Zwanzigste Vorlesung
Allgemeine europäische Reaction. Der Staatsstreich in Frankreich. Zweites Kaiserthum. Der Krimkrieg. Frieden von Paris. Deutschland's totale Ohnmacht. Graf Orsini. Frankreich's Bündniß mit Italien. Cavour. Französisch-italienischer Krieg. Frieden von Zürich. Thronwechsel in Preußen. Wilhelm I. Militärreform in Preußen. Der Nationalverein. Reformverein. Herr von Bismarck Minister. Der Berliner Budgetstreit. Fürstencongreß in Frankfurt. Tod des Königs von Dänemark. Die Herzogthümer. Krieg mit Dänemark. Handelsverträge mit Frankreich und Italien. Preußisch-italienische Allianz. Preußen beantragt Bundesreform. Attentat auf Bismarck. Ausbruch des Krieges. Preußen und Italien gegen Oestreich. Feldzug in Böhmen. Die Mainarmee. Friede von Prag. Der Nordbund. Die Mainlinie. Verfassung des Nordbundes. Erster Reichstag. Zollparlament. Das neue deutsche Reich!
Wir haben im Laufe dieser Darstellung manche schmerzvolle Phase der deutschen Geschichte kennen gelernt, doch lastete kaum eine andere Zeit von solch tiefer Muth- und Hoffnungslosigkeit auf der ganzen Nation, als die von 1850 bis 60. Das Bewußtsein, man habe einen glorreichen Aufschwung gemacht und sei doch nicht fähig gewesen, dessen Früchte festzuhalten, war ein unendlich schmerzliches und wurde mehr oder weniger von allen Partheien getheilt, die nicht vollständig auf den Rückgang zum Alten – gar Manche sagten, auf den Untergang des Vaterlandes – hinarbeiteten. – Ein gleiches Schicksal bedrückte unsere Nachbarvölker; wie Alle, von einem gleichen Funken entzündet, im Jahre 1848 aufgestanden und für ihre Freiheit und Unabhängigkeit gekämpft hatten, so erblicken wir jetzt wieder eine solidarische Coalition des Absolutismus, der noch einmal, zum letzten Male, wie wir hoffen, seine eiserne Hand auf Europens Völker legte, und ihren Rechten und Wünschen, ihrer ganzen geistigen Fortentwicklung neue Fesseln zu schmieden suchte.
Nur jene Länder, in welchen ein wirklich parlamentarisches Leben sich festgestellt hatte, England, Belgien, Holland, Schweden und auch Dänemark hatten davon wenig oder nichts zu empfinden, oder waren in den Stand gesetzt, gegen solche Versuche anzukämpfen.
[566] In Deutschland konnte man ruhig darüber sein, daß alle Spuren der Revolution möglichst schnell verwischt wurden, dafür sorgte der am 30. Mai 1851 in aller Form Rechtens wieder im Turn- und Taxis'schen Palais eingesetzte Bundestag. Nach wie vor machte er den Polizeischergen der Fürsten, nur ging Preußens Politik, das seinen Gesandten in der Person des bekannten Herrn von Rochow geschickt hatte, jetzt dahin, die magnetisirte Leiche in keiner Weise mehr zu Kräften kommen zu lassen und in konsequenter Weise von seinem Veto Gebrauch zu machen, wenn irgend ein Vorschlag auftauchte, der ein nationales Bedürfniß schien befriedigen zu wollen. –
Nun konnte es auch Fürst Metternich wieder getrost wagen, aus seinem Privatleben auf Schloß Johannisberg nach Wien zurückzukehren; schien es doch, als sollten seine Theorien am Ende noch Recht behalten, und wenn er auch keine öffentliche Stellung mehr einnahm, so war er doch vielfach die Egeria der östreichischen Staatsmänner, wenn sie plausible Vorwände suchten, um heilige Versprechungen zu umgehen. Im Laufe des Jahres 1851 wurden noch fast alle deutsch-katholischen und freireligiösen Gemeinden als staatsgefährliche, politische Gesellschaften aufgehoben und verboten, und dann der letzte Rest angestrebter deutscher Einheit, die deutsche Flotte, deren Grundlage die Schiffe bildeten, welche Hamburger Schiffsrheder freiwillig zur Verfügung gestellt, wie schon erwähnt, an den Meistbietenden versteigert. Was sollte auch Deutschland mit einer Flotte, da es seit der Ratification des Londoner Protokolls Kiel verloren und folglich keinen Hafen mehr hatte. – Die Herzogthümer blieben dänischer Willkürherrschaft überlassen, die überall in Schleswig die dänische Sprache gewaltsam wieder einführte, und von einer endlichen Amnestie zuerst den nächsten Erbberechtigten, den Herzog von Augustenburg, ausschloß, dann den [567] seitherigen Statthalter Schleswigs, Beseler und noch eine Menge von Beamten, Geistlichen, Lehrern und Officieren. Der einzige deutsche Fürst, der gegen dieses Londoner Protokoll protestirte, war Herzog Ernst von Koburg-Gotha, und so nahm auch er allein sich jetzt der Verfolgten und Vertriebenen mit wärmsten Eifer an. Um so empörender waren die in den Herzogthümern geschaffnen Zustände, als man sich sagen mußte, daß sie nicht andauern konnten. Nur durch eine ganz willkührliche Umgehung des salischen Gesetzes war die Integrität Dänemarks mit Schleswig-Holstein zu Stande gekommen; zwar hatte der alte Herzog von Augustenburg sich gegen eine Abkaufssumme bereit finden lassen, das Londoner Protokoll zu unterzeichnen und auch der Prinz Friedrich von Hessen, der später für Dänemark durch den Besitz Kurhessens entschädigt werden sollte, weil der Kurfürst keine ebenbürtigen Kinder besaß, gab sein Erbrecht daran. Der Sohn des Ersteren jedoch, der auf seinem Gute Dolzig in Schlesien lebte, protestirte später gegen den ganzen Vertrag, und so war es nicht schwer, neue Verwicklungen vorauszusehen. – Die ernsteste Gefahr jedoch, welche Deutschland nun auch noch auf dem Gebiete materieller Einigung bedrohte, war die Sprengung des Zollvereins durch Oestreich, welches, nachdem sein Plan, mit seinem ganzen Staatencomplex in den erneuten Bundestag einzutreten, gescheitert war, es nun auf andere Weise versuchte und jetzt verlangte, mit seinem Gesammtgebiet in den Zollverband aufgenommen zu werden, um Preußens Hegemonie auch selbst auf diesem Gebiete zu verdrängen. Schon war es ihm gelungen, auf einer Zoll-Conferenz in Wien, Sachsen, Bayern undWürtemberg für sich zu gewinnen; Preußen aber, das zur selben Zeit den endlichen Anschluß von Hannover erzielte, blieb so fest, dast die übrigen deutschen Staaten entweder auf alle ihre bisherigen Vortheile verzichten, oder in dem alten Verbande [568] verbleiben mußten. Bereits hatten große Leipziger Firmen beschlossen, im Falle der Auflösung des Zollvereins nach Preußen überzusiedeln, und auch an andern Handelsplätzen zeigte sich die größte Aufregung über das drohende Unheil. Hier, wo die materiellen Interessen so nahe berührt wurden, trug Preußen einen ganz entscheidenden Sieg über Oestreich davon, und wir sehen es jetzt auch eifrig darauf bedacht, sich eine Seemacht zu begründen, zu welchem Zwecke es um 1853 von Oldenburg ein kleines Gebiet an der Mündung der Jahde, den Jahdebusen, erwarb, um sich da einen Kriegshafen zu schaffen. Den Grundstock der neuen Kriegsflotte bildeten zwei Schiffe, die Preußen von der deutschen Flotte käuflich erworben hatte: derBarbarossa und die von den Dänen eroberte FregatteGefion.
In den kleineren Staaten sah es noch trüber aus, als in den großen; die Maßregeln der Reaction nahmen dort wieder ganz den gehässigen, persönlichen Charakter an, wie er es vor 48 gewesen. Man beschnitt die bestehenden Verfassungen so viel als irgend möglich, und die Presse wurde wieder auf das Strengste überwacht, wenn man es auch vermied, die verhaßte Censur auf's Neue gesetzlich einzuführen. Zu Anfang der fünfziger Jahre, und so lange für Aburtheilung politischer oder Preßprocesse die Schwurgerichte bestehen blieben, wurden die Gemüther noch in einiger Spannung erhalten, durch verschiedne Monstreprocesse gegen die politisch Angeklagten, und mit besonderem Interesse verfolgte man die Verhandlungen in Köln wegen der Excesse in der Rheinprovinz, zu denen Kinkel von Stettin aus, in Ketten und Banden transportirt wurde, um dann wieder hinter den Zuchthausmauern zu verschwinden und Wolle zu spinnen, bis die rastlose Thätigkeit seiner Frau und seiner Freunde ihm zur Flucht nach England verhalf. – Bei solchen Gelegenheiten fiel dann noch manches kühne Wort von den Lippen der Vertheidiger [569] oder der Angeklagten und mit schmerzlichem Gefühle durchlebte man während solcher Verhandlungen noch einmal die so schöne und so schwere Vergangenheit. Aber strenge mochte man sich hüten, das, was man dachte, nicht über die Lippen treten zu lassen, denn strafte das Gesetz schon Jeden, den es erreichen durfte und konnte, mit voller Härte, so suchte man auch die bloße Gesinnung zu bestrafen, wo es im Bereiche der Möglichkeit lag. Diese Mißliebigen wurden dann zu keinem Amte mehr zugelassen, von den Staatsprüfungen zurückgewiesen, nicht befördert, und sonst noch auf jede Weise bedrückt. So sahen sich auch noch in den folgenden Jahren viele strebsame, junge Männer genöthigt, den Staatsdienst zu quittiren, oder das Vaterland zu verlassen um ihre Kenntnisse im Auslande zu verwerthen. Ein neuer Aufschwung der Literatur, welcher einigermaßen zu trösten vermocht hätte, war unter diesen Verhältnissen eben so wenig zu erwarten; wer wollte noch Freiheitslieder singen und an die Herzen seiner Nation anpochen, wo die Gegenwart nichts empfinden ließ, als die hoffnungslose Erinnerung an eine furchtbare Enttäuschung. Wo das Große nicht gedeihen konnte und nicht mehr ausgesprochen werden durfte, da kam das Kleine und Süßliche an die Reihe. Die große Entsühnung durch das Religiöse, für die man jetzt schwärmte, erzeugte Dichtungen, wieAmaranth, voll Phantastik und hohler Sentimentalität, die ernste Naturen nach dem, was man eben erst erlebt, anwiderten, und der Geschmack des großen Publikums wendete sich mehr und mehr dem Genre des »Lovely« zu. Die poetischen Nippessachen: Was sich der Wald erzählt, Was die Vöglein singen, und Was die Steine denken, waren an der Tagesordnung. – Nur die ernste Wissenschaft, namentlich die Naturforschung, arbeitete unverdrossen in stiller Kammer weiter und aus ihren staunenswerthen Resultaten entwickelten sich Anschauungen und philosophische Folgerungen, [570] die bald in der theologischen und philosophischen Welt einen vollständig neuen Geist hervorrufen sollten. –
Nehmen wir aber jetzt den Faden der Geschichte wieder auf, so bemerken wir, wie die Wendung der Dinge in Frankreich das Wiedererstarken des Absolutismus nun zumeist begünstigte. Dort stand jetzt an der Spitze eines zweiten »empire« jener Neffe Napoleon's, der mehr als irgend ein Anderer der Napoleoniden auf sein Glück und auf sein eingebildetes Recht, der Erbe seines großen Oheims zu werden, vertraute. Mit eiserner Consequenz hatte Louis Napoleon diesen Plan seines Lebens verfolgt; als Jüngling in die Umwälzungspläne der Carbonari verwickelt, war er später nach England geflüchtet und hatte von da aus in abentheuerlichster Weise zuerst in Straßburg und dann ein zweitesmal in Boulogne, bei welcher Gelegenheit eine Art von Gottesurtheil versucht wurde, indem man hungrige Adler auffliegen ließ, die sich auf des Prinzen Hut setzten, in welchem ein Stück Fleisch verborgen lag – den Versuch gemacht, durch Proclamirung des Napoleonismus, die Bevölkerung zu einer Erhebung für denselben fortzureißen. Aber er erreichte nichts, als nur den Fluch der Lächerlichkeit auf sich herabzuziehen. Von Straßburg aus gelang es ihm zu entkommen, sein zweiter Staatsstreich en miniature trug ihm ein mildes Gefängniß in der Festung Ham ein, aus der er gleichfalls entwich, und nach England entfloh, mit unerschütterter Zuversicht seine Zeit erwartend 6.
Die Februarrevolution erschloß ihm auf's Neue die Gränzen Frankreichs, und er und seine Anhänger wußten nun das erregte Volk durch eine napoleonische Presse, durch [571] Bilder und Bänkelsängerlieder so wirksam an die Kaiserzeit zu erinnern, daß der Prinz in mehreren Departements zugleich zum Deputirten der Nationalversammlung erwählt wurde, und nun unbestritten seinen Aufenthalt in Frankreich nehmen konnte, nachdem ihn die damalige provisorische Regierung ein erstes Mal nach England zurückgeschickt hatte. Als er nun wieder kam, war eben der schon früher erwähnte Junikampf zu Ende gegangen und General Cavaignac hatte die Popularität, welche er vorher genossen, durch die Unterdrückung dieser furchtbaren Emeute, bei den geringeren Klassen wieder eingebüßt. In klügster Weise wußte jetzt der Prinz sich einen Stützpunkt bei der Armee und bei dem Landvolke zu schaffen, bei dem Letzteren namentlich durch Hülfe des Klerus, den er durch Versprechungen für sich zu gewinnen wußte. Man erinnere sich überdies daran, wie sehr die gestürzte Regierung ihm vorgearbeitet, indem sie, durch die Ueberführung von Napoleon's Asche nach Paris, die Napoleonische Legende in ihrem vollen Zauber neu belebt hatte. –
Im November 1848 war das Werk der französischen Constituante, die Schöpfung einer neuen, republikanischen Verfassung beendigt; die Nation sollte fortan durch eine einzige Kammer vertreten und die vollziehende Gewalt oder Executive einem Präsidenten übertragen werden, welcher, wie auch die Kammer, durch das Plebiscit, oder allgemeine Stimmrecht, dem zur Folge jeder 21jährige Bürger wahlberechtigt war, erwählt werden sollte. Dieser Präsident wurde alle vier Jahre neu gewählt, doch durfte dies nicht zweimal nacheinander geschehen und der Erste, dem die Ehre dieser Wahl zu Theil werden würde, sollte sein Amt nur bis zum Mai 1852 bekleiden. Unter den Präsidentschafts-Candidaten befand sich Louis Napoleon, neben Cavaignac, Ledru-Rollin, Raspail undLamartine. Es wird behauptet, daß die Parthei von Thiers die Wahl des Prinzen [572] unterstützt habe, weil er ihnen als der Unbedeutendste unter den Wählenden erschienen und so siegte dieses mal der Stern, dem er so lange vertraut. Louis Napoleon ging mit einer großen Mehrheit aus der Wahlurne hervor und am 20. December 1848, nachdem Cavaignac sein provisorisches Amt als Präsident niedergelegt, trat der Neffe des Kaisers an die Spitze Frankreichs, zuvor die neue Verfassung, welche das Land sich gegeben, feierlichst beschwörend.
Mit großer Energie ergriff er augenblicklich die Zügel der Regierung, ohne sich dabei auf eine besondere Parthei innerhalb der neugewählten Nationalversammlung zu stützen. Es gelang ihm, derselben Ansehen und Autorität zu verleihen, einen republikanischen Anschlag gegen ihn selbst im Keime zu ersticken und durch die Expedition nach Rom um 1849, durch welche die römische Republik gestürzt und dem bedrängten Pabste seine weltliche Herrschaft zurückgegeben wurde, den Klerus und die Frauen vollends für sich zu gewinnen, dabei war er wohl darauf bedacht, die liberalen Gesetzentwürfe der Kammer möglichst zu beschränken.
Eine Dotation von 2 Millionen Francs, die ihm das Repräsentantenhaus bewilligte, benutzte er zu militärischen Festen und, bald von Generalen umringt, die ihm vollständig ergeben waren, durfte er es wagen eine Revision der Verfassung zu verlangen. Diese von ihm gewünschten Aenderungen bezogen sich vornehmlich auf die Präsidentenwahl, denn Louis Napoleon war entschlossen seinen Platz am 1. Mai 1852nicht zu räumen, sondern ihn festzuhalten, unter dem Vorgeben, daß Frankreich weniger die Republik wolle, als nur ihn selbst. Er suchte zuerst seinen Wunsch auf gesetzlichem Weg zu erreichen, nachdem die Kammer aber die gewünschte Revision zweimal verworfen hatte, denn die demokratische Parthei ersehnte ungeduldig den Moment des Präsidentenwechsels, um die Oberhand wieder zu gewinnen, [573] entschloß sich Louis Napoleon zur Gewalt. Seine persönliche Lage lud ihn allerdings dazu ein, va banque zu spielen, denn er war derart von Schulden bedrängt, daß er vom Präsidentenstuhl geradezu in das Schuldgefängniß hätte wandern müssen. Sein letztes Auskunftsmittel war der berüchtigte Staatsstreich vom 2. Dec. 1852, wozu sein Halbbruder, der Graf Morny, der seine Unsitten und sein weites Gewissen mit ihm theilte, der General Saint-Arnaud und der Polizeiminister Maupas, als Haupthelfershelfer sich gebrauchen ließen. Mit kaltblütiger Grausamkeit wurden die Pläne, welche diese Männer gefaßt und entworfen, ausgeführt. In der Nacht vom 1. bis 2. December drangen Wachen in die Häuser derer ein, die sich Louis Napoleon feindlich gezeigt, um sie zu verhaften und, noch ehe der Morgen graute, nach verschiedenen Gefängnissen zu bringen. So wurden Cavaignac, Changarnier, Lamoricière und andere Generale aus den Betten gerissen und weggebracht; Thiers, Victor Hugo sowie ihre Freunde und Gesinnungsgenossen traf ein ähnliches Loos.
Als Paris erwachte, sah es sich durch eine Proclamation begrüßt, die ihm sagte, daß die Nationalversammlung aufgelöst sei und die Verfassung geändert werden würde; gleichzeitig damit erschien eine schmeichlerische Ansprache an die Armee, in welcher sie die Ersten der Nation, deren Name mit dem der Napoleoniden stets ruhmreich verflochten sei, genannt wurden. Jeder Widerstand, gesetzlich oder bewaffnet, war vergebens; Kartätschen bestrichen die Boulevards und tödteten eine Menge von Unschuldigen, Frauen, junge Mädchen und Kinder. Wer mit Waffen in der Hand ergriffen wurde, den ließen die Machthaber gleich erschießen oder ohne Weiteres nach Cayenne transportiren. – Von der gesprengten Nationalversammlung wurden 89 Mitglieder theils zu lebenslänglicher, theils zu zeitweiser Verbannung verurtheilt; unter [574] den Letzteren befand sich auch Thiers, unter den Ersteren Victor Hugo.
Ein neues Plebiscit sicherte dann dem Prinzen die Präsidentschaft auf 10 Jahre, Zeit genug, um innerhalb derselben ein neues Kaiserreich aufzurichten, dessen äußeren Pomp man jetzt schon, namentlich bei der Armee, einführte. Sich seiner schlimmsten Feinde, die damals den größten Anhang hatten, zu entledigen, confiscirte nun der Prinz-Präsident das ungeheure Vermögen, welches die Orleans an liegenden Gütern in Frankreich besaßen, ein Raub, den die Kirche billigte, und der den Besitzern erst nach dem Sturze des Kaisers wieder erstattet wurde.
Nun trat Louis Napoleon im Herbste von 1852 eine Rundreise durch das süd-westliche Frankreich an, um die Stimmung der Provinzen zu prüfen. Ueberall empfingen ihn zum Theil bestellte Rufer mit dem Gruße, der seinem Ohre so wohl lautete: Vive l'empereur, und in Bordeaux war es, wo er dann bei einem Festbankett jenen berühmten Ausspruch that, der die auswärtigen Mächte über seine Kaiseraussichten im Voraus beruhigen sollte: l'Empire, c'est la paix.
Bei der Rückkehr nach Paris, das sich festlich geschmückt hatte, mit lautem Zurufen empfangen, stieg er gleich in den Tuilerien ab, und am 22. November 1852 wurde er durch eine abermalige Volksabstimmung, mit beinahe 8 Millionen Stimmen zum erblichen Kaiser der Franzosen gewählt, wobei der Klerus die Bauern schaarenweise an die Wahlurnen führte, und dafür von dem neuen Kaiser das Gegengeschenk der »Lehrfreiheit« erhielt. Bald entstanden jetzt wieder neben den Staats-Lyceen die colléges libres der Jesuiten, und wurde die Volksschule durch diese beherrscht. Wie sehr sich auch in späteren Jahren der Kaiser und sein Minister Duruy bemühen mochten, den allgemeinen Unterricht in Frankreich zu heben, so konnten sie doch gegen jene Mächte [575] nicht wohl damit aufkommen, und die Nemesis dafür erreichte das unglückliche Frankreich in den Jahren 1870 und 1871.
Der Kaiser Napoleon III. sah sich nicht sobald im Besitze der Gewalt, als er mit allen constitutionellen Freiheiten der Franzosen reinen Tisch machte; er regierte als Selbstherrscher und wie sehr er auch dadurch die Gebildeten erbitterte und von sich entfernte, verstand er es doch vortrefflich, sich die große Masse und namentlich die arbeitenden Klassen durch materielle Vortheile, in welcher Beziehung er ohne Zweifel viel für Frankreich und namentlich für Paris gethan hat, günstig zu erhalten.
Sein oberster Regierungsgesichtspunkt war seinIch! und jedes Mittel und jeder Weg war ihm recht, wenn er nur dadurch sich und seine Dynastie am Ruder erhalten konnte. Diese Politik des persönlichsten Egoismus vertrug sich denn auch trefflich mit der gegenwärtigen Lage Europa's, und, obgleich im Widerspruch mit der Wiener Congreßacte, wurde doch ein Kaiser, der sich den conservativen Interessen so vollständig ergeben zeigte, mochte er auch seine Laufbahn als Abenteurer begonnen haben, nach und nach von den europäischen Mächten anerkannt. Schwieriger wurde es ihm, eine Gemahlin aus den Reihen der gekrönten Häupter zu erhalten; durch mehrere Körbe gekränkt, entschloß er sich kurz, dem Zuge seines Herzens zu folgen und die schöne Gräfin Eugenie von Montijo, Herzogin von Teba, zur Kaiserin zu erheben, und 1853 seine Vermählung mit großem Pompe in der Kathedrale von Notre-Dame vollziehen zu lassen. Mit der Schlauheit des Corsen nur stets darauf bedacht, sich den übrigen europäischen Monarchen persönlich möglichst nahe zu stellen, bot sich ihm eine willkommene Gelegenheit zu einer achtunggebietenden Allianz dar, durch die eigenthümlichen Verhältnisse Rußlands zu der Türkei, die wir schon früher kennen gelernt haben. – Kaiser Nicolaus verfolgte unausgesetzt sein Ziel, sich die ausschließliche [576] Herrschaft über das schwarze Meer und damit den freien Weg nach dem Orient zu erringen. Die Bestimmung, daß er nur eine beschränkte Anzahl von Kriegsschiffen auf dem schwarzen Meere halten dürfe, war ihm äußerst lästig, und so fest stand sein Entschluß, nun ein Ende mit der Türkei zu machen, und sie zu zerstückeln, sobald England darauf eingehe, daß er in den darauf bezüglichen Unterredungen mit Lord Seymour die Türkei schon nicht anderes, als den »kranken Mann« bezeichnete. England aber ging auf seine Vorschläge nicht ein, erklärte die Türkei noch für durchaus lebensfähig, bis endlich ein bereits schwebender Streit mit Frankreich, über die Schlüssel zum heiligen Grabe in Jerusalem, wobei Napoleon sich der Rechte der katholischen Pilger gegenüber dem griechischen Patriarchen annahm, der Ausgangspunkt eines mörderischen Conflictes ward. Der hohen Pforte war es ziemlich gleichgültig, wer diese Schlüssel zum heiligen Grabe besaß, als sie aber jetzt, wegen ihrer vorgeblichen Nachgiebigkeit gegen Frankreich, von Rußland hart bedroht wurde, und der russische Gesandte in Konstantinopel, Fürst Menschikoff, sich dort bereits als Herr und Meister zu geberden anfing, nahm Napoleon den Anlaß wahr, um zu zeigen, daß es noch eine christliche Macht in Europa gebe, die den Sultan zu beschützen vermöge, eine edle Aufwallung, welcher sich auch Oestreich augenblicklich anschloß. –
Trotz dieser warnenden Vorzeichen glaubte doch Rußland, die orientalische Frage nun endlich definitiv, und natürlich zu seinem Vortheil, lösen zu können, während genau aus demselben Grunde England und Frankreich sich zu Gunsten der Pforte und gegenüber den Anmaßungen Rußlands mit einander coalisirten. Napoleon III. trat mit diesem Schritte als vollständig legitimirt in das europäische Fürsten-Concert ein.
Das Auslaufen der französischen Flotte nach dem Bosporus [577] gab Rußland den willkommenen Vorwand, die Donaufürstenthümer, welche unter türkischer Oberhoheit standen, zu besetzen. Dies geschah im Sommer 1853 und so kriegslustig waren alle Theile, weil ja eben Alle nur unter der Decke spielten, daß die Pforte bereits am 25. September Rußland den Krieg erklären ließ, wenn es nicht sogleich die Donau-Fürstenthümer wieder räume. Nicolaus nahm gerne den Fehdehandschuh auf, er zweifelte dabei gar nicht an Oestreichs Hülfe, dem er ja kaum erst in Ungarn so große Dienste geleistet hatte. Aber schmerzlich mußte nun auch er erfahren, was der Dank vom Hause Habsburg zu bedeuten habe; Fürst Schwarzenberg sprach es, als Antwort auf Rußlands Anliegen, unverholen aus, er werde die Welt durch seinen Undank in Erstaunen setzen, was auch wirklich der Fall war, als sich Oestreich jetzt in seine Neutralität zurückzog. Preußen that natürlich desgleichen, doch um so bereitwilliger zeigte sich Sardinien, an dem ausbrechenden Kampfe Theil zu nehmen.
Im Frühjahr 1854 erklärten England, Frankreich und Sardinien gemeinschaftlich den Krieg an Kaiser Nicolaus, und so entwickelte sich jener mörderischeKrimkrieg, der unzählige Opfer kostete und sich bis zum Jahre 1856 hinzog, der Welt nach funfzig Friedensjahren zum ersten Mal einen Begriff davon gebend, wie entsetzlich die Kriege werden konnten, nachdem die steigende Ausbildung der realen Wissenschaften die Mord- und Zerstörungswerkzeuge so unendlich vervollkommnet hatte. Dafür hielt denn aber auch die wachsende Humanität wenigstens einige ihre Gegenmittel bereit, und wie eine Schaar von Engeln stiegen jene opfermuthigen englischen Frauen an der fernen Küste an's Land, wo einst Iphigenie unter den Barbaren geweilt, um, angeleitet durch Florence Nightingale, die geschlagenen Wunden, so weit ihre Kraft reichte, zu heilen, die Elenden und Verschmachtenden durch zarte Frauenpflege zu trösten und zu erquicken. –
[578] Halb aufgerieben durch die Sorgen und Aufregungen dieses Krieges, starb Kaiser Nicolaus am 18. Februar 1855 an einer Lungenlähmung, während sein Nachfolger Alexander II. sich genöthigt sah denselben fortzusetzen, bis nach fast 2jähriger Belagerung der befestigten Stadt am 25. August die Einnahme von Sewastopol durch die Franzosen erfolgte, wobei der heutige Präsident Frankreichs, Marschall Mac Mahon, die fast uneinnehmbare Position des Malakoff erstürmte. Fürst Gortschakoff, der Sewastopol vertheidigte, hatte sich jedoch zuvor einen Abzug verschafft, und alle Schiffe, die im Hafen lagen versenkt oder gesprengt. Er nahm nun neue feste Stellungen auf der Halbinsel ein, und man mußte den Krieg in's Unendliche fortsetzen oder sich zum Frieden entschließen. Zu diesem Zwecke hatte im Februar 1856 in Paris die Eröffnung eines Friedens-Congresses statt, zu welchem auch das neutrale Oestreich einen Vertreter schickte. Sardiniens Gesandter auf diesem Congreß war der berühmte Graf Cavour. Man bemühte sich eifrigst, Preußen von diesen Friedensversammlungen auszuschließen, um ihm dadurch zu zeigen, daß es kaum noch als eine Großmacht betrachtet werde, doch gelang es später doch noch seinen Ministern, dessen Zulassung zu erreichen. Dieser Congreß brachte denn auch glücklich den Frieden von Paris zu Stande, der so ziemlich Alles beim Alten ließ; es erwuchs Niemanden ein Gewinn daraus, als Napoleon, der durch diese Vorgänge in seinem äußeren Ansehen ungeheuer gehoben wurde und dessen Stern zur selben Zeit, durch die endliche Geburt eines Sohnes, des Prinzen »Lulu«, der ihm Fortsetzung seiner Dynastie verhieß, seinen Höhepunkt erreichte. Preußen dagegen war auf's Neue tief gedemüthigt, und in die Reihe der Mächte zweiten Ranges verwiesen worden. –
Rußlands Gewinn war moralischer Natur, denn Kaiser Alexander, milder gesinnt als sein Vater und weniger furchtsam [579] vor Revolutionen als Jener, hob nun die engen Schranken auf, welche Rußland Jahre lang von dem übrigen Europa getrennt, und betrat mit ernster Entschiedenheit den Weg friedlicher und umfassender Reformen, namentlich durch Aufhebung der Leibeigenschaft, die er im Widerspruch mit einem großen Theile des russischen Adels, doch gesetzmäßig durchsetzte und ausführte.
Im übrigen Deutschland hatte der Krieg nichts verändert, nur abermals dessen Ohnmacht und Mangel an Einfluß auf der großen Weltbühne schlagend dargethan, während im Schooße des Bundestags der Zwiespalt zwischen Oestreich und Preußen immer klarer zu Tage trat, denn dem östreichischen Gesandten, Graf Rechberg, stand jetzt von preußischer Seite eine Persönlichkeit gegenüber, die sich ihm vollständig gewachsen zeigte, dies war Herr v. Bismarck-Schönhausen, der jetzt in Frankfurt die deutschen Angelegenheiten in nächster Nähe kennen lernte, und der gleich Louis Napoleon seine Zeit abwartete. –
Ein Ereigniß von großer Wichtigkeit war die definitive Aenderung der Regierung in Preußen; nachdem zeitweise, während öfterer Krankheitsanfälle des Königs, schon sein Bruder, der Prinz von Preußen, die Regentschaft geführt, sich aber niemals in die inneren Angelegenheiten eingemischt hatte, und von dem man wußte, daß sie ihm durchaus nicht zusagten, ward es unmöglich, noch länger das Geheimniß zu bewahren, daß der König an einer Hirnerweichung leide, die ihn nach und nach seiner Verstandeskräfte beraube. Es erfolgte daraufhin am 3. October 1858 die förmliche Uebertragung der Regentschaft an den Prinzen, der zu jener Zeit im übrigen Deutschland eine sehr geringe Popularität genoß und namentlich der demokratischen Parthei, wegen seiner Leitung des badischen Feldzuges, verhaßt war. Weniger geistreich als sein Bruder, Soldat durch und durch, besaß der [580] Prinz ein gutes Theil von der strammen Energie seiner großen Vorfahren und fühlte er sich auch von dem »Gottesgnadenthum« ganz eben so tief durchdrungen wie Friedrich Wilhelm, so war doch keine Spur von der mittelalterlichen Romantik und der religiösen Schwärmerei in ihm, die jenen so unklar machte. Die Thatsache, daß sich Preußen in seiner äußeren Machtstellung so tief gesunken zeigte, schnitt ihm in die Seele, und nach seinem Sinne folgerichtig, sah er in der Armee das Mittel, nicht allein Preußens, sondern auch Deutschlands Lage zu verbessern. Daß er damals nicht bloß specifisch preußisch, daß er auch deutsch gesinnt war, ging aus der ersten Ansprache hervor, welche er an sein neu gebildetes Ministerium hielt, dem er unter Anderm sagte: »Preußens Heer muß mächtig und angesehen sein, um, wenn es gilt ein schwer wiegendes Gewicht in die Wagschaale legen zu können« – – – – – »es wäre ein schwer zu bestrafender Fehler, wollte man mit einer wohlfeilen Heeresverfassung prangen, die deshalb im Momente der Entscheidung den Erwartungen nicht entspräche«, und dann weiter, »in Deutschland muß Preußen moralische Eroberungen machen, durch eine weise Gesetzgebung bei sich, durch Hebung aller sittlichen Elemente, und durch Ergreifung von Einigungselementen, wie der Zollverein«. –
Jedenfalls besaß der Prinz-Regent, darüber hat die spätere Zeit uns belehrt, eine, wenn auch feste, doch nicht geradezu starre Natur, denn er verstand es mit seinen höheren Zwecken zu wachsen, und dies wollte, in dem Lebensalter in dem er sich befand, bei den Anschauungen, die ihn von Jugend auf beseelten, sehr viel heißen. Das neue Ministerium, mit welchem er sich nun unter dem Vorsitze des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen umgab, während der verhaßte Manteuffel zurücktrat, erweckte wieder das Vertrauen des preußischen Volkes auf ein Einlenken in liberalere [581] Bahnen, und bald sollte dem Prinzen auch Gelegenheit geboten werden, in der äußeren Politik seine Stellung zu nehmen. –
Am 14. Januar 1858 hatte in Paris, als Kaiser Napoleon mit seiner Gemahlin nach der großen Oper fuhr, und sein Wagen gerade vor derselben anhielt, ein Attentat auf denselben stattgefunden. Drei Hohlkugeln mit tödtlichen Geschossen angefüllt, waren unter den Wagen geworfen worden und explodirten im Augenblick des Anfahrens. Der Wagen wurde zertrümmert und 156 Personen, die in der Nähe umherstanden mehr oder minder schwer verwundet; den Kaiser aber und die Kaiserin bewahrte sein Stern in wunderbarer Weise, sie blieben Beide unverletzt. Die Urheber des Attentats, die man bald ergriff, waren Italiener, welche sich verschworen hatten, den Kaiser zu tödten, und zu diesem Zwecke jenes schauerliche Mittel ersonnen hatten. Der vornehmste unter den Gefangenen, zugleich ihr Haupt, war ein Graf Orsini, der seit Jahren als Flüchtling in England gelebt hatte. Frei und mit kühnem Muthe erklärte er im Verhöre, daß sein einziger Gedanke von Jugend auf die Befreiung und Einheit seines Vaterlandes sei, daß aber nur ein Mann lebe, der die Macht habe, dies zur Ausführung zu bringen. Dieser Einzige sei Napoleon III, aber er weigere sich dieser Mission, und so beruhe noch die einzige, letzte Hoffnung Italien's auf dessen Tode, welcher ohne Zweifel eine neue allgemeine Revolution herbeiführen werde. – Orsini wurde trotz dieser merkwürdigen Geständnisse zum Tode verurtheilt, aber aus seinem Gefängnisse richtete er zuvor einen Brief an den Kaiser, der zum Erstaunen aller Welt im Moniteur abgedruckt wurde und folgendermaßen lautete: »Die Unabhängigkeit Italien's ist mein letzter Gedanke, der Inhalt der letzten Worte, die ich an Ew. Majestät richte! Italien wird gegen Oestreich kämpfen. Dulden Sie nicht, daß Deutschland, [582] Oestreich helfe, das können Sie, wenn Sie wollen, und von diesem Wollen hängt das Wohl und Wehe Italien's ab. Erinnern Sie sich, daß die Italiener ihr Blut für Napoleon den Großen vergossen haben, befreien Sie mein Vaterland und der Segen von fünfundzwanzig Millionen Bürgern wird Sie bis auf die Nachwelt begleiten!« In einem zweiten Briefe, den Orsini noch unmittelbar vor seinem Tode an Napoleon richtete, und welcher in einer italienischen Zeitung erschien, dankte er dem Kaiser für die Veröffentlichung seines ersten Schreibens und sagte dann am Schlusse: »Ich gehe jetzt dem Tode mit dem Troste entgegen, daß Ew. Majestät von wahrhaft italienischen Gesinnungen beseelt sind!« – Am 13. März 1858 wurde Orsini nebst seinen Hauptschuldigen guillotinirt und er starb mit dem ruhigen Muthe eines Märtyrers. –
Man will wissen, daß Napoleon noch aus seiner Jugendzeit her den Carbonari durch heilige Schwüre verpflichtet gegewesen, im Falle er jemals zur Herrschaft gelange, und daß Orsini's Bomben ihn strafen sollten, weil er sich vergeblich an sein Versprechen mahnen ließ. Orsini's Zweck war jedenfalls erfüllt; Italien fand von diesem Zeitpunkt an in seinen erneuten Bestrebungen, sich zum Einheitsstaate unter einer nationalen Regierung durchzuringen, in dem Kaiser Napoleon einen Förderer und Schützer. Es lebte jetztein Mann in Italien, der mit hohem Geiste den Gedanken aufgriff, ein einheitliches Italien, unter der Krone Piemont's zu begründen, – es war des jetzigen Königs, Victor Emanuel, geistvoller und genialer Minister, Graf Cavour, der seit 1852 an der Spitze der Geschäfte stand. Zuerst schuf er seinem Lande ein treffliches Heer und wußte sich zu den Großmächten in nahe und günstige Beziehungen zu setzen, wozu ihm namentlich die Theilnahme Sardinien's an dem Krimkriege eine passende Gelegenheit bot.
[583] Aber nicht allein mit den Fürsten, auch mit der nationalen Parthei seines Vaterlandes wußte er sich in das rechte Einvernehmen zu bringen, und ihr Vertrauen auf seinen Patriotismus zu gewinnen. Das Haupt jener Parthei war der Advocat Manin, in der Revolution von 1848 der Dictator Venedigs, der die alte Stadt mit seltener Energie und Ausdauer am längsten gegen die östreichischen Truppen vertheidigt hatte. Die Verwirklichung der nationalen Idee, gleichviel in welcher Form, war für ihn das Höchste, im Gegensatz zu Mazzini, der nur in der Republik das Heil Italiens erblicken konnte. Manin dagegen war der Ansicht, daß die Wiedergeburt Italiens sich am Sichersten durch den Einheitsstaat, unter der Herrschaft eines italienischen Fürsten vollziehen lasse; wollte das Haus Savoyen diese Mission übernehmen, so war er bereit, ihm beizustehen. Die Losung dieser Befreiung aber mußte nach seinem Dafürhalten der Krieg gegen Oestreich sein: »Wir fordern von Oestreich nicht, daß es mild regiere, sondern einfach, daß es gehe!« dies war Manin's Programm, der die Befreiung seines Vaterlandes nicht erleben sollte; im Jahre 1852 raffte der Tod diesen edlen Patrioten hinweg, aber was er angebahnt, das ging seinen Weg zu Reife.
Im Sommer des Jahres 1858 fand zwischen dem Grafen Cavour und Napoleon eine Zusammenkunft in Plombières statt, wo am 21. Juli verabredet wurde, daß Italien frei bis zur Adria werden, und Frankreich dagegen, für die von ihm zu leistenden Dienste, Nizza und Savoyen, die zwei Provinzen, in denen die französische Sprache die vorherrschende war, solle abgetreten bekommen. Das Princip der Sprachgränze, welches man bald geltend machte, sollte dem Tausch einigermaßen zum Deckmantel dienen. Cavour mußte sich, wenn auch mit schwerem Herzen, zu diesem Opfer verstehen, und mit der Hoffnung trösten, daß die Zukunft, [584] wenn anders die Bewohner es wollten, diese Länder doch wieder mit Italien vereinigen könne. Ein zweites Opfer, welches die kindliche Liebe für Italien brachte, war die Vermählung der 16 jährigen Prinzessin Clotilde, der Tochter Victor Emanuels mit dem nicht sehr empfehlenswerthen Prinzen Napoleon, des Kaisers Neffen und einem Sohne von König Jerôme. Bei der Verlobung, welche nur durch die Staatsraison geschlossen war, wurde vermittelst eines pacte de famille die Abtretung der oben erwähnten Länder, gegen die Lombardei, die man Oestreich abzunehmen gedachte, besiegelt.
Ehe man jedoch zum Handeln überging, hatte der vorsichtige Cavour sich auch Preußen's versichern wollen, und nachdem er zu diesem Zwecke den Prinz-Regenten in Baden- Baden gesprochen, durfte er sich hocherfreut über dessen Sympathien äußern und dem hinzufügen: »Gott sei Dank, daß Oestreich durch seine Treulosigkeit es dahin gebracht hat, den ganzen Continent gegen sich aufzubringen!« –
Dieses Reich stand in der That vollständig isolirt, als am 1. Januar 1859 Kaiser Napoleon nun zuerst das Eis brach, und bei der Neujahrgratulation in den Tuilerien, dem Gesandten Oestreichs, Baron von Hübner, in dürren Worten sagte: »Ich bedaure, daß unsere Beziehungen nicht so gut sind, als ich sie zu sehen wünschte; aber sagen Sie Ihrem Souverain, meine persönlichen Gefühle für ihn seien stets dieselben!« –
Mit einer, dieser Aeußerung entsprechenden, Anrede, eröffnete am 10. Januar der König Victor Emanuel die Kammern in Turin, in der es hieß: »Unser kleines Land ist gewachsen an Ansehen in den Räthen Europa's, weil es groß ist durch die Principien die es vertritt, und durch die Sympathieen, die es einflößt. Eine solche Lage ist nicht ohne Gefahr, denn wenn wir die Verträge achten, so sind [585] wir doch auf der andern Seite nicht unempfindlich für den Schmerzensschrei, der sich von vielen Seiten Italien's zu uns erhebt!«
Nach diesen Einleitungen konnte sich Niemand mehr darüber täuschen, daß ein naher Krieg in Aussicht stehe; England beeilte sich, seine Sympathieen für Italien öffentlich an den Tag zu legen und machte Vermittlungsvorschläge, die Oestreich jedoch ablehnte, wie denn auch Rußlands Gedanke, die vorliegenden Zwistigkeiten durch einen Congreß zu schlichten, zu nichts führte, besonders darum nicht, weil Oestreich bei einem solchen Congreß Sardinien als mitberathende Macht nicht dulden zu wollen erklärte. Der Krieg wurde darauf, obgleich die Verhandlungen sich bis zum April hinzogen, unvermeidlich; Oestreich, einen letzten Vermittlungsvorschlag ignorirend, stellte an Sardinien die kategorische Forderung, abzurüsten und als dies ablehnend beschieden wurde, erfolgte am 28. April eine Kriesgserklärung, der die östreichischen Truppen auf dem Fuße nachfolgten, indem sie schon am folgenden Tage im Piemontesischen einrückten. Aber auch die Franzosen standen kampfbereit; der Kaiser stellte sich selbst an ihre Spitze und führte seine Truppen nach Italien, in einem gleichzeitig erscheinenden Manifest an sein Volk erklärend, der Zweck des Krieges sei, Italien sich selbst wieder zu geben und es nicht blos den Herren wechseln zu lassen! Der Kirchenstaat wurde im Voraus, um den Klerus nicht zu beleidigen, für neutrales Gebiet erklärt. –
Schon am 4. Juni 1859 wurde die Schlacht bei Magenta geschlagen, wo die Franzosen Sieger blieben, und am 8. Juni hielten Napoleon und Victor Emanuel ihren festlichen Einzug in das befreite Mailand, wo sie der unermeßlichste Jubel der Bevölkerung empfing.
Nun regte sich auch die revolutionäre Kraft in den italienischen Fürstenthümern, sowie im Kirchenstaate; Toscana, [586] Modena, Parma und die Romagna erhoben sich mit dem einmüthigen Rufe: Italien frei bis zur Adria! und vor der allmächtigen Bewegung konnten die Regierungen nichts anderes thun, als ihre Staaten eiligst verlassen, während Garibaldi, der auf den ersten Ruf der Freiheit wieder nach Italien zurückgekehrt war, und neue Freicorps aus jugendlichen Kräften bildete, die ihm massenhaft zuströmten, sich anschickte mit seinen Freischaaren Tyrol anzugreifen. –
Schon am 24. Juni erfolgte der zweite Zusammenstoß zwischen Franzosen und Oestreichern in der blutigen Schlacht bei Solferino, welche die besiegten Oestreicher hinter den Mincio zurückwarf, hier aber hielt Napoleon inne, er glaubte genug gethan zu haben – die Lombardei war befreit wie er es zugesagt und es war ihm nicht darum zu thun, Oestreich vollständig aus Italien hinaus zu drängen. Er wollte die politischen Fäden der Zukunft in seiner Hand behalten, wollte namentlich den Klerus nicht allzu tief verletzen, und so bot er dem Kaiser Franz Joseph schon gleich nach Solferino eine persönliche Zusammenkunft an, die auch am 11. Juli in Villafranca zwischen Beiden stattfand. Bei dieser Unterredung wußte Louis Napoleon dem östreichischen Monarchen die Ungunst seiner Lage so überzeugend darzuthun, im Falle er nicht sogleich Frieden schließe, er gab ihm so klar zu verstehen, wie er, Napoleon, im andern Falle, die Revolution in den östreichischen Staaten wach rufen werde, und wie Preußen nur darauf warte, sich die Hegemonie in Deutschland anzueignen, daß die östreichischen Diplomaten nun in ihm ihren Herrn und Meister gefunden hatten. Er stellte dem Kaiser so lange vor, wie man jetzt nur ein mäßiges Opfer, die Abtretung der Lombardei, von ihm verlange, bis das hartbedrängte Oestreich nothgedrungen auf eine Bedingung einging, die es so oft unter günstigeren Verhältnissen von sich gewiesen hatte.
[587] Der Friede von Zürich, abgeschlossen am 10. November 1859, besiegelte die Verträge von Villafranca, deren Bestimmungen zufolge Oestreich die Lombardei an Louis Napoleon abtrat der sie seinerseits der Krone Piemont überließ. Oestreich behielt auf italienischem Gebiete nur das venetianische Königreich,Venetien, dessen Gränze der Mincio bildete. Die mittelitalienischen Staaten nebst dem Kirchenstaat sollten einstweilen unter der Präsidentschaft des Papstes eine Conföderation bilden. So blieb Napoleon, der von allen Theilen der einzig Befriedigte war, auf halbem Wege stehen, zur Verzweiflung von Cavour, der nach dem Friedensschluß von Villafranca seinen Rücktritt nahm. – Was Oestreich's rasche Bereitwilligkeit zum Frieden betrifft, so wurde dieselbe hauptsächlich durch die Furcht veranlaßt, seinen Einfluß und seine Machtstellung in Deutschland einzubüßen. An dem Kriege in Italien Theil zu nehmen, dessen hatte Preußen sich mit Recht geweigert, aber es machte sich bereit, Deutschland am Rhein zu vertheidigen, wenn die Franzosen von dieser Seite her einen Angriff wagen sollten. Das Uebergewicht, welches ihm daraus erwuchs und noch mehr erwachsen konnte, reizte Oestreich's Eifersucht auf's Aeußerste und so gab es lieber einen Theil seines italienischen Besitzes auf.
Auf der Halbinsel aber beruhigte man sich trotz des Züricher Friedens so schnell nicht; Toscana, Modena, Parma, die Romagna setzten ihren Widerstand gegen eine Rückkehr ihrer alten Regierungen, oder gegen eine Dictatur des Papstes energisch fort, und als zu Anfang des Jahres 1860 Cavour wieder an die Spitze des sardinischen Ministeriums trat, gelang es seiner großen, staatsmännischen Kraft, auch den Wünschen dieser Landschaften ihr Recht angedeihen zu lassen, und, durch England unterstützt, trotz der Klagen und Protestationen des Papstes, die Vereinigung von Mittelitalien mit [588] Piemont, einen kleinen Theil des Kirchenstaates abgerechnet, durchzuführen. In einer Circularnote an die europäischen Höfe, vom 27. Januar 1860 erklärte er, daß, nachdem die Völker Mittelitalien's mit bewunderungswürdiger Geduld auf eine Ordnung ihrer Angelegenheiten durch einen Congreß gewartet, dieselben nun sich ihre Regierung selbst gewählt und sich freiwillig an Sardinien angeschlossen hätten. Da England, wie Frankreich nichts dabei zu erinnern fanden, wurde die definitive Einverleibung dieser Länder zu Anfang März 1860 durch eine Volksabstimmung, die sich für den Anschluß an Sardinien erklärte, durchgeführt.
Eine zweite, wohlvorbereitete Volksabstimmung in Savoyen und Nizza erklärte sich sodann für den Anschluß dieser Länder an Frankreich, nachdem durch ein diplomatisches Spiel in den sardinischen Kammern, wie im französischen Senate, diese, zwischen Cavour, Victor Emmanuel und Louis Napoleon längst verabredete Transaction an die Offentlichkeit war gebracht worden.
So wurde die Welt, bezüglich der italienischen Verhältnisse mit zwei Thatsachen überrascht, die Niemand mehr konnte ungeschehen machen, trotz der Unzufriedenheit der italienischen Demokraten, mit Garibaldi an der Spitze, sowie auch der des Papstes, welcher, voll Verdruß über den Verlust eines großen Theiles seines weltlichen Besitzes, die sardinische Regierung excommunicirte. Cavour aber hatte für den Augenblick geleistet, was möglich war und Schritt für Schritt ging von da an Italien seiner vollständigen Einigung entgegen. Was der Minister nicht wagen durfte, das suchte der Mann der offenen That, der General Garibaldi, zu vollbringen. Er setzte die Revolutionirung des unzufriedenen Landes auf eigene Hand fort, denn auch der Süden drängte jetzt zum Anschluß an das Ganze. Zuerst eroberte Garibaldi die Insel Sicilien, die sich, um die Vereinigung mit Italien zu erzwingen, bereits [589] im hellen Aufstand befand, und wo man den tapferen Helden als Befreier begrüßte. Bald tobte auch der Aufruhr in Neapel; das Volk verlangte eine Constitution, die der bedrängte König auch endlich bewilligte, aber ohne Nutzen für sich, denn nicht sobald war Sicilien vollständig in Garibaldi's Händen, als er eine Landung in Süditalien bewerkstelligte. Niemand leistete ihm Widerstand, die neapolitanischen Truppen lösten sich auf oder gingen zu ihm über und am 6. September 1860 verließ Franz II. seine Hauptstadt, um sich nach der Festung Gaëta zurückzuziehen. Schon am folgenden Tage zog der siegreiche Garibaldi unter dem größten Jubel der Bevölkerung ein, die er mit feurigen Worten begrüßte: »Jetzt gehört ihr Italien an. Eure Freiheit erfüllt die Italiener mit Jubel und tröstet die Menschheit!« So war es in der That; die verhaßte Bourbonenherrschaft ging in diesen blühenden Gefilden jetzt für immer zu Ende, Garibaldi übernahm die Dictatur des Königreichs im Namen Victor Emmanuel's, und schon wenige Tage später zogen sardinische Truppen in Neapel ein. Von da an betheiligte sich Sardinien offen an einem Kampfe, den es bis dahin heimlich unterstützt hatte; auch die römischen Marken und Umbrien erhoben sich auf's Neue und verlangten Schutz und Hilfe von Victor Emmanuel, die er ihnen gern gewährte und in den Kirchenstaate einrückte, die päpstlichen Truppen zu verschiedenen Malen schlagend.
Durch ein Manifest vom 9. October erklärte dann Victor Emanuel sein Vorgehen für eine Nothwendigkeit im Interesse der Ordnung, denn indem er selbst die Leitung der nationalen Angelegenheit in die Hände nehme, schließe er die Aera der Revolutionen in Italien. Volksabstimmungen in Neapel, Sicilien und dem Kirchenstaate sprachen sich sodann mit solch' ungeheurer Majorität für den König Galant'uomo, wie man ihn nannte, aus, daß er am 7. November einen großartigen [590] Einzug in Neapel halten konnte, wo ihm Garibaldi die Herrschaft feierlich übergab. Für sich selbst verlangte der tapfere General das General-Gouvernement über beide Sicilien auf ein Jahr, doch man mochte dem heißblütigen und republikanisch gesinnten Truppenführer nicht genugsam trauen, ihm eine so einflußreiche Stellung zu überlassen. Der König schlug ihm seine Bitte ab und überhäufte ihn dagegen mit Ehren und königlichen Geschenken aller Art. Garibaldi aber lehnte verstimmt Alles ab, selbst den Oberbefehl über die gesammte sardinische Armee, und zog sich auf eine kleine Insel im mittelländischen Meere, nach Caprera zurück, um dort nach Art der alten Römer seinen Kohl zu bauen und seine Zeit abzuwarten.
Nun fehlte an dem geeinigten Italien nur noch Venetien und ein Stück des Kirchenstaates, was nicht verhinderte, daß man ein allgemeines Parlament, das erste italienische, nach Turin einberief, welches Victor Emmanuel am 18. Februar 1861 eröffnete. Dieses Parlament ernannte ihn zum: König von Italien, »durch die Gnade Gottes und den Willen der Nation.« Er verlegte von da an den Sitz seiner Regierung nach Florenz, bis sich ihm die eigentliche Hauptstadt seines Landes, Rom, welches im Augenblick durch französische Waffen geschützt wurde, öffnen würde. Sein edler Minister, Graf Cavour, sollte sich leider nicht lange des endlich errungenen Sieges erfreuen, mitten hinweg aus seiner glänzenden Laufbahn, zum bittersten Schaden Italien's, raffte ihn der Tod. Am 6. Juni 1861 hauchte dieser große Patriot sein Leben aus, nachdem er mit seinem Wirken ein Beispiel gegeben, welches zumeist auf Deutschland zurückwirken sollte. –
Alle diese, hier in Kürze geschilderten Ereignisse, mußten naturgemäß von dem bedeutendsten Einfluß auf Deutschland sein, sie mußten die Nation, wie die Fürsten, in gleicher Weise in Bewegung setzen, und namentlich war es Oestreich, [591] daß durch den italienischen Krieg wieder in neue Bahnen gedrängt wurde. Das Februarpatent von 1861 gab dem Kaiserstaate ein konstitutionelles Leben zurück und lockerte in etwas die starren Bande der Centralisation; neben den Provinziallandtagen sollte ein Reichsrath gebildet werden, mit einem Herrenhaus, das aus erblichen und lebenslänglichen Mitgliedern bestand, nebst einem Abgeordnetenhaus von 343 Mitgliedern, die aus jenen einzelnen Landesvertretungen auszuwählen waren. Am Heftigsten protestirte Ungarn, mit dem man sich durch eine Art von Verwirkungstheorie, der zu Folge es durch seine Revolution frühere Rechte verloren haben sollte, abzufinden suchte, gegen diese Pläne. Es verlangte seine alten, unvergessnen Vorrechte, seine volle Selbstständigkeit, die nur eine Personalunion mit Oestreich dulden wollte, zurück. Der Führer der gemäßigten und zahlreichsten Parthei in Ungarn war jetzt Franz Deak, der mit unerschütterlicher Energie sein Ziel, auf dem Wege der Unterhandlung die Errungenschaften des Jahres 48 wieder zu erlangen, bis zum endlichen Siege verfolgte.
Was nun Oestreich's Stellung zu Preußen anbetrifft, so war dieselbe durch die italienischen Ereignisse zwar klarer, aber auch bedeutend feindseliger geworden und das Bedürfniß einer endlichen nationalen Einigung kaum länger noch abzuweisen. In Berlin hatte sich die Situation gleichfalls mehr geklärt, seitdem der Prinz-Regent, nach dem am 2. Januar 1861 erfolgten Tode seines Bruders, König geworden war. Seine Krönung fand am 18. October 1861 in Königsberg statt, wo er den Vertretern der Kammern, welche der Handlung beiwohnten, die bekannten und so oft wiederholten Worte, die seinen Standpunct kennzeichneten, sagte: »Die Herrscher Preußen's empfangen ihre Krone von Gott. Ich werde deshalb morgen die Krone vom Tisch des Herrn nehmen und auf mein Haupt setzen! Sie sind berufen der [592] Krone zu rathen, Sie werden mir rathen und ich werde auf Ihren Rath hören!« – Es sprach sich in diesen Ausdrücken zwar die Anerkennung des Konstitutionalismus, doch in sehr beschränkter Weise aus, und sie ließen den Conflict vorahnen, der bald bezüglich der neuen preußischen Militärorganisation zwischen dem Monarchen und seinen Kammern ausbrechen sollte. Noch als Prinz-Regent hatte sich Wilhelm eifrigst bemüht, das gesammte Heerwesen Preußen's, welches sich in hohem Grade vernachlässigt zeigte, umzugestalten, wobei er wiederholt auf die nationalen Aufgaben hindeutete, welche Preußen für Deutschland zu erfüllen habe, und die leicht während des italienischen Krieges hätten auf die Probe gestellt werden können. Leider vermißte man jetzt bei der Thronbesteigung ein entschiedneres Aussprechen des Königs über seinen deutschen Beruf, namentlich als die zweite Kammer, bei Berathung der Vorlagen über das neue Militärbudget, erklärte, daß sie gern darauf eingehen werde, sobald Preußen's gesteigerte Macht im Interesse Deutschland's verwendet werden solle. Einer der Abgeordneten sprach es sogar unumwunden aus, daß eine Umgestaltung der Heeresordnung nur dann ihren Zweck vollständig erreiche, wenn zugleich die oberste Führung des deutschen Heeres in des Königs Hand gelegt werde, wie es denn überhaupt Preußen gebühre, an die Spitze des deutschen Bundesstaates gestellt zu werden! –
Mit Stirnrunzeln aber nahm die Regierung solche kühne Vorschläge entgegen, was die Kammer sichtlich verstimmte, und die Bildung einer großen Fortschrittsparthei zur Folge hatte, welche nur dann die geforderten Summen für das Heer bewilligt sehen wollte, wenn dadurch die deutsche Einheit und die freiheitliche Entwicklung Preußen's, wie Deutschland's, herbeigeführt werde.
Ein solches Programm aber, zu sehr an das Jahr 1848 erinnernd, war einem Theil der conservativen Parthei, wie der [593] Regierung ein Gräuel, und es ist interessant sich jetzt daran zu erinnern, in welcher scharfen Weise sich damals Herr von Bismarck in einem Briefe über deren Aengstlichkeit äußerte. »Wir kommen dahin, den ganz unhistorischen, gott- und rechtlosen Souveränitätsschwindel der deutschen Fürsten, welche unser Bundesverhältniß als Piedestal benutzen, von dem herab sie Europäische Macht spielen, zum Schooßkind der conservativen Politik Preußen's zu machen. Wir schützen fremde Kronrechte mit mehr Beharrlichkeit als die eignen, und begeistern uns für die von Napoleon geschaffenen und von Metternich sanctionirten kleinstaatlichen Souveränitäten bis zur Blindheit gegen die Gefahren, mit denen Preußen's und Deutschland's Unabhängigkeit bedroht ist, so lange der Unsinn der jetzigen Bundesverfassung besteht, die nichts ist, als ein Treib- und Conservirhaus gefährlicher und revolutionärer Partheibestrebungen!« Im weiteren Verlaufe sagt er noch, daß es Preußen's Doppelaufgabe sei, zu zeigen, wie die Bundesverfassung nicht sein Ideal sei, daß es aber die nothwendige Aenderung auf rechtmäßigem Wege erstrebe; eine straffere Consolidation der deutschen Wehrkraft habe man so nöthig, wie das liebe Brod, wie auch neue gemeinsame Institutionen und warum man in Preußen vor einer nationalen Volksvertretung, welcher Art sie auch sei, zurückschrecke, sehe er nicht ein. –
Dieser kühne Zurechtweiser eines übertriebenen preußischen Conservatismus war damals Botschafter in St. Petersburg, wohin man ihn von Frankfurt aus versetzt, oder, wie er sich ausdrückte »kalt gestellt« hatte, weil er als Bundestagsgesandter zu gefährlich geworden war. Jetzt rieth man dem König dringend, Bismarck zum Ministerpräsidenten zu ernennen, in der Voraussicht, daß er der Mann sein werde, die Militärreform, welche eine große Mehrausgabe erheischte, auch gegen die Kammer durchzusetzen. Aber der König konnte sich dazu, wie zu einer deutschen Politik, noch nicht entschließen; er [594] hatte ähnliche legitime Bedenken wie sein Bruder, so daß die öffentliche Meinung sich auch bald in ihm getäuscht zu sehen glaubte. Diese Stimmung fand ihren Ausdruck durch ein Attentat, welches ein fanatischer Student, Namens Oscar Becker, im Juli 1861 auf den König, während eines Aufenthaltes in Baden-Baden, unternahm. Becker's Schuß ging fehl, er wurde verhaftet, und gab als Motiv der That an, er habe den König aus dem Wege räumen wollen, damit ein Anderer auf den Thron komme, der die Mission Preußen's besser erfülle als Jener.
Schien diese aber wieder in weite Ferne gerückt, so regten sich dagegen neue Einheitsbestrebungen unter den süddeutschen Fürsten und noch vieles Andere deutete darauf hin, daß die Ideen von 48 anfingen, aus ihrem Winterschlaf zu erwachen, denn auch die Nation hatte nicht ganz müßig dreingeschaut, und gab das erste, größere Zeichen einer neuen politischen Regsamkeit durch die Gründung des deutschen Nationalvereins. Den Anstoß dazu hatte ein Anhänger der früheren gothaischen Parthei, der Hannoveraner von Bennigsen gegeben, und es fand am 17. Juli 1859 inEisenach eine erste Versammlung der alten Gothaer statt. Hatte man es doch gerade jetzt erst erlebt, wie viel Großes in Italien durch den dortigen Nationalverein und dessen Führer zu Stande gebracht worden war, warum sollte ein ähnliches Bestreben den Deutschen versagt sein, wenn ihnen auch noch für's Erste der patriotische Fürst und der geniale Minister fehlten, welche jenseits der Alpen einem nationalen Bestreben den sicheren Rückhalt boten? Auf einer zweiten Versammlung des Vereins wnrde durch eine Adresse der damals populärste Fürst Deutschland's, 7 Herzog Ernst von Koburg-Gotha eingeladen, [595] die neu zu bildende Parthei unter seinen Schutz zu nehmen, und freudigen Herzens begrüßte er sie in seiner Antwort als Gesinnungsgenossen, seine Mitwirkung zusagend. Dieselbe organisirte sich nun definitiv am 16. September 1859 in Frankfurt und zwar unter Anschluß von Mitgliedern der früheren Linken, als deutscher Nationalverein. Als nächster Zweck desselben wurde die Reform der Bundesverfassung unter Preußen's Führung in's Auge gefaßt, und rasch breitete er sich über ganz Deutschland aus. Sein Hauptsitz befand sich in Gotha, wo ein permanenter Ausschuß wohnte, und bei einer dort am 6. October 1862 abgehaltenen Generalversammlung wurde jetzt als festes Ziel aufgestellt: Die Ausführung der Reichsverfassung vom 28. März 1849, sammt den Grundrechten und dem Wahlgesetz, wie sie von den Vertretern der Nation waren beschlossen worden. Bald wurde der Verein eine Macht, welche die öffentliche Meinung in hohem Grade beherrschte und der auch in so weit practisch einwirkte, als aus ihm ein Abgeordnetentag hervorging, der in ähnlicher Weise wie früher, aber öffentlich und in viel ausgedehnterem Sinne, ein Zusammengehen der deutschen Kammern anbahnte und vermittelte. Hand in Hand mit diesen Bestrebungen ging die Wiederbelebung nationaler Feste, namentlich nachdem die Turn- und Schützenvereine wieder gestattet waren. Aus allen vier Weltgegenden kamen bei solchen Gelegenheiten die deutschen Genossen zusammen, und durch den freien Gedankenaustausch gewann der in Allen lebende Gedanke eines nationalen Einigungspunctes immer festere Gestalt. Besonders großartig und Allen unvergeßlich, die es mitgefeiert haben, war das Frankfurter Schützenfest im Jahre 1862.
Leider schien die preußische Regierung für alle diese Manifestationen, die sich doch zunächst an sie richteten, wenig empfänglich zu sein; wir erblicken sie äußerlich gerade in [596] diesen Jahren in dem unerquicklichsten Conflict mit ihrer Kammer über das Militär-Budget und die von ihr hartnäckig geforderte dreijährige Dienstzeit der allgemeinen Volkswehr, welche nicht minder hartnäckig bestritten wurde und ja heute noch zu den brennenden Fragen unserer Politik gehört. Die Kammer, fast ganz aus der Fortschrittsparthei bestehend, wurde im Herbst 1862 aufgelöst und die liberalen Elemente des Ministeriums entlassen; in demselben blieb von Roon, der Kriegsminister und Schöpfer des Militärplanes, und Herrvon Mühler, traurigen Angedenkens für das preußische Schulwesen, trat mit noch anderen feudal-conservativen Männern ein.
Als die neugewählte Kammer, nicht weniger fortschrittlich zusammengesetzt als die aufgelöste, zusammentrat, stand sie wieder vom ersten Tage an in feindlicher Opposition zu dem Ministerium und als der Militär-Etat vorgelegt wurde, der in runder Summe, ohne sich auf eine Specialisirung einzulassen, etwa 10 Millionen mehr als früher forderte, wurde er abermals mit einer außerordentlichen Majorität abgelehnt. Man machte vornehmlich geltend, daß man an eine deutsche Politik Preußen's, welche allein diese erhöhte Machtforderung erkläre, nicht mehr glaube, wenn die Regierung aber von ihrem Heere keinen Gebrauch mache, sei es überflüssig, das Uebergewicht eines Standes zu begründen, der nur verächtlich auf den Bürger herabsehe. Abgesehen davon wollten sich die Volksvertreter auch alle Vorrechte wahren, die ihnen bezüglich der Budgetberathung zukamen, worunter sie namentlich die Specialisirung der einzelnen Posten verstanden.
Die preußische Regierung sah sich hier einem Dilemma zwischen unabweisbaren Forderungen, die sie zum größten Theile selbst großgezogen, zwischen ihren alten Traditionen und dem Gottes-Gnadenthum, und einem auf sein Recht pochenden Konstitutionalismus gegenüber, das nicht größer sein konnte. [597] Einen Augenblick dachte der König sogar an seine Abdankung. – Den einseitigen preußischen Militärstaat wollten er und seine Anhänger schon an die Spitze Deutschland's stellen, aber der Geist der Zeit verschmähte eine Kraft, die nicht im Bunde mit allen Forderungen des Liberalismus und der Volksrechte stand. Ganz Deutschland verzweifelte an Wilhelm I., wie er beinahe an sich selbst, und ein süddeutsches, officielles Blatt rief damals aus: »Heute muß nicht bloß der Liberalismus, welcher jede mögliche Garantie für die Volksfreiheit begehrt, es muß ebenso der unbedingteste Anhänger der deutschen Einheit, der preußischen Regierung die Fähigkeit zu jener Führung in Abrede stellen!«
Der Steuermann in dieser Noth, der jetzt als Ministerpräsident und Minister des Auswärtigen an die Spitze des reactionären preußischen Ministeriums trat und das Ruder des Staates am 9. October 1862 ergriff, war Herr von Bismarck-Schönhausen.
Die wenigen Wochen, die er schon zuvor als Minister des Innern demselben angehört, hatten hingereicht, ihm das Vertrauen des Königs zu gewinnen, dessen Ansichten er gleichzeitig zu schonen und zu modificiren verstand, in einer Weise, wie es wohl nicht oft einem Sterblichen einen Andern gegenüber gelingt. Weniger glücklich war er mit der Kammer, wo man seinen Vermittlungsversuchen von Seiten der verschiedenen Partheien schroff entgegentrat. Man hielt den Minister allgemein für einen Junker, voll aristokratischer Anmaßlichkeit, wozu sein Auftreten in dem Erfurter Parlament, in den Jahren 49 und 50 manchen Anlaß gegeben. Wer konnte auch wissen, daß dieser geniale Kopf zu den Wenigen gehörte, denen die Geschichte ihrer Tage eine wirkliche Lehrmeisterin und Lenkerin für die Zukunft wird. Er suchte behutsam seine Anschauungsweise den liberalen Kammermitgliedern anzudeuten, indem er ihnen sagte, daß Deutschland [598] vorerst nicht auf Preußen's Liberalismus, sondern auf dessen Macht sehen solle. Preußen müsse seine Kraft zusammenhalten für den günstigen Augenblick, der schon einigemale verpaßt worden sei. Die großen Fragen der Zeit würden nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse, sondern durch »Blut und Eisen« entschieden. Mit Entsetzen vernahmen Preußen und Deutschland dieses letztere Wort, und doch müssen wir heute Alle zugestehen, daß kaum ein anderes Mittel, die Einigung herbeizuführen, denkbar war. Bismarck aber hatte nicht allein den Muth, dieses Wort auszusprechen, er hatte den noch größeren, das ganze Odium eines starren, unversöhnlichen Aristokraten, eines Fürstendieners auf sich zu nehmen, und geduldig den Augenblick zu erwarten, da er trotz des Abscheues, den die Nation ihm zeigte, seine großen Pläne enthüllen durfte.
Als er jetzt sah, daß mit der Kammer eine Verständigung nicht zu erreichen sei, indem sie wohl redlich auf ihrem guten Rechte verharrte, sich aber durchaus kurzsichtig für weitere politische Combinationen erwies, ließ er sie fallen. Das Herrenhaus bewilligte den Etat, welchen Jene beanstandet, der Landtag wurde Ende October geschlossen und die Militärreorganisation nahm ungehindert ihren Gang.
Das Wichtigste bei des Herrn von Bismarck neuer Stellung war jedoch der Umstand, daß Oestreich nun in ihm bezüglich der deutschen Angelegenheiten einen diplomatischen Gegner bekam, der dessen Staatsmännern nicht allein gewachsen war, sondern sie an Schlauheit noch weit übertraf. Man hoffte von Wien aus, Preußen noch einmal das Prävenire spielen zu können; es bildete sich im Gegensatz zu dem National-Verein der Verein der Großdeutschen, der Reformverein, dessen Name allein schon die Anerkennung nothwendiger Reformen der Bundesverfassung aussprach, der aber von dem Grundgedanken geleitet wurde: das ganze Deutschland soll es sein! Dieser [599] Reformverein, von vornherein mit stark ultramontanem Beigeschmack, fand seine hauptsächlichsten Anhänger in Bayern und auch in Würtemberg. Er befürwortete den neuesten Vorschlag Oestreich's, eine Vertretung der Nation in Frankfurt durch Delegirte aus den verschiedenen Kammern anzustreben, ein todtgebornes Projekt, dem sich sogar eine starke Minorität in dem Vereine selbst widersetzte, und das der Nationalverein mit der Erklärung abfertigte, es könne dem Verlangen der Nation nur durch die Ausführung der Reichsverfassung vom 28. März 1849, sammt Grundrechten und Wahlgesetz entsprochen werden.
Auch Herr von Bismarck ließ sich auf diese neuen Pläne nicht ein, und dabei schien er noch gründlicher dafür sorgen zu wollen, sich und seinen König stets weniger beliebt zu machen, indem auch der neugewählte Landtag, der im Januar 1863 zusammentrat, augenblicks in den alten Conflict bezüglich der Budgetüberschreitung gerieth. Verstärkt wurde die Mißstimmung durch Preußen's Gefälligkeiten gegen Rußland, welches in einem neuen Kampfe gegen das aufständische Polen begriffen war. Preußen, anstatt sich streng neutral zu verhalten, erlaubte den Russen an seinen Gränzen alle möglichen Uebergriffe, während man gegen die Polen die größte Härte bewies. Wie ließ sich Alles dieses anders erklären, als durch die streng absolutistischen und junkerhaften Neigungen des Premierministers, der seinen Monarchen nach Kräften von den constitutionellen, freiheitlichen und nationalen Pfaden ablenkte?
Heute wissen wir, warum er Rußland schonte, das Preußen's einziger Alliirter war, im Fall es zum Schlagen mit Frankreich kam, warum er und Wilhelm I. um jeden Preis ein schlagfertiges Heer haben mußten, und warum der Letztere, dem Wunsche seines Ministers entsprechend, auf keinerlei östreichische Lockungen mehr einging.
[600] Der Vergleich Deutschland's mit dem alten Dänenprinzen, den wir früher mitgetheilt, scheint hier noch einmal, wenn auch in anderer Weise zutreffend zu sein; war nicht Bismarck in jenen Jahren auch ein Hamlet, der eine Maske vornahm und eine Rolle spielte, um unter deren Versteck die gefährlichsten und verschlungensten Pfade zu wandeln, die je ein Patriot gewählt, um seine Nation aus einer Lage zu erretten, in der sie, wie zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben, ohne Unterlaß aus einem Lager in das Andere gezerrt, ihrer Vernichtung entgegenging, wenn ihr nicht ein Retter nahte? Aber es mußte endlich eineentscheidende That geschehen, das fühlten Alle, und es schien, als ob doch noch Oestreich, dessen Ministerium jetzt durch Herrn von Schmerling geleitet wurde, diese That ausführen, der Retter werden, und mit raschem Entschlusse dem Hause Habsburg die erneute Herrschaft über Deutschland sichern solle.
Der Augenblick war in Wien nicht schlecht gewählt, der Kaiserstaat hatte sich im Innern leidlich restaurirt, während Preußen daheim und auswärts die höchste Unzufriedenheit erregte. In aller Eile wurde jetzt in Wien eine neue Bundesverfassung ausgearbeitet, bei der natürlich Oestreich die Hauptrolle spielte, und die man auszuführen sich entschlossen zeigte, mit oder ohne Preußen.
Am 3. August 1863 erging an alle deutsche Fürsten eine Einladung des Kaisers Franz Joseph sich nach Frankfurt zu begeben, zu einem Fürstencongresse, der über Deutschland's künftige Verfassung entscheiden solle. Mit Preußen machte man etwas mehr Umstände und bei einer, deshalb vorbereiteten persönlichen Zusammenkunft der beiden Monarchen in Gastein, suchte sich der Kaiser im Voraus der Uebereinstimmung, oder wenigstens der Geneigtheit Preußen's zu versichern. Neben König Wilhelm aber stand sein undurchdringlicher Minister, und Oestreich's Wünsche, sowie seine [601] Einladung an den König, zum Fürstencongresse nach Frankfurt zu kommen wurden kühl abgelehnt, indem Bismarck erklärte, es sei der Würde seines Monarchen nicht angemessen, Vorschläge mitzuberathen, über die man ihn nicht vorher befragt. Die übrigen Fürsten jedoch zeigten sich fast Alle bereit, und neue glänzende Tage brachen für Frankfurt an, die an die Zeiten der früheren Kaiserkrönungen erinnerten; von den Bürgermeistern und dem Senat feierlichst empfangen zogen Kaiser, Könige, Großherzöge u.s.w. mit möglichstem Pompe und großem Aufwand an Pferden und Equipagen, am 16. August, in der alten Reichsstadt ein. Vergebens aber harrte die Zuschauermenge und harrte ganz Deutschland auf den Hohenzollern. Er blieb ruhig in Baden, jede erneute Aufforderung, selbst die des Königs von Sachsen, der besonders zu ihm reiste, hartnäckig ablehnend. Was sollte er auch dort? Sich Oestreich unterwerfen wollte und durfte er nicht, er konnte nur die Dinge ruhig gehen lassen, ohne sich viel darum zu grämen, denn in der That war auf jene Vorschläge, die jetzt den versammelten Fürsten vorgelegt wurden, keine Einheit aufzubauen. Das beste an der östreichischen Denkschrift war, daß sie mit anerkennenswerther Schärfe und Offenheit die schwachen Seiten von Deutschland's allgemeiner Lage auseinandersetzte. Im Uebrigen drehten sich die Reformpläne wieder um die alten, abgebrauchten Palliativmittel, während doch nichts Anderes helfen konnte, als die kräftige, entschlossene Lostrennung eines Gliedes, welches seinen Schwerpunkt schon seit lange nicht mehr in Deutschland gesucht hatte und auch, so lange es blieb wie es war, nicht mehr dort finden konnte. – Als Spitze des Staatenbundes – einen Bundesstaat wollte man nicht – war wieder ein Directorium und zwar jetzt ein fünfköpfiges vorgeschlagen, unter diesem sollte ein Bundesrath stehen und ein Bundesgericht, neben ihm ein Ober- oder Fürstenhaus, und ein Volkshaus, gebildet aus Delegirten [602] der deutschen Kammern. Das Erheblichste an diesem Vorschlag war die endliche Anerkennung einer nationalen Volksvertretung, wenn sie auch dürftig genug sollte ausgeführt werden. Ueber dieses Project wurde nun von den Fürsten persönlich berathen und mit Berathungen, die etwa 14 Tage währten, wechselten grandiose Feste ab, welche ihnen die Stadt Frankfurt, die benachbarten Höfe oder sie sich selbst untereinander gaben.
Endlich wurde der, in manchen Einzelnheiten revidirte Entwurf von der Mehrzahl der Fürsten angenommen; Baden jedoch verwarf ihn im Ganzen, weil sein Fürst keinen verbesserten Staatenbund, sondern einen wahren Bundesstaat zu gründen verlange und aus sehr verschiedenen Gründen schloß sich ihm Mecklenburg an, dem die Volksvertretung mißfiel.
Der Entwurf wurde jetzt noch einmal Preußen vorgelegt, jedoch verworfen und Oestreich machte wirklich einen Augenblick Miene denselben trotzdem durchzuführen, was Bismarck als Kriegsfall zwischen beiden Mächten anzusehen entschlossen war. So weit kam es aber jetzt noch nicht, denn noch einmal sollten Beide zuvor gemeinschaftlich für eine nationale Sache kämpfen. – In den baltischen Herzogthümern sah es traurig aus, Dänemark machte einen Uebergriff über den Andern nach jenen Rechten, die ihnen das Londoner Protokoll gewährt und schon um 1858 hätte von Rechtswegen eine Bundesexecution gegen Dänemark stattfinden müssen, wenn der Hader zwischen Oestreich und Preußen nicht so groß gewesen wäre. Die dänische Regierung ließ nichts unversucht Schleswig von Holstein definitiv loszutrennen und wollte es jetzt zwingen, eine Verfassung, die sich Dänemark gegeben, anzunehmen. So freisinnig diese nun auch war, hätte diese Annahme doch die factische Trennung Schleswig's von Holstein zur Folge gehabt, und die Herzogthümer wendeten sich darum klagend an den Bund. Dieser berieth den Fall in seiner schlotterigen Weise [603] und so schleppte der Streit sich fort, bis zu dem Tode Friedrich's VII. der am 15. November 1863 erfolgte. Sein Nachfolger war, wie uns bekannt, der Gemahl von Friedrich's Nichte, der Prinz Christian von Glücksburg, dem das Londoner Protokoll mit Umgehung des dänischen Erbfolgerechts die Thronfolge gesichert hatte, und der jetzt als Christian IX. die Krone überkam. Damit war das Band vollends zerrissen, welches bis dahin die Herzogthümer an Dänemark gefesselt, ihr letzter Herzog war mit Friedrich hingegangen, und Christian, den sie natürlich nicht anerkannten, ließ sich durch den Einfluß der Eiderdänen hinreißen, Alles zu bestätigen, was durch die früheren Regierungen gegen die Rechte der Herzogthümer war unternommen worden. Schon wenige Tage nach seinem Regierungsantritt unterzeichnete er die völlige Lostrennung Schleswig's von Holstein, durch eine Octroyirung der dänischen Verfassung, nicht bedenkend, daß er damit das Londoner Protokoll verletze, welches ihm die Wahrung der Verfassung der Herzogthümer zur Pflicht machte, und sich, bei einem neu ausbrechenden Kampfe, den Beistand England's sowohl, wie Frankreich's verscherze.
Aber auch außerdem hatte dieses Protokoll ein großes Loch, denn der Herzog von Augustenburg, der Sohn desjenigen, welcher sich in London sein Recht hatte abkaufen lassen, trat nun als nächstberechtigter Agnat und Erbe auf. Um seine Person schaarte sich augenblicklich der Nationalverein, dem damit ein Feld practischer Thätigkeit geboten war; er trat für die Rechte von Herzog Friedrich ein und setzte in den Herzogthümern eine lebhafte Agitation für ihn in's Werk, ihm eine Popularität zu erringen, die er persönlich nicht besaß. Auch der Herzog Ernst von Koburg reichte ihm die Bruderhand und lud den Augustenburger zu sich nach Gotha, bis ihm die Ereignisse die Uebersiedelung nach Kiel gestatten würden.
[604] Bald aber konnte man wahrnehmen, daß Oestreich und Preußen in dieser Sache wieder ihre eignen, und getrennten Wege gingen, wenn sie auch äußerlich verbunden zu sein schienen. Trotz seiner Rechte erkannten sie den Augustenburger durchaus nicht an; Oestreich berechnete, daß jener kleine Fürst im Norden nothwendigerweise ein preußischer Vasall werden müsse und Preußen Gelegenheit geben werde sich eine Macht zur See zu schaffen. Genau aus demselben Grunde wollten Bismarck und sein König die Herzogthümer für sich behalten, und überdem paßte es nicht zu den Plänen, die sie schon still verborgen in der Brust trugen, zu den sechs und dreißig Souveränen, die Deutschland bereits besaß, noch einen sieben und dreißigsten zu schaffen; derselbe Umstand war es aber auch, der die deutsche Demokratie bei den Ansprüchen des neuen Herzogs und den Bemühungen des Nationalvereins sehr kalt ließ. Trotzdem sah Deutschland mit Freude und Genugthuung, wie eifrig sich jetzt die beiden Großmächte für den gekränkten Bruderstamm bemühten und wie sie scheinbar eine nationale Politik zu verfolgen begannen.
So brachte das Jahr 1864 einen abermaligen Krieg mit Dänemark, der nun von beiden Theilen mit ernstlicher Theilnahme geführt wurde, und der, während die Oestreicher sich als erprobte Soldaten bewiesen, von Seiten der Preußen durch glänzende Waffenthaten verherrlicht wurde, die alle Welt in Erstaunen setzten und an die Zeiten Friedrich's des Großen um so mehr erinnerten, als ein Neffe des Königs, Prinz Friedrich Karl, einer der tapfersten Führer war. Zugleich mit ihm begann der Name Moltke aus dem Dunkel hervorzutreten, um fortan in immer hellerem Glanze zu strahlen. Den Oberbefehl führte der alte Wrangel, der in raschem Anlaufe die Herzogthümer nahm, mit seinen Preußen die Düppler Schanzen erstürmte und sie den kühnen Uebergang nach der Insel Alsen ausführen ließ. Die Dänen [605] waren auf das Haupt geschlagen, sie baten um Frieden, und erhielten ihn diesesmal, um den Preis von Schleswig, Holstein und Lauenburg, durch den am 30. October 1864 abgeschlossenen Frieden von Wien. Nur im Norden Schleswig's sollte eine Demarcationslinie gezogen werden, welche den dänisch redenden Theil der Bevölkerung abtrennte. Mit seltner Einmüthigkeit hatten die Verbündeten den Frieden abgeschlossen und mit derselben Uebereinstimmung schoben sie jetzt den Bundestag, wie den Augustenburger zur Seite, und alles Drängen des Nationalvereins wie der liberalen Partheien in den Kammern, dem Herzog Friedrich nun sein Erbe zu übergeben, wurden mit taubem Ohre angehört.
Gewehr bei'm Fuß, blieben Oestreicher und Preußen in den Herzogthümern stehen, bis es endlich, nach zahllosen Verhandlungen zwischen Beiden über das Object, das sie erstritten, zum Kampfe kam; Preußen wollte die Herzogthümer um jeden Preis behalten, Oestreich dies um keinen Preis erlauben und so wurde eine friedliche Lösung der Verhältnisse zur Unmöglichkeit. Für Preußen war der Augenblick gekommen und konnte günstiger kaum wiederkehren, um Oestreich anzugreifen, denn während ein Theil der östreichischen Armee im Norden stand, sah man sich in Wien in neue Konflicte mit seinen Kronländern verwickelt. Das Beispiel Ungarn's, das sich hartnäckig weigerte, den gemeinschaftlichen Reichstag zu beschicken, entfachte den neuen Widerstand Slavonien's und Kroatien's gegen die erzwungene Einheit des Kaiserstaats, die nun abermals in Frage gestellt werden konnte.
Auch das übrige Deutschland war bis in's Innerste unzufrieden und aufgeregt; man warf Preußen vor, daß es in den Herzogthümern nicht nationale, sondern nur eigensüchtige Zwecke verfolge, daneben traten die Ohnmacht des Bundestages und Oestreich's Quertreibereien klarer als jemals an den Tag. Man war der Volksversammlungen, der Reden [606] und Toaste, der Turn-, Gesang- und Schützenfeste, des National- wie des Reformvereins herzlich überdrüssig, und sehnte sich nach Thaten, die endlich aus dem provisorischen Zustande herausführten, in dem sich Alles befand.
Am unerquicklichsten stand es in Preußen, wo um 1865 der neu eröffnete Landtag den alten Kampf wegen des parlamentarischen Budgetrechts wieder aufnahm, und sich zwar jetzt, nach dem Kriege mit Dänemark, geneigt zeigte, die für das Militär verausgabten Summen nachträglich zu bewilligen, dagegen aber die nur zweijährige Dienstzeit verlangte, während die Regierung auf der dreijährigen Präsenz bestehen blieb. Wieder sah man allgemein das Haupthinderniß ihrer Nachgiebigkeit in dem »Junker Bismarck« der in der That jetzt entschlossen war, die Maske abzuwerfen, zu handeln als ein zweiter Alexander und durch »Blut und Eisen« dem chaotischen Zustande, in dem sich Deutschland befand, ein Ende zu machen.
Preußen hatte schließlich dem hohen Bunde die Lösung des Haders zwischen sich und der andern Großmacht zugeschoben, damit war reichlich Zeit gewonnen, andere Pläne zu verfolgen, welche Bismarck in Bezug auf eine Allianz mit Italien hegte.
Man hatte naturgemäß nicht auf halbem Wege in jenem Königreiche können stehen bleiben, fand aber wie immer in Oestreich einen unversöhnlichen Gegner; hartnäckig weigerte sich die Regierung in Wien, Victor Emmanuel als König Italien's anzuerkennen, und eben so wenig wollte man von einer Loskaufung des fortwährend auf dem Sprunge zur Empörung stehenden Venetien hören; gleichzeitig hintertrieb in Rom der fromme Herr von Bach, der jetzt als Gesandter dort fungirte, jede kirchliche Ausgleichung, welche ein königlicher Unterhändler bei dem Papste versuchte. Alles dieses verstimmte Frankreich, das denn doch noch Verbindlichkeiten für Italien hatte, in [607] hohem Grade gegen Oestreich, und war diese erstere Macht schon Preußen ohnedem, durch den Abschluß eines Handelsvertrags mit ihm und dem deutschen Zollverein näher getreten, so geschah nun ein Gleiches zwischen Preußen, Italien und den Zollvereinsstaaten zu Ende des Jahres 1865. Dieser weitere Vertrag bot Bismarck die natürliche Handhabe, auch in freundliche Beziehungen zu Italien zu treten, und zugleich durch die volle Anerkennung von dessen Regierung, die damit ausgesprochen war, die Gelegenheit Oestreich, ein Paroli zu biegen.
Er forderte Ende Februar 1866 die Sendung eines italienischen Unterhändlers nach Berlin, der auch in militärischen Dingen erfahren sei, und der damalige Kriegs-Minister Lamarmora schickte einen solchen in der Person des gewandten und tüchtigen GeneralGovone, der die preußischen Militärleistungen von früherher kannte und hochschätzte. Vorsichtig sondirte man sich gegenseitig, aber schon nach den ersten Unterredungen mit Bismarck ahnte Govone, was Jener erstrebte. »Das ist unser Cavour, wie er leibt und lebt!« so berichtete er über ihn an seine Regierung und nach dem Abschluß des Handelsvertrags wurde jetzt noch weit Größeres zwischen Beiden vereinbart. Beide Staaten hatten genügenden Grund, sich untereinander zu verbünden; man wußte in Berlin genau, daß Oestreich entschlossen war, den Preußen die Herzogthümer nur gegen Rückgabe Schlesien's überlassen zu wollen, was natürlich nie geschehen konnte, und daß man in Wien sogar von einer Restauration der östreichischen Macht in Italien träumte. Dem mußte zuvorgekommen werden. Wie aber würde sich Napoleon bei einem ausbrechenden Kriege verhalten? daß er Italien vollständig befreit zu sehen wünschte, aber selbst nichts mehr dafür thun wollte, wußte man, und es kam nun Alles darauf an, ob er Preußen werde gewähren lassen, ohne Deutschland am Rheine anzugreifen.
[608] Aber auch darüber war Graf Bismark nun schon im Reinen; der Sommer von 1865 hatte ihn in anscheinend harmlosester Weise in dem Seebade Biarritz mit Kaiser Napoleon zusammengeführt, und dort gelang es dem Schlaueren, den Schlauen zu überlisten. Louis Napoleon hoffte, wenn er Deutschland's Einheitsbestrebungen nicht hindere, ein ähnlich gutes Geschäft zu machen, wie bei der Annexion von Nizza und Savoyen, und für seine Gefälligkeit das linke Rheinufer in Anspruch nehmen zu dürfen. Daß ihm Bismarck diese Ausbeute mag vorgespiegelt haben, ist wohl so gut wie gewiß, aber er hat sich niemals durch ein Wort darüber gebunden, wie dies Cavour, durch eine zwingende Nothwendigkeit gedrängt, bezüglich Nizza's und Savoyen's thun mußte, und wenn dann noch in zweiter Linie die berühmten Lamarmora'schen Enthüllungen dem Grafen Bismarck vorwerfen wollen, er habe auch mit Ungarn, für den Fall daß Oestreich siege, Verbindungen zum Zwecke der Insurgirung des Landes angeknüpft, so beweist dies nur, daß er rücksichtslos, aber mit großem politischen Scharfsinn, jedes Mittel aufbot, was ihn zum Ziele führen konnte. Sobald sich der preußische Minister der Neutralität Frankreich's versichert hielt, schloß er am 3. April 1866 einen Vertrag mit Govone ab, dessen Hauptbestimmung also lautete: »Wenn die Unterhandlungen, welche Preußen mit den übrigen deutschen Regierungen, zum Behuf einer Reform des deutschen Bundes eröffnen wird, scheitern, und der König sich genöthigt sieht, die Waffen zu ergreifen, um seinen Vorschlägen Geltung zu verschaffen, so wird Italien, nachdem Preußen die Initiative ergriffen hat, ebenfalls den Krieg an Oestreich erklären. Von diesem Augenblick an wird es den Krieg führen, nach allen Kräften, die ihm zur Verfügung stehen, und weder Italien noch Preußen schließen Frieden oder Waffenstillstand ohne gegenseitiges Einverständniß![609] Dieser darf aber nicht verweigert werden, wenn Oestreich Lombardo-Venetien an Italien abgibt, und einen, dieser Provinz an Bevölkerung gleichen Landstrich Preußen überläßt!« 8 –
Durch dieses Bündniß suchten sich Preußen nun, im eignen wie im deutschen Interesse, und Italien, ihres langjährigen Unterdrückers zu entledigen. Noch ehe der Vertrag abgeschlossen war, hatte Bismarck sein Aeußerstes gethan, sich zum unpopulärsten Manne in Deutschland zu machen, indem er, um freie Hand zu gewinnen, mit den Kammern reinen Tisch machte und sie abermals nach Hause schickte. Fast gleichzeitig unternahm er jenen entscheidenden Schritt für eine deutsche Bundesreform, welcher in dem obigen Vertrage angedeutet ist; ein preußisches Rundschreiben an die deutschen Regierungen legte klar an den Tag, wie Preußen, bei einem wahrscheinlich ausbrechenden europäischen Kriege, Deutschland allein sichere Garantien bieten könne, sich fest zu consolidiren und dem Schicksale Polen's, zerstückelt zu werden, zu entgehen. Die Regierungen lehnten jedoch jedes Eingehen auf dieses Schreiben ab. Oestreich versuchte darauf die ihm anhänglichen Staaten in eine entschiedne Opposition zu Preußen zu versetzen, und in dem Kaiserstaate, wie auch in dem ihm eng verbundnen Sachsen, begann man eifrige Kriegsrüstungen zu betreiben. Preußen war durch seine jetzige militärische Organisation in der glücklichen Lage, nicht offenkundig rüsten zu müssen, auch erklärte sich das preußische Volk entschieden gegen einen Krieg. Aber Graf Bismarck war jetzt zum Handeln entschlossen, er brachte am 9. April 1866 bei dem Bundestage einen Antrag ein, welcher auf die Berufung eines deutschen Parlamentes mit allgemeiner directer Volkswahl drang.
Schon im Jahre vorher hatte der Minister dem Könige [610] angerathen, die Verfassung von 1849 zu publiciren und sich damit im Fluge die Sympathie des ganzen Deutschland zu gewinnen, er selbst bot für diesen Fall, seine eigne Unbeliebtheit kennend, den Rücktritt an. Wilhelm I. ging jedoch darauf nicht ein und als jetzt Deutschland durch Bismarck selbst mit dieser neuen radicalen Reformbestrebung überrascht wurde, wich Oestreich im ersten Moment einen Schritt zurück, und erklärte seine Gesinnung für friedlich, mit dem Zusatze, daß es Italien's wegen nicht vollständig abrüsten könne. Gleichzeitig erneuerte es seine Forderung, dem Herzog Friedrich, auf dessen Seite man sich jetzt in Wien geschlagen hatte, Schleswig-Holstein zu übergeben, sonst müsse es die Regelung der Sache dem deutschen Bunde anheimgeben. Auf diese Drohung hin lavirte das Berliner Cabinet noch einige Wochen lang durch Noten und Depeschen hin und her, denn am wichtigsten war ihm jetzt die deutsche Reformfrage.
Preußen's Antrag in Frankfurt sah sich diesesmal, trotz Oestreich's Widerspruch, durch Bayern unterstützt und zu Ende April traten die Minister der Mittelstaaten in Augsburg zusammen, denselben zu berathen. Zwischen all diesen Wirren hindurch, die sich jetzt von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde mehr verwickelten, hielt Bismarck an seinen Reformplänen fest, unverwandt darauf hindeutend, welcher Krisis Deutschland entgegen gehe, wenn es jetzt nicht fest zusammenstehe, sich zugleich wohl bewußt, wie sehr er Oestreich durch diese so kräftig angefaßte Reform auf's Aeußerste reizte.
Mit Schrecken sah sich Deutschland näher und näher an den Abgrund eines Bruderkrieges gedrängt und allgemein betrachtete man Preußen als den Störenfried und Urheber des nahen Kampfes. Die große politische Parthei des Nationalvereins erblickte nur dort das Hinderniß einer Beilegung des schleswig- holsteinischen Streites, der beendigt sein werde, sobald man den Augustenburger in seine Rechte einsetze; an die Aufrichtigkeit [611] von Preußen's Reformbestrebungen glaubte weder sie, noch die Demokratie im Hinblick auf die Schonungslosigkeit, mit welcher der preußische Minister im eignen Lande den Konstitutionalismus behandelte.
Oestreich dagegen sah mit seiner Unterstützung des Augustenburgers gar unschuldig aus; wer konnte auch im großen Publikum ahnen, daß es sich, worüber man in Berlin nicht ganz unkundig war, auch im geheimen Einverständniß mit Frankreich befand, und für den Fall einer preußischen Niederlage schon die Verabredung getroffen hatte, gegen Schlesien, Venetien an Frankreich abzutreten.
Man ersieht aus diesem einen Beispiele, daß alle Theile den Krieg wollten, wenn auch das erfolglose Schauspiel einer Friedensconferenz der europäischen Mächte erst noch zuvor in Scene gesetzt wurde, und obgleich die öffentliche Meinung immer erbitterter den Grafen Bismarck als denjenigen betrachtete, der den offnen Kampf mit allen Mitteln herbeizuführen suche. Seinen stärksten Ausdruck fand dieser Widerwille in einem Attentat, das sich gegen die Person des verhaßten Ministers richtete. Am 7. Mai 1866 machte ein junger Mann, Julius Cohen, ein Stiefsohn des republikanischen Flüchtlings Karl Blind, der in England lebte, den Versuch ihn am hellen Tage unter den Linden durch verschiedne Revolverschüsse zu tödten. Die zwei ersten Schüsse gingen fehl, der dritte streifte den Grafen, welcher den Thäter am Handgelenk faßte, an der Hand, noch zwei weitere Schüsse entluden sich wirkungslos. Der Thäter, ein talentvoller, feuriger aber überspannter Kopf wurde gefangen genommen, aber es gelang ihm, sich während der Nacht mit einem Federmesser, das er in seinem Taschentuch verborgen hielt, so tödtliche Verwundungen beizubringen, daß er am folgenden Morgen starb. Der Arme ahnte nicht, daß sein Feind nichts Geringeres wollte, als er selbst, der in einem Abschiedsbriefe [612] an seinen Vater als Motiv seiner That das Beispiel Orsini's anführte; so wie Jener durch seine That Italien befreit, so hoffte er durch sein Opfer die Befreiung Deutschland's herbeizuführen. Wäre er am Leben geblieben, so hätte ihn schon die nächste Zukunft davon überzeugt, wie falsch er geurtheilt, denn Bismarck sowohl wie der König fühlten sich durch des Ersteren wunderbare Errettung nun doppelt in ihren Plänen bestärkt. –
Doch war es Oestreich, welches dann den ersten Schritt zur Kriegserklärung that; gestützt auf vorherige Abmachungen mit den deutschen Mittelstaaten und mit Napoleon, stellte sein Gesandter am 11. Juni bei der Bundesversammlung den Antrag auf Mobilisirung des gesammten Bundescontingentes mit Ausnahme von Preußen; als Zweck dieser Rüstung galt das Vorhaben, diese Macht aus Holstein zu vertreiben. Der Antrag stand im Widerspruch mit der Bundesverfassung, die nur eine Bundesexecution gestattete, und folglich mußte er, wenn angenommen, zum Kriegsfall werden. Dies geschah, trotz Preußen's Protestation, mit 9 gegen 6 Stimmen; gegen denselben hatten nur Baden, Luxemburg, Mecklenburg, Anhalt, Schwarzburg, Oldenburg und die freien Städte, mit Ausnahme von Frankfurt, gestimmt. Alle Uebrigen waren dafür, und am Tage der Abstimmung wurde bereits in Olmütz, durch Vermittlung des General v. d. Tann, eine geheime Militärconvention zwischen Oestreich und Bayern verabredet, der zu Folge sich die bayerische Armee mit den Contingenten von Würtemberg, Baden, Hessen und Nassau verbinden, und ein besonderes Armeecorps unter dem unabhängigen Oberbefehl des Prinzen Karl von Bayern, zur Unterstützung Oestreich's bilden sollte.
Durch den Bundesbeschluß war Preußen offen der Krieg erklärt, und es zögerte nicht, den Fehdehandschuh aufzunehmen; am 14. Juni erklärte es seinen Austritt aus dem Bunde, seinem Beispiele folgten viele Kleinstaaten, und so [613] sah sich der hohe Bundestag jetzt nicht wie 1848 nur bei Seite geschoben, um wieder aufzuerstehen, sondern factisch zersprengt. Der Rest zog sich, als der Krieg in Süddeutschland ausbrach, nach Augsburg zurück, wo er am 24. August an Entkräftung starb, das heißt, sich geräuschlos auflöste. Preußen richtete nun an jene Staaten, welche ihm zunächst lagen, an Sachsen, Hannover und Kurhessen, die Aufforderung, abzurüsten und mit ihm vereint ein deutsches Parlament zu berufen, dafür sollte ihnen ihr Gebiet und ihre Souveränität soweit garantirt werden, als es die neue Bundesreform zulassen werde. Man war jedoch an den drei Höfen unklug genug, dieses Verlangen abzulehnen, worauf mit Blitzesschnelligkeit Hannover, wie auch das Kurfürstenthum durch die Preußen besetzt wurde. Der Kurfürst, der sich mit Gewalt neutral erklären wollte, wurde alsbald auf Wilhelmshöhe gefangen genommen und nach Stettin gebracht; König Georg von Hannover, der sein Hauptquartier nach Göttingen verlegt hatte, zog von da gen Thüringen, in der Hoffnung, sich mit der in Franken stehenden Armee des Prinzen Karl von Bayern vereinigen zu können. Die Operationen wurden jedoch von beiden Theilen so langsam und ungenau ausgeführt, daß es am 27. Juni zu dem blutigen und überflüssigen Gefechte von Langensalza kam, wo die Hannoveraner zwar die in großer Minderzahl ihnen gegenüberstehenden Preußen schlugen, ohne jedoch dieses Sieges froh zu werden, denn die nachrückenden Preußen schlossen sie so fest ein, daß der König, der selbst im Lager war, am folgenden Tage capituliren mußte.
Preußen hatte unterdessen seine Hauptmacht gegen Oestreich concentrirt, sah sich aber doch genöthigt, auch ein Armeecorps nach Süd-Westdeutschland, unter dem Commando des General Vogel v. Falckenstein, zu entsenden, wo sich diesem vorerst das neunte Armeecorps, die eigentliche Reichsarmee, aus [614] Hessen, Nassauern, Würtembergern, Badensern und einigen östreichischen Regimentern, namentlich Italienern, bestehend, entgegen stellten; hinter diesen stand das achte Armeecorps, hauptsächlich bayerische Truppen in sich schließend, unter dem Befehl des Prinzen Karl, eines alten Herrn von 71 Jahren, der nach seinem Gutdünken diese ganze Südarmee zu leiten hatte. – Was nun die Reichsarmee betrifft, so war sie, wenn auch besser uniformirt und eingeübt, doch bezüglich ihrer inneren Zusammengehörigkeit kaum zweckmäßiger organisirt als die Reichsarmeen des 18. Jahrhunderts, und sie wird am besten durch den Bericht ihres eignen Anführers, des Prinzen Alexander von Hessen, charakterisirt; er schreibt darüber: »Mit sehr geringer Hoffnung und nur höchst ungern hatte ich dieses Commando übernommen. Die Mängel der deutschen Bundeskriegsverfassung waren mir bekannt; ich mußte aber voraussetzen, daß die Staaten, welche sich entschlossen hatten, ihr gutes Recht mit den Waffen in der Hand zu vertheidigen, auch bereit wären, die nöthigen Opfer zu bringen. Und darin hatte ich mich getäuscht, keiner der bundestreuen Staaten, mit alleiniger Ausnahme Hessen's, stand gerüstet« u.s.w.
Trotz langjähriger Berathungen der bundestäglichen Militärcommissionen hatte man es noch nicht einmal dahin gebracht, daß die verschiednen Contingente gleiches Commando und gleiche Signale hatten; und diese getrennten Theile sollten nun gegen eine auf's Beste geführte einheitliche Macht kämpfen! Es konnte nichts nützen, daß man ihnen jetzt als äußeres Band der Einheit eine Reichsfahne gab und den Soldaten Armbinden anheftete, welche die verpönten und verfolgten Reichsfarben: schwarz, roth, gold! trugen, für die sie sich nun begeistern sollten. Was gingen auch diese Farben die Italiener, Kroaten und Böhmen an, welche Oestreich in das 9. Armeecorps hineinsteckte, und mit denen man sich später in den Lazarethen kaum zu verständigen wußte.
[615] Die Stimmung der Bevölkerung in Süddeutschland war eine höchst eigenthümliche; zuerst entsetzte sich Jeder bei dem Gedanken an einen Bruderkrieg und laut verwünschte man Preußen, das man als die nächste Ursache desselben betrachtete. Als man sich aber der vollendeten Thatsache gegenüber befand, und nun für eine der kämpfenden Partheien entscheiden mußte, wendete sich das Blatt. Ein großer Theil der liberalen Bevölkerung wünschte, man muß es offen heraus sagen, beiden Theilen das Verderben, denn wie sehr litt nicht das ganze übrige Deutschland nun schon seit solch unendlich langer Zeit unter dem beständigen Hader und der Eifersucht seiner beiden Großmächte! Man sehnte sich wieder herzlich nach einer süddeutschen Republik, welche als das einzige Mittel erschien, seine beiden Dränger auf einmal los zu werden.
Daran war aber freilich vor's Erste nicht zu denken, und so war es denn doch bald für Alle, die einigen politischen Verstand besaßen, eine ausgemachte Sache, daß man von zwei Uebeln das Kleinere wählen müsse, und in jedem Falle lieber dem siegenden Preußen, als dem siegenden Oestreich anheimfallen wolle. Der Triumph des letzteren Staates war gleichbedeutend mit dem der geistigen Knechtschaft, des Ultramontanismus, wie des Absolutismus. Deutschland ging seinem Untergange entgegen, wenn jene finstren Mächte, gestützt auf eine große materielle Gewalt, die Oberhand erhielten! Ein siegendes Preußen konnte allerdings die Militärmacht stärken, es konnte manches freiheitliche Recht beschränken, aber es mußte die Einheit bringen und es durfte, schon wegen des Gegensatzes zu Oestreich, den Konstitutionalismus nicht bei Seite schieben. Jetzt fing man an, das rechte Verständniß für das große staatsmännische Wirken Bis marck's zu gewinnen, nur mußte man alle solche Gedanken und Sympathien damals stille in sich verbergen, denn wahrhaft lächerlich und fanatisch äußerte sich oft im Allgemeinen [616] die Wuth gegen Preußen; namentlich waren die unteren Klassen förmlich fanatisirt, wozu allerdings der Umstand beitrug, daß die Landeskinder nun auch bald preußischen Truppen im mörderischen Gefechte gegenüberstanden. Sie wurden zum Theil von gebildeten und umsichtigen Officieren geführt, die mit schwerem Herzen in einen Kampf gegangen waren, von dem sie im Voraus wußten, daß sie nicht Sieger bleiben würden; die Mehrzahl jedoch sah sich bereits auf dem Triumphzuge nach Berlin.
Unterdessen war auch in Italien der Krieg ausgebrochen, aber mit einem unglücklichen Anfang, denn in denselben Tagen, da das Gefecht von Langensalza stattfand, waren die Italiener bei Custozza geschlagen worden, was als ein glückliches Omen für Oestreich gelten konnte, als jetzt der Feldzug in Böhmen eröffnet wurde.
Preußen hatte nach jener Seite hin seine Hauptmacht concentrirt. Im Hauptquartiere befand sich der König selbst, sowie auch der Kronprinz, Prinz Friedrich Karl, Bismarck, die Generale Roon, Herwarth, Moltke, der geniale Schlachtenlenker, und wie die Tapferen Alle heißen, deren Namen damals zuerst genannt wurden, um sich dann später für ewige Zeiten in das Buch der deutschen Geschichte einzuschreiben.
Generalfeldmarschall Benedek führte die Oestreicher an, und so groß war das Ansehen, welches dieser schlachtenerprobten Armee voranging, daß nur Wenige an einer baldigen Niederlage der Preußen zweifelten. »Dann werden sie sich verständigen, und wieder einen Frieden schließen zu unserm Schaden! uns wohl in zwei Hälften spalten, daß es nur noch ein Preußen und ein Oestreich gibt!« so wehklagte im Stillen die deutsche Nation, aber es sollte Anders kommen. Jener wohlorganisirten, östreichischen Maschine stand eine Armee gegenüber, in der jeder Einzelne einen Willen und einen Kopf hatte und der sich doch dem Ganzen unterzuordnen wußte. [617] Mit verwundertem, und sehr bald auch mit frohem Erstaunen vernahm man im übrigen Deutschland die Kunde, daß die Oestreicher eine Schlappe nach der andern erlitten, bis der glänzende, großartige Sieg der Preußen bei Königgrätz oder Sadowa, der am 3. Juli nach einer furchtbaren Schlacht erfochten wurde, den Feldzug mit einem Schlage beendigte. Vor dem Sieger lag der Weg nach dem bestürzten, trostlosen Wien offen, und ein Hauch genügte, den Funken der Empörung in Ungarn zur Flamme anzublasen. Jetzt konnte die östreichische Monarchie aufgelöst, Deutschöstreich mit dem übrigen Deutschland vereinigt werden – da legte sich Louis Napoleon in's Mittel, auch fühlte sich der König von Preußen von Bedenken ergriffen, seinen kaiserlichen Bruder zu tief zu demüthigen. So hart es wohl auch dem Grafen Bismarck eingehen mochte, mußte er doch dem Siegeslaufe Einhalt thun lassen und die Präliminarien zu dem Frieden von Nikolsburg vereinbaren.
Venetien war schon gleich nach Sadowa von Oestreich an Napoleon abgetreten worden, der dieses Geschenk nun demjenigen überließ, dem er es noch verschuldete; ein Schlesien aber hatte er nicht zu vergeben, und was er selbst sich von Oestreich am Rhein zu erbitten vorbehalten, dies war gleichfalls verloren. Schon gehörte ihm Venetien nicht mehr, da mußten die unglücklichen Italiener noch in dem harten Gefechte von Aschaffenburg bluten, wo die Reichsarmee mit den Preußen zusammengestoßen und total geschlagen und zersprengt worden war. Fast gleichzeitig traf die Bayern ein gleiches Schicksal bei Kissingen und Hammelburg. In wilder Flucht ergoß sich nun ein Strom aufgelöster Truppentheile nach dem Süden, von den siegenden Preußen verfolgt, welche sie dann noch in kleineren Gefechten am Neckar, wie an derTauber, wo man sich noch einmal zu stellen gedachte, schlugen.
In einem ununterbrochenen Siegeslaufe von 6 Wochen [618] hatte Preußen alle Feinde vor sich niedergeworfen und dictirte es nun die Bedingungen des Friedens, der am 3. August in Prag abgeschlossen wurde. – Vorerst garantirte ihm derselbe den Besitz von Schleswig-Holstein, sodann wurde die Auflösung des Bundes definitiv ausgesprochen. Weitere Bestimmungen betrafen die Anerkennung eines engeren Bundesverhältnisses, unter Preußen's Leitung mit dem Ausschlusse Oestreich's, sowie auch der im Norden vorzunehmenden Territorialveränderungen, da die Fürsten von Hannover und Kurhessen ihrer Länder durch Preußen's Eroberung verlustig gehen mußten. Endlich versprach Oestreich, einer späteren Verständigung Preußen's mit den süddeutschen Staaten nichts in den Weg legen zu wollen und eine Kriegsentschädigung von 20 Millionen Thalern zu zahlen. –
Daran reihten sich die Friedensschlüsse mit den einzelnen kleineren Staaten, wobei Baden, Würtemberg und Hessen die Verwandtschaft mit Preußen und Rußland zu Gute kam. Der Main sollte fortan die Gränze bilden zwischen den Ländern des preußischen Nordbundes und den südlichen mit ihm verbündeten Staaten. Es war ein Meisterstreich, daß diese Gränzlinie das Großherzogthum Hessen in zwei Theile spaltete, denn so mußte die Mainlinie mit der Zeit die Lücke werden, durch die der Nordbund weiter vordringen konnte. Hier war der Durchgangspunkt zu einem zukünftigen Einheitsbande zwischen Nord und Süd gegeben, aber daß dieses nicht sogleich geschaffen wurde, daß Preußen hier auf halbem Wege stehen blieb, erregte in Süd-Deutschland vielfach Mißstimmung. Graf Bismarck jedoch, dies erfuhr man später, war so weit gegangen, als es ihm irgend möglich war. Frankreich hatte bei allen Abmachungen die Hand im Spiele gehabt und nur durch die rascheste Abwicklung und Consolidirung des Ganzen konnte man sich überhaupt vor seinen wachsenden Ansprüchen schützen. Noch nachträglich hoffte, als der Friede [619] schon unterzeichnet war, der schlaue Benedetti im Auftrag seiner Regierung noch einen Lohn zu fischen, indem er anfragte, ob denn Frankreich nicht wenigstens auf eine Verbesserung seiner Rheingränze zu hoffen habe, was Bismarck entschieden verneinte. Als dann der zähe Unterhändler einige Tage später darauf zurück kam und wenigstens Mainz verlangte, wobei er im Weigerungsfalle sogar einen Krieg in Aussicht stellte, fuhr ihn Bismarck mit den Worten an: »Nun gut, dann ist Krieg!« Dabei mußte sich Frankreich damals wohl oder übel beruhigen, und es richtete nun sein Augenmerk auf den Besitz von Luxemburg und Belgien. –
Am 4. August kehrte der siegreiche Preußenkönig mit seinem Sohne, seinem Generalstabe und seinem Minister Bismarck nach Berlin zurück, wo der enthusiastischste, begeistertste Jubel sie empfing. Der König zeigte sich tief erschüttert, Graf Bismarck in strahlendster Freude. »Wir sind schneller wiedergekommen, als wir dachten!« rief er den Begeisterten entgegen, und der König antwortete einer Deputation des Stadtraths auf deren Ansprache: »Selten ist Gottes Segen und Gnade so sichtlich mit einem gewagten Unternehmen gewesen, als in den letzten Wochen. Preußen mußte das Schwert ziehen, als es sich zeigte, daß es die Erhaltung seiner Selbstständigkeit galt; aber auch zur Neugestaltung Deutschland's hat es sein Schwert gezogen. Ersteres ist erreicht, Letzteres möge mir unter Gottes fernerem Segen gelingen!«
Diese Neugestaltung wurde nun rüstig in Angriff genommen, nachdem der König auch mit den parlamentarischen Vertretern seines Volkes Friede gemacht. Er berief sie zusammen und legte ihnen das Gesuch einer Indemnitätserklärung vor, das heißt einer nachträglichen Bewilligung der streitigen Budgetüberschreitung. Das Recht der Stände war damit anerkannt, aber auch die Verwendung des Geldes durch [620] den Krieg glänzend gerechtfertigt und so wurde die nachgesuchte Indemnität mit einer großen Majorität angenommen. Trotz des Widerspruches der Betreffenden vollzogen sich nun nicht minder rasch die Annexionen Kurhessen's, Hannover's, Nassau's und Frankfurt's; Sachsen wurde geschont, seinem Könige jedoch, trotz Oestreich's Sträuben, die entschiedene Bedingung gestellt, in den Nordbund einzutreten.
Schon am 24. Februar 1867 wurde sodann in Berlin der Reichstag eröffnet, welcher die Verfassung des Nordbundes berathen sollte; in der Thronrede, mit welcher der König ihn eröffnete, sprach er in unumwundenster Weise eine freiheitliche und nationale Gesinnung aus. Besonders bedeutungsvoll klangen die Worte, welche sich auf Süddeutschland bezogen, und in denen Wilhelm I. die Hoffnung eines baldigen näheren Einverständnisses mit den noch ausgeschlossenen Staaten betonte: »Unsere Hand wird den süddeutschen Ländern offen und entgegenkommend dargereicht werden, sobald der norddeutsche Bund in Feststellung seiner Verfassung weit genug vorgeschritten sein wird, um zur Abschließung von Verträgen befähigt zu sein. Die Erhaltung des Zollvereins, die gemeinsame Pflege der Volkswirthschaft, die gemeinsame Verbürgung für die Sicherheit des deutschen Gebietes werden Grundbedingungen der Verständigungen bilden, welche voraussichtlich von beiden Theilen angestrebt werden!« u.s.f. Einige Tage später las Graf Bismarck den zu berathenden Verfassungsentwurf vor, welcher einige Bestandtheile der Verfassung von 1849 in sich aufgenommen hatte, und der mit genialem Scharfblicke nicht allein den damaligen Verhältnissen angepaßt war, sondern auch weiten Raum für den Eintritt der Südstaaten ließ. Weder der Einheitsstaat, dem zu viele selbstständige Mächte gegenüber standen, noch eine straffe Centralgewalt, die die Souveränität der einzelnen Monarchieen aufhob, konnte die Gewähr einer lebensfähigen, organischen [621] Entwicklung geben; Graf Bismarck verlegte darum den Schwerpunkt der Bundesgewalt in ein Collegium, den sogenannten Bundesrath, der aus Bevollmächtigten der verbündeten Regierungen bestand und der heute im Ganzen 58 Mitglieder umfaßt. Sie vertreten die Ansichten der Regierung die sie entsendet hat, und es besteht die hauptsächliche Thätigkeit dieses Bundesrathes in der Ausübung der gesetzgebenden Gewalt, er ist darum auch nicht aus einem Corps von Diplomaten, sondern von Fachmännern aller Art zusammengesetzt, welche sich in Ausschüsse für Kriegs-, Zollund Steuerwesen, Handel, Post-, Eisenbahn- und Telegraphenverkehr, Justiz- und Rechnungswesen theilen. Der Bundesrath ist nicht permanent, sondern wird einmal im Jahre durch das Bundespräsidium, das der Krone Preußen erblich zugehört, zusammenberufen. Diese Präsidialstimme giebt in Streitpunkten innerhalb des Bundesrathes den Ausschlag und besitzt ein Veto bei Beschlüssen über Kriegswesen, Zollsachen, oder einer etwaigen Auflösung des Reichstages. Das Bundespräsidium hat weiterhin den Bund nach Außen hin völkerrechtlich zu vertreten, Krieg zu führen, Frieden zu schließen und den Oberbefehl zu Wasser, wie zu Lande auszuüben. Der Präsidentschaft sollte kein besonderes Ministerium, sondern nur ein verantwortlicher Bundeskanzler zur Seite stehen, welcher im Bundesrathe den Vorsitz führte und die Geschäfte leitete; dieser damalige Bundeskanzler ist der heutige Reichskanzler, Fürst Bismarck. Zu diesen beiden Factoren: Bundesrath und Präsidialmacht, gesellte sich als dritter der Reichstag, der aus directen Wahlen hervorgehen, und dessen Mitglieder keine Diäten beziehen sollten. Die Zustimmung des Reichstages ist zu allen Gesetzen und Handlungen des Bundesrathes erforderlich, zu seiner Kompetenz gehört fernerhin das Recht alljährlich das Budget des Bundes zu prüfen und festzustellen, auch darf er aus [622] eigner Initiative Gesetze vorschlagen. Die Tüchtigkeit und practische Ausführbarkeit dieser Verfassung war so augenscheinlich, daß sie von dem constituirenden Reichstage mit wenigen Veränderungen angenommen wurde, und Graf Bismarck durfte mit Recht während der Debatten den Reichstagsmitgliedern das aneifernde Wort zurufen: »Arbeiten wir rasch, meine Herren, setzen wir Deutschland so zu sagen in den Sattel, reiten wird es schon können!« –
Und so geschah es in der That, es lernte reiten, trotz aller Mißstimmungen, Deklamationen und Lamentationen die von den verschiedensten Seiten laut wurden, trotz der Intriguen Frankreich's und Oestreich's, die sich bemühten, einen deutschen Südbund zu Stande zu bringen, trotz des Jammers der Großdeutschen und der bittern Vorwürfe der Republikaner, über den Ausschluß der 8 Millionen Deutsch-Oestreicher! Eine der schwierigsten Debatten im Reichstage betraf abermals die militärische Forderung einer dreijährigen Präsenzzeit, die auch im übrigen Deutschland große Mißstimmung erregte, aber General Moltke blieb unerschütterlich bei seinem Verlangen, und die folgenden Ereignisse gaben ihm Recht. Man konnte mit Bestimmtheit früher oder später einen Krieg mit Frankreich voraussehen, wenn auch Preußen für jetzt einem solchen mit großer Mäßigung auswich, als Frankreich den Handel wegen Luxemburg in Scene setzte. Durch die späteren Ereignisse sind die Vorwürfe, die man Preußen damals, namentlich von der liberalen Seite aus, gemacht, als ob es nun Gelegenheit habe, zu zeigen, ob es eine eigensüchtige, oder nationale Politik verfolge, so hinfällig geworden, daß wir auf diese ganze Sache nicht näher eingehen. Napoleon hoffte hier eine Gelegenheit zu finden, wo er im Trüben fischen konnte, und allgemach mischten sich alle Großmächte in den Streit, der sich endlich durch einen Vertrag schlichtete, welcher Luxemburg für einen [623] neutralen Staat erklärte, der dem Hause Oranien verblieb, während Preußen die seitherige Bundesfestung Luxemburg verließ, deren Wälle geschleift wurden.
Jedenfalls hatte Graf Bismarck bei dieser Gelegen heit einen glänzenden Beweis seiner Friedensliebe gegeben und es blieb ihm nun eine Frist, um das Werk einer vorsichtigen Ueberbrückung der Mainlinie anzubahnen. Dies geschah vorerst durch Neubelebung des Zollvereins, der durch die gemeinschaftlichen Berathungen eines Zollparlamentes wieder hergestellt werden sollte und ein Solches bot nun die Gelegenheit daß zum Erstenmal die Abgeordneten des ganzen Deutschland miteinander in Berlin tagten. Was schon zuvor durch die, mit den einzelnen süddeutschen Staaten abgeschlossenen Militärconventionen, welche einen abermaligen Bruderkrieg zwischen Nord und Süd unmöglich machten, für die Einheit gewonnen war, dies vollendete sich nun in dauernden Werken des Friedens. Verträge über einheitliche Leitung der Eisenbahnen, des Telegraphendienstes und der Post, deren Oberleitung nun mit Beseitigung der Privilegien des Fürsten Turn und Taxis in die Hände Preußen's überging, überzeugte auch den Kurzsichtigsten gar bald, daß man auf dem besten Wege war, eine einheitliche Nation zu werden. Auch wurden gleichzeitig die Arbeiten, die eine Einheit des Maßes, des Gewichts und der Münze herbeiführen sollten, in Angriff genommen und um 1870 hoffte man damit fertig zu sein, als der große französische Krieg dieses Resultat noch um einige Jahre verzögerte.
So schlangen und knüpften sich bald Tausende von Fäden zwischen Nord und Süd herüber und hinüber, die Antipathieen gegen Preußen traten mehr und mehr in den Hintergrund, die Sympathieen durften sich frei und ungehindert aussprechen; was Deutschland's großer Patriot, Graf Bismarck angebahnt, das wuchs und entfaltete sich zusehends, denn es [624] war practisch, gesund und lebensfähig. Man mußte sich am Ende doch mit gerechter und warmer Anerkennung des genialen Mannes sagen: »Jetzt haben wir, was wir seit 1815 gewollt, was wir 1848 vergeblich angestrebt!« Waren die Wege zum Ziele auch Andere geworden, als man sie früher betreten, hatten die Formen sich anders gestaltet, als man sich vorgestellt – was lag daran, man besaß die Sache, man saß im Sattel, um ungehindert auf dem Wege zur Einheit weiter zu streben, bis an's Ziel. Nur Schwarzseher und Leute, die sich der leidigen Principienreitereien nicht entschlagen konnten, wollten die wirkliche Sachlage nicht anerkennen. »Das ist kein Deutschland«, sagten sie, »es ist nur ein vergrößertes Preußen, das jede Freiheit mit seiner Militärgewalt erdrückt!« Als ob ein vergrößertes Preußen und ein geeinigtes Deutschland nicht ein und dasselbe gewesen wären, als ob eine Militärmacht, die auf dem Princip der Volkswehr beruht, wenn auch deren jetzige Organisation demselben noch nicht ganz gerecht wird, sich dauernd gegen eine freiheitliche Entwicklung würde gebrauchen lassen! Aber auch für Oestreich war die Lostrennung von Deutschland ein Glück; auch dieser Staat lenkte jetzt in neue Bahnen ein und machte seinen Frieden mit Ungarn, dem 1867 alle Zugeständnisse des Jahres 48 zurückgegeben wurden.
So wuchs unter Regen und Sonnenschein die junge Pflanze der deutschen Einheit heran, bis jener Tag kam, da ein Ruf allgemeiner Entrüstung das ganze Deutschland zu dem Kampf gegen den Erbfeind unter die Waffen rief. In jenem Augenblicke gab es keine Mainlinie, keinen Norden und Süden mehr, es gab nur noch eine – deutsche Nation! Ein einiges Brudervolk, stritt und litt sie gemeinsam, für ihr Recht und ihre Existenz, wie sie 1813 und 14 auch gethan, bis zu jener ewig denkwürdigen Stunde, da die deutschen Fürsten im Schlosse zu Versailles dem Preußenkönige, als [625] dem neuen Kaiser der Deutschen huldigten, und aus »den sechs und dreißig Lappen«, der Heldenpurpur wurde, wie ihn einst vorahnend ein deutscher Dichter besungen.
Den Frieden mit dem Franken aber, den dictirte jetzt der neue Reichskanzler, Fürst Bismarck, und er löste ein, was das Jahr 1815 versäumt hatte. Elsaß und Lothringen wurden wieder deutsches Reichsland, wie es jedes ächte deutsche Herz stürmisch verlangte – ja, durch deren Rückforderung ward uns gewissermaßen erst die volle Gewähr dafür, daß man es diesesmal ganz ehrlich mit Deutschland meinte.
Der Nordbund wandelte sich jetzt in ein deutsches Reich um, dessen Verfassung in die Reichsverfassung, und als der Jubel und der Enthusiasmus zu Ende waren, da wendete man sich wieder der ernsten Geistesarbeit zu, in welcher wir gegenwärtig die ganze Nation begriffen sehen. Auch hier steht des Reiches Kanzler Allen voran; er weiß es wohl, daß sein Werk nicht ganz zu Ende ist, ehe er den Staat erlöst von allen Mächten, die sich verderblich und schwächend über denselben zu stellen versuchen, ehe er den ältesten und erbittertsten Feind eines einigen und freien Deutschland, die Hierarchie, in ihre Schranken zurückgeführt hat. Welche Gefahren aber auch jetzt noch des neuen Reiches Zukunft bedrohen mögen, wir haben eine hohe Gewähr und Zuversicht in diesem Manne, von dem die Nation sich zu jeder Stunde sagen darf: Wir dürfen auf ihn zählen!
Ueberblicken wir nun noch einmal mit unbefangenem Blicke unsere Gegenwart, so mögen wir uns freudig sagen: Ein neuer Geist ist in unser Vaterland gekommen! Vom Fürstenthrone bis herab in die Hütte regt und bewegt es sich von edlen und uneigennützigen Kräften, die das Beste zu erringen und zu fördern streben. Vereint mit den Männern sehen wir die Frauen wirken und arbeiten, denn nur [626] eine Vereinigung beider Geschlechter zum besten Zwecke wird im Stande sein, die socialen Fragen zu lösen, und allen jenen Forderungen gerecht zu werden, welche die Menschheit mit Recht an die Menschheit stellt. Die größte und wichtigste Frage aber, um die alle die Andern, sich nur wie die Planeten um die Sonne bewegen, das ist die der Erziehung, der Schule! Was diese Beiden jetzt, im Hause, wie in den öffentlichen Anstalten, aus der deutschen Nation machen, das wird sie einst sein! –
Vor allen Andern ist darum die Jugend eines Volkes, das einer höheren Entwicklung entgegen geht, durch ihre Empfänglichkeit dazu berufen, an diesem Werke mitzuarbeiten; aus den Lehren seiner Geschichte hat sie zu entnehmen, was ihm zu solchem Zwecke schadet oder frommt – möchten diese Blätter etwas dazu beitragen, die Einsicht in die Verhältnisse des Vaterlandes zu klären, die Liebe zu demselben, wie die Hingabe an Freiheit und Recht zu stärken und zu festigen! –