[74] Der Morgen
Sir. XLIII, 2.

Wenn die Sonne aufgehet, verkündiget sie den Tag.

Es wältzete bereits die rege Last der Welt,
Die, samt der Lüfte Kreis, sich um die Angel drehet,
Der äussern Fläche Theil, auf welchem Hamburg stehet,
Der göld'nen Sonnen zu, die alle Ding' erhält,
Erwärmet und beweg't; nachdem der Nächte Schatten
Die Schönheit der Natur fast in ihr erstes Nichts,
So lang die Nacht gewährt, gesetzet hatten.
Ein ungewiß Gemisch des Dunckeln und des Lichts
Gebahr die Dämmerung. Zu Anfang ward der Kreis
Der äussern hohlen Luft allmählig weiß.
Bald färbt' den untern Theil, worin die Wolcken schwimmen,
Ein Rosen-rother Glantz. An ihren zarten Spitzen
Sieht man sodann ein Roth, wie Rosen und Rubin,
Und bald ein funckelnd Gold, so mehr als gölden schien,
In grünlich-blauem Licht des Himmels, blüh'n und glüh'n,
In unbeschreiblichem Schein, Glantz und Schimmer blitzen.
Woher? Hier zeigt sich dem Gesicht
Kein irdisches, ein himmlisch Licht.
So strahl't kein Diamant, kein Feuer kann so glimmen.
Der allerhellsten Farben Schein,
So wir im Lust- und Kunst-Feur sehn,
Sind, gegen diesen Glantz, nicht rein,
Sind, gegen diese Gluht, nicht hell, nicht schön.
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Ja, solch ein lichter Schimmer glühet
Und strahl't so hell verschied'ne Stellen an,
Daß man die Sonne selbst kaum schöner glauben kann,
Bis man sie selber wieder siehet.
Die Höhen dieser Welt, der Berg' erhab'ne Gipfel,
Durchdrungen bald darauf Auroren Rosen-Reich;
Die Spitzen wurden roth, die feuchten Felder bleich,
Die dunckeln Thäler grau. Der Bäume hohe Wipfel
Bemalt' ein röthlichs Gelb, wodurch das holde Grün
Der frischen Blätter recht, wie übergüldet, schien.
Der Lüfte Bürger-Heer, das zwitschernde Geflügel,
Zog aus den Fittigen die kleinen Köpf' hervor,
Sprang von den Aesten ab, schwung über Thal und Hügel,
Mit gurgelndem Gepfeif, sich in die Luft empor,
Um, aus der duncklen Nacht, so sie bisher befangen,
Noch schneller, als die Erd', ins Licht-Reich zu gelangen.
Und endlich tritt die Welt ins Reich der Sonnen ein,
Woselbst des Lichts Monarch, mit Klarheit, Strahl und Schein,
Mit Gluht und Glantz gekrön't, das weite Firmament,
Das unergründlich tief, das keine Grentzen kennt,
In stiller Majestät beherrschet und erfüllet.
Gleich überschwemmt die Welt, wie eine schnelle Fluht,
Sein Rosen-farb'ner Strahl. Ein Ocean von Gluht,
Die unveränderlich aus seinem Throne quillet,
Ergiesst sich überall, beleb't, besämet, schmückt,
Verherrlichet, erwärmt, begeistert und erquickt
Natur und Creatur. Was die Natur gebildet,
Nimmt einen Schimmer an, scheint alles übergüldet.
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So lange nun die Quell des Lichts noch niedrig sitzet,
Wird Gras und Kraut und Schilf zuerst nur halb bestrahl't,
Indem die unt're Hälft' ein dämmricht Grün noch mal't,
Wenn schon der ob're Theil im grünen Schimmer blitzet.
Durch dieses grüne Licht,
Zusamt der grünen Dunckelheit,
Wird nicht nur das Gesicht;
Selbst das Gemüth, erfreut,
Zumahlen wenn, so oft sie kühle Lüfte fühlen,
Sie gleichsam mit einander spielen.
Die Schatten, die, gestreckt, sich Westen-wärts begeben,
Und ihren Vater flieh'n, vermehren und erheben,
Im Gegensatz, durch ihre Dunckelheit,
Des nahen Lichtes Heiterkeit.
Selbst wo es schattigt bleibet,
Indem das Licht den Schatten West-wärts treibet,
Sind alle Dinge schön geschmückt, gefärbt, gemalt.
Da aber, wo das Licht der Sonne selber strahl't;
Scheint alles, nicht so sehr gefärb't, als wunderschön
In einer bunten Gluht zu stehn.
Im grünen Feuer glüht das Laub, das Kraut, das Gras,
In tausend-färbigem, wann es bethaut und naß.
Ein gelber angenehmer Brand
Bedeckt den gelben Kies und Sand,
Ein röthlicher das jüngst gepflüg'te Land.
Es gläntzt die reine Luft, es glüht die glatte Fluht
(Wenn da, wo sie sich reg't, viel göld'ne Blitze schwimmen,
Und, wie geschür'te Kohlen, glimmen)
In einer weißlich-blauen Gluht.
In dunckel-blauer stehn entfernte Hügel,
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In einer rothen, rothe Ziegel,
So wie in einem grauen Schein
Beschilfte Hütten, Holtz und Stein.
In den bestrahl'ten Bluhmen flammen
Gluht, Farben, Glantz und Schein zusammen.
Die schwartzen nicht so sehr, als bunt-gefärbten, Schatten
Erheben die beflammte Pracht,
So wie das schwartze Heer der Schatten, bey der Nacht,
Stern, Mond und Licht, daß sie noch einst so schön,
Durch ihren Gegensatz, erhöh'n.
Es lacht uns, was man sieht,
In solchem Wunder-Schmuck und süssen Schimmer an,
Daß auch das traurigste Gemüth,
Sich, Trotz sich selbst, zu freu'n, nicht unterlassen kann.
Hierdurch nun breitet sich, durch meine gantze Brust
Ein süss- und schnelles Feur sonst nie gespür'ter Lust,
In meinem wallenden begeisterten Geblüte
Und allen Sehnen aus. Hiedurch beweg't, entzücket,
Gantz ausser mir vor Lust, erheb't sich mein Gemüthe,
Besingt in ihrem Strahl, in ihrer Wunder-Pracht,
Mit unterbrochenen, vor Lust verwirrten, Worten
Den GOTT, der bloß aus Lieb', Erbarmung, Huld und Güte
Die Sonne leuchten ließ, die Welt an allen Orten
So herrlich ausgeschmückt, so wunderschön gemacht;
Sein unausdrücklich's Lob nimmt meine Sinnen ein,
Und werd' ich (durch den unerschaffnen Schein
Von seiner Herrlichkeit noch immer mehr gerühret)
Zu einer höheren Betrachtung aufgeführet:
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Da uns die Schönheit einer Welt,
Wenn sie die Morgen-Sonne schmücket,
So unvergleichlich wohlgefällt,
Und aus uns selber setzt, ja gantz entzücket;
Welch eine Seelen-Lust muß sel'ge Geister rühren,
Wenn sie mit geistigen verkläreten Gesichtern,
Und nicht mit Augen nur; nein gantz,
Den Strahlen-reichen Morgen-Glantz
Von so viel tausend Sonnen-Lichtern,
In hundert tausend Welten, spüren!

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TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Der Morgen. Der Morgen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-44C3-D