An die Hoffnung

Wohlthätigste der Feen!
Du, mit dem weichen Sinn,
Vom Himmel ausersehen,
Zur Menschentrösterin!
Schön, wie die Morgenstunde,
Mit rosichtem Gesicht,
Und mit dem Purpurmunde,
Der Honigrede spricht!
Du, die mich oft erheitert,
Vernimm, o Hoffnung, mich!
Mein freies Herz erweitert
Zu Lobgesängen sich.
Sie lodern mit dem Feuer
Des frommen Danks empor.
O neig' auf meine Leier
Dein allgefällig Ohr!
Als, mit dem goldnen Alter,
Der Unschuld Glück entwich,
Da sandten die Erhalter
Gequälter Menschen dich:
Daß du das Unglück schwächtest,
Des Lasters Riesensohn,
Und Freuden wiederbrächtest,
Die mit der Unschuld flohn.
[35]
Nun wandelt im Geleite
Dir ewig Ruhe nach.
Im Aufruhr und im Streite
Mit grausem Ungemach,
Erteilest du dem Müden,
Eh ganz sein Mut erschlafft,
Erquickung oder Frieden,
Und neue Heldenkraft.
Du scheuchest von dem Krieger
Das Grauen der Gefahr,
Und tröstest arme Pflüger,
Im dürren Mangeljahr.
Aus Wind und lauem Regen,
Aus Sonnenschein und Tau,
Verkündest du den Segen
Der zartbesproßten Au.
Von deinem Flügel düftet
Ein Balsam für den Schmerz;
Bei seinem Weben lüftet
Sich das beklommne Herz.
Dein Odem hauchet Kräfte
Verwelktem Elend ein;
Erstorbne kalte Säfte
Belebt dein milder Schein.
Du bist es, die dem Kranken
Die Todesqualen stillt;
Mit wonnigen Gedanken
Von Zukunft ihn erfüllt;
In seinen letzten Träumen
Das Paradies ihm zeigt,
Und unter grünen Bäumen
Die Lebensschale reicht.
Die du den armen Sklaven
Im dunkeln Schacht erfreust;
Von unverdienten Strafen
Erlösung prophezeist;
Dem im Tyrhenermeere
Die Last des Ruders hebst,
Und über der Galeere,
Wie Frühlingswehen, schwebst;
[36]
O Göttin! Deine Stimme
Tönt der Verzweifelung,
In ihrem tauben Grimme,
Noch oft Beruhigung.
Dein holder Blick entwinket
Sie gieriger Gefahr.
Der Todesbecher sinket,
Der schon am Munde war. –
Und ach! – Verschmähte Liebe
Bräch' ihren Wanderstab
Getrost entzwei, und grübe
Sich vor der Zeit ihr Grab.
Doch du hebst ihr im Leiden
Das schlaffe Haupt empor,
Und spiegelst ihr die Freuden
Erhellter Zukunft vor.
Das hat mein Herz erfahren! –
Schon lange wäre wohl
Von meinen Trauerjahren
Die kleine Summe voll;
Dem Kummer hingegeben,
Brach mir bereits der Blick;
Du locktest mich ins Leben
Mit Schmeichelei zurück. –
»Vielleicht, daß deiner Zähren
Die Letzte bald verschleicht.
Wie lange wird es währen,
So hauchest du vielleicht
Den Seufzer ihr entgegen,
Dem Lieb' und Glück verliehn,
Die Harte zu bewegen,
Die unempfindlich schien.
Und blieb' ihr Herz hienieden
Auch immer unerweicht;
So ist sie dir beschieden
Im Himmel noch vielleicht;
Im Himmelreich, wo Liebe
Die Seelen all' erfüllt,
Und jede Brust die Triebe
Der andern Brust vergilt.
[37]
Wann, sonder Erdenmängel,
Dein Reiz in Fülle blüht,
Und Anmut holder Engel
Dir aus dem Auge sieht;
Wann sich zur Engelseele
Die deinige verschönt,
Und himmlisch deine Kehle
Zur Himmelsharfe tönt:
Dann, süßer Lohn der Treue!
Beschleicht die leere Brust
Erbarmen oder Reue,
Voll reiner Liebeslust.
In Edens schönster Laube
Beseliget sie dich.« –
O Paradiesesglaube,
Erhalt' und stärke mich!

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TextGrid Repository (2012). Bürger, Gottfried August. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1789). Erstes Buch. Lyrische Gedichte. An die Hoffnung. An die Hoffnung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4745-2