[252] Betrachtung der Vögel

Nachdem ich mancherley Geschöpfe schon beschrieben,
Kann ich nicht länger widerstehn
Der Neigung, die mich längst getrieben,
Von allen Thieren, die so schön,
Die schönst- und zierlichsten, die Vögel, zu besehn;
Um in derselben Bau, Geschwindigkeit und Pracht,
Die Wunder Des, der sie gemacht,
Mit tausend Freuden, zu besingen.
Ach! laß, was ich von ihrem Heer,
Zu deines Namens Preis und Ehr',
O Schöpfer, schreibe, wohl gelingen!
Befiedertes Geschöpf, das, mit geschwinden Schwingen,
Bald in der dünnen Luft, und bald in dicken Wäldern,
Auf hohen Zweigen bald, und bald in flachen Feldern,
Bald schwebt, bald hüpft, bald springt, bald fliegt,
Und das, mit schweben, hüpfen, springen,
Mit raschem Fliegen, hellem Singen,
Sowohl sich selbst, als uns vergnügt;
Du zeigest der Vernunft, die dich betrachtet,
Und auf dein sonderlich gebildet Wesen achtet,
Ein neues Feld voll Wunder, voller Macht,
Und voller Weisheit Des, der dich hervor gebracht.
Wie Bluhmen für die Nas', und gleichfalls für's Gesicht,
Bewunderns-würdig zugericht't;
So scheint der Vögel Schaar, für Augen und für Ohren,
Recht eigentlich erschaffen und erkohren.
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Wer kann die zierliche Figur,
Der Farben Glantz, dein schnell Gefieder,
Die Hurtigkeit der leichten Glieder,
Bewunderns-werthe Creatur,
Ohn' Anmuth, ohne Freude, sehn?
Wann sie sich schnell durch dünne Lüfte schwingen,
Recht wie ein Pfeil, durch dichte Blätter dringen;
Wann sie behend und rasch von Zweig zu Zweigen springen,
Mit schlanckem Hals' ihr kleines Köpfchen drehn,
Durch Sträucher schlupfen, schweben, fliegen,
Mit schwancken Zweigen sich bald auf- bald abwärts wiegen,
Bald auf ein steifer Aestchen setzen,
Ihr Schnäbelchen von beyden Seiten wetzen,
Bald vor- bald hinterwärts, bald hüpfen, und bald stehn,
Bald an ein kleines Zweiglein hangen,
Bald eine Flieg', im Fluge, fangen;
Sich jetzt in dick verwachs'ne Hecken,
Mit schwirrendem Gepfeif, verstecken;
Behende wiederum erscheinen, und von neuen,
Mit zwitscherndem Geräusch und tausend Gauckeleyen,
So Aug' als Ohr erfreuen.
Wann, sag' ich, dieß ihr flüchtig Wesen
Ein auch nicht aufgeräumt Gemüth,
Mit aufmercksamen Ohr- und Blicken, hört und sieht,
Wird es von seinem Gram genesen.
Es wird der Vögel Munterkeit,
Ihr frohes Hüpfen, Schertzen, Springen,
Ihr helles, Sorgen-freyes Singen,
Fast wider seinen Willen, ihn
Aus seiner tiefen Schwermuth ziehn.
Zumahl wann er dabey gedencket,
Daß, Der den Vögeln Nahrung schencket,
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Für ihn auch, hier auf dieser Erde,
Schon für die Nothdurft sorgen werde.
Ach möcht', auf diese Weis', ein jedes Vögelein,
Mein Leser, dir und mir ein lehrend Beyspiel seyn!
Erweget ferner noch, geliebte Menschen, hier
Der Vögel Form und Flug mit mir.
Der kleine Cörper ist fast einem Schiffchen gleich,
Woran der Schwantz das Steur, die Flügel Ruder sind.
Mit diesen theilen sie den Wind,
Und schwimmen durch der Lüfte Reich.
Dieß Flug-Werck zeiget uns so viele Wunder an,
Daß man das Werck-Zeug nie genug bewundern kann.
Daß sie die Flügel nicht von forn nach hinten biegen,
Wie man die Ruder braucht; wohl aber, wann sie fliegen,
Von oben unterwärts, ist zu bewundern werth:
Weil sie dadurch nicht nur die dünnen Lüfte spalten,
Nein, auch zugleich dadurch sich in der Höhe halten.
Damit sie weniger, in ihrer Fahrt, beschwert,
Hat ihnen die Natur, um fertiger zu schweben,
Der Flügel untern Theil recht ausgehöhlt gegeben,
Den obern aber rund, und halb gewölbt, formirt;
Damit sie oberwärts leicht durch die Luft geführt,
Und ohne Wiederstand sich fertig aufwärts ziehn,
Hingegen unterwärts viel Luft zusammen fassen.
Und dadurch, von der Luft, sich könnten tragen lassen.
Das kleinste Theil ist nur am Cörper fest,
Wodurch er sich noch stärcker schwingen lässt,
Betrachten wir der Fittigen Figur,
Kraft, Wesen und Gebrauch; mein Gott! wie zeiget sich
In diesem Werck-Zeug die Natur
So künst- und so verwunderlich!
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Sie müssen leicht seyn, steif und weich,
Damit der Vogel könne fliegen;
Und sie sind leicht, und steif, und weich zugleich:
Weich sind sie, damit sie sich biegen;
Steif, durch der Federn dünn' und hörnicht Wesen,
Das, recht mit grossem Fleiß, zu diesem Werck erlesen,
Weil dessen Dehnungs-Kraft die Eigenschaft ihr bringt,
Daß sie von selbst gerade wieder springt.
Damit sie auch, im Flug, den Vogel nicht beschweren,
So sind sie leicht, durch ihre hohle Röhren.
An einem jeden Feder-Kiel
Erblicket man unzählig viel
Noch immer mehr verkleinter Federn Spitzen,
Die Schuppen-weis' in sich vereinet sitzen;
Wodurch die Luft sich nicht vermag zu drengen,
So daß sie, in der Luft, dadurch bequemer hängen.
In jedem Zäserchen, wenn man es wohl beachtet,
Und, durch ein Gröss'rungs-Glas, dasselbige betrachtet,
Trifft man,
Mit fast erstauntem Aug', ein' eig'ne Feder an,
Die ja so schön gebildet und formirt.
Sie ist mit ja so vielen Ecken,
Als ihre Mutter selbst, geziert.
Was können wir für Wunder mehr entdecken,
Wann wir, auf welche Art die Vögel gehen, stehn,
Und auf den Zweigen sitzen, sehn.
Es sind drey Biegungen an jedem Bein zu finden,
Die sich mit einer Nerv', auf solche Art, verbinden,
Daß, da gedachte Nerv' um alle die drey Glieder,
Von oben ab hernieder
Bis um und in die Zehe geht,
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So bald ein Vogel-Fuß gerade steht,
Die Zehe sich bequem verbreiten,
Und aus einander spreiten.
Wann aber sich das Bein mit seinen Gliedern krümmt,
Die Nerve sich einfolglich dehnen muß;
So ziehet er den gantzen Fuß,
Nebst allen Zehen, fest zusammen:
Wodurch der Vogel denn verschied'ne Vortheil' nimmt,
Die all' aus diesem Grunde stammen.
Da nicht allein ein Vogel, welcher schwimmt,
Ohn' ein so künstliches Zusammenziehn,
Indem das Wasser forn ihm widerstehen würde,
Um fort zu gehn sich würd' umsonst bemühn;
Nein, sondern auch an Vögeln, so auf Spitzen,
Und auf der Bäume Zweigen sitzen,
Sind eben, weil die Beine krumm gebogen,
Durch die gedehnte Nerv', die Zehe krumm gezogen;
So daß dadurch der Ast,
Durch ihres Cörpers eig'ne Last,
So fest beklemmt wird und umfasst,
Daß, auch so gar im Schlaf, und gegen Sturm und Wind,
Für Sturtz und Fall sie sicher sind.
Laß solche Wunder doch, o Mensch, nicht aus der Acht,
Betrachte sie, und rühm', in ihnen, Dessen Macht,
Der alle Ding' hervor gebracht.
Wann wir nun ferner überlegen,
Und, in der Vögel Reich', erwegen
Den wunderbaren Unterscheid
An Grösse, Zier, Beschaffenheit,
Veränd'rung, Farben, und Figur,
Flug, Nahrung, Wohnung und Natur;
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Erstaunen wir mit Recht, weil sie fast nicht zu zählen.
Doch theilet man sie insgemein
In Wasser- Feld- Haus- Raub- und Singe-Vögel ein,
Wovon wir denn für jetzt nur bloß die letzten wählen.
Wann uns, in holder Frühlings-Zeit,
Bey reiner Luft und heiterm Wetter,
Ein jüngst begrünter Wald zwar Millionen Blätter,
Doch noch mehr Lust und Lieblichkeit,
In seinem grünen Schatten zeiget;
Wann von der kleinen Sänger Schaar
So mancher Zweig, bald hier bald dar,
Sich, durch den schnellen Flug und frohes Hüpfen, beuget,
Erfüllt ihr Lieder-reicher Chor
Und helles Gurgeln Luft und Ohr,
So daß, vom locken, schlagen, singen
Und zwitscherndem Geräusch, so Berg als Thal erklingen.
Wie lieblich musicirt und singet, Gott zum Preise,
Der Stieglitz, Emmerling, der Hänfling und die Meise,
Das Zeischen und der Finck, zumahl die Nachtigall,
Wann sie, mit hellerm Ton und weit geschärftern Schall,
Durch's zwitschernde Gräusch so vieler Sänger dringet,
Und künstlicher, als alle, singet!
Warum nun glauben wir, daß sich das kleine Heer,
Mit solch unzähligen Veränd'rung- und Manieren,
So lieblich, angenehm und süß zu musiciren,
Mit solchem Fleiß bestreb'? Ist es ein Ungefehr,
Das sie so singen heisst? Ach nein!
Wo wir vernünftig seyn,
So kann man ja wohl anders nicht gedencken,
Als daß der grosse Schöpfer ihnen,
Um ihm, auf ihre Art, zu Seiner Ehr', zu dienen,
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Und auch zugleich uns mit dahin zu lencken,
Die Werck-Zeug', Fähigkeit, und Lust dazu zu schencken,
Sie werth gehalten hat. Es kommt mir vor,
Als ob der kleinen Sänger Chor,
Damit er Dem Lob, Preis und Ehre gebe,
Durch den allein die Wälder grünen,
Dem alle Creaturen dienen,
So süß zu singen sich bestrebe.
Mich deucht, kann ich gleich nicht der Vögel Sprach' ergründen,
In ihrem Singen, dieß zu finden:
»Es ist bloß Deine Gnad' allein,
O HERR, daß wir erschaffen seyn.
Wir können an des Frühlings Schätzen
Und Lieblichkeiten uns ergetzen.
Unzählig sind die Wunder, die die Welt,
Zu unsrer Anmuth, in sich hält.
Mit wie so mancher Freud' und Wonne,
Mit wie viel Lieblichkeit und Lust
Erfüllet unsre kleine Brust
Der Wärm' und Strahlen Quell, die Sonne!
Wie schön, wie Wunder-schön
Sind Erd' und Himmel anzusehn!
Daß wir so schnell die Schwingen regen,
So fert- und hurtig uns bewegen,
Ist eintzig uns von Dir verliehn.
So wollen wir auch, Dich zu ehren,
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Und Preis, und Ruhm, und Danck Dir zu gewähren,
Mit allen Kräften uns bemühn.
Und weil wir denn von allen Gaben
Nichts edlers, als die Stimmen, haben,
So lassen wir sie denn ohn' Unterlaß erklingen.
Wir können zwar, o Schöpfer, deine Macht
Und Majestät, in deiner Wercke Pracht,
Nicht, nach Verdienst, erhöhen und besingen,
Noch deiner Wunder Meng' erzählen:
Doch können wir vielleicht, mit unsrer kleinen Kehlen
Bewunderns-werthen Lieblichkeiten,
Vollkomm'nere Geschöpf', als wir,
Nebst uns, zur Lust und Andacht leiten.«
Ja, ja! so singen sie, ob wir's gleich nicht verstehn.
Und wenn sie den Gesang auch selber nicht verstünden;
So sollten wir dennoch, die wir viel weiter sehn,
Den Inhalt ihrer Lieder finden,
Uns, durch empfund'ne Lust, zu ihrem Schöpfer lencken,
Und Seinen Ruhm stets zu vermehren dencken.
Da uns die Lieblichkeit der süssen Stimmen rührt,
Und uns recht in die Seele dringet;
Wodurch, indem sie uns mit Recht zum Schöpfer führt,
Danck, Ehr-Furcht, Lieb' und Lob, aus unsrer Lust, entspringet;
So lasst uns doch nicht minder uns bemühn,
Durch unsre Lust an unsers Schöpfers Wercken,
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Auch edlere Geschöpf' zu Seinem Ruhm zu ziehn,
Und Engeln, oder sel'gen Seelen,
Auch unsre Freude nicht verhehlen:
Wann sie, in unserm Lob-Getön',
Ein, durch die Creatur, gerührtes Hertze mercken;
Wann sie, bey unserer Betrachtung, sehn
Ein sehnend Aug' und fröhliche Geberden,
Und, durch dieselbigen, von der, in unsrer Brust,
Gefühlten innern Lust
Gerührt und überführet werden;
So kann gewiß das helle Schallen
Der Lieder-reichen Nachtigallen
Der Menschen Ohr so sehr nicht rühren, und gefallen,
Als stille Seufzer, fröhe Minen,
Die ein betrachtetes Geschöpf'
In uns erreget, ihnen
Vergnügen, Anmuth und Ergetzen
Erregen muß, und sie noch mehr und mehr,
Zu ihres Schöpfers Preis und Ehr',
In eine sel'ge Freude setzen.
Wer wollte denn nicht gern,
Bey so viel selbst gefühlter Lust,
So gar der Engel Lust, und aller Engel Herrn
Lob, Ehr und Preis, zu mehren, zu erheben,
Lobsingend sich bestreben?
Wer wollte nicht, wie uns die Vögel hier auf Erden,
So ihnen dazu gern ein klingend Werck-Zeug werden?

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TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Betrachtung der Vögel. Betrachtung der Vögel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-43FF-F