[473] Die gefrornen Fenster

In Häusern findet man, zur Winters-Zeit,
Solch' eine wunderbar formirte Zierlichkeit,
Die keiner tüchtig zu beschreiben,
Wenn die gefrornen Fenster-Scheiben,
Von tausend zierlich und schönen Creaturen,
Uns tausend zierliche Figuren,
In solcher zarten Nettigkeit,
In solcher lieblichen Vollkommenheit,
Die doch in dunckler Nacht gezeugt, früh uns zeigen.
Man siehet in den kalten Zimmern
Oft Thäler, Felsen-Brüch', erhab'ne Berge, Felder,
Nebst ungezählten krausen Zweigen,
Als wenn sie in Krystall geschnitten wären, schimmern.
Man siehet Wolcken, Buschwerck, Wälder,
So Tannen bald, Palm- und Eichen,
An Baum-Schlag, Zweig- und Stämmen, gleichen:
Von Bluhmen, Sternchen, Vögeln, Thieren,
Von Feder-Büschen, Fliegen, Mücken,
Sich mancherley Gestalt formiren,
Ja sich zuweilen gar mit rechten Schlössern schmücken.
Die Schlösser aus gefronem Duft,
So man, im Frost, am Fenster schauet,
Vergleichen sich den Schlössern in der Luft,
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Die mancher sich des Nachts auf seinem Lager bauet,
Die nicht von läng'rer Daur, als eines Traumes Freude.
Denn eh man sichs versieht, sind beyde schnell dahin,
Die dort aus dem Gesicht, die hier aus unserm Sinn:
Der Sonnen Strahl vereitelt alle beyde.
Ein jedes Scheiben-Glas gleicht einer Schilderey,
In einem glatten Rahm von Bley,
So eine Winter-Landschaft zeiget:
Ein jedes ist so schön, so wunder- schön geschmückt,
Die Bilder so subtil und deutlich ausgedrückt,
Daß es nicht nur das Aug' ergetzet,
Das Hertz selbst in Vergnügung setzet,
So gar, daß, wer es sieht und diese Pracht ermisst,
Der strengsten Kälte selbst darüber gantz vergisst.
Zumahl wenn an- und durch die klaren Spitzen
Der Morgenröthe Strahlen blitzen,
Und an dem weissen Eis' ihr lieblich röthlich Licht
Auf tausend Arten sich im Wiederschlagen bricht;
So schwüre man darauf, da es so schön durchstrahlet,
Als wär ein jeder Strich, als wär' ein jedes Bild,
Ein jegliches Gewächs, womit es angefüllt,
Mit Diamntnem Staub entwofen und gemahlet.
Allein, indem sie recht im höchsten Schimmer prangen,
Sind sie vergangen.
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Seh' ich so manche schön- und zierliche Figur
In einem Augenblick zerfliessen und verschwinden;
So deucht mich, von der sich verwandelnden Natur,
Als ihrem Urbild selbst, ein schreckend Bild zu finden.
In der, hierdurch auch mich bedrohnenden, Gefahr
Ist dieß mein Trost: Ich werde doch bestehen.
Laß alles schwinden und vergehen;
Mein Gott ist stets unwandelbar.

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TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Die gefrornen Fenster. Die gefrornen Fenster. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4516-9