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Den heim sie bringen, haben sie beschuldigt,
Daß den Propheten er gelästert habe
Und ihrem falschen Mahom nicht gehuldigt.
Der fremde Pilger ist's am Wanderstabe,
Der büßend unter diesen Palmen wallte
Und uns erzählte von dem heil'gen Grabe.
Wird gegen ihre Henker dieser Alte
Bewähren eines Christen festen Mut?
Ihn stärke Gott, daß er am Glauben halte!
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Es gleißet arg verlockend zeitlich Gut;
Ihm ist's beschieden, läßt er sich verleiten,
Und bleibt er unerschüttert, fließt sein Blut.
Blickt dort nicht hin! Ein Gräßliches bereiten
Die blutgewohnten Schergen. Wehe, Wehe!
Vielleicht, daß bald wir ihn dahin begleiten.
Er kommt, – sie führen ihn daher; ich sehe
Wie ein Geretteter, ihn freudig heiter,
Als ob er neuem Glück entgegen gehe.
Hat er erkauft...? o nein! sie schreiten weiter
Der blut'gen Stätte zu; so war's gemeint!
Die Palme winkt dem starken Gottesstreiter. –
»Weint nicht! ich habe selber nicht geweint,
Als ich ans Kreuz den schönen Jüngling schlug;
Mir war in meiner Brust das Herz versteint. –
Und angstgepeitscht begann den irren Zug
Der Frevler unter seiner Sünde Last,
Der Kains Zeichen an der Stirne trug. –
Der du für mich den Tod erduldet hast,
Verfügst du huldreich, daß die Marter ende?
Noch hofft ich, noch begehrt ich keine Rast.
Unwürdig, daß dein Blick auf mich sich wende, –
Der Tod, das Leben nicht, ist leicht zu tragen; –
Nimm, Gott der Gnade, mich in deine Hände.«
Als ihn die Schergen, ihn ans Kreuz zu schlagen,
Ergriffen, schien es ihm erst wohl zu sein;
Die ihn umstanden nur erhoben Klagen.
Und als der Schmerz durchzuckte sein Gebein,
Und er am Marterholz erhoben war,
Genoß er Frieden vor der innern Pein.
Ora pro nobis! betete die Schar
Der Gläub'gen, die am Fuß des Kreuzes wachte;
Sein Dulden war ein Beten immerdar.
Der Tag, die Nacht vergingen, und es machte
Der zweite Tag kein Ende seiner Qual;
Die dritte Sonne schon den Lauf vollbrachte;
Und wie sie scheidend warf den letzten Strahl,
Versucht' er noch ins Auge sie zu fassen,
Und rief, und atmete zum letzten Mal:
»Mein Gott, mein Gott, du hast mich nicht verlassen!«
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TextGrid Repository (2012). Chamisso, Adelbert von. Gedichte. Gedichte (Ausgabe letzter Hand). Sonette und Terzinen. Das Kruzifix. 3. [Den heim sie bringen, haben sie beschuldigt]. 3. [Den heim sie bringen, haben sie beschuldigt]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4EBC-2