[7] Personen des Vorspiels
- Karl Baron Heldenberg, Diplomat.
- Viktor Graf Hohenfels, Diplomat.
- Franz Graf Krondorf, Oberleutnant.
- Ernst Bergmann, Angehöriger einer radikalen Fraktion.
- Franz, Diener Heldenbergs.
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[7] Personen des Vorspiels
Personen der vier Akte
Vornehmes, mit erlesenem Geschmack eingerichtetes Arbeitszimmer Baron Heldenbergs. Zwei Türen, ein Fenster. In der Mitte des Zimmers ein breiter Diplomatenschreibtisch. Davor ein Lehnsessel. Tischtelephon. An den Wänden kostbare Bilder. Im Zimmer herrscht einige Unordnung. Auf dem Teppich liegen Zigarettenreste, am Schreibtisch eine Reitgerte, ein Paar Handschuhe. Nachmittags.
Elegante Lebemannserscheinung. Er geht in sichtlich großer Erregung im Zimmer auf und ab, raucht Zigaretten an, wirft sie nach einigen hastigen Zügen in die Ecke. Dann tritt er ans Fenster, blickt hinaus. Diese Ungewißheit! Sie wird nachgerade unerträglich! Wie lange die auch ausbleiben!
Er hat mit dem Portier gesprochen, als die beiden Herren Grafen fortgegangen sind. Die werden ihn wahrscheinlich gesehen haben.
Verwünscht! ... Na, jetzt ist's ja schon geschehn.Pause, dann leichthin. Hat er mir etwas sagen lassen?
Der Herr Baron werden entschuldigen ... aber ... aber ... der Herr ist von der radikalen Fraktion, Herr Baron!
Der Herr Baron werden gütigst entschuldigen ... ich bleibe nicht in einem Hause, in welchem Leute von der radikalen Fraktion aus- und eingehen. Ich öffne solchen Leuten nicht die Türe, Herr Baron, und ich grüße solche Leute nicht ...Pause dann stockend. Und da wollt' ich eben fragen, ob der Herr Baron ... empfangen oder nicht.
Du, Bengersdorff? Ja, hier Heldenberg. Ja, ich selbst. Was ist los? Erschrickt. Was sagst du? Nicht möglich! Der junge Seestädt? Erschossen? Gestern nachts? Schrecklich! Der arme Junge! Wie alt? Erst 20? Entsetzlich! Kennt man den Grund? Wie? Zuckt zusammen. Spielschulden? Oder? ... Wie sagtest du? Man hört so schlecht ... Ehrenwort gebrochen?Wischt sich den Schweiß von der Stirne, lacht rauh auf. Ja ... dann konnte er doch nicht anders ... Wie meinst du? Er hätte sich nicht erschießen sollen? Trotz Ehrenwortbruches nicht? Ja, aber die Gesellschaft, die »gute Gesellschaft«! Hättest du ihm noch die Hand gereicht? ... Ah, siehst du wohl ... [12] Laut und bitter auflachend. Siehst du wohl ...! Wie meinst du? Ob ich ...? Nein, ich auch nicht! Ich ... haha ... hätte ... haha ... ihm die Hand auch nicht gereicht! Na, lassen wir die Sache. Wann, sagst du, ist das Leichenbegängnis? Morgen um 11 Uhr? Gewiß, ich komme, ich komme ganz bestimmt. Das heißt ... natürlich, wenn mir bis dahin nichts passiert ... Was mir passieren könnte? Na, ich könnte doch möglicherweise bis morgen auch tot sein? Wie? Du lachst? Haha ... was es da zu lachen gibt, weiß ich nicht. Du mußt zugeben, ich kann bis morgen tot sein ... Ich werde vielleicht bis morgen tot sein ... hahaha ... nun lachst du schon wieder! Na, wie gesagt, 's ist gut. Und wenn ... mir bis dahin nichts passiert, bin ich morgen um 11 draußen. Servus, servus. Ja. Schluß.Läutet ab; er wirft sich in den Lehnsessel vor dem Schreibtisch. Mit zusammengebissenen Zähnen. Wem er dasselbe morgen von mir ...?
Im Aussehen gleicht er seinem Vetter. Er ist der Typus des jungen Aristokraten. Er ist in seinen Bewegungen weniger lebhaft als Krondorf, sein Gesicht verrät nichts von seinem Denken und Empfinden. Er betont in seinem Auftreten den Diplomaten.
Gott sei Dank, daß ihr da seid. Was bringt ihr? So sprecht doch! Nimmt er an? Nimmt er die Forderung an?
Verweigert sie ... sagst du? Verweigert sie? Bange Pause; Hohenfels geht auf und ab, Krondorf tritt ans Fenster.
Du hast Spielschulden nicht gezahlt, du hast dein Ehrenwort gebrochen, du bist vor einer Woche beleidigt worden und hast nichts dergleichen getan! Erst auf das Drängen Stögers hin hast du ihn durch uns fordern lassen. Wir haben von nichts gewußt, sonst hätten wir deine Vertretung nicht übernommen. Du hast uns nichts von den Spielschulden und nichts vom Ehrenwortbruch erzählt. Du hat uns mißbraucht! Das alles ist Denkungs- und Handlungsweise eines ...
Du siehst wohl ein, daß – selbst gesetzt den Fall, er wäre bereit gewesen, dir Satisfaktion zu geben – wir dich nicht länger hätten vertreten können auf diese Erklärung hin?
Was ratet ihr mir zu tun? Ihr werdet doch wenigstens einen Rat für mich übrig haben. Ein Rat ist doch so billig; er kostet den Ratgeber ja meist selbst nichts ...
Ich möchte eure Meinung hören. Darauf habe ich doch ein Anrecht ... zumindest auf Grund des jahrelangen guten Einvernehmens, welches zwischen uns geherrscht hat. Pause. Krondorf, ich bitte dich, mir zu antworten. Was würdest du tun, wenn du in meiner Lage wärest?
Wenn ich in deiner Lage wäre? ... Abgesehen davon, daß ich niemals, hörst du Heldenberg, niemals in eine derartige Lage kommen könnte, würde ich nicht mehr darüber nachzudenken Gelegenheit haben, was ich tun soll.
Ich danke euch für den guten Rat. Ihr seid mir wirklich gute Freunde! Aber ich werde mir erlauben, euern Rat lieber doch nicht zu befolgen. Denn ich habe nur ein Leben zu verlieren und dieses eine Leben ist mir mindest soviel wert, als ...
Das soll wohl heißen: Pfui Teufel![15] Wie? Oder doch so ähnlich wenigstens? ... Ja, Pfui Teufel, in Gottes Namen, ja! Ihr habt es ja leicht, mir zu sagen: »Geh, leg dich hin und jag' dir eine Kugel durch den Kopf!« Euch fällt das nicht schwer. Höchstens euer Gewissen regt sich und das ist ja durch unsere schönen Moralansichten gar so leicht zu beruhigen! Ihr redet euch ein, es hat so sein müssen und zum Schlusse glaubt ihr noch, ihr habt ein gutes Werk getan, das ihr mir zu diesem Ausweg geraten habt. Eine Zeit lang bedauert ihr mich noch, sprecht noch über mich, wenn ihr im Klub zusammenkommt, sagt, so wie ich es heute über den armen Seestädt gesagt habe: »Der arme Junge! Schrecklich! Entsetzlich! In so jungen Jahren!« usw. Dann ist der Heldenberg abgetan, kein Hahn kräht mehr nach ihm. Du, Hohenfels, wirst noch um einen Vordermann früher Ministerialsekretär und du, Krondorf, gehst in den Generalstab, lebst, avancierst und kommst ebenfalls zu Ehren.
Aber ich will nicht! Hört ihr? Ich will nicht! Kein Mensch ist so schlecht, daß er, von seiner Schlechtigkeit und Schädlichkeit den andern gegenüber überzeugt, sich auf solche Weise aus dem Leben stehlen muß. Auf eure Moralansichten pfeife ich, auf die sogenannte gute Gesellschaft verzichte ich. Wenn sie nicht mit mir verkehren will, so soll sie's bleiben lassen. Ich finde auch noch eine andere. Wenn ich tot bin, habe ich überhaupt keine! So, und jetzt wißt ihr's, sagt es auch den andern: Das Unfaßbare geschieht, Heldenberg erschießt sich nicht! Er will weiterleben, nach dem noch weiterleben! Nach dem! Lacht.
Wer? Bergmann? Er ist draußen? Herein mit ihm! Herein mit ihm! Franz ab. Der kommt im rechten Augenblick ...
Sie sind mir willkommen, Herr Bergmann. Sie sind mir sehr willkommen. Schüttelt ihm die Hand. Wir werden – glaube ich – viel miteinander zu besprechen haben. Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Bergmann. Bergmann setzt sich Heldenberg gegenüber, welcher den Platz vor dem Schreibtisch eingenommen hat.
Ja.Blickt auf die Uhr. Ich sehe. Ich kann dich übrigens nicht einmal zu längerem Bleiben nötigen, denn ich muß selbst fort. Ich habe jetzt eine Konferenz und in einer Stunde beginnt schon meine Sprechstunde. Bis dahin muß ich wieder zurück sein.
Wir lehnen sie ab. Wir lehnen sie unbedingt ab, wie jede bisherige. Trotzdem plötzlich der ganze Staat »Hoch die Regierung« schreit!
Wir werden allein stimmen. Wir werden die einzigen sein, die in all diesem aufgepeitschten Gejubel dem Vaterlande – wie die Zeitungen schreiben – »die Mittel zur Verteidigung seiner Existenz« – verweigern. Und was werden wir erreichen? Die Vorlage kommt auch ohne uns durch.
Dann ist sie eben auch in unglaublicher Verblendung von dem Enthusiasmus, den die Regierung systematisch erzeugen läßt, angesteckt worden. Wir müssen die Vorlage glatt ablehnen. Punkt für Punkt. Oder etwa nicht?
Wofür denn? Du tust ja gerade so, als ob ich dir zu Gefallen die Vorlage ablehne. Es entspricht meiner Ueberzeugung, meiner durch nichts zu ändernden Ueberzeugung, daß eine Annahme der Vorlage ...
Ich habe ihn gestern mit einer Dame zusammen gesehen. Ich bin nämlich vom Theater gekommen und da muß ich, wenn ich in mein Restaurant gehen will, an Heldenbergs Haus vorüber. Er hat gerade das Haustor aufgesperrt und ist dann mit seiner Dame hinein verschwunden.
Ja, ja, der Heldenberg. Das sollte man ihm gar nicht mehr zumuten, wie? Er hat übrigens ein schlechtes Gewissen gehabt. Er war sichtlich sehr unangenehm überrascht als er meiner ansichtig geworden ist.
Na ja, sehr angenehm ist man ja nie berührt, wenn man in derlei Situationen einen guten Bekannten trifft. War sie wenigstens hübsch?
Das habe ich leider nicht konstatieren können, denn ich habe sie nur von rückwärts gesehen. Aber hochelegant war sie. Eine schöne dunkelgraue Straßentoilette und einen geradezu auffallend schönen Reiher ...
O, die sind teuer. Ich habe erst vor einigen Tagen für meine Frau einen bezahlt. Ein Vermögen kosten diese Reiher ... Ab.
Sie ist schlank, voll, sehr temperamentvoll und verfügt über eine ausgeprägte sinnliche Genußfreudigkeit, welche in Blick und Bewegung zum Ausdruck kommt. Dann müssen sie aber soeben erst fortgegangen sein. Dr. Ferndorf war bei meinem Mann.
[23]Gestern habe ich es dir verheimlicht, um dich nicht zu beunruhigen. Ferndorf hat uns beim Nachhausekommen gesehen. Mehr noch als das. Er hat gesehen, daß ich das Tor aufgesperrt habe, daß wir beide hineingegangen sind und hat wahrscheinlich gehört, daß ich hinter uns wieder abgesperrt habe.
Erschrick nicht gleich. Gesehen hat er uns natürlich. Ja. Erkannt hat er mich ganz bestimmt. Dich ebenso bestimmt nicht.
Das kann ja geschehen. Du wirst in Zukunft vorgehen, das Haustor aufsperren und offen lassen. Wenn ich nach einer Weile allein hineingehe, wird kein Vorübergehender sich etwas besonderes dabei denken ...
Nun, nichts besonderes. Ernst und ich würden uns wahrscheinlich scheiden lassen. Ich meinetwegen als der schuldige Teil. Was weiter?
Ich staune über deine Ruhe. Die trägst du aber auch nur zur Schau, weil du dich ganz sicher fühlst. Wenn es dazu kommen würde, haha ... Uebrigens frage ich dich: Ja, was dann weiter?
Du hast doch unzählige Male versichert, du würdest dich glücklich schätzen, wenn ich dir auf ewig angehören würde, wenn ich deine Frau wäre, usw. Erinnere ich mich recht, hast du sogar erst gestern wieder etwas ähnliches gesagt?
Gewiß, gewiß, so ist es auch. Aber ... aber heiraten ... so schnell geht die Sache nicht ... Die Formalitäten, weißt du, die Formalitäten ...
Wir brauchen es ja auch nicht so weit kommen lassen, Karl. Es kann ja auch meinetwegen aus sein. Bald. Gleich. Sofort! Ich habe es nicht nötig, mich wegzuwerfen!
Aber Marie, Marie! Will sie in seine Arme nehmen. Wie du gleich wieder bist! Aber das liebe ich ja an dir, gerade das. Dieses schrankenlose »Sichhinwegsetzen« über alles und dieses sprunghafte ins »Extremfallen«. Und wenn du zornig bist, dann bist du doppelt schön. Dann blitzen deine Augen und ... und um deinen Mund, da erscheint diese kleine, harte und dabei so süße Falte. Ich will sie küssen, diese kleine Falte, ich muß sie küssen ... Küßt Marie, die sich erst zur Wehr setzt, dann in seinen Armen ruht.
Siehst du, jetzt sprichst du gleich anders. Und du wirst sehen, kein Mensch bemerkt etwas. Annie fährt morgen zu ihrer Tante. Dafür ist zwar Heinz gekommen und soll bei uns bleiben. Schade, wenn der nicht gekommen wäre, da hätten wir es erst schön gehabt. Nun, es wird auch so schön bleiben. Aber jetzt geh, Karl. Mein Schwager muß jeden Augenblick kommen.
[26]Ja, ja, ich gehe jetzt. In einer dreiviertel Stunde bin ich ohnedies wieder hier. Ich habe mit deinem Mann in Parteisachen zu sprechen. Wir gehen selbstredend nicht zusammen fort. Diese Art Vorsicht ...
Aber natürlich. Ich habe noch Besorgungen und komme dann wie gewöhnlich in deine Wohnung. Einverstanden?
Ernst? Ach, der fragt erstens nie und zweitens, wenn er fragen sollte ... ja was sag' ich ihm dann nur ...? Nun, dann sag' ich ihm eben, daß ich mit einer Dame zusammen ins Theater gehe. Ernst ist ja übrigens ohnehin am Abend nicht zuhause.
Du kannst es ja nicht ableugnen. Man sieht dir's ja an! Will dir denn diese dumme Geschichte nicht aus dem Kopf?
Ich verstehe dich nicht; wie du deinem Vater so etwas Törichtes zumuten kannst! Wie stellst du dir denn das vor? Er, der radikale Parteiführer soll zugeben, daß seine Tochter den Sohn eines konservativen Grafen heiratet! Ganz abgesehen davon, daß dieser konservative Graf sein größter Gegner ist. Aber [27] das ist es ja eben mit dir. Du bist so, so ... ich weiß gar nicht wie ich es nennen soll ... wenn du Temperament hättest, würdest du die Grafen hassen, den jungen, wie den alten, der deinen Vater immer bekämpft. Du würdest dich in die Rolle versetzen können, wie sie der Tochter eines radikalen Abgeordneten dem Sohne seines erbittertsten Gegners gegenüber zukommt. Aber du? Du schweigst wie eben jetzt, läßt mich reden, gehst nachher auf dein Zimmer und verweinst den restlichen Nachmittag. Damit wird es weder besser noch schlechter und das entspricht wieder ganz deinem Charakter. Nur kein entweder – oder! Dafür ein süßes, säuselndes, nachträumendes Weinen, in welchem du ihn, dich, eure unglückliche »Liebe«, mit einem Wort alles, was euch betrifft, mit einer förmlich wehmütigen Lust auf dich wirken läßt; du, das ist auch eine Art Sinnlichkeit, wenn du mich auch immer glauben machen willst, daß du nicht wie andere Mädchen und Frauen empfindest!
Und wie steht es also mit Dr. Ferndorf? Weißt du, für mich gäbe es da keine Wahl. Ich würde mich auf der Stelle entschließen. Er ist ein junger, hübscher, äußerst kluger, gebildeter, gutmütiger Mann, hat elegante, vornehme Manieren, ist aus sehr gutem Hause, sehr reich, dabei in dich sterblich verliebt ... Warum hast du ihm eigentlich einen Korb gegeben? Ich weiß nicht, was klüger ist, gleich Frau Dr. Ferndorf zu werden oder erst in ein Tiroler Nest zu einer altmodischen Tante verbannt zu werden, um dann, wenn die unglückliche Liebe mit diesem Gräflein überwunden ist, den du ja doch nie heiraten wirst, schließlich nach zahlreichen, trüben Tagen doch Frau Dr. Ferndorf zu werden. Ist Dr. Ferndorf dir unsympathisch?
[28]Dr. Ferndorf ist mir sehr sympathisch. Ich verehre ihn, ich achte ihn hoch, aber ich liebe ihn nicht.
Ach, was weißt du von Liebe? Was verstehst du von Liebe! Glaube mir, Annie, ich mein' es dir gut. Und ich rate dir noch einmal: sei klug und nimm den Ferndorf. Du wirst es sonst einmal bereuen.
Eben deshalb rate ich dir ja: Nimm den Dr. Ferndorf. Heiraten kannst du den Viktor nicht, lieben sollst du ihn daher nicht. Bleibt nur, daß du den Dr. Ferndorf heiratest. Und ... ist man einmal Frau, kann man sich eher eines schmachtenden, guten Freundes erinnern und – erbarmen! Verstehst du mich endlich, Kleine?
Das gnädige Fräulein war eben noch hier. Einen Augenblick bitte, ich werde das gnädige Fräulein rufen. Wen darf ich denn melden?
Es ist mir gleichgültig, ich mußte dich sehen und sprechen. Übrigens hab' ich deinen Vater beobachtet, wie er fortgegangen ist. Und außer ihm kennt mich ja niemand hier.
Warum warst du gestern nicht bei der Stadtkirche wie gewöhnlich? Und vorgestern nicht und vorvorgestern auch nicht? Ich habe jedesmal bis in die späte Nacht gewartet. Ich habe es nicht länger ausgehalten. Warum bist du nicht gekommen?
Ich darf seit drei Tagen nicht allein das Haus verlassen. Papa hat es verboten und ich werde seit dem Tage, an dem du mit ihm gesprochen hast, förmlich bewacht. Er will verhindern, daß wir einander wiedersehen, bevor ich abreise. Morgen holt mich die Tante ab.
Oho! Das wollen wir doch erst einmal sehen! So leicht geb' ich dich nicht auf! Was kann denn ich dafür, daß mein Vater unglückseligerweise nicht irgend ein Hausknecht ist, sondern Großgrundbesitzer und Graf noch dazu! Es ist von deinem Vater ...
Das soll nun also das Ende sein? Das Ende unseres [30] Glückes, unserer kurzen Liebe, unseres Seligkeitstraumes? Annie! Und du kannst das glauben? Willst das glauben?
Ich hab's nicht so gemeint, mein Mädel, das weißt du ja. Aber ich bin ja schon verrückt. Meine Nerven halten diese Folter nicht länger aus ... Seit den drei Tagen, an welchen ich dich nicht gesehen habe, laufe ich wie ein Irrsinniger umher.
So laß uns unsere Lage ruhig überdenken, Viktor. Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder wir fügen uns oder wir fügen uns eben nicht.
Für mich kommt nur diese letzte Möglichkeit in Betracht: Wir fügen uns nicht! Heute nicht und morgen nicht und niemals! Pause. Und du, Annie, was gilt für dich?
Annie! – – Pause. Und wenn alles um uns und unter uns zusammenbricht ... wir haben schon einmal davon gesprochen, Annie ... so, so ...
Wir müssen uns heute noch treffen. Alles weitere wird sich dann finden. Du kommst in meine Wohnung, dort können wir ungestört beraten.
Laß mich nur machen. Ich gebe mich als der Bruder einer deiner Freundinnen aus, welche anläßlich deiner Abreise eine Jause gibt. Nenn' mir nur schnell einen Namen.
Gestatten, gnädige Frau, daß ich mich vorstelle. Mein Name ist Winter. Franz Winter. Ich bin der Bruder der Gretl Winter.
Die Mama hat mich nämlich hergeschickt. Wir haben erfahren, daß das Fräulein Tochter verreist und da hat die Mama eine Jause gerichtet. Es sind noch einige Mädchen geladen. Jetzt soll das Fräulein kommen und das Fräulein will nicht. Und dabei ist ja doch gerade das Fräulein die Hauptperson, nicht?
Das ist aber wirklich mehr als liebenswürdig von der Frau Mama. Meine Tochter wird auch kommen, gewiß wird sie kommen. Halblaut. Du kannst doch die Leute nicht brüskieren. Warum willst du denn nicht? Soll man sagen, daß du hochmütig bist? Du weißt, wie Papa darüber denkt ...
So hat er das sicher nicht gemeint. Geh nur ruhig hin. Er wird sehr einverstanden sein, daß du gegangen bist. Wenigstens vergehen dir die Grillen.
[32]Also gut. Sie zieht sich nur um und kommt Ihnen gleich nach. Auf Wiedersehen, Herr Winter, und eine Empfehlung an die Frau Mama, wenn auch unbekannterweise ...
Ein netter junger Mann. Ein sehr netter, sympathischer, junger Mann und ein hübscher Mensch. Geh, richt' dich her, damit du bald hinkommst und freu' dich auf den Nachmittag. Setz' endlich wieder einmal ein vergnügtes Gesicht auf und verlieb' dich nur fest in diesen Herrn Winter. Wird dir gar nicht schaden. Verstanden?
Ich muß leider. Ich muß. Meine Studenten warten. Es ist mir auch wirklich nicht leicht gefallen, mir diese drei Tage Urlaub zu verschaffen. Aber da ich Ihnen den Heinz auf fast acht Wochen überlassen soll und ich überdies mit meinem Bruder gerade Heinzens wegen ein sehr ernstes Wort zu sprechen habe ...
Weiß der Himmel, der Junge ist mir so an's Herz gewachsen, daß er mir auf Schritt und Tritt fehlen wird, wenn ich mir auch immer wiederhole, daß es nur acht Wochen sind.
Ja, glauben Sie denn, Friedrich, daß es uns, den Eltern, nicht mindestens ebenso schwer fällt, Heinz das ganze Jahr in der Fremde zu wissen?
Ich wollte Sie nicht kränken, Schwager. Doch bedenken Sie: Ernst sah seinen Sohn gestern zum erstenmal seit einem halben Jahr wieder. Wie oft hat er in der Zwischenzeit bedauert, Heinz so weit zu Ihnen fortgegeben zu haben, wenn Heinz auch dank Ihrer Verbindungen sein Einjährigenjahr angenehmer abdient, als es hier möglich gewesen wäre, wo jeder Offizier Ernst kennt und haßt.
So – Ernst bedauert! Hat er denn überhaupt Zeit, darüber nachzudenken, daß er auch Frau und Kinder hat? Mir scheint fast, daß nicht.
Sie tun Ernst unrecht. Er ist ja so angestrengt, seit er die Fraktionsleitung übernommen hat. Vormittags irgend eine Sitzung, Kommissionen und allerlei Wege für die Partei, nachmittags Sprechstunden und abends wieder Konferenzen, Sitzungen, die bis spät in die Nacht dauern. Und das geht so Tag für Tag.
Entschuldigen Sie nichts, Schwägerin. Sie wissen genau so gut wie ich, daß es da nichts zu entschuldigen gibt. Ihm ist der Rummel ja zu Kopfe gestiegen. Daß ich das erleben muß: Mein Bruder Führer einer radikalen Fraktion! Unser armer Vater muß sich ja im Grabe umdrehen!
Gehen wir ins Nebenzimmer, Friedrich. Mein Mann will nicht, daß seine Parteifreunde im Vorzimmer warten müssen.
Daran hat er sehr weise getan. Wie leicht könnte es so einem dieser ehrenwerten Herrn Parteifreunde beispielsweise einfallen, einen silbernen Leuchter schön zu finden. Mir scheint, Ernst kennt seine Leute doch recht gut!
Das war der Herr Professor Bergmann. Der Bruder vom Herrn Abgeordneten. Zum Vater. Sie müssen sich doch noch an ihn erinnern, Herr Meyer?
MEYER, VATER. Maria und Josef! Das war er? Das ist der, was ...? Ja, was macht denn der da?
MEYER, SOHN. Wer ist er denn, Vater?
MEYER, VATER. Hast du dir den gut ang'schaut? Weißt du, was der einmal g'sagt hat? Man soll uns alle aufhängen, hat er g'sagt, denn wir sind Hochverräter, hat er g'sagt!
MEYER, SOHN. Dich und mich aufhängen? Was hast du ihm denn 'tan?
MEYER, VATER. Dummkopf, net dich und mich, sondern uns alle, uns Radikale! Erinnern Sie Ihnen noch, Herr Diener? Und wie wir ihm dann aus dem Parlament hinausgeworfen haben? Erinnern S' Ihnen noch?
[35]No, no, no ... hinausgeworfen haben wir ihn nicht, das ist einmal schon nicht wahr. Der Professor ist freiwillig ausgetreten, weil er sich nicht hat entschuldigen wollen, wie er sie alle beleidigt hat, die Abgeordneten und den Vizepräsidenten, der den Vorsitz g'führt hat ...
MEYER, VATER. Der is nämlich auch einer von uns g'west und hat ihm gleich, wie er zum Schimpfen angefangen hat, zur Ordnung gerufen und die Wörter weggenommen oder wia ma da sagt ...
Ja. Die Sitzung is damals vertagt worden und gegen den Professor hätte der Disziplinarausschuß zusammentreten sollen. Dann hätte sich der Professor entschuldigen müssen. Aber das hat er nicht wollen und weil er auch nichts hat zurücknehmen wollen, ist er ausgetreten.
MEYER, VATER. Wer is zusammengetreten worden, damals? Man hört Schritte.
Grüß Gott, Grüß Gott. Was? Der Meyer? Und dieser Soldat? Ihr Sohn? Schön, freut mich, freut mich. Nehmt Platz. Zu Johann. Wenn der Herr Redakteur kommt, wird er sofort vorgelassen. Johann ab. Und nun zu euch. Ja, also mein lieber Meyer, ich habe mir die Sache überlegt, reiflich überlegt.
MEYER, VATER. Hört, Hört ...
Es ist eine zu geringe Geringfügigkeit.
MEYER, VATER dem langsam die Zornröte ins Gesicht steigt. So, So. Geringe Geringfügigkeit. Hört, Hört ...
[36]Hübsch nach Hause gehen Zum Sohn. und namentlich Sie beileibe niemandem erzählen, daß und weshalb Sie bei mir gewesen sind.
MEYER, VATER sehr gereizt. Und mir sollen alsdann gar nix unternehmen gegen die Sekkaturen, auch wenn man uns noch soviel antut, was? Und mein Sohn, der arme Bub, soll sich weiter schinden und plagen alle Tage und am Sonntag, da soll er sich noch extra einsperren lassen, was? Dös raten Sie uns, Sie, unser Abgeordneter?
Ja, entschuldigen Sie vielmals, bester Meyer, aber was soll ich denn in dieser Sache eigentlich tun? Ärgerlich auflachend. Soll ich vielleicht morgen den Ministerpräsidenten interpellieren, warum der Infanterist Meyer am letzten Sonntag Kasernarrest hatte? Soll ich das?
MEYER, VATER böse, grob. No, zum Lachen ist dös grad net! Freilich sollen Sie ihm intrböllieren. Aber Sie, Sie machen ja gar nix. Gar nix machen Sie für unserein'. Höchstens halten S' noch zu die Militärischen. Das haben mir ja erscht neulich g'sehn wia über die Maschingewehr' im Parlament dischkutiert worden ist. Und gestern, da haben's ja alle g'sagt: da haben mir uns amal schön angschmiert wia mir Ihnen gewählt haben. Jawohl, alle haben dös g'sagt, alle.
Meyer, was unterstehen Sie sich! Sind Sie denn betrunken, daß Sie annehmen können, ich würde eine derartige Bagatelle im Parlament zur Sprache bringen? Geht erregt auf und ab.
MEYER, VATER gedrückt nach einer Weile. Da können mir also jetztn gehn, Herr Bergmann?
MEYER, VATER. Vielen Dank, Herr Bergmann ... und nix für ungut, Herr Bergmann. Im Zurn, Herr Bergmann, da kommt einem bald was aus, Herr Bergmann, was einem nacha leid tut, Herr Bergmann, dös wissen S' ja ...
Schon gut, schon gut.
MEYER, VATER. Und vielleicht überlegen S' Ihna die Sach' doch noch einmal Herr Bergmann, und ... morgen um die Zeit da schau' ich halt wieder her, vielleicht ...?
Nein, nein. Morgen nicht, morgen hab ich keine Zeit.
MEYER, VATER sehr freundlich. Alsdann komm' ich halt übermorgen wieder um die Zeit. Die Ehre, Herr Bergmann, Kompliment. Mit seinem Sohne ab.
Wenn in den nächsten Tagen die Meyers kommen, werden sie nicht mehr vorgelassen. Sind noch Leute draußen außer Dvorsky?
Ich kann heute außer Dvorsky niemand mehr empfangen; schick' sie fort. Sie sollen morgen wieder kommen. Du wirst sie dann in der Reihenfolge wie sie heute da waren, vorlassen.
Herr Abgeordneter, die Leute murren, sie waren gestern auch schon da; manche von ihnen sogar schon vorgestern.
Ja, das tut mir sehr leid, aber ich habe heute wirklich keine Zeit mehr. Schick' sie fort. Johann ab. Man hört draußen Stimmenwechsel, dann mehrere lebhafte, erregte Ausrufe. Dvorsky tritt ein.
Ja es tut mir sehr leid, Dvorsky, daß ich Ihnen in dieser Angelegenheit nicht helfen kann; aber es ist augenblicklich nichts frei.
Wollen Sie mir nicht erklären, warum Sie lachen? Oder sind Sie vielleicht hergekommen, mich auszulachen?
O, ich lach nur, weil Sie gar so scheen liggen tun. Und Sie sulln froh sein, mein Libber, daß i bloß lach und ni schimpf.
Was fällt Ihnen ein? Was unterstehen Sie sich? Augenblicklich verlassen Sie das Zimmer! Unverschämter Wicht!
Was bin i? Eine unverschämte Knecht? Du, i bin ausgelernte Schlossermeister, verstähst, und keine Knecht! Verstähst du? Und was bist du? Eine Liggner und eine Betrigger bist du! Verstähst? Du tust die Leite goldene Berge versprechn und schmierst ihnen an. Verstähst? Solche Mensch bist du. Und dafir hab ich dir meine Stimme gegäbn und du hast nix dafir gegäbn und nur versprochn und nicht gehaltn?
Waas? Mir hinauswerfen mit Dinner? Mir hinausschmeißn mit Dinner? I pfeif auf ganze radikale Partei! Verstähst? Schwindler! Betrigger! Postn is nich frei? Gemeine Ligge! Cechische Abgeordneter hat mir schon verschafft! Gemeines Gesindel! Betrigger! Liggner! Johann hat ihn gefaßt und zerrt ihn hinaus. Man hört noch lange schimpfen.
Na, na, mach' dir nichts draus. Vor mir brauchst du dich nicht zu genieren. Aber weißt du, was ich konstatiert habe? Erstens, daß alle deine Räuspert sich. »Herren Parteigenossen« Choleriker zu sein scheinen, welchen du vor der Besprechung mit Brom aufwarten solltest und zweitens, daß die wichtigste Persönlichkeit im Arbeitszimmer des radikalen Fraktionsführers der Diener zu sein scheint. Ihm fällt die ehrenvolle Aufgabe zu, die p.t. Herren Parteigenossen nach beendeter Konferenz auf die Straße zu befördern. Rein wundervoll wie der Mann arbeitet. Dieser großartige Griff im Genick! Ja das macht die Uebung.
Dann ernst. Du, ich habe mit dir heute noch zu sprechen. Ich bin mit Heinz mitgekommen, um mit dir über seine Zukunft zu sprechen.
Lieber Bruder, du siehst ja, daß ich arbeite. Für dergleichen Dummheiten habe ich wirklich heute keine Zeit.
Ja, ja, ja. Ich weiß schon, was du sagen willst. War ja auch gar nicht so gemeint. Aber du siehst doch, daß ich zu arbeiten habe. Erstaunt aufblickend. Uebrigens ist die Frage der Zukunft Heinrichs, meines Wissens nach, bereits gelöst. Längst gelöst. Und ich wüßte nicht, was es da noch zu besprechen gäbe.
Doch, doch. Es gibt noch sehr viel Wesentliches zu besprechen. Wann hast du also Zeit, [40] wenn du jetzt für deinen Sohn keine Zeit hast? Ich fahre jedenfalls nicht früher zurück, bevor ich diese Angelegenheit mit dir ins Reine gebracht habe.
Ja, ich kann dir nicht helfen, ich hab' aber jetzt wirklich keine Zeit. Ich hab' noch eine Menge aufzuarbeiten und etwa in einer halben Stunde kommt jemand zu mir, mit dem ich konferieren muß ...
ad 1 ... Rüstungskredit ... lehne ich glatt ab. Begründung ... Schreibt. Das geht wirklich nicht, ad 2 ... Neuarmierung der Artillerie, besonders der schweren ... Schreibt. Geht ebensowenig an. ad 3 ... Erhöhung des Rekrutenkontingentes ... ja, damit noch mehr Leute zu den wichtigsten Zeiten der Bearbeitung von Grund und Boden und den Industrien entzogen werden, bloß um die Kasernhöfe zu füllen!Schreibt weiter.
Grüß dich Gott, Heldenberg. Bitte entschuldige mich nur noch einen Augenblick. Gleich bin ich fertig. Dort bitte sind Zigarren.
Weiß schon, weiß schon. Danke. Laß dich nur nicht stören. Ich hab' Zeit. Raucht an, läßt sich in einen Fauteuil fallen.
Bist du toll geworden? Du willst Forderungen dieser Natur in dieser Zeit die Zustimmung der Fraktion verweigern?
Allerdings will ich das. Und die Vorlage wird von uns – wenn auch nur von uns allein – abgelehnt werden.
Das wirst du sehen. Uebrigens, wenn es dich interessiert zu wissen, was ich morgen sprechen werde ... dort liegt das Konzept.
Nach einer Weile lacht er schallend auf. Du bist ja verrückt! Total verrückt! In der heutigen Zeit, in der das ganze Volk von einem nationalen Taumel ergriffen ist, in der es von plötzlich erwachter »Vaterlandsliebe« förmlich sprüht und einen – wie es sagt – »nationalen Krieg um seine Existenz« zu führen schon fast bereit ist, gegen die nötigen Mittel zu stimmen, erkläre ich als Wahnsinn. Die ganze Welt will den Krieg. Du willst ihn verhindern?
Das ist Worttüftelei. Lies die heutigen Zeitungen, geh' in Versammlungen. Ueberall tönt dir ein Wort entgegen: »Krieg!« Ueberall wird dir klar [42] gemacht, wie notwendig er ist. Wenn du gegen die Vorlage stimmst, ladest du auf die Partei das Odium der »Vaterlandsfeindschaft«, der Sympathie für den Gegner, der uns vernichten, uns ans Leben will. Das Volk berauscht sich zur Abwechslung an dem Einheitsgedanken aller Parteien, am allgemeinen Burgfrieden. Es erwartet, daß die Vorlage unter Jubel morgen von allen Parteien angenommen wird.
Wir haben genug gesprochen, genug gewarnt, genug gegen die öffentliche Meinung gekämpft. Jetzt ist es zu spät. Jetzt gilt es nur noch den Schein zu retten. Uns trifft sonst der Haß aller Parteien.
Ach was, Ueberzeugung hin, Ueberzeugung her. Ein Politiker braucht keine Ueberzeugung. Ein Politiker muß beweglich sein. Du hast dich überzeugt, daß deine bisherige Ueberzeugung eine unrichtige war und – wechselst sie eben. Da ist weiter gar nichts dabei. Damit du aber am Ende nicht wirklich in Gefahr kommst ...Zerreißt des Konzept.
Deine schöne Rede zu zerreißen? Mit dem Rechte deines Freundes und mit dem des Parteimitgliedes; wie ich glaube, nicht des jüngsten. Du wirst die Forderungen vorbehaltlos annehmen.
Schweig', sag' ich dir! Du pochst zu viel auf deine Freundschaft mit mir! Aber alle Stricke reißen mit der Zeit! Die Fraktion hat mir noch nie vorgeschrieben, wie ich mich zu verhalten habe. Die einzigen, die reden und immer den Mund offen haben, sind, wenn ich's recht überdenke, ja immer nur Heldenberg samt Anhang. Von euch aber habe ich mich gerade genug am Gängelbande führen lassen. Wenn ich aber in schwierigen Lagen an euch herangetreten bin, ihr sollt auch einmal raten, dann habt ihr nur stets bedeutet, die Suppe, die ihr mir eingebrockt, selbst auszulöffeln. Dafür wäre ich der Fraktionsführer! Aber jetzt habe ich genug!
Ihr alle seid ja [44] so ungeheuer klug! Ihr kritisiert immer so gut und trefft nachher stets das Richtige. Alles aber, wie gesagt, immer nachher. Wenn ihr vorher überhaupt einmal den Mund aufmacht, dann sagt ihr immer nur, wie etwas nicht ausgeführt werden darf. Aber wie es dann ja gemacht werden soll, darüber zerbrecht ihr euch eure Köpfe nicht. Dazu bin ich dann gut genug. Ich wiederhole dir, ich habe jetzt auch schon genug; mehr sogar, als einem gut und zuträglich ist. Ich verantworte, was geschieht, ich muß die Verantwortung auch tragen. Und ich sage dir, mich drückt die Verantwortung häufig zu Boden. Vor der Welt muß ich's verantworten, vor meinem Gewissen kann ich's oft nicht mehr.
Hör' auf, bitte, sonst übermannt mich noch die Rührung. Sprechen wir also von etwas anderem. Vielleicht gestattest du, daß ich dir über die gestrige Sitzung, in welcher du natürlich wieder durch Abwesenheit glänztest, referiere.
Ich habe keine Zeit für dieses nutzlose Gerede; ich dehne dafür lieber meine Sprechstunden aus und helfe einigen armen Teufeln, als daß ich als geduldiger Zuhörer den Redeübungen geistiger Analphabeten zuhören und applaudieren muß.
Bitte, bitte. Ich mache dir ja auch keinen Vorwurf. Ich habe ja nur die Tatsache deiner Abwesenheit konstatiert. Also gestattest du, daß ich dir referiere?
Ich halte es für notwendig. Also Herr ... der Name tut nichts zur Sache ... interpellierte der Maschinengewehrfrage wegen, die ... hm ... eine allerdings so eigenartige Lösung erfahren hat. Interpellant konstatierte mit Bedauern, daß du nicht anwesend seist. Du hättest vermutlich Gründe, dich nicht zu zeigen.
[45]Weiters fragte er, ob es nicht möglich wäre, die ganze Sache unter dem Hinweis, der Bevollmächtigte der Fraktion sei zur Ablehnung der letzten Vorlage im Namen der Fraktion nicht berechtigt gewesen, rückgängig zu machen.
Ich sagte schon anfangs: der Name tut nichts zur Sache. Uebrigens sprach der Mann, das war aus den lauten »Bravorufen« zu entnehmen, im Namen fast aller.
Interpellant meinte, es wäre geraten, dir beizeiten eine passende Hilfskraft zur Seite zu stellen. Es bestünde kein Zweifel – die Lösung der Maschinengewehrfrage hätte dies ja zur Genüge bewiesen – daß die Stellung, die du jetzt einnimmst, einen ganzen Mann mit Haaren auf den Zähnen erfordere. Ein solcher wärest du auch gewesen. Aber du würdest eben auch alt und die Haare gingen dir aus. Die auf dem Kopfe, welcher Umstand die Fraktion nicht sonderlich interessiert, als auch die auf den Zähnen, was die Partei zum ersten – und wie sie hofft und wünscht – zum letzten Male arg geschädigt hat. Dem Redner wurde allseits lebhaft zugestimmt.
So legt man mir mein Verhalten in der Maschinengewehrfrage als Starrköpfigkeit aus? Ich weiß, man hat es mir hinterbracht.
Fast allgemein. Man sagt, du wärest unseren Gegnern in die Falle gegangen, denen es nur angenehm ist, wenn allein wir stets gegen die Vorlage stimmen. Man sagt, du hättest dich – zuletzt in die Enge getrieben – verplappert!
Jetzt hab' ich's satt mit dieser Geheimniskrämerei! Entweder er oder ich! Deckst du den andern, der zweifellos mein Gegner ist, so bist zweifellos auch du heimlich mein Gegner! Also?
Unter deinem? Und du schlossest nicht die Versammlung? Du entzogst Brandl nicht einmal das Wort, als er mich, den Abwesenden, auf so unverantwortliche, ich muß es schon sagen, gemeine Weise angriff? Heldenberg?!
Es wäre nichts zu machen gewesen; die Stimmung aller war für ihn. Hätte ich ihm das Wort entzogen, wäre wahrscheinlich ein Tumult entstanden ...
Schon gut, schon gut; gib dir keine Mühe weiter; die Sache ist ja ohnehin nicht mehr zu ändern. Ist sonst noch etwas vorgefallen?
Wie? Für heute abend? Und davon erfuhr ich nichts? Und du, Heldenberg, wußtest darum und sagtest mir nichts? Zornig. Aber das wollen wir sehen, wer hier zu befehlen hat, Herr Brandl oder ich. [47] Ich werde die Demonstration sofort absagen und findet sie dennoch statt, so lege ich morgen die Führung der Fraktion nieder. Aus den Händen winden lasse ich mir nichts und ein Schattendasein werde ich auch nicht führen; darauf könnt ihr Gift nehmen. Tritt an den Schreibtisch, läutet; zu Johann. Verbinde mich mit der Zentrale. Johann ab.
Sei doch nicht gleich so aufgeregt, Bergmann. Ich habe ja noch nicht einmal Zeit gefunden, dir zu sagen, was die Leute durch die Demonstration erreichen wollen.
Diesmal irrst du dich, Bergmann. Die Leute wollen dich zurückgewinnen, so, wie du ehemals warst, wollen sie dich wieder haben. Und heute werden sie dir Ovationen bereiten. Deshalb haben wir es vor dir geheim gehalten.
Aber du sagtest doch, ihr wäret gegen mich, für die Annahme der Vorlage? Wie reimt sich denn das dann mit dem gestern Vorgefallenen?
Verzeih, Bergmann, aber ich habe nie behauptet, die Leute hätten sich in der Versammlung für die Vorlage ausgesprochen. Nur ich bin meiner innersten Ueberzeugung nach dafür, sie anzunehmen. Tust du's nicht, so ist das deine Sache in erster Linie. Deswegen soll aber unsere alte Freundschaft nicht in Brüche gehen. Und was die Sache selbst anbelangt, so kann ich mich nicht erinnern, daß gestern über die Vorlage gesprochen wurde. Also kannst du ganz unbesorgt sein und dich gleich mir auf die bevorstehende Huldigung freuen. Welchen Wert eine derartige Vertrauenskundgebung gerade im jetzigen Augenblick, vor der Ueberreichung deiner Antwort, bedeutet, magst du selbst ermessen.
[48]Er hat Heinz hierher begleitet; richtig, da fällt mir ein, daß er mich des Jungen wegen dringend zu sprechen wünschte. Entschuldige mich einen Augenblick, ich will ihn herüberrufen.
Was fällt dir ein? Bitter. Wenn mein Bruder und ich miteinander zu sprechen haben, kann die ganze Welt zuhören.
Also noch immer das alte gereizte Verhältnis? Eigentlich ja ganz begreiflich bei euren entgegengesetzten politischen Ansichten. Offen gesagt, ich wundere mich, daß du ihm deinen Sohn anvertraut hast! Wenn du das nur nicht einmal zu bereuen haben wirst.
Na, na, ich traue unserem Herrn Professor nicht über den Weg. Verflucht hat er uns damals zugesetzt, bevor ... na, du weißt ja ... wie geht es ihm eigentlich jetzt?
Die Stunde ist um, Ernst, bist du fertig? Erblickt Heldenberg, [49] will sich zurückziehen. Verzeih, du hast noch Besuch ...
Bitte, bleib' nur; ich bin schon fertig ... Vorstellend. Die Herren erkennen einander doch noch? Oder doch nicht mehr? Herr Chefredakteur Baron Heldenberg ... mein Bruder, Professor Dr. Bergmann.
Sie? Gedehnt. Sie sieht man ja überall! Einen Tag bin ich noch nicht hier, Sie hab' ich schon zweimal gesehen. Gestern mit Ihrer Frau und na, jetzt eben.
Nun, mit Ihrer Frau Gemahlin. Sie wohnen doch noch auf der Hauptstraße? Sie scheinen auf dem Wege ins Theater gewesen zu sein? Ich habe Sie gesehen, gerade als Sie aus Ihrem Haustor herausgekommen sind.
Das kann ich leider nicht sagen. Von der Dame habe ich nur ihr Kostüm und ihren prachtvollen Hut gesehen. Na, hätte mir ja denken können, daß man seiner Frau keinen so kostbaren Reiher kauft.
Ah, die Dame mit dem Reiher. Uebrigens, was das »Reiherkaufen« anbetrifft, muß ich dir lebhaft widersprechen. Ich habe meiner Frau erst neulich einen gekauft. Und was für einen schönen. Nicht wahr Marie?
[50]Immerhin, du könntest' ihn, bevor du weggehst, Friedrich zeigen. Er soll einsehen, wie sehr er Unrecht hat.
Weil ich finde, daß das ein Unsinn ist. Deine Frau soll ihre Toilette eigens ändern, damit sie einen Reiher zeigen kann! Der Herr Professor hat sicher schon Hunderte von Reihern gesehen. Er kann sich vorstellen, wie ein besonders schöner aussieht.
Baron Heldenberg hat ja schließlich recht. Es ist klüger, deine Frau stört sich in ihrer Theatertoilette nicht. Ich kann mir ja vorstellen, wie ein schöner Reiher aussieht. Pause, dann wie vorhin fortfahrend. Uebrigens, wart ihr vor etwa 14 Tagen nicht in Graz?
Heldenberg war dort. Ja, wir nicht. Du wirst dich wohl getäuscht haben. Ich war hier und meine Frau ... die war allerdings verreist. Du warst in Salzburg, nicht? Du warst doch bei deiner Freundin, der Frau ...
So, so. Ja, dann habe ich mich eben versehen. Es tritt ein äußerst betretenes Schweigen ein. Heldenberg versucht mehrmals ein Gespräch zu beginnen, wendet sich dann an Heinz.
Haben Sie sich aber verändert, Herr Heinz, seit ich Sie zuletzt gesehen habe! Wie lang' ist's wohl schon her? Eineinhalb Jahre fast? Oder noch länger?
Aber gerne ... ich wußte nur nicht, ob mir noch Heinz die Rechte des alten Freundes zugestehen will ...?
Es wird spät. Die Herren müssen entschuldigen – aber ich muß noch Toilette für's Theater machen. Tauscht mit Heldenberg einen bedeutsamen Blick aus.
Eine Demonstration ...? Wirft mißtrauische Blicke auf seinen Bruder und auf Heldenberg. Ihr seid doch nicht am Ende gegen die Vorlage???
Was ist das??? Drohend, unterdrückt zu Heldenberg. Heldenberg, was hat das zu bedeuten??? Heldenberg, gib mir Auskunft!!!
Ich weiß es selbst nicht, Bergmann. Davon war auch mir nichts bekannt. Aber jetzt um Gotteswillen keine [52] Unbesonnenheit! Du mußt in den sauren Apfel beißen. Tust du's nicht, so blamierst du dich und vor allem die Fraktion, welche dir huldigt, für ewige Zeiten.
Du kannst jetzt nicht mehr zurück, Bergmann. Ueberlege also nicht lange, sondern handle, als ob du die Demonstration billigst, als ob du sie gerne siehst. Sieh, wie dein Bruder schon hersieht ... Bergmann, jetzt frisch hinaus vor die Leute und zeige ihnen, daß der alte Bergmann jung geblieben ist, daß ihm die Haare auf den Zähnen noch nicht ausgegangen sind!
Gott sei Dank, Papas Fraktion demonstriert für die Vorlage! Man hört, als Bergmann und Heldenberg auf den Balkon treten, stürmische Hochrufe, dann tritt Ruhe ein; ein einzelner Redner spricht, häufig von Beifallsrufen unterbrochen; dann.
Ich danke euch, liebe Parteigenossen, für die sinnige Huldigung, die ihr mir soeben dargebracht habt und vor allem auch dafür, daß ihr eure feste Ansicht so klar und freimütig vor aller Welt zum Ausdrucke bringt. Offenheit und Ehrlichheit haben den Radikalen stets ausgezeichnet. Auch seine Gegner werden ihm einen Mangel in diesen beiden schönsten Tugenden nicht vorwerfen können. Und noch ein drittes freut mich: Daß unsere Meinungen wie immer, so auch diesmal in voller Ueberein stimmung sind. Und so werde ich denn – wie es unser aller Wille ist – die Militärvorlage morgen im Namen der Fraktion Pause. – annehmen!
Bergmann, was soll das heißen? Warum hast du den Leuten nicht die Wahrheit gesagt? Warum hast du diese Demonstration überhaupt zugelassen? Warum täuschest du die Leute? Heute demonstriert die Partei für die Vorlage und morgen lehnt sie die Vorlage ab!!! Die Partei macht sich lächerlich!
Das ist Verrat. Das ist Verrat! Ich habe dein Wort, Bergmann. Du hast dein Wort gebrochen. Ich verlange, daß du dein mir gegebenes Wort hältst!
Sie schweigen. Sie haben Bergmann beeinflußt. Er handelt gegen seine Ueberzeugung. Sie haben ihn überrumpelt. Das ist eine ...
Adieu meine Herren, ich muß leider fort. Adieu Ernst. Du bist ja auch außer Hause heute, nicht wahr? Also brauche ich mir kein Gewissen daraus zu machen, daß ich dich allein lasse. Und Sie, Friedrich, da bring' ich Ihnen meinen Reiher. Bewundern Sie ihn, sonst wird Ernst böse. Gefällt er Ihnen?
Sehen Sie wohl, sehen Sie wohl. Ist er so schön wie der Reiher, den die Dame getragen hat, welche Sie mit Herrn von Heldenberg gesehen haben? Aber da wende ich mich wohl besser an Herrn von Heldenberg selbst. Tritt vor Heldenberg, sieht ihm mit flimmernden Blicken in die Augen. Ein gerechtes Urteil, Baron Heldenberg, welcher Reiher ist schöner?
Sagen Sie nur ruhig, Herr Chefredakteur Heldenberg, daß Sie keinen Unterschied finden [58] können, weil Kleine Pause: Heldenberg zuckt zusammen, Ferndorf horcht auf, Professor, der alles beobachtet hat, spricht ruhig weiter. beide gleich schön sind.
Beide gleich schön? Wirklich? Na, dann muß ich mich halt trösten. Ich hatte geglaubt, ich bin die einzige in der Stadt, die einen so schönen Reiher hat. Ja, aber jetzt muß ich gehen. Es ist höchste Zeit für mich. Auf Wiedersehen, meine Herren. Adieu. Küßt Ernst Bergmann flüchtig auf die Stirne, ab.
Auch ich muß jetzt fort ... wir sprechen über die Sache noch ... ich muß jetzt fort. Adieu. Will zur Türe.
Es ging nicht anders, Ferndorf. Ich will dir alles erklären. Ich habe mich anders besinnen müssen ...
Ja, ja, ein anderes Mal. Ich muß jetzt fort. Reißt sich los. Ich hab' jetzt keine Zeit mehr. Adieu. Stürzt davon.
Vielleicht kann dir Herr von Heldenberg Auskunft geben.Geht gegen die Türe. Heinrichs wegen sprechen wir nachher noch, Ernst. Ab.
Ja, ich ... ich weiß wahrhaftig nicht. Die Herren geben uns Rätsel zu lösen. Bemüht, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Sprechen wir nicht mehr davon. Zu Heinz. Bleiben Sie jetzt dauernd bei Ihrem Vater?
Er hat außer dem Einjährig-Freiwilligenjahr, das nun schon bald zu Ende geht, noch ein Studienjahr vor sich, das er bei meinem Bruder zubringen muß. Etwas mehr als ein Jahr dauert es also noch.
[59]Breuer? Das ist eine gute Idee. Dort würde er auch gleichzeitig in die laufenden juridischen Arbeiten der Partei eingeführt werden können. Also sprich gleich morgen mit ihm.
Er hat den letzten Wortwechsel mitangehört. Jetzt wirft er einen raschen Blick auf Heinz und tritt näher. Ich habe hier meine Brille ver ... richtig, da liegt sie ja. Nimmt sie vom Tische, auf welchem sie liegt, an sich. Aber weil ich nun schon gerade da bin und eure letzten Worte gehört habe ... sage, Ernst, hältst du es wirklich nicht der Mühe wert, deinen erwachsenen anwesenden Sohn auch um seine Meinung zu fragen, ehe du, pardon, du und Herr von Heldenberg entscheidet, welchen Beruf er zu ergreifen hat? Bist du überzeugt, daß er den Beruf, welchen ihr ihm bestimmt habt, ergreifen will?
Du liebst Ueberraschungen, mein Sohn. Das muß ich sagen. Womit begründest du deine plötzliche Meinungsänderung?
Verzeih, Papa, ich habe meine Meinung nicht plötzlich geändert; ich habe vielmehr nie geäußert, ich wolle Advokat werden. Daß ich Advokat werden soll, daß ich einer werde, davon sprachst stets nur du.
[60]Du widersprachst mir nie, folglich mußte ich annehmen, du wärest einverstanden. Nach einer Weile. Du würdest mir durch dieses kurze, jedenfalls unbegründete Nein meinen Lieblingsplan, den ich jahrelang gehegt und gepflegt, den ich seit deiner Geburt mit mir herumgetragen habe, zerstören. Doch ich hoffe dich noch überzeugen zu können, daß das, was wir für dich ausgesucht haben, das Beste ist und ich bin überzeugt, daß du als mein gehorsamer Sohn, der du ja stets gewesen bist, dich auch jetzt meiner reiferen väterlichen Einsicht fügen wirst. Ich bin selbstredend weit davon entfernt dich zwingen zu wollen, einen Beruf, der dich nicht freut, zu ergreifen; solltest du besser gewählt haben als ich – mich soll es freuen. Geht auf und ab. Was willst du denn werden?
Nun? Mir scheint, daß es dir schwer fällt, deine Wünsche mir gegenüber zu präzisieren? Du bist Jurist; viele Wege stehen dir ja nicht offen und von diesen wenigen sind dir – meiner Stellung wegen –mehr als die Hälfte versperrt; denn lacht auf Staats- oder Regierungsbeamter wirst du wohl nicht werden wollen, als Sohn des radikalen Fraktionsführers Bergmann! Und was bliebe denn sonst noch viel? Etwa Notar? Oder willst du gar umsatteln und Wirft einen Seitenblick auf den Professor., Gelehrter oder Arzt oder weiß Gott was werden? Dann bedenke, daß du nicht mehr einer der jüngsten unter der studierenden Hochschuljugend bist ...
Vater, ich habe dich mein ganzes Leben lang mit Bitten verschont; es ist meine erste Bitte jetzt, schlag' sie mir nicht ab.
Wozu die lange Einleitung? Ich sagte dir ja, daß ich gewillt wäre, vernünftige Vorschläge [61] deinerseits zu prüfen, gegebenenfalls auf sie einzugehen. Nervös. Werde ich also endlich eine Antwort erhalten?
Ich kann ja nicht recht gehört haben ... es ist ja gar nicht möglich ... Was sagtest du, möchtest du werden?
Schweig' und untersteh' dich nicht, mir nochmals dieses Wort als Antwort zu geben! Du bist verrückt, wenn du an dergleichen nur denken kannst! Total verrückt!Rennt im Zimmer auf und ab. Man sollte ja lachen darüber und sich nicht ärgern, was so ein unreifer Junge ...
Ja, trotz deiner 24 Jahre unreif wie ein Schulbub, der ... Rennt neuerdings erregt auf und ab, tritt dann vor Heinz hin. Bist du denn wirklich bei Besinnung, wenn du etwas derart Ungeheuerliches aussprichst? Du und Offizier! Der Sohn des Abgeordneten Bergmann! Lacht gezwungen auf. Kannst mich dann jedesmal zum Abgeordnetenhaus begleiten und abholen, wenn ich dort wieder einmal gegen dieses Gesindel losziehe, das in den Tag hineinlebt, sorglos alles Geld vertut, was mühsamer Fleiß geschaffen, gegen diese Herren vom hohen Adel, die den Arbeiter am Marke saugen und nichts anderes für ihn haben als Verachtung! Wendet sich ab.
Kommen wir zu einem Ende. Du erklärst deinen an Irrsinn grenzenden Zukunftsplan aufzugeben und das zu tun, was ich für gut finde?
[62]Ich spreche jetzt mit meinem Sohne und dulde niemandes Einmischung, Friedrich; deine am allerwenigsten.
Bedenke die Folgen, Heinrich, die nicht der Onkel, sondern du wirst tragen müssen. Ueberleg' dir's gut. Der Sohn des Abgeordneten Ernst Bergmann darf und wird nie in Regierungs-geschweige denn militärische Dienste treten.
Laß gut sein, jetzt greif' ich ins Gefecht ein. Und geht's schlecht aus, du weißt, als mein Sohn findest du bei mir stets offene Arme.
Ernst, würdest du mit mir nicht einen Augenblick ins Nebenzimmer kommen? Ich möchte dir einiges, diese Sache betreffend, vorschlagen.
Sei nicht starrköpfig, Ernst. Dergleichen läßt sich doch nicht in fünf Minuten erledigen; wir wollen vernünftig die Sache erwägen ...
Erst gibt Heinrich die von mir gewünschte Erklärung ab und zwar vor Herrn von Heldenberg. Eher kein Wort!
Ich verbitte mir deine Bemerkungen; ich bin vollkommen bei Vernunft Die Sache geht nur mich an und meinen Sohn. Die Einmischung eines Dritten ist hier absolut nicht am Platze. Das habe ich dir bereits erklärt.
[63]Bitte Onkel, laß also die Sache. Ich will nicht, daß Papa dich meinetwegen beleidigt und kränkt. Das hast du dir nicht um mich verdient.
Nein, Vater, ich kann meinen Plan nicht aufgeben. Er bedeutet mein Glück, meine Zukunft.Tritt auf Bergmann zu. Vater, ich bitte, ich beschwöre dich, habe doch ein Einsehen; Onkel kennt Auswege ...
Keine unnötigen Worte; überlege dir es noch einmal, ehe du die Brücke zwischen dir und deinem Vaterhaus endgültig abbrichst.
Ich warne dich zum letzten Male, Heinz. Lenke ein und ich betrachte die heutige Begebenheit als nicht vorgefallen. Weigerst du dich zu gehorchen, sind wir miteinander fertig. Jetzt weißt du Bescheid.
Jetzt ist's aber genug mit dem Possenspiel. Und ich muß sagen, ich muß sagen ... meine Kinder, die geben's aber nobel! Meine Tochter setzt sich in den Kopf, einen adeligen Großgrundbesitzer zu heiraten, den Sohn eines konservativen Grafen, und mein Herr Sohn, der will nur eine Offizierstochter. [64] Und unter einer Gräfin tut er's auch nicht. Das trifft sich ja großartig!Herrisch. Kein Wort mehr darüber! Auch mit dieser Torheit wirst du aufräumen. Verstanden? Und ich füge zu meinen früheren Forderungen hinzu, daß du das Studium beim Onkel aufgibst. Deine Transferierung hierher wird durchzusetzen sein, du wirst fortan bei mir wohnen. Das Weitere wird sich finden. Narr, der ich war, dich einem solchen Einfluß auszusetzen! Geht erregt im Zimmer umher. Deine örtliche Trennung wird es dir auch leicht machen, etwaige Verbindlichkeifen, die du am Ende mit ... mit dieser Dame eingegangen bist, zu lösen.
Das ist die ein zige Antwort, welche du für mich hast, wenn ich dir sage, daß ich ein Mädchen liebe, welches mir mein Lebensglück bedeutet?
Dann bist du mein Kind nicht mehr, hast in meinen vier Wänden nichts mehr zu suchen. Verlaß' sofort mein Haus!
Bravo, bravo, Bergmann. Energisch sein jetzt und nicht eine Bohne nachgeben. Morgen kriecht er zu Kreuze.
Ich bin zu Ende mit dir. Adieu und werde glücklich in einem Beruf, in den dir der Fluch deines Vaters folgt.
[65]Du bist ein Vater? Was hast denn du für deine Kinder bereits getan, daß du dich unterfangen kannst, dich ihrem Glück entgegenzustellen? Deine Tochter, das arme liebe Mädel, hinderst du, den Mann ihrer Wahl zu nehmen, obwohl er ein tadelloser junger Mann ist, dem du nichts vorzuwerfen imstande bist, als daß er Aristokrat ist! Und das soll der Grund sein, zwei Leute, die glücklich werden können, unglücklich zu machen! Aber du, ich warne dich! Du kannst verhindern, daß die bei den einander heiraten. Das kannst du; denn du bist der Vater und deine Tochter ist noch minderjährig. Daß die zwei einander lieben, das kannst du nicht verhindern. Und ich sag' dir: hüte dich! Es könnte ein Unglück geben, das größer wäre als [66] eine Eheschließung der Tochter eines radikalen mit dem Sohne eines konservativen Abgeordneten. Und jetzt zu Heinz. Du willst den braven, ehrlichen Jungen verfluchen, weil er sich weigert, Radikaler zu werden, wie du? Unser Vater würde dich verflucht haben, wenn er es erlebt hätte, daß du einer geworden bist.
Friedrich, du weißt nicht mehr, was du sprichst. Nur der Boden, von dem aus ich dir erwidere, hindert mich, dir eine Antwort zu geben, welche du verdienst. Ich sage dir nur: Sei still und laß es gut sein jetzt. Sei froh, daß ich nicht Rechenschaft fordere für das, was mir mein sauberer Herr Sohn heute aufgetischt hat. Denn nur du allein bist ja an allem schuld.
Ich dachte, ein Familienrat würde es mir ermöglichen, mit dir die Sache in Ruhe zu besprechen. Ich hätte dir vorgeschlagen, daß ich Heinz adoptieren werde. Er ist ja ohnehin mein Patenkind und Erbe. Ich habe gehofft, mich mit dir beraten zu können. Aber du siehst ja in mir nichts als deinen politischen Gegner Gesteigert bis zu schrankenlosester Heftigkeit. hast für nichts mehr Zeit, als für deine sauberen Parteigenossen, die dir heute zujubeln und – ich schwör' es dir – noch einmal mit Steinen nach dir werfen werden, hast nur noch Zeit für diesen da, diesen ehrenwerten Herrn, der sich unter der Maske des Freundes in dein Haus geschlichen und es mit unerhörtem Schmutz besudelt hat, der dich in deinem Hause bestiehlt und zum Gespött der Welt gemacht hat ... für all' das hast du ja keine Ohren, keine Augen ... ich ... ach Greift sich an sein Herz, sinkt zurück.
Du, das erste, das ... das verzeih' ich dir. Aber das letzte Fast stöhnend. das mußt du bewei sen, [67] ehe ich dir's glaub', ehe ich dir's glaub' ... Läßt ihn los, wankt zurück; der Professor fällt zu Boden.
Er ist ohnmächtig. Beide springen hinzu, Heldenberg läutet. Johann und ein Mädchen kommen herein, alle bemühen sich um den Professor, den sie in das Nebenzimmer tragen. Heldenberg geht um einen Arzt, kommt bald darauf mit einem solchen zurück; eine Weile bleibt die Bühne leer.
Ich komme leider zu spät. Ein Schlaganfall. Der Tod ist augenblicklich eingetreten. Pause. Darf ich mein aufrichtiges Beileid ...
Und heute, da kommt sie wohl wieder zu dir, heute Nacht? Oder ist vielleicht schon in deiner Wohnung? ... liegt vielleicht schon in deinem ... Bett und träumt von deinen Umar mungen?
Inzwischen ist es dunkel im Zimmer geworden, es wird immer dunkler; von draußen werfen Straßenlaternen Licht ins Zimmer. Nach einer Weile hört man von ferne wieder die Rufe und das Gejohle der demonstrierenden, rückkehrenden Menge; bald kommt es näher, bald entfernt es sich. Endlich verklingt es ganz. Die Turmuhr einer entfernten Kirche schlägt, die Schläge anderer Turmuhren vermischen sich mit jenen der ersten. Dann tritt wieder völlige Stille ein. Nach einer Weile öffnet sich die Türe. Vom Vorzimmer fällt strahlendes Licht herein. Mit geröteten, fieberglänzenden Wangen tritt Annie ein. Ohne ihren Vater zu bemerken, oder von ihm bemerkt zu werden, bleibt sie im Zimmer einen Augenblick stehen, preßt mit glücklichem Gesichtsausdruck die Hände auf ihr Herz. Dann lauscht sie, schließt die Türe und schleicht auf den Zehen in ihr Zimmer.
Noch nicht ganz sicher. Wahrscheinlich morgen abend. Abfahrt 8 Uhr 30, Ankunft übermorgen früh 7 Uhr 20. Drei Tage dort Aufenthalt, dann Rückreise.
Das ist ja ein bereits großartig ausgearbeiteter Plan. Nur wirst du ihn, wie gewöhnlich, wieder umstoßen.
Viktor? Da tust du gut daran. Wird ihm ganz gesund sein, wieder ein paar Tage zur Abwechslung Landluft, Wald zu atmen. Für den ist die Großstadtluft auch nicht gerade die gesündeste. Was der Junge in der letzten Zeit treibt, so in den letzten vier Wochen ... will mir gar nicht gefallen.
[73]Ja, sehr günstig. Pause, dann. Ich habe, du weißt ja, Papa gebeten, mir zu erlauben, ein Mädel, ein liebes, gutes Mädel, zu heiraten. Allerdings, Fürstin ist sie keine. Papa war dagegen.
Vernünftigerweise, ja. Du heirate in deinem Stand und sie soll das in dem ihrigen tun. Ihr paßt nicht zusammen. Das sind zwei verschiedene Welten.
Ihr Vater sagte das auch. Auch er hat ihr nicht erlaubt, mich zu heiraten. Sonst hätten wir ja geheiratet. Denn auf Papa hätte ich nicht gehört, wenn er mir auch mit Enterbung, Verstoßung usw. gedroht hatte.
Die beiderseitigen Herren Väter sind, wie gesagt, übereingekommen, daß wir einander nicht heiraten dürfen und das sowohl von einander unabhängig, als auch beide aus demselben Grunde. Ihre politischen Anschauungen vertragen es nämlich nicht, daß ihre Kinder glücklich miteinander werden.
Ja, das hätte mir gepaßt, mit dem [74] Radikalsten aller Radikalen verwandt zu werden. Das wäre so etwas gewesen. Zum Obersten. Auch für dich wäre das eine ganz besondere Ehre gewesen. Weißt du, ihr Vater ist Führer einer radikalen Fraktion.
Und du einer konservativen. Ihr bildet euch beide ein, ohne euch ging's nicht und weiß Gott was für Wichtigkeiten ihr nicht auszutragen, auszukochen hättet! Dabei überseht ihr ganz, daß ihr euch nur spielt, daß euer ganzes Dasein, eure ganze Tätigkeit Spielerei ist, überflüssi ge Spielerei, die euch und etlichen Tausend anderen die Zeit vertreiben muß, weil ihr welche habt, in der ihr nicht euer Brot verdienen müßt. Daß nun eure Spielerei, euer Zeitvertreib uns soviel kosten soll ... unser ganzes Glück... Wendet sich ab.
Du, höre einmal, die Sache scheint dir ja verflucht nahe gegangen zu sein, wenn du deinem Vater solche Liebenswürdigkeiten sagst.
Laß ihn doch. Heute schimpft er und macht mir in seiner augenblicklich weltschmerzlichen Stimmung Vorwürfe. Und in einer Woche dankt er mir mit aufgehobenen Händen, daß ich ihn vor der größten Torheit, die er überhaupt in seinem Leben hätte begehen können, zurückgehalten habe.Pause.
Er hat versucht, mir klar zu machen, daß ja nicht gleich geheiratet sein muß. Noch dazu, wo es sich nicht um eine »Dame der Gesellschaft« handelt!
Bravo, ganz meine Ansicht. Das hätte ich dir auch gesagt. Zum Donnerwetter noch einmal, Junge, bist du ein Mann oder nicht? Muß denn immer gleich [75] geheiratet sein? Man nimmt sich das Mädel und das Heiraten überläßt man, einem anderen! So hätt' ich dir's gesagt.
Ich wollte ja eigentlich nicht mehr auf sie zurückkommen; aber da wir nun schon von ihr sprechen ... sie ist fort?
Seht euch doch mal den Duckmäuser an! Geht mit einer Leichenbittermiene umher, sieht drein, als ob er nicht bis zwei zählen könnt' und dabei ... Schweigt plötzlich auf einen Blick Viktors hin; Pause.
Ich bin mir noch nicht ganz klar ob ich mich erschießen oder als Schuft weiter leben soll. Aber ich glaube, ich werde mich doch erschießen. Wendet sich zum Gehen.
Wollen hoffen, daß nicht. Man erschießt sich nicht so leicht. Er wird mit der Zeit zur Besinnung kommen. Pause. Aber ich werde Sorge tragen, daß er sich bald verliebt.Wendet sich um. Schade, daß deine Alice nicht frei ist. Dort kommt sie ja gerade. Und hinter ihr natürlich ein ganzer Schwarm junger Herren. Sieh doch! Wo ist denn Ferdinand? Beide treten nach rückwärts.
Ja aber eigentlich Komtesse ... Sie sind sehr schlimm. Jawohl, sehr schlimm. Wir anderen sind ja auch noch auf der Welt. Jawohl, wir auch noch. Komtesse machen aber, als ob wir nicht auf der Welt wären. Jawohl. Gerade so machen es Komtesse. So oft man einen Walzer will – ist er vergeben. Jawohl, ist er vergeben. Und wer tanzt ihn dann? Immer ein und derselbe Herr. Jawohl, immer ein und derselbe Herr. Jawohl ... Ich bin bös, Komtesse, jawohl, bös bin ich, ganz bös. Und tief gekränkt, sehr tiefgekränkt. Jawohl. Wendet sich ab.
Der geht sich jetzt erschießen, Komtesse, da haben Sie's. Auf drei fällt ein Schuß. Aufpassen, ich zähle: Eins ... zwei und eins ist ...
Lassen Sie die Scherze, Steggendorff. Geh'n Sie lieber dem Baron nach und sagen Sie ihm, wenn er schön bittet, bekommt er dann eine Extratour. Steggendorff ab.
Elegante Diplomatenerscheinung. Da bist du ja. Man sieht dich ja fast nicht, so bist du umschwärmt. Die anderen Herren treten zurück zu Damen oder in Gruppen zusammen.
Lieber Herr Leutnant, darf ich Sie bitten, mir diesen Walzer abzutreten? Wenn Sie die Komtesse bitten, gibt sie Ihnen dann sicher eine entschädigende Extratour.
Bedaure, Herr Attaché, übrigens, wenn Sie die Komtesse bitten, wird sie Ihnen die entschädigende Extratour ja vielleicht auch nicht verweigern. Darf ich bitten, Komtesse? Führt sie am Arm fort. Ferdinand geht zornig nach links ab.
Augenzeuge war ich wohl; aber ich weiß nicht, ob ich euch was erzählen darf. Ihr kennt doch den Obersten. Und ich will nicht, daß es morgen das ganze Regiment schon weiß. Wenn man dann fragt, von wem hast denn du das gehört? Und du? Und du? Dann sagen alle einstimmig: Vom Horst, vom Horst.
[78]Viel ist ja nicht zu erzählen. Der Oberst und ich, wir gingen gestern wie gewöhnlich um 12 Uhr aus der Kanzlei über die Promenade nach Hause. Ich habe ihn noch ein Stück begleitet. Grad an der Stelle, an welcher der Reitweg die Promenade kreuzt, wird nun der Oberst plötzlich von so einem Kerl – er sah aus wie ein Maurer oder sonst etwas – angerempelt und statt sich zu entschuldigen, beginnt dieses Subjekt zu schimpfen, aber wie!
No, er hat halt zu schimpfen begonnen. »Glaubt ihr Steuerfresser, ihr Tagediebe, wir Steuerzahler bau'n die Straßen für euch, daß ihr nicht achtzugeben braucht?« oder so ähnlich.
Ah, der hat sich herrlich benommen. Eh' der Kerl auch nur zu Ende gesprochen hat, war der Säbel schon draußen, hat ihm der Oberst schon über sein Gesicht einen Durchzieher gegeben, prachtvoll. Der Kerl ist gleich zusammengefallen, ganz blutüberströmt. Und selbstredend gleich 500.000 Menschen um ihn herum, könnt euch ja denken. Na, heut' sind ja auch schon alle Zeitungen voll davon. Schon die Morgenblätter.
Aber doch selbstverständlich, Kinder, selbstverständlich! Ich werde euch was zeigen. Ich glaube nicht nur, sondern ich weiß bereits. Haha. Ich weiß bereits. Na, dem Oberst kann ja nichts geschehen. Gar nichts. Wenn auch die »Wahrheit« ...
Es ist eine Notiz drin. Der Oberst ist genannt. Direkt fürchterlich. Man hat mir die Zeitung, den Artikel rot angestrichen, zugesendet. Wer, weiß ich natürlich nicht. Und da zerbreche ich mir schon den ganzen Abend den Kopf, ob ich dem Obersten schon jetzt die Meldung machen soll ... dann ist ihm natürlich der Abend verpatzt ... oder erst morgen.
»Wir haben bereits in unserem heutigen Morgenblatte über das Attentat berichtet, dem einer unserer rührigsten Genossen zum Opfer gefallen ist. Unser armer, durch Säbelhiebe entsetzlich zugerichteter Freund ist ja leider nicht das erste dieser Art in diesem Jahre, welches an jenes mittelalterliche Ueberbleibsel eines dünkelhaften Standes glauben mußte. Der Attentäter ist diesmal ein Graf Krondorf, ein Oberst und Regimentskommandant. Aber schon auf diesem Wege sei ihm gesagt, daß ihm diesmal weder sein Grafentitel noch seine Oberstencharge helfen werden. Der Goldkragen dieses Herrn, von dem Schweiße und der Arbeit auch unseres armen schwerverwundeten Parteimitgliedes gezahlt, muß herunter, muß unserem Freunde zu Füßen liegen.«
Ernst Bergmann.
Hm ... und hiezu bemerkt noch die Redaktion: »Nachsatz: Wie wir soeben erfahren, hat die Fraktion ihren Führer beauftragt, den Fall Krondorf im Parlamente zur Sprache zu bringen. Daß es diesem bewährten Parlamentarier gelingen wird, unserem Genossen eine Genugtuung zu verschaffen, wie sie in dem voranstehenden Artikel angedeutet ist, erscheint uns unzweifelhaft.«
Aber gewiß. Greift in die Brusttasche. Da, seht doch her, wie man für mich gesorgt hat. Da ist[81] der Artikel, rot angestrichen. Doch nett von dem Einsender, nicht?
Ja, ich auch. Lächelnd. Doch meine Herren, verderben wir uns dieses Streiches wegen nicht den Abend. Sich umsehend. Vier Herren hier? Nein, das geht doch nicht. Die armen Damen bleiben ja sitzen. Und morgen steht dann womöglich wieder was über mich in der Zeitung ... also meine Herren, schnell engagieren, gehen ... Horst, Waldow, Steggendorff ab.
Seit drei Tagen. Heute nachmittags kam ich hier an. Ich habe mich nur umgezogen und bin dann hergekommen.
Ja, die Sehnsucht nach deinem alten Onkel war halt zu groß. Du hast es gar nicht mehr erwarten können, das Wiedersehen mit mir, wie?
Ich konnte ja mit ihr nicht mehr als zehn Worte bisher wechseln. Sie ist ja fortwährend von Herren umringt, förmlich belagert! Und für alle [82] hat sie einen Tanz frei; für ihren Räuspert sich. »angehenden Bräutigam« hat sie keinen aufgehoben, obwohl ich sie darum gebeten und ihr meine Ankunft angezeigt habe. Sogar den Souperwalzer hat sie vergeben.
Onkel ... Langsam. wer ist dieser ... Offizier, der, wie ich gehört habe, seit meiner Abwesenheit Alices unzertrennlichster Gefährte geworden ist?
Na endlich! Gott sei Dank, daß es draußen ist! Dacht' ich mir's doch gleich. Die Eifersucht plagt dich, mein Sohn.
Dieser Offizier, der dich in so schlechte Laune versetzt, heißt Heinz Bergmann, ist einer meiner jüngsten, aber nichtsdestoweniger einer meiner tüchtigsten Subalternoffiziere, ein glänzender Eisläufer und Tennisspieler – wie mir Alice erzählt hat – und ein nicht schlechterer Gesellschafter scheint er mir zu sein.
Sein Onkel, du hast ihn ja auch gekannt, den Universitätsprofessor Dr. Bergmann, den ehemaligen konservativen Abgeordneten? Er war ein guter Freund von mir. Er hat mich gesund gemacht, als ich vor zwei Jahren schon aufgegeben war. Der hat ihn zu mir gebracht, als er sein Einjährigenjahr abdienen mußte. Nun, und da er sich nach Ablauf dieses Jahres aktivieren lassen wollte und ich inzwischen konstatiert hatte, daß er aus dem Holz geschnitzt ist, aus dem unsere Offiziere geschnitzt sein sollen, so bin ich ihm – schon aus Freundschaft für den inzwischen verstorbenen Professor – und auch, ich muß es sagen, aus Dankbarkeit für ihn, an die Hand gegangen und habe ihn [83] gleich in meinem Regiment behalten. Er ist, wie gesagt, ein äußerst verwendbarer Offizier. Er wird es sicher weit bringen. Ich habe auch die Absicht, sobald er Oberleutnant wird, ihn zu meinem Adjutanten zu machen. Scherzend. Nun, zufrieden, Herr Attaché?
Pst, keine Widerrede. Die Genugtuung, daß Alice zu dir kommt, hast du schließlich redlich verdient. Also dahergesetzt und hübsch brav gewartet. Ab.
... Und das – ist der einzige Grund, weshalb Sie bedauern, den Grafen nicht getroffen zu haben? Alice, ist das der einzige Grund?
Einen Augenblick, nur einen Augenblick ... Ergreift von neuem ihre Hand. Alice, ich weiß nicht ob es der rechte Augenblick ist ... ich weiß es wirklich nicht. Aber sprechen muß ich trotzdem, Alice, ich muß sprechen, bevor wir gehen, den Grafen zu suchen. Darf ich sprechen, Alice?
Mit bewegter Stimme. Alice, es ist nicht viel, es sind nur einige Worte. Für mich ist es ein Gebet. Ein langes, inniges Gebet. Ein Gebet, ein Bekenntnis, ein Schwur ... Alice, ich hab' dich lieb ... so unaussprechlich lieb ...! Ich will dich auf meinen Händen durchs Leben tragen ... Alice, willst du dich von mir tragen lassen?
Jetzt bist du meine Braut, jetzt gehörst du mir. Ach, wenn du wüßtest, wie ich mich nach dir gebangt, gesehnt habe ... Zieht sie an sich. Ich bin jetzt restlos glücklich. Ich will vom Leben weiter nichts mehr, als stets deine Liebe und die Fähigkeit, dich glücklich zu machen. Und du, was willst du?
Nicht heute, nicht heute. Heute kümmern wir uns um nichts als um uns. Morgen will ich dir vieles erzählen.
Von deinen Eltern wirst du mir erzählen, ja? Das hast du noch nie getan. Von deinem Vater und von deiner Mutter und auch von deinen Geschwistern?
Nein, heute noch nicht. Du weißt, er hatte mit mir andere Pläne. Laß mich, wenn die Gäste fort sind, erst allein mit ihm sprechen. Ich will ihn vorbereiten. Morgen kannst du dann in Parade angerückt kommen und Papa um meine Hand bitten. Ich werde dann im Nebenzimmer zuhören.
Ich tue was du willst, obgleich es mir lieber wäre, gleich jetzt mit deinem Vater zu sprechen. Also komm jetzt wieder zu den andern.Beide ab.
So weit stehen sie schon, so weit .... und ich ... Er preßt die Lippen zusammen, geht gegen die Ausgangstüre.
Du, wir sind ja nicht mehr in New-York, wo die Menschen so aneinander vorüberrennen, wie du es eben an mir tun willst.
Ja, es muß sein. Erregter. Es betrifft übrigens mehr noch dich als mich. Darum lege bitte für einige Minuten deine Diplomatenmiene beiseite und setz' ein vernünftiges Gesicht auf.
Kennst du den Offizier, mit dem Alice soeben das Zimmer verlassen hat und der ihr den ganzen Abend schon nicht von der Seite weicht?
Also hab' ich doch recht gehabt! Da soll der Teufel ... wirklich unerhört! Läuft im Zimmer auf und ab.
Aber ich wußt' es ja gleich! Ich kenne doch die Bergmann'sche Sippe! Und der Sohn geht hier aus und ein! Man sollte ja lachen darüber!
Du sprichst noch immer in Rätseln. Möchtest du mir nicht endlich sagen, was es mit diesem Leutnant Bergmann ist? Ich füge eine Neuigkeit hinzu, welche du noch nicht wissen kannst; ich habe sie eben miterlebt: Leutnant Bergmann hat sich mit Cousine Alice vor fünf Minuten verlobt.
Nun und? Ja Mensch, findest du das so begreiflich, daß der Sohn des radikalen Fraktionsführers Bergmann Offizier ist, hier aus und ein geht und sich mit deiner Cousine – wie du ja selbst sagst – verlobt? Findest du das so begreiflich, daß der Sohn dieses Kerls, der erst heute wieder diesen Schandartikel geschrieben hat, als enfant gâté hier behandelt wird, daß er womöglich dein Verwandter wird?
Du hast zuviel in das Champagnerglas geguckt, Onkelchen und das tut konservativen Abgeordneten nicht gut. Es regt sich dann auch bei ihnen die Phantasie und sie beginnen, höchst unkonservativerweise, zu kombinieren. Wie kannst du aus einer allerdings fatalen Namensgleichheit solch unsinnige Schlüsse ziehen?
Unsinnige Schlüsse? Ich gebe dir mein Ehrenwort, daß jener Leutnant Bergmann, dessen Onkel, Professor Friedrich Bergmann, hier Hausarzt war, der Sohn des radikalen Fraktionsführers Bergmann ist. Ich kenne die Bergmanns.
Mit unterdrückter Stimme dann. Onkel, wenn das so ist, dann würde mir plötzlich so manches klar werden. So zum Beispiel, wer sowohl Onkel Franz, als auch dem Rittmeister Horst die heutige Ausgabe der »Wahrheit« zugesendet hat ...
Und zu denken, daß dieser Kerl, der sich in das Regiment eingeschlichen hat, Alice ... es ist einfach nicht zu fassen!
Melden Sie dem Herrn Oberst, der Herr Graf und ich hätten eine dringende Mitteilung zu machen und wir ließen den Herrn Oberst bitten, sich für einen Augenblick hierher zu bemühen.
Wir haben dich hierherbitten lassen um dir mitzuteilen, daß wir die Person, welche dir den heutigen Artikel der »Wahrheit« zugesendet hat, gefunden zu haben glauben.
So, das ist sehr liebenswürdig von euch; aber, seid mir nicht böse, es ist mir höchst gleichgültig, wer es getan hat
Vielleicht doch nicht ganz, wenn du erfährst, daß es dein zukünftiger Schwiegersohn gewesen sein dürfte?
radikalen Fraktionsführers Ernst Bergmann, welcher auch diesen schönen Artikel von heute verfaßt hat.
Er ist der Autor dieses gewissen Artikels, nebenbei, wie wir dir schon gesagt haben, der bekannte radikale Fraktionsführer.
[90]Ja, interessierst du dich denn nicht, wen du in dein Regiment aufnimmst und wen du in deinem Hause mit deiner Tochter verkehren läßt?
Ihr seid ja beide nicht recht bei Trost. Die Namensgleichheit ist ja vorhanden, das kann niemand anzweifeln. Und mir hätte sie auffallen sollen. Aber wie kann man denn gleich so etwas denken! Es ist ja zum Lachen. Leutnant Bergmann ...
Ich verbiete dir weiterzusprechen, Ferdinand. Die Eifersucht geht dir scheinbar an deinen Verstand. Vergiß nicht, daß du von einem Offizier meines Regimentes sprichst, der augenblicklich noch dazu als Gast in meinem Hause weilt. Zu Hohenfels. Und du hast dich ebenfalls täuschen lassen. Dieser verdammte Artikel hat die Geister scheint's aller erregt.
Aber das ist doch ein ... ein Unsinn ist's. Anders kann ich das doch gar nicht benennen! Bedenkt doch die Ungeheuerlichkeit, wenn das wahr wäre: Der Sohn Ernst Bergmanns in meinem Regimente, in meinem Hause... das ist ja ... ein ein Unding! So etwas gibt es doch gar nicht.Geht nervös umher.
Ich erlaube mir hinzuzufügen, Onkel, daß sich vorhin Cousine Alice mit Herrn Leutnant Bergmann verlobt hat. Ich stand als ungerufener Zeuge im Nebenzimmer. Morgen will der Herr Leutnant dir seine Werbung vortragen.
Bitte, bitte, Onkel. Es ist Ernst. Ganz verfluchter Ernst. Mir ist absolut nicht zum Spassen zumute. Sie haben einander geküßt und sich miteinander verlobt. Unter diesen Umständen muß ich mich selbstverständlich zurückziehen. Ich bitte dich, [91] das zur Kenntnis zu nehmen, Onkel. Auf Wiedersehen, Onkel. Ich fahre mit dem morgigen Frühzug nach Hamburg und von dort mit dem nächsten Dampfer wieder nach Amerika. Geht gegen die Türe.
Dann laßt mich bitte einen Augenblick allein. Hohenfels und Ferdinand ab; Oberst läutet; zum Diener. Ich lasse Herrn Leutnant Bergmann bitten. Wenn er hier ist, sorgst du, daß wir nicht gestört werden.
Ja, Herr Leutnant. Mustert ihn schweigend. Wollen Sie bitte Platz nehmen, Herr Leutnant, ich habe mit Ihnen zu sprechen.
Sie haben in der letzten Zeit viel in meinem Hause verkehrt, Herr Leutnant. Ich habe Ihnen viel Vertrauen in Bezug auf den Umgang mit meiner Tochter entgegengebracht. Mehr, als sonst den Herren des Regimentes oder jenen, welche in meinem Hause verkehren. Ich hoffe, Herr Leutnant, Sie haben mein Vertrauen bisher nicht mißbraucht?
Ich habe, wie Ihnen bekannt sein dürfte – dergleichen spricht sich ja herum und auch Sie werden davon bestimmt gehört haben – gewisse Pläne mit meiner Tochter. Sie ist fast offiziell mit meinem Neffen, Graf Ferdinand Krondorf, verlobt. Ist Ihnen das bekannt, Herr Leutnant?
Mir ist nur bekannt, Herr Oberst, daß die Komtesse bisher nicht offiziell mit dem Grafen verlobt ist.
Herr Oberst, ich weiß, der Zeitpunkt ist nicht der richtige. Aber nachdem die Angelegenheit sich so verhält ... ich hatte die Absicht Herrn Oberst zu bitten, mich morgen vormittag zu empfangen.
Sie werden mir entschuldigen, wenn ich Ihnen vorderhand nicht antworte. Pause. Brechen wir das Thema auf eine Weile ab, wir sprechen noch davon.
Ich wünsche Sie mit allem bekannt zu machen, Herr Leutnant, ebenso durch Sie von allem zu erfahren, was für Sie, andererseits für mich von Interesse sein kann. Gegen mich ist eine unangenehme Sache im Anzug. Hier, bitte, lesen Sie; ich lege Gewicht auf Ihr Urteil, Herr Leutnant. Reicht ihm die Zeitung hin, ihn ununterbrochen beobachtend.
Jedenfalls ein zweifelhafter Ehrenmann. Was ist das für eine Zeitung, wenn ich gehorsamst fragen darf, Herr Oberst?
Das tut ja nichts zur Sache. Irgend ein Schmierblatt. Pause. Sie halten Ihr Urteil unter allen Umständen aufrecht, Herr Leutnant?
Um auf unser voriges Thema zurückzukommen, Herr Leutnant ... Sie werden es begreiflich finden, daß ich über Ihre persönlichen Verhältnisse orientiert sein möchte ...
Die Frage ist Ihnen doch nicht unangenehm, Herr Leutnant? Sie werden sich doch Ihres Herrn Vaters nicht zu schämen haben?
Ah, in der Tat? Abgeordneter? Das ist ja sehr respektabel. Da wird ihn ja mein Vetter Hohenfels wahrscheinlich kennen?
[94]Nicht? Welcher Partei denn sonst, wenn ich fragen darf? Sie entschuldigen meine Neugierde, aber Sie werden sie begreiflich finden.
Ah, der ra dikalen... also doch der radikalen. Nach einer Weile. Sie müssen zugeben, Herr Leutnant, ein – sagen wir – etwas seltener Beruf in der jetzigen Zeit für den Vater eines Berufsoffi ziers.
Herr Oberst, ich gebe gehorsamst zu bedenken, daß ich für den Beruf meines Vaters nicht verantwortlich bin.
Ja, da haben Sie Recht. Nach dem Gesetze können Sie weder für den Beruf Ihres Vaters verantwortlich gemacht werden, noch für das, was er schreibt. In der Gesellschaft – Hochmütig. in unseren Sphären natürlich, in den Ihren mag das ja anders sein – denkt man darüber allerdings anders. Biegt die Ränder der Zeitung wieder um, reicht sie Heinz. Langsam, abgewogen, sich dabei erhebend. Herr Leutnant Bergmann, halten Sie Ihr Urteil über Artikel und Autor auch jetzt noch aufrecht?
Er wankt, greift unwillkürlich nach einer Stütze. Alice tritt festen Schrittes zu ihrem Vater, an seine Seite.
Ich habe bis jetzt darüber nachgedacht, wer dafür gesorgt haben mag, daß ich die »Wahrheit« dieses ehrenwerte Blatt, den Artikel rot angestrichen, so prompt zugestellt erhalten habe. Denn ich habe mir eingebildet, zu keinem Mitglied der radikalen Partei in irgendwelchen Beziehungen zu stehen. Ich habe mich ja auch stets bemüht, [95] mich von dieser Geißel des Jahrhundertes in genügender Entfernung zu halten. Leider muß ich jetzt sehen, daß mir das nicht geglückt ist. Pause, dann in großer Erregung. Herr Leutnant Bergmann, haben Sie mir vielleicht noch etwas zu sagen?
Fordern Sie vielleicht die Bezahlung der Zeitung? Auflachend. Ich würde sie Ihnen verweigern müssen, denn ich habe die »Wahrheit« nicht abonniert oder bestellt ...
Herr Oberst, noch bin ich Offizier wie Herr Oberst, noch trage ich den Rock Sr. Majestät wie Herr Oberst.
Er ist sehr gealtert. Seine Haltung ist müde, sein Aussehen schlecht. Er hat nicht mehr die kraftvollen, energischen, selbstsicheren Bewegungen von einst. Nur hie und da flackert in der Sprache seine einstige Energie auf. Dann werden seine Bewegungen straffer, seine Haltung aufrechter. Der Gesamteindruck ist der eines vom Schicksal schwer getroffenen Mannes, den nur Pflichtgefühl und ein unbezähmbarer Arbeitsdrang aufrechterhalten.
SCHROEDER sitzt Bergmann gegenüber. Er ist etwa 46 Jahre alt und macht den Eindruck eines ruhigen, arbeitsamen, ernsten, in seinem Beruf aufgehenden Menschen. ... ich bin der Hausarzt Ihrer Frau Schwester, Herr Abgeordneter. Ich habe die Ehre, schon bald fünfzehn Jahre der Hausarzt Ihrer Frau Schwester in Innsbruck zu sein und ...
Ah, wirklich? Das freut mich ganz außerordentlich. Ich erinnere mich übrigens, Ihren Namen gelegentlich auch gehört zu haben. Ja, ganz bestimmt.
So haben Sie die außerordentliche Liebenswürdigkeit gehabt, mich aufzusuchen.Blickt sehr nervös auf die Uhr. Sie bringen mir Grüße von meiner Schwester und von meiner Tochter, nicht wahr? Erhebt sich, reicht ihm die Hand. Meinen aufrichtigsten Dank. Es geht doch hoffentlich gut? Und wenn Sie zurückfahren – und Sie fahren ja, wie Sie sagten, noch heute zurück – bestellen Sie bitte von mir auch herzliche Grüße. Ja?[99] Sieht nochmals auf die Uhr. Und jetzt verzeihen Sie, bester Herr Doktor, aber ich habe in zwanzig Minuten eine wichtige Konferenz, für die ich noch einiges vorzubereiten habe. Auf Wiedersehen, Herr Doktor.
Ach so, ach so ... ich verstehe. Brauchen Sie irgendwie meine Intervention, mein Eingreifen? Sehr gerne, sehr gerne. Verehrtester Herr Doktor, jetzt habe ich aber wirklich keine Zeit. Vielleicht bemühen Sie sich während meiner Sprechstunde heute zu mir. Von vier bis sechs Uhr nachmittags. Für Sie bin ich übrigens auch bis halb sieben zu sprechen ... einen Augenblick übrigens, ich muß erst nachsehen, ob es auch möglich ist ... nämlich heute, bis halb sieben, Blättert in einem Buche, halblaut. dreiviertel sieben Sitzung der Parteileitung, ... ja, es ist möglich. In zehn Minuten bin ich ja bequem dort. Also bitte, bis halb sieben, Herr Doktor. Aber keinesfalls später. Auf Wiedersehen, jetzt, Herr Doktor.
Ich bin nicht in eigenen Angelegenheiten zu Ihnen gekommen, Herr Abgeordneter, sondern ich sitze in meiner Eigenschaft als Arzt, als Hausarzt Ihrer Frau Schwester hier. Ich bin im Auftrage Ihrer Frau Schwester als der Arzt Ihres Fräuleins Tochter, also in Ihren Angelegenheiten, Herr Abgeordneter, hier. Wollen Sie mich, also endlich ruhig aussprechen lassen, Herr Abgeordneter. Ich muß Sie sprechen und ich muß Sie jetzt sprechen. Erstens, weil es sich um eine Sache handelt, welche keinen langen Aufschub zuläßt ...
Dann erlauben Sie, Herr Doktor, daß ich Ihnen umso herzlicher danke. Viel leicht bemühen Sie sich also um halb zwei, in meiner Mittagspause, [100] zu mir ... Ausbrechend. Ich habe auch für meine Angelegenheiten jetzt nicht Zeit, Herr Doktor. Die Partei benötigt mich gerade in diesem Augenblick.
Wie Sie wünschen, Herr Abgeordneter. Ich bedaure, Ihnen zu einer andern Zeit nicht zur Verfügung stehen zu können. Auch meine Zeit ist gemessen, wenn ich auch nicht radikaler Fraktionsführer bin. In Innsbruck warten auf mich mit Sehnsucht Kranke, Schwerkranke, vor denen ich's nicht verantworten könnte, meine Zeit in Ihrem Warteraum zu verbringen. Adieu, Herr Abgeordneter. Wendet sich zur Türe.
Herr Doktor ... nur einen Augenblick bitte ... Mit der Uhr spielend. Was ist denn meiner Tochter? Doch nichts Ernstes?
Ich hätte es Ihnen schonend beigebracht, Herr Abgeordneter, Sie selbst haben mich zu dieser Art Mitteilung gezwungen, Herr Abgeordneter ...
Nehmen Sie's nicht zu tragisch, Herr Abgeordneter ... Ich gebe ja zu, es ist eine böse Sache für Sie. Aber es gibt Aergeres. Herr Abgeordneter ... und Gott sei Dank, Gott sei Dank, in unserer Zeit denkt und urteilt man über dergleichen anders als noch vor zehn Jahren ... Pause; dann [101] leise und warm. Ihre arme Tochter wartet in ihrer schwersten Stunde auf ihren Vater ...
Ich glaube ... es handelt sich um einen jungen Grafen Hohental ... oder so ähnlich; der Name ist mir entfallen. Es ist derselbe junge Graf, der sich vor mehreren Monaten in Innsbruck aus damals unerklärlichen Gründen erschossen hat ... die Sache hat viel Staub aufgewirbelt, Sie werden bestimmt aus den Zeitungen davon gehört haben. Pause. Ich glaube, wir stehen vor der Lösung des damaligen Rätsels ...
Herr Abgeordneter ... Sie sind beteiligter Miterleber einer Tragödie geworden, welche umso größer ist, als es sich um eine Tragödie des Alltags handelt ... Ihr armes, armes Kind wartet... unten steht mein Wagen ... wir erreichen noch bequem den Mittagsschnellzug ... so dringend werden Ihre Geschäfte nicht sein, daß der Abgeordnete dem Vater nicht ein bis zwei Tage Urlaub geben könnte; ... Ihre Tochter ...
Ich danke Ihnen, Herr Doktor ... aber eine Reise meinerseits wäre überflüssig ... ich habe keine Tochter mehr.
Herr Abgeordneter, um Gotteswillen, das ist doch nicht Ihr Ernst...? Das kann doch unmöglich Ihr Ernst sein?
Herr Abgeordneter, ich bin fünfzehn Jahre Hausarzt Ihrer Frau Schwester. Es ist nur natürlich, daß ich auch über Ihre Verhältnisse, über die jüngsten Ereignisse auch in Ihrem Hause unterrichtet bin ... Verzeihen Sie, ich will mich nicht [102] in Dinge mischen, die mich nichts angehen, nicht vielleicht kaum vernarbte Wunden aufreißen ... aber ich, fühle das Bedürfnis als Anwalt Ihres armen Kindes zu sprechen ... Herr Abgeordneter, Sie haben viel Unglück in der letzten Zeit gehabt ... Ihr Herr Bruder ist tot, Ihr einziger Sohn im Felde, Ihr bester, langjähriger Freund hat sich als ... ich erspare mir eine Kritik, die mir nicht zusteht ... Ihre Frau ... ist ... fort, Sie haben sich von ihr scheiden lassen ... Sie können doch unmöglich das Einzige, was Sie noch an Liebem fest in Händen haben, fortstoßen, weil ... dergleichen kann doch vorkommen, Herr Abgeordneter, und Sie sind doch ein moderner, fortschrittlicher Mensch, der selbst unzählige Male für die Märtyrerinnen unter den Frauen eingetreten ist, für die Frauen, welche sich aus reinster, natürlicher Liebe dem Manne geben, ohne an das in den meisten Fällen so wahrhaft unmoraliche Versorgungsinstitut, welches sich Ehe nennt, zu denken oder dank unserer weisen herrschenden Moral auch nur daran denken zu dürfen ... Sie, Herr Abgeordneter, können sich doch, wo es sich um Sie selbst handelt, nicht Lügen strafen! Pause.
Sie sind gütig, Herr Doktor, sehr gütig. Ich kann mich leider nicht mit Ihnen in eine Debatte einlassen. Hier handelt es sich nicht um meine Tochter, sondern um die Tochter Ernst Bergmanns, die der Graf Hohenfels ... Schweigt; nach einer Weile. Ernst Bergmann darf so eine Tochter nicht haben, Herr Doktor, verstehen Sie mich? Er darf nicht. Die Partei verbietet es ihm. Die Partei, welche durch ihn beschimpft wäre. Pause, dann schwer. Es heißt entweder die Zügel niederlegen in einem Augenblick, in welchem ich's nicht vor meinem Gewissen und dem Vaterlande verantworten kann ... oder op fern, aber ausharren. Pause. Ich muß ausharren. Leiser. So muß ich auch op fern. Lange Pause. [103] Heute können Sie mich nicht verstehen, in einigen Monaten werden Sie mich begreifen.
Ich verurteile sie nicht, wenn ich ihr auch nicht verzeihen kann. Pause. Ich werde mich mit meiner Schwester schriftlich auseinandersetzen ... noch heute. Sagen Sie das, bitte, in Innsbruck. Nimmt die Uhr.
Sie werden sich die Sache noch überlegen, Herr Abgeordneter. Jetzt sehe ich, ich kann Sie nicht länger aufhalten. Leben Sie wohl, Herr Abgeordneter, und denken Sie daran, daß Sie zuerst Vater waren, bevor Sie Abgeordneter geworden sind. Daß sie zuerst Vaterpflich ten haben und erst dann andere. Verneigt sich, ab.
Nun, da bist du ja gleich über alle Neuigkeiten orientiert, die's in der Heimat gibt. Was sagst du denn dazu?
Ich frage dich, ob du tatsächlich den Standpunkt, den du Dr. Schröder gegenüber eingenommen hast, auch mir gegenüber weiterhin vertreten willst?
So sprichst du? Gerade du? Du scheinst dir über die Tragweite nicht [104] im klaren zu sein. Fast schreiend. Die Tochter des radikalen Fraktionsführers erwartet vom Sohne des konservativen Grafen Hohenfels ein uneheliches Kind!
Sie ist ein Opfer unserer Vorurteile geworden. Gib dem armen Kind jetzt endlich Frieden. Die Steine, die du werfen willst, treffen höchstens dich.
Ja, draußen, an der Front. Draußen, wo all' der kleinliche Hader, der Parteihader, schweigen muß, draußen, wo alle, welche empfinden können, nur das eine empfinden, daß sie zu sammengehören, daß sie eins sein müssen, daß sie zusammenhalten müssen und daß es frevelhafter Uebermut ist, sich in glücklichen, frohen Friedenstagen um Nichtigkeiten willen das Leben zu verbittern. Leidenschaftlich. Drau ßen, wo infolge der ständigen Lebensgefahr, infolge des stets drohenden Todes der Hunger nach Glück sich ins Uferlose steigert, draußen habe ich gelernt, das Glück zu schätzen und alle die zu verlachen Drohend. und zu bekämpfen, die verhindern wollen oder in ihrer Kurzsichtigkeit verhindern, daß Menschen glücklich werden.Pause.
Lassen wir das. Es führt zu nichts. Ich habe viel gelernt in diesem unseligen Krieg. Das aber als Vorurteil anzusehen, was ein gut' Teil Inhalt meines Lebens war und ist, das als Vorurteil anzusehen, worauf ich mein Leben und mein Lebenswerk [105] aufgebaut hab', das hab' ich Gott sei Dank noch nicht lernen müssen. Und wenn es einmal dazu kommen sollte, wenn die Zeit es mich lehren sollte, daß ich unnütz gelebt und gearbeitet habe, nein, daß ich vielmehr Schädliches, Schlechtes, zu Verwerfendes geleistet habe, dann ... dann ... Abbrechend. Ich werde mich an den Gedanken gewöhnen müssen, meine Tochter mehr zu haben.
Ich werde mich mit Heinz aussöhnen. Er ist gescheitert, er hat genug gebüßt, daß er seinem Vater nicht gefolgt hat Er wird freudig den Weg zu mir zurückfinden, wenn ich ihm entgegengehe. Ich brauche ihn. Ihn und dich. Ich brauche junge, kräftige Elemente, die zum Kampf geschaffen sind. Ich brauche treue, aufopfernde Menschen, die zu mir stehen in der nächsten Zeit. Denn ich habe Großes vor. Ich will die Fraktion reorga nisieren, ich will ihr die radikale, alles Bestehende zersetzende Spitze nehmen. Ich will ihr andere Tendenzen zugrunde legen. Sie soll Zersplittertes einigen, sie soll Zersetztes zusammenkitten, sie soll Zerstörtes erneuern, sie soll wieder aufbauen! Sie soll Leiser. gutmachen, wenn sie gefehlt hat. Längere Pause. Nun begreifst du wohl ... warum ich vom Plane nicht verschwinden darf... Langes Schweigen; dann fortfahrend. Du bist auf Urlaub jetzt?
So, so. Ich werde mich jedenfalls bemühen, für dich in der nächsten Zeit Urlaub zu erwirken. Für dich und für Heinz. Man wird es mir[106] nicht abschlagen, wenn ich den Grund nenne. Ich will noch heute ins Ministerium ... Oder meinst du, es wäre besser, ich würde mir einen Paß verschaffen und Heinz im Felde aufsuchen? Wir müssen uns ja erst aussprechen. Ich glaube, das wäre noch besser, wenn ich ihn im Felde aufsuchen würde. Ich weiß ja auch gar nicht, ob er mit mir arbeiten will, wenn ihm diese Arbeit auch keinen Gesinnungsbruch zumutet. Was meinst du, Ferndorf?
Daß ich hinfahre? Oh, nichts leichter als das. In 24 Stunden habe ich den Paß. Ich gehe zum Minister. Oder meinst du, ich werde Heinz nicht auffinden können? Das erfahre ich auch in wenigen Stunden im Ministerium, wo er augenblicklich steht. Was soll also nicht möglich sein?
Das sollte nicht möglich sein? Du glaubst, daß er mit seinem Vater nicht sprechen würde, wenn der zu ihm kommt? Ach, du kennst meinen Heinz schlecht. Der Dickkopf will nur nicht den ersten Schritt zur Versöhnung tun und so muß ich's halt besorgen. Ich war auch zu hart damals und leise wenn ich ehrlich sein soll ... ich sehne mich nach meinem Jungen.
Das meinst du nicht? Was denn ... dann ...? Versteht plötzlich. Er richtet sich halberstarrt auf, sagt dann ruhig mit erloschener Stimme. Er ist tot?
Vor ... ich weiß ja nicht mehr, wann ...Greift sich an den Kopf. da ... war es plötzlich da ... und ... und die Tante ... die Tante ... und die andern ... die haben alle gesagt ... ich könnte die Schande ... nicht über dich ... und die Familie bringen ... und ... und ...
[108]... und ... und da hab' ich es in den Garten gelegt, an die Mauer ... wo niemand hinkommt, in das Gebüsch ... wo es niemand sehen kann ... ich hab' es ja zuerst töten wollen ...
Ja, das hab' ich wollen ... aber ich hab' nicht können, Vater, es ist ja doch mein Kind... und dann hab' ich es wieder zurücknehmen wollen ...
Aber da ist der Gärtner gekommen und ich hätt' an ihm vorüber müssen ... mit dem Kind ... und das hab' ich nicht gekonnt...
... Ich hab' es liegen lassen ... und bin fort ... fort auf die Bahn ... zu dir ... keinem hab' ich was gesagt ... keinem ... und die Leute, die haben mich so eigen angesehen ... so ganz eigen ... besonders die Wachleute ... und bis hierher sind sie mir gefolgt ... bis hierher, Vater ... Schreiend. Ich hab' ja solche Angst ... Rennt zum Fenster, schreit auf in namenlosem Entsetzen. Da ... da ... stehen sie ... zwei ... und schauen hinauf ... sie warten auf mich ... Vater ... mich suchen sie ...!!!
Beruhigen Sie sich, Annie, die stehen immer hier. Kein Mensch tut Ihnen etwas zuleide. Fürchten Sie sich nicht. Es kann noch immer alles gut werden. Es läutet.
Ich gehe an deine Schwester telephonieren. Vielleicht ist noch alles zu retten ... Das Kind wird gefunden werden ... Es kann noch [109] leben ... Und Sie, Annie, legen sich einstweilen nieder. Vertrauen Sie mir nur, es wird noch alles gut. Greift ihr an die Stirne. Sie glühen ja, Sie haben hohes Fieber. Will sie ins Nebenzimmer führen.
Es ist ja unmöglich ... unmöglich ... wir wollen sehen, was er will. Annie, gehen Sie ins Nebenzimmer. Gehen Sie. Und du, Bergmann, nimm dich zusammen. Jetzt heißt es Ruhe bewahren.
Hoffentlich störe ich nicht, das wäre mir sehr fatal, Herr Abgeordneter. Hoffentlich störe ich nicht?
Auf alles gefaßt? Köstlich, ausgezeichnet, Herr Abgeordneter, wirklich sehr gut. Auf alles gefaßt, hahaha ... auf alles gefaßt ... wenn ein Polizeikommissär kommt, nicht wahr, muß man[110] auf alles gefaßt sein ... hahaha ... wirklich sehr gut ... haha ...
Um was handelt es sich denn, Herr Polizeikommissär? Sie müssen entschuldigen, aber wir haben eine außerordentlich wichtige Konferenz. Und nur weil der Herr Polizeikommissär Reiter es ist, haben wir unterbrochen ...
Ah, ah, ah? Eine Konferenz, eine Sitzung, sozusagen? Eine Sitzung, wie? Hab' mir ja gleich gedacht, daß der Herr Abgeordnete zu tun hat und ich nur stör', wenn ich komm' ... gleich hab' ich mir's gedacht ... Der Herr Abgeordnete Bergmann ist der meistbeschäftigte Mann der Stadt. Jawohl, das hab' ich immer behauptet. Die anderen Herren Abgeordneten, haha ... die nehmen's nicht so ernst, das »Volksvertreten« ... haha ... ein gutes Wort, wie? »Volksvertreten«? Haha ... Ja, die nehmen's nicht so ernst. Aber der Herr Abgeordnete Bergmann, der ist immer beschäftigt. Und dabei immer bei Humor. Immer »auf alles gefaßt«, wenn ein Polizeikommissär kommt ... haha ... na, ich will nicht länger stören, wenn es sich um eine wichtige Konferenz, um eine Sitzung sozusagen, um eine Sitzung ... handelt. Ich komm' halt ein anderes Mal wieder, wenn ich vorüber komm'.
Es ist ja auch nur kurz. Und wenn ich noch einen Augenblick jetzt aufhalte, ist es vielleicht besser, als wenn ich dann noch einmal kommen muß. Und stören tu' ich ja ohnehin immer, wenn ich komm'. Der Herr Abgeordnete hat ja immer zu tun. Nicht wahr?
Es handelt sich um den Thomas Müller, geboren in Wien, im Kronlande Oesterreich unter der Enns, [111] römisch-katholisch, verheiratet, nein, ledig, nein, verheiratet, nein, ledig ...Kratzt sich. is' er jetzt verheiratet oder ledig? ... Vater eines unehelichen Kindes und zweier ehelicher Kinder. Eheliche Kinder? Da is' er scheinbar doch verheiratet? Na, da werd' ich noch nachfragen. Obzwar, nicht wahr, wenn er eheliche Kinder sozusagen in die Welt ... bitte, bitte, ich weiß schon was ich sage und brauche keine Belehrung; also: wenn er sozusagen eheliche Kinder in die Welt hat setzen lassen ... dann muß oder soll wenigstens die Ehe, wenn auch nur zum Scheine, bestehen. Nicht war? Also, da werd' ich noch fragen, ob eine Ehe besteht oder nicht. Uebrigens, da hab' ich's ja schon. Verheiratet mit Aloisia, geborene Zankapfel, geboren in Linz, im Kronlande Oesterreich ob der Enns ....
Ich? Ich gar nichts. Die Be hörde. Die Behörde wünscht zu erfahren. Ich stehe hier als Vertreter der Behörde.
So ist es. Die Behörde. Die Behörde wünscht zu erfahren, an welchem Tage der Thomas Müller, geboren ...
Ja, usw. aus Ihren Diensten entlassen wurde. Es stimmt nämlich um einen Tag nicht. Er behauptet einmal am 26. April und dann wieder am 27. April. Daher muß das zutreffende Datum erhoben werden. Behördlich, amtlich erho ben werden.
[112]Ja, spielt denn das eine besondere Rolle? Soviel ich weiß, hat dieses Datum ja mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun?
Eine Rolle? Eine besondere Rolle? Die Protokolle stimmen nicht, Sie stimmen nicht ... Es läutet mehrmals.
Sie haben vollkommen recht, Herr Kommissär. Leider kann ich Ihnen jetzt keine Auskunft geben, da mir die Bücher nicht zur Verfügung stehen. Aber ich sende Ihnen noch heute meinen Sekretär hinüber, der Ihnen Nachricht bringt.
Sehr gütig, sehr liebenswürdig, Herr Abgeordneter. Und jetzt will ich nicht weiter stören, Herr Abgeordneter. Ich habe die Ehre, meine Herren, habe die Ehre. Ab.
Ein Telegramm, Herr Abgeordneter. Und dann: draußen warten schon eine Weile mehrere Herren von der Fraktion. Sie lassen bitten, sofort vorgenommen zu werden. Ab.
Eine Sekunde noch, eine Sekunde noch. Aufgeregt zu Ferndorf. Aus Innsbruck. Erbricht das Telegramm. Ferndorf, das Kind ist ge funden, es lebt! Ferndorf Fast schluchzend vor Bewegung. das Kind ist gefunden, es lebt! Lieber Himmel, wie dank' ich dir!
1. HERR tritt Ferndorf in den Weg, dringend, halblaut. Wohin? Einen Augenblick, Kollege, Sie sind hier jetzt [113] dringend nötig ... Man hört in der Ferne dumpfes Stimmengewirr.
Sofort, ich komme gleich wieder.
1. HERR wie vorhin, mit Bedeutung. Hören Sie nicht unten? Bleiben Sie hier. Jede Sekunde ist kostbar. Es kann ein Unglück geben.
Möchten die Herren nicht Platz nehmen? Doch was sehe ich? Die Herren im Frack? Stutzt. Was gibt es denn? Stimmengewirr nähert sich.
1. HERR. Eh ... ja ... wir kommen, Herr Abgeordneter, im Dienst und im Auftrage der Fraktion her ... wir sind nicht die Kommission, welche Herr Abgeordneter zur Konferenz erwarten. Die Konferenz unterbleibt heute. Die Herren kommen nicht. Pause.
Warum kommen denn die Herren nicht? Was ist denn geschehen? Und warum werde ich denn nicht sofort unterrichtet, wenn die Herren nicht kommen? Es können doch unmöglich alle krank sein? Was ist denn los?
1. HERR. Wie gesagt ... eh ... es ist schwer ... ja, wir kommen, wie gesagt, im Dienste und über Auftrag der Fraktion her. Ringt nach Worten.
Ueber Auftrag der Fraktion? Zu mir? Was wünschen Sie denn? Der Lärm unten wird immer stärker und nähert sich, vehement anwachsend.
1. HERR. Es wird uns schwer, ganz furchtbar schwer ... und daß gerade wir es sind ... ich es sein muß, der ... Bergmann blickt auf ihn, horcht dann erstaunt nach unten.
1. HERR sich sammelnd. Herr Abgeordneter, Ihnen sind die Ereignisse der letzten Tage bekannt. Das[114] Volk ist ja wie von Sinnen. Und was das Böseste an der Sache ist, es schiebt jetzt uns, unserer Fraktion einen Hauptteil der Schuld an dem allgemeinen Zusammenbruch, durch die verschiedenen Parteipressen aufgehetzt, zu. »Wir«, heißt es jetzt allgemein, hätten den Ausbruch des Krieges noch in letzter Minute verhindern können, hätten wir auch in den letzten Tagen vor Kriegsbeginn unsere ursprüngliche Politik fortgesetzt. So aber hätten wir dadurch, daß selbst wir vorbe haltlos die Rüstungs- und Kriegskredite bewilligt haben, alle jene, welche schwankten und sich verzweifelt nach einem Rückgrat, nach einer Stütze umsahen, mit welcher vereint sie noch gegen den Ausbruch des Krieges hätten ankämpfen können, ins kriegsfreundliche Lager getrieben. Dadurch, daß selbst wir ins Kriegslager eingeschwenkt wären, jubelnd ins Kriegslager eingeschwenkt wären, wäre der Krieg erst ganz beschlossene Sache geworden. Dies wäre die eine Seite unserer Schuld. Die zweite werde durch unser fast jedesmaliges Ablehnen der verschiedenen Militärvorlagen Jahre hindurch gebildet, wodurch wir die Schaffung günstigerer Kampfbedingungen, wodurch wir eine günstigere Ausrüstung unseres Heeres verhindert hätten. Wären wir gerüsteter in den Krieg eingetreten, hätten sich vielleicht die letzten Niederlagen, vor allem aber Verluste vermeiden, wenigstens verringern lassen ... Bange Pause.
1. HERR setzt fort. Herr Abgeordneter, die Partei kann ohne Gefahr für ihren weiteren Bestand diese Vorwürfe, auf welche sie nur wenig oder nichts zu erwidern vermag, nicht länger auf sich ruhen lassen ohne zu ihnen Stellung zu nehmen und der allgemeinen Volksmeinung, der Volksstimmung ... Zugeständnisse zu machen. Es muß vor aller Welt [115] ein Opfer gebracht werden. Eher ist nicht Ruhe. Pause; mit abgewandtem Gesichte, zu Boden blickend. Es muß der geopfert werden, der für alles, was die Partei getan und unternommen hat, auch die Verantwortung zu tragen hat. Lange Pause; dann mit erhobener Stimme. Herr Abgeordneter, die Fraktion bittet Sie ... »die Fraktionsleitung und Ihr Mandat niederzulegen!« Es tritt ein schweres, ängstliches Schweigen ein. Die Menge unten steht. Rufe, Johlen, wüstes Geschrei tönt herauf. Unsere Kinder! Unsere Söhne! Gebt uns unsere Männer und Söhne wieder! Wir wollen un sere Kinder zurückhaben! Mörder! Verräter! Unsere Männer und Kin der wollen wir wieder zurückha ben! Dazwischen gellende Rufe. Pfui Berg mann!! Nieder mit ihm! Er hat unsere Männer und Kinder in den Tod getrieben! Erschlagt ihn! Mörder!! Schuft!! Verräter!!!
1. HERR tritt ihm in den Weg, warnend. Herr Abgeordneter, die Leute sind nicht mehr bei Sinnen. Es kann ein Unglück geben!
Macht Platz! Tritt auf den Balkon. Er hebt die Hand. Augenblicklich tritt Schweigen ein. Aber es dauert nur Sekunden. Dann bricht tosender Lärm los. Ein Steinhagel fällt durch die splitternden Fensterscheiben ins Zimmer. Gellende Rufe ertönen. »Mörder! Verräter! Mör der unserer Männer und Kinder! Erschlagt ihn! Erschießt ihn! Den Hund, der unsere Männer und Söhne in den Tod getrieben hat!«Tosender Lärm. Ein neuer Steinhagel fällt ins Zimmer. Plötzlich [116] fallen mehrere Schüsse. Der Lärm dauert an; Ferndorf zieht Bergmann mit Gewalt ins Zimmer. Es tritt unten Ruhe ein.
Man wirft nach mir mit Steinen, man schießt auf mich ... meine Fraktion ... Friedrich, du hast Recht behalten ...! Nach einer Weile, fest. Ich tue, was die Fraktion will. Ich lege die Fraktionsführung und mein Mandat nieder.
1. HERR zieht einen Bogen Papier hervor. Herr Abgeordneter brauchen nur zu unterfertigen ...
1. HERR tritt auf den Balkon, mit lauter Stimme. Geht jetzt nach Hause, Leute. Was ihr gewollt habt, habt ihr erreicht: Herr Bergmann hat sein Mandat und die Fraktionsführung niedergelegt.Unten ertönt lautes Bravo- mit Pfuirufen auf Bergmann untermischt; dann von unten.
Wir wollen wissen, wer sein Nachfolger wird!
1. HERR verlegen, unschlüssig. Das kann ich noch nicht sagen, das weiß ich noch nicht ... Unten geht das Getöse wieder los.
Hoch Heldenberg! Hoch der neue Parteiführer! Nieder, pfui, Bergmann! Unter diesen Rufen ziehen die Demonstranten ab.
Nein, Bergmann, das ist der Anfang. Der Anfang deines neuen Lebens. Dank' dem lieben Herrgott, daß du das hinter dir hast. Jetzt, zum ersten Male, wirst du Zeit haben für deine Familie und für dich zu leben. Pause. Du hast zu wählen gehabt zwischen deinem Kind und der Partei. Der Himmel selbst hat entschieden, Bergmann. Du hast von heute an nur eine Aufgabe noch: Dein armes Kind glücklich zu machen, ihm den Lebensweg, von dem es abgeglitten ist, neu aufzubauen. Mit Wärme. Bergmann, willst du das tun? Hält ihm die Hand entgegen.
Sie wird schlafen. Aber geh', hol' sie nur. Bring' du ihr die gute Nachricht. Die Botschaft wird ihr noch besser tun als Schlaf ...
In fassungslosem Entsetzen starrt er Ferndorf an, dann beginnt er zu lachen. Ein unheimliches, grelles Lachen. Er verlacht darin sein ganzes Leben.