen zu laßen – bekanntlich dreht dieser durch Reibung die schwarzen Ringe auf die sonst noch vielfach verzierten Arbeitsstücke –; andere sprachen den Verdacht aus, es müße wider Verbot in irgend einem Hause doch Feuer sein. Da auf einmal verklärten sich alle Gesichter: die Zündstoffe hatten Feuer gefangen und geriethen bald durch rasches Schwingen in der Luft in helle Flammen. Hiemit zündete man das zurechtgelegte Brennmaterial an, und als dasselbe ziemlich niedergebrannt war, eilte jedermann zu dem bereitstehenden Vieh. Dieses wurde nun mit Gewalt dreimal durch das Feuer getrieben, zuerst die Schweine, darauf die Kühe und zum Schluße die Pferde. Die Hirten führten nach dieser Prozedur das Vieh auf ihre Weide, [235] und die Hauswirthe, namentlich solche, welche besonders vielen Glauben zum Nothfeuer hatten, nahmen einen abgelöschten Brand mit in ihr Haus; die Asche aber ward weitum ausgestreut. – Ich bin in jener Zeit durch mehrere Örter dortiger Gegend gekommen und habe mehrfach die Spuren, die verkohlten Löcher in alten Zaunpfählen, von einem Nothfeuer herrührend, wahrgenommen. In jüngerer Zeit hat man dort, wie ich glaube, keine Nothfeuer mehr angemacht, wenigstens ist mir darüber nichts bekannt geworden.

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TextGrid Repository (2012). Colshorn, Carl und Theodor. Märchen und Sagen. Märchen und Sagen aus Hannover. 82. Nothfeuer. 82. Nothfeuer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-56C8-1