Die Ostereier der Reiserbuben

Die Reiserbäuerin von Haagrain sitzt am Rührfaß, dreht langsam das Schwungrad und stützt dazu den linken Ellbogen auf den Deckel des Fasses und das Haupt müd in die Hand, die gemach Perle um Perle des Rosenkranzes an der pichigen Seidenschnur hinabgleiten läßt.

Draußen werken und schaffen die Knechte und die Mägde, die Franzosen und der Alt, der Reiservater.

Denn er selber – der Reiserbauer – sitzt seit Jahr und Tag hinterm Ofen, starrt stumpfsinnig vor sich hin und taugt nimmer zu einem Tagwerk, seit ihn, wie der alte Dorfbader sagt, das Paralyß getroffen hat.

Mag vielleicht auch besser sein für ihn, wenn's gleich nicht gut ist für die andern; weiß er doch nicht, daß er seine Buben nimmer hat, den Sepp, den Girg und den Hans!

Aber sie weiß es – die Reiserin. Sie schaut trüb hinaus auf ihre Felder, die bestellt sind von Franzosen, wo fremde Hände säen und dereinst auch fremde Hände ernten werden.

Und immer seltener rollen die Gebetsperlen, bis sie endlich ganz still zwischen den Fingern der mageren Hand liegen, indes ein leiser Seufzer aus der Brust der Reiserin emporsteigt und sich zur Frage formt: »Für wen hab i jetzt g'arbat? – Für wen hab i g'haust? – Zu was leb i no und werk i no?«...

Da läuten sie zu Haagrain des Herrn Auferstehung ein.

Und von Reuth trägt's der Wind herüber und von Au; – überall wird's Ostern.

Es ist ein alter Brauch, daß alle Glieder eines Bauernhofes vom Bauern bis zum geringsten Hüterbuben und der Gänsdirn an Ostern so viel Eier erhalten, als jedem die Hennen an einem Tag ins Nest legen.

Und so hat auch die Reiserin droben in ihrer Kammer eine [901] Reihe von Schüsseln stehen, gefüllt mit Eiern: die eine mit dreißig – die andere mit zwanzig – und die nächste mit vierzig etwa -, wie es halt die Reiserhennen grad gut gemeint hatten mit jedem im Haus: mit ihm – dem Reiser – mit dem Alten – mit ihr – und den anderen.

Eilends läuft sie hinaus in den Hühnerstall, leert die Legsteigen eine nach der anderen und zählt: »Viere – und fünf san neune – und sieb'n san sechzehn – und acht san vierazwanzg – und drei san siemazwanzg. – Dees werd'n leicht gar die mein sein.«

Fürsorglich trägt sie den Reichtum in ihrer Schürze hinein ins Haus und füllt ein Körblein damit; danach kocht sie den Kaffee, backt Küchlein und Krapfen und stellt das Osterfleisch drin in der Stube auf den Tisch, der heut bedeckt ist mit dem alten hausgewirkten Tafeltuch aus feinstem Linnen.

Feierabend!

Der alte Reiservater steckt die schwere Uhr ins Samtgilet und hängt die dicke Kette mit den großen Talern daran; der Oberknecht rückt den Adlerflaum auf dem Hut zurecht, rollt den Bierbanzen in den Hausflöz und legt den Schlegel dazu; – und die Franzosen stehen lachend am Brunnen, einer sich schrubbend, der andere sich mit einem Roßkamm vor einem Spiegelscherben einen kühnen Scheitel ziehend – der dritte still seine Pfeife rauchend.

So kommt die Stunde des großen Halleluja und der Auferstehung.

Die einen kehren zurück von der Kirche – die anderen erheben sich grohnend von der Hausbank, wo sie ihre steifen Glieder ein wenig gestreckt und gedehnt haben – und gemach füllt sich die Wohnstube mit Menschen.

Auf dem Tisch steht nun die Schüssel mit den Nudeln und Krapfen, und die Mägde bringen dazu den Kaffee.

Der alte Reiser besprengt den Schinken mit Weihbrunn, [902] verbrennt geweihten Palm, streut die Asche über den Tisch und sagt: »Alsdann, eßt's und seid's gern da; insa Herr is aa wieder da.«

Und dann kommt die Reiserin mit den Eierschüsseln.

Die Stallmagd und das Gänsdirndl helfen ihr beim Tragen, indes die Franzosen schweigend ihre Kaffeesuppe auslöffeln und danach vom Tisch aufstehen.

Da sagt der Alte; »He da! Schamberle! Alfons! Goliat! – Dableib'n! – D' Hauptsach kimmt – d' Osteroar!«

Nun stehen zehn Schüsseln auf dem Tisch, und die Bäuerin beginnt – so wie sie es gewohnt seit langer Zeit – die Verteilung, jedem sein »Gelegtes« in der Schüssel darreichend, die von jeher für ihn bestimmt ist; dem mit einer gemalten Blume eine – dem anderen mit einem Spruch darauf – diesem eine blaue oder rote – dem anderen wieder eine weiße.

»Vater!«

Die Reiserin reicht ihrem alten Schwiegervater als erstem sein Gelegtes. »Reiser!«

Stumpfsinnig betrachtet der Bauer seine Ostergabe.

»Michl!«

Der Oberknecht bedankt sich: »Gelt's Good, Reiserin!«

»Lisl!«

»Gelt's Good.«

»Nandl!«

Die Stalldirn sagt ihr Dankwort.

Und dann kommt der Ochsenbub daran – und danach das Gänsdirndl.

Und dann hat die Reiserin noch drei Schüsseln vor sich stehen – drei bemalte – die von ihren drei Reiserbuben.

Wie vordem die Perlen am Rosenkranz, so fielen gleichmäßig alter Gewohnheit nach die Namen eines jeden im Haus.

[903] Und jetzt hebt die Reiserin eine von den bemalten Schüsseln – und sagt mit singender Stimme, so wie sie es tat Jahr um Jahr, so lang sie denken konnte als das Eheweib des Reiserbauern – sagt: »Girgei ...«

Erschrecken malt sich auf allen Gesichtern.

»Hansei ... Sepp ...«

Die Reiserin stellt mit leerem Blick die Schüssel ihres Girg zurück auf den Tisch – blickt unsicher über die versammelten Leute hin – und sieht die drei Franzosen bei der Tür stehen.

»Ja so«, murmelt sie; »es is ja Kriag.« –

Da am Tisch stehen die Eier der Reiserbuben.

Drei Franzosen. – Drei Schüsseln. – Die Hand zuckt ihr ... Dann greift sie nach dem Körblein mit den siebenundzwanzig Eiern von heut, gibt's den Gefangenen mit weggewandten Augen hin und sagt: »Da ... teilt's es enk.« Und nimmt danach die Schüsseln ihrer gefallenen Söhne in die Schürze und eilt hinaus, hinunter in die Hütte der Lehrschneiderwabn.

Die Wabn ist ein einschichtigs Häuslweib, das sich mit einer Stuben voller kleiner Kinderwar, einer alten Geiß und etlichen Kinihasen rechtschaffen durchschlägt durch dies armselige Erdenleben, indes ihr Lehrschneider draußen im Lothringischen einem Häuflein gefallener Landsturmleute treue Kameradschaft hält – irgendwo in einer fremden Grabstatt drin.

Grad hockt sie hinten in der Schupfe auf einem niedern Schemel – die Lehrschneiderwabn – und melkt ihre Armeleutkuh; drin in der Stube balgen sich die Buben mit den Maidln, eins schreit in der Wiegen und ein anderes auf dem Boden, – da kommt die Reiserin zur Tür herein.

Wortlos, zaudernd schier steht sie still; ihr leerer Blick irrt scheu und fremd über das kleine Häuflein Elend hin, – dann tritt sie rasch an den Tisch und leert ihr Fürtuch aus.

[904] »Da, i hab enk epps bracht«, sagt sie mit rauher Stimm; »a paar Osteroar.«

Und legt also alles hin, was sie bei sich trägt – die ganzen Ostereier der drei Reiserbuben.

Dann geht sie wieder heim und tut still ihr Tagwerk, wie sie es gewohnt.

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TextGrid Repository (2012). Christ, Lena. Erzählung. Bauern. Die Ostereier der Reiserbuben. Die Ostereier der Reiserbuben. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-52AC-3