29. Die weiße Frau.
Die weiße Frau ist seit mehr als zweihundert Jahren in Deutschland bekannt gewesen, als eine solche, die, wenn der Tod an einiger großen Fürsten Pallast anzuklopfen pflegt, sich gemeiniglich vorher sehen läßt. Dies geschieht aber nicht allein in den deutschen hohen Häusern, sondern auch in unterschiedlichen Orten in Böhmen, jedoch nur allein bei vornehmen Familien. Dies weiße Gespenst soll den Anfang seiner Erscheinung vor vielen Jahren gemacht haben in Böhmen, und noch heutiges Tages sich oftmals sehen lassen in den meisten Schlössern der Herrn von Neuhaus und Rosenberg, welche diese zwei vornehmen Geschlechter vor Zeiten besessen haben. Und bezeugen Schriftsteller, daß diese weiße Frau allbereit vor vieler Menschen Gedenken unter den Herrn von Rosenberg oder von der Rose, jemandes Absterben vorbedeutet habe.
Diese Frau ist ganz weiß, hat auf dem Haupte einen weißen Schleier, wie die Wittwen tragen, mit weißen Bändern, ist lang von Person [143] und eines sittsamen Angesichts, in welcher Gestalt sie von einem alten Thurme, aus dem Fenster eines alten Schlosses, am Mittage heraussehend, von vielen Menschen erblickt worden und da jedweder unten auf dem Marktplatz mit Fingern auf sie gewiesen, ist sie dennoch von ihrer Stelle nicht gewichen, sondern allmälig kleiner geworden, eben als wenn sie herabkäme. Es soll sich aber dieses Gespenst nicht allein sehen lassen vor dem Absterben eines Herrn von diesem Geschlecht, sondern auch wenn einer geboren wird, oder sich in Ehestand begeben soll. In welchem Falle aber die Vorbedeutungszeichen unterschiedlich sind; denn, wenn einer sterben soll, so trägt sie an beiden Händen schwarze Handschuh, sonst aber ganz weiße. Bisweilen sieht man sie geschwind durch das Schloß hingehen, mit einem Bund Schlüsseln an ihrem Gürtel, als wenn sie sehr beschäftigt wäre, mit welchen Schlüsseln sie bald diese, bald eine andere Kammer aufschließt und wieder versperrt, sowohl bei hellem Tage, als bei nächtlicher Weile, ohne Unterschied. Wenn ihr dann Jemand begegnet und sie grüßet, so grüßet sie ihn wiederum mit einer sonderlichen Gravität und lieblichen, ehrbaren und schamhaftigen, als einer alten Wittwe wohl anstehenden Geberden. Sie neigt ihr Haupt, geht ihres Weges fort und thut keinem Menschen ein Leid.
[144] An der Gewißheit dieses weißen Gespenstes ist keinesweges zu zweifeln, dieweil auch in etlichen kurfürstlichen und fürstlichen Häusern des Römischen Reichs, sowohl von der reformirten, evangelischen und katholischen Religion, sie vor Todesfällen gesehen wird. Als am Ende des 17ten Jahrhunderts ein schöner junger Prinz von einem Hochfürstlichen Hause unversehens einen tödlichen Fall that, hat etliche wenige Tage zuvor die weiße Frau sich bei hellem Tage allda auf seinem Stuhle sehen lassen, welches der Hochfürstlich Brandenburgische Hofprediger und Professor der Theologie, Johann Wolfgang Rentschius in seinem Brandenburgischen Zederhain S. 714. mit folgenden Worten bezeugt:
»Den 16. August 1678 ritt der tapfere Prinz, auf welchen sich ganz Deutschland eine Hofnung gemacht, nehmlich der Markgraf Erdmann Philipp, von der Rennbahn zu Baireuth in das Hochfürstliche Schloß, fiel aber mitten in dem Schloßvorhofe, einige Schritte von der Treppe, also mit seinem Pferde, daß er nach zwei Stunden gottselig auf seinem Bette verschied, wiewohl er nach gethanem Falle die Treppe hinaufging und wegen seines tapfern und unverzagten Gemüths sich stellte, als wenn der Schade wenig zu bedeuten hätte. Vor seinem Tode hat man einige Vorbedeutungen in dem [145] fürstlichen Schlosse wahrgenommen, und die weiße Frau, welche sich, wie man vorgiebt, allezeit bei fürstlichen Trauerfällen sehen läßt, ließ sich auch damal auf des Prinzen Stuhl sehen, worüber dieser unvergleichliche Fürst bekümmert ward und sich bei seiner Hochfürstlichen Durchlaucht, Herrn Markgraf Christian Ernst, der damals bei der kaiserlichen Armee sich befand, darüber unmuthig beklagte, der auch nichts höheres wünschte, als daß es demselben nichts Böses bedeuten möchte.«
Also hält man in Deutschland für eine unzweifelbare Sache, daß diese weiße Frau den fürnehmsten hohen Häusern durch ihre Erscheinung eine Vorbedeutung giebt. Jedoch ist ihr Ursprung und Anfang, wie bereits oben gedacht, in Böhmen zu suchen, von dannen sie in die deutschen Höfe auch herüber kommen ist. Weil die Herrn von Rosenberg wegen ihres großen Vermögens, großen Ansehens und geführten fürstlichen Standes in so hohem Ansehen gewesen, daß Hochfürstliche Häuser sich mit denselben zu befreunden kein Bedenken getragen, wie denn Gerlach in seinem Türkischen Tagebuche erzählt, daß zu seiner Zeit, Anno 1527, der damals noch lebende alte Rosenberg der berühmteste im Königreich Böhmen gewesen und auch seine Stimme in den Pohlnischen Wahlstimmen gehabt. Die Gemahlin des Herrn Wilhelm von Rosenberg [146] war des Königs Sigismund von Pohlen Tochter. Er selbst, dieser Wilhelm, ist befreundet gewesen den Hochfürstlichen Hausern Braunschweig, Brandenburg, Baden. Seine Kinder sind verheirathet gewesen an andere fürstliche Häuser, und also hat die weiße Frau sich auch bei diesen eingefunden, soviel derselben einige Verwandtschaft mit dem Hause der Rosenberge gehabt haben.
Wir wollen aber hierbei vorstellen, wer diese weiße Frau gewesen ist:
Ohngefähr im Jahr 1430 ward Udalrich von Rosenberg dem zweiten eine Tochter geboren, genannt Bertha, von seiner Gemahlin Katharina von Wartenberg, welche gestorben ist Anno 1436 und ihm noch andere Kinder beiderlei Geschlechts geboren. Udalrich war Oberburggraf von Böhmen und durch die Autorität des Römischen Papstes zum obersten Feldherrn über das Kriegsvolk der Römischgesinnten wider die Hussiten verordnet. Bertha, welche er sehr liebte, gab er im Jahre 1449 auf den Sonntag vor Martini zur Ehe dem Herrn Johann von Lichtenstein, einem Baron in Steiermark, der sehr berühmt und mächtig, aber hernach in ein ganz viehisches Leben verfiel. Ihre Ehe war daher unglücklich, weil sie darin mehr Ursach zum Verdruß als Freude hatte. Ihr Mann hielt sie [147] sehr unbillig und verächtlich, sie mußte großen Mangel leiden, darüber sie oftmals sehr ungeduldig ward. Endlich starb ihr unvernünftiger Ehegenoß. Als dies Band also zerbrochen war, zog sie mit Freuden zu den Ihrigen und zu ihrem Bruder Heinrich dem 4ten in Böhmen, der Anno 1451 seinem Hause vorzustehen begunnte, aber sechs Jahr hernach ohne Kinder starb. Daher ward von den sämmtlichen Neuhausischen Stammverwandten ihr aufgetragen, die Auferziehung der Söhne und Töchter des Meinhard von Neuhaus, der im Jahre 1449 von Georg Perdiebrad seiner Ehren und seines Lebens beraubt worden, und ward ihr auch die Regierung über derselben Güter anvertrauet. Von des Meinhard's Söhnen ist der älteste, Ulrich von Neuhaus, im Jahre 1553 gestorben. Die zween übrigen, Johannes und Heinrich, als sie hernach mündig worden, wollten Frau Bertha, welche sie auferzogen hatte, nicht von sich lassen; also brachte sie ihre alten Tage auf dem Schloß Neuhaus zu. Es sturben aber beide, Johann und Heinrich, ohne Kinder.
Weil nun Meinhards, des gewesenen Statthalters und Oberburggrafen ganzes Geschlecht abgestorben, so fiel Neuhaus mit allen desselben Herrlichkeiten und Vorrechten an die andern Neuhausische Linie, der Telezonsischen, und in derselben an [148] Heinrich den 4ten, dessen Gemahlin war Anna, geborene Fürstin von Münsterberg.
In dem alten Gebäude des Schlosses Neuhaus steht ein Bild der Bertha, in Menschen Größe, sehr alt. Alle diejenigen, welche die weiße Frau gesehen haben, bezeugen, daß zwischen ihr und dem Bilde eine rechte Aehnlichkeit sei. Deshalb glauben die Katholischen, daß dieses Gespenst der Geist gedachter Bertha sein soll. Die Schlösser und Familien in Böhmen, da diese weiße Frau sich sehen läßt, sind Krumlow, Neuhaus, Trzebon, Frauenberg, das Schloß zu Bechine, zu Telzen, der Herren von Berka und der Herren von Lippe, in dem sehr alten und neuen Schloß Naryzaneck. In Deutschland an den Höfen der Fürsten, selbst der protestantischen, in Frankenland, Mark Brandenburg u.s.w. wird sie gesehen.
Man erzählt auch folgende Geschichten von ihr:
Als im Jahre 1539 Peter Rok, der letzte seines Stammes, geboren war, und, wie man's mit vornehmen Kindern zu halten pflegt, zu Trebona (Trzebon, zu deutsch Wittengau genannt) im Frauenzimmer auferzogen ward, fing die weiße Frau an bei Nacht oft zu ihm zu kommen, wenn die Amme oder das Kindermädchen der Schlaf übernommen hatte, wiegte das Kind, nahm es [149] auch, so es weinete, aus der Wiege auf ihre Arme, stillte es mit süßem Lispeln und andern Verfahrungen, so bei den Ammen gebräuchlich; lachte ihm freundlich zu, spielte mit ihm, trug ihn in den Gemächern herum und sparte an diesem Säugeling gar keinen Fleiß. Kurz, sie stellte sich so vertraulich bei dem Knäblein an, daß die Amme, Kinderwärterin und andere, denen dies Kind zur Wartung und Pflege anbefohlen war, sie mit ihm zufrieden ließen und nicht verstörten, noch ihr zu wehren begehrten, daß sie ihn mit ihren Händen angriff und in ihre Arme legte.
Hernach hat es sich begeben, daß ein neues Weib in das Frauenzimmer aufgenommen worden. Als nun selbiges Weib sieht, daß die weiße Frau das Kind aus der Wiege hebt und herum trägt, meint diese, es sei eine Schande, daß man das Kind einem Gespenst vertraue, faßt deshalb ein mehr als weibliches Herz, tritt hinzu, reißt dasselbe der weißen Frau aus den Armen und spricht: »was hast du mit unserem Kinde zu schaffen?« Hierauf fährt die weiße Frau, welche bisher allezeit geschwiegen, mit dieser zornigen Antwort heraus: »was, du unsaubere Dirne, du darfst mich noch wohl fragen, was mich das Kind angeht? da du doch erst neulich mit bloßen Füßen hierher gelaufen bist und dich allhier eingeschlichen hast. [150] Du sollst wissen, daß dieses Kind aus meinem Stamme bürtig und von meinem Bruder, durch dessen nach und nach einander erzeugte Kindeskinder; solchem nach aus der Linie meines Geblüts herkommt. Derhalben bin ich keine Fremde, sondern gehöre ihm zu.«
Gleich damit hat sie sich zu allen Hofmägden gewendet und gesprochen: »und ihr habt mir, eurer gnädigen Frauen, auch niemals annoch einige Ehre erwiesen, wie sich's gebührte, darum so behaltet nun euer Kind immerhin; ich will von nun an nicht wieder kommen.« Und zu der Amme sagte sie insonderheit: »warte du dieses Söhnleins wohl, und gieb fleißig Acht auf ihn; er wird dankbar sein. Und wann er nun erwachsen ist, so gieb ihm die Nachricht, daß er mir so lieb sei, und sage ihm auch, wie ich aus diesem Orte (wobei sie zugleich mit der Hand nach der Wand hinzeigte), habe pflegen zu ihm zu kommen und wieder dahin gehe.« Nachdem sie diese Worte kaum ausgeredet, ist sie, zu selbiger Wand, hineingetreten und ihnen gleich aus den Augen verschwunden, hat auch, von selbigem Tage an, den Kleinen nicht mehr besucht.
Als aber dieser Peter Rok von der Amme solches, da er ein erwachsener Jüngling war, erfahren, hat er lange nicht verstanden, was damit eigentlich [151] gemeint würde, bis er, in seinem Alter, nach Absterben seines Bruders Wilhelm, in derselbigen Wand, zu welcher die weiße Frau allezeit hatte pflegen hinein zu gehen (nachdem er vielleicht, durch eine neue Anzeigung, dazu eine Ermahnung bekommen), zu graben befohlen und daselbst einen verborgenen gewaltigen Schatz angetroffen, wovon hernach, im Jahre 1611, dem Passau'schen Kriegsheere, welches, weil man ihm seinen Monatssold verweigerte, sich empörte und feindlich in Böhmen gegangen war, etliche hunderttausend, so Kaiser Rudolph von diesem Peter lieh, gezahlt worden, nach deren Entrichtung man diese Völker abdankte.
Zu Neuhaus ward alljährig ein Fest gefeiert, das Fest des süßen Breies, indem armen Leuten am Grünendonnerstage in der Charwoche eine Gastung angerichtet ward. Zu dieser Mahlzeit versammelten sich, aus aller umliegenden Nachbarschaft, eine solche Menge der Armen, daß alsdann in dem Neuhauser Schloß zum wenigsten sieben tausend, ja zuweilen auch neun bis zehn tausend armer Gäste gezählt wurden. Es setzten sich je zwölfe beisammen auf die Erde, auf den weit geraumen Schloßplätzen von Neuhaus, und damit keine Unordnung noch Unruhe entstehe, zählte man die Tische und wurden, bei jedem, besondere Aufwärter gestellt, welche zu Tische dienen, die Speisen [152] auftragen, Trinken bringen und einschenken mußten. Solche Aufwartung bestand nicht in gemeinen Leuten, sondern in lauter Befehlshabern und Beamten, als da sind: Amtmänner, Hauptleute, Burggrafen, Schreiber, und fast allerlei Beamten oder Verwalter, deren es unzählig viele gab, ingleichen die Rathsherrn und andere ansehnliche Bürger der Stadt. Gemeiniglich ging selbst der Gubernator und Herr des Orts mit etlichen vornehmen Gästen vor dem Gepränge der Gerichte her, trug die erste Schüssel zu, und ward ihm von einem starken Haufen solcher Tafeldiener nachgefolgt.
Weil es aber nicht wohl möglich, daß eine so große Menge Volks an einem Orte und auf eine Zeit zugleich essen kann, läßt man auf einmal der Gäste nicht mehr ein, als der Raum des Platzes verstattet. Wenn dieselben gesättigt, läßt man sie, durch das Hintertheil des Schlosses, hinaus, und führt hingegen andere wieder herein, bis alle vorhandenen Armen gespeiset waren und keiner mehr übrig, welcher die Mahlzeit nicht genossen hätte.
Die Speisen aber, so man ihnen vorsetzte, waren diese: erstlich ward ein dreipfündig Brod aufgelegt; hernach eine Suppe von Bier, oder andere Brühe, aufgesetzt, die gar fett und wohl mit Butter geschmalzet war; demnächst zweierlei Speisen [153] von Karpfen (das heißt, Karpfen zwiefach zugerichtet) und endlich der sogenannte süße Brei, derselbe war aus Erbsen, Buchweitzen oder sonst andern Früchten gekocht. Vor Alters pflegte man ein wenig Honig hinein zu thun, daher der Name des süßen Breies. Dünnbier gab man ihnen, so viel sie verlangten, und zuletzt jedem auch sieben Prätzeln von Semmelmehl. Die meisten Gäste, besonders die Armen, nehmen mit sich nach Hause, was sie können und bringen darum zween Hafen mit sich, in den einen werfen sie zwei Theile von den Karpfen, unangesehen, daß dieselben in der Würze und Zurichtung unterschieden sind, in den andern schütten sie das Bier. Alles andere, so sich nicht theilen läßt, als die Suppe, das Eingeweide und den Brei, verzehren sie zusammen gemeinschaftlich.
Diese milde Handlung soll oftmals die Tonnen von etlichen Brauungen, so wie ganze Fischteiche geleert haben. Urkunden und Dokumente schwiegen schon früh, zur Zeit des Jesuiten Balbinus, über den Ursprung dieser frommen Sitte, die sich alljährig vom Vater zum Sohne, vom Vorgänger auf den Nachfolger vererbte. Alte hundertjährige Greise, mit weißen Scheiteln, damals befragt, erzählten, ihre Vorfahren hätten ihnen über [154] die Entstehung des Festes folgendes erzählt und alle stimmten gleichlautend, wie die Sage stäts fortschreitet, überein: es wäre ehedem eine fürnehme Matrone, hohes Stammes, gewesen, der man die Vormundschaft über die verwaisten jungen Herren von Neuhaus vertraut hätte. Diese habe man, da sie, als eine Wittwe, in Wittwenkleidung gegangen, dieweiße Frau genannt und sei es eben dieselbe, welche, so wie die Vorfahren gleichfalls angezeigt, bisweilen im Schlosse erscheine.
Sie habe angefangen, das Neuhausische Schloß zu bauen und viele Jahre über solchem Werke zugebracht, mit großer Beschwerung aller Unterthanen, so sie bei Grabung und Aufführung der Walle, Aufrichtung der Thürme, Zuführung des Kalks, Sandes, der Steine und anderer Materialien, bis zur gänzlichen Vollendung solches weitläuftigen und großen Schloßgebäudes, ausgestanden. Dabei sie doch gleichwohl solchen frohnenden Arbeitern freundlich zugesprochen, mit Vertröstung, diese Arbeit und Frohndienste würden schon mit ehesten zu Ende gehen. Auch habe sie jedweden seinen Tag- oder Arbeitslohn mit baarem Gelde bezahlt und ihnen zugerufen: »arbeitet für eure Herren, ihr getreuen Unterthanen, arbeitet! Wann wir das Schloß werden verfertigt haben, will ich euch und allen euren Leuten einen süßen Brei geben.« Denn diese [155] Art zu reden führten die Alten, wenn sie jemand zur Mahlzeit luden.
Nachdem endlich das Schloß in völligem Stande und vollendet, welches, nach Aussage dieser befragten Alten, im Herbst geschehen, hat die Frau, ihres Versprechens eingedenk, allen Unterthanen ein herrliches Mahl zugerichtet und unter währender Mahlzeit zu ihnen gesagt: »zu stätem Gedächtniß eurer That gegen eure liebe Herrschaft sollt ihr jährlich eine solche Mahlzeit haben. Also wird das Lob eures Verhaltens auf die späten Nachkommen fortgrünen.«
Nachmals aber, – sagten diese guten ehrlichen Grauköpfe, – hätten die Herren für füglicher angesehen, daß man diese Mahlzeit, aus dem Herbste, auf den Tag und das Gedächtniß des heiligen Abendmahls verlegte, als an welchem ohnedem die Armen von reichen und vornehmen Christen bewirthet würden. Und solche Veränderung des Tages wäre eben so überalt noch nicht, ja sie erstrecke sich noch kaum über hundert Jahre. Das war es, was die hochbetagten Graubärte davon aussagten.
In dem alten Schlosse Neuschloß ward auch die weiße Frau geschaut und hing daselbst die wahre Gestalt dieser verstorbenen, jetzt aber um das Schloß herumwandernden weißen Frau, auf einer [156] an der Wand hängenden Tafel gemahlt. Das wüste Schloß Tollenstein, von welchem das Gerücht geht, als ob viele Schätze darin verborgen liegen, hat gleichfalls die weiße Frau zur Einwohnerin oder Besucherin. Sie schaut unterweilen zum Fenster herab, darüber sich alsdann die Wandersleute verwundern und sie grüßen.
Wann sie erscheint, so läßt sie in ihrem Angesichte nichts als lauter sittsame Bescheidenheit, Zucht, Schamhaftigkeit und Gottseligkeit erscheinen. Doch hat man auch wohl gesehen, daß sie zornig worden und ein finsteres Gesicht gemacht hat, wider diejenigen, welche wider Gott oder den Gottesdienst eine lästerliche Rede ausgeschüttet; ja, daß sie dieselben auch wohl mit Steinen und allem, was ihr in die Hand gekommen, verfolgt hat. Wozu noch kommt ihre große Liebe zu den Armen und Dürftigen. Die Entstehung des süßen Breies, wie wir gesehen, ist ihr Werk, weswegen sie dann, wofern entweder der bösen Zeiten, oder feindlicher Gefahr oder anderer Ursachen halber, die Gabe an die Armen unterlassen wird, sich so unruhig, so übelvergnügt, ja ganz rasend und wütig erzeigt, daß sie ganz unerträglich wird und sich nicht eher zur Ruhe giebt, als bis den Armen die gewöhnliche Barmherzigkeit, daß sie gespeist werden, widerfährt. Alsdann sieht man sie erst wieder fröhlich[157] und munter und niemanden überlästig, noch beschwerlich.
Man sagt, daß, als die Schweden im dreißigjährigen Kriege, nach Einnehmung dieses Schlosses und der Stadt, den Armen diese Mahlzeit auszurichten entweder vergessen, oder vorsatzlich unterlassen, sie, die weiße Frau, einen solchen Tumult und ein solches Getümmel erregt, und dergestalt getobt habe, daß die Leute im Schlosse schier darüber hätten verzweifeln mögen. Es ward die Soldatenwacht verjagt, geschlagen und von einer geheimen Gewalt zu Boden gestürzt. Es begegneten solchen Schildwachten mancherlei seltsame Gestalten und wunderblasse Gesichter. Die Offiziere selbst wurden, bei Nacht, aus den Betten und auf der Erde herumgezogen. Da man nun ganz keinen Rath wußte, diesem Uebel zu steuern, sagte einer von den Bürgern aus Telzin dem Schwedischen Kommandanten, es sei den Armen die jährliche Mahlzeit nicht gereicht worden und rieth ihm, er solle solche alsofort, nach der Vorfahren Weise, geben lassen. Nachdem solches geschehen, hat man im Schlosse alsofort Ruhe bekommen und ist alles überall von Gespenstern so stille geworden, daß allerdings auch die Winde zur Ruhe gelegt schienen.