32. Schloß Greifenstein.
Schon in der ersten Hälfte des eilften Jahrhunderts waren die Herren von Greifenstein wegen ihrer Reichthümer und Macht berühmt. Einer dieser [167] ältesten Bewohner der Burg war Reinhard, ein Ritter von rauher Gemüthsart. Seine frühzeitig sterbende Gemahlin hinterließ ihm eine Tochter Etelina, die sie, vor ihrem Hinscheiden, dem alten Schloßkaplan empfahl. Ein holdes Aeußere schmückte den Körper des jungen Fräuleins, der ehrwürdige Kaplan den Geist. Sie wuchs zur Bewunderung des ganzen Hauses heran. Vor allen Freiern gewann sie, doch heimlich, den jungen, edlen, aber armen Rudolf lieb. Der alte Reinhard mußte, einer Fehde wegen, an des Kaisers Hoflager ziehen; er vertraute seine Tochter der Wachsamkeit seines Burgpfaffen an; aber Etelina liebte und war aus Liebe schwach.
Acht Monde waren nach Reinhards Abreise verflossen, da ließ er seine baldige Ankunft und daß er einen stattlichen Mann für seine Tochter mitbringen würde, melden. Die unglückliche Etelina vertraute sich dem alten Pater an. Er rieth ihr, sich mit Rudolf, ihrem Geliebten, vor dem Zorne des Vaters in einem halbverschütteten Wege zu verbergen. Sie folgten seinem Rathe und wurden von ihm hinabgeführt. Er gab ihnen einen Korb mit Brod und Wein und ein Krüglein mit Oel, zur Beleuchtung ihrer finsteren, feuchten Erdschlucht. Bald darauf kam der alte Graf mit dem reichen und trübaussehenden Freier und fragte nach Etelina. [168] Der Kaplan bat, sie ruhen zu lassen, weil sie krank und schwach sei.
Früh suchte Reinhard seine Tochter; er fand sie nicht. Er eilte zum Kaplan; dieser, auf seine Beredsamkeit sich verlassend, brachte ihm allmälig die Liebesgeschichte seiner Tochter bei, und als er den Vater ruhig zu sehen glaubte, entdeckte er ihm das Geheimniß. Aber jetzt brach die verhaltene Wuth des alten Grafen hervor. Er mißhandelte den Greis, um den Aufenthaltsort der Liebenden zu erfahren, und als das vergebens war, ließ er den schwachen alten Mann gebunden nach einem verborgenen Gemache schleppen und ihn, da er auch noch hier den Aufenthalt verschwieg, an einem Stricke, durch eine eiserne Fallthür, zur ewigen Gefangenschaft ins Burgverließ senken.
Schon war ein Jahr verflossen und alle schmachteten noch in ihren Gefängnissen, ja, Reinhard schwur, wenn er heute seine Tochter finden sollte, er auch sie in einen ewigen Kerker werfen würde. »Sollte ich ihr verzeihen – setzte er hinzu – so will ich an dem Orte, wo ich sie in meine Arme schließe, eines jähen Todes sterben und als Verdammter umherwandeln.«
Nicht lange darauf, an einem trüben Wintertage, verirrte er sich auf der Jagd und kam gegen das Ufer der Donau. Eine menschliche Gestalt, [169] in eine Bärenhaut gehüllt, führte ihn zu dem Aufenthalte seiner Tochter, die, mit ihrem Söhnlein auf Laube ruhend, an den Gebeinen einer getödteten Wölfin nagte. Reinhard ließ sie auf sein Schloß bringen und umarmte, gerührt von dem Stammeln seines Enkels, die wiedergefundene Tochter. Nun eilte er, den Pater zu befreien, aber unglücklicher Weise gleitete er auf der obersten Stufe der Treppe aus und fiel hinab. Niemand hörte sein Wimmern; er richtete sich sterbend auf, ergriff den nahen Stein und todt war er. Am andern Morgen klebte noch seine Hand am Steine. Hier war es, wo er Etelina umarmte.
Rudolf, der nun Herr des Schlosses war, forschte nach des Kaplans Gefängniß und befreiete ihn daraus. Reinhard geht als Geist herum, so lange, bis der Stein, der zum Anhalten auf der Treppe dient, so ausgewetzt sein wird, daß er in zwei Stücke zerbricht. Für jetzt ist der Stein erst zu einer kleinen Höhle vertieft.