[16] Das Wasser im Frühlinge
Sing-Gedichte à 2
Ps. CIV, 10.

Du lässest Brunnen quellen in den Gründen, daß die Wasser zwischen den Bergen hinfliessen.

Es ging Lisander und Elpin,
Der Frühlings-Freude zu geniessen,
Dort, wo durch das beblühmte Grün
Zween kleine Bäche murmelnd fliessen.
Sie setzten sich an einen grünen Hügel,
Dem Mooß und Rohr die Schooß, ein Wald den Rücken, deckte,
Und der den fetten Fuß ins klare Wasser streckte;
Sie sah'n die Silber-reine Fluht,
Als einen glatt-polirten Spiegel,
Wie sie des Ufers Schmuck, den Phöbus heit're Gluht
Mit einem güldnen Glantz bestrahlte,
Als eine Schilderey mit Wasser-Farben, mahlte.
Sie fingen an, nach ihrer Weise,
Durch diesen Blick gereitzt, dem höchsten Gott zum Preise,
Deß Lieb' und Allmacht man
In Ewigkeit nicht gnug bewundern kann,
Die frischen Fluhten, die so schön,
Mit Lust und Andacht anzusehn,
[17]
Und gaben sich einander ihre Freude,
Ob solcher holden Augen-Weide,
Mit diesen Worten, zu verstehn:

Aria à 2.

Gott, der durch ein Wort: Es werde!
Aller Himmel Himmel Pracht,
Stern' und Sonnen, Mond und Erde,
Gluht und Fluht hervor gebracht!
Alle Tropfen in den Bächen,
Ja so gar im tiefen Meer,
Hör' ich gleichsam rauschend sprechen:
Nur von Gott kommt alles her;
Ihm allein sey Preis und Ehr!
Lisand.

Die Berg-Krystallen gleiche Bäche,
Von ihres Eises Banden los,
Versilbern Tellus grüne Schooß,
Und schlängeln sich durch unsrer Felder Fläche,
Erfrischen, was vorhin verdorrt,
Und rauschen über glatte Kiesel,
Mit lieblich-murmelndem Geriesel,
In sich vergrössernden beschäumten Circkeln, fort.
Itzt siehet man die Flüsse, so bisher
Vom Eise voll, von Schiffen leer,
In Ebb' und Fluht, bald von bald nach dem Meer,
Vom Himmel blau gefärbt, zu manches Volcks Erspriessen,
Durch manches Schiff beschäumt, mit frohem Rauschen fliessen.
[18] Aria.

Die enteis'te Wellen rollen,
Von geschmoltznem Schnee geschwollen,
Itzt vermehrt zum Welt-Meer' hin,
Und vermehren, in den Waaren,
Die bald hin- bald herwärts fahren,
Hamburgs Handlung und Gewinn:
Hamburg, laß denn, Gott zu Ehren,
Auch dein Dancken sich vermehren!
Hier gläntzt, den Spiegeln gleich, die flache Glätte;
Dort lässt sie, wo der Wind sie rührt,
Als ob sie kleine Schuppen hätte.
Oft scheint das Wasser aufzuschwellen,
Um in den sanft-erhabnen Wellen
Der Sonnen Bilder vorzustellen.
Sie scheinen eigentlich sich darum zu erheben,
Um lauter Spiegel abzugeben,
Damit ein achtsames Gesicht,
Das sonst der Sonnen helles Licht
Nicht sieht, im Wiederschein dasselbe sehen möchte,
Damit es eine Lust durchs Aug' ans Hertze brächte.
Wie wir denn auch nicht leicht was, das so schön,
Als ein vom Sonnen-Licht bestrahltes Wasser, sehn.
Wann nun, auf sanft-bewegter Fluht,
Die Strahlen von der Sonnen-Gluht,
Wie tausend kleine Sonnen, glimmen,
Und auf den kurtzen Wellen schwimmen,
In ungezählter Meng', als kleine Blitz', entstehn:
So lasst uns auf ihr Ur-Bild sehn!
[19] Aria.

Da, wann die Sonn' ins Wasser strahl't,
Und seine Wellen sich vergülden,
Sie sich in allen Tropfen malt;
So laß, o Mensch! nach deiner Pflicht,
Sich auch das güld'ne Himmels-Licht
In deinen Freuden-Thränen bilden!
Mein, durch die nimmer stille Pracht,
So angenehm-verblendet Auge lacht,
Und meines Wesens Kern, die Seele, freuet sich
Recht inniglich,
Zu sehn, wie süß sich Glut und Fluht verbinden.
Denn schöners ist fast nichts zu finden.
Aria.

Es bilden des Wassers sanft-wallende Hügel
Viel tausend polirte bewegliche Spiegel,
Mit Fulgen von fliessendem Silber versetzt,
Von welchen ein jeder, wie glatte Krystallen,
Wenn flammende Strahlen der Sonne drauf fallen,
Mit zitterndem Blitzen die Augen ergetzt.
Ach lasst sie die Hertzen, wenn wir es empfinden,
Wie brennende Spiegel, zur Andacht entzünden!
[20] Elpin.

Die trübe Fluht, die gleichsam wie ein Glas,
Im Frost durch feuchter Stürme Rasen
Mit Düften überhaucht, mit Nebel überblasen;
Scheint in der heitern Luft, durch's Frühlings Hand poliret,
Ein Spiegel von Krystall, den Kraut und Gras,
Als ein Smaragd'ner Ram, mit wahrem Laub-Werck zieret,
In dessen wallenden Krystallen,
Die man nicht sonder Anmuht schaut,
Von nahen Büschen, Rohr und Kraut,
So mancherley Gestalten fallen,
Und zwar so deutlich und so rein,
Daß eines jeden Wiederschein
An Schönheit seinem Urbild glich,
Und ja so schön, so wesentlich,
Als wie das Wesen, schien zu seyn.
Arioso.

Es bilden sich des Höchsten Wercke,
Luft, Erde, Wälder, Thal und Hügel,
Gedoppelt, wie im hellen Spiegel,
Im stillen Wasser, wenn es rein.
Ach möcht' im steten Wiederschein
Auch uns're Seel' ein Wasser seyn,
So, nie durch Leidenschaften trübe,
In welchem Gott, die ew'ge Liebe,
Sein Werck auch könnte doppelt schön,
In stetiger Betrachtung, seh'n!
Der Mooß- und Bluhmen-reiche Strand,
Der schlancken Bäume Zweig' und Blätter,
[21]
Bespiegeln sich, zumahl bey heiterm Wetter,
In seinem reinen Diamant,
Worin sich oft die hellen Wolcken bilden
Und manchen grossen Platz vergülden.
Seht, wie die Stelle dort, als weisses Silber, gläntzet,
Seht, wie die andre da, so dicht an jene grentzet,
Geschliffnem Glase gleicht! Schaut, jene funckelt hier,
Vom Himmel blau gefärbt, wie ein Sapphir.
Ein' andre scheint, durchs Ufers Wiederschein,
Ein grünlichter Smaragd zu seyn.
Die sanft-erhabne feuchte Hügel
Sind Wechselweis', in grün- in blau- und weisser Zier,
Der Bäume, Luft und Wolcken Spiegel.
Es wird im Augenblick auf einer Stelle
Das Weisse grün, das Dunckle helle,
Und alles ist voll Klahrheit, Glantz und Schein.
Wenn ich denn nun in solchen engen Grentzen
Der Erde Grün, des Himmels Blau,
Der Sonne Gold, der Wolcken Silber-Gläntzen,
Als wie der Iris Kleid, vereinet schau:
Nimmt solch ein mannigfalt'ger Schein
Mein Auge, Hertz und Geist, mein gantzes Wesen, ein.
Aria.

Das zitternde Gläntzen der spielenden Wellen
Versilbert das Ufer, beperlet den Strand;
Die rauschende Flüsse, die sprudelnde Quellen
Bereichern, befeuchten, erfrischen das Land,
Und machen, in tausend vergnügenden Fällen,
Die Güte des herrlichen Schöpfers bekannt.
[22]
Es färbet sich von den begrünten Rasen
Das schöne Nichts der Wasser-Blasen,
Die, wie der Blitz, erscheinen und entstehn,
Und wieder, wie der Blitz, zerplatzen und vergehn.
Wobey ich denn, zu unsrer Lehr,
Dieß, wie mich deucht, von ihnen murmeln hör:
Aria.

Je schöner ihr uns gläntzen sehet,
Je eh'r verschwindet und vergehet,
Wie aller Stoltz, auch unsr'e Pracht:
Je mehr wir andere verschlingen,
Je grösser uns ihr Untergang gemacht,
Je eh'r, als wär' es Gift, wir schwellen und zerspringen.
Die Wasser-Lilien-reiche Fluht,
Die, mit so manchem Kraut, mit Schilf und Binsen,
Mit Meer-Gras, Mooß und Wasser-Linsen
Geschmücket und bedeckt, in glatter Stille ruht,
Wird öfters unverseh'ns beweget.
Schau, wie sich dort,
Im grünen Wieder-Schein der Büsche,
Ein blauer Schwarm beschuppter Fische
Mit frohem Wimmeln reget,
Und Wunder-schnell sein flüssigs Wohn-Haus trennt;
Sie fliegen, durch ihr schlüpfrigs Element,
Mit Schwingen, ohne Federn, fort;
Man kann, wenn sie sich fröhlich drehen,
Der Schuppen Silber blitzen sehen.
[23] Aria.

Die schuppigten Bürger der wallenden Fluht,
Die gläntzenden Scharen im schlüpfrigen Grunde,
Erheben, auch mit stummem Munde,
Die Wunder, die der Schöpfer thut.
Ihr Menschen, wenn sie euch ergötzen und speisen,
Vergesset doch nimmer, den Schöpfer zu preisen!
Lisand.

Wird durch das Aug' hievon nun unser Hertz erquickt;
So wird es durch das Ohr fast als entzückt.
Wie hell, wie angenehm, wie schöne,
Wie süß, wie lieblich klinget nicht
Das lispelnde Geräusch und rieselnde Getöne,
Das aus der kühlen Fluht, mit holem Gurgeln, bricht;
Wann, mit dem murmelnden Geklatsch, ihr flüsternd Zischen
Des leicht-beweg'ten Schilfs gespitzte Blätter mischen.
Dieß sprudelnde Getös' hat solche Zauber-Kraft,
Das, weit empfindlicher, als aller Schall
Der künstlichsten Music, des Wassers lauter Hall
Den Gliedern Schlaf, den Sinnen Ruhe, schafft.
Selbst Augen, worin sonst vor Sorg' und Gram
Kein Schlummer kam,
Ja die so gar nicht schlafen wollten, müssen,
Durch diesen Reitz besiegt, sich, wider Willen, schliessen.
Aria.

Kühler, angenehmer Bach!
Allgemach
Schliesset deiner krausen Wellen
[24]
Sanfter Schall, in kleinen Fällen,
Durch das Ohr mein Auge zu.
Deiner fliessenden Krystallen
Schwätzend Wallen
Reitzet selbst den Geist zur Ruh.
Elpin.

Indem ich hier bewundernd stehe,
Und, wie die schnelle Fluht sich stets verlieret, sehe;
Scheint sie mir, von mir selbst, ein Bild zu seyn,
Und fällt mir dieser Lehr Satz ein:
Arioso.

Ihr Sterblichen, erweg't, bey jedem Wasser-Guß,
Daß euer Leben auch ein Fluß,
Der stetig vor- nie rückwärts fliesset,
Und daß der Menschen schnelle Zeit
Ins tiefe Meer der Ewigkeit
Unwiederbringlich sich ergiesset.
Darum gebraucht euer Leben,
Wie es Demjenigen gefällt, Der's euch gegeben!
Gebraucht die Creatur zum Nutzen und zur Lust!
Ergötzet euch am Glantz und Klang der frischen Fluhten,
Und denckt, aus Andachts-voller Brust,
An GOTT, den Geber alles Guten,
Deß unergründlichs Liebes-Meer
Von Macht und Güte nimmer leer,
[25]
Der uns, weil Er den Fluß der Gnaden auf uns lencket,
Mit Wollust, als mit Strömen, träncket.
Er will (o Wunder-Huld!) für alle Seine Gaben,
Für die so herrlichen unzähligen Geschencke
Nichts, als daß man nur Sein gedencke,
Nichts, als ein fröhlichs Hertze, haben.
À 2.

So rühmen wir, mit höchst-erfreutem Muht,
Dich, GOTT! Du allerhöchstes Gut!
Aria à 2.

Gott, der durch ein Wort: Es werde!
Aller Himmel Himmel Pracht,
Stern' und Sonnen, Mond und Erde,
Gluht und Fluht hervor gebracht!
Alle Tropfen in den Bächen,
Ja so gar im tiefen Meer',
Hör' ich gleichsam rauschend sprechen:
Nur von Gott kommt alles her.
Dir allein sey Preis und Ehr!

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TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Das Wasser im Frühlinge. Das Wasser im Frühlinge. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-445A-C