3. Lobgesang

Heller glänzt Aurorens Schleier.
Auf! Beginnt den Lobgesang!
Töne d'rein, geweihte Leier!
Hall' am Felsen, Wiederklang!
Aphroditens Hauch durchdringet,
Bis zur Gränze der Natur,
Wo die letzte Sphäre klinget,
Alle Pulse der Natur.
Sie befruchtet Land und Meere,
Sie das weite Luftrevier.
Wie sie zeuge, wie gebäre,
Weiß die Kreatur von ihr.
Morgen liebe, was auf nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!
Wie mit Perl' und Edelsteine,
Schmückt sie bräutlich unsre Welt;
Streuet Blüten auf die Haine,
Blumen über Wies' und Feld.
[23]
Sie enthüllt die Anemonen,
Schließt den goldnen Krokus auf;
Setzet die azurnen Kronen
Prangenden Cyanen auf.
Den Päonien entfaltet
Sie das purpurne Gewand;
Wie der Mädchen Busen, spaltet
Junge Rosen ihre Hand.
Ichor ihrer Dornenwunde
Färbt' einst ihren Silberschein,
Und ein Hauch aus ihrem Munde
Strömte Wohlgeruch hinein.
Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!
Liebe segnet die Gefilde,
Und beseliget den Hain;
Liebe flößt dem rauhen Wilde
Wonnigliche Regung ein.
Gatten um die Gatten hüpfen
Rüstig durch den Wiesengrund.
Aphroditens Hände knüpfen
Ihren süßen Liebesbund.
Alte Sage bringt zu Ohren:
Daß sie auf der Hirtenflur
Selber einst den Sohn geboren,
Den Beherrscher der Natur.
Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!
Sie entriß Anchisens Laren
Dem entflammten Ilion,
Und aus tausend Meergefahren
Den verfolgten biedern Sohn.
Sie schlang um die Hand Äneens
Und Laviniens ihr Band,
Und die keusche Zone Rheens
Löste sie durch Mavors Hand.
[24]
Sie vermählte Romuls Diener,
Halb durch List und halb durch Macht,
Mit den Töchtern der Sabiner.
Aus der Saat der ersten Nacht
Keimten großer Thaten Thäter,
Wunder für der Nachwelt Ohr,
Und die edlen weisen Väter
Ihres Vaterlands empor.
Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!
Schall', o Maigesang, erschalle!
Töne, Cypris Hochgesang!
Hört ihr? Singen ihr nicht alle
Fluren, alle Wälder Dank?
Von dem Anger tönt das laute
Lustgebrüll der Herden ihr.
Aus Gesträuche, Gras und Kraute
Summt sein Lied das Würmchen ihr.
Ihr nur schnattert das Gefieder
Von den Teichen Dank empor;
Und der edlern Vögel Lieder
Sind ein Opfer ihrem Ohr.
Horcht! Es wirbelt Philomele
Tief aus Pappelweiden d'rein.
Liebe seufzet ihre Kehle;
O wie könnt' es Klage sein?
Nicht um Tereus Grausamkeiten
Wimmert Prognens Schwester mehr.
Soll ich nicht ihr Lied begleiten?
Stimmet mich kein Frühling mehr?
Ha, erwachte nicht im Lenze
Meine Brust zu Lieb' und Sang,
So entwelkten mir die Kränze,
Die um's Haupt mir Phöbus schlang.
Phöbus Huld müßt' ich entbehren;
Stimm' und Laute nähm' er mir:
Säng' ich, Mai, nicht dir zu Ehren,
Nicht zu Ehren, Liebe, dir.
[25]
Darum werde, wann die Schwalbe
Singend ihre Wohnung baut,
Werd', o Sang, gleichwie die Schwalbe,
Nach der Winterstille laut!
Morgen liebe, was auch nimmer
Noch geliebet hat zuvor!
Was geliebt hat längst und immer,
Lieb' auch morgen nach wie vor!

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TextGrid Repository (2012). Bürger, Gottfried August. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1789). Erstes Buch. Lyrische Gedichte. Die Nachtfeier der Venus. 3. Lobgesang. 3. Lobgesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-477E-2