[140] Ein alter umgeweheter Kirsch-Baum
So muß dich denn zuletzt der wilde Nord zerspalten,
Da dein Verdienst, wodurch du dich erhalten,
Das Beil oft von dir abgekehrt,
Weil sonst dein Stand die Durchsicht mir verwehrt?
Ob ich nun gleich dadurch, bey deinem Scheiden,
Fast mehr gewonnen, als verlohren;
So seh ich dich doch, mit betrübten Freuden,
In deinem Lager an.
Es hat dich dein Verdienst beschützet:
Dieß dein Verdienst begleitet dich
Zu der Zeit auch, da grimmiglich
Ein Wetter auf dich stürmt und blitzet.
Dein längstgeborst'ner Stamm hat eh nicht brennen wollen,
Als bis du mir zu guter letzt
Das, was ich an dir hoch geschätzt,
Die grossen Kirschen reif hast können zollen.
Die Kinder, die sich bis daher,
Mit aufgeschlag'nem Aug', an deiner Frucht ergetzet,
Betrüben sich; doch freuen sie sich mehr,
Indem sie ihren Wunsch, die reifen Kirschen nun,
Wodurch dein Haupt bisher sich pflag zu schmücken,
Itzund, wie sie mit Jauchzen thun,
In deinen Zweigen selber pflücken.
Sie können nunmehr, ohn' Gefahr,
Auf deinen ehedem erhab'nen Gipfel steigen.
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Bald halb verdeckt, bald gantz und gar
Sieht man sie in den grünen Zweigen,
Mit kindischem Gewühl und frohem Lermen,
Geschäfftig schlupfen, hüpfen, schwärmen.
Kein einziger von ihnen denckt daran,
Wie es nun auch das letzte mahl,
Daß er der süssen Kirschen Zahl
Von diesem Baume pflücken kann.
Sie wissen nicht, daß oft Verdruß,
Auch aus der Lust so gar, entspringet,
Und daß ein kurtzer Ueberfluß
Oft einen langen Mangel bringet.