26. Die kluge Dirne.
Mündlich in Ribbesbüttel.
Ein Pachter hatte einmal einen Hofmeister, dem war die Frau gestorben, und seine Tochter führte ihm das Hauswesen. Nun gieng der Pachter alle Jahr mit seiner Frau umher, die Felder zu besehen, und da fand sich jedesmal, daß der Hofmeister das beste Korn hatte. Das war ihm sehr auffallend, und so sagte er denn eines Jahrs zu seiner Frau: »Hat er auch dießmal wieder die besten Früchte, so jage ich ihn fort und verklage ihn noch obendrein«; und sie besahen die Felder und fanden es wieder ebenso. Da kündigte der Pachter dem Hofmeister den Dienst und verklagte ihn als Betrüger bei der Obrigkeit. In einigen Tagen mußten beide vors Gericht, und da der Amtmann nicht herausbringen konnte, wer Recht oder Unrecht habe, gab er ihnen drei Räthsel auf und sprach: »Wer mir die binnen drei Tagen richtig erräth, der soll gewonnen haben.« Die Räthsel aber lauteten also: 1. »Was ist fetter als Fett?« 2. »Wie schwer ist der Mond?« 3. »Wie weit ist der Weg bis zum Himmel?« – Der Pachter kehrte vergnügt nach Hause zurück, erzählte die Geschichte seiner Frau und sprach lachend: »Das will ich schon lösen! Drei Pfund Fett sind fetter als ein Pfund; der Mond wiegt halb so viel, als wenn er voll ist, und wie weit der Himmel ist, das [79] weiß der Hofmeister so wenig als ich; die Antwort kann sich der Amtmann geben laßen, wenn er dort ankommt.« Also der Pachter. Als aber der Hofmeister nach Hause kam, da war er voller Angst und sagte zu seiner Tochter: »Jetzt geht's uns ein bißchen schlecht; der Amtmann hat uns drei Räthsel aufgegeben, die kein Mensch lösen kann, und wer sie nicht löset, verliert die Klage.« Da fragte die Tochter, was denn das wäre; und er sagte ihr die drei Räthsel. Nun lachte sie und meinte: »Das zu lösen, ist ja nur ein Spaß! Fetter als Fett ist der Erdboden; denn aus ihm kommt alles Fett, und in ihn geht alles zurück. Der Mond hat vier Viertel, und vier Viertel sind gerade ein Pfund. Der Weg zum Himmel ist nicht länger als eine gute Tagereise; denn es steht in der Bibel: ›Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.‹« Da war der Hofmeister guter Dinge und gieng am dritten Tage zum Amtmann.
Der Pachter langte auch bald an, und da er mehr war als der Hofmeister, kam er zuerst vor und sagte seine drei Antworten. Damit aber war der Amtmann gar nicht zufrieden und sprach: »Ihr habt kein einziges recht gerathen.« Hierauf wurde der Hofmeister eingelaßen, und der Amtmann fragte: »Was ist fetter als Fett?« Der Hofmeister antwortete: »Nach meinem dummen Unverstande muß es der Erdboden sein; denn aus ihm kommt alles Fett, und in ihn geht alles zurück.« »Getroffen!« versetzte der Amtmann; »wie schwer ist nun aber der Mond?« »Nach meinem dummen Unverstande gerade ein Pfund«, entgegnete der Hofmeister; »denn der Mond hat vier Viertel, und das pflegt so viel wie ein Pfund zu sein.« »Getroffen!« versetzte der Amtmann; »nun aber, wie weit ist der Weg zum Himmel?« »Nach meinem dummen Unverstande kann er nicht länger als eine gute Tagereise sein«, erwiderte der Hofmeister; »denn es steht in der Bibel: ›Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.‹« »Auch getroffen!« versetzte der Amtmann; »ihr habt die Klage gewonnen, und der Pachter soll euch behalten bis an euern Tod. Nun aber sagt mir, wer hat euch die Räthsel gelöst; denn aus euerm Gehirnkasten ist es nicht gekommen.« »Gewis nicht, Herr Amtmann«, sagte der Hofmeister, [80] »ich verstehe von solchen Sachen nichts; aber ich habe da so ein Ding von Mädchen, das weiß allerhand solche Geschichten.« »Ei, laßt doch das Mädchen 'mal zu mir kommen«, fuhr der Amtmann fort; »aber sie soll nicht kommen bei Tage und nicht bei Nachte, nicht gegangen und nicht gefahren, nicht gelaufen und nicht geritten, und sie soll Zeug anhaben und auch keins.«
Der Hofmeister gieng nach Hause und erzählte seiner Tochter, was sich begeben hatte, und sie solle selber einmal kommen, doch so und so, wie der Amtmann es gesagt hatte. Das Mädchen lachte und antwortete: »So seht nur zu, Vater, daß ihr einen Esel bekommt, und kauft mir auch einige Ellen Neßeltuch zu einem Kleide; dann soll es schon gehen! Denn es sind zwei Tage in der Woche, nämlich Mittwoch und Sonnabend, das sind keine Tage; das Neßeltuch ist kein Zeug und ist auch was; und wenn ich mich mit solchem Kleide an einem von jenen Tagen des Mittags auf den Esel lege, komme ich so beim Herrn Amtmann an, wie er's haben will.« Und es geschah also: des Mittags, als gerade die Betglocke schlug, hielt sie vor dem Hause des Amtmanns. Der verwunderte sich und sagte: »Das ist eine Blitzdirne! anders hätte sie gar nicht kommen können. Höre, Mädchen, meine Frau ist todt; willst du mich heiraten?« Das willigte sie mit Freuden ein. »Aber«, fuhr jener noch fort, »mische dich nicht in Prozesssachen, sonst sind wir geschiedene Leute; denn du würdest ja alles auf den Kopf stellen!« Sie nickte, gieng mit ihm ins Haus und wurde in derselbigen Stunde seine Frau.
Bald darauf kamen zwei Männer ins Dorf und kehrten im Wirthshause ein; der eine hatte einen Esel, der andere eine Eselin. Nun begab sich's, daß die letztere des Nachts ein Füllen bekam, und am andern Morgen stand es beim Esel. Da sagte der Herr des letztern: »Das Junge gehört mir«, und er nahm es mit. Der andere erzählte es dem Wirth, und der rieth ihm, er solle den Dieb verklagen. Er gieng zum Amtmann und brachte seine Sache vor, und die junge Frau war auch dabei; weil aber der Amtmann sich aus seiner Sprache nicht vernehmen konnte, so sagte der Eselstreiber: »Herr Amtmann, wenn ich nun der Herr, [81] ihr der Esel und eure –« »Kerl!« schrie der Amtmann, »bin ich euer Esel?« und er schlug ihn rechts und links hinter die Ohren und warf ihn von der Stube. Ganz verdutzt kam der Eselstreiber wieder beim Wirthe an und klagte ihm sein Leid, er habe nur Esel gesagt, und das sei doch ein ganz unschuldiges Geschöpf. »Wißt ihr was?« erwiderte der Wirth, »wendet euch noch einmal an die junge Frau des Amtmanns; die geht alle Morgen allein im Garten spazieren, und sie hilft euch gewis!« Er ließ sich das nicht zweimal sagen, und die Frau Amtmannin antwortete: »Leihet euch ein Fischnetz, geht damit auf jenen hohen Berg und fischet; bald reitet der Amtmann dort vorüber, und wenn er dann sagt, man könne auf Bergen keine Fische fangen, so sprecht nur, ebenso wenig könne ein Esel ein Füllen kriegen.« Er gieng hin, lieh sich ein Netz, stellte sich damit auf den Berg, und als der Amtmann vorüberritt, that er, als ob er fische. »Kerl, seid ihr rappelig, daß ihr da oben fischen wollt?« rief der Amtmann; »wie könnt ihr denn auf Bergen Fische fangen?« Der Eselstreiber antwortete: »Ebenso gut, als daß ein Esel ein Füllen kriegen kann!« »Wer hat euch das gesagt?« fragte der Amtmann. »Eure Frau«, erwiderte der Eselstreiber. »So bekommt ihr den jungen Esel, und ich verliere meine junge Frau«, sprach der Amtmann und ritt davon.
Als er nach Hause kam, sagte er zu seiner Frau: »Nun sind wir geschiedene Leute; denn du hast dein Versprechen gebrochen und dich in Prozesssachen gemischt. Zum Zeichen aber, wie lieb du mir gewesen bist, erlaube ich, daß du dir noch das beste Stück aussuchst, was es im ganzen Hause giebt; es soll dir gehören.« Sie drehte sich flink um und war schon mit sich einig, ließ sich indes nicht das mindeste merken. Ehe sie nun zu Tische giengen, mischte sie ihrem Manne einen Schlaftrunk in den Wein, und als er davon fest eingeschlafen war, ließ sie den Kutscher anspannen, und die Diener mußten den Amtmann in den Wagen tragen. Nun ließ sie nach ihrem Geburtsorte fahren und den geliebten Mann in eine alte Scheune bringen, die ganz voll Spinngewebe hieng; hier breitete sie ein Bund Stroh aus und [82] legte sich neben dem Amtmann nieder. Als er endlich erwachte, rief er: »Wo bin ich?« Sie antwortete: »In meinen Armen!« »Was soll das bedeuten?« entgegnete er; »was habe ich dir gesagt?« Sie sprach: »Daß ich mir das beste Stück aus dem Hause mitnehmen könne; und das allerbeste, was es im ganzen Hause giebt, das bist du, mein lieber Mann!« Da küsste er seine Frau und fuhr mit ihr zurück, und sie haben noch lange glücklich mit einander gelebt.